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Thomas Bernhard: Heldenplatz

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Politische Bildung im Theater

Part of the book series: Politische Bildung ((POLBIL))

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Zusammenfassung

‚Heldenplatz‘ von Thomas Bernhard ist ein Theatertext, der zur Zeit seiner Uraufführung 1988 nicht bloß aufgrund seines großen inhärenten Potenzials zu Provokation und zum Tabubruch, sondern u. a. auch durch eine hochwirksame Medienmaschinerie Skandale ausgelöst hat. Damit scheint der Kern der Sache aber noch nicht getroffen – ein Theaterstück, das Politikerinnen und Politiker nahezu jeder Partei aus der Fassung bringt, verweist wohl auf ein viel größeres Drama – da ist offensichtlich einiges faul im Staate …

Die im folgenden Aufsatz formulierten Didaktisierungsansätze von ‚Heldenplatz‘ für den Politik- und Geschichteunterricht versuchen Möglichkeiten zur Erschließung des Stücks und seiner Aussage(n), sowie zur Beleuchtung seiner historischen und politischen Hintergründe aufzuzeigen. Dabei wird auf die lange Zeit fehlende Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich, auf die Propagierung des „Opfermythos“ auf Rechtsrucktendenzen Identitätskrisen, Vorurteile, Klischees etc. eingegangen.

Methodisch steht die Auseinandersetzung mit Zitaten aus dem Stück sowie mit Quellen aus dessen Uraufführungszeit (Leserbriefe, Artikel, Karikaturen, Wahlplakate etc.) im Zentrum.

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Notes

  1. 1.

    Dass die beiden Protagonisten jüdische Wurzeln haben, geht indirekt hervor.

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Correspondence to Elisabeth Annau .

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ANHANG

ANHANG

Hinaus mit dem Schuft!

Von Löffler, Sigrid

Sigrid Löffler über den Wirbel in Österreich um Thomas Bernhards Stück „Heldenplatz“ Die Wiener Theater- und Literaturkritikerin Sigrid Löffler arbeitet für das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“. *

Was ist Österreich? Eine „geist- und kulturlose Kloake“.

Was sind die Österreicher? „Sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige/die ununterbrochen aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien/Der Regisseur wird kommen/und sie endgültig in den Abgrund hinunterstoßen/Sechseinhalb Millionen Statisten/die von ein paar verbrecherischen Hauptdarstellern/die die Hofburg und den Ballhausplatz bevölkern/an jedem Tag vor den Kopf/und am Ende doch wieder nur in den Abgrund gestoßen werden.“

Thomas Bernhard, Österreichs ärgster und berühmtester Nestbeschmutzer und negativer Staatsdichter, legt wieder mal los. In seinem neuesten Stück „Heldenplatz“ liest er den Zuständen in der Waldheimat die Leviten – so ungerecht, so übertrieben, so bösartig verzerrend wie nur je. Auch an Österreichs Zeitungen läßt er keinen guten Buchstaben. Auf der Bühne wettert er gegen „diese idiotischen Blätter mit ihrem geradezu infernalischen Stumpfsinn“, von denen sein Bühnenheld nicht lassen kann: „Nein auf diese Drecksblätter kann ich nicht verzichten/der Abschaum ist das Sensationelle/das Sensationelle ist lebensnotwendig.“

Wie wahr. Österreichs Zeitungen und Österreichs Politiker sind seit der Vorwoche mit nichts so sehr beschäftigt wie damit, Bernhards schlimmste Übertreibungen und gemeinste Verzerrungen nicht Lügen, sondern Wahrheit zu strafen. Österreich tut sein Möglichstes, um Bernhards krasseste Metaphern zur Kenntlichkeit zu entstellen: Es führt sich genau so auf, wie Bernhard ihm nachsagt, nur noch ärger. Und das, ohne das Stück überhaupt zu kennen.

Claus Peymann wollte den „Heldenplatz“, der fürs „Bedenkjahr 1938/’88“ (so der offizielle Name) geschrieben ist, ursprünglich am 14. Oktober, dem hundertsten Geburtstag des Burgtheaters an der Ringstraße, uraufführen – als negative Weihe des Hauses sozusagen. Der symbolträchtig-provokante Termin ließ sich nicht halten. Empörte Schauspieler gaben wegen Peymanns naßforschen Interview-Außerungen (Peymann über die Burg: „Wenn Sie wüßten, welche Scheiße ich hier erlebe“) ihre Rollen zurück, vier Protagonisten mußten umbesetzt werden. Die Premiere ist auf den 4. November verschoben. Eine Ersatzfeier zum Jubiläum des krisengebeutelten Hauses kam nicht zustande, weil sich ein Teil des Ensembles verweigerte – man wolle mit diesem Direktor nicht feiern, ließen vergrätzte Burg-Mimen wissen.

Aber wenn schon die Burg keine Säkularfeier zustande brachte, so gibt statt dessen Österreich dem angeschlagenen Jubilar eine ungewollte Festvorstellung: Das Land inszeniert sich selbst als Groteske a la Thomas Bernhard.

Der Text des Stückes sollte nach Peymanns und Bernhards Willen bis zur Premiere geheim bleiben. Alle Beteiligten an der Produktion mußten sich zu strengstem Stillschweigen verpflichten. Naturgemäß vergeblich. Seit Wochen tauchen Kostproben aus der Verschlußsache in österreichischen Medien auf. Und als die „Neue Kronen-Zeitung“, Österreichs agitationslüsterner Boulevard-Riese, mit montierten Textpassagen als Enthüller nachstieß und aufkreischte („Österreich – 6,5 Millionen Debile!“), da konnten auch die Politiker nicht länger an sich halten.

So viele Theaterkritiker hat Österreich nie gehabt wie seit vergangener Woche. Nie so viele und nie so unberufene. So gut wie jeder renommierte Politiker des Landes hat sich als Laien-Rezensent zu Wort gemeldet – in Unkenntnis des Stücks und in Unterschätzung der Bernhardschen Trickkiste.

Bruno Kreisky, der auf Mallorca das Stück nicht gelesen hatte, grantelte fernmündlich („Das darf man sich nicht gefallen lassen!“). Wiens Bürgermeister Helmut Zilk gab über den Künstler Bernhard ein psychiatrisches Ferngutachten ab („Paranoische Selbstdarstellung eines Menschen, der ein Leben lang nicht mit sich selbst fertig geworden ist“).

Ausgerechnet Bundespräsident Kurt Waldheim glaubte, die nationale Ehre retten zu müssen („Grobe Beleidigung des österreichischen Volkes“) und wünschte das Stück am Burgtheater nicht gespielt zu sehen.

Mit Zensurbegehren waren vor allem die Spitzenpolitiker der Österreichischen Volkspartei und der Freiheitlichen sofort zur Stelle. ÖVP-Obmann, Vizekanzler und Außenminister Alois Mock empfahl, das Stück so zu zensieren, als handle es sich um nationalsozialistische „Wiederbetätigung“. Und Jörg Haider, der Rechtsaußen aus Kärnten, fühlte sich durch Bernhards Grobianismen in seinem eigenen Polit-Brutalismus bestätigt und – sehr frei nach Karl Kraus – zur Ausländer-raus-Hetze gegen den deutschen Bundesbürger Claus Peymann legitimiert: „Hinaus mit dem Schuft!“

Sogar die einzige zuständige Politikerin, Kunstministerin Hilde Hawlicek, verteidigte die Freiheit von Kunst und Künstlern nur flau – an Bernhards Stelle hätte sie das Stück nicht geschrieben und an Peymanns Stelle würde sie es nicht aufführen, ließ sie wissen; im übrigen wolle sie aber Künstlern nicht dreinreden. Dafür ließ sie sich zu Spekulationen über das Anforderungsprofil eines allfälligen Peymann-Nachfolgers hinreißen – „ein Manager“ solle es sein.

Erst nachdem sich Mitte der Vorwoche so gut wie alle führenden ÖVP- und FPÖ-Politiker, assistiert von manch grollender SPÖ-Stimme, für das Amt des Zensors und Kunst(hin)richters qualifiziert hatten, begann die Wahrheit durchzusickern. Es ist ja nicht Herr Bernhard in eigener Person, der in „Heldenplatz“ Österreich eine Standpauke hält. Er legt sie vielmehr seinen Protagonisten in den Mund – und das ist eine jüdische Emigrantenfamilie, die, 1938 aus Wien vertrieben, nach ihrer Rückkehr feststellen muß, daß Juden in Österreich heute genauso unerwünscht sind wie vor fünfzig Jahren.

Der Vater begeht Selbstmord (er stürzt sich aus der Wohnung am Heldenplatz in den Tod), der Rest der Familie geht ein zweites Mal ins Exil.

Bernhard im Originalton: „Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien/als achtunddreißig/jetzt kommen sie wieder/aus allen Löchern heraus/die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind/sie warten alle nur auf das Signal/um ganz offen gegen uns (Juden) vorgehen zu können.“ Denn: „Der Judenhaß ist die reinste, die absolut/unverfälschte Natur des Österreichers.“

Es war die Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk, die – in Kenntnis des Stücks – Alarm schlug: die Hatz gegen „Heldenplatz“, gegen Bernhard und Peymann sei eine Katastrophe für Österreichs Ruf als Kulturnation: „Wir steuern auf eine ungeheure Blamage zu. Es ist nicht auszudenken, was das Ausland dazu sagt und schreibt, wenn am Tage nach der Premiere klar ist, daß ein Stück, das mit Österreichs Haltung gegenüber jüdischen Emigranten ins Gericht geht, von österreichischen Politikern verboten werden sollte.“

Die Warnung kam zu spät. Die Blamage ist schon eingetreten. Am historischen Heldenplatz haben sich die Österreicher schon einmal blamiert – mit falschem Jubel bei Hitlers Einmarsch im März 1938. Mit der Skandalisierung von Bernhards „Heldenplatz“ hat sich die Waldheimat fünfzig Jahre danach eine zweite Blamage eingebrockt. Was das bedeutet, begann sogar der „Neuen Kronen-Zeitung“ zu schwanen: „Dann würde das Bild wahr werden, das Bernhard von uns entwirft. Dann erst wären wir ein Sumpervolk“ – ein Volk von verluderten Deppen also.

Für Hermann Beil, den Ko-Direktor Claus Peymanns, ist „die ganze Erregung fast wie eine Bestätigung des Stücks“. Diese „groteske Phantom- und Geisterdiskussion über ein Stück, das niemand kennt“, ist aber noch mehr als das: „Die Zielrichtung“, so Beil, „ist es, die Direktion des Burgtheaters abzusägen.“ Hinter der Generalattacke auf Peymanns Burg stehen wochenlange Querelen und Zerwürfnisse im Burgtheater-Ensemble und der sich verstärkende Eindruck, Peymann habe das Haus nicht im Griff. Selbst wenn Peymanns Gegner ihn nicht über den „Heldenplatz“ stolpern lassen können – die Dauerkrise schüren sie gewiß weiter.

Aber auch Thomas Bernhard schürt fleißig. Schon hat er angekündigt: „Die Fassung, über die sich jetzt alle aufregen, war ja viel zu schwach! Ich hab’ das Stück verschärft und noch viel Scheußlicheres gefunden.“

Inzwischen wird Bernhard schon von lauter Bernhardschen Theaterfiguren in der Wirklichkeit bedrängt: „Ich werde attackiert! In der Billrothstraße hat mir gestern einer nachgeschrien: ‚Umbringen sollt ma Ihnen!’“

DER SPIEGEL 42/1988

Leserbriefbeispiel

„Erstaunt lese ich in der ‚Krone‘, dass Sie es anscheinend für künstlerisch wertvoll halten, wenn Th. Bernhard nur mehr Geld verdienen kann, indem er seine Mitmenschen beschimpft und auf seine frühere Dichtkunst vergisst.

Ich empfehle denn doch, diesen Brief recht gut zu lesen. […] wenn es wahr wäre, dass da auf der Bühne als Kunst mitgeteilt wird, dass nach Meinung von Th. B. alle Österreicher debil sind, stumpfsinnig oder Massenmörder […] – so fühle ich mich als einer dieser ‚alle‘ Österreicher persönlich beleidigt und bin nicht bereit, das als Kunst eben hinzunehmen. Das hat mit künstlerischer Freiheit aber wirklich nichts zu tun– [sic] von Dichtung ganz zu schweigen.

Daher – nun da kann ich nur warten, wenn Sie das Stück aufführen, ob dieser Text wirklich in der Krone-Darstellung kommt.

Wenn ja, so werde ich diesen Herrn Bernhard wegen Verunglimpfung und Ehrenbeleidigung klagen, damit etwas von seinem durch Subventionstheater bezogenen Honorar zurückkommt. Ich gebe es, das sei festgehalten, gerne dem Rotkreuz.

Was Sie betrifft, muss ich erst prüfen lassen, ob Sie nicht auch klagbar sind, weil Sie als verantwortlicher Direktor solche beleidigenden Texte wiedergeben lassen. Es würde mich freuen, das sag ich ehrlich. Irgendwo muss doch mit Ihrer sogenannten Kunstfreiheit eine Grenze gezogen werden.“ (Burgtheater 1989).

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Annau, E., Strutzenberger, H., Viehböck, J. (2016). Thomas Bernhard: Heldenplatz. In: Juchler, I., Lechner-Amante, A. (eds) Politische Bildung im Theater. Politische Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09978-7_9

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-09978-7_9

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-09977-0

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