Zusammenfassung
Die Serie der Enthüllungen über das jahrelang unentdeckte Treiben eines „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) hat die Institution des behördlichen Verfassungsschutzes in der Öffentlichkeit in einem Umfang delegitimiert, wie dies in der an Skandalen keineswegs armen Geschichte der Inlandsnachrichtendienste kaum jemals zuvor geschehen ist. Da der behördliche Verfassungsschutz eine der Säulen des in den Länderverfassungen und im Grundgesetz von den Demokratiegründern nach 1945 verankerten Konzepts der „streitbaren Demokratie“ bildet, kann es nicht verwundern, dass Fundamentalkritiker auf den Plan treten und mit der Institution auch das Demokratieschutzkonzept in Frage stellen.
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Notes
- 1.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Backes et al. (2014, S. 13–28).
- 2.
So aber: Humanistische Union et al. (2013, S. 63).
- 3.
- 4.
Inzwischen wird die These vom „deutschen Sonderweg“ in der geschichtswissenschaftlichen Forschung kaum mehr vertreten.
- 5.
Vgl. zu Stampfers und Geyers Position auch: Behring (1999, S. 361 f.).
- 6.
- 7.
- 8.
Vgl. zur Rolle Menzels und der nordrhein-westfälischen Regierung Buschfort (2004, S. 47–52).
- 9.
- 10.
Siehe den Abdruck des Beschlusses bei Denninger (1977, S. 507 f.).
- 11.
Vgl. etwa die Würdigung bei Jaschke (1996, S. 329 f.).
- 12.
Neben dem Schäfer-Bericht und dem Bericht des Untersuchungsausschusses enthält die autobiographische Niederschrift des ehemaligen thüringischen Verfassungsschutzpräsidenten dazu viele wichtige Informationen, auch wenn der Verfasser Roewer (2012) in mancherlei Hinsicht weit über das Ziel hinausschießt.
- 13.
- 14.
- 15.
- 16.
Vgl. zu den bereits eingeleiteten Reformmaßnahmen: Bundesamt für Verfassungsschutz (2013).
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Backes, U. (2016). „Sonderweg“ Verfassungsschutz? Kritik der Fundamentalkritik an der behördlichen Säule „streitbarer Demokratie“. In: Lange, HJ., Lanfer, J. (eds) Verfassungsschutz. Studien zur Inneren Sicherheit, vol 21. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09617-5_3
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