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L’art pour l’art und Zweckfreiheit. Zum Verhältnis von soziologischem und philosophischem Autonomiebegriff

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Part of the book series: Kunst und Gesellschaft ((KUGE))

Zusammenfassung

Geht es um die Autonomie der Kunst, werden gemeinhin theoriegeschichtlich sehr unterschiedliche Denktraditionen in Zusammenhänge gebracht. Anhand eines Vergleichs zweier prominenter Denkfiguren der Autonomie, die oft zitiert werden, – der von Bourdieu und der von Kant – sollen die jeweiligen Hintergründe und Pointen einer soziologischen und einer philosophischen Position erläutert und diskutiert werden. Beachtung soll hierbei erfahren, dass erstens die Autonomie des künstlerischen Feldes bei Bourdieu eine relative Autonomie ist und dass zweitens das, was in philosophisch-ästhetischen Debatten unter dem Terminus der Kantischen Zweckfreiheit zusammengefasst wird, von Kant selbst unter der Überschrift ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck‘ verhandelt wird. Inwiefern ist in beiden Theorien eine Funktionalität der Kunst im Rahmen ihrer Autonomie mitgedacht und warum wird diese – historisch gesehen – immer wieder in eine Nicht-Funktionalität umgedeutet? Wie verhalten sich aktuelle Tendenzen gesellschaftlicher Funktionalisierung in der Kunst zu solchen Autonomiebegriffen?

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Notes

  1. 1.

    So z. B. die Berliner Künstlerinitiative Haben und Brauchen, www.habenundbrauchen.de. Zugegriffen: 13.09.2014.

  2. 2.

    So war der Hinweis auf die Autonomie der Kunst in den Niederlanden das Argument für eine drastische Kürzung des Kulturetats. 2012 reagierten KünstlerInnen und KunstheoretikerInnen mit der Herausgabe einer Ausgabe der Zeitschrift „Open“ auf die Kürzungen: „In this time of ideological and political crises, in which people and things are increasingly thrown back on their own resources, autonomy is becoming attractive again. But how does autonomy, the wish to take matters into one’s own hands and have significance independent of old structures, relate to the call for engagement and performativity? This issue, made in collaboration with Sven Lütticken, examines autonomy from the standpoints of art, art history, philosophy, political theory and cultural criticism, and attempts to escape the limitations of thinking in terms of engagement on the one hand and autonomy on the other.“ 2012. Open 23: Autonomy. New Forms of Freedom and Independence in Art and Culture. http://www.skor.nl/eng/publications/item/open-23-autonomy-new-forms-of-freedom-and-independence-in-art-and-culture?single=1. Zugegriffen: 26. Febr. 2015.

  3. 3.

    „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ ist Kants eigener Meinung nach nur „freie“ Schönheit, während Schönheit in der Kunst eher „anhängende“ Schönheit ist oder durch ästhetische Ideen erläutert werden kann. Diese Differenz ist aber in vielen ästhetischen Theorien der Kunst nicht beachtet worden, in denen Kunst gerade im Sinne der freien Schönheit erläutert wird (Kant 1974, § 16).

  4. 4.

    Als Akteure der Kunst fasst Bourdieu KünstlerInnen, KritkerInnen, JournalistInnen sowie VertreterInnen von Institutionen auf (er benutzt durchgängig die männliche Schreibform, aber vielleicht war ja doch eine Frau dabei); historische Koordinate ist die Literaturszene in Frankreich im 19. Jahrhundert. Im vorliegenden Text wird keine Einführung in die Kunstsoziologie Bourdieus gegeben, auch deshalb, weil einführende Literatur zum künstlerischen Feld vorliegt, z. B. (Schumacher 2011; Schwingel 2011; Kastner 2009).

  5. 5.

    Bourdieu nennt hier z. B. Flaubert und Baudelaire (Bourdieu 1999).

  6. 6.

    Dagmar Danko z. B. charakterisiert die Regeln des l’art pour l’art (Kunst um der Kunst willen) als eine Regellosigkeit, insofern sich als eine Regel des künstlerischen Feldes die Regel ausbildet, keinen Regeln zu folgen (Danko 2012, S. 56 f.).

  7. 7.

    Auch die Auffassung, die Feldtheorie ziele auf die Autonomie von Kunstwerken als spezifischen Gegenständen und komme daher einer „Ideologie formalistischer Reinheit des Kunstwerks“ gleich (Rebentisch 2013, S. 168), beruht auf einer Engführung und vermag nicht zu überzeugen.

  8. 8.

    Vgl. dazu Bourdieus Darstellung (Bourdieu 1993, S. 109 f.).

  9. 9.

    Vgl. (Weber 1988, S. 458): „Die durch Einverständnis Vergemeinschafteten können unter Umständen persönlich nie etwas voneinander gewußt haben, und dabei kann dennoch das Einverständnis sogar eine empirisch fast unverbrüchlich geltende ‚Norm‘ darstellen […].“

  10. 10.

    Nina Tessa Zahner hat ein Resultat dieser politischen Entwicklung bereits dargestellt – sie spricht von einer Demokratisierung der Kunst, von der man annehmen muss, dass durch diese auch der Bourdieu’sche „ästhetische Blick“ modifiziert oder vielleicht sogar abgeschafft worden ist (Zahner 2005).

  11. 11.

    Vgl. auch (Bourdieu und Haacke 1995).

  12. 12.

    Diesen Gedanken findet man auch bei Richard Sennett (2009).

  13. 13.

    Manet ist neben Flaubert der zweite Kronzeuge der bourdieuschen Theorie.

  14. 14.

    Flaubert, zitiert in (Bourdieu 1999, S. 179).

  15. 15.

    Im Gegensatz zu Bourdieu bestimmt Adorno das Kunstwerk als autonom z. B. (Adorno 1992, S. 29 f.).

  16. 16.

    Vgl. auch (Kant 1974, § 65, S. 320 f.): „Sofern aber ein Ding nur auf diese Weise als möglich gedacht wird, ist es bloß ein Kunstwerk, d. i. das Produkt einer von der Materie (den Teilen) desselben unterschiedenen vernünftigen Ursache, deren Kausalität (in Herschaffung und Verbindung der Teile) durch ihre Idee von einem dadurch möglichen Ganzen (mithin nicht durch die Natur außer ihm) bestimmt wird.“

  17. 17.

    Dies sagt auch Peter McLaughlin (1989, S. 42). Im Kontrast dazu beschreibt Kant das Genie, das „selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen … herbei finden“. Meines Erachtens handelt es sich um zwei verschiedene Konzepte: des Künstlers technischer Kunst und des Genies, das ästhetische Ideen ausdrückt. Vgl. (Kant 1974, § 46).

  18. 18.

    Die Unterstellung des ästhetischen Gemeinsinns ist in der Kant-Literatur auch kritisch diskutiert worden, vgl. (Kulenkampff 1994).

  19. 19.

    Kant selbst stellt ja auch mit Hilfe des Freiheitsbegriffs eine Ähnlichkeit zum moralischen Urteil her.

  20. 20.

    Vgl. zu Habitus und Distinktion Bourdieu (1987, S. 729 f.). Der Habitus wird von Bourdieu als präreflexive Disposition gedacht, die vom Individuum „in seiner je eigenen Geschichte erworben“ (Bourdieu 1987, S. 729) wird. Die spezifischen Existenzbedingungen sozialer Verortung werden demnach durch Praxis inkorporiert: „Wenn man vom Habitus redet, dann geht man davon aus, dass das Individuelle und selbst das Persönliche, Subjektive etwas Gesellschaftliches ist, etwas Kollektives. Der Habitus ist die sozialisierte Subjektivität“ (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 159). Zur Bedeutung des Habitus im Rahmen der Kunstrezeption vgl. (Zahner 2011, S. 259 f.).

  21. 21.

    Autonomie wird dann als Regellosigkeit und Funktionslosigkeit der Kunst aufgefasst. Kant versteht aber unter ästhetischem Urteilen eine Regelanwendung, vgl. (Esser 1995, S. 17).

  22. 22.

    Diese Grundhaltung wird momentan etwas durch die Anmutungen des Diskurses über die „künstlerische Forschung“ und über „künstlerisches Wissen“ in Frage gestellt, aber konsequenterweise werden diese Phänomene als Zitate eines wissenschaftlichen Habitus gedeutet und so nicht unbedingt als inhaltlicher Anspruch ernst genommen. Und es war Bourdieu, der in der Figur des Intellektuellen noch einmal auf ein Denkmodell hingewiesen hat, das gleichermaßen für beide Gruppen, die Künstler und die Wissenschaftler gilt und das zeigt, dass beide Tätigkeitsbereiche unter dem Fokus ihrer Ähnlichkeit thematisiert werden können.

  23. 23.

    Kant (1974, § 76) unterscheidet hier zwischen der Freiheit der praktischen Vernunft als objektiver Setzung des Guten und der Freiheit in der sinnlichen Vorstellung als „regulativem Prinzip“, „welches die Beschaffenheit der Freiheit, als Form der Kausalität, nicht objektiv bestimmt, sondern […] als ob dieses geschähe, die Regel der Handlungen nach jener Idee für jedermann zu Geboten macht“.

  24. 24.

    Es sei hier nur am Rande bemerkt, dass sich auch der Kantische Geniebegriff nicht zur Etablierung einer absoluten Freiheitsfigur des Ästhetischen bei Kant eignet. Auch wenn das Genie bestehende Regeln (und Schulen) verletzt, sich also eine Freiheit herausnimmt, ist seine Wirkung zugleich selbst immer wieder regelbildend. Auch wenn für die anderen die Kunst des Genies so aussieht, als sei sie nicht absichtlich (weil sie die neuen Regeln noch nicht kennen), so ist die Kunst des Genies doch kein Zufall, denn das Genie besitzt selbst auch Geschmack. Vgl. (Kant 1974, § 46 und § 47).

  25. 25.

    Einen Überblick über verschiedene Positionierungen sowohl von KünstlerInnen als auch von WissenschaftlerInnen in der Debatte gibt ein soeben erschienenes Handbuch (Badura et al. 2015).

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Siegmund, J. (2017). L’art pour l’art und Zweckfreiheit. Zum Verhältnis von soziologischem und philosophischem Autonomiebegriff. In: Karstein, U., Zahner, N. (eds) Autonomie der Kunst?. Kunst und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10406-1_4

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