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„Deutschen fordern: Juden raus“

Antisemitismus nach Auschwitz im Alltagsdiskurs der 1950er Jahre

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Zusammenfassung

Der Aufsatz verdeutlicht aus einer dezidiert psychoanalytischen Perspektive, wie sich Antisemitismus nach Auschwitz aktualisieren konnte: Jüdinnen und Juden werden unbewusst zu den TäternInnen und Herrenmenschen gemacht, die viele (nicht-jüdische) Deutsche in der NS-Zeit waren oder werden konnten. Über eine projektive Identifizierung externalisieren AntisemitInnen genau die narzisstischen und destruktiven Selbstanteile, die es ihnen ermöglichen, zu TäterInnen zu werden. Antisemitismus nach Auschwitz hat hierbei aber nicht nur die Funktion der Abwehr von Täterschaft und Schuld, sondern er schützt die psychisch attraktiven ‚Täteranteile‘, indem er sie externalisiert – im Judenbild – aufbewahrt.

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete Fassung von Lohl 2013.

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Notes

  1. 1.

    Alle Angaben aus dem Supervisionsprozess sind soweit anonymisiert und verändert, dass ein Rückschluss auf die realen Personen nicht mehr möglich ist.

  2. 2.

    Eine Interpretationsgruppe ist daher ein unverzichtbarer und elementarer Bestandteil einer tiefenhermeneutischen Interpretation. Sie stellt den psychosozialen Raum dar, in dem sich latente Sinnschichten des Textes zwischen den Interpretierenden entfalten und in Szene setzen können. Die Interpretationsgruppe und die Subjektivität der Forschenden sind daher wesentliche Erkenntnisinstrumente einer tiefenhermeneutischen Interpretation.

  3. 3.

    Bei diesen und den folgenden Angaben handelt es sich um Verweise auf die Mitschnitte der Interpretationssitzungen (Ig) und auf die Affektprotokolle (Ap).

  4. 4.

    Das Zitat, sowie alle Folgenden, sofern nicht anders kenntlich gemacht, sind der obigen Sequenz entnommen.

  5. 5.

    Korrekt wäre die Formulierung ‚Neuaufbau eines israelischen Staates und einer israelischen Gesellschaft‘.

  6. 6.

    Vgl. zur geschlechtsspezifischen TäterInnen-Opfer-Invasion Radonić in Kapitel „Von der friedfertigen Antisemitin zur queer-theoretischen Post-Zionistin“.

  7. 7.

    Allerdings bleibt in der Phantasie über eine jüdische Rache die eigene Schuld implizit angedeutet, denn Rache(angst) als moralischer Affekt bezieht sich immer auf eine voran gegangene Tat (vgl. dazu unten), die nicht hätte geschehen dürfen.

  8. 8.

    Gudrun Brockhaus (2008, S. 31, 2012) hat für diese Anteile den Begriff des Herrenmenschen-Selbst gefunden. Dieses entspricht dem (als gut erfahrenen) wahnhaften Selbstanteil, der die eigene ‚arische‘ „Überlegenheit inklusive der Erlaubnis zur Degradierung des als minderwertig oder unwert Definierten“ repräsentiert (Brockhaus 2012, S. 104). Dies geht einher mit Gefühlen von kollektiver Macht und unermesslicher narzisstischer Befriedigung, die Adorno (1959) auf den Begriff des „kollektiven Narzissmus“ bringt: Hitler als sinnlicher Repräsentant der „Volksgemeinschaft“ hatte „es der deutschen Öffentlichkeit in Stadt und Land mit verschwindenden Ausnahmen möglich gemacht, an die Realisierbarkeit ihrer infantilen Omnipotenzphantasien glauben zu dürfen“ (Mitscherlich und Mitscherlich 1998, S. 36; vgl. Freud 1921; Adorno 1971).

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Lohl, J. (2016). „Deutschen fordern: Juden raus“. In: Busch, C., Gehrlein, M., Uhlig, T. (eds) Schiefheilungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10410-8_7

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