Zusammenfassung
Die Art und Weise in der die Wechselwirkung von materieller Raumorganisation, etwa durch Verkehrsnetze, und sozialen Tatbeständen und Entwicklungen analysiert werden sollte, ist umstritten, insbesondere auch in den Sozialwissenschaften. Dies gilt sogar für die Frage, ob der – etwa von Henri Lefèbvre – gebrauchte Begriff des sozialen Raumes überhaupt von der Soziologie produktiv genutzt werden könne. Dies soll hier jedoch nicht näher behandelt werden. Im Weiteren wird aufgezeigt, wie materielle räumliche Bedingungen die Alltagsmöglichkeiten von Menschen beschränken. Der im Laufe der Geschichte durch Bauten und Straßennetze entstandene urbane materielle Raum hat eindeutig limitierende Eigenschaften für menschliche und soziale Aktivität. Durch Mauern kann niemand gehen, wer im 9. Stock eines Hochhauses wohnt, kann von dort aus kein Kind auf der Straße beim Spielen beaufsichtigen. In diesem Sinne kann Raum zunächst für soziale Vorgänge erst einmal als begrenzende Größe verstanden werden, dieser Ansatz soll im Weiteren verfolgt werden.
Ein ähnliches Vorgehen schlägt Rudolf Stichweh vor, der schreibt, Raum sei für soziale Vorgänge „Moment einer nicht leicht beeinflussbaren Exteriorität“. Soziales und individuelles Leben werden von dieser „Exteriorität“ durchaus erheblich betroffen. Oder anders gesagt: Das Bauen und Planen, das Schaffen von „künstlichen Räumen“, die „Kontrolle von Räumen“ sind am Ende auch äußere Zwangsbedingungen für soziales Handeln.
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Notes
- 1.
Eine stärkere Berücksichtigung materieller Tatbestände der Raumorganisation schlug bereits Hans Linde in seinem Buch „Sachdominanz in Sozialstrukturen“ (1983) vor.
- 2.
- 3.
So lehnt etwa der Stadtsoziologie Thomas Krämer‐Badoni den Gedanken ab, der Begriff des sozialen Raumes würde nützlich in der Sozialwissenschaft verwendbar sein (vgl. Krämer‐Badoni 2003). Später relativiert er aber diese Ablehnung dann durchaus, indem er unter Hinweis auf den Schweizer Sozialwissenschaftlicher Stichweh eine Methode zur Bestimmung der Wirkung der Elemente des Raumes auf Soziales vorschlägt.
- 4.
Stichweh, R. 2003, S. 93–102.
- 5.
Vgl. Hägerstrand, T.: „Today differencies between groups within the same area and differences between areas can be very great“, 1970, S. 13.
- 6.
Vgl. Illich, I. 1975, S. 28.
- 7.
Interessant vor diesem Hintergrund ist die hypothetische Modellvorstellung unbegrenzter und kostenfreier superschneller Fortbewegung für alle Menschen, also der Verlust jeglichen „Entfernungswiderstandes“. Dies Beispiel diskutierte Torsten Hägerstrand auf einem Kongress in Frankreich 1982 im Beisein des Autors. Ein geradezu furchtbarer Zustand, alle überall und nirgendwo daheim. Eine, wie Hägerstrand ausführte, schreckliche Situation, die Menschheit hätte den Raum quasi verloren.
- 8.
Trotz dieser Regelungen ist das Automobil immer noch das weitaus gefährlichste technische Produkt, das neben Kriegswaffen das 20. Jahrhundert bestimmte. Die weitaus meisten unnatürlichen Todesfälle des Jahrhunderts gehen auf das Automobil zurück.
- 9.
Vgl. Davis, M. 2007, S. 11. Davis erklärt, dass Autobomben erstaunlich starke und zerstörerische Tarnwaffen seien, da die Fahrzeuge schon aufgrund des zu transportierenden Gewichtes sehr wirksame Möglichkeiten böten. Schon eine übliche Familien‐Großraumlimousine könne ohne Probleme eine 500‐kg‐Bombe transportieren.
- 10.
Der Vorsitzende des Vorstandes der Wintershall in Kassel, Reinier Zwitsersloot, forderte etwa 2008 den Ausbau des nahegelegenen Flughafens Kassel‐Calden, da ihm nicht zugemutet werden könne, mit den derzeit nur startfähigen kleinen Privatflugzeugen in Italien auf dem Flug nach Libyen zwischenzulanden. Der Flughafen wird – wenn auch nicht nur für Herrn Zwitsersloot – demnächst ausgebaut. Für Passagiere dieser Art gehen auch die Kontrollen an Flughäfen selbstverständlich wesentlich schneller.
- 11.
Vgl. Rekacewicz, P. 2007.
- 12.
Rekacewicz legt eindrucksvoll dar, dass er an dem Laden seitlich vorbeigehen wollte, dass aber Sicherheitsbeamte ihn dort nicht passieren ließen.
- 13.
Vgl. Beck, Ulrich 2009, S. 32/33. Beck argumentiert, dass die weltweit imaginierten oder echten Risiken ein wesentlicher Rechtfertigungsgrund für die Existenz weltweite Abstimmung beabsichtigender Gremien wie der „G20“ seien. „Weltrettungspläne“ werden aufgrund der mit den immer geringer werdenden Einflüssen von Entfernungen scheinbar nötig, um globale Risiken zu vermeiden, es ergeben sich nicht nur für die „G20“ dabei erhebliche demokratische Legitimationsprobleme (um es mit Beck und stark untertrieben zu sagen).
- 14.
Vgl. Isbary, G. 1965.
- 15.
Vgl. Schekahn, A. 1998, S. 170.
- 16.
Vgl. Fahlbusch, M. 2003, S. 569.
- 17.
Vgl. Bongards, M.G. 2004, S. 97.
- 18.
Vgl. van Laak, D. 2005, S. 92 ff., interessant auch der Schluss ab S. 185.
- 19.
Wobei dieser Aspekt natürlich Teil der großtechnischen Projekte bleibt. Vgl. Ullrich, O. 1977, S. 314 ff., wo Ullrich die Verkehrsgroßprojekte wie Eisenbahnstrecken oder Flughäfen ausdrücklich behandelt.
- 20.
Vgl. etwa Schröteler‐von Brandt, H. 2008, S. 152 f.
- 21.
Aus Kostengründen wurden lediglich 5 km in Madrid realisiert.
- 22.
Vgl. Chambless, E. 2009 (nach dem Original von 1910).
- 23.
Neben den Grundstückspreisen spielen dabei auch (fürsorglich) vorgebrachte Gesundheitsaspekte oder die bekannten Vorstellungen des schönen Lebens in einer „Gartenstadt“ nach dem Vorbild des Modells des Planers E. Howard eine Rolle.
- 24.
Vgl. hierzu und im Folgenden Divall, C./Bond, W. (ed.) 2003.
- 25.
Vgl. Marinetti, F. T. 1909, oder die Bilder von Antonio Sant’Elia.
- 26.
Vgl. Reichhardt, H.J./Schäche, W. 1998 (Zitate nach 11. Auflage in 2008), S. 95 ff.
- 27.
Vgl. Joachimsthaler, A. 1999.
- 28.
Auch die Vorbilder ändern sich jetzt natürlich: War es vorher Adolf Hitler mit seinen gigantischen Ideen, der zur Begründung von Planungen benutzt wurde, sind es jetzt die Vorbilder der Sieger, die Alliierten. Deren industrielle Produktion von Fahrzeugen, Waffen und andere moderne Kriegslogistik werden jetzt in Deutschland vor allem erwähnt, wenn es um den Aufbau einer neuen großtechnisch orientierten Industrie und eines modernen Verkehrsnetzes geht.
- 29.
Hier entstand 1938 ein Werk für den KdF‐Wagen nach den Plänen einer Gesellschaft mit dem Namen „Gezuvor“ im direkten Auftrag Hitlers. Der Ort wurde „Stadt des KdF‐Wagens bei Fallersleben“ genannt. Es ist interessant, dass Ferdinand Porsche Anregungen für die Produktion des KdF‐Wagens aus den USA bezog und dort aus der Autoindustrie ehemals ausgewanderte deutschstämmige Ingenieure abwarb. So waren Elemente moderner Massenproduktion im Faschismus durchaus präsent, ja Teil der Vorstellungen moderner Flügel der NSDAP. Zahlreiche Zwangsarbeiter u. a. aus Italien bauten die Fabrik und die ersten Wagen, Qualen und Tod waren dabei an der Tagesordnung (vgl. dazu auch Bermani, C. Bologna, S. und Mantelli, B. 1997, S. 94–97). Der Name „Wolfsburg“ entstand erst nach dem 2. Weltkrieg nach einem naheliegenden Schloss.
- 30.
Dass dabei recht lange und kaum über die brutalen Methoden der Entstehung dieser Fabriken, oft durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, geredet wurde, ist sicher ebenfalls bemerkenswert.
- 31.
Vgl. Sieverts, T. 1997.
- 32.
Spiegel, E. 1974, S. 98.
- 33.
Vgl. dazu Gassner, E. 1974, S. 323.
- 34.
a. a. O., S. 324.
- 35.
Vgl. Isbary, G. 1965, S. 10.
- 36.
a. a. O. S. 4.
- 37.
a. a. O. S. 3.
- 38.
Alexander von Papp fordert, „dass in Vorranggebieten für landschaftliche Produktion und ökologische Funktion z. B. eine gewisse Entleerung positiv unterstützt werden könnte“. 1976, S. 75.
- 39.
- 40.
Das wird vor allem sichtbar bei Lebensmitteln (vgl. hier etwa Böge, S. 2003).
- 41.
Es soll hier nicht weiter diskutiert werden, ob, wo und in welchem Maße Größe von Einrichtungen und Arbeitsteilung sinnvoll sind, was also die „optimale“ Größe einer Einrichtung ist. Das ist ein komplexes Problem, das je nach Art der Einrichtung oder Produktion verschieden zu bewerten ist. Es ist aber sicher so, dass die globale Arbeitsteilung oder etwa die Verschiebung von gleichartigen Lebensmitteln über Kontinente hinweg ein Ausmaß erreicht haben, das völlig unsinnig ist. Die daraus entstehende Abhängigkeit von Verkehr und Rohöl ist fatal, der Wachstumszwang von Größe und Distanz endet an den Grenzen der Energiebereitstellung. Vgl. Altvater, E. 2006, S. 107 f.
- 42.
Vgl. hierzu und im Folgenden: Der Spiegel (Ausgabe Nr. 34) 1963, S. 24–34.
- 43.
Der Spiegel (Ausgabe Nr. 34) 1963, S. 27.
- 44.
Der Spiegel (Ausgabe Nr. 34) 1963, S. 24.
- 45.
Der Verkehrsminister Georg Leber war also eigentlich so etwas wie ein erster Pionier der heutigen Lkw‐Maut, die in Deutschland unter der Rot/Grünen‐Koalition eingeführt wurde. Sie ist im Übrigen fast genauso erfolglos wie Lebers Pläne, da auch sie aufgrund des großen Einflusses der Lastkraftwagenlobby kaum zu einer höheren Belastung der Unternehmen führte.
- 46.
Der Spiegel (Ausgabe Nr. 34) 1963, S. 31.
- 47.
Kutter, E. 1975.
- 48.
Vgl. Thaler A., Winkler M. 2005, S. 117–121.
- 49.
Vgl. Mitscherlich, A. 1969 (Erstausgabe 1965).
- 50.
A. a. O., S. 40 f.
- 51.
A. a. O., S. 92.
- 52.
Einen wichtigen Einfluss hatte auch der Münchner Oberbürgermeister Jochen Vogel, der schon früh Kritik am Automobil formulierte.
- 53.
Vgl. Bürgerinitiative Westtangente (Hg.) 1976.
- 54.
Vgl. Holzapfel, H.; Traube, K.; Ulrich, O. 1985.
- 55.
a. a. O., S. 104/105.
- 56.
Vgl. Zöpel, C. 2008.
- 57.
Vgl. hierzu und im Folgenden auch Thaler, A.; Winkler, M. 2005, S. 117–121.
- 58.
Die „Postmoderne“ wird in der Architektur und im Städtebau in ihrem Beginn weit früher angesetzt.
- 59.
Vgl. Pörksen, U. 1997, S. 14 ff.
- 60.
Vgl. dazu Augé, M. 1995.
- 61.
a. a. O.
- 62.
Vgl. Burckhardt, L. 2006, S. 114 ff.
- 63.
Vgl. Böge, S. 1993, S. 132–159.
- 64.
Die Sprengung von Pruitt‐Igoe als Beginn der Postmoderne wurde von Charles Jencks so definiert. Vgl. Jencks, C. 1977, S. 9.
- 65.
Vgl. hierzu Jencks, C. 2004, S. 12–31.
- 66.
Enron war ein amerikanischer Energiekonzern, der durch massive Bilanzfälschungen lange Zeit enorme Gewinne machte und dann im Jahre 2001 in die Insolvenz ging.
- 67.
Vgl. Keuning Instituut, Senza Communicatie 2005.
- 68.
Monderman weist aber auch darauf hin, dass dieses „langsame Netz“ nur funktionieren kann, wenn es gleichzeitig auch ein „schnelles Netz“ gibt, auf dem die Regeln des Autoverkehrs gelten, da sonst die „langsamen Netze“ von Autofahrern nicht akzeptiert werden.
- 69.
Vgl. Westermann, A. 2000, S. 7 f.
- 70.
Vgl. Durth, W. 1977, S. 140 ff.
- 71.
Vgl. Holzapfel, H. 2010, S. 2–5.
- 72.
Vgl. Volkswagen AG (Hg.) o.J.
- 73.
A. a. O., S. 40 ff.
- 74.
A. a. O., S. 62 f.
- 75.
A. a. O., S. 30 f.
- 76.
Zur globalen Standortkonkurrenz vgl. auch Twickel, C. 2010, S. 27.
- 77.
Zu Größe und „Bigness“ in der Postmoderne vgl. auch Kaltenbrunner (2010).
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