1 Einführung

Unternehmen nutzen ihre Potenziale nicht – in seltener Einhelligkeit gelangen Wirtschaftsforschungsinstitute zu übereinstimmenden Analyseergebnissen, die lediglich in den Prozentangaben schwanken. Die Ursachen der unzureichenden Potenzialausschöpfung werden entweder im Führungsverhalten, in der Struktur des jeweiligen Unternehmens oder aber in den Prozessen gefunden. Natürlich tragen alle Faktoren zu der Situation bei – wobei Korrekturen an einer einzelnen Stelle in der Regel nicht viel bewirken.

In unseren Ausführungen wollen wir nicht in den Wettkampf um die beste Nahtstelle der Intervention einsteigen, sondern eine Arbeitsweise vorstellen, die jenseits eines Organigramms die Beziehungen in einem Unternehmen auslotet. Unternehmen bestehen aus Beziehungen, aus Relationen. Neben der vertikalen Organisation gibt es eine lebendige und oft ungenutzte laterale Organisationsrealität. Diese zu erkennen und mit ihr zu arbeiten, kann statt starrer Strukturen Dynamik in der Organisation auslösen. Wir wollen zeigen, dass in dynamischen Organisationen das vorhandene Potenzial mehr und besser genutzt wird und dass ein Weg zur dynamischen Organisation ein neues Verständnis von Gemeinschaftlichkeit ist.

Fragt man Unternehmen danach, wie sie organisiert sind, erhält man in aller Regel ein Organigramm. Dieses spricht von Funktionen, Verantwortungen, von Hierarchie, es zeigt Berichtswege und Kommunikationskanäle. Letztere beschreiben die Kommunikationskaskade, die in den meisten Unternehmen das Rückgrat der internen Kommunikation ist. Manchmal werden die Organigramme auch um Verantwortungscharts ergänzt. Offen bleibt, was in dem weißen Raum zwischen den Kästen eigentlich geschieht. Hier in den Zwischenräumen sehen wir ein großes Potenzial zur Entwicklung einer Organisation.

Im ersten Teil unserer Ausführungen beschreiben wir auf Basis typischer Problemstellen in Unternehmen die klassischen Hemmnisse für die Dynamisierung einer Organisation. Im zweiten Teil betrachten wir die soziale Realität des Unternehmens aus einem noch sehr ungewohnten Blickwinkel. In dieser Perspektive werden grundsätzliche menschliche Eigenschaften wie Kontaktbedürfnis, Beziehungswunsch, Hilfsbereitschaft, Neugier und Interesse sichtbar und können zugunsten der Dynamisierung des Unternehmens genutzt werden. Dies bedeutet, dass Verantwortung in einem tieferen Maße wahrgenommen wird als bisher, also auch die Beziehungen zwischen den Kästen des Organigramms wirksam werden, und dass Wissen sowie Informationen schneller fließen.

2 Hemmnisse für die Dynamisierung eines Unternehmens

Festgefahrene Strukturen und Rituale blockieren die Dynamisierung in einem Unternehmen maßgeblich. In der hierarchischen Organisationsform bevorzugt man die vertikale Kommunikation. Ein wesentlicher Faktor hierbei ist, dass diese Art der Kommunikation Mitarbeiter eher aus Entscheidungsprozessen ausschließt, als dass sie sie einbezieht. In Prozessen auf horizontaler Ebene zeigt sich ein anderes, der Dynamisierung hinderliches Phänomen: Hier schotten sich die jeweiligen Bereiche gegeneinander ab und verschließen so Kommunikationswege. Diese Blockaden führen zu einer Verweigerungshaltung seitens der Mitarbeiter in Veränderungsprozessen, die von der Leitungsebene als mangelnde Motivation wahrgenommen wird.

2.1 Organisationale Hemmnisse: Wie Organigramme Wirklichkeiten konstruieren

2.1.1 Vertikal-hierarchische Barrieren: Wie Mitarbeiter in Passivität gleiten

Hierarchie und Bürokratie sind die Grundmuster in der Organisation eines Unternehmens. Sie sind das Fundament für rasche Entscheidungen, Fokussierung, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Sie sind unverzichtbar. Doch sie haben Nebenwirkungen. Aufwärtsdelegation von Verantwortung ist nur eines dieser Phänomene, oft gepaart mit Unselbstständigkeit und abwartendem Verhalten in den untergeordneten Ebenen – ein Verhalten, welches nicht selten einer Überverantwortung auf den oberen Ebenen entspricht. Ein großer Teil von Unterstützungswünschen, die Unternehmen an uns richten, bezieht sich auf das passive, abwartende Verhalten von Mitarbeitern. Es werden Initiative, Verantwortungsbereitschaft, Entscheidungsfreude und Dynamik verlangt. Genau diesen Wünschen steht die hierarchische Struktur im Weg. Ihre strukturelle Komponente der Abhängigkeit, oft in eine lange Geschichte von gelerntem Verhalten in Abhängigkeitsbeziehungen eingebettet, erzeugt gerade das beklagte Verhalten. Dies ist eine der wichtigsten Barrieren, die uns den Weg zum Potenzial der Mitarbeiter versperren. Immer bessere Führungsbildung und eine intensive Reflexion von Führungsverhalten können diese Symptome mildern, aber nicht beseitigen.

2.1.2 Horizontale Barrieren: Wie Gruppendenken Schwerfälligkeit evoziert

Ein Organigramm zeigt es sehr deutlich: Wege, als Verbindungslinien gemalt, gehen von oben nach unten und so wird auch ein Organigramm gelesen. Die horizontalen Verbindungen scheinen kaum auf und werden bei gut organisierten Unternehmen durch streng sachbezogene Prozesscharts dargestellt. Das Beziehungsgefüge ist vertikal. In unserer Arbeitsrealität aber werden die horizontalen, die funktions- und bereichsübergreifenden Arbeitsbeziehungen immer wichtiger. In der Horizontale wird über die Qualität, das Tempo, die Schlankheit der Arbeitsrealität entschieden. Erfolgreiche Menschen haben viele und gute horizontale Beziehungen. Sie erst schaffen die Grundlage, Themen, Probleme und zukunftsweisende Aktivitäten realisieren zu können. Noch aber werden bei den meisten Unternehmen horizontale Beziehungen überwiegend durch gruppentypische Abgrenzungen und Schuldprojektionen zur jeweils anderen Seite hin geprägt. So liegt in den horizontalen Beziehungen zwar viel Potenzial, es wird aber durch typisches „in group“-Verhalten blockiert.

2.1.3 Funktionale und lokale Eigenlogiken: Spannungsfelder zwischen Segmentierung und Gemeinschaftlichkeit

Organisationen müssen Bereiche voneinander abgrenzen und segmentieren, nur so lässt sich das heutige hohe Maß an Arbeitsteiligkeit regeln.

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Funktionale Abgrenzungen sind notwendig, wenn ein Unternehmen auf funktionale Exzellenz setzt.

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Lokale Abgrenzungen sind dann erforderlich, wenn regionale Märkte sich rasch verändern und Unternehmen flexibel auf diese Anforderungen reagieren müssen.

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Die Abgrenzung von Geschäftseinheit und Geschäftsfeldern ist notwendig, wenn ein Unternehmen den globalen Markt fokussiert und nach wirtschaftlichen Kriterien bearbeiten will.

Moderne Unternehmen kennen alle Abgrenzungen zugleich, sie sind Hybride.

Und wieder entsteht das Spannungsverhältnis zwischen der Gemeinschaftlichkeit, die in der Regel in übergreifenden Zielen ausgedrückt wird, und der Abgrenzung, die sich in den lokalen konkreten Zielen spiegelt. In dieser Dynamik entstehen starke Eigenlogiken des Handelns, die vernünftiges Miteinander und ein auf die Gesamtheit bezogenes Verhalten oft missen lassen. Emotional verstärken solche Eigenlogiken dann Egoismus, taktisches Verhalten und Selbstoptimierung.

2.1.4 Befund Ungemeinschaftlichkeit: Es fehlt am Sinn fürs Ganze

Fasst man diese beispielhaft genannten Barrieren und Schwierigkeiten zusammen, dann könnte der Befund heißen: Unternehmen leiden heute an einer Kultur der Ungemeinschaftlichkeit. Es ist zwar beinahe alles geregelt, es sind Zuständigkeiten bestimmt, Rechte und Pflichten beschrieben, Aufgaben zugeteilt, Instrumente zur Selbst- und Fremdkontrolle etabliert, Prozesse mit zugehörigen Verantwortungen definiert usw., es fehlt aber an dem gemeinsamen Sinn für das Ganze, in das sich jeder Mitarbeiter mit seinem Potenzial einbringt. Wenn Sie in Tiefeninterviews Mitarbeiter und auch obere Führungskräfte befragen, warum sie eigentlich arbeiten und oft den größten Teil ihres Lebens in ein Unternehmen investieren, wird die Antwort sein: „Ich will Teil einer Gemeinschaft sein, die etwas bewirkt und in der ich mich mit meinen Lebenszielen aufgehoben finde.“ Sie erleben auch, wie oft das nur ein Wunsch ist und die Menschen an der Realität leiden und spüren, wie sich das auf ihre Motivation auswirkt. Es geht dabei nicht darum, ein Unternehmen als „Wärmestube“ misszuverstehen, sondern darum, dass ein dynamisches Unternehmen, in das die Mitarbeiter sich mit ihren Potenzialen einbringen, immer Aspekte einer Gemeinschaft aufweist – worum auch immer sich diese Gemeinschaft dann inhaltlich gruppieren mag.

2.2 Individuelle Hemmnisse durch ungenutzte Potenziale

2.2.1 Die notorische Motivationsklage: Die Mohrrübe ist schnell verspeist

Die Klage über die mangelnde Motivation ist notorisch – wir hören sie in jedem Unternehmen, wir sehen sie in beinahe jeder Umfrage. Es sind stets rund 60 % der Mitarbeiter, bei denen man nicht realisiertes Motivationspotenzial vermutet, rund 20 % hat man schon aufgegeben und lediglich bei den restlichen 20 % sieht man ein hohes verwirklichtes Motivationspotenzial. Blicken wir nun auf die Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre, dann werden Mitarbeiter dieser Aufgabenfülle nur dann gerecht werden können, wenn sie intrinsisch motiviert sind. Das mag bei den jungen Mitarbeitern noch mit der Mohrrübe des möglichen Aufstiegs gelingen, die Kernmannschaft aber weiß inzwischen, wo für sie die Grenzen liegen. Sie muss sich einrichten. Es ist nicht verwunderlich, dass in einem solchen realistischen Prozess der Selbst- und der Chanceneinschätzung auch das sichtbar wird, was Menschen als Enttäuschung, als Ungerechtigkeit und als Vergeblichkeit empfinden. In großen Unternehmen sind solche Entwicklungen unvermeidbar. Die Frage ist, was steht dagegen? Anders herum gefragt, was könnte dafür sprechen bzw. die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Mitarbeiter sich initiativ, verantwortungsvoll, aktiv und, ja, mit Lust im Unternehmen einrichten? Noch bessere Managementtools geben auf diese Frage keine Antwort.

2.2.2 Das verstreute Wissen: Datenmengen ohne Bezugsgeflechte sind tote Materie

Die zweite notorische Problemstelle ist der Wissensaustausch. In einem großen Unternehmen ist fast alles Wissen, sind fast alle Ideen vorhanden – aber sie sind der Organisation nicht verfügbar. Inseln der Exzellenz sind in der lateralen Unzugänglichkeit der hierarchischen Organisation versteckt. Wie weiß ein Unternehmen, was es könnte? Und wie kann ein Unternehmen realisieren, was es weiß? Lebendige Begegnungen sind dafür notwendig, weil nur so die impliziten Anteile des Wissens und Könnens ausgetauscht werden können. Datenbanken haben nur dann eine Wirkung, wenn sie Beziehungsangebote und Beziehungsmöglichkeiten beinhalten, ansonsten sind sie tote Datenmengen. Will man solcherart lateral vernetzte Organisationen kultivieren, dann benötigt man Begegnungsplattformen, die einen Austausch quer zur Organisation ermöglichen und die anderen Kriterien unterworfen sind, als es das tägliche Geschäft ist. In diesen Kriterien geht es um Begegnung, Sprechen, Kooperation, Unterstützung, um Sympathie und manchmal auch um Freundschaft.

2.2.3 Die bisher vergebliche Hoffnung auf Web 2.0-Lösungen

Social Media als Teil des Web 2.0 sehen immer mehr Unternehmen als Chance, mit ihren Mitarbeitern über die Organisationsformen hinweg zu kommunizieren und sie an der Gestaltung der Organisation zu beteiligen (vgl. „Background“: „Was ein lebendiges Web 2.0 benötigt“). Diese Hoffnungen haben sich allerdings bisher kaum erfüllt. So intensiv diese Medien in der privaten Sphäre genutzt werden, so zögerlich ist die Beteiligung im unternehmerischen Raum.

Was ein lebendiges Web 2.0 benötigt

Web 2.0-Lösungen sind derzeit der Renner, wenn es darum geht, an die Ideen und an die Energie von Mitarbeitern heranzukommen. Soziale Medien bieten einem gemeinschaftsorientierten Unternehmen viele Möglichkeiten. Über soziale Medien jenseits der Organisationsformen vernetzte Mitarbeiter können viel in der Organisation bewirken: schneller Wissensaustausch, höhere Bindung, lebendige Sozialdynamik, unkomplizierte Hilfe, schnelle Entdeckung und Behebung von Problemen, Generierung von Ideen und Verbesserungspotenzial usw. Wenn das gelingen soll, dann wird ein Unternehmen vor eine Grundfrage gestellt: Wie viel unkontrollierte Freiheit lasse ich eigentlich meiner Organisation, denn ein lebendiges soziales Netz ist innerhalb des Rahmens von Verhaltensspielregeln eher anarchisch organisiert und reagiert sehr scheu auf Kontrolle, Bevormundung und Zensur. Mit sozialen Medien bilden sich schnell Gemeinschaften um Themen und Interessen herum, die soziales Kapital im Unternehmen aufbauen und die etwas bewirken, wenn man die entsprechenden Freiräume lässt. Solche Gemeinschaften werden nur funktionieren, wenn ich zugleich Raum habe für persönliche Anliegen, für Beziehungsgestaltung, für Neugier am anderen Menschen – also für all das, was zunächst einmal nicht zielführend zu sein scheint. Wird das nicht gewährleistet, dann bleiben soziale Medien in Unternehmen tot und die Leute suchen sich ihre Kontaktplattformen außerhalb. Je intensiver im Unternehmen soziale Medien genutzt werden, desto höher ist der Effekt auch auf die harten Kennzahlen, z. B. Marktanteile (vgl. McKinsey, Survey: Web 2.0 finds it payday, 2011).

Gründe hierfür? Es werden viele Aspekte zu berücksichtigen sein, wenn man diesen bisherigen Misserfolg verstehen will. Sicher ist, dass die sehr schnelle Vereinnahmung des Mediums für spezifische Zwecke einer der Gründe ist. Virtuelle, soziale Netzwerke entwickeln sich freiwillig, sie ähneln in ihrer Zugangsweise eher einem zweckfreien Spiel als einem direkten Mitteleinsatz für einen definierten Zweck. Zwar erfüllen die Themenforen als Teil von Social Media durchaus einen Zweck, von ihrem Grundverständnis her aber sind die sozialen Medien eher anarchischer Natur. Vor allem soziale Neugier, Gesprächs- und Beziehungswünsche sowie soziale, zweckfreie Lebendigkeit kennzeichnen das eigentliche Social-Media-Wesen. Die große Kunst, Social Media als Bestandteil der Kommunikation in Unternehmen zu nutzen, wird sich in einem Spagat ausdrücken: Einerseits gilt es, Freiheit, Offenheit und Zweckfreiheit zuzulassen, um dann andererseits die Ergebnisse eines so gewonnenen sozialen Kapitals in die Unternehmensentwicklung integrieren zu können.

2.3 Die klassischen Entwicklungs- und Veränderungsarchitekturen

2.3.1 Die Projektlogik des Change Managements: Wie Lagerdenken entsteht

Die Starrheit oder die wahrgenommene Veränderungsunwilligkeit von Mitarbeitern wird häufig in den größeren Change-Projekten spürbar. Sie wird dem Verhalten und der Einstellung der Mitarbeiter zugeschrieben. Der oft zu hörende Satz lautet: Die Leute können schlecht mit Veränderung umgehen. Unabhängig davon, wie wahr oder unwahr die Aussage dieses Satzes sein mag, er manifestiert einen Unterschied, nämlich den Unterschied zwischen uns, die wir veränderungsfähig sind, und den anderen, die es nicht sind. Es werden zwei Gemeinschaften gebildet. Diese Einstellung kennzeichnet dann ein polarisierendes Verständnis von Veränderung: Es gibt einen Teil der Organisation, der eine aktive, Veränderung voranbringende und gestaltende, thematische Gemeinschaft ist. Diese veränderungsbereite Gemeinschaft trifft sich regelmäßig, arbeitet oft bis spät in den Abend hinein und lässt den Arbeitstag gemeinsam in dann privater Stimmung ausklingen. Und es gibt in dem polarisierenden Verständnis zweier Lager im Unternehmen eben die anderen, die nicht zur Veränderung bereit sind, aber auch nicht beteiligt werden. Was wir eigentlich wollen, ist, dass die gesamte Gemeinschaft dieses Unternehmens eine Veränderung sucht, dass sie die Notwendigkeit von Veränderung versteht und dass alle gemeinsam etwas bewegen. Diese leider noch klassische Architektur von Change-Projekten mit ihrem Lagerdenken erzeugt eine soziale Dynamik, die eher ausschließend ist und damit Veränderungsunverständnis und Veränderungsresistenz nicht nur konstatiert, sondern sogar erzeugt und verstärkt. Hinzu kommt, dass sich in diesen Prozessen das interne Projektteam stärker in die Beratungsgemeinschaft eingliedert als in die des sich verändernden Unternehmens.

2.3.2 Subprojekt Kommunikation: Wenn nur mitgeteilt und nicht einbezogen wird

Die Folgen solch polarisierenden Denkens sind wahrnehmbar. Mitarbeiter fühlen sich nicht wahrgenommen, verstehen sich als Objekt oder auch Manövriermasse einer Veränderung und verhalten sich entsprechend abwehrend. Die Manager der Change-Projekte reagieren auf diese Verweigerung und integrieren ein weiteres Subprojekt in ihre Projektlandschaft: das Subprojekt Kommunikation. Es ist ein verbal oft sehr bedeutsames Subprojekt, in der Umsetzung allerdings ist es meist nachrangig und läuft der inhaltlichen Entwicklung hinterher.

Ein Kommunikationsprojekt, welchem der gleiche Rang wie dem inhaltlichen Projekt zugebilligt würde, könnte bereits in dem Moment aufgesetzt werden, in dem die Analyse- und Konzeptionsphase beginnt. Dort gäbe es – noch – die Chance, die Veränderung zumindest in ihrem Kern als eine gemeinsame Anstrengung zu erleben und so ein antizipatives Einverständnis der Mitarbeiter zu erreichen. Denn über Veränderung muss man sprechen, lange bevor deren Umsetzung beginnt. Tut man dies nicht, so ist der inhaltliche Widerspruch seitens der Mitarbeiter vor allem eine Reaktion auf den Ausschluss aus dem gesamten Procedere und auf die im Ausschluss liegende Abwertung. Haben die Change-Manager in Unternehmen aber den Mut, Mitarbeiter von den frühesten Anfängen her zu beteiligen, so wird sich dies später in höherer Akzeptanz und Umsetzungsbereitschaft seitens der Belegschaft niederschlagen.

Aktuell wird die Projektlogik oft von dem Motto „Nichtbeteiligung als Programm“ geprägt. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass Kommunikation in einer Organisation herkömmlich vertikal gedacht wird, die Menschen kleben an der Kommunikationskaskade, die der der Führung entspricht. Betrachtet man die Gesamtgemeinschaft Unternehmen als Verantwortungsgemeinschaft, dann könnte die Kommunikation an jedem Ort einsetzen, ihre Struktur könnte sich eher an einer Zellen- und Schwarmkultur orientieren. Hier kann jeder Ort zum Ausgangspunkt eines verändernden Impulses werden.

2.3.3 Das nachträgliche Einverständnis: Mogelpackung ohne Wirkung

In der aktuellen Unternehmensrealität werden Kommunikation und Change-Beratung oft erst dann wirksam, wenn eigentlich schon alles festgelegt ist. Es geht dann nur noch um die Erzeugung eines nachträglichen Einverständnisses der Mitarbeiter. Dieser Akt wird mit viel Aufwand in Szene gesetzt und verfolgt im Regelfall das Ziel, den Widerstand zu minimieren und die Grundideen zu vermitteln. Aber es bleibt bei den Mitarbeitern etwas zurück, was sie skeptisch und vorsichtig stimmt und eben dann auch nicht sehr veränderungswillig macht. Nachträglichkeit kittet nur, was vorher zerbrochen ist. Aber auch hier gibt es Wege zur Neugestaltung der Gemeinschaft – die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das Neue der Veränderung auch in die Mitte der Organisation gelegt wird, dass die Veränderung angefasst, gewendet, begriffen und in ihrem Kern verstanden werden kann. Die Kommunikation muss mit den Händen greifbar werden (vgl. Abschn. 5.3.1.4 Background: „Einsicht-Bild – ein Unternehmen trifft sich“).

3 Unternehmen als Gemeinschaft – Wege zur Dynamisierung

Ein Unternehmen ist einem lebendigen Organismus vergleichbar, in dem bis in die winzigsten Zellen hinein alle Elemente in einem steten Wechselspiel stehen. Allein in einem statischen Organigramm lassen sich Bewegungen und kommunikative Prozesse nicht fassen. Auch zwischen den Kästen des Organigramms, sozusagen in den weißen, ungefüllten Flächen, geschieht viel, oft sogar das Entscheidende. Unternehmen, denen es gelingt, diesen Geschehnissen auf die Spur zu kommen, sie sogar zu beeinflussen, zu kanalisieren und zu nutzen, befinden sich auf bestem Wege zu einer dynamischen Organisation. Unabhängig davon, ob das Unternehmen Mitarbeitergemeinschaften jenseits des Organigramms selbst initiiert oder ob es die eher anarchischen Miniaturgemeinschaften etwa in Gestalt der Kantinenrunde einbindet: Das Unternehmen erschließt sich mit der Urbarmachung von „wildem Gelände“ zwischen den Organigramm-Blöcken ungeahnte Potenziale.

3.1 Vernetzte Gemeinschaften in der Organisation

3.1.1 Was sind Gemeinschaften? Eine Mikroheimat in der Organisation

Gemeinschaft ist ein großes Wort (vgl. Definition „Gemeinschaft“). Wir assoziieren es mit positiven Eigenschaften wie zum Beispiel Wärme, Zugehörigkeit, Akzeptanz, Schutz, Verständnis, Hilfe, Vertrauen usw. Wir sehen Gemeinschaft in einem Spannungsverhältnis zum Begriff der Gesellschaft, die wir eher als einen Ort der Herausforderung, der Konkurrenz, des Verteilungskampfes, der Egoismen und heute oft der sozialen Kälte beschreiben. Zygmunt Baumann (2009) hat in seiner Auseinandersetzung mit dem Konzept der Gemeinschaften von der Eintracht gesprochen, die innerhalb dieser Gruppe herrscht, und auf ein stillschweigendes gemeinsames Verständnis hingewiesen, welches diese Eintracht möglich macht. Dieses stillschweigende Verständnis beschreibt er eher als unbewusst und mit starker Bindungskraft ausgestattet. Diesem starken Konzept der Gemeinschaft möchten wir den im deutschen eher befremdlich wirkenden Begriff der losen Gemeinschaft beifügen. Im englischen Wort community ist diese Form von Übereinstimmung nach innen und Offenheit nach außen eher enthalten. Baumann weist darauf hin, dass starke Gemeinschaften in der Regel auch eine starke Abgrenzung zum jeweiligen Umfeld haben, die innerhalb unserer Arbeit eher hinderlich wäre, denn gerade das Zusammenspiel von Bindung und Offenheit macht für unsere Arbeit das Konzept Gemeinschaft so attraktiv.

Gemeinschaft

Wir unterscheiden zwei Typen von Gemeinschaften: bindende und lose oder schwache Gemeinschaften.

Bindende Gemeinschaften zeichnen sich aus durch: starke Bindung der Mitglieder, starke Normierung, starke Gegenseitigkeit, exkludierender Charakter.

Lose oder schwache Gemeinschaften zeichnen sich aus durch: schwache Bindung, moderate Normierung, Gegenseitigkeit, inkludierender Charakter.

In Unternehmen begegnen uns:

  • autarke, mit dem Unternehmen nicht gekoppelte Gemeinschaften, die oft bindende Gemeinschaften sind,

  • initiierte Gemeinschaften, die mit dem Unternehmen gekoppelt sind und die oft schwache Gemeinschaften sind.

Eine das Unternehmen stützende, laterale Organisation von Gemeinschaften zielt auf polyphone, schwache Gemeinschaften.

In unserem Konzept der Gemeinschaften als einem lateralen Organisationsprinzip in Unternehmen verwenden wir den Begriff Gemeinschaft sehr unideologisch – wir sehen jedoch die oben beschriebenen Eigenschaften als wesentlichen Aspekt ihrer sozialen Attraktivität. Gemeinschaften bieten in einem Unternehmen den Mitarbeitern etwas, was das Unternehmen in seiner Organisation nicht zu geben vermag: Wärme, Schutz, Verständnis, Zeit, Unterstützung, verstanden und gesehen werden. In der Gemeinschaft können wir entspannen, können unsere stete Alarmbereitschaft abschalten und die Vorsicht für eine Zeit vergessen. Es ist ein Ort einfachen Austausches, unkomplizierter Kommunikation, weil wir auf den guten Willen der anderen zählen können. Und es ist ein Ort der Anregung und der Hilfe.

Zwischen sozialer Entspannung und konstruktiver Akzeptanz

Gemeinschaften sind Gruppen von Menschen, die sich von anderen unterscheiden und die so Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit bestimmen können. Die Unterscheidung entwickelt sich zunächst um einen Kern herum, den man mit der Begrifflichkeit „geteiltes Verständnis“ bestimmen könnte. Mit dem Zusammenrücken um das gemeinsam Geteilte entsteht eine größere Beziehungsnähe, es entwickelt sich eine kohäsive Gruppe (vgl. Beispiel: „Thematische Gemeinschaften“). Das gemeinsame Interesse kann sich auf vieles richten – es können bestimmte Beziehungs- und Verhaltenskriterien sein oder es können Themen, Aufgaben, Probleme, Interessen sein. Um diesen Kern herum bildet sich die Gemeinschaft, sie entwickelt Kohäsion unter den Mitgliedern und Grenzen nach außen. Zu der sozial einerseits entspannenden, andererseits formenden Kraft von Gemeinschaften gehören vor allem der Wille und die Fähigkeit zur Kooperation, aber auch die gegenseitige Akzeptanz.

Thematische Gemeinschaften

Ein Kunde aus dem Bereich der Logistik klagt über mangelnde Qualität. Wie bei vielen großen Logistikern zeigt sich, dass die Integration vieler zugekaufter, verschmolzener Unternehmen nicht gelungen ist. Innerhalb des gesamten Unternehmens war alles an Wissen und Können vorhanden, es war aber verstreut in der Organisation und es gab außer dem vertikalen Weg nach oben keine Möglichkeit, dieses Wissen auszutauschen und voneinander zu lernen. Wir haben in einem Werkstatt-Programm Experten quer aus der Organisation zu spezifischen Themen, wie z. B. Qualitätsarbeit in Lagern, eingeladen und – eingebettet in ein soziales Begegnungsprogramm – eine Plattform für den Austausch von Wissen und Können etabliert. Die gängige Organisationsform mit ihren vertikalen und horizontalen Abgrenzungen wird so unterlaufen und es werden – von den sozialen Begegnungsimpulsen getragen – zur Organisation quer liegende „Gemeinschaften“ gegründet, in denen Wissen und Können schnell und unkompliziert ausgetauscht wird. Diese Plattformen bestehen noch heute und werden rege genutzt. Sie repräsentieren Eigenständigkeit, Initiative und übergreifende Verantwortlichkeit in einem ansonsten streng hierarchisch, vertikal organisierten Kontext.

Wir haben manche Gemeinschaften in Unternehmen begleitet. Communities of Practice sind solche Gruppen, die sich zu Gemeinschaften formen können, Talentpools, interne Projektgruppen, funktionale Gruppen oder auch die in vielen Unternehmen noch aktiven Gemeinschaften um das Konzept Kaizen herum. Die ursprünglichen Kaizengemeinschaften haben auch nach Beendigung der offiziellen Programme eine hohe Kohäsion beibehalten und nutzen die Gemeinschaft nun in unterschiedlichsten Positionen und Aufgaben. Sie haben einen gemeinsamen thematischen Kern behalten, den man so benennen könnte: „Wir beteiligen die Mitarbeiter an der Gestaltung des Unternehmens und nutzen dazu ihre Köpfe und ihre Herzen.“ Sie treffen sich noch heute, sind verbunden und schaffen in ihrer Vernetzung jeweils an ihrem Ort einen kulturellen Mehrwert. Sie bringen Anregungen mit, sie verteilen Wissen, sie zeigen Wege auf, wo und wie Unterstützung möglich ist. In vielen Fällen können wir über lang anhaltende Supervisionskonzepte die Orte schaffen, in denen die Gemeinschaft ihre sozialen Qualitäten weiter leben und weiter nutzen kann. Die Treffen sind von einem vertrauensvollen Gespräch geprägt, es herrscht Ehrlichkeit, es wird Wissen ausgetauscht, Rat gegeben und angenommen, es wird geholfen. Und nicht zuletzt tanken die Teilnehmer, so beschrieb es ein Mitarbeiter, sich emotional wieder auf.

Die Community: Eine lose Gemeinschaft mit offenen Grenzen

Zusammengefasst: Gemeinschaften sind Gruppen von Menschen unter anderem in Unternehmen, die eine Mitte, ein Verständnis teilen, die um die Zugehörigkeit wissen und die ein sozial unterstützendes, akzeptierendes und teilendes Verhalten entwickeln. Gemeinschaften sind für Mitarbeiter oft Heimat im Mikrokontext, in einer ansonsten von Zeitdruck, Bewertung, Vorsicht und Konkurrenz geprägten Unternehmensgesellschaft.

Gemeinschaften, so positiv sie beschrieben sind, haben aber auch Effekte, die zu Trägheit, Absonderung und Abwertung führen können. Die im Innenverhältnis positiven Eigenschaften können über den Gruppendruck zu Einschränkungen und Borniertheit führen – Effekte, die man in Veränderungsprozessen bei stark exkludierenden Gemeinschaften deutlich spüren kann. Hier werden Gemeinschaften zu Stiftern von Trägheit. Dies ist der Grund für unsere Suche und unsere Gestaltung von „losen Gemeinschaften“, Gemeinschaften, die entweder im zeitlichen Verlauf situativ gebildet werden und wieder verschwinden oder solchen, die eine offene Grenze halten können, deren Verhalten also eher inkludierend als exkludierend ist. Die Teilhabe von Mitgliedern an vielen Gemeinschaften und die Vernetzung von Gemeinschaften sind Möglichkeiten, die Grenzen von Gemeinschaften offen zu halten (s. Kap. 6).

Den Forschungen Robert Putnams und Pierre Bourdieus zum Phänomen „soziales Kapital“ folgend entwickeln wir Programme, in denen sich Gemeinschaften bilden können, die auf Interaktion und Anerkennung beruhen. Die sich bildenden Normen der Gegenseitigkeit erzeugen sowohl individuellen als auch kollektiven Wert. Der Einzelne entwickelt sich, die Gemeinschaft wächst und es wird tatsächlicher Nutzen für das Unternehmen erzeugt. Dieser wird jedoch nicht durch Managementmethoden erzielt und gesteuert. Der Nutzen für das Unternehmen entsteht durch die inhaltlich sinnvoll geteilte Mitte der Gemeinschaft, in deren Sinnkontext sind Mitarbeiter bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wie Putnam zeigen konnte, sind für das soziale Kapital und den übergreifenden Nutzen von Gemeinschaften im Unternehmen lose Beziehungen besser als starke, bindende Beziehungen. Die Arbeit mit Gemeinschaften, sei es in großen Programmen oder in kleinen begleitenden Formen, etwa in Gestalt der Supervision, dienen der Bildung von horizontalem Sozialkapital im Unternehmen. Dieses horizontal-soziale Kapital wird in den Gemeinschaften erwirtschaftet. Es bildet Brücken zwischen den Gemeinschaften, funktioniert eher informell und wird von den klassischen vertikalen Steuerungsmechanismen nicht erfasst.

Es wird immer Gemeinschaften in Unternehmen geben, sie sind eine notwendige Bedingung für Bindung und Motivation. Noch sind sie meistens ungesteuert und werden sehr häufig nicht für die Ziele eines Unternehmens genutzt. Um das dynamische Potenzial der Gemeinschaften nutzen zu können, wird man Wege zur lateralen Steuerung entwickeln müssen. Sie bestehen fast alle aus Formen der dialogischen Kommunikation.

3.1.2 Die kleinen Gemeinschaften sui generis bestimmen die emotionale Realität im Unternehmen

Bisher haben wir von gestalteten Gemeinschaften gesprochen und von solchen, die sich um Unternehmensthemen gruppieren. Gleich, wie viel man auch mit diesem Konzept arbeitet, diese Gemeinschaften bleiben in der Minderheit. Mehrheitlich bilden sich in Unternehmen kleine Gemeinschaften sui generis, die keiner konzeptionellen Strategie folgen, die ungesehen bleiben und die überall in der Organisation leben. Diese Vielzahl kleiner, autonomer Gemeinschaften im Unternehmen – vom Interessenclub über Kantinengemeinschaften bis hin zu Freizeitgemeinschaften – bestimmt die emotionale Realität und den Diskurs eines Unternehmens. Hier wird miteinander geredet, über etwas geredet und hier wird im Diskurs gewertet und emotional Stellung bezogen. Ein Teil hiervon ist Klatsch unter Mitarbeitern, der dennoch Wirkungen zeitigt, ein anderer Teil dieser Art von Kommunikation zeichnet sich durch eine Suche nach Verstehen aus und mündet oft in ein eher schlichtes Bild der Realität im Unternehmen. Dieser Diskurs geschieht unkontrolliert, ja anarchisch. Die Kommunikation der autonomen Gemeinschaften lässt sich zwar vertikal nicht steuern, sie ist aber horizontal durchaus beeinflussbar.

Ein Unternehmen muss seinen kleinen, ungesteuerten Gemeinschaften Angebote zur gemeinsamen Mitte, zum gemeinsamen Verständnis machen und dafür sorgen, dass diese Angebote emotional attraktiv sind. Erst wenn die Offerten des Unternehmens an die autonomen Gemeinschaften glaubwürdig und attraktiv sind und die stete Frage beantworten helfen: „Warum eigentlich tue ich das hier?“ – erst dann ist es möglich, den „wilden“ Strom der konsensuellen Realitätskonstruktion durch die Vielzahl der autonomen Gemeinschaften zu beeinflussen und ein geteiltes Verständnis und gemeinsames Wissen zu erzeugen. Versäumen Unternehmen es, diese Nahtstelle zu schließen, dann passen die in den anarchischen Gemeinschaften entstandenen Interpretationen der Unternehmenswirklichkeit mit Glück zum Unternehmensziel. Oft aber stehen sie diesem sogar entgegen, denn sie sind schnell von Ressentiments und Sorgen geprägt. Speziell in Veränderungssituationen kumulieren in diesen autonomen Gemeinschaften Mutlosigkeit, Ängste und Ärger über die vermeintliche oder tatsächliche Degradierung der Mitarbeiter zu Objekten des Wandels.

Wie ein Unternehmen das „Herz“ seiner autonomen Gemeinschaften erreicht

Es kann Unternehmen gelingen, an der Realitätskonstruktion der autonomen Gemeinschaften teilzuhaben, wenn sie Plattformen zum Gespräch anbieten. Denn die autonomen Gemeinschaften erzeugen eine bestimmte emotionale Grundstimmung im Unternehmen und haben insofern großen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter. Die vom Unternehmen initiierte, sog. dialogische Kommunikation kann sich in Town Meetings – einer Art informeller Diskussionsrunde der Mitarbeiter – Managementmeetings, Kaminabenden, Barcamps und in ähnlichen Formaten der Begegnung darstellen. Im Rahmen solcher Begegnungen stehen emotional gefüllte Botschaften im Mittelpunkt. Es geht darum, was im Unternehmen abläuft, was für das Unternehmen wichtig ist, was man gemeinsam erreichen will, weil man es für wertvoll und wichtig hält. Die Initiatoren solcher Begegnungsformate setzen die Inhalte dieser Treffen in den Kontext der aktuellen Möglichkeiten. Es werden Strategien und Rahmenbedingungen deutlich, vor allem aber werden Bedeutsamkeit und Sinn vermittelt. Die Botschaft wird weiterverbreitet und findet Eingang in weitere kleine Gemeinschaften.

In den Dialogen gelingt es, den jeweils eigenen Kern der autonomen Gemeinschaft mit eigenen bedeutungsvollen Inhalten anzureichern. In solchen Dialogrunden wachsen in gewisser Weise Bridgepeople heran, Mitarbeiter also, die Teilnehmer vieler kleiner Gemeinschaften sind, die Wissen, Einsicht, Wertung und Werte vermitteln und die ein wesentliches Agens für die Vernetzung von Gemeinschaften und so für die Entstehung von Dynamik und Austausch sind.

Aus der Perspektive einer Führungskraft ist es ein kluger „Schachzug“, in den autonomen Gemeinschaften Geschichten zu erzählen, die emotional und attraktiv sind und die Intention des Unternehmens transportieren – oder sehr deutlich formuliert: Wer nicht mittrascht, kann keinen Einfluss auf den Tratsch nehmen, und wenn man tratscht, sollte man dafür Sorge tragen, eine gute Geschichte zu haben. Ach ja und es gibt nicht nur den bösen, den abwertenden Tratsch, es gibt auch den guten, neugierig wohlwollenden Tratsch (vgl. Background: „Gemeinschaften –Tratsch –Verantwortung“).

Gemeinschaften –Tratsch –Verantwortung

Gemeinschaften bilden sich überall. Sie gruppieren sich um Themen, Interessen, Probleme, Sorgen und Sympathie. Sie werden zu Gemeinschaften, indem sie einander Raum geben und beginnen, füreinander verantwortliches Interesse zu entwickeln. Sie sind Gemeinschaften, indem sie über Kommunikation Gemeinsamkeit erzeugen. Es gibt solche mit langer Geschichte und langer Perspektive und solche, die es nur kurz gibt, wenn sie sich um aktuelle Themen und Bedürfnisse gruppieren. In den Gemeinschaften wird die Sicht auf die Dinge und damit auch auf das Unternehmen nicht nur ausgetauscht, die Sicht gewinnt den wertenden Charakter. Hier in den vielfältigen losen und festeren Gemeinschaften entsteht das emotionale Bild des eigenen Unternehmens und damit wird hier Motivation erzeugt oder zerstört. Es gibt die sehr losen Gemeinschaften derjenigen, die zusammen zum Essen gehen. Dass sie eine Gemeinschaft sind, kann man daran merken, dass sie sich um den Fehlenden sorgen, ihn einladen, mitzukommen. Gemeinschaften erzeugen Verantwortung. Es gibt länger haltende Gemeinschaften in Unternehmen, z. B. Gruppen, die gemeinsam einen Bildungsweg durchlaufen haben, oder solche, die sich über Funktionsgrenzen hinweg mit bestimmten Themen beschäftigt haben. Man kann sie als Verantwortlicher erzeugen: die „berühmten“ Goldfischteiche, wenn sie denn gut betreut werden, sind ein Beispiel hierfür. Über die vielfältigen, vernetzten Gemeinschaften werden in einem Unternehmen die Bilder erzeugt, die die Einstellung der Mitarbeiter prägen. Sehr pointiert für Führungskräfte formuliert: in Gemeinschaften wird getratscht und wer hier Einfluss haben will, sollte mittratschen und über den interessanteren Tratsch verfügen.

Bridgepeople aus der Führungsebene vermitteln zwischen den autonomen Gemeinschaften

Autonome Gemeinschaften neigen dazu, sich abzuschließen. Sie bilden autarke Inseln in der Gesellschaft des Unternehmens und bringen weder ihre Emotionalität, ihr Wissen noch ihren Verantwortungs- und Gestaltungswillen in das Unternehmen ein. Dieses Phänomen wird sich bei vielen bestehenden autonomen Gemeinschaften kaum ändern lassen – sie haben oft die Funktion eines „Wärmekreises“ (Rosenberg 2000) – sie schützen und geben Orte der Sicherheit. Manchmal öffnen sich auch solche selbst gebildeten Gemeinschaften – aber nur, wenn ein Teilnehmer die „Fremde“, den „Individualismus“ und die „Unternehmenssicht“ einbringt. Es gibt in Unternehmen einen bestimmten Typus von Mitarbeitern, die dies leisten. Sie werden oft Bridgepeople genannt und wandern zwischen Gemeinschaften. Wenn man die Wichtigkeit solcher Mitarbeiter für die lateralen Vernetzungen im Unternehmen versteht, dann sollte im Rahmen von Führungsfortbildungen dieser Aspekt besonders bei den jungen Führungskräften hoch angesetzt werden. Diese jungen Führungskräfte könnten sowohl thematisch als auch in persönlichkeitsbildenden Veranstaltungsformaten die Funktion der Bridgepeople übernehmen.

3.1.3 Auch gestaltete Gemeinschaften brauchen Begegnungsplattformen für die Vernetzung

Für im Unternehmen geschaffene, nicht autonome Gemeinschaften stellt sich ein anderes Bild dar. Im Rahmen ihrer Konzeption setzen wir thematisch einen attraktiven und starken Mittelpunkt, die zwischenmenschlichen Beziehungen werden im Wesentlichen über den gemeinsamen Inhalt und das geteilte Verständnis gestaltet. Da diese Gemeinschaften sich anders als die autonomen Gemeinschaften nicht sui generis gebildet haben, nennen wir sie im Folgenden auch „schwache Gemeinschaften“. Aber auch in diesen Gemeinschaften betonen wir stets die Durchlässigkeit von Grenzen und heben die Wichtigkeit des Austausches mit der „Außenwelt“ für die jeweils eigene Gemeinschaftsdynamik hervor. Die Einbettung von gestalteten Gemeinschaften in die Unternehmensrealität beinhaltet immer Austauschplattformen für verschiedene Gemeinschaften, um die Offenheit der einzelnen Gruppierung zu gewährleisten. Dieser Prozess geschieht allerdings nicht spontan und unbegleitet, er benötigt sowohl architektonische Impulse als auch eine aktive Gestaltung von Begegnungsplattformen. Dies haben wir in Unternehmen oft mit unseren Werkstattkonzepten beziehungsweise dem Modell der „Society Konferenzen“ realisiert.

3.1.4 Gemeinsinn und Verantwortung: Gemeinschaften als soziales Kapital eines Unternehmens

Gespräche in Unternehmen über Gemeinschaften, die Gründung oder die Anregung zur Bildung von Gemeinschaften, zeigen eine Rückwirkung auf das Unternehmen selbst. Eine Organisation als Ganzes, als Gesamtheit stellt sich dermaßen komplex dar, dass sich mit diesem Gebilde kaum ein so konkreter Vorgang wie etwa das Übernehmen von Verantwortung in Einklang bringen lässt. Unternehmen erscheinen uns heute oft unberechenbar, in Entscheidungen unzuverlässig, intransparent und in den Leistungserwartungen überfordernd. Gemeinschaften hingegen, die sich thematisch mit den Unternehmenszielen verknüpften, können ein anderes Verhältnis zum Ganzen entwickeln, das theoretische Gebilde der Organisation bzw. des Unternehmens wird uns emotional verständlicher.

Über die Zugehörigkeit zu Gemeinschaften bilden wir Verantwortungsgefühle aus, wir nehmen uns als Menschen mit Einfluss wahr und wir beginnen zu handeln. Dies hat sehr viel mit der größeren Beziehungsdichte in Gemeinschaften zu tun, sicher auch mit dem schnellen Aufbau moralischer Normen, die von Loyalität, Unterstützungsbereitschaft, Vertrauen, Ehrlichkeit und Verantwortungsübernahme geprägt sind. Der sich in den Gemeinschaften bildende Gemeinsinn strahlt ins Unternehmen und erhöht das Empfinden, ein verantwortlicher Teil des Ganzen zu sein – der Gemeinsinn umfasst dann das ganze Unternehmen.

Die laterale Vernetzung erhöht die interne Dynamik

In den gezielt gebildeten, also schwachen, aber auch in den eigenständig entstandenen, genutzten, autonomen Gemeinschaften innerhalb eines Unternehmens wird soziale Interaktion geübt. Dies hilft bei der Lösung von Dilemmata des kollektiven Handelns. Der Umgang mit sich widersprechenden Zielen in den heutigen, mehrlagigen Matrixorganisationen wird einfacher. Mitarbeiter werden durch die Gemeinschaft zu vertrauensvollem Handeln ermutigt, ein Risiko, welches sie als Individuen nicht eingehen würden. Die in den Gemeinschaften ausgebildeten Normen der Kooperation, des Vertrauens und der Loyalität werden auf das gesamte Unternehmen übertragen. Mit dem in den Gemeinschaften und ihrer Vernetzung gebildeten sozialen Kapital wird insgesamt das Vertrauensniveau höher, was unter anderem die Bereitschaft erhöht, von Führungskräften getroffene Entscheidungen gemeinschaftlich zu tragen.

Die Effekte des sozialen Kapitals von Gemeinschaften lassen sich noch potenzieren, indem die Durchlässigkeit der Gemeinschaften gezielt gefördert wird. Dies kann durch den Austausch von Mitgliedern geschehen oder auch durch das aktive Hineinbringen neuer Mitglieder und durch die Bereitstellung von Diskussionsplattformen für verschiedene Gemeinschaften (vgl. Beispielsfall: „Zugänge zur lateralen Kommunikation“). So wird eine Dynamisierung des Unternehmens in Gang gesetzt. Das Umsetzen von Entscheidungen wird schneller und leichter, Probleme werden transparenter vor Ort gelöst, die Phänomene der Verantwortungslosigkeit, der mangelnden Initiative und der Aufwärtsdelegation vermindern sich deutlich. Zugleich entstehen durch die Vernetzungen Motivationsanreize. Diese beruhen zum Teil darauf, dass Mitarbeiter auch für solche Kollegen etwas tun können, mit denen sie sonst kaum in Berührung kommen. Das Empfinden, für und im Sinne anderer zu handeln, begünstigt Motivation. Die Öffnung zur Unternehmensrealität wird gerade in den gezielt geschaffenen Gemeinschaften deutlich, die lateral miteinander vernetzt sind. So entstehen neue Kreativpotenziale, der Austausch unterschiedlicher Perspektiven lädt zum Denken und Neubewerten ein.

Zugänge zur lateralen Kommunikation

Als „Führungskraft“ handle ich in einem projektiven Raum; Mitarbeiter haben stets im Kopf, dass sie „abhängig beschäftigt“ sind. Möchte ich die Mitglieder meiner Gemeinschaft „Unternehmen X“ erreichen, dann ist es meine Aufgabe, einen gemeinschaftlichen Raum zu schaffen. Der wird, auch wenn ich konkrete Ziele habe, zunächst einmal ein offener Dialograum sein müssen, denn ich habe die Aufgabe, zunächst einmal ein „Wir“ herzustellen. Offene Dialogtreffen an Abenden, Unternehmensstammtische, Kamingespräche, ja sogar der oft zu strikt vorbereitete Lunch mit dem CEO sind Zugänge zur lateralen Kommunikation. Es ist meine Aufgabe, Plätze für solche Gespräche zu schaffen. Diese Plätze können überall sein, die einzige Bedingung ist: Sie müssen für einen Dialog offen sein und sollten daher nicht taktisch zu schnell auf einen Zweck hin genutzt werden. Die Herausforderung besteht hier darin, die eigene Ungeduld und den eigenen Leistungsdruck für diese Zeit zur Seite schieben zu können.

Dies ist einer der Gründe, warum Kaizen-Bewegungen, die nur auf vertikale Führung und methodische Prozesse setzen, hinter den Erwartungen zurückbleiben – die besonders wertvollen Potenziale liegen in den lateralen Vernetzungen, wie sie sog. schwache Gemeinschaften mit ihrer Durchlässigkeit erzeugen. Wir nennen solche Gemeinschaften polyphone Gemeinschaften. Polyphon, weil sie für viele Stimmen offen sind, ohne dabei den Gemeinsinn zu verlieren. Solche Gemeinschaften kennen wir vor allem physisch, das heißt, Menschen treffen sich tatsächlich an einem Ort und zu einer Zeit, aber auch virtuell. Hier bieten die Instrumente des Web 2.0 noch Möglichkeiten.

Das Thema „Geschwindigkeit“ wird in einem lateral vernetzten Unternehmen jenseits von Programmen und Prozessen durch direkte Kooperation und Handeln aus einem Gemeinsinn heraus realisiert. Dafür gibt es allerdings eine Voraussetzung: Die Mitarbeiter müssen ein verständliches, handhabbares Bild über das haben, was für das Unternehmen wichtig und richtig ist. Dies verlangt eine entsprechende Kommunikation über die Ziele und die Situation des Unternehmens, die auf Verständnis und Begreifen setzt. Dies lässt sich unter anderem mit den bildlich unterstützten Kommunikationsformen der „Einsicht-Bilder“ (vgl. Background „Einsicht-Bild“: „Ein Unternehmen trifft sich“) verwirklichen.

Einsicht-Bild: Ein Unternehmen trifft sich

Eine intensive, gemeinschaftsbezogene Kommunikation ist einer der Schlüssel zu höherer Dynamik und Agilität (s. Kap. 3). Nur wenn es einem Unternehmen gelingt, die eigenen Ideen, Strategien und Überzeugungen glaubhaft zu vermitteln, können die Effekte der Gemeinschaften für das Unternehmen genutzt werden. In einem „Einsicht-Bild“ kreiert das Unternehmen ein vernetztes Bild über sich selbst. Unternehmensführung und Vertreter bestehender Gemeinschaften entwickeln gemeinsam Inhalte für eine Botschaft an das eigene Unternehmen. Dies wird zeichnerisch in einem großformatigen Bild umgesetzt. Um dieses Bild herum wird ein Workshop entwickelt: Mitarbeiter versammeln sich um einen Tisch, das Bild ist in ihrer Mitte platziert und die Mitarbeiter beginnen durch die Diskussion zum Bild, ihr Unternehmen zu begreifen. Die Moderation findet immer intern in der Regel durch Führungskräfte statt. Die Wirkung des Bildes, das gemeinsame dialogische Gespräch, und die Authentizität der Präsentation erzeugen einen ungewöhnlich hohen Effekt. Tatsächlich entwickelt sich in diesem Prozess das tragfähige Einverständnis, welches in einer verstreuten und zerstreuten Welt für fokussiertes Handeln in hohen Freiheitsgraden nötig ist.

Schwarmintelligenz in Gemeinschaften beschleunigt das Lernen

Wir setzen auch heute noch in den Unternehmen auf Lernen in Trainings, Kursen und Seminaren. Das ist sicher für die gezielte Förderung von einzelnen Mitarbeitern ein hilfreicher Weg. Die Dominanz dieses Ansatzes verbirgt jedoch einen anderen wesentlichen Ort des Lernens, des Lernens von und mit den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Hier findet ein wesentlicher Wissenstransfer statt und es ist einer, der mit praktischer Erfahrung gesättigt ist. So wie wir in der Schule viel gelernt haben, so wissen wir doch, dass wir auf der „Straße“ gemeinsam mit Freunden, in der Clique eben auch viel für unser Leben gelernt haben. Gemeinschaften schaffen zusätzlich einen Raum von entlastetem, direktem Lernen. Gemeinschaften tauschen schnell und gezielt Wissen aus, sie präsentieren nahe Vorbilder. Und sind die Gemeinschaften offen und bilden eine polyphone Gemeinschaftsstruktur, dann fließt dieses Wissen auch schnell durch das Unternehmen. Die organisationsbezogenen Lernprozesse werden so erheblich beschleunigt. Mit dem Modell der polyphonen Gemeinschaften werden die schnellen Lerneffekte von Schwärmen, wie wir sie in der Organisation von Tieren beobachten können, zusammen mit den kurzen Reaktionszeiten übertragbar.

3.2 Durchwegung: Wie Distanzmechanismen außer Kraft gesetzt werden

3.2.1 Abgrenzungssysteme in Organisationen contra Kooperationstendenzen

Abgrenzung ist einer der großen sozialen Mechanismen in Unternehmen. Wer je erlebt hat, wie schnell und selbstverständlich Mitarbeiter ihre Haltung und Meinung ändern, wenn ihre Aufgaben wechseln, weiß, wie gut dieser Mechanismus funktioniert. Es ist ein hohes Investment an Engagement und an Zeit nötig, um den Schaden dieser Abgrenzungen immer wieder zu mindern. Zugleich hat Tomasello noch einmal eindrücklich gezeigt, dass Menschen kooperieren wollen und dass aus dieser „ultrakooperativen Tendenz“ (vgl. Tomasello 2010, S. 2) ein kultureller Wagenhebereffekt entsteht, der die Entwicklung der Gemeinschaft beschleunigt. Die Kooperationstendenz steht als inkludierender Akt der exkludierenden Abgrenzungstendenz entgegen. Mit Kästen in den Organigrammen gekennzeichnete Einheiten neigen zur Ausgrenzung. Die Gemeinschaften in der Organisation, die quer zu diesen Grenzen liegen, neigen, verglichen mit den Kästcheninhabern, zur Inklusion. Allerdings müssen sie sich dafür begegnen können – und an solchen Begegnungsplätzen und Begegnungsmöglichkeiten mangelt es oft in Unternehmen.

3.2.2 Die großen Straßen erschließen die Landschaft nicht

Unternehmen sind durch große Kommunikationsstraßen gegliedert, sie sind in der Regel vertikal und auf ihnen werden Informationen transportiert, es wird selten kommuniziert. Sitzungskalender und ein Kommunikationsplan beschreiben diese breiten Straßen. So wie die großen Straßen uns zu einem ferneren Ziel führen, so sorgen auch diese Kommunikationsstraßen im Unternehmen dafür, dass ich das, was am Wegesrand liegt, nicht sehe – es macht einen Unterschied, ob ich eine Landschaft per Autobahn erlebe oder auf den Landstraßen durchwandere. In der Stadt- und Landschaftsarchitektur ist eine der Antworten auf öde werdende Stadtflächen und Landschaften ein Konzept der Durchwegung. Die abseits liegenden, abgeschnittenen Teile der Stadt werden durch Wege, Pfade miteinander verbunden und wieder für die Menschen erschlossen.

Trampelpfade, schmale Wege, Durchbrüche – wie weiße Flächen bunt werden

Durchwegung ist ein Bild aus der Stadt- und Landschaftsarchitektur. Mit diesem Bild wird das Gebaute nicht vom Standpunkt des Abgeschlossenen, der einzelnen Gebäude oder vereinzelten Plätze betrachtet, sondern aus der Perspektive der Verbindung, der Kommunikation der einzelnen Teile (vgl. Background: „Guerilla Gardening“).

Auch heute gibt es noch viele unerschlossene Räume in unseren Städten. Es sind Räume und Flächen, die abseits der großen Straßen, der viel begangenen Kommunikationswege liegen – die wir entweder nicht sehen oder die durch Zäune, Mauern und andere Hindernissen versperrt sind. Manchmal sieht man Trampelpfade, die, wenn man ihnen folgt, zu überraschenden Entdeckungen führen – man findet Gärten, Höfe, Bänke, aber auch Brachen und Müllhaufen.

Guerilla Gardening an einem großen Standort

Guerilla Gardening ist eine Bewegung, mit der Bürger den ungenutzten städtischen Raum nutzen und bepflanzen. In der Bewegung sind folgende Elemente auffällig: einmal die Rückgewinnung der Verantwortung für ein Stück gemeinschaftlichen Raumes, dann die Initiative zur Gestaltung und natürlich das anarchische Unterlaufen von geregelter Verantwortung. Wo diese in der Regel behördlich geregelte Ordnung und Pflege von gemeinschaftlichen Raum nicht funktioniert, finden die Guerillagärtner für ihr gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl Platz und nehmen sich Raum. Nach einer Impulsveranstaltung über das Thema „Welche Verantwortung tragen wir für uns und unsere Gemeinschaft?“ an einem großen Standort eines internationalen Konzerns konnten wir plötzlich das Auftauchen von Blumen an den eher schmuddeligen Ecken des Geländes beobachten. Es gab wohl kleine Gemeinschaften, die begonnen hatten, Verantwortung für ihren Ort zu übernehmen. Und da die Entwicklung eines Verantwortungsgefühls generalisiert wird und zu einem gesamtheitlich verantwortlichen Verhalten führt, war uns das ein Zeichen. Lernen kann man vom Guerilla Gardening auch, dass Verantwortung nur da wahrgenommen wird, wo Freiraum besteht.

Im Konzept der Durchwegung geht es darum, Flächen und Räume zu verbinden, sie in eine Kommunikation zu bringen, indem Wege zu bisher Verschlossenem geöffnet werden. Das können Straßen, Wege, Pfade, Trampelpfade sein. Sie werden begangen, wenn Menschen ihrer inneren Orientierung folgen. Dies können wir gut beobachten, wenn wir die Trampelpfade anschauen, die in Parks und auf großen Wiesen den Raum jenseits der offiziellen Wege erschließen. Sie sind nicht rechtwinklig, sie folgen keiner millimetergenauen Geometrie. Aber sie erschließen den Raum auf kurzen Wegen, bringen Dinge in Verbindung, die auf den offiziellen Wegen unverbunden sind. Sie folgen unserem menschlichen Bewegungsmuster. Die Durchwegung verödeter Stadtteile bringt Leben zurück und führt Menschen aus den Häusern in die Öffentlichkeit und schafft Begegnung.

Wenn wir dieses Bild auf die Organisation übertragen, dann sind Gemeinschaften in Unternehmen wie einzelne Gebäude oder wie abgeschirmte Plätze, unerschlossene Brachen, verwilderte Flächen, versteckte Gärten. Auch hier würde Lebendigkeit, Sichtbarkeit entstehen, wenn diese Flächen miteinander verbunden werden könnten, wenn wir Wege finden könnten, auf denen sie in einen Dialog treten können. Mit der Sichtbarkeit, dem Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden, findet eine Aneignung des gesamten Raumes statt. Der bisher leere Raum wird zum gemeinsamen Raum, wird zum gestalteten Raum. Das leere Weiß zwischen den Kästen eines Organigramms wird zugänglich und es zeigt sich vielgestaltig und bunt.

Unternehmen sind der Lebensraum für eine Fülle von Communities, die miteinander nicht verbunden sind, die sich separieren und damit ihre Energie, Kooperationswilligkeit, Motivation sowie ihre Fertigkeiten nach innen wenden und so dem Unternehmen nicht zur Verfügung stellen. Erinnern wir uns daran, dass soziales Kapital dann aufgebaut wird, wenn Menschen sich begegnen und kooperieren. Dies bedenkend, wird deutlich, dass eine Organisation, die nicht durchwegt ist, deren Communities also abgegrenzt und unerschlossen in der Organisation versteckt sind, ein hohes dynamisches Potenzial unerschlossen lässt.

Wenn man sich jetzt noch einmal die Effekte der Durchwegung im städtischen Raum vor Augen hält, wird deutlich, dass neben der Erschließung neuen Raums und neuer Flächen auch eine erhöhte Lebendigkeit, ein vielfach stärkerer Austausch zwischen den Menschen und eine recht schnell wachsende Attraktivität für die Außenwelt erreicht werden. Im Vergleich mit diesen positiven Effekten von Durchwegung ist es regelrecht zwingend, auch im Unternehmen über Konzepte der Durchwegung jenseits der Organigramme und Prozessbeschreibungen nachzudenken.

Communities of Practice: Funktionale Intelligenz im Unternehmen erschaffen

Solche Konzepte beschäftigen sich zum Beispiel mit den Communities of Practice. Hier bilden sich Gemeinschaften von Experten, die von einem Thema, einem Anliegen oder einer Aufgabe fasziniert sind. Bisher arbeiten Experten oft verstreut in der Organisation und können kaum kooperieren, weil es noch keine Pfade zueinander gibt und kein Ort erschlossen ist, an dem sie sich treffen. Der Wagenhebereffekt der Kooperation ist mangels Durchwegung nicht aktiviert. Dabei sind Communities of Practice Garanten für funktionale Exzellenz. Sie müssen allerdings aktiv von jemandem ins Leben gebracht werden und sie benötigen für eine erhebliche Zeitspanne eine kontinuierliche Betreuung. Schließlich konkurrieren wir in Unternehmen wie in unserer Gesellschaft um die knappe Zeit und die begrenzte Aufmerksamkeit von Menschen.

Steuerung von Diversität durch Bridgepeople

Eine der großen Problemstellungen in der heutigen Unternehmenswelt liegt in der internationalen Kooperation sowie der Bewältigung und dem letztendlichen Nutzen von Diversität. Kleine, diverse globale Teams, die sich gezielt mit Themen beschäftigen, sorgen mehr als jedes interkulturelle Training und Programm für Verständnis, Zusammenarbeit und Freude an gemeinsamen Erfolgen. Die produktive Gestaltung des Potenzials von kultureller Diversität hängt von der Bildung kleiner internationaler Communities ab und der Ausbildung von Bridgepeople, die die Erfahrung weitertragen und Mitglieder mehrerer Communities sind. Die Bedingungen für das Gelingen sind immer eine direkte Begegnung, ein emotionaler Kontakt und eine dialogische Kommunikation. Und wie in einer Stadt oft der Architekt der Impulsgeber ist, so muss auch in einem Unternehmen der Impuls von außen kommen. Es muss jemanden geben, der sich der Sache annimmt, der sie initiiert und der zumindest für eine Zeit lang die Betreuung übernimmt. Erst dann bilden sich zwischen den Communities gemeinsame Verantwortungen und es findet die Aneignung des leeren Raums in Unternehmen statt.

Hat man erst einmal begonnen, einen Ausschnitt von Communities im eigenen Unternehmen zu betreuen, dann ist der nächste Schritt die Gestaltung von weiteren Vernetzungen. Dazu haben wir im sozialen Raum, aber auch schon in Unternehmen mit „Community“ Konferenzen gute Erfahrungen gemacht. Hier wird das Potenzial der Gemeinschaften für Zukunftsfragen des Unternehmens genutzt und es entsteht ein tiefes, in dieser Begegnung vermittelbares Wissen über den Markt, den Wettbewerb und schließlich über die Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens. Sonst implizites Wissen wird hier explizit und kann vom Unternehmen genutzt werden.

4 Dialogpflicht und Gemeinschaftlichkeit

Gemeinschaftlichkeit in einem Unternehmen beschreibt die wesentliche Form der lateralen Organisation eines Unternehmens. Sie steht für Kooperation, für die Entwicklung und die Verwirklichung gemeinschaftlicher Normen. Sie existiert in jedem Unternehmen, meistens allerdings fehlt es an einer bewussten und gezielten Steuerung dieses Phänomens, oft bleibt es sogar gänzlich unbeachtet. Gemeinschaftlichkeit aber bestimmt die Motivationslage in einem Unternehmen und das Lerntempo. Im „Organismus“ der Gemeinschaftlichkeit sind die Problemlösungskompetenz und die Agilität einer Organisation enthalten. Auch wenn sie kaum beachtet wird, sie ist immer vorhanden. Wird dieser Gemeinschaftlichkeit aber nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit zuteil, entwickeln sich die negativen Aspekte des sich Abschließens nach außen sowie des Ausschließens von externen Einflüssen. So entstehen autonome Geschichten über das Unternehmen, die selten mit den Zielen und Zwecken des Unternehmens übereinstimmen.

4.1 Gemeinschaftlichkeit als unerlässlicher Bestandteil der Führungsfortbildung

Unsere Erfahrung zeigt, dass dieses Potential der Gemeinschaftlichkeit erschlossen werden kann. Dafür bedarf es zunächst der Entwicklung einer Idee davon, welche Gemeinschaften derzeit existieren, welche für das Unternehmen Relevanz haben und welche man gründen sollte, um die Unternehmensziele zu unterstützen. Die Gründung und die Dynamisierung bestehender Gemeinschaften benötigen immer einen emotionalen Aufschlag und eine glaubwürdigen Positionsbestimmung der Führung zu Gemeinschaften. Unerlässlich ist die Einbettung in eine Kommunikationsstrategie, in der den Mitarbeitern das Ziel, der Zweck und die Absicht des Unternehmens emotional und verständlich vermittelt werden. Es müssen erste Plattformen geschaffen werden, auf denen sich die Gemeinschaften austauschen und beginnen können, sich zu vernetzen. Das Lernen über Gemeinschaften muss Teil der Ausbildungsprogramme werden. Es sollte Möglichkeiten der Begleitung von thematisch bedeutsamen Gemeinschaften geben. Und schließlich sollten die Führungs- und Kommunikationsformen eines Unternehmens für Gemeinschaften geöffnet werden. So haben wir bei den inzwischen obligatorischen Managementmeetings gute Erfahrungen mit Vertretungen von Gemeinschaften gemacht, die eigenständig Teile des Programms gestalten. Hierdurch wird die laterale Realität der Organisation mit der vertikalen Steuerungsrealität zusammengebracht und es entsteht tatsächlich Gemeinsinn in der Organisation.

4.2 Der Dialog als Ausdruck des lebendigen Interesses aneinander

Ein in vielen Kommunikationsseminaren gehörter Satz lautet: „Ich weiß erst, was ich gesagt habe, wenn ich Deine Antwort gehört habe.“ Vertikale Kommunikation kennt schon die richtige Antwort und hat weder Zeit noch Gelegenheit, sich mit der authentischen Antwort zu beschäftigen – das ist verständlich, denn oft steht die Antwort der anderen den eigenen Vorstellungen von Umsetzung und Tempo im Wege. Die vertikale Kommunikation erreicht die laterale Organisation nur indirekt, diese hat keinerlei Einfluss auf die interne Verarbeitung und Bewertung der Kommunikationsinhalte und ist oft überrascht über Meinungen und Werte innerhalb der lateralen Gemeinschaften.

Wenn die laterale Organisation in der Form polyphoner Gemeinschaften gestaltet werden soll, dann kann der Weg nur über die Gesprächsform des Dialogs verwirklicht werden – und der verlangt ein gewisses Maß an Offenheit der Positionen. Ein Dialog entwickelt sich, in ihm sollte, wenn er gut verläuft, auch immer etwas Neues entstehen. Er läuft insofern entgegen dem vertikalen Anweisungs- und Umsetzungsmodus. Wir wollen auf die vertikale Kommunikationsform nicht verzichten, sie kann in einem Unternehmen die Basis für schnelle und fokussierte Entscheidungsprozesse bieten. Wir wollen sie aber durch dialogische Ansätze ergänzen. Hier sind andere Eigenschaften der Sprechenden und der Zuhörenden gefordert.

Ein Dialog ist von Respekt, Zuhören, Interesse und Ehrlichkeit geprägt. Er verlangt die Fähigkeit, die eigene Position wahrnehmen und für die Zeit der Antwort des Partners sie auch ausblenden zu können. Er setzt die Bereitschaft zum Suchen voraus und die Einsicht, dass man von den eigenen Mitarbeitern viel lernen kann – schließlich sitzt der eigene Nachfolger oft unter ihnen. Mit dem ersten Schritt hin zu einer aktiven Gestaltung der lateralen Organisation und dem Weg zur Dynamik von Gemeinschaften muss man auch einen Schritt in die dialogische Kommunikation wagen. Es ist notwendig, vom Tagesgeschäft entlastete Gespräche und Begegnungsorte zu schaffen, in ihnen den Kontakt zu den Vertretern der Gemeinschaften zu suchen und sie im Gespräch auch untereinander zu vernetzen.

4.3 Das Modell der vertikalen Demokratie: Kann China ein Vorbild sein?

Der chinesische Staat ist wie ein Unternehmen organisiert. Die Regierung lässt sich wie ein Vorstand beschreiben, mit einem CEO und funktionalen Vorständen. Die ständige Vertretung des Volkskongresses wirkt wie ein Core-Team des Managements. Der „Fünfjahresplan“ entspricht den Planungsinstrumenten in Unternehmen. Er hat einen Visionsteil und legt eine entsprechende strategische Planung vor. Der Volkskongress ist wie ein Managementmeeting, in dem der Plan, erstellt unter Beteiligung von Experten und Beratern, vorgestellt, diskutiert und akzeptiert wird. Aus ihm ergeben sich Aufgaben und Arbeitspakete, die in einer Art Zielentfaltungsprozess in die unterschiedlichen Funktionen und andere Organisationsteile „deployed“ werden. Die Leistung der einzelnen Mitglieder der Verwaltungen wird am Plan gemessen und die Aufstiegswege in der Hierarchie hängen vom regionalen oder funktionalen Erfolg und natürlich von Beziehungen ab (vgl. Background: „Managementmeetings“).

Von außen sieht der Planungs- und Umsetzungsprozess ausschließlich top-down gestaltet aus. Und richtig, in der Beschlussfassung und in der Umsetzungsgestaltung ist es ein Top-down-Prozess, der in der Kommunikation über die eingebundenen Medien emotional angereichert wird, oft über die auch in Unternehmen so hilfreichen Feindbilder und die Betonung der eigenen Erfolge. Blickt man jedoch auf den ganzen Prozess, so geht diesem Top-down-Verfahren ein komplexer Beteiligungsprozess voraus, den John Naisbitt (2009) mit dem Begriff „vertikale Demokratie“ bezeichnet hat. Durch ihn verbindet der chinesische Staat den Staat oder das Unternehmen China mit der Zivilgesellschaft oder mit den Gemeinschaften, wie wir es für die Unternehmen beschrieben haben. Im Vorfeld des Volkskongresses finden Treffen, Kongresse mit Vertretern der Gemeinschaften, der Zivilgesellschaft statt.

Das sind Fachleute, Wissenschaftler, Internetgruppen, Künstler, Filmleute, Schauspieler, regionale Splittergruppen usw. In einem Workshop-Modell bringen sie ihre Standpunkte, Anregungen, aber auch Kritik an der Planung ein, die ebenso wie das Votum von Expertengruppen und Beratern Eingang in die schlussendliche Beschlussvorlage für den Volkskongress finden. Diese Form der „vertikalen Demokratie“ realisiert ein Beteiligungsmodell, in dem die Dynamik, das Wissen der Zivilgesellschaft oder der Gemeinschaften in die strategische Planung Eingang findet. Und das geschieht nicht im Nachhinein als Problemstellung für Kommunikationsexperten, sondern vorher.

Es ist sicher gewagt, China als ein Modell für Beteiligung anzuführen. Für unsere gesellschaftlichen Ansprüche an Legitimität, Freiheit und Offenheit der Gesellschaft bleibt ein kritischer Standpunkt deutlich im Vordergrund. Für Unternehmen jedoch, die von einer demokratischen Verfassung sehr weit entfernt sind, mag das Beteiligungsmodell der vertikalen Demokratie ein Weg sein, die hierarchische Steuerungsform der Organisation mit der eigenen Zivilgesellschaft, den Gemeinschaften im Unternehmen zu verknüpfen. So könnte man den Reichtum des versteckten Wissens verfügbar machen und zugleich neue Zugänge zu Motivation und zur Durchwegung der Organisation finden. Auf diese Weise ließen sich die derzeit doch sehr ruhigen und reifen Unternehmen zu neuer Dynamik führen.

Managementmeetings: Ein Modell vertikaler Demokratie

Managementmeetings sind durch hierarchische Zugehörigkeiten bestimmt. Die Oberen treffen sich mit all ihren taktischen Beweggründen. Vorstände und Geschäftsführungen erzählen über die aktuelle Lage und über die Planung – das Ziel soll meistens sein: Wir gehen voller Enthusiasmus und mit einem gemeinsamen Fokus aus der Veranstaltung. Durch die Auswahl der Teilnehmer ist dieses soziale System nicht immer das lebendigste in einem Unternehmen – oft machen die Teilnehmer nur gute Miene zu einem Spiel, das sie doch eher recht skeptisch betrachten. Mit einem unserer Kunden können wir ein anderes Vorgehen realisieren – es entsteht ein Stück vertikale Demokratie in Unternehmen. Die Botschaften der Vorstände, Stäbe und Assistenten werden zunächst mit Gruppen besprochen und diskutiert, die quer durch das Unternehmen ausgewählt sind – sie reflektieren die Planung kritisch und bringen die Themen ein, die in den Communities der Organisation bedeutsam sind. Sie formulieren auch selbst Themen, die unter der Leitung von Vertretern dieser Gruppe in dem späteren Managementmeeting Raum bekommen. Erst nach diesem Prozess werden die Inhalte und Diskussionsthemen des Managementtreffens festgelegt – so finden nicht nur die Befindlichkeiten, Gedanken und Absichten der oberen Führungsebenen statt, sondern das Treffen ist gefüllt mit dem Wissen, den Emotionen und den Themen der gesamten Organisation.

5 Durchwegung und soziale Medien

Die technisch ausgereiften Plattformen für unternehmensinterne soziale Medien eröffnen dem Modell der Durchwegung neue und in der Reichweite noch nicht annährend ausgeschöpfte Möglichkeiten. Über die sozialen Plattformen gebildete Communities gruppieren sich um Themen, Problemstellungen und Projekte. Sie haben reduzierte kulturelle Barrieren und eine globale Reichweite. Sie vernetzen jenseits der formalen, strukturellen und hierarchischen Organisationsform. Mit einem solchen lebendigen Netzwerk werden Wege zum verteilten Wissen einer Organisation geöffnet. Das Modell „start up“ als eine sich um eine Idee gruppierende soziale Gruppe mit hoher Leidenschaft und einem Denken jenseits der etablierten Regeln wird in der Organisation selbst möglich. Neue Initiativen zum Neudenken von Organisation wie Enterprise 2.0 oder duale Organisation formalisieren das Modell und nutzen soziale Medien als die notwendige Voraussetzung für ein vielschichtig vernetztes Arbeiten. Soziale Medien öffnen die Architektur und lassen Trampelpfade, kleine Plätze inmitten der offiziell möblierten Stadt (Organisation) entstehen. Wie in der Architektur erobern die Bewohner so ihre Stadt zurück, gestalten sie. Soziale Medien öffnen den Freiraum, in dem Mitarbeiter das Unternehmen wieder zu ihrem Unternehmen machen, und schaffen so die Bedingung für die erhoffte Agilität. Die technisch so ausgerüstete Durchwegung verspricht den Zugang zum Wissen der Organisation, bietet die infrastrukturelle Bedingung für Innovation und schafft nicht zuletzt eine der wesentlichen Bedingungen für Motivation – das Erlebnis der Selbstwirksamkeit für viele Mitarbeiter.

Trotz dieser nun deutlich verbesserten Bedingungen für das Konzept Durchwegung bleiben die Ergebnisse noch hinter den Erwartungen und Versprechen zurück. Dafür gibt es einige Gründe. Die Dynamik sozialer Medien, ihre Fähigkeit, Meuten zu bilden, die sich in den berüchtigten „Shitstorms“ zeigen, erzeugen Ängste. Die ganze Idee der zentralen Steuerung einer Organisation, die Idee, die Organisation kontrollieren zu können, wird bezweifelt und es zeigt sich, dass die klassischen Kontrollformen des Managements versagen, wenn man eine lebendige, dynamische, agile Organisation haben will. Lebendigkeit ist nur umfassend möglich und man kann sie nicht an- und abschalten. Neben der derzeit noch geringen Fähigkeiten im Umgang mit sozialen Medien kämpfen Führungskräfte mit dem Problem des Kontrollverlustes und so mit dem Grundbild der Steuerung von Unternehmen. Ein wohl vornehmlich männlich gelerntes Modell der Steuerung wird noch häufig über die Beherrschung technischer Apparate gewonnen. Beispielhaft sei die schrittweise Beherrschung von Fahrzeugen genannt – vom Roller über Fahrrad, Motorroller, Automobil –, vermittelt wird die Beherrschung und Kontrolle der Maschinen, die über komplizierter werdende Cockpitcharts trivial gesteuert werden. Unternehmen haben dieses Modell lange Zeit über unterschiedliche Managementmethoden adaptiert. Die Büros hängen voller bunter Charts, die den Eindruck vermitteln, als wäre die Organisation eine triviale Maschine. Mit dem Konzept der Durchwegung, formalisiert in den neuen Organisationsideen und technisch über soziale Medien ermöglicht, wird sichtbarer, dass Unternehmen eher wie Gesellschaften zu steuern sind. Sie sind soziale, dynamische Gebilde, die mehr durch kontextuelle Aktionen bewegt und fokussiert werden als durch kontrollierte Steuerungseingriffe. Derzeit jedoch fehlen unseren Führungskräften die emotionalen und sozialen Fähigkeiten, sich als Beweger und richtunggebende Begleiter sozialer Prozesse zu verstehen. Da unsere Bildungssysteme dies auch nicht vermitteln, bleibt es eine Aufgabe der Unternehmen, in dieses Wissen und Können zu investieren und dies sehr schnell, wenn sie die Möglichkeiten einer durchwegten Organisation nutzen wollen.

Eine sozial vernetzte und so bewegte Organisation hat eine deutlich höhere Anpassungsgeschwindigkeit und erlaubt vielschichtigere und regional passendere Reaktionen. Globale Unternehmen sind heute transnational aufgestellt, sie handeln aber in einem multinationalen Kontext. Die Fähigkeit zur Adaption auf nicht gleichzeitige Veränderungen in den Märkten verlangt eine Intensivierung distributiver Steuerung oder distributiver Führung. Eine Organisation wird widersprüchlich. Die gewünschte agile, anpassungsfähige Organisation kann sich nur entwickeln, wenn zentrale Kontroll- und Steuerungsmechanismen reduziert werden. Dies kann dann geschehen, wenn mit dem Konzept der Durchwegung der Raum für Entscheidungen, die ortsangemessen sind, geöffnet wird und zugleich eine Plattform für die stete Diskussion der Balance von global und regional, gesamtstrategisch und lokalstrategisch geschaffen wird und Führung die Fähigkeit entwickelt, Bewegung, bottom-up, middle-up im eigenen Unternehmen zuzulassen. Die Chancen der digitalen Vernetzung werden wir nur heben, wenn wir zunächst die analogen Voraussetzungen in unserem Verhalten schaffen.