Zusammenfassung
Es geht in diesem Beitrag um ein Umgehen, mithin um einen Umgang, ausgehend davon, wie Begriffsbildungen rezenter politischer Theorien und einsichtsaffine Bildprägungen des neueren Horrorkinos ineinander sind; wie sie bei ihrem Räsonnement ineinander Resonanz finden.
Ausgangspunkt ist mein FWF-Forschungsprojekt 2012-2015 zur politischen Theorie des gegenwärtigen Horrorfilms. “Des gegenwärtigen Horrorfilms” – der Genetiv ist possessiv wie auch objektiv gemeint (ganz im Sinn eines being possessed by objects), d.h., die Theorie hat im Horrorfilm ihren Gegenstand und ihr Gegenüber, sie reflektiert, bricht, verwirft oder schärft sich an Bildern von Filmen, die die Funktion von Kino als Einsichtsschauplatz, site of insight, im zugespitzten Sinn zur Geltung bringen. Dies insbesondere, wenn
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a)
viele Artikulationen gegenwärtiger Politik (auch in ihren Polizei-Zuständen, nicht nur in begrifflicher oder ästhetizistischer Reinheit) zurecht als Formungen von Schreckensempfindungen theoretisiert werden – vom Umgang von/mit Feindbildern in Migrations- und Sicherheitsregimes übers Prekaritätsmanagement bis zu apokalyptizistischen Anrufungen der Wahrheits- und Offenbarungseffekte reinigender Umsturzgewalten –, und wenn
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b)
die Theorie an ihren Arten, etwas (z.B. die Welt) denken und wahrnehmen zu lassen, das Moment regelrechter Inszenierung zunehmend hervorkehrt.
Soll heißen, es geht um An-, Nach- und Gleichklänge von theoretischen und horrorfilmischen Inszenierungen von Unheimlichkeit, Schrecken, Monstrosität im irreduzibel politisierten Sozialen. Konkret: Es geht um Affinitäten von Politiktheorie und Horrorfilm heute auf dem Gebiet der Geschichts- und Zeitlogik, der überzählig-exzessiven Objektivierung von Sozietät und des Gespenstischen, das um- und angeht. Noch konkreter: Angesprochen und angespielt werden Denkbilder von Anna Powell, Jacques Ranciére, Heide Schlüpmann, Giorgio Agamben, Oliver Marchart, Alain Badiou und Jacques Derrida (letzterer in gespenstischer Affinität zu einschlägig filmgenretheoretischen Denkmotiven bei Rick Altman und Steve Neale) – über die Filme “Wolf Man” (2010), “Society” (1990), “Scream 4” (2011) und “Paranormal Activity 2” (2010).
Die Arbeit an der Vortrags- und der Buchfassung dieses Texts erfolgte im Rahmen meines vom FWF – Austrian Science Fund geförderten Projekts P 24474-G21 Political Theory of Contemporary European Horror Film.
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- 1.
Hierin ist ein Motiv des bei Schlüpmann häufig durchklingende Siegfried Kracauer paraphrasiert, nämlich die Rede von Film als „art with a difference“ und analog dazu von Geschichte als „science with a difference“.
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„Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.“ So lautet der erste Satz der Negativen Dialektik (1966, S. 15).
- 3.
Bei Williams ist der Horror in dieser Hinsicht spezifiziert als die am Körper durchgreifende Objektivierung von Leuten, die sich als leiblich-geistige Subjekte empfinden, zugespitzt in Form von Identifizierung qua sexueller Differenzierung, die notwendig als zur Unzeit erfolgend erfahren wird, eben im Empfinden eines „Nein! Nicht jetzt!“.
- 4.
Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob wir oder ob ich diesen Antrag annehme(n), ob also der agambenistische Diskurs der Ausnahme und Entblößung in Sachen Politik tatsächlich soviel an Sinn abwirft.
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Siehe dazu auch den Aufsatz von Ivo Ritzer zu Badious Philosophie in diesem Band.
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Literatur
Adorno, Theodor W. 1969. Negative Dialektik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
Agamben, Giorgio. 2002. Homo Sacer: Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Altman, Rick. 1999. Film/Genre. London: BFI
Badiou, Alain. 2007. Dritter Entwurf eines Manifests für den Affirmationismus. Berlin: Merve
Badiou, Alain. 2011. Die kommunistische Hypothese. Berlin: Merve
Badiou, Alain. 2013. Cinema. Cambridge: Polity
Derrida, Jacques. 1995. Marx’ Gespenster: Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Frankfurt a. M.: Fischer.
Foucault, Michel. 1974. Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kappelhoff, Hermann. 2004. Matrix der Gefühle: Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit. Berlin: Vorwerk 8.
Kappelhoff, Hermann. 2005. Shell shocked face: Einige Überlegungen zur rituellen Funktion des US-amerikanischen Kriegsfilms. Nach dem Film 7. http://www.nachdemfilm.de/no7/cur01dts.html. Zugegriffen: 01. Aug. 2013.
Kracauer, Siegfried. 1969. History: The last things before the last. Princeton: Princeton University Press.
Marchart, Oliver. 2013. Das unmögliche Objekt: Eine postfundamentalistische Theorie der Gesellschaft. Berlin: Suhrkamp.
Michelson, Annette. 1969. Bodies in space: Film as carnal knowledge. Artforum 8 (6): 54–63.
Nancy, Jean-Luc. 1994. Das gemeinsame Erscheinen: Von der Existenz des „Kommunismus“ zur Gemeinschaftlichkeit der „Existenz“. In Gemeinschaften: Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Hrsg. Joseph Vogl, 167–204. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Nancy, Jean-Luc. 2000. Der Eindringlig/L’intrus: Das fremde Herz. Berlin: Merve.
Neale, Stephen. 1980. Genre. London: BFI.
Powell, Anna. 2005. Deleuze and Horror Film. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Rancière, Jacques. 2008. Ist Kunst widerständig? Berlin: Merve
Robnik, Drehli. 2008. Zur Unterbrechung: Politische Aspekte von Leben im Bruch der Ethik in Heide Schlüpmanns Kinotheorie. In Unerhörte Erfahrung: Texte zum Kino: Festschrift für Heide Schlüpmann, Hrsg. Doris Kern und Sabine Nessel, 71–96. Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Schlüpmann, Heide. 2002. Öffentliche Intimität: Die Theorie im Kino. Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Schlüpmann, Heide. 2007. Ungeheure Einbildungskraft: Die dunkle Moralität des Kinos. Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Sobchack, Vivian. 1995. Beating the meat/surviving the text, or how to get out of this century alive. In Cyberspace/Cyberbodies/Cyberpunk: cultures of technological embodiment, Hrsg. Mike Featherstone und Roger Burrows, 205–214. London: Thousand Oaks.
Tedjasukmana, Chris. 2013. Die Erfahrung verlorener Möglichkeiten: Kracauer, Benjamin und die queere Geschichtsschreibung des Kinos. In Film als Loch in der Wand: Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer, Hrsg. Drehli Robnik et al., 183–201. Wien: Turia + Kant.
Williams, Linda. 1995. Film bodies: Gender, genre, and excess. In Film Genre Reader II, Hrsg. Barry Keith Grant, 140–158. Austin: University of Texas Press.
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Robnik, D. (2016). Es geht um… Das heutige Ineinander einsichtiger Einbildungen der politischen Theorie und des Horrorfilms. In: Ritzer, I., Schulze, P. (eds) Transmediale Genre-Passagen. Neue Perspektiven der Medienästhetik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09426-3_3
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