Zusammenfassung
Die bedeutsamsten Erkenntnisse aus dem voran gegangenen theoretischen Teil geben einen Überblick im Kontext der Fragestellung, wie erwachsene Bezugspersonen entwicklungsförderliche Bedingungen für Kinder herstellen können und werden an dieser Stelle zusammengefasst dargestellt und in Bezug zu dem Schülerhilfeprojekt gesetzt. Zentrale Erkenntnisse des Theorieteils sind zentrale Aspekte, die in mein Forschungsinteresse eingegangen sind. Es steht nicht der Output des Projektes im Fokus, sondern die Prozesse, die zu einer positiven kindlichen Entwicklung führten. Um herauszufinden, welche Prozesse und Faktoren dies waren, habe ich mich für narrative Interviews mit Paten/-innen sowie Kindern, die seit mindestens einem Jahr offiziell das Patenschaftsprojekt beendet haben, entschieden. Ich möchte aus Sicht der Paten/-innen und der Kinder retrospektiv erfahren, welche Faktoren zu einer positiven Entwicklung der Kinder geführt haben. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Interviews nutze ich, um Implikationen für die Arbeit als Grundschullehrer/-in bzw. im pädagogischen Bereich tätigen Personen zu entwickeln.
Der theoretische Teil dieses Buches hat uns einen kurzen Überblick darüber gegeben, wie die Entwicklung von Kindern verstanden werden kann und welche Dimensionen des Verhaltens erwachsener Bezugspersonen bedeutsam sind, um das Selbstkonzept von Kindern zu stärken und entwicklungsförderliche Bedingungen herzustellen. Die bedeutsamsten Erkenntnisse im Kontext meines Forschungsinteresses stelle ich nun noch einmal zusammengefasst dar.
Die Grundlage meiner Betrachtung der theoretischen Landschaft ist das Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976), wobei eine zentrale Annahme ist, dass die Erkenntnisse eines Menschen über sich selbst die Art und Weise zu handeln beeinflussen. Die Handlungen wiederum beeinflussen, wie sich jemand selbst sieht. Das Selbstkonzept verfügt über verschiedene Komponenten und gliedert sich in ein generelles Selbstkonzept, was sich in ein akademisches und nicht akademisches Selbstkonzept unterteilt. Das nicht akademische Selbstkonzept besteht aus einem sozialen, einem emotionalen und einem physischen Selbstkonzept, welches sich ebenso wie das akademische Selbstkonzept weiter unterteilen lässt.
Das Selbstkonzept ist in einem gewissen Rahmen stabil, d. h. es sind zahlreiche vom generellen Selbstkonzept abweichende Erfahrungen notwendig, um dieses langfristig zu verändern. So ist es für die Stärkung des akademischen Selbstkonzeptes bedeutsam, die Ursache eines Erfolgs oder Misserfolges eines Kindes nicht auf die generellen Fähigkeiten, sondern die Anstrengung zu beziehen und sich über indirekte Fähigkeitszuschreibungen (im schulischen Bereich beispielsweise die Zuteilung von leichteren Aufgaben) bewusst zu werden.
In Bezug auf das soziale Selbstkonzept spielen die verschiedenen Erziehungsstile eine große Rolle. Als am entwicklungsförderlichsten für das Kind hat sich die Kombination aus Anforderungen an das Kind gepaart mit Verständnis für die kindlichen Bedürfnisse und Unterstützung seitens der Bezugsperson (reifer Erziehungsstil) erwiesen. Andere Erziehungsstile können sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken und unter Umständen sogar gesundheitsgefährdend sein. Insbesondere ist hier der paradoxe Erziehungsstil zu nennen, welcher sich aus hohen elterlichen Anforderungen an das Kind ohne Unterstützung und Verständnis für die kindlichen Bedürfnisse kennzeichnet (Baumrind 1989; Maccoby 1980, 2000; Schmidtchen 1993, 1997).
Das physische Selbstkonzept ist für Kinder im Grundschulalter besonders bedeutsam. Nach Rosenberg (1979) dominiert bei Kindern in diesem Alter das sogenannte „social exterior“ (Rosenberg 1979, S. 202), das sich auf Faktoren wie das Aussehen, geschlechtsspezifische Merkmale und Erfolge oder Fähigkeiten bezieht. So ist es in der Arbeit mit Grundschulkindern auch für die Förderung dieser Komponente des Selbstkonzeptes bedeutsam, Erfolge oder Misserfolge z. B. im sportlichen Bereich nicht auf die generellen Fähigkeiten des Kindes sondern auf die Anstrengungsbereitschaft zu beziehen. Hierbei ist unter Umständen viel Geduld erforderlich, da sich eine einmal gefestigte Ursachenzuschreibung meist nur über einen längeren Zeitraum und wiederholte Erklärungen ändert.
Im Rahmen des emotionalen Selbstkonzeptes sind bindungstheoretische Erkenntnisse relevant, die auch Aussagen zur sozialen Dimension treffen. Da die Bindungstheorie eine der wenigen Theorien ist, die eine Verknüpfung zur emotionalen Komponente herstellt und äußerst dezidierte Aussagen zur Emotionalität trifft, betrachte ich diese im Kontext des emotionalen Selbstkonzeptes. Steins (2007b) stellt das Schülerhilfeprojekt aus Sicht der Bindungstheorie dar. Eine zentrale Annahme der Bindungstheorie ist, dass eine sichere Basis, d. h. die Bindung an eine Bezugsperson notwendig ist, um die Welt zu explorieren. Insbesondere in für ein Individuum bedrohlich erscheinenden Situationen wird das Bindungssystem aktiviert. Die physische Nähe der Bezugsperson bedeutet Schutz.
Steins (2007a) verweist auf Bowlby (1973), dessen Forschungsinteresse unter anderem darin liegt herauszufinden, warum Kinder sich emotional an Bezugspersonen binden und warum eine physische Trennung von diesen in emotionalem Stress endet. Dieser emotionale Stress nach einer physischen Trennung läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Anfänglicher Protest führt zu Verzweiflung. Wenn die Abwesenheit der Bezugsperson über einen längeren Zeitraum andauert, kann es zu einer Lockerung der Bindung kommen. Ainsworth et al. (1978) führen den sogenannte Fremde Situation Test durch, in welchem die Kinder von ihren Bezugspersonen getrennt und mit einer ihnen unbekannten Person konfrontiert werden. Sie reagieren unterschiedlich in der Zeit der Trennung und bei Rückkehr der Mutter. Durch diese Beobachtungen ist eine Kategorisierung in drei verschiedene Bindungstypen möglich. Diese wurden durch Main (1999) um eine weitere Kategorisierung ergänzt. Die verschiedenen Reaktionen der Kinder zeigen, dass eine sichere Bindung nicht selbstverständlich ist.
Insbesondere für Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen ist es zum Teil nicht selbstverständlich, dass sich die Eltern mit ihren Kindern verbunden fühlen. Steins et al. (2007) stellen dar, dass die Gefahr einer unsicheren Bindung im Falle von Armut höher ist. Diese Erfahrung machen auch immer wieder Kinder, die am Schülerhilfeprojekt teilnehmen. Bedeutsam ist hier, dass Strategien, mit denen ein Gefühl von Sicherheit aufrechterhalten wird, gemäß der Bindungsqualität variieren. Ist die Bezugsperson verfügbar und reagiert zudem sensibel bei Stressreaktionen des Kindes, gelangt das Kind zu der Überzeugung, auf sich selbst und die Bezugsperson vertrauen zu können. So kann es den Stress regulieren. Ist dies nicht der Fall, kommen zu dem Stress noch negative Erfahrungen und das Kind kann das Vertrauen in sich selbst und die Bezugsperson nicht ausreichend aufbauen. Zudem gehen mit sich wiederholenden Erfahrungen auch Erwartungen einher, d. h. es bilden sich internale Arbeitsmodelle, die sowohl Elemente auf der bewussten als auch unbewussten Ebene umfassen. Die Wahrnehmung, Gefühle und Verhaltensweisen in bestimmten Situationen werden gesteuert. Die Grundlage der Arbeitsmodelle sind die Interaktionsmuster mit der hauptsächlichen Bindungsperson. Einmal gebildete Arbeitsmodelle verfügen über Stabilität, können sich jedoch unter Umständen verändern.
Für das Schülerhilfeprojekt ist aus Sicht der Bindungstheorie die Verlässlichkeit der Studenten/-innen ein entscheidender Faktor. Diese Verlässlichkeit ist bedeutsam, damit sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Paten/-innen und den Kindern bilden kann, welche wiederum wichtig ist, um Selbstvertrauen entstehen zu lassen. Auch wenn die Studierenden lediglich eine limitierte Zeit mit den Kindern verbringen und nur in eingeschränktem Maße zu Bezugspersonen werden, können die Kinder eine Vielzahl positiver Erfahrungen in Bezug auf Beziehungen machen. Steins (2007b) weist darauf hin, dass Unterstützung auf der Beziehungsebene wichtig ist, um zu einem positiven Selbstbild zu gelangen und eine positive, entdeckende Weltsicht zu entwickeln. Somit sind zentrale Erkenntnisse des Theorieteils zentrale Aspekte, die in mein Forschungsinteresse eingegangen sind:
Wie können erwachsene Bezugspersonen entwicklungsförderliche Bedingungen für Kinder herstellen? Ist das Essener Schülerhilfeprojekt geeignet, um die verschiedenen Facetten des kindlichen Selbstkonzeptes zu stärken?
Es steht also nicht der Output des Projektes im Fokus, der von Steins (2011) bereits dargestellt wurde, sondern die Prozesse, die zu einer positiven kindlichen Entwicklung führen.
In dem empirischen Teil meiner Arbeit habe ich mich für narrative Interviews mit Paten/-innen sowie Kindern, die seit mindestens einem Jahr offiziell das Patenschaftsprojekt beendet haben, entschieden. Es handelt sich um eine retrospektive Befragung der Teilnehmer/-innen. Ich erhoffe mir so detaillierte Informationen darüber zu erlangen, welche Faktoren positiv auf die Entwicklung der Kinder eingewirkt haben. Mithilfe der Leitfadeninterviews möchte ich genaue Erkenntnisse aus Perspektive der Kinder, sowie der Paten/-innen darüber gewinnen, was gewirkt hat.
Dieses Interesse leitet mich zu weiterführenden Fragen, auf die ich mir durch die Interviews Antworten erhoffe. So möchte ich herausfinden, welche Faktoren aus Sicht der Kinder dazu geführt haben, dass sie ihrem/-r Paten/-in vertrauen. Welche Rolle spielt die Verlässlichkeit der Paten/-innen? Zudem hoffe ich zu erfahren, welchen Stellenwert neue Erlebnisse für die Kinder hatten und ob durch diese die Beziehung zwischen Paten/-in und Kindern gestärkt wurde. Interessant ist es zudem festzustellen, ob die Kinder Anregungen für Verhalten von den Studierenden bekommen haben und ihr Verhalten so möglicherweise positiv ändern konnten. Außerdem scheint es mir interessant zu sein, welche Emotionen die Kinder mit der Patenschaft und den Studierenden retrospektiv verknüpfen.
Aus Sicht der Paten/-innen möchte ich herausfinden, wie sich die Entwicklung der Kinder im emotionalen und sozialen Bereich gestaltet hat und welche Faktoren aus ihrer Sicht dazu geführt haben. Welche Faktoren schätzen die Studenten/-innen als entwicklungsförderlich ein und wie haben sie eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen können? Zudem ist die Nachhaltigkeit der Entwicklungen bedeutsam. Ich frage die Studierenden, wie nachhaltig sie die Veränderungen retrospektiv einschätzen. Ich möchte zudem erfahren, wie die Eltern und die Familienverhältnisse auf die Patenschaft und die Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung gewirkt haben. Konnten die Studierenden eventuell positiv auf die Eltern einwirken und eine Änderung des Verhaltens, welches sich wiederum auf das Kind auswirkt, erzielen?
Abschließend beschreibe ich die Patenschaft eines Mädchens und ihrer Patin basierend auf den Erkenntnissen aus meinen Interviews. Ich konnte sowohl das Kind, als auch ihre Patin interviewen und möchte beide Perspektiven darstellen.
Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Interviews nutze ich, um Implikationen für die Arbeit als Grundschullehrer/-in zu entwickeln, da ein/-e Lehrer/-in viel Zeit am Tag mit den Kindern verbringt, auch wenn das Setting ein anderes ist als im Schülerhilfeprojekt.
Literatur
Ainsworth, M. D., Blehar, M. C., Waters, E., & Wall, S. (1978). Patterns of attachment. A psychological study of the strange situation. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates.
Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Hrsg.), Child development today and tomorrow (S. 349–378). San Francisco: Jossey-Bass.
Bowlby, J. (1973). Attachment and loss: Bd. 2. Separation. New York: Basic Books.
Maccoby, E. E. (1980). Social development. Psychological growth and the parent-child relationship. New York: Harcourt Brace Jovanovich Inc.
Maccoby, E. E. (2000). Parenting and its effects on children: On reading and misreading behaviour genetics. Annual Review Psychology, 51, 1–27.
Main, M. (1999). Desorganisation im Bindungsverhalten. In G. Spangler & P. Zimmermann (Hrsg.), Die Bindungstheorie: Grundlagen, Forschung und Anwendung (S. 120–139). Stuttgart: Klett- Cotta.
Rosenberg, M. (1979). Conceiving the self. New York: Basic Books.
Schmidtchen, G. (1993). Ethik und Protest. Moralbilder und Wertkonflikte junger Menschen (2. Aufl.). Opladen: Leske + Budrich.
Schmidtchen, G. (1997). Wie weit ist der Weg nach Deutschland. Sozialpsychologie der Jugend in der postsozialistischen Welt. Opladen: Leske + Budrich.
Shavelson, R. J., Hubner, J. J., & Stanton, G. C. (1976). Self-concept: Validation of construct of interpretations. Review of Educational Research, 46, 407–411.
Steins, G. (2007a). Sozialpsychologie des Körpers. Wie wir unseren Körper erleben. Stuttgart: Kohlhammer.
Steins, G. (2007b). Resümee. In E. Kuck, M. Maas, M. del Monte, B. Parker, & G. Steins (Hrsg.), Pädagogische Arbeit als Beziehungsarbeit – Entwicklungsförderung benachteiligter Grundschulkinder in einem Essener Patenschaftsprojekt (S. 221–231). Lengerich: Pabst Science Publishers.
Steins, G. (2011). Förderung durch Patenschaft: Gibt es messbare Wirkungen? In M. Maas & G. Seins (Hrsg.), Zeit für Kinder. Erfahrungen und Wirkungen eines Patenschaftsprojektes (S. 30–46). Lengerich: Pabst Science Publishers.
Steins, G., Wagner, E., & Kuck, E. (2007). Benachteiligte Kinder in Deutschland – Grenzen der schulischen Entwicklungsförderung. In E. Kuck, M. Maas, M. del Monte, B. Parker, & G. Steins (Hrsg.), Pädagogische Arbeit als Beziehungsarbeit – Entwicklungsförderung benachteiligter Grundschulkinder in einem Essener Patenschaftsprojekt (S. 12–44). Lengerich: Pabst Science Publishers.
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Langenkamp, I. (2018). Verknüpfung von Theorie und Praxis. In: Stärkung des kindlichen Selbstkonzepts . Psychologie in Bildung und Erziehung: Vom Wissen zum Handeln. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10231-9_7
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