Zusammenfassung
Eine Segmentierung und Differenzierung in der Erfassung und Bearbeitung von Märkten, die auf dem Kundenwert basiert, impliziert eine Bevorzugung und Benachteiligung von Kunden, möglicherweise sogar den Abbruch oder die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen. Für Unternehmen, die ein wertorientiertes Kundenmanagement anstreben, ergeben sich dadurch unter Umständen ethisch-moralische Probleme, d. h. sie sehen sich Forderungen ausgesetzt, ihr Handeln ethisch zu legitimieren. Mögliche Ansatzpunkte dazu liefert die theoretische Marketingethik, deren Inhalte und Positionen im vorliegenden Beitrag grundlegend auf das Thema Kundenwert angewendet werden sollen. Nach einer Konkretisierung möglicher ethischer Probleme im Zusammenhang mit dem Kundenwert werden dazu zunächst Grundpositionen der Marketingethik im Hinblick auf ihre Relevanz für den vorliegenden Bereich überprüft. Anschließend werden ausgewählte, zentrale ethische Teilaspekte diskutiert, bei denen es zum einen um die möglichen Folgen eines wertorientierten Kundenmanagement und zum anderen um die Gerechtigkeit eines solchen Vorgehens geht.
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Notes
- 1.
Die „moralische Ambivalenz“ des Kundenwertes zeigt sich bereits in der unterschiedlichen Interpretierbarkeit des Begriffes „Diskriminierung“: In einem technisch-analytischen Verständnis bedeutet Diskriminierung nichts anderes als eine „Unterscheidung“ (lat. Discrimen). Diskriminierung bezeichnet darüber hinaus aber auch eine Benachteiligung und Herabsetzung durch eine unterschiedliche Behandlung, z. B. in wirtschaftlicher, rechtlicher oder politischer Hinsicht. In diesem Zusammenhang meint Diskriminierung häufig eine Benachteiligung von Minderheiten, die sich auf rassische, sprachliche, kulturelle, ethnische, religiöse, politische oder geschlechtliche Merkmale zurückführen lässt und dabei gegen Grundrechte und grundlegende Anforderungen der Humanität und Toleranz verstößt (Vossenkuhl 2008, S. 51).
- 2.
Bei der Gestaltung der Kundenbeziehungen haben soziale Medien und Netzwerke („social media“) und der Austausch über das Internet stark an Bedeutung gewonnen (z. B. Malthouse et al. 2013; Hennig-Thurau et al. 2010). Plattformen wie Facebook und Twitter oder auch eigene Onlineshops und e-Commercesysteme liefern Unternehmen eine reichhaltige zusätzliche Informations- und Datenbasis für die Kundenbewertung sowie neue Instrumente für eine wertorientierte Differenzierung im Kundenmanagement.
- 3.
Bislang gibt es nur wenige empirische Studien zur Bewertung einer ungleichen Behandlung aus Sicht der Kunden: Homburg et al. (2008) kommen zu der Einschätzung, dass eine Priorisierung von Kunden einen positiven Einfluss auf die Beziehungsqualität zu werthaltigen Kunden hat, ohne die Beziehungen zu den weniger werthaltigen Kundengruppen negativ zu beeinflussen. Nach Erkenntnissen von Haenlein und Kaplan (2012) bewerten Kunden eine öffentliche Kündigung von Geschäftsbeziehungen, bzw. einen öffentlich verkündeten Ausschluss von Kunden demgegenüber sehr kritisch und reagieren aktiv mit Beschwerden und ggf. sogar mit dem Boykott des Anbieters, auch wenn Sie selbst vom Ausschluss gar nicht betroffen sind.
- 4.
Der kategorische Imperativ lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant 2008, S. 68).
- 5.
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen bei Smith und Quelch (1993), S. 189 ff, die ähnliche ethische Aspekte bereits für die herkömmliche (d. h. nicht ausdrücklich auf den Prinzipien des Relationship Marketing) aufbauende „selektive“ Marktbearbeitung diskutieren.
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Hohm, D., Hansen, U., Geisler, S. (2017). Ethische Implikationen einer kundenwertorientierten Marktbearbeitung. In: Helm, S., Günter, B., Eggert, A. (eds) Kundenwert. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10920-2_33
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