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Vom Ressentiment zum Massenwahn

Eine Einführung in die Sozialpsychologie des Antisemitismus und die Grenzen psychoanalytischer Erkenntnis

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Schiefheilungen

Zusammenfassung

Psychoanalytisch orientierte Deutungen des Antisemitismus fokussieren die affektive Dimension und emotionale Attraktivität antisemitischer Denk- und Wahrnehmungsmuster. Während aber psychoanalytische Analysen dazu tendieren, den Antisemitismus als Ausdruck von Triebkonflikten zu psychologisieren, wird hier ein psychoanalytisch-sozialpsychologischer Blick vorgestellt, der den Antisemitismus nicht nur als spezifisch moderne Diskursformation erfasst, sondern auch die innerpsychischen Konfliktlagen als in spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen entstandene und sich mit diesen wandelnde. Davon ausgehend soll das komplexe Zusammenspiel von ängstigenden sozialen Situationen, innerpsychischen Konfliktlagen, Massendynamiken und antisemitischen Bildern und Mythen analysiert werden.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. dazu Rensmann 1998; Salzborn 2010; Peham 2008.

  2. 2.

    Der Triebbegriff löste in Freuds Werk den Begriff des Wunsches ab, den ich bevorzuge, weil er assoziativ nicht wie der Triebbegriff mit biologischen Konzepten verbunden ist. Auch der Triebbegriff Freuds ist allerdings selbst weniger biologistisch als er zuweilen gelesen wird: Erstens ist er in seinen Schriften stets an der Schnittstelle zwischen Biologischem und Psychischem angesiedelt, zweitens ist er, was seine Objekte und Ziele anbelangt überaus flexibel und drittens interessierte sich Freud deshalb auch vor allem für die sogenannten‚ ‚Triebschicksale‘, d. h. die je individuelle lebensgeschichtliche Ausformung dessen, was er Trieb nannte (vgl. zum Triebbegriff Brunner und König 2014).

  3. 3.

    Aufgrund der Zeitumstände und damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Problemlagen, aber sicher auch aufgrund der jüdischen Herkunft vieler Psychoanalytiker_innen und Kritischer Theoretiker_innen beschäftigte sich die deutschsprachige psychoanalytische Sozialpsychologie bis in die 1960er Jahre hinein fast ausschließlich mit der Konstruktion des jüdischen‚ ‚Anderen‘. Erst relativ spät, nämlich als in Deutschland Anfang der 1990er Wohnheime für Asylbewerber_innen in Flammen standen, rückte auch der nicht gegen Juden und Jüdinnen gerichtete Rassismus stärker in den Blick (vgl. dazu Brunner et al. 2012, S. 40–44).

  4. 4.

    Auch Erdheim (1985, S. 241) begibt sich auf problematisches Terrain, wenn er davon spricht, dass in der modernen Gesellschaft die Nation das ‚Ethnische‘ verdränge, welches heute aber als „revolutionäre Potenz“ wieder auftauche. Ethnizität ist nicht etwas Uraltes und immer da gewesenes, sondern eine spätmoderne Ideologie (vgl. Werz 2002).

  5. 5.

    Tatsächlich scheint in antisemitischen Bildern meist der Jude als männliche, zugleich, wie noch gezeigt wird, verweiblicht-männliche Figur auf. Es gibt aber durchaus komplementäre Bilder der bedrohlichen ‚schönen Jüdin‘, dem ‚Vamp‘ (vgl. dazu Stögner 2014).

  6. 6.

    Vgl. Stögner (2014), Winter (2013); Winter in Kapitel „Gegen ‚närrischen Individualismus‘ und ‚Sexlust‘. Zur affektiven Attraktivität der Imaginationen geschlechtlichen Heils im „Nationalen Widerstand““; Radonić in Kapitel „Von der friedfertigen Antisemitin zur queer-theoretischen Post-Zionistin“. Winter und Stögner zeigen beide sehr eindrücklich, wie sich mit wandelnden gesellschaftlichen Geschlechterentwürfen auch die Bilder von Juden und Jüdinnen verändern.

  7. 7.

    Das ist der historische Gehalt der Thesen von Mario Erdheim (1983) zum Konflikt zwischen Familie und Kultur.

  8. 8.

    Freud (1939) hatte den Judenhass als eigentlichen Hass auf den Monotheismus und seine patriarchalen Vorstellungen eines unnahbaren, sowohl liebenden wie strafenden Gottes gedeutet, dessen ambivalenten Momente aber im Christentum durch die Einführung des Teufels und anderer ‚Nebengötter‘, die den Gott dieser ‚Religion der Liebe‘ flankieren, wieder aufgespalten werden (vgl. auch Peham 2004).

  9. 9.

    Zur Spezifität des ‚Antisemitismus nach Auschwitz‘, der auch ‚sekundärer Antisemitismus‘ genannt wird, vgl. Lohl in Kapitel „Deutsche fordern: Juden raus“. Antisemitismus nach Auschwitz im Alltagsdiskurs der 1950er Jahre“.

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Brunner, M. (2016). Vom Ressentiment zum Massenwahn. In: Busch, C., Gehrlein, M., Uhlig, T. (eds) Schiefheilungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10410-8_2

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