1 Einleitung

Die indirekten Lenkungen des Sozialen und die entsprechenden Modelle und Techniken wurden insbesondere seit der Jahrtausendwende intensiv beforscht (Ozga 2008; Mayntz 2008; Drori 2006; Lemke et al. 2000; Raphael 1996). Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde in dem Zusammenhang seit den 1980er Jahren eine Konjunktur des Begriffs der Governance konstatiert, welche zunächst in Kontexten der Organisationstheorie, dann der Politikwissenschaft als akademischer Fachterminus manifest wurde und später aber auch in Managementhandbüchern, Strategiepapieren internationaler Organisationen und in Publikationen von NGOs auftauchte (Brand 2004, S. 111). Dabei wird Governance als Modell der so genannten „Kontextsteuerung“ dem Government-Begriff gegenüber gestellt, der traditionell für den hierarchischen, zentralistischen und dirigistischen Charakter (staatlicher) Steuerungsformen stehe (Brand 2004, S. 111). Kontextsteuerung erfolge dabei stets aufgrund managerialer Prinzipien und bediene sich ebenso managerialer Instrumente und Technologien wie etwa der Standardisierung, Qualitätssicherung, des Benchmarking und der (Daten)Harmonisierung. Ausserdem spielt Wissen, insbesondere standardisiertes, oftmals in wissenschaftlichen Kontexten produziertes Wissen hinsichtlich dieser Steuerungsformen eine zentrale weil entscheidungslegitimierende Rolle (Ozga 2008, S. 266).

Diese mit der Verwendung des Governance-Begriffs einhergehenden Vorstellungen von Regieren und damit auch von Staatlichkeit wurden im Zusammenhang mit der Lenkung, Kontrolle und Leitung von Individuen und Kollektiven von Foucault bereits in den 70er Jahren über die eng gefasste politische Bedeutung auch auf viele andere Handlungsformen und Praxisfelder sowie auf Formen der Selbstführung und Techniken der Fremdführung übertragen (Lemke et al. 2000, S. 10). Oben erwähnte Forschungsperspektiven teilen dieses breite Verständnis von Regieren und sprechen gar von einem „übergreifende[n] Dispositiv zeitgenössischer Menschenführung“, das nicht nur der Legitimationspflicht enthoben sei, sondern selbst über ein Legitimationspotential verfüge (Bröckling 2000, S. 132 f.).

Dabei können die indirekten Steuerungsmodelle und –technologien wie sie sich mit der Governance etablierten, als technologische Lenkungsversuche des Sozialen gedeutet werden, indem sie auf einem grundsätzlichen Glauben an die Steuerbarkeit des Sozialen fussen, Probleme weniger in politischen oder historischen Schlüsseln deuten und bearbeiten, sondern politische Entscheidungen tendenziell zu wissenschaftlich neutral bearbeitbaren Sachfragen machen, auf welche es eine richtige und effizient zu liefernde Antwort gibt. Weiter führt die im Zusammenhang mit der Governance übliche Anwendung managerialer Lenkungstechnologien wie etwa das Benchmarking oder die Accountability einerseits zur Festsetzung von Zielen und andererseits zur Gewährung von Autonomie hinsichtlich der Frage, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Dadurch wird der Ort der Zielsetzung von dem Ort der Verantwortungsübernahme entkoppelt.

Vor diesem Hintergrund fragt der vorliegende Beitrag danach, inwiefern sich seit den 1960er Jahren sowohl auf der Ebene der Interaktion als auch auf der Ebene der Organisation und der Gesellschaft Elemente dieser technologischen Steuerungsauffassungen nachweisen lassen. Dabei interessiert insbesondere der Bereich schulischer Bildung, der im Folgenden untersucht wird. Im Anschluss an die Einleitung (1) skizzieren wir kurz das Konzept der „technologischen Lenkung des Sozialen“, das diesem Beitrag einen theoretischen Bezugspunkt gibt, an dem sich beide Fallbeispiele orientieren (2). Anschliessend werden zwei Fallbeispiele präsentiert. Das eine liegt auf der Ebene der Interaktion, konkret des Unterrichts, das andere auf der Ebene von Organisation und Gesellschaft. Sie nehmen zwei Momente der Transformation in den Blick, welche je die Einführung technologischer Steuerungsmodelle zum Ziel hatten. Das erste Beispiel, welches der Einführung des Programmierten Unterrichts in Zürich in den 1960er Jahren gewidmet ist, beleuchtet den Versuch, durch den neuen Unterrichtsansatz eine „technologische Wendung“ in der Schule anzubahnen. Dabei liess der Begriff technologische Wendung eine hohe Deutungsoffenheit zu. Er markierte eine hermeneutische Driftzone, mit der auf einer sehr konkreten Ebene auf neue Lehrmittel und Lehrmaschinen, auf einer konzeptionellen Ebene auf eine neue Didaktik und neue Rollen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen, auf einer bildungspolitischen Ebene auf neue Schulstrukturen und auf einer wissenschaftlichen Ebene auf ein bestimmtes Empirieverständnis angespielt wurde (3). Das zweite Beispiel geht der Etablierung der Educational Governance als dominantes Modell politischer Steuerung des Zürcher Bildungswesens nach. Dabei werden im Sinne einer Begriffsschärfung auf einer allgemeinen Ebene zunächst kurz das bürokratische Planungsmodell und seine Krise skizziert, anschliessend die Etablierung der Governance als Antwort auf diese Krise vorgestellt. Anschliessend wird die politische Steuerung des Zürcher Bildungswesens um die Jahrtausendwende in den Blick genommen und daran die These plausibilisiert, dass seit der Mitte der 1990er Jahre Elemente der auf New Public Management fussenden Educational Governance implementiert wurden (4). Ein Fazit vergleicht die beiden Fallbeispiele schliesslich hinsichtlich ihres Gehalts an technologischen Lenkungsversuchen des Sozialen (5).

2 Technologische Lenkung des Sozialen – der Versuch einer theoretischen Annäherung

Angelehnt an Lutz Raphaels Konzept der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“, mit dem er auf die „dauerhafte Präsenz humanwissenschaftlicher Experten, ihrer Argumente und Forschungsergebnisse in Verwaltungen und Betrieben, in Parteien und Parlamenten, bis hin zu den alltäglichen Sinnwelten sozialer Gruppen, Klassen oder Milieus“ (Raphael 1996, S. 166) verweist, versuchen wir mit dem Begriff der technologischen Lenkung des Sozialen zu beschreiben, dass Wissenschaft und Politik oder Verwaltung vielfältige Allianzen eingegangen sind, welche die Trennlinie zwischen den Sphären zunehmend verwischen. Diese Wechselseitigkeit zweier Prozesse wurde in der Wissenschaftstheorie als Verwissenschaftlichung der Politik und Politisierung der Wissenschaft bezeichnet (Weingart 2005, S. 132). Daraus resultiert, so die Annahme, eine technologische Lenkung des Sozialen, welche vorgibt, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zu basieren. Letztere treten allerdings oftmals vermengt mit normativen Handlungsempfehlungen auf, so dass kaum von klar definierbaren Auftritten der Wissenschaft im Sozialen oder des Sozialen in der Wissenschaft die Rede sein kann. Vielmehr ist ein eigendynamischer Überlappungsbereich mit eigenen Netzwerken entstanden, der für diesen Beitrag anhand der folgenden drei Hauptmerkmale als technologisch bezeichnet werden soll.

2.1 Glaube an die Steuerbarkeit des Sozialen

Der Auffassung, Bereiche der Gesellschaft liessen sich präzise auf ein gesetztes Ziel hin steuern, wohnt ein technologisches Verständnis des Sozialen inne. Ziele werden gesetzt, um dann auf eine möglichst effiziente Erreichung derselben hinzuarbeiten sowie ihre Erreichung zu überprüfen. Dabei wird stets suggeriert, Ziele zu setzen, darauf hin zu arbeiten und ihre Erreichung schliesslich zu überprüfen, sei rational, effizient und damit wohl auch politisch wünschbar oder sinnvoll. Lebensweltlich vieldeutige Handlungen werden dabei allerdings verschlankt zu Massnahmen, zu Wegen zum Ziel, wobei Polyvalenz verschwindet (Ladenthin 2011, S. 597). Ein solches an Zielen ausgerichtetes Steuerungsverständnis hat sich in den letzten zwanzig Jahren in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens etabliert. In der öffentlichen Verwaltung etwa sollten damit zum Beispiel der klassischen Bürokratie zugeschriebene Probleme wie Inflexibilität, die Tendenz zur stetigen Expansion, der steigende Finanzbedarf und die mangelnde Servicequalität für die Bürger behoben werden. An die Stelle bürokratischer Verwaltungen sollten Dienstleistungsunternehmen treten, welche – spiegelbildlich – flexibel, kostenbewusst und an Servicequalität orientiert sein sollten. Eine spezifische Berufsethik sowie ein althergebrachtes Verständnis von professionellem Handeln spielen dort eine untergeordnete Rolle (Münch 2009, S. 18 f.). Handlungsleitend sind hingegen Zielvereinbarungen, Kosten- und Leistungsrechnungen oder die Überprüfung der Ziele via Rechenschaftslegung, wobei die vertragliche Einigung zum Modell sozialer Beziehungen avanciert. So sollten auch Bildungsadministrationen zu Servicecentern und Agenturen für Kunden werden, die nun mehr leisteten als die tradierte Amtsstuben-Bürokratie, da die ausgehandelten Zielvereinbarungen höheren Verpflichtungscharakter hätten als die vorherigen Regimes des Anordnens und des Kontrollierens. Nicht nur auf System- und Organisationsebene, auch auf den Ebenen des Unterrichts und des Individuums setze sich an die Stelle disziplinierender Sanktion eine Kontraktpädagogik durch, z. B. in Form eines „Klassen- bzw. Schulvertrages“, in dem etwa die Beschulten versicherten, auf körperliche Gewalt und restringierte Codes zu verzichten (vgl. Bröckling 2007, S. 129 ff.). Im Bereich der Bildung und des Unterrichts werden durch die Orientierung an Mess- und Kontrollierbarem ältere, mehrdeutigere Funktionen von Bildung – wie etwa die von Bildung als Fachwissen und Kulturgut – marginalisiert (Münch 2009, S. 30).

2.2 Suggestion von Sachgesetzlichkeiten an Stelle politischer Alternativen

Entscheidungen werden als neutral, rational und sachbezogen bearbeitbare Probleme konzipiert und dabei Deutungen im Schlüssel von politischen Alternativen oder auch nur strategischen Optionen ausgeklammert: „Political technologies disguise how power works by taking political problems and recasting them in the apparently neutral and objective language of science“ (Ozga 2008, S. 265). Dass es grundsätzliche Interessengegensätze zwischen sozialen Gruppen, Klassen und Schichten geben könnte, wird kaum thematisiert. Vielmehr setzt eine technologische Lenkung des Sozialen auf dialogische und kooperative Politikmodelle. An die Stelle von offenen, demokratischen Prozessen tritt tendenziell eine auf Funktionalismus und Formalismus reduzierte Partizipation, welche auf die Frage hin ausgerichtet ist, inwiefern Partizipation zu einer effektiven Problemlösung beiträgt (Brand 2004, S. 114 f.). Die Suggestion politischer Alternativlosigkeit, respektive die Tendenz, bereits feststehende Therapien auf ebenso a priori festgelegte Problemdiagnosen folgen zu lassen (und nicht umgekehrt!), können als Demokratieverzicht zu Gunsten technologischer Problembeschreibungen und –lösungen bezeichnet werden. Engagiert bis polemisch vorgetragene Kritik gegenüber technologischen Steuerungsvorstellungen beruht teilweise auf der Überzeugung, dass ein Ineinandergreifen von Regierung, Markt und Public Management den Bürger zum „Inkompetenten“ werden lasse. Dieser Vorstellung zufolge stellen sogar die Prinzipien „Technologie“ und „Demokratie“ sich einander bedrohende Gegensätze dar, weil z. B. „professionelle“ Mitarbeitende in Bürokratien im Übergang zur Postdemokratie von zu Kunden transformierten Bürgern „demokratisch“ nicht ansprechbar seien (Metz und Seesslen 2011, S. 719). Der Primat der Politik – von Reto Steiner an der Tagung mit Verve eingefordert –, wird eben nicht nur von pädagogisch-moralischen Weltdeutungen, sondern genauso von technologischen Steuerungs- und Gesellschaftsverständnissen herausgefordert.

2.3 Risikoverlagerung durch Gewähren von Autonomie und Delegieren von Verantwortung

Der klassischen Bürokratietheorie im Gefolge von Max Weber wird unterstellt, dass diese auf der Einheit der Differenz von Risiko und Rationalität beruhe: Als rational habe derjenige Umgang mit dem Risiko gegolten, „der Risiken nur eingeht, um sie zu vermeiden, und der sich nur mit den Partnern“ […] einlässt, die sich ihrerseits dadurch kalkulierbar machen, dass sie Risiken eingehen, die sie auch beherrschen können (Baecker 2007, S. 45). Diese Bürokratieform liess einen „Entlastungsgewinn“ hinsichtlich des Risikokalküls individueller Akteure erwarten. Mit dem Einsatz der erwähnten Instrumentarien und Technologien findet eine Risikoverlagerung weg vom steuernden Akteur hin zu den gesteuerten Akteuren statt. Dabei wird einerseits Autonomie postuliert, die aber mit der Pflicht zur detaillierten Rechenschaftslegung sogleich wieder eingefangen wird, welche selbst wiederum vereinheitlichende und standardisierende Effekte hat (Langer 2012, S. 174). Mit der Gewährung von Autonomie sollen ausserdem Handlungsoptionen gefördert werden. Damit ist allerdings immer auch die Forderung verbunden, einen spezifischen Gebrauch von den zugelassenen Freiheiten zu machen, die als „Entscheidungszumutung“ beschrieben wurde (Lemke et al. 2000, S. 30). Die Folgen des Handelns, das im Sinne einer Ausschöpfung gewährter Freiheiten gedeutet wird, tragen befreite individuelle und kollektive Akteure selbst. So wird Verantwortung delegiert, die Deutungshoheit aber über die zu setzenden Ziele verbleibt bei der steuernden Einheit. Dieser Modus sozialer Steuerung versucht die Kontingenzen von Arbeitsprozessen und Markt daher nicht zu minimieren, sondern diese im Gegenteil gezielt zu entfalten und nutzbar zu machen und so Freiheitsspielräume als Ressourcen zu nutzen. Damit werde das Marktmodell konsequent auf alle sozialen Beziehungen übertragen (Bröckling 2000, S. 133).

3 Die Einführung des Programmierten Unterrichts als Versuch einer Rationalisierung der Schule im Kanton Zürich

3.1 Die technologische Wendung in der Didaktik als erziehungswissenschaftliches Programm

Mit Programmiertem Unterricht ist eine geplante Inszenierung von Bildungsinhalten gemeint, die den Lernenden vor allem von Beginn der 1960er bis in die Mitte der 1970 Jahre erlauben sollte, Lernstoff Schritt für Schritt nach Massgabe des persönlichen Lerntempos so zu erarbeiten, dass sie sich ständig wieder vergewissern können, ob sie diesen auch wirklich verstanden haben. Als Mittel konnten Bücher, Karteien, aber auch mechanische oder elektrische Lehrmaschinen dienen.

Nach ersten Konzeptionen von Lehrmaschinen in den USA in den 1920er Jahren erfolgte ein bedeutender Impuls durch Frederic Skinner, Professor der experimentellen Psychologie an der Harvard-Universität. Als Vertreter der in den USA vorherrschenden Verhaltenspsychologie (deskriptiver Behaviorismus), schlug er angesichts seiner – vorwiegend durch Tierversuche gewonnenen – Befunde in den 1950er und 60er Jahren vor, die Lernschritte so klein zu halten und aneinanderzureihen, dass die Schüler fast keine Fehler machen könnten. Etwa 90 % einer Klasse sollte ein gutes Programm zu 90 % richtig beantworten können. Solche sogenannte lineare Programme wurden auf Einzelblätter, in Buch- oder Karteiform oder durch einfachere oder kompliziertere Maschinen dargeboten. Lehrmaschinen für den Programmierten Unterrichts seien als Apparate zu verstehen, die aus behavioristisch-lerntheoretischer Sicht „Verstärkungszusammenhänge“ arrangierten (Skinner 1971, S. 61). Skinners Forderungen nach Programmiertem Unterricht wurden nicht nur auf einen didaktischen Wandel im Unterricht oder auf Veränderungen im Schulsystem bezogen, sondern von Reformakteuren als Problemlösungen für gesellschaftliche Defizite schlechthin betrachtet. Aber auch Norman Crowder mit seinem Ansatz des verzweigten Programmierten Lernens, der experimentelle Psychologe Arthur A. Lumsdaine, Entwickler von programmierbaren Lehrmaschinen, oder der Kommunikationsforscher Wilbur Schramm wurden in Europa wahrgenommen (Schramm 1969). Das Versprechen einer effizienten Instruktion sollte auf wissenschaftlicher Ebene an Strömungen wie etwa der kybernetischen Pädagogik und auf schulischer Ebene an fächerübergreifende Konzeptionen des Programmierten Unterrichts sowie im Rahmen fremdsprachendidaktischer Designs an dem Unterrichtsinstrument des Sprachlabors anknüpfen (Bosche und Geiss 2010, S. 120). Neben Psychologen und Pädagogen aus den wissenschaftlichen Disziplinen traten auch wirtschaftliche Unternehmen als Akteure auf, die Lernmaschinen für den Programmierten Unterricht anboten und daher Skinners Optik zum Gegenstand einer public-privat-partnership machten. Die Geschichte des Programmierten Unterrichts, der nicht nur in der damals als westliche Welt bezeichneten Hemisphäre, insbesondere in den USA, ein schulisches Thema war, sondern auch in der Sowjetunion weiterentwickelt wurde, könnte aus einer erweiterten zeitgeschichtlichen Optik in den Kontext sozialtechnologischer Strömungen in den Bereichen Erziehung, Bildung und Schule in der Phase des kalten Krieges verstanden werden. In den USA wurde die Entwicklung des Programmierten Unterrichts auch als Anstrengung verstanden, nach dem Sputnik-Schock ein als reformbedürftig erachtetes Bildungssystem durch technologische Erfolge zu modernisieren (Hartman 2008, S. 187).

Im deutschsprachigen Raum haben sich verschiedene Wissenschaftler, vor allem auch aus dem weiteren Bereich der Erziehungswissenschaft und Pädagogischen Psychologie mit dem Programmierten Unterricht beschäftigt. Aber auch der Mathematiker Helmar Frank, der in den 1960er Jahren an der Pädagogischen Hochschule Berlin den Lehrstuhl für Informationswissenschaft bzw. Kybernetik innehatte, oder Hasso von Recum, welcher als Bildungsökonom am DIPF die Abteilung Ökonomie des Bildungswesens leitete und sich im Rahmen des Themas ‚Unterrichtsrationalisierung‘ mit der „Programmierten Unterweisung“ beschäftigte, folgten diesem neuen vielversprechenden pädagogischen und psychologischen Pfad (Frank 1962a, b; Recum 1967). Aus schweizerischer Perspektive sollten u. a. Walter Guyer und Hans Aebli (allerdings von Konstanz aus) den Programmierten Unterricht in ihren Studien zum schulischen Lernen integrieren (z. B. Guyer 1967). Ein Repräsentant des Programmierten Unterrichts war Karl-Heinz Flechsig, der Ende der 1960er Jahre an der Universität Konstanz an der Seite von Hans Aebli Studien zum Programmierten Unterricht vorlegte. Seine Schrift „Die technologische Wendung in der Didaktik“ (1969) gibt Aufschluss über Erwartungen und Selbstdefinition, die – trotz einer Akteursvielfalt – mit dem Programmierten Unterricht verbunden waren.

Mit dem Verweis auf „Zweckrationalität“ sollten zunächst technokratisch-kausale Modelle befeuert werden: „Es geht vor allem darum diese Ziele [Lernziele] möglichst perfekt in möglichst ökonomischer Weise mit möglichst geringen negativen Nebenwirkungen zu erreichen“ (Flechsig 1969, S. 16). Eine neue Ökonomie des Unterrichtsarrangements habe eine Differenzierung des Lehrerberufs nach didaktischen Funktionen zur Folge, während bislang nur Differenzierungen der Lehrerprofession in Bezug auf Schulart und Unterrichtsfach üblich seien. Konkret meinte der Vorschlag die Arbeitsteilung im Lehrberuf, so dass besonders qualifizierte Didaktiker für Entwicklungsaufgaben vom alltäglichen Unterrichtsgeschäft freizustellen wären.

Während einige Entwickler aus dem Wissenschaftsbereich das Programmierungssystem auf die Basis von Büchern und Karteikartensysteme stellen wollten und teilweise auch stellten, in denen die Schülerinnen und Schüler je nach Wahl der Antworten auf eine bestimmte Seite im Buch oder im Zettelkasten verwiesen wurden, boten Unternehmen aus der Automatisierungs- und Elektronikbranche – wie z. B. die Philips AG – in den 1960er Jahren auch Lehrmaschinen an. Diese mechanischen oder elektrischen Geräte reichten in ihrer Mannigfaltigkeit vom einfachen Kasten mit eingelegtem Papierband und Drehknopf bis zur elektronischen Datenverarbeitungsanlage mit Parallelanschluss für ganze Klassen. Das Pestalozzianum in Zürich suchte die Zusammenarbeit vor allem mit dem Unternehmen BBC.Footnote 1 Die BBC Mannheim AG unterhielt in Heidelberg eine Abteilung für Lehrgeräte. So warb 1965/1966 die BBC für den „promentaboy“, mit dessen Hilfe man einen „optimalen Unterrichtserfolg erzielen“ könne (vgl. Fachstelle PU, 7; BBC, 10.11.1965). In der Handreichung für Lehrpersonen zu diesem Gerät wird das Effizienzversprechen sehr deutlich:

Betonen Sie bitte, dass die Schüler selbständig lernen sollen. Gerät und Unterrichtsprogramm führen den Schüler sicher auf den Weg, den Autor und Experten festgelegt haben. Er selbst braucht nur Lernelement für Lernelement durchzuarbeiten und den Weisungen des Programmtextes folgen. Auf die Fragen, die im Programm gestellt werden, soll er eine Antwort geben. Dann erst soll er weiterdrehen und sie mit der vorgegebenen Antwortbestätigung vergleichen. Die Antworten sollen wörtlich übereinstimmen, soweit nicht im Text auch sinngemässe Antworten zugelassen sind (Fachstelle PU, 7; BBC, 10.11.1965).

Insbesondere der gleichzeitige Verweis auf die Lehreraufforderung an die Schülerinnen und Schüler, selbstständig zu lernen einerseits und die Festlegung des Lernweges der Heranwachsenden durch Autor und Experten andererseits muten paradox an. Genau auf solche paradoxe Kommunikationssituationen in schulischen Kontexten spielt Niklas Luhmanns Rede von der „Hinterhältigkeit der guten Absicht“ im Interaktionssystem Unterricht an (Luhmann 2002, S. 74 f.). Sowohl die prospektiv gerichteten Ansprüche von Vertretern der Erziehungswissenschaft, wie Flechsig sie repräsentierte, als auch die Vorstellungen der Geräteentwickler bei der BBC scheinen stark von sozialtechnologischen Vorstellungen geprägt gewesen zu sein. Aufhorchen lässt der Anspruch, die Lernziele „möglichst perfekt in möglichst ökonomischer Weise mit möglichst geringen negativen Nebenwirkungen“ (Flechsig 1969, S. 16) sicher auf dem Weg zu erreichen, „den Autor und Experten festgelegt haben“ (Fachstelle PU, 7; BBC, 10.11.1965). Solche Formulierungen folgen einem industriellen Verständnis von Unterricht und drohen, das Professionsverständnis von Lehrpersonen mehr auf die Kenntnis von Prinzipien, Regeln und Applikationen zu reduzieren als es über die Verfügung über eine grosse Zahl komplexer Routinen zu definieren, die in unklar definierten Situationen eingesetzt werden können. Die „Bedingung“ von Professionen, Wissen nicht direkt, logisch und problemlos anwenden zu können, sondern dass Lehrpersonenhandeln unter der Unsicherheit des Erfolges stattfindet (vgl. Luhmann 2002, S. 148 f.), scheint mit dem Anspruch des Programmierten Unterrichts eher ausgeblendet. Die Betonung von Zweckrationalität und Effizienz vernachlässigt auf der Seite von Schülerinnen und Schülern offene Situationen im Unterricht, Uminterpretationen von Aufgaben, Versuche, sich einer Einwirkung durch ein Programm zu entziehen oder Elemente der Gegenerziehung durch Heranwachsende. Systemtheoretisch gesprochen könnte ein hervorragender Umgang eines Schülers mit einem Lehrprogramm auf seine vollkommene maschinelle Trivialisierung verweisen, er ist völlig vorhersagbar und darf daher zum nächsten Programm übergehen (Luhmann 2002, S. 78). Anders und eher in Denkfiguren in der Tradition von Foucault gesprochen, könnte die im Selbstanspruch genannte technologische Wendung durch den programmierten Unterricht als ein Mechanismus der Fremd- und Selbstführung verstanden werden. Forderungen nach Subjektivierung und Individualisierung lassen sich nicht nur auf politische Strukturen beziehen, sondern bezeichnen die Weise in der die Führung von Schülerinnen und Schülern gelenkt wurde. Wenn in diesem Sinne „Regieren“ bedeutet, das Feld eventuellen Handelns der anderen zu strukturieren (vgl. Bröckling 2007, S. 31 f.), war die Absicht des Programmierten Unterrichts – wie es die Experten der wissenschaftlich-technischen Governance darlegten – ziemlich bedacht und berechnet durch Individualisierung auf die Handlungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler einzuwirken.

3.2 Emanzipatorische und bildungspolitische Absichten des Programmierten Unterrichts

Auch wenn aus heutiger Perspektive die Programmatik der technologischen Wendung in der Didaktik als Ausfluss einer Dethematisierung gesellschaftlicher und bildungspolitischer Determination von Schule erscheinen mag, dürfen in einer Gesamtwürdigung die emanzipatorischen Absichten des Programmierten Unterrichts, z. B. das Unterlaufen des heimlichen Lehrplans und die schleichende Dekonstruktion des asymmetrischen Lehrer-Schüler-Verhältnis im Klassenzimmer, nicht unerwähnt bleiben:

Mit dem Begriff der „Zweckrationalität“ sollte nicht nur eine quasi-technokratische Anwendung von Lerngesetzlichkeiten auf Seiten der Lehrpersonen (Terhart 2009, S. 34) in Aussicht gestellt, sondern ebenfalls unterstrichen werden, dass man mit der Einführung des Programmierten Unterrichts Elemente des sog. heimlichen Lehrplans transparent mache und damit beseitigen könne. Der US-amerikanische Erziehungspsychologe Philip W. Jackson untersuchte Mitte der 1960er Jahre durch teilnehmende Beobachtung im Primarschulunterricht die „Verkehrsformen im Klassenzimmer“. Dabei gelangte er zu dem Befund, dass eine wesentliche Aktivität von Lehrpersonen das Gewähren von Privilegien sei. Schülerinnen und Schüler lernten früh, dass in der Schule viele berufen, aber nur wenige auserwählt seien. Das beginne damit, dass die Lehrperson darüber bestimme, wie der Sprechverkehr im Klassenzimmer ablaufe und wer wie viele Redeanteile bekomme (Jackson 1975, S. 22). In der bürokratischen Organisation Schule seien Anzeichen von Interesse und Engagement bei Schülern teilweise Etikette, Maske und Praktiken, um einen geistigen Rückzug kaschieren und um mit den institutionellen Zwängen umgehen zu können. In jeder Schule und in jedem Klassenzimmer gebe es neben dem amtlichen Lehrplan auch einen heimlichen, der soziale Regelungen und Routinen umfasse, welche die Heranwachsenden und Lehrpersonen zu ignorieren sich nicht leisten könnten (Jackson 1975, S. 29). Noch zugespitzter formulierte der Soziologe Robert Dreeben 1968 die Wirkungen des heimlichen Lehrplans: „Genauer gesagt, die Schule hilft den Schülern lernen, was Normen sind, diese Normen zu akzeptieren und sich nach ihnen zu verhalten“ (Dreeben [1968] 1980, S. 46). Diese sozialen Anpassungskosten der in der Schule als erfolgreich geltende Schülerinnen und Schüler sollten nach den Vorstellungen von Flechsig durch den Programmierten Unterricht beseitigt werden (Flechsig 1969, S. 16).

Bedingt durch unterschiedliches Arbeitstempo führt Flechsig zufolge die individuelle Verwendung von Lehrprogrammen überdies dazu, dass der Gleichschritt beim Absolvieren des Pensums gestört wird. Somit sei eine der Hauptvoraussetzungen für das Jahrgangsklassensystem in Frage gestellt. Letztlich delegitimierte der Ansatz des Programmierten Unterrichts die eingeschliffenen Rollen der schulischen Hauptakteure, also Lernende und Lehrpersonen, sowie die Jahrgangsklasse als ein Hauptstrukturierungsprinzip moderner staatlicher Schulen. Insgesamt vertrat Flechsig die Auffassung, dass der Programmierte Unterricht Ende der 1960er Jahre auch ein bildungspolitisches Steuerungsinstrument gegen Lehrermangel sei und die Bildungsexpansion dadurch technisch machbar werde. Demgegenüber wäre mit den Mitteln der vortechnologischen Didaktik der wachsende Bedarf an Lehrpersonen nur mit einem so hohen finanziellen Aufwand möglich, dass dieser von vornherein als Gegenargument gegen eine expansive Bildungspolitik dienen könnte (Flechsig 1969, S. 17). Aber nicht nur Schüler- und Lehrpersonenrolle sollten in Frage gestellt werden, auch die tradierten Schulstrukturen könnten sich mit dem Programmierten Unterricht auf den Prüfstand stellen lassen. Mit Blick auf die Selbstansprüche der Protagonisten des Programmierten Unterrichts liessen sich die Steuerungsabsichten auch als Teil eines bildungspolitischen Reformversuchs verstehen, mit dem tradierte Schulstrukturen, die z. B. ihren Ausdruck in Systemen der Jahrgangsklasse und der einzelnen Lehrperson im Klassenraum fanden, auf den Ebenen von Individuum und Organisation überwunden werden sollten.

3.3 Der Programmierte Unterricht zwischen Anspruch und Realisierung

Gerade auf Seiten der Lehrpersonen, gleich ob in der Volksschule, in den Mittelschulen oder in den Gewerbe- und Berufsschulen, differierten die Lesarten der didaktischen „Offerten“ der Protagonisten des Programmierten Unterrichts stark: Während z. B. A. Stadlin, Prorektor der Handelsschule des Kaufmännischen Vereins Zürich, an die Lehrpersonen appellierte, die neuen Spielräume für Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler durch die Rationalisierung der Schule mittels des Programmierten Unterrichts zu erfassen (Schweizerisches Kaufmännisches Zentralblatt, Freitag, 14. Juni 1968, Nr. 24, S. 7), warf W. v. Wartburg, Dozent an der Universität Zürich und Gymnasiallehrer, den Vertretern des Programmierten Unterrichts „Pseudoaktivität“ vor, da auch die raffinierteste Ausgestaltung des Programms nichts an der Tatsache ändere, dass der Programmierte Unterricht als solcher mit seiner „Fixierung“ der Lernschritte das Gegenteil dessen bedeute, was anzustreben sei, nämlich eine Verlebendigung des Unterrichts. Das Prinzip der „sofortigen Erfolgsbestätigung“ sei nichts anderes als das Prinzip der Zirkusdressur (Schweizerisches Kaufmännisches Zentralblatt, Freitag, 16. August 1968, Nr. 33, S. 5; PU, 30). Ein Teil der Lehrpersonen vermutete also, mit den Arrangements des Programmierten Unterrichts Autonomiegewinne für Schülerinnen und Schüler erzielen zu können, damit diese selbstverantwortlich für ihre Lernprozesse seien. Im Gefolge dieser Lesart wird eine recht einfache Aufteilung in die Welt der alten und der neuen Lernarrangements mit einer klaren Beurteilung der Funktionalität vorgenommen: während alte Unterrichtssettings als überholt galten, erschienen die neuen als gesellschaftlich und individuell funktionaler (Terhart 2009, S. 60). Andere Lehrpersonen, die sich in der Stimme von v. Wartburg repräsentiert fanden, sahen in dem Angebot des Programmierten Unterrichts für Schülerinnen und Schüler das Gegenteil von Formen der Verantwortungsübernahme und Selbstorganisation, die auch die individuellen Lernprozesse umfassen (Terhart 2009, S. 62). Äusserungen von Lehrpersonen in schweizerischen Lehrerzeitschriften spiegelten neben gelegentlichem Enthusiasmus oftmals Skepsis gegenüber einem Technologisierungsversuch des Unterrichts, einer Neudefinition der Lehrerrolle und ungeprüften Interventionen in das Schulsystem zur Behebung des Lehrermangels (Bosche und Geiss 2010; Berner Schulblatt 1964, Nr. 46, S. 765). Als 1964 das Pestalozzianum in Zusammenarbeit mit dem Lehrerverein Zürich eine Vortragsreihe zum Programmierten Lernen durchführte, beschloss wenige Monate später der Erziehungsrat des Kantons Zürich, die Pädagogische Arbeitsstelle des Pestalozzianums damit zu beauftragen, die Ausarbeitung von Programmen des Programmierten Unterrichts einzuleiten, auf die Verhältnisse der Zürcher Schulen abzustimmen und praktisch zu erproben. Der Beschluss wurde damit begründet, dass „das Problem des ‚Programmierten Unterrichts’ oder der ‚Lehr- oder Lernmaschinen’, einer vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelten Form des Lernens im Schul- und Selbstunterricht, in zunehmenden Masse die verschiedensten, an Bildung und Ausbildung interessierten Kreise in Deutschland, Frankreich und der Schweiz [beschäftigt]“ (Fachstelle PU, 2). Inwiefern Interventionen mit Ansätzen des programmierten Lernens einen Zugewinn an Autonomie für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen darstellten, sollte sich erst noch erweisen.

Mit dem Aufbau einer Dokumentation zum Programmierten Unterricht 1964 stellte sich schnell heraus, dass aus dem deutschen Sprachgebiet ausserordentlich wenige Unterrichtsprogramme zur Verfügung standen. Die Literatur umfasste eher allgemeine theoretische Einführungen, wofür z. B. die später veröffentlichte Abhandlung von Flechsig (1969) ein Beispiel wäre, und stützte sich dabei vorwiegend auf amerikanische Vorbilder (Fachstelle PU, 6). Während Formen des Programmierten Unterrichts z. B. für Lehrgänge in der kaufmännischen Ausbildung oder in der Fortbildung im Industriesektor auf Akzeptanz stiessen (das Pestalozzianum stellte der Gewerbeschule der Stadt Zürich und der kantonalen Oberrealschule Winterthur Programme zur praktischen Erprobung zur Verfügung), erschien es den Verantwortlichen in der Bildungsverwaltung, in den Lehrerverbänden und im Pestalozzianum fraglich, wie, in welchem Umfang und auf welcher Stufe der Zürcher Volksschule Programmierter Unterricht zum Einsatz kommen sollte.

Da es nur sehr wenige Programme gab, die den Anforderungen der zürcherischen Unterrichtspläne entsprachen, organisierte das Pestalozzianum diese Programmierkurse, damit interessierte Lehrpersonen aller Stufen so einen Impuls erhielten, im Verlaufe der Zeit Programme zu entwickeln (Fachstelle PU, 19). 1966 wurden Programme zur Bruchrechnung an einigen zürcherischen Volksschulklassen erprobt. Ein 1967 herausgegebenes Programm zum Dezimalrechnen wurde in Zusammenarbeit mit Hans Aebli, der damals Professor und Dekan an der Universität Konstanz war, unter der Fragestellung beforscht, mit welchem Erfolg sich das Programm in verschiedene Schulzweige der zürcherischen Volksschule integrieren liesse (Fachstelle PU, 19). Eine rasche Implementierung des Programmierten Unterrichts scheiterte jedoch bereits daran, dass die Abfassung von Programmen sich als eine zeitraubende und sehr schwierige Aufgabe erwies; nur sehr wenige Lehrpersonen konnten sich entschliessen, nach dem Besuch eines Programmierkurses Unterrichtsprogramme zu schreiben. Aus diesem Grund lagen Ende 1969 gerade einmal sieben Programme für den Volksschulunterricht vor (Fachstelle PU, 33).

1969 wurde unter der Leitung der Pädagogischen Arbeitsstelle des Pestalozzianums ein – für damalige Verhältnisse – Grossversuch durchgeführt, mit dem ein Bruchrechnungsprogramm an zürcherischen Sekundar- und Realschulen an über 1000 Schülern und 50 Lehrpersonen getestet wurde. Die Befunde dieses Grossversuchs basierten auf 30 ausgewerteten Einzelberichten. Die Berichte gaben differenzierten Aufschluss über die Schülermeinungen, Lehrermeinungen und die Ergebnisse aus Testserien. Ein Resultat war, dass positive Schülermeinungen überwogen. Geschätzt wurden die Selbstständigkeit in der Arbeitsgestaltung, in der Wahl des Tempos und die Möglichkeit, sich selbst zu kontrollieren. Als nachteilig werteten die Schüler u. a. die Gefahr des Selbstbetrugs und die mangelnde Angemessenheit im Schwierigkeitsgrad. Anders als die Selbstansprüche des Programmierten Unterrichts lauteten, fühlten sich die befragten Sekundarlehrpersonen durch die individuelle Beratung der Lernenden bei der Programmbearbeitung mehr beansprucht als bei konventionellem Unterricht. Die Reallehrpersonen waren der Auffassung, dass der Programmierte Unterricht sie im gleichen Masse beanspruche wie konventioneller Unterricht. Trotz mehrheitlich positiver Haltungen gegenüber der Neuerung wurden viele Einwände formuliert. So sollte die Klassenleistung gegenüber früheren Jahren mit Programmiertem Unterricht eher gesunken sein. Überdies hatte sich der Zeitgewinn durch die versprochene Rationalisierung nicht eingestellt. Insgesamt seien die hohen Erwartungen an Programmierten Unterricht nicht erfüllt worden, lautete die ernüchternde Quintessenz (Fachstelle PU, 31). Der erwartete und von den Befürwortern auf Seiten der Lehrpersonen sowie auf Seiten der Unternehmen prognostizierte Zugewinn an Autonomie und Verantwortungsübernahme hatte sich zu Beginn der 1970er Jahre noch nicht eingestellt.

4 Die Einführung der Educational Governance als dominantes Modell politischer Steuerung des Zürcher Bildungswesens

4.1 Das bürokratische Planungsmodell und seine Krise

In der Nachkriegszeit hatten sich Modelle politischer Steuerung etabliert, welche einem präskriptiven, bürokratischen Planungsmodell entsprachen und sich auf eine gesamtgesellschaftliche Planung und Lenkung richteten. Politik und Administration wurden in der Zeit verbreitet als Steuerungszentrum von Wirtschaft und Gesellschaft angesehen. Dieses Bild des erfolgreichen „Interventionsstaats“ geriet ins Wanken, als angestossene Reformprojekte ihre Ziele nicht erreichten und in den 70er Jahren auch noch das Wirtschaftswachstum zu stocken begann (Mayntz 2008, S. 43). Erste Reaktionen konzentrierten sich zunächst auf genauere Problemdiagnosen und Erforschung von Entwicklung und Implementation politischer Programme. Doch wurde in der Folge nicht nur die Steuerbarkeit der Politik, sondern vor allem auch der Kreis von Steuerungsadressaten grundsätzlich in Frage gestellt. Wissenschaftler und Politiker kamen gleichsam zum Schluss, dass der hierarchische top-down-Ansatz politischer Steuerung verfehlt sei (Mayntz 2008, S. 44). Gili S. Drori stellt in ihrer Studie über die Institutionalisierung und Globalisierung der Governance die Entstehung einer umfassenden Reformbewegung im Bereich der politischen Steuerung, welche schließlich im New Public Management gipfelte, in den Kontext von vor allem im Bereich der Entwicklungshilfe getätigten Investitionen, die nicht die erhofften Wachstumsraten erbracht hätten (Drori 2006, S. 100).

Politik und Verwaltung als Steuerungszentrum von Wirtschaft und Gesellschaft wurden also seit den 1970er Jahren grundlegend in Frage gestellt und spätestens seit den 1990er Jahren, als die Verwendung des Governance-Modells seinen Höhepunkt erreicht hatte, der top-down Ansatz politischer Steuerung explizit als verfehlt kritisiert. Neu setzte man vermehrt auf die im Zuge der Governance propagierte staatliche Kooperation mit gesellschaftlichen Akteuren und auf gesellschaftliche Selbstregelung. Diese Verschiebungen waren getragen von einem auf ökonomischen Denkformen und Organisationsprinzipien fussenden Diskurs, welcher sich in einer zunehmenden Zahl von Lebensbereichen wie etwa in der Bildung, der Kultur oder im Gesundheitswesen etablierte. Aktiv verbreitet wurde er global vor allem durch entsprechend orientierte meist aus der Wissenschaft stammende Expertinnen und Experten sowie durch internationale Organisationen wie etwa die Weltbank oder die OECD (Resnik 2006). Carnoy und Rhoten charakterisierten diesen Diskurs als ideologisches Paket, welches hauptsächlich über die Stichworte Dezentralisierung (decentralisation), Privatisierung (privatization), Wahl (choice), Rechenschaftslegung (accountability), Tests (testing) und Beurteilung (assessment) zu fassen sei (2002, S. 2).

4.2 Die Governance als Alternative zur zunehmend delegitimierten top-down-Steuerung

Die Governance, das als Antwort auf die diagnostizierte Krise des Planungsmodells propagierte neue Modell politischer Steuerung, basierte also nicht mehr auf dem Bild eines mächtigen bürokratischen Staates, der plant und kontrolliert, sondern dachte den Staat vielmehr als kooperative Instanz, die nicht mehr auf explizite Planung oder Steuerung, sondern auf Verhandlung und Partnerschaft setzte (Mayntz 2008, S. 44). Das Verhältnis von Staat, Markt und Gesellschaft wurde damit neu konfiguriert und erweckte zunächst den Anschein eines Rückzuges des Staates aus seiner althergebrachten Machtsphäre. Bei näherer Betrachtung zog sich der Staat allerdings keineswegs von seinem Steuerungsanspruch zurück, sondern distanzierte sich lediglich vom delegitimierten, älteren Steuerungsmodell. Da er nicht mehr als mächtiger Staat in Erscheinung treten wollte, stand er vor der paradox anmutenden Frage wie ohne Regierung zu regieren sei („how to govern without government“) und versuchte seinen Einfluss deshalb mit indirekten und somit weniger offensichtlichen Formen von Steuerung zu wahren oder gar auszubauen. Zu solchen impliziteren Techniken der Steuerung gehören etwa die auf Rationalität, Effektivität und Effizienz zielenden Mittel der Standardisierung, des quality-benchmarking, der Harmonisierung oder auch des Vergleichs. Die Steuerung betreffe nun das Verhalten individueller und kollektiver Akteure und beruhe auf der Sammlung und Nutzung von vergleichbaren Daten, welche dann über eine Selbstaktualisierung von Individuen und Organisationen ihre Wirkung entfalteten (Ozga 2008, S. 266). Diese Techniken der politischen Steuerung basieren zwar klar auf managerialen Denkformen und Organisationsprinzipien. Eine Beschreibung aber der Governance, welche ausschliesslich auf der Logik des Managements fusste, griffe dennoch zu kurz. Vielmehr charakterisiert sich diese gerade durch das Abstellen auf zwei unterschiedliche Stränge der Logik, die das Konzept diskursiv in zwei doch unterschiedliche Richtungen ziehen: die Logik des Managements einerseits und die Logik der Partizipation und der Agentschaft (actorhood) andererseits.

Die Logik des Managements fasst Governance vor allem als Form der effektiven und effizienten Administration und zielt auf Rationalisierung und Professionalisierung von Aufsicht und Lenkung sowie der Organisation selbst. Im Kern ist dieser Strang der Logik geprägt von ökonomischen Denkformen und richtet sich vor allem auf effiziente (Weiter)Entwicklung. Der andere Strang der Logik hingegen ist im Kontext der sozialen Ordnung zu verorten und fokussiert auf Kritik und Partizipation durch die Zivilgesellschaft auf allen gesellschaftlichen Ebenen: „the individual is obliged to get involved in public affairs through the process of review of management systems“ (Drori 2006, S. 109). Governance ist daher letztlich auch ein Versprechen, politische Steuerung und demokratische Partizipation mit ökonomischem Kalkül zu versöhnen, indem die Mitwirkung aller relevanten Akteure Reibungsverluste vermeide und Informationskosten minimiere (Brand 2004, S. 112).

Während die Logik des Managements auf eine neue Form der Verwaltung setzt, die nunmehr rationalisiert, standardisiert und effizient sein und in einem professionalisierten Rahmen stattfinden soll, stellt die Logik der Partizipation und Agentschaft die Mitwirkung der Zivilgesellschaft ins Zentrum und ist in ihren Grundzügen anti-hierarchisch ausgerichtet. Die als Begriffspaket mit der Governance einhergehenden Konzepte der Rechenschaftslegung (accountability) und der Transparenz bedienen beide Achsen der Governancelogik gleichermassen. Einerseits versprechen durch Rechenschaftslegung generierte Daten gepaart mit Ergebnissen wissenschaftlicher Studien und ExpertInnenmeinungen ein rationales und effizientes Management. Die dazu gesammelten Daten werden der Öffentlichkeit oder institutionalisierten Stakeholdern um der Transparenz Willen zugänglich gemacht, wobei dieses so genannte Steuerungswissen Interessengruppen gleichzeitig hinsichtlich des zu erreichenden Ziels koordinieren sollte (Drori 2006, S. 109). Die Zivilgesellschaft ist (zumindest formal) also einbezogen, weil sie die Daten und daraus abgeleitete Massnahmen wahrnehmen und kommentieren kann. Letzteres wird als Form der Partizipation ausgelegt, die eine Übersicht über die öffentliche Kritik etwa an geplanten Reformen bringen soll. Diese allgemeine Neukonfigurierung politischer Steuerung gemäss den Prinzipien der Governance wurde auch im Bildungsbereich virulent. Darum soll es nun im nächsten Abschnitt anhand des Beispiels Zürich gehen.

4.3 Die Governance im Zürcher Bildungswesen

Auch auf der Ebene der Steuerung und Administration von Bildung finden wir die oben genannten Elemente der Governance und die in dem Zusammenhang erwähnten Instrumente und Techniken wieder. Moritz Rosenmund hat für die Mitte der 1990er Jahren einen grundsätzlichen konzeptionellen und organisatorischen Wandel der Schulaufsicht und -steuerung konstatiert (De Vincenti et al. 2011, S. 119). Während Schulreformen noch in den 1980er Jahren über Lehrpläne, also über eine klassische Inputsteuerung, realisiert werden sollten, könne der Wechsel der Steuerungsphilosophie in Zürich äusserlich zunächst an der Person des neuen Bildungsdirektors, einem Ökonomen, festgemacht werden, welcher 1995 die Bildungsdirektion übernahm. Dieser hatte sich bereits davor in der Kantonsregierung für die Anliegen des New Public Management (NPM) stark gemacht und die Gesundheitsdirektion nach NPM-Grundsätzen geleitet. Im Rahmen von Schulversuchen und Verordnungen wurden etwa Frühenglisch, die Reorganisation des sonderpädagogischen Angebots, erste Versuche mit teilautonomen, geleiteten Volksschulen (TaV) oder mit der verpflichtenden Beurteilung der Lehrpersonen in der so genannten Mitarbeitendenbeurteilung (MAB) eingeführt. Zum Ende der 1990er Jahre wurden die vielen Einzelprojekte dann zu einem Gesamtpaket zusammengefasst, so dass die Neuerungen auch in einem neuen Volksschulgesetz verabschiedet werden konnten. Herzstück der reformierten, als „Haus des Lernens“ apostrophierten Schule sollte die teilautonome, geleitete Volksschule sein (De Vincenti et al. 2011, S. 119). Ein neues Bildungs- (2002) und Volksschulgesetz (2005) traten in Kraft und brachten dem Zürcher Bildungswesen weitere Elemente der Educational Governance. So kommt etwa dem Qualitätsmanagement sowohl im Bildungs- als auch im Volksschulgesetz eine prominente Stellung zu. Während das Bildungsgesetz (BiG 2002, § 5) den Kanton explizit zur Qualitätsförderung verpflichtet und ihn auch dazu ermächtigt, selbst die Qualitätsvorgaben zu erstellen, verpflichtet das Volksschulgesetz die Schulen und Schulpflegen zur Qualitätssicherung nach den Qualitätsstandards, die der BildungsratFootnote 2 festlegt. Zur Überprüfung der Schulqualität wird die unabhängige Fachstelle für Schulbeurteilung geschaffen, welche die Qualität der Schulen sowohl in pädagogischer als auch in organisatorischer Hinsicht mindestens alle vier Jahre zu überprüfen hat. Ihre Berichterstattung geht an die überprüfte Schule genauso wie an die verantwortliche Schulpflege und wird begleitet von Vorschlägen zur Qualitätssicherung. Bei Qualitätsmängeln ordnet die Schulpflege die notwendigen Massnahmen zur Verbesserung an, wobei auch Vorschläge der Schulen berücksichtigt werden können. Über die getroffenen Massnahmen wird die Fachstelle für Schulbeurteilung wiederum in Kenntnis gesetzt. Führen die Massnahmen nicht zur Behebung der Qualitätsmängel, informiert die Fachstelle die zuständige Behörde.

Mit diesen Bestimmungen zur Qualitätsförderung und -sicherung wird also ein Qualitätsmanagement eingeführt, das durchaus als indirektes Steuerungsinstrument gedeutet werden kann. Die Qualitätsstandards sind ein Benchmark, welcher durch einschlägige Massnahmen mindestens partiell erreicht werden muss. Damit wird die Frage nach einer guten Schule nicht in erster Linie vor Ort, öffentlich oder im Parlament, sondern im von Experten und Expertinnen erarbeiteten, von Vertreterinnen und Vertretern der Schulbehörden, der Lehrerschaft und der Elternschaft überprüften und nach entsprechender Überarbeitung schliesslich vom Bildungsrat verabschiedeten „Handbuch Schulqualität“ bestimmt (Handbuch Schulqualität 2011, Impressum). In diesem Vorgehen manifestiert sich die manageriale Logik der Governance genauso wie mit dem Einholen von Rückmeldungen von Stakeholdern auch die Logik der Partizipation und Agentschaft. Die Deutungshoheit über Schulqualität wird dabei – gegenüber dem Vorgehen gemäss älteren Modellen von Schulaufsicht – lokalen Akteuren zumindest teilweise entzogen und Experten der Organisationsentwicklung und Bildungsverwaltung zugeführt. Dies macht folgende Passage aus dem Vorwort deutlich, welche die Erarbeitung der ersten Version des Handbuches schildert: „Das grundlegende Modell wurde von einer Projektgruppe entwickelt. Danach folgte die praxisorientierte Erarbeitung der Qualitätsansprüche durch rund vierzig Fachleute für Schulbeurteilung aus dem Kanton Zürich und elf weiteren Kantonen. Anschliessend wurde dieser Entwurf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Schweizer Hochschulen begutachtet. Die so entstandene erste Ausgabe wurde 2006 als Erprobungsfassung veröffentlicht und an alle Schulen im Kanton Zürich verteilt“ (Handbuch Schulqualität 2011, Vorwort).

Die Schulaufsicht und -steuerung wird jedoch mit den Bildungsgesetzen nicht nur indirekt, sondern auch formal neu arrangiert. So ersetzt die Fachstelle für Schulbeurteilung die Bezirksschulpflege, eine Laienbehörde, welche im Gefüge einer subsidiären Schulaufsicht als Scharnierstelle zwischen den Schulpflegen, also den lokalen Laienbehörden auf Gemeindeebene, und der Kantonalen Behörde fungiert hatte. Ihre regelmässigen Schulbesuche wurden durch die Evaluation von wissenschaftlich geschulten Experten ersetzt. Der Umbau des Regimes der Schulaufsicht betraf auch die Laienbehörden in den Gemeinden. Ihr Einfluss wurde zurückgebunden, indem sich ihre Leitungsfunktion mit dem neuen Volksschulgesetz lediglich noch auf allgemeine, strategische Belange bezieht und frühere Aufgaben und Kompetenzen teilweise an die ebenfalls neu flächendeckend eingerichteten Schulleitungen fallen. Ihre Einrichtung geht auf ein seit der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts etabliertes Schulverständnis zurück, welches Schulen als Organisationen fasst, die geführt werden müssen und beurteilt werden können. Oder wie Rosenmund es formulierte, gilt neu als Gegenstand von Kontrolle, Steuerung und Legitimation nicht mehr das Handeln individueller Lehrpersonen, sondern die Gesamtleistung einer Schule verstanden als „organisierten und geführten Betrieb“ (De Vincenti et al. 2011, S. 119). Die so eingerichteten Schulleitungen sind verantwortlich für die operative Leitung der Schulen.

Neben diesem eher der managerialen Logik entsprechenden Umbau der Schulaufsicht finden sich im Volksschulgesetz ebenso weitere Elemente des anderen Logikstrangs der Governance. Mitwirkung sowohl von Schülerinnen und Schülern als auch von Eltern wird im 6. Abschn des Volksschulgesetzes thematisiert. Schülerinnen und Schüler haben ihre „Pflichten“ zu erfüllen und sich „aktiv“ am Schulbetrieb zu beteiligen, werden aber umgekehrt auch an Entscheidungen beteiligt, die sie betreffen. Weiter bestimmt ist ihre „Mitverantwortung und Mitsprache“ im Organisationsstatut, das die Zuständigkeiten und das Zusammenwirken von an der Schule Beteiligten klärt und entsprechend auch die Elternmitwirkung „gewährleistet und regelt“ (VSG 2005). Das Organisationsstatut gilt auf der Ebene der Gemeinde als wichtigstes Führungsinstrument, während auf der Ebene von Einzelschulen die Schulprogramme diese Funktion übernehmen.

Weitere Elemente der Governance finden sich ausserdem etwa in der „Interkantonale[n] Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule“ (HarmoS), welche hinsichtlich der Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern „Instrumente der Systementwicklung und Qualitätssicherung“ wie etwa die Bildungsstandards einführt (HarmoS-Konkordat 2007, S. 4). Letztere sind ebenso zu den indirekten Steuerungsinstrumenten zu zählen wie die eben beschriebenen Qualitätsstandards. An dieser Stelle eine abschliessende Liste der Governance-Elemente im Zürcher Bildungswesen zu erstellen, ist nicht Ziel dieses Beitrags. Vielmehr will er plausibel machen, dass die Educational Governance in Zürich derzeit ein virulentes Modell politischer Steuerung von Schule ist. Dazu wurden die Beispiele etwa der indirekten Steuerung geleiteter Schulen über das Qualitätsmanagement, der Neukonfiguration der Schulaufsicht, oder der Einführung von Bildungsstandards im Rahmen des HarmoS-Konkordates aufgeführt. Die Verantwortung für die Ausführung und Erreichung der durch Instrumente und Techniken der Governance gesetzte Ziele liegt dabei tendenziell bei den Schulen und etwa im Falle der Bildungsstandards letztlich auch bei den Schülerinnen und Schülern, deren individuelle Leistungen Grundlage der Messungen sein werden. Dass die Einführung der Governance-Elemente im Zürcher Bildungswesen kaum öffentlich und kontrovers diskutiert wurde, ist wohl darauf zurückzuführen, dass das neue Steuerungsregime in anderen Bereichen der Gesellschaft bereits sehr etabliert war und daher nicht nur kaum legitimiert werden musste, sondern selbst legitimierend wirkt, indem es eine zeitgemässe, moderne Schulführung verkörpert (vgl. dazu Bröckling 2000, S. 132 f.).

5 Technologische Lenkungsversuche des Sozialen auf unterschiedlichen Ebenen des Bildungssystems

Die beiden Beispiele haben Versuche der Lenkung des Sozialen auf unterschiedlichen Systemebenen des Bildungswesens beleuchtet. Diese Versuche sind insofern als technologisch zu bezeichnen als sie einer grundsätzlichen Überzeugung von der Steuerbarkeit des Unterrichts und der Organisation Schule respektive des Bildungssystems verhaftet waren und sind. Mit dem Programmierten Unterricht gelangten Vorstellungen einer technologischen Steuerung von Lernprozessen bei Kindern und Jugendlichen zur Umsetzung, während das Beispiel der Educational Governance im Zürcher Bildungswesen zeigte, dass die Akteure bei der Ausgestaltung die Steuerbarkeit und die Sinnhaftigkeit einer zentralen Steuerung von Schulentwicklung sowie von Schulqualität voraussetzten. Dass die Entscheidungen den Programmierten Unterricht oder die Educational Governance einzuführen nicht als Ausdruck eines politischen Willens mit seinen Alternativen, sondern als datengestützte richtige Lösungen zur Behebung angeblicher Ineffizienz oder Intransparenz galten, kann mit den Begriffen der Sachgesetzlichkeit und der politischen Alternativlosigkeit beschrieben werden. Der Programmierte Unterricht versprach so, Elemente des heimlichen Lehrplans unter Kontrolle zu bringen, während die Educational Governance die Entwicklung der Schulqualität zu einer Angelegenheit erklärte, welche nicht länger in lokalen Kontexten etwa durch die demokratisch legitimierten Schulpflegen vorgenommen werden könne, sondern vielmehr zentral angeleitet und mit der Fachstelle für Schulbeurteilung auch systematisch überprüft werden müsse. Was Schulqualität ist, wird dabei von Experten definiert und durch partizipative Vernehmlassungsverfahren, in die Stakeholder kontrolliert eingebunden wurden, sanktioniert und schliesslich vom zuständigen Organ verabschiedet. Zuletzt konnten in beiden Beispielen Risikoverlagerungen durch Gewähren von Autonomie und dadurch auch Delegieren von Verantwortung festgestellt werden. Während der Programmierte Unterricht die Verantwortung für den Lernerfolg gänzlich an die Schülerinnen und Schüler delegierte, die Zielsetzungen und zu absolvierenden Lernschritte dabei aber im Voraus durch die Programme feststanden, waren es im zweiten Beispiel die einzelnen Schulen, welche (Teil)Autonomie zugestanden bekamen. Damit wurde auch die Verantwortung etwa für die Erreichung der gesetzten Qualitätsziele an die einzelnen Schulen weitergegeben. Die Definition derselben wurde unter Anleitung von Experten vorgenommen und spiegelt kaum lokale Kulturen und Vorstellungen einer guten Schule.

Der Versuch einer technologischen Lenkung des Sozialen mag hehre Ziele wie etwa Sicherheit bzw. Minimierung des Risikos vom willkürlich erscheinenden Lehrpersonenhandeln, Chancengleichheit für die Beschulten oder Transparenz der im Klassenzimmer erbrachten „Leistungen“ verfolgen. Die kaum intendierten Nebenfolgen, welche eine solche Entscheidung mit sich bringt – genannt sei das Verschwinden der Bedeutung lokaler Kulturen, von unterschiedlichen Lebenswelten, von kreativen eigenständigen Lösungen, überhaupt von Polyvalenz, aber auch die Ablösung von Vertrauen durch Kontrolle und damit möglicherweise auch die Erosion intrinsischer Motivation und berufsethischer Einstellungen – können allerdings kaum überschätzt werden.