Zusammenfassung
In diesem Beitrag wollen wir die soziologische Rollentheorie als ein wichtiges Konzept zum Verständnis des Führungshandelns vorstellen. Wichtig ist dieses Konzepts im doppelten Sinne: Theoretisch kann rekonstruiert werden, wie Führungsrollen in einem komplexen, oft widersprüchlichen Organisationsalltag übernommen, ausgestaltet, wirksam bzw. unwirksam werden können. Praktisch kann das Rollenkonzept von den Führungskräften selbst genutzt werden, um eben diesen widersprüchlichen und dilemmatischen Organisationsalltag besser verstehen, deuten und gestalten zu können.
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Notes
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Mitarbeiterorientierter, kooperativer usw. Führungsstil; eindimensionale oder mehrdimensionale Ansätze wie das Verhaltensgitter von Blake und Mouton.
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Kontingenztheorie der Führungseffektivität von Fiedler, Reifegradmodelle der Führung von Hersey und Blanchard.
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Varianten der Attributionstheorie sind: Geführten-zentrierte Attributionstheorie, Führer-zentrierte Attributionstheorie, Reciprocal-Influence-Ansatz.
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S. hierzu die Forschungsbemühungen des Fachbereichs I.1 an der DHPol.
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S. allerdings Barthel und Heidemann (zuletzt 2014) und Thielmann und Weibler (2014).
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Man könnte sich die Frage stellen, ob es nicht auch für informelle Erwartungen z. B. in Dienstgruppen, in Führungsbeziehungen oder mikropolitischen Netzwerken Muss-Erwartungen mit entsprechend harten Sanktionen gibt. Selbstverständlich werden in diesen informellen Handlungszusammenhängen klare Erwartungshaltungen formuliert und erzwungen; im Unterschied zur massiven Sanktionsgewalt bei formalen Erwartungen, können diese aber nicht zum Ausschluss aus der Organisation überhaupt führen, sondern allenfalls zur Exklusion aus den informellen Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen.
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Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Schimank (1999, S. 55–63).
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S. Stefan Kühl (2011, S. 89–159): Drei Seiten der Organisation – die formale, informelle und die Fassadenseite.
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Dieses interaktionistische Rollenverständnis entspricht damit der Strukturationstheorie von Giddens (1992, S. 67–81). Soziales Handeln ist keine eigene Domäne, das „ganz Andere der sozialen Strukturen“, sondern beide Momente bringen sich wechselseitig hervor und verändern sich dabei. Handeln in Strukturen ist demnach „strukturiert“ und wirkt zugleich „strukturierend“, nämlich emergente Folgen erzeugend, die die Statik von Strukturen immer wieder dynamisiert und infrage stellt.
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Was natürlich nicht bedeutet, dass a) sich nicht immer wieder überraschende und neuartige Rollenkonflikte auftun können und b) dass bekannte Typen von Konfliktkonstellationen routiniert oder souverän gelöst werden würden.
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In der systemischen Therapie spricht man auch von einem „Reframing“, von der Neurahmung einer Situation oder eines Geschehens. Entscheidend ist auch hier die Erschließung neuer Handlungs- und Deutungsspielräume dadurch, dass suggestive, gewissermaßen versklavende Sinnzuschreibungen und Grundüberzeugungen erkannt und abgestellt werden können (s. Watzlawick et al. 1988, S. 99–184).
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In antropologisierender Weise spricht Schulz von Thun vom Menschen als „Doppelwesen, geprägt von der Dialektik seines Daseins und seinen unvermeidlichen Dilemmata und Spannungen“, s. Pörksen S. 128.
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Während Schulz von Thun sich vor allem aus kommunikationspsychologischer Sicht des Subjektes in der Rolle annimmt, gehen etwa psychoanalytische Organisationstheorien noch systematischer auf die biografischen und dann insbesondere die latent neurotischen Dispositionen des Akteurs ein. Kets de Vries und Miller zeigen z. B. wie die neurotische Struktur berühmter Unternehmer und Führungspersonen die Funktionsfähigkeit großer Organisationen beeinträchtigen kann (s. Kets de Vries und Miller 1984). Kernberg (2000) sieht umgekehrt eher die neurotisierende Wirkung von Organisationskonflikten und den davon betroffenen MitarbeiterInnen auf die Person der Führungskraft: problematisches bzw. neurotisches Führungsverhalten ist dann eher eine Infektion seitens organisationaler Gruppen und Gruppendynamiken als die inhärente Wirkung aus der Person selbst.
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Die Methode des Inneren Teams mag bei leichteren Konflikten hilfreich sein. Es fragt sich allerdings, ob diese Methode bei wirklich schmerzhaften Konflikten, bei der Aktivierung innerer Konflikte und neurotischer Konstellationen in der Selbstanwendung funktioniert. I. d. R. muss dann auf Coaching, Supervision oder Therapie zurückgegriffen werden.
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Dies sind die strukturellen Bedingungen für die aktuelle Mode der „Transformationalen Führung“.
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Um es nochmals deutlich zu formulieren: Identitätsarbeit in der Rolle ist notwendig, weil die klassischen Rollenskripte an Eindeutigkeit und Prägnanz verloren haben. Wie Führung zum Substitut für (sperrige, problematische) formale Organisationsstrukturen wird, so wird die Identität zum Substitut für kaum mehr instruktive, klassische Rollenskripte.
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Barthel, C., Heidemann, D. (2017). Die Rolle der Führungskraft. In: Barthel, C., Heidemann, D. (eds) Führung in der Polizei. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10349-1_4
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