4.1 Einleitung

Die Vergleichbarkeitsanalyse ist ein zentraler Teil jeder Verrechnungspreisanalyse, denn in jeder Verrechnungspreisanalyse wird die Fremdüblichkeit eines konzerninternen Verrechnungspreises durch einen Vergleich mit Markttransaktionen geprüft. Für einen Vergleich sind die relevanten Vergleichskriterien zu definieren und dann auf die entsprechende Transaktion anzuwenden. Eine Vergleichbarkeitsanalyse erfolgt im Wesentlichen durch die Betrachtung der

  1. 1.

    Eigenschaften der Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen,

  2. 2.

    Vertragsbedingungen,

  3. 3.

    Wirtschaftlichen Verhältnisse,

  4. 4.

    Geschäftsstrategien,

  5. 5.

    Funktionen, Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter der Transaktionspartner.

Die Analyse der Funktionen, der Risiken und der eingesetzten Wirtschaftsgüter stellt die Funktions- und Risikoanalyse (im Folgenden F&R Analyse) dar. Sie steht im Mittelpunkt dieses Kapitels, weil die Funktionen und Risiken der Transaktionspartner bzw. deren Eigentum an immateriellen Wirtschaftsgütern (IWG) die Natur der Transaktion selbst, die Ergebnisverteilung im Rahmen einer Transaktion und damit den Verrechnungspreis bestimmen.Footnote 1

Neben der Identifikation von vergleichbaren Transaktionen bestimmt die F&R Analyse auch die Auswahl der Verrechnungspreismethoden, mit denen die Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen untersucht wird. So beschränken die deutschen VWGV (VWGV Tz. 3.4.10.3b) die Anwendung der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode auf Unternehmen, die lediglich Routinefunktionen ausüben, geringe Risiken tragen und keine immateriellen Wirtschaftsgüter besitzen. Demgegenüber kommt die Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split) u. a. dann zur Anwendung, wenn beide Transaktionspartner über wertvolle und einzigartige IWG verfügen (OECD-RL Tz. 2.109). Weitere Informationen über den Zusammenhang zwischen der Wahl der Verrechnungspreismethode und dem Funktions- und Risikoprofil der Transaktionspartner finden sich in Kap. 4.5 sowie in Kap. 5.

Angesichts der überragenden Bedeutung der F&R Analyse für die Verprobung der Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen fordern nahezu alle einschlägigen Verrechnungspreisvorschriften eine ausführliche Dokumentation der Funktionen und Risiken der Transaktionspartner sowie der Verteilung der IWG zwischen ihnen.Footnote 2

Das vorliegende Kapitel gibt eine kurze Einführung in die ökonomischen Grundlagen der F&R Analyse (Kap. 4.3) und stellt dann schwerpunktmäßig wesentliche Schritte der Erstellung einer F&R Analyse dar. Anschließend werden typische Verteilungen von Funktionen, Risiken und IWG für in der Praxis häufig vorkommende Funktionen (Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb) vorgestellt. Diese standardisierten Funktions- und Risikoprofile können in der Praxis als Ausgangspunkt für die Erstellung einer konkreten und spezifischen F&R Analyse dienen und den Erstellungsaufwand für eine Verrechnungspreisdokumentation vermindern. Abschließend werden Einzelthemen diskutiert, die in der Praxis bei der Erstellung einer F&R Analyse von Bedeutung sind. Hierzu zählen unter anderem die Fragen, in welchem Ausmaß bei der Erstellung einer F&R Analyse einzelne Transaktionen aggregiert werden können, und inwieweit neben der Erstellung einer F&R Analyse noch zusätzlich eine gesonderte Wertschöpfungsanalyse erforderlich ist, um den deutschen Dokumentationsvorschriften zu genügen.

Zuvor wird jedoch ein kurzer Überblick über die vier weiteren Gegenstände der Vergleichbarkeitsanalyse gegeben. Dies ist zum einen erforderlich, weil eine F&R Analyse nicht isoliert von der Analyse weiterer Vergleichskriterien erfolgen kann (OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.73). So bestimmt zum Beispiel die Eigenschaft des relevanten Marktes die zu untersuchenden Risiken. Zum anderen soll verdeutlicht werden, dass selbst eine identische Funktions- und Risikoverteilung von zwei Geschäftsvorfällen nicht zwangsläufig einen identischen Verrechnungspreis impliziert, wenn den Geschäftsvorfällen eine unterschiedliche Geschäftsstrategie zugrunde liegt.

4.2 Überblick Vergleichbarkeitsanalyse

Der folgende Überblick über die Vergleichbarkeitsanalyse beschränkt sich aus mehreren Gründen auf die Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Geschäftsstrategien, d. h. die Eigenschaften der Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen bzw. vertraglichen Grundlagen sind nicht Gegenstand dieses Kapitels. Erstens besitzt im Rahmen der Transaktionsbezogenen Nettomargenmethode, also im Rahmen der in der Praxis verbreitetsten Methode, die Vergleichbarkeit der Produkte nur einen relativ untergeordneten Stellenwert. Wichtiger sind bei ihrer Anwendung vor allem die ausgeübten Funktionen bzw. übernommenen Risiken der Transaktionspartner (vgl. Kap. 5.2.5.2). Zweitens stellt die Untersuchung der vertraglichen Grundlagen eines Geschäftsvorfalls bereits einen Teil der F&R Analyse dar, denn im Regelfall bestimmen die vertraglichen Grundlagen eines Geschäftsvorfalls wesentlich die Verteilung der Funktionen und insbesondere Risiken zwischen den Transaktionspartnern. Von daher wird hinsichtlich der Ausführungen zu den vertraglichen Grundlagen sowie den Eigenschaften der Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen auf die einschlägige Literatur verwiesen.Footnote 3 Sollten, drittens, vertraglichen Grundlagen nicht in Übereinstimmung insbesondere mit den Funktionen der Vertragspartner stehen, ist gemäß der neuen OECD-Richtlinien die Transaktion gemäß der Funktionsausübung der Vertragspartner zu charakterisieren, und nicht nach den vertraglich vereinbarten Bedingungen.Footnote 4

4.2.1 Wirtschaftliche Verhältnisse

Welche wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse zu untersuchen sind, ist weder in den deutschen Verrechnungspreisrichtlinien noch in den OECD-RL klar definiert. Allerdings zählen sowohl die OECD-RL (Tz. 1.55) als auch die deutschen VWGV (Tz. 3.4.11.4) beispielhaft Vergleichskriterien auf. Die Tab. 4.1 stellt diese Kriterien gegenüber.

Tab. 4.1 Relevante wirtschaftliche Verhältnisse

Tabelle 4.1 verdeutlicht, dass grundsätzlich eine Vielzahl von Vergleichskriterien im Rahmen einer Verrechnungspreisanalyse relevant sein kann. In der Praxis haben insbesondere i) der Einfluss konjunktureller Faktoren, ii) Unterschiede in lokalen Kosten für Arbeit und Kapital sowie iii) Handlungsoptionen der Transaktionspartner eine kritische Bedeutung.

Konjunkturelle Faktoren

Die Bedeutung von konjunkturellen Faktoren für die Vergleichbarkeitsanalyse wird in den OECD-RL an mehreren Stellen (Tz. 1.56, Tz. 3.77, Annex I zu Kap. II) unterstrichen und wurde auch in der Praxis insbesondere vor dem Hintergrund der weltweiten Rezession ab 2008 diskutiert. Hierbei wurde unterstellt, dass eine Vergleichbarkeit von Verrechnungspreisen und auch Gewinnmargen nur dann vorliegt, wenn die zu verprobende Transaktion und die Vergleichstransaktionen in der gleichen konjunkturellen Phase erfolgt sind.Footnote 5 Zur Verbesserung der Vergleichbarkeit können z. B. folgende Maßnahmen durchgeführt werden.

  • Verwendung von Finanzdaten aus ähnlichen Konjunkturphasen im Rahmen von Benchmarkstudien,

  • Bildung von Mehrjahresdurchschnitten

  • Verwendung von weniger konjunkturabhängigen Gewinnindikatoren, z. B. Bruttomargen.

Neben der Vergleichbarkeit der jeweiligen Konjunkturphase kann weiterhin im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse untersucht werden, ob das Ausmaß der konjunkturellen Abhängigkeit zwischen den Vergleichstransaktionen und der zu prüfenden Transaktionen vergleichbar ist. Sollte dies nicht der Fall sein, kann dies eine fehlende Vergleichbarkeit des Risikoprofils nach sich ziehen. So geht eine umfangreiche Lagerhaltung in einer stark zyklischen Industrie (z. B. Halbleiterindustrie) mit einem hohen Lagerhaltungsrisiko einher, während ein vergleichbares Lager in einer weniger volatilen Industrie (z. B. Medizintechnik) ein deutlich geringeres Lagerhaltungsrisiko nach sich zieht.

Unterschiede zwischen lokalen Kosten für Arbeit und Kapital

Die Frage, inwieweit sich lokale Unterschiede in den Kosten für Arbeit und Kapital in unterschiedlichen Verrechnungspreisen niederschlagen sollten, besitzt besonders vor dem Hintergrund der zunehmenden Verlagerung von Produktionstätigkeit in Niedriglohnländer eine große praktische Bedeutung. Denn die Anwendung einer rein kostenbasierten Entlohnung des Produzenten in einem Niedriglohnland mit einem Standardgewinnaufschlag führt dazu, dass der Standortvorteil niedriger Lohnkosten allein dem Auftraggeber zugutekommt.

Inwieweit diese Auffassung sachgerecht ist, ist umstritten. Während die deutsche Finanzverwaltung davon ausgeht, dass die Standortvorteile im Wesentlichen dem Prinzipal zufließen, findet sich in der Literatur und RechtsprechungFootnote 6 durchaus die Auffassung, dass Standortvorteile zumindest zum Teil dem Lohnfertiger zuzuordnen sind. Die OECD-RL hingegen verweisen grundsätzlich auf die Verhandlungsstärke der Transaktionspartner für die Verteilung der Standortvorteile.Footnote 7 Zur Lösung der Frage, wem Standortvorteile zuzuordnen sind, empfehlen die OECD-RL, nach Möglichkeit lokale Vergleichsunternehmen zu verwenden.Footnote 8 In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Qualität der Vergleichsunternehmen in Ländern mit niedrigen Lohnkosten (d. h. Schwellenländern) zum Teil beschränkt ist. Auch wenn lokale Vergleichsunternehmen verfügbar sind, sollte in der Praxis daher dem Aspekt der Verhandlungsstärkte Beachtung geschenkt werden.

Handlungsalternativen

In der Praxis besitzt die Diskussion der Handlungsalternativen von Transaktionspartnern eine wichtige Rolle, wenn empirische Fremddaten nicht ­verfügbar sind. Dies gilt z. B. für die Übertragung von komplexen immateriellen Wirtschaftsgütern oder dem Transfer von Unternehmensfunktionen (Funktionsverlagerungen), für die nur in Ausnahmefällen Marktdaten zur Verfügung stehen. Bei ­vollständigem ­Fehlen von eingeschränkt vergleichbaren Fremdpreisen ist gemäß § 1 Abs. 3 AStG der ­hypothetische Fremdvergleich anzuwenden (siehe hierzu Kap. 5.3.2), bei dem die ­simu-
lierte Zahlungsbereitschaft des Käufers bzw. die Mindestpreisforderung des Verkäufers von deren Handlungsalternative abhängt. So bestimmt sich beispielsweise die maximale Zahlungsbereitschaft des Käufers nicht allein aus dessen zukünftigen Gewinnen, die er aus der Nutzung eines immateriellen Wirtschaftsgut erzielt, sondern auch aus den Kosten, das entsprechende Wirtschaftsgut selbst zu entwickeln bzw. von anderen Anbietern zu beziehen.Footnote 9 Bei einer hohen Anzahl von Anbietern ist eher davon auszugehen, dass die Gewinnerwartungen des Käufers eine untergeordnete Rolle spielen, weil er tendenziell in der Lage ist, Anbieter gegeneinander auszuspielen. Der ausführlichen Analyse von Handlungsalternativen kann unter Umständen im Rahmen der Bewertung von immateriellen Wirtschaftsgütern und im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs eine zentrale Bedeutung zukommen.

4.2.2 Geschäftsstrategien

Der Einfluss von Geschäftsstrategien auf die Vergleichbarkeit von Transaktionen ist in der Praxis vor allem im Zusammenhang mit der Erschließung von neuen Märkten, der Erweiterung von bestehenden Märkten und der Markterhaltung relevant. Zentraler Diskussionspunkt ist in diesen Fällen die Frage, ob die Kosten dieser Strategien über niedrige Lieferpreise des Herstellers an die Vertriebsgesellschaft vom Hersteller oder allein von der die Vertriebsgesellschaft oder vom Herstellung und der Vertriebsgesellschaft zu tragen sind.

Die deutschen Verrechnungspreisrichtlinien (VWG 1983 Tz. 3.4) ordnen die Kosten der Markterschließung nur ausnahmsweise der Vertriebsgesellschaft zu, d. h. sie lassen zwar grundsätzlich zu, dass Markterschließungskosten von der Vertriebsgesellschaft getragen werden. Dennoch gehen sie davon aus, dass der Hersteller über niedrige Verrechnungspreise die Kosten der Markterschließung übernimmt. Die Kosten der Markterweiterung und der Markterhaltung werden eindeutig dem Hersteller zugeordnet.

Demgegenüber weisen die OECD-RL eine größere Flexibilität auf. Sie behandeln die drei Strategien gleichberechtigt und betonen ausdrücklich, dass die Kosten der Markterschließung entweder vollständig oder allein von einem Vertreiber getragen werden können (OECD-RL Tz. 1.62, OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.115). In dieser Hinsicht steht die deutsche Rechtsprechung der OECD-Auffassung nahe, weil nach ihr ein verbundener Vertreiber durchaus über mehrere Jahre Anlaufverluste realisieren kann, ohne den Fremdvergleichsgrundsatz zu verletzen (BFH 17.02.1993, I II 1993, 457.) Sie differiert dagegen in Bezug auf die Dauer der durch den Vertreiber hinzunehmenden Verluste. Während gemäß BFH (BFH 17.02.1993) üblicherweise maximal drei Jahre zu akzeptieren sind, lassen die Ausführungen der OECD auf einen längeren Verlustzeitraum schließen (OECD-RL Tz. 1.70, OECD-RL Tz 1.129).

Insgesamt besteht daher ein Konsens über die hohe Bedeutung der Analyse von Geschäftsstrategien im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse. Unterschiede bestehen demgegenüber in der Auffassung, in welcher Form und in welchem Zeitraum sich Geschäftsstrategien in Verrechnungspreisen niederschlagen.

Angesichts der möglicherweise zentralen Bedeutung von Geschäftsstrategien empfiehlt es sich in jedem Fall, frühzeitig die relevante Geschäftsstrategie zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere in Bezug auf den Inhalt der Strategie, deren Aussicht auf Erfolg (insbesondere Gewinnprognosen) sowie die Identifikation der Strategieentwicklung, -entscheidung und Kontrolle. Folgendes aus der Praxis stammende Beispiel verdeutlicht dies.

Beispiel 4.1

Die Tochtergesellschaft (TG) einer US-Konzernmutter vertreibt Unterhaltungselektronik in Deutschland, die sie von der US-Mutter kauft und an deutsche Großhändler weiterverkauft. Die physische Warenlieferung erfolgt direkt von der US-Mutter zum Großhändler. Da TG nur dann von der US-Mutter Waren einkauft, wenn eine Bestellung der Großhändler erfolgt ist, unterhält TG kein Lager und trägt kein Lagerrisiko. TG erzielt eine niedrige Gewinnmarge.

TG entschließt sich, ab 2006 direkt an Einzelhändler zu liefern und errichtet ein eigenes Lager, um kurzfristige Lieferengpässe zu vermeiden. Aufgrund unerwartet niedriger Nachfrage nach ihren Produkten muss TG erhebliche Abschreibungen auf ihren Lagerbestand vornehmen und erwirtschaftet hohe Verluste. Im Rahmen einer Betriebsprüfung in 2012 greift die BP die Verrechnungspreise zwischen TG und der Mutter auf und unterstellt, dass die Entscheidung zur Umstellung des Vertriebsmodells von der US-Mutter getroffen worden ist. Die BP argumentiert, dass deshalb die US-Mutter die Verluste zu tragen hat.

Aufgrund von Planrechnungen, Sitzungsprotokollen und Emails kann belegt werden, dass die neue Geschäftsstrategie von TG entwickelt wurde und ursprünglich Erfolg versprechend war. Die BP nimmt nach ausführlicher Sachverhaltsdarstellung von der Korrektur Abstand.

4.3 Ökonomische Aspekte der F&R-Analyse

Wenngleich in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur der Zusammenhang zwischen der Ausübung einzelner Funktionen von Unternehmen und deren Gewinnen empirisch umstritten ist, gehen sowohl die deutschen als auch die OECD-RL von einem klar positiven Zusammenhang zwischen den ausgeübten Funktionen und zumindest der im Vorhinein erwarteten Rendite eines Unternehmens aus (VWG 1983 3.4.10.2a, OECD-RL. Tz. 1.42). Unternehmen, die lediglich Routinefunktionen ausüben, nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzen und nur geringe Risiken tragen, sollen demnach keinen Verlust erwirtschaften, sondern geringe und stabile Gewinne erzielen (VWG 1983 3.4.10.2a). Konsequenterweise betonen daher die deutschen VWG 1983 (Tz. 2.1.3) auch, dass funktionenlosen Unternehmen kein Gewinn aus einer Transaktion zuzuordnen ist. Analoges gilt für den Einsatz von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (OECD-RL Tz. 1.44).

Ein eindeutiger positiver Zusammenhang wird auch zwischen dem Gewinn eines Unternehmens und dessen Risikoübernahme im Rahmen einer Transaktion unterstellt (OECD-RL Tz. 1.45, OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.56, Tz. 1.100). Als theoretisches Fundament kann diesbezüglich z. B. auf die Kapitalmarkttheorie verwiesen werden, gemäß derer zumindest langfristig und im Durchschnitt am Markt eine höhere Risikoübernahme mit einer höheren Rendite entgolten werden sollte.

Wenngleich der ökonomische Zusammenhang zwischen Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern auf der einen Seite und der Gewinnerwartung auf der anderen zunächst plausibel erscheint, ergeben sich in der Verrechnungspreispraxis z. T. grundsätzliche Anwendungsprobleme. Drei von diesen Problemen seien im Folgenden kurz umrissen.

Was ist Risiko und welches Risiko geht mit höheren Erträgen einher?

In der Praxis werden starke Schwankungen betriebswirtschaftlicher Größen im Zeitablauf häufig mit einem hohen Risiko gleichgesetzt. Aus ökonomischer und damit auch aus Verrechnungspreisperspektive greift diese Gleichsetzung jedoch aufgrund mehrerer Argumente zu kurz. Erstens implizieren Schwankungen per se kein Risiko, wenn die Schwankungen gut prognostizierbar sind. Starke saisonale Schwankungen stellen daher in der Praxis ein weitaus geringeres Risiko dar als unvorhersehbare konjunkturelle Schwankungen oder schwer zu prognostizierende Erfolgsaussichten von Forschungsprojekten. Die überarbeiteten OECD-Richtlinien (OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.77, 1.106) verwenden daher wiederholt den Begriff unerwartet bzw. unanticipated im Zusammenhang mit Risiko. Umgekehrt lässt sich, zweitens, aus fehlenden Schwankungen einer betriebswirtschaftlichen Größe, wie z. B. der Abschreibung auf Forderungen, nicht immer auf ein fehlendes Risiko schließen. Möglicherweise hat sich das Risiko in der Vergangenheit einfach nicht materialisiert. Drittens geht nicht mit der Übernahme jeglicher Art von Risiko eine erhöhte Gewinnerwartung einher. Risiken, die sich durch Diversifikation vermindern oder eliminieren lassen, begründen nicht ohne Weiteres eine erhöhte Gewinnerwartung. Praktische Beispiele hierfür sind versicherbare Risiken (z. B. Feuerschäden) oder Risiken, die durch Hedging eliminiert werden können (z. B. Wechselkursrisiken).Footnote 10 Demgegenüber sollte die Übernahme von Marktrisiko bzw. unternehmerischem Risiko durchaus mit erhöhten Gewinnerwartungen verbunden sein.

In Bezug auf die Frage, welche Risiken im Rahmen einer Verrechnungspreisanalyse relevant sind, bieten die neuen OECD-Richtlinien (OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.72) eine Hilfestellung. Neben einer beispielhaften Aufzählung von Risiken klassifizieren sie ökonomische Risiken in unternehmensexterne und –interne Risiken und bieten damit zumindest einen groben Rahmen, in dem verrechnungspreisrelevante Risiken analysiert werden können.

Wenn also im Rahmen einer F&R Analyse mit der Übernahme von Risiken ein höherer Gewinn begründet wird, muss daher genau dargelegt werden, worin das Risiko besteht und warum dessen Übernahme zu einem erhöhten Gewinnanspruch führt. Die neuen OECD Richtlinien (Tz. 1.72) weisen zu Recht darauf hin, dass eine oberflächliche Risikobeschreibung sich weder dazu eignet, den ökonomischen Kern einer Transaktion zu bestimmen (erste Stufe des Fremdvergleichs) noch einen fremdüblichen Preis für eine bestimmte Transaktion zu ermitteln (zweite Stufe des Fremdvergleichs).

Wie sind Synergiegewinne aufzuteilen?

Synergieeffekte treten durch das gemeinsame Zusammenwirken mehrerer Transaktionspartner auf und sind nicht unmittelbar einem einzelnen Transaktionspartner zuzuordnen. In der Praxis entstehen Synergieeffekte z. B. im Rahmen von Cash Pools, weil die Cash Pool Teilnehmer Liquidität bündeln. Hierdurch wird vermieden, dass Konzerngesellschaften mit einem Liquiditätsbedarf hohe Sollzinsen auf dem Kapitelmarkt bezahlen müssen, während andere Konzerngesellschaften mit einem Liquiditätsüberschuss niedrige Habenzinsen erwirtschaften. Darüber hinaus verbessert die Bündelung von Liquidität die Verhandlungsposition der Konzerngesellschaften gegenüber Banken. Ein weiteres Beispiel für Synergien ist die Bündelung von Nachfrage innerhalb von konzerninternen Einkaufsgesellschaften, durch die bessere Einkaufskonditionen für die Konzernunternehmen erzielt werden sollen. Synergien können auch ohne ein zielgerichtetes Zusammenwirken von Konzernunternehmen entstehen. Dies ist u. a. der Fall, wenn ein Konzernunternehmen auf dem Kapitalmarkt bessere Finanzierungskonditionen erhält, weil es Teil eines Konzerns ist, und ohne dass ein anderes Konzernunternehmen z. B. eine Bürgschaft übernimmt.

Gemäß der OECD ist der Gewinn aus Synergieeffekten, die ohne zielgerichtetes Handeln zustande kommen, grundsätzlich nicht entgeltpflichtig.Footnote 11 Synergieeffekte, die aus zielgerichtetem Handel entstehen, sollen auf die beteiligen Unternehmen gemäß ihres Beitrags zu den Synergien aufgeteilt werden. Beispielsweise sind Synergien, die aus 
der Bündelung des Einkaufs entstehen, in der Regel nicht von der Einkaufsgesellschaft 
zu vereinnahmen, sondern auf die Konzerngesellschaften gemäß ihrers Einkaufsvolu-
mens zu verteilen.Footnote 12 Ob die Einkaufsgesellschaft für ihre Einkaufsfunktion auf Grundlage des eingekauften Warenwerts oder ihrer eigenen Kosten zu entlohnen ist, hängt im Wesentlichen von deren Funktionen und Risiken ab.Footnote 13 Ähnliches gilt für die Aufteilung des Synergiegewinns zwischen dem Cash Pool Master und den übrigen Poolteilnehmern (vgl. Kap. 5.4.4.3). Allerdings stellt sich hier das Problem, dass es auf dem Markt kaum unabhängige Unternehmen gibt, die die Funktion und Risiken eines Cash Pool Masters übernehmen, und aus denen eine fremdübliche Entlohnung für den Cash Pool Master ­abgeleitet werden kann. Speziell im Fall von Cash Pools ist daher eine detaillierte F&R Analyse erforderlich, auf Basis derer der Anteil des auf den Cash Pool Master entfallenden Synergiegewinns abgeleitet werden kann.Footnote 14

Wie sind externe Effekte zu entlohnen?

Externe Effekte treten auf einem Markt auf, wenn sich das Handeln eines Unternehmens positiv oder negativ auf ein anderes Unternehmen auswirkt. In der Praxis finden sich ausgeprägte externe Effekte u. a. in der Werbung, wenn ein Unternehmen (Unternehmen A) das von ihm hergestellte Produkt bewirbt, und ein Hersteller eines vergleichbaren Produktes (Unternehmen B) von der Werbung profitiert, ohne dafür Unternehmen A zu entlohnen. Vergleichbare Effekte können zwischen verbundenen Unternehmen auftreten. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Fernsehwerbung in einem deutschen Sender durch eine Konzernvertriebsgesellschaft A nicht nur die Nachfrage nach einem Produkt in Deutschland erhöht, sondern auch in Österreich, weil dort der deutsche Sender empfangen wird. In diesem Fall würde auch die Konzernvertriebsgesellschaft B in Österreich von der Werbung profitieren. Wenngleich unzweifelhaft ein positiver Zusammenhang zwischen der Funktion der Konzernvertriebsgesellschaft A (Schalten von Werbung in einem deutschen Fernsehsender) und dem Ertrag der Konzernvertriebsgesellschaft B vorliegt, ist zu prüfen, ob die Verrechnung eines Entgelts fremdüblich wäre. Legt man das oben genannte Kriterium der Zielgerichtetheit zugrunde und erfolgt mit der deutschen Werbung keine zielgerichte Absatzsteigerung im österreichischen Markt, wäre die Verrechnung eines Entgelts gemäß OECD-Richtlinien unter Umständen abzulehnen.

4.4 Schritte der F&R Analyse

Schon vor Beginn der BEPS Initiative war ein grundlegender Wandel in der Durchführung einer F&R Analyse zu beobachten. Ursprünglich baute die F&R Analyse grundsätzlich auf den vertraglich vereinbarten Bedingungen auf, um dann anhand von Markttransaktionen mit vergleichbarer Funktions- und Risikoverteilung die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise verproben. Mit der Veröffentlichung des Kap. IX der OECD-RL zu Unternehmensrestrukturierungen im Jahr 2010 und insbesondere mit umfassenden Überarbeitung der OECD-Richtlinien um Rahmen der BEPS Initiative im Jahr 2015 sollen vertragliche Vereinbarungen nur noch als Ausgangspunkt der Analyse betrachtet werden und zunächst soll deren Fremdüblichkeit verprobt werden. Erst wenn die Fremdüblichkeit der vertraglichen Vereinbarungen festgestellt wurde, wird in einem zweiten Schritt ein fremdüblicher Preis bestimmt. Werden die vertraglichen Vereinbarungen als fremdunüblich qualifiziert, erfolgt eine Recharakterisierung in eine oder mehrere alternative Transaktionen, für die ein Fremdvergleichspreis zu bestimmen ist. Insofern findet ein doppelter Fremdvergleich statt .

Die im folgenden Kapitel dargestellten Schritte der F&R Analyse orientieren sich weitgehend an dem einfachen Fremdvergleich, bei dem keine Verprobung der Fremdüblichkeit der vertraglichen Vereinbarungen erfolgt. Die kursorische Behandlung des doppelten Fremdvergleichs an dieser Stelle hat mehrere Gründe. Erstens dürfte die Durchführung des doppelten Fremdvergleichs in der Praxis äußerst komplex sein, weil kaum zu entscheiden ist, welches Verhalten fremdüblich ist. Zum Beispiel zeichnen empirische Untersuchungen zur Preissetzung von Unternehmen ein sehr differenziertes Bild der Preissetzung, so dass es keinen einfachen Vergleichsmaßstab für die Preissetzung gibt.Footnote 15 Zweitens ist der doppelte Fremdvergleich nicht mit dem OECD-MA vereinbar, denn nach ihm ist eine Umqualifizierung nur bei Missbrauchsfällen zulässig. Und drittens soll auch weiterhin die Recharakterisierung einer Transaktion die Ausnahme darstellen, so dass es sich im Rahmen einer Einführung in die Verrechnungspreise anbietet, sich auf den Standardfall zu konzentrieren.

Um den Rechtsanwender für die durch den doppelten Fremdvergleich auftretende Fragestellung zu sensibilisieren stellt Kap. 4.4.4.2 das neue Prüfungsschema der OECD jedoch kurz vor. Darüberhinaus behandelt die typischen F&R Profile in Kap. 4.5 und der typische Fragebogen zur Erstellung einer F&R Analyse in Anhang B Aspekte, die für die Durchführung der ersten Stufe des Fremdvergleichs relevant sind.

4.4.1 Identifikation von relevanten Transaktionen

Die Bestimmung von fremdüblichen Verrechnungspreisen erfolgt grundsätzlich auf der Ebene einzelner Transaktionen, d. h. geschäftsvorfallbezogen (OECD-RL Tz. 1.42, § 2 GAufzV). Von daher besteht der erste Schritt einer F&R Analyse in der Identifikation der grenzüberschreitenden Transaktionen des Unternehmens, dessen Verrechnungspreise dokumentiert werden sollen, sowohl mit verbundenen Unternehmen als auch mit ausländischen Betriebsstätten bzw. mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus. Anschließend ist zu prüfen, ob möglicherweise vergleichbare Transaktionen des zu dokumentierenden Unternehmens mit fremden Dritten vorliegen, aus denen die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise mit verbundenen Unternehmen abgeleitet werden kann.

In diesem Zusammenhang sind im Rahmen der vorliegenden Einführung in Verrechnungspreisprobleme vor allem zwei Fragestellungen relevant. Erstens: Welche Arten von Transaktionen sind Gegenstand einer F&R Analyse Zweitens: Wie kann festgestellt werden, ob es sich um eine Transaktion mit einer nahe stehenden Person handelt? Beide Fragestellungen werden im Folgenden ausschließlich unter praktischen Gesichtspunkten der Erstellung einer F&R Analyse diskutiert. Die rechtlichen Grundlagen beider Fragen behandelt Kap. 2.

In Bezug auf möglicherweise vorliegende verrechnungspreisrelevante „Dealings“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen zwei Betriebsstätten ist grundsätzlich zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine ausländische Betriebsstätte vorliegt (vgl. Kap. 2.5). Diese einer Verrechnungspreis- und insbesondere F&R Analyse vorgelagerte Analyse der Begründung steuerlicher Betriebsstätten (im Sinne einer festen Geschäftseinrichtung oder eines ständigen Vertreters) wird aufgrund ihrer Komplexität im Rahmen der vorliegenden Einführung in der Verrechnungspreisproblematik nicht dargestellt.Footnote 16

4.4.1.1 Relevante Geschäftsbeziehung

In der Praxis dürfte die Identifikation der relevanten Geschäftsbeziehungen überwiegend unproblematisch sein. Dies gilt insbesondere für Geschäftsbeziehungen des operativen Geschäfts, für die Zahlungen zwischen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe erfolgt sind.

Umgekehrt gilt jedoch auch, dass in der Praxis die Identifikation von Geschäftsbeziehungen zwischen Nahestehenden sehr schwer fällt, wenn keine Zahlungen zwischen den Transaktionspartnern stattgefunden haben. Praxisrelevante Beispiele hierfür sind die unentgeltliche Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern wie Technologie oder Marken oder die unentgeltliche Gewährung von Bürgschaften für Darlehen .

Zweitens zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass Mitarbeiter der Steuerabteilung in großen Konzernen keinen vollständigen Überblick über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, wie z. B. die Restrukturierung eines Vertriebskanals, den Verkauf von überschüssigen Lagerbeständen, die Übernahme von Garantiekosten oder die kurzfristige Entsendung von Mitarbeitern, besitzen. Wenngleich für gesellschaftsvertragliche Transaktionen (z. B. Verschmelzungen, Umwandlungen und die Einbringung von Vermögen gegen GesellschaftsanteileFootnote 17 ) zwischen Nahestehenden keine F&R Analyse zu erstellen ist, ist in der Praxis zu beachten, dass in ihrem Kontext Transaktionen stattfinden können, für die eine F&R Analyse zu erstellen ist. Insofern bietet es sich an, im Rahmen der F&R Analyse auch diese Transaktionen auf ihre Verrechnungspreisrelevanz kurz zu überprüfen.

4.4.1.2 Nahestehende Person

Die in § 1 Abs. 2 AStG genannten Bedingungen, unter denen eine Person einem Steuerpflichtigen nahesteht, werden ausführlich in Kap. 2 vorgestellt. Für den Praktiker ergeben sich aus den dort aufgeführten Kriterien wichtige Schlussfolgerungen.

Handelt es sich um Kapitalgesellschaften , ist der Anteil am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft entscheidend. Auf die Höhe der Stimmrechte kommt es dagegen nicht an. Ebenso wenig sind andere Einflussfaktoren (z. B. Genussscheine und Anwartschaften) für die Berechnung der wesentlichen Beteiligung entscheidend.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass auch Transaktionen mit Joint Ventures, an denen ein Transaktionspartner mindestens unmittelbar oder mittelbar zu 25 % beteiligt ist, als Transaktionen mit einem verbundenen Unternehmen zählen, für die eine F&R Analyse erstellt werden muss. Der BFH erkennt zwar den Interessengegensatz von Joint Venture Partnern grundsätzlich anFootnote 18 , allerdings befreit dies nicht von den Dokumentationsverpflichtungen und damit von der Notwendigkeit der Erstellung einer Funktions- und Risikoanalyse .

Drittens ist für die Untersuchung der Verbundenheit der Transaktionspartner nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Beteiligung entscheidend. Gemäß der VWG 1983 Tz. 1.3.2.3 sind unmittelbare Beteiligungen durch Multiplikation der vermittelnden Beteiligungen zu berechnen. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies.

Beispiel 4.2

Die deutsche Kapitalgesellschaft A ist zu 75 % an der französischen Kapitalgesellschaft B beteiligt. B hält wiederum 50 % an der spanischen Kapitalgesellschaft C. Mittelbar ist A damit zu 37,5 % an C beteiligt (75 % × 50 %), so dass die spanische Kapitalgesellschaft C der deutschen Kapitalgesellschaft A nahesteht. Für Transaktionen zwischen A und C ist daher eine F&R Analyse zu erstellen. Würde B an C nur zu 25 % beteiligt sein, läge zumindest keine wesentliche Beteiligung vor.

Umstritten ist jedoch, i) wie eine Beteiligung zu bestimmen ist, wenn mittelbare und unmittelbare Beteiligung nebeneinander vorliegen, d. h. im obigen Beispiel A zusätzlich direkt an C beteiligt ist, und ii) wie das parallele Vorliegen mehrerer unmittelbarer Beteiligungen zu behandeln ist.Footnote 19 In solchen Fällen ist zumindest zu prüfen, ob die in der Literatur diskutierten Berechnungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Des Weiteren weist § 1 Abs. 2 AStG darauf hin, dass selbst bei fehlenden Beteiligungen zwischen den Transaktionspartnern unter Umständen davon ausgegangen werden kann, dass sich beide Transaktionspartner nahestehen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn kein Interessengegensatz zwischen den Transaktionspartnern besteht. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Transaktionspartnern kann auf einen fehlenden Interessengegensatz bzw. eine Interessenidentität hindeuten. Allerdings begründet ein Verwandtschaftsverhältnis für sich noch keine Interessenidentität.Footnote 20 Insbesondere im Fall von Familienunternehmen ist dieser Problematik ein besonderes Augenmerk zu widmen.

Nach der Identifikation der Transaktionen ist deren Gegenstand qualitativ und quantitativ zu beschreiben, d. h. deren Transaktionsvolumen getrennt nach Transaktion, Transaktionspartner und Wirtschaftszeitraum zu erfassen (vgl. jedoch in Bezug auf die Möglichkeit der Aggregation von Transaktionen Kap. 5.2.5.2).

4.4.1.3 Beispielhafte Transaktionen

Tabelle 4.2 gibt einen naturgemäß nicht vollumfänglichen Überblick über typische grenzüberschreitende Transaktionen im Rahmen eines Konzerns, die als Ausgangspunkt für eine systematische Identifikation der verrechnungspreisrelevanten Transaktionen dienen kann. Die Liste konzentriert sich dabei auf laufende Transaktionen. Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, insbesondere im Rahmen von Restrukturierungen, sind nicht in der Liste enthalten. Diese erfordern üblicherweise eine Einzelfallbetrachtung.

Tab. 4.2 Typische grenzüberschreitende Transaktionen

4.4.2 Identifikation von relevanten Funktionen und Risiken

Nachdem in einem ersten Schritt Transaktionen identifiziert und deren Inhalt nach Art und Umfang beschrieben wurde, für die i) eine F&R Analyse zu erstellen ist, und ii) die möglicherweise als Vergleichstransaktionen zur Verprobung der Verrechnungspreise in Frage kommen, sind in einem zweiten Schritt die relevanten Funktionen und Risiken der Transaktionspartner sowie die im Rahmen der Transaktion relevanten Wirtschaftsgüter zu bestimmen. Neben der Beschreibung des Status Quo ist es unter Umständen erforderlich oder hilfreich, Veränderungen von Funktionen und Risikoprofilen zu untersuchen und darzustellen. So fordert § 4 der GAufzV explizit, dass bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen die Veränderung der Funktions- und Risikoverteilung zeitnah dokumentiert wird. Unabhängig hiervon kann es im Rahmen der ökonomischen Analyse laufender Transaktionen aufschlussreich sein, zu untersuchen, ob in der Vergangenheit, d. h. vor Stattfinden der relevanten Transaktionen, eine andere Funktions- und Risikoverteilung zwischen den Transaktionspartnern realisiert wurde. Wurde zum Beispiel der Vertrieb eines Produktes auf einem Markt in der Vergangenheit durch einen unverbundenen Vertreiber ausgeführt und wurde dieser Vertrieb von einer verbundenen Vertriebsgesellschaft übernommen, können unter Umständen die historischen Verrechnungspreise mit dem unverbundenen Vertreiber zur Verprobung der konzerninternen Verrechnungspreise herangezogen werden.

Wie bereits in Kap. 4.1 erwähnt, zielt die F&R Analyse darauf ab, die wertschöpfenden Funktionen und Risiken zu bestimmen sowie eine Einordnung der Transaktionspartner in die Klassen Routineunternehmen und Strategieträger vorzunehmen. Gegenstand der F&R Analyse sind daher nicht sämtliche von den Transaktionspartnern durchgeführten Funktionen bzw. übernommenen Risiken . Die OECD-RL Tz. 1.43 (OECD RL neu Tz. 1.51) betonen daher ausdrücklich, dass die wichtigsten Funktionen („principal functions“) der Transaktionspartner dokumentiert werden müssen. Angesichts der starken Einzelfallabhängigkeit von Verrechnungspreisfragen ist es nachvollziehbar, dass sowohl die OECD-RL als auch die deutschen Verrechnungspreisregelungen keine abschließende Liste relevanter Funktionen und Risiken enthalten. Dennoch bieten insbesondere die in den deutschen VWGV Tz. 3.4.11.4 aufgelisteten Funktionen und zugehörigen Risiken in der Praxis einen ersten Ansatzpunkt, um wesentliche Funktionen und Risiken im Rahmen einer Transaktion zu identifizieren. Im Gegensatz zu den in den OECD-RL Tz. 1.43 bzw. Tz. 1.46 aufgeführten Funktionen und Risiken ist die Liste relativ umfangreich und beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich wie die vom EU Joint Transfer Pricing Forum veröffentlichte Liste zu unternehmensinternen Verwaltungsdienstleistungen. Die entsprechende Liste wird daher im Folgenden kurz vorgestellt und ergänzt. Anschließend wird dargelegt, wie aus der tabellarischen Auflistung der Funktionen wesentliche Funktionen identifiziert werden können. Abschließend behandelt Kap. 4.4.4.2 die Frage, wie immaterielle Wirtschaftsgüter den Transaktionspartnern zugeordnet werden können.

Die folgende Darstellung gliedert sich nach den Stufen der Wertschöpfung, angefangen von der Forschung und Entwicklung bis hin zum Vertrieb. Wenngleich im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation ein Überblick über alle Stufen der Wertschöpfung erforderlich ist, bietet sich doch an dieser Stelle dennoch eine nach Wertschöpfungsstufen gegliederte Darstellung an.Footnote 21 In der Praxis ist es zumeist zielführend, für eine bestimmte Transaktion bestimmte Funktionen und Risiken ausführlicher darzulegen als andere. So werden üblicherweise im Rahmen der F&R Analyse einer Vertriebstransaktion, d. h. des Verkaufs von Produkten an eine Vertriebsgesellschaft, die Vertriebsfunktionen detaillierter dargestellt als z. B. Forschungs- und Entwicklungsfunktionen, die häufig vollständig durch den Produzenten übernommen werden.

4.4.2.1 Typische Funktionen und Risiken

Wie Tab. 4.3 zeigt, ordnen die VWGV den vier Tätigkeiten Forschung und Entwicklung, Herstellung von Produkten, Vertrieb und Unternehmensverwaltung bestimmte Funktionen und Risiken zu

Tab. 4.3 Typische Funktionen und Risiken

Forschung und Entwicklung

Für die Analyse von Transaktionen, für die Forschung und Entwicklung von Bedeutung ist, unterscheiden die VWGV insbesondere zwischen den Funktionen Grundlagenforschung, Produktentwicklung und Produktdesign. Diese Differenzierung greift in der Praxis teilweise zu kurz, weil sie nicht explizit zwischen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten unterscheidet, die auf der einen Seite zur Entstehung von immateriellen Wirtschaftsgütern führt (z. B. Grundlagenforschung), und auf der anderen Seite zwischen Entwicklungstätigkeit, die nicht zu immateriellen Wirtschaftsgütern führt (beispielsweise Anpassung von Konstruktionszeichnung an spezielle Kundenwünsche, Anpassungsentwicklung). Diese Unterscheidung ist jedoch in der Praxis unter Umständen zentral, weil sich bei Durchführung reiner Anpassungsentwicklung die Frage nach der Zuordnung bzw. Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern in Form von ungeschütztem Know-how nicht stellt.

Wie bereits mehrfach dargestellt betont die OECD die besondere Bedeutung der Konzeptionierung, Priorisierung, Budgetierung und Kontrolle im Bereich Forschung und Entwicklung im Rahmen der ersten Stufe des doppelten Fremdvergleichs , (vgl. auch Kap. 4.4.4.2).Footnote 22 Diese Funktionen sollten in jedem Fall Teil der F&R sein.

Der folgende aus der Praxis stammende Fall verdeutlicht die besondere Bedeutung der Konzeptionierung.

Beispiel 4.3

Das japanische Unternehmen Nippon Inc. ist Teil eines deutschen Konzerns, dessen Mutter HH AG in Hamburg ansässig ist. Nippon Inc. entwickelt, produziert und vertreibt eigenständig Pumpen auf dem asiatischen Markt. HH AG entwickelt, produziert und vertreibt Pumpen auf dem europäischen Markt. Zentraler Wettbewerbsfaktor ist die hohe Leistungsfähigkeit der Pumpen.Im Rahmen einer Betriebsprüfung in Japan stellt sich heraus, dass Nippon Inc. die Technologie für eine Pumpe entwickelt hat, die HH AG produziert und auf dem europäischen Markt vertreibt. Die Pumpe ist auf dem europäischen Markt ein großer Erfolg. Ein Vertrag zwischen der Nippon Inc. und der HH AG hinsichtlich des Transfers der Pumpentechnologie ist nicht abgeschlossen worden, Nippon Inc. hat jedoch ein kostenbasiertes Entgelt für die Entwicklung der Technologie erhalten. Der japanische Betriebsprüfer argumentiert, dass die Nippon Inc. Anspruch auf eine fremdübliche Lizenz für die Nutzung der Pumpentechnologie durch die HH AG hat. Aufgrund des Markterfolgs der in Japan entwickelten Pumpe würde die Lizenzzahlung die Entwicklungskosten der Nippon Inc. um ein Vielfaches übersteigen.

Inwieweit die Argumentation der japanischen Betriebsprüfung sachgerecht ist, hängt unter anderem davon ab, ob die Nippon Inc. von der HH AG mit der Entwicklung der Pumpe beauftragt wurde, z. B. weil die HH AG lediglich zu geringe Entwicklungskapazitäten zur Verfügung hatte. In diesem Fall könnte argumentiert werden, dass die Nippon Inc. Entwicklungsdienstleistungen für die HH AG erbracht hat und die kostenbasierte Entlohnung der Nippon Inc. fremdüblich ist. Insofern ist im Rahmen der F&R Analyse zu untersuchen, ob die HH AG die Nippon Inc. mit der Entwicklung der Pumpe beauftragt und z. B. die HH AG die genaue Spezifikation der Pumpe vorgegeben hat. Weiterhin sollte untersucht werden, inwieweit die HH AG Entwicklungsbudgets vorgegeben und das Erreichen von Meilensteinen kontrolliert hat.

Produktion

Tabelle 4.3 führt allgemeine Funktionen und eine Vielzahl von Risiken auf, die in Bezug auf nahezu jede Produktionstätigkeit relevant sind und von den VWGV explizit genannt werden. Dennoch fehlen in der Liste wichtige Funktionen wie z. B. Kapazitätsplanung, Beschaffung von Vorprodukten, Qualitätskontrolle und Lagerhaltung. Für die genannten Funktionen werden zwar zum Teil die entsprechenden Risiken genannt, nicht aber die zugehörigen Funktionen. Insofern ist die Aufzählung der VWGV ergänzungsbedürftig.

Dennoch ist die Aufzählung bei der Analyse der Produktionsfunktionen ausgesprochen hilfreich, weil sie auf die Notwendigkeit hinweist, Produktionstätigkeiten danach zu unterschieden, ob es sich um die vollumfängliche Herstellung, um Montage oder Lohnfertigung handelt. Diese Differenzierung hat bedeutende Auswirkungen auf die Wahl der Kostenbasis, wenn die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise anhand der Kostenaufschlagmethode verprobt wird. Übernimmt der Hersteller in Bezug auf die von ihm verarbeiteten Rohmaterialien keine oder nur unwesentliche Risiken, sollte – wie bereits oben erwähnt – der Wert der Rohmaterialien nicht Bestandteil der Kostenbasis sein, die Grundlage für die Entlohnung des Herstellers ist. Im Vergleich zur Bestimmung des fremdüblichen Gewinnaufschlags ist die Diskussion um die Höhe der Kostenbasis in der Praxis häufig bedeutsamer. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies.

Beispiel 4.4

Die rumänische Tochtergesellschaft R einer deutschen Konzernmutter D stellt ausschließlich Schuhe für die Konzernmutter D her. Hierzu kauft R Leder und weitere Vorprodukte von D im Wert von 750 TEUR ein. D übernimmt die Beschaffung inklusive der Qualitätskontrolle der Vorprodukte von fremden Dritten und trägt auch das Risiko, falls sich die Vorprodukte trotz Qualitätskontrolle im Produktionsprozess nicht korrekt verarbeiten lassen. Neben den Kosten für Vorprodukte fallen für R weitere Kosten (insbesondere Lohnkosten) in Höhe von 250 TEUR an. Der Verrechnungspreis für die Vorprodukte wird anhand des Einkaufspreises von D zuzüglich eines geringen Aufschlags für die Kosten der Qualitätskontrolle bestimmt. Der Verkaufspreis der Schuhe von R an D wird mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. Kostenbasis sind Rs Vollkosten (1 Mio. EUR) zuzüglich eines fremdüblichen Gewinnaufschlags von 10 % auf die Vollkosten. Damit beträgt der Verrechnungspreis für die Schuhe 1,1 Mio. EUR und Rs Gewinn 100 TEUR.

Inwieweit der Verrechnungspreis für die Schuhe fremdüblich ist, hängt u. a. davon ab, ob R wesentlichen Funktionen und Risiken in Bezug auf die Vorprodukte ausübt bzw. trägt. Wird dies verneint, wäre es unter Umständen sachgerecht, den Gewinnaufschlag von 10 % nicht auf die Kosten für Vorprodukte anzuwenden. Konkret würde R damit einen fremdüblichen Gewinn von 25 TEUR (250 TEUR × 10 %) erzielen, und der Verrechnungspreis für die Schuhe würde 1,025 Mio. EUR betragen. D. h. dieser würde einem Wert entsprechen, der bei Bezug auf Rs Vollkosten der Anwendung einer Gewinnmarge von 2,5 % entspricht.

Trotz ihrer unbestrittenen Relevanz und theoretischen Eindeutigkeit erweist sich die Diskussion um die Einbeziehung oder Nicht-Einbeziehung von Vorprodukten in die Kostenbasis in der Praxis als schwierig. Fremdübliche Kostenaufschläge werden dort häufig aus Datenbankstudien ermittelt (vgl. Kap. 5.2.5.) Für die identifizierten Vergleichsunternehmen liegen jedoch gewöhnlich keine Informationen darüber vor, ob und in Bezug auf welche Kosten die Vergleichsunternehmen eine Wertschöpfung erbringen. Ein für ein Vergleichsunternehmen ermittelter Vollkostenaufschlag von 2,5 % kann also zum einen dahingehend interpretiert werden, dass das Vergleichsunternehmen keine Wertschöpfung in Bezug auf die Vorprodukte erbringt und ein Kostenaufschlag von 10 % auf die Wertschöpfung fremdüblich ist. Alternativ kann aber auch der Wert als Beleg verstanden werden, dass ein Kostenaufschlag von 2,5 % auf die Wertschöpfung fremdüblich ist.

Neben der Verteilung von Funktionen und Risiken sollen im Rahmen einer F&R Analyse relevante Merkmale des Produktionsprozesses beschrieben werden. Zu ihnen gehört z. B. die Komplexität des Prozesses. Zum Beispiel liegt in der chemischen Grundstoffindustrie der zentrale Wettbewerbsfaktor oft weniger in den Eigenschaften der hergestellten Produkte (bei ihnen handelt es sich häufig um Commodities), sondern in der Beherrschung eines möglichst kostengünstigen Herstellverfahrens. In diesem Fall sollte dies in der F&R Analyse herausgearbeitet werden, indem z. B. die Funktionen Beschaffung von Produktionsanlagen, Planung und Überwachung des Produktionsprozesses beschrieben werden.

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Produktionsprozesses ist dessen Kapitalintensität. Diese gibt zum einen Auskunft über das Ausmaß bestimmter Risiken. Eine hohe Kapitalintensität in Verbindung mit produktspezifischen Fertigungsanlagen impliziert ein relativ hohes Auslastungsrisiko. Zum anderen bestimmt die Kapitalintensität die Wahl des Gewinnindikators. Bei kapitalintensiver Herstellung bietet es sich unter Umständen an, die Fremdüblichkeit der Entlohnung anhand des Return on Investments zu verproben.

Je nach Unternehmen bzw. Transaktion sind unterschiedliche Risiken der Herstellung in der F&R Analyse darzustellen, deren Identifikation zumeist genaue Sachverhaltskenntnisse voraussetzt. Umweltrisiken können in der chemischen Industrie oder beim Abbau von Rohstoffen wie Salz oder Erdöl eine außerordentliche Bedeutung besitzen. In der pharmazeutischen Industrie kann darüber hinaus das Risiko bestehen, dass bestimmte Medikamente nicht mehr zugelassen werden, und dass sich Risiken unter Umständen mit erheblicher zeitlicher Verzögerung materialisieren. In jedem Fall verbietet sich die Annahme, dass aufgrund einer fehlenden Materialisierung des Risikos auf dessen Nichtvorhandensein geschlossen wird. Insgesamt ist die Risikoanalyse erheblich komplexer als die Funktionsanalyse, weil im Gegensatz zur Ausübung einer Funktion Risiko nicht unmittelbar beobachtet und nicht einem Transaktionspartner unmittelbar zugeordnet werden kann.

Verwaltung & Administration

Die VWGV nennen im Wesentlichen Funktionen, die innerhalb von Konzernen als Dienstleistung häufig zentral von einer Konzerngesellschaft erbracht werden und damit Gegenstand grenzüberschreitender Transaktionen sind. Die Zahl der genannten Funktionen ist recht knapp gehalten. Eine sehr umfangreiche Liste von häufig erbrachten Dienstleistungen hat das EU Joint Transfer Pricing Forum veröffentlicht und findet sich als Anhang A zu diesem Kapitel. Zudem enthält Kapitel VII der überarbeiten OECD Richtlinien eine Liste von konzeninternen Dienstleistungen, die typischerweise mit einer geringen Wertschöpfung verbunden sind. Fußnote: Vgl. 7.44ff OECD (2015) Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Action 8-10.

Die in den VWGV genannten Risiken weisen dagegen einen geringen Bezug zu den aufgeführten Funktionen auf.

In der Praxis stehen im Rahmen von zentralen Konzerndienstleistungen weniger die Funktionen und Risiken der Transaktionspartner bzw. die angemessene Gewinnmarge des Leistungserbringers im Mittelpunkt der Diskussion. Vielmehr stellen sich unter anderem die folgenden Fragen:

  1. 1.

    Sind die verrechneten Leistungen Gesellschafteraktivitäten , deren Kosten vom Anteilseigner getragen werden müssen?

  2. 2.

    Ist die verrechnete Kostenbasis fremdüblich?

  3. 3.

    Werden alle direkt verrechenbaren Leistungen direkt dem Leistungsempfänger zugerechnet?

  4. 4.

    Entspricht der Verteilungsschlüssel für indirekt verrechnete Kosten der Verteilung des Nutzens?

Eine für die Praxis sehr hilfreiche Abhandlung dieser und weiterer Fragen findet sich in der bereits oben zitierten frei verfügbaren Veröffentlichung des EU Joint Transfer Pricing Forums. An dieser Stelle wird daher nicht weiter auf diese Fragen eingegangen.

Vertrieb

Zum einen bedarf die Analyse von Vertriebstransaktionen angesichts der vielfältigen Vertriebsformen, die sich in ein Spektrum zwischen vollausgebildeten Vertriebsunternehmen und Repräsentanzbüros einordnen lassen, besonderer Aufmerksamkeit. Zum anderen bestimmt das Funktions- und Risikoprofil von Vertriebsgesellschaften auch deren Anspruch auf Entschädigung bei Beendigung der Vertragsbeziehung. Während Agenten und Vertragshändler einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 89b HGB haben, wenn dem Prinzipal nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Vorteile aus der Tätigkeit des Agenten bzw. Vertragshändlers erwachsen, greift dieser Ausgleichsanspruch nicht für freie Eigenhändler. Sie können ggf. einen Ausgleichsanspruch für die Übertragung des Kundenstamms geltend machen.

Insofern geben die VWGV wertvolle Hilfestellung für die Durchführung einer F&R Analyse für Vertriebstransaktionen, insbesondere indem sie auf die klassischen ­Vertriebsfunktionen (wie z. B. Lagerhaltung, Werbung, Verkauf und Kundendienst) und Vertriebsrisiken (Preisverfall, Lagerrisiko, Forderungsausfallsrisiko, Gewährleistungsrisiko) ­hinweisen, denn genau diese Risiken haben in der Praxis eine besondere Bedeutung. So wird im Rahmen von Betriebsprüfungen von Vertriebsgesellschaften immer wieder die Frage diskutiert, ob die Kosten von Abschreibungen auf den Lagerbestand oder Gewährleistungen vom Hersteller oder vom Vertreiber zu tragen sind.

Dennoch bedarf die Liste für die vollumfängliche Bestandsaufnahme an Funktionen und Risiken wesentlicher Ergänzungen, von denen im Folgenden drei ausführlicher vorgestellt werden.

So ist erstens im Rahmen der F&R Analyse von Vertriebstransaktionen zwischen verbundenen Unternehmen grundsätzlich zu prüfen, ob der Vertreiber das Eigentum an den vertriebenen Produkten erwirbt oder nicht. Letzteres ist z. B. der Fall, wenn die Vertriebsgesellschaft als Kommissionär oder Agent fungiert. Da normalerweise ohne den Eigentumserwerb auch keine Beschaffung oder Lagerhaltungsfunktion ausgeübt wird bzw. die damit verbundenen Risiken getragen werden, besitzt die Frage nach dem Eigentumserwerb bei der Analyse von Transaktionen, bei denen ein Transaktionspartner die Vertriebsfunktion übernimmt, eine zentrale Rolle.

Zweitens: Für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einem Eigenhändler um einen Vertragshändler oder um einen unabhängigen Eigenhändler handelt, sind unter anderem folgende Fragen ausschlaggebend.

  1. 1.

    Ist der Vertreiber vertraglich verpflichtet, dem Hersteller Kundendaten mitzuteilen?

  2. 2.

    Ist dem Vertreiber ein bestimmtes Vertriebsgebiet zugewiesen?

  3. 3.

    Besitzt der Vertreiber ein exklusives Vertriebsrecht?

  4. 4.

    Muss der Vertreiber seine Geschäftsräume nach den Wünschen des Herstellers gestalten?

Drittens: Für den Fall, dass der Vertreiber kein Eigentum an den vertriebenen Produkten erwirbt, weil er z. B. als Agent tätig ist, ist im Rahmen einer F&R Analyse darzustellen, inwieweit der Vertreiber eine Vertreterbetriebsstätte gemäß Art. 5 OECD-MA begründet, die wiederum die Steuerpflicht des Herstellers in dem entsprechenden Land auslöst. Wie bereits einführend angemerkt, ist die Begründung von Betriebsstätten nicht Gegenstand dieses Einführungstextes. Weiterführende Informationen zur Gründung einer Vertreterbetriebsstätte finden sich in Kap. 2.5.1.

Je nach Fragestellung können demnach unterschiedliche Funktionen und Risiken von Vertriebsgesellschaften ausschlaggebend sein. Dies unterstreicht noch einmal, dass die relevanten Funktionen und Risiken nicht nur vom jeweiligen Transaktionstyp abhängen, sondern auch von der zugrunde liegenden Fragestellung. Vor einer schematischen Anwendung der hier vorgestellten Funktions- und Risikoprofile in der Praxis wird deshalb an dieser Stelle ausdrücklich abgeraten.

4.4.3 Bewertung von Funktionen und Risiken

Weil nicht jede Funktion bzw. jedes Risiko in gleichem Maße und schon gar nicht in ­jedem Markt eine zusätzliche Entlohnung nach sich zieht, erschöpft sich die ­Funktions- und Risikoanalyse nicht in der Erfassung der ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken . Vielmehr enthält sie auch eine Beurteilung ihrer relativen Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg. Insofern ist auch nicht die Anzahl der übernommenen Funktionen für die Entlohnung eines Transaktionspartners von Bedeutung, sondern deren Häufigkeit und deren Erfolgsbeitrag (OECD-RL Tz. 1.43, OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.53).

Weder in den OECD-RL noch in den VWGV finden sich allerdings ausführliche Ausführungen dazu, wie die Bedeutung von Funktionen und Risiken genauer bestimmt werden kann. Die VWGV Tz. 3.4.10.2a beschränken sich auf den Hinweis, dass konzerninterne Dienstleistungen, die ohne Weiteres am Markt auch bei Dritten in Auftrag gegeben werden könnten, oder einfache Vertriebsfunktionen keine für den Geschäftserfolg wesentliche Funktionen darstellen. Diese Funktionen werden in den VWGV als Routinefunktionen klassifiziert. Umgekehrt lässt sich aus VWGV Tz. 3.4.10.2b ableiten, dass Funktionen die entscheidend zum Geschäftserfolg beitragen, wesentlich sind (Entrepreneur-Funktionen ).

Schreiber hat auf Basis der VWGV eine Liste von Routine- und Entrepreneur-Funktionen erstellt, die in Tab. 4.4 wiedergegeben wird.Footnote 23

Tab. 4.4 Routine- und Entrepreneur-Funktionen

Diese Einteilung kann jedoch nur eine grobe Richtschnur sein.Footnote 24 So sind bestimmte Entwicklungstätigkeiten (z. B. Anwendungsentwicklung, Anpassung an Kundenwünsche) durchaus in bestimmten Fällen als Routinetätigkeit zu klassifizieren. Für die Praxis ist daher die Identifikation von Kriterien, die auf eine wesentliche Bedeutung einer Funktion bzw. eines Risikos hindeuten, hilfreicher. Hierzu kommen u. a. neben den in den VWGV genannten Kriterien in Frage:

  • Stellenwert der Funktion im Rahmen der Geschäftsstrategie der Gruppe

  • Quantitative Ausprägung der Funktion (z. B. Ausmaß der Kosten, die im Zusammenhang mit der Funktion anfallen, Höhe des Risikos gemessen an Rückstellungen in Verbindung mit Ausübung der Funktion)

  • Höhe der Entlohnung der mit der Funktion betrauten Mitarbeiter

  • Hierarchieebene der mit der Entscheidung über die Ausübung der Funktion betrauten Mitarbeiter

  • Häufigkeit der Funktionsausübung

Je stärker bzw. höher einer der aufgeführten Anhaltspunkte ausgeprägt ist, desto eher liegt ein Indiz für eine hohe Bedeutung der entsprechenden Funktion bzw. des Risikos vor.

Grundsätzlich bleibt jedoch festzuhalten, dass sich die Entrepreneur-Funktion weniger an der Durchführung einzelner Funktionen festmachen lässt. Entscheidend ist vielmehr das Kriterium, wer die Entscheidung über die praktische Durchführung und Kontrolle von zentralen Funktionen (z. B. Forschung und Entwicklung, Marketing, Produktion) und Risiken fällt. Genau dieses Kriterium hat daher auch im Zuge der Überarbeitung der OECD-Richtlinien erheblich an Bedeutung gewonnen.Footnote 25

Die Frage, inwieweit die F&R Analyse noch durch eine zusätzliche Wertschöpfungsanalyse ergänzt werden muss, die die Bedeutung einzelner Funktionen und Risiken quantitativ gewichtet, ist für die Praxis überaus relevant. Zwar fordert § 4. Nr. 3b GAufzV die Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags für verrechnungspreisrelevante Geschäftsvorfälle, allerdings stellen die VWGV Tz. 3.4.11.5 auch fest, dass der Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen häufig bereits aus der F&R Analyse sowie der dazugehörigen Angemessenheitsdokumentation ersichtlich ist. Insofern ist keine zusätzliche Wertschöpfungsanalyse erforderlich, wenn sich der Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Funktionen bereits aus der F&R Analyse ergibt. Zu beachten ist jedoch, dass gemäß der neuen OECD-Richtlininien eine illustrative Wortschöpfungsanalyse Bestandteil des Masterfiles sein muss.

Unstrittig dürfte sein, dass eine zusätzliche quantitative Wertschöpfungsanalyse für die Anwendung eines Profit Splits erforderlich ist, um fremdübliche Gewinnaufteilungsschlüssel zu bestimmen. Denn dieser sollte sich nach dem Wertschöpfungsbeitrag der Transaktionspartner bemessen (vgl. Kap. 5.2.6). Demgegenüber ist die Notwendigkeit einer zusätzlichen quantitativen Wertschöpfungsanalyse bei der einseitigen Verprobung des Gewinns eines Transaktionspartners, z. B. im Rahmen der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode (TNMM), entsprechend der GAufzV umstritten.Footnote 26 Einerseits ist zwar für die grundsätzliche Entscheidung, ob eine einseitige Verprobungsmethode überhaupt anwendbar ist, eine Gewichtung der Funktionen und Risiken der Transaktionspartner erforderlich. Anderseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass für eine derartige Grundsatzentscheidung in der Regel eine qualitative Untersuchung im Rahmen einer F&R Analyse genügt. Darüber hinaus erfolgt bei der Anwendung der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode eine Quantifizierung des Wertschöpfungsbeitrags der Funktionen eines Transaktionspartners unmittelbar durch die Bestimmung seiner fremdüblichen Entlohnung. Der Wertschöpfungsbeitrag der Funktionen des zweiten Transaktionspartners ergibt sich dann als Residualgröße.

Unabhängig davon ist eine belastbare quantitative Wertschöpfungsanalyse mit erheblichen praktischen Problemen verbunden. Dies zeigen schon die auch von den OECD-RL Tz. 2.114 sowie die im aktuellen Entwurf der OECD zur Anwendung des Profit SplitsFootnote 27 beschriebenen Anwendungsschwierigkeiten des Profit Splits, wie z. B. die Probleme der Datenbeschaffung innerhalb eines Konzerns, die grundsätzliche Verfügbarkeit hinreichend disaggregierter Finanzdaten und die Schwierigkeit der Finanzverwaltung, die entsprechenden Daten zu prüfen. Diese Schwierigkeiten sind bei der quantitativen Darstellung der vollständigen Wertschöpfungskette über verschiedene Konzerngesellschaften erheblich schwieriger zu lösen als im Rahmen eines bilateralen Profit Splits. Insofern besteht in der Praxis die Gefahr einer sehr aufwendigen, aber doch letztendlich wenig aussagekräftigen quantitativen Wertschöpfungsanalyse.

4.4.4 Identifikation und Zuordnung von Wirtschaftsgütern

Wie einleitend bereits ausgeführt, ist die Identifikation und Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu den Transaktionspartnern ein wichtiger Teil der F&R Analyse. In der Praxis stellt vor allem die Identifikation von immateriellen Wirtschaftsgütern ein schwieriges Problem dar, weil immaterielle Wirtschaftsgüter von Natur aus schwerer zu identifizieren sind als materielle Wirtschaftsgüter. Zum einen, weil sie nicht physisch greifbar sind, zum anderen, weil ihr Ausweis in der Bilanz aufgrund einschlägiger Rechnungslegungsvorschriften häufig unterbleibt.

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich daher ausschließlich mit der Identifikation und Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern.

Die Frage, inwieweit Goodwill bzw. Geschäftschancen ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellen, die z. B. im Rahmen einer Funktionsverlagerung zu entgelten sind, ist nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen.Footnote 28

4.4.4.1 Identifikation von immateriellen Wirtschaftsgütern

Die Identifikation von immateriellen Wirtschaftsgütern (IWG), die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehung mit nahestehenden Personen von Interesse sind, setzt eine konsistente und allgemein akzeptierte Definition von IWG voraus. Eine derartige Definition bieten weder die deutschen Verrechnungspreisregeln noch die ­aktuellen OECD-RL. Wie im Folgenden dargestellt, bietet Kap. VI des OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10. zwar eine Definition von immateriellen Wirtschaftsgütern, diese Definition ist allerdings recht abstrakt gehalten und gewinnt ihre Praxisrelevanz durch die Negativabgrenzung von IWG.

Kapitel VI der OECD-RL sowie die VWG Tz. 5.1 bis 5.3 beschränken sich auf eine Aufzählung von IWG. Die OECD-RL (Tz. 6.16) klassifizieren gewerbliche immaterielle Wirtschaftsgüter (Commercial Intangibles) in die beiden Kategorien immaterielle Marketingwerte (Marketing Intangibles) und betriebliche immaterielle Werte (Trade Intangibles). Hintergrund dieser Klassifizierung ist die gedankliche Zuordnung von betrieblichen IWG zum Produktionsprozess und von immateriellen Marketingwerten zum Vertriebsprozess.Tabelle 4.5 illustriert diese Kategorisierung.

Tab. 4.5 Klassifikation immaterieller Wirtschaftsgüter

Für die Identifikation von IWG im Rahmen einer F&R Analyse lassen sich aus der Tabelle wichtige Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens verdeutlicht sie, dass im Rahmen einer F&R Analyse nicht nur rechtlich geschützte IWG wie Patente oder Markennamen relevant sind. Vielmehr umfassen die im Rahmen einer F&R Analyse relevanten IWG auch Know-how, das nicht patentrechtlich geschützt und sehr weit definiert ist. Laut Tz. 6.20 der OECD-RL kann Know-how geheime Verfahren, oder Formeln oder sonstige geheime Informationen über gewerbliche, kaufmännische oder wissenschaftliche Erfahrungen umfassen, die nicht rechtlich geschützt sind.

Zweitens gibt die Tabelle einen konkreten Hinweis zur Identifikation von IWG, indem sie auf die Kosten der Erstellung hinweist. Dieser Hinweis ist im Allgemeinen zielführend, aber in wichtigen Ausnahmefällen führt eine Beschränkung auf die Erstellungskosten zu Fehlschlüssen. Dies ist zum einen der Fall, wenn die Entstehung von IWG mit keinen oder sehr geringen Kosten verbunden ist. Beispiele hierfür sind die Zuteilung von staatlichen Konzessionen oder die Entstehung von wertvollem Know-how aufgrund von Zufällen oder Lerneffekten. Zum anderen führt nicht jede Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bzw. Marketingaktivität zu IWG Tz. 6.11. Tz. 6.7. der OECD Richtlinen 2010 werden als weitere Beispiele fehlgeschlagene. F&E-Tätigkeiten sow Marketingaktivitäten, die nur für einen kurzen Zeitraum ein Auswirkung haben, genannt. die Anwendungsentwicklung genannt, weitere Beispiele sind fehlgeschlagene Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sowie Marketingaktivitäten, die nur für einen kurzen Zeitraum eine Auswirkung haben (OECD-RL Tz. 6.7).

Drittens lässt sich anhand der Nennung einer Kundenliste als immaterieller Marketingwert die Notwendigkeit einer genauen Charakterisierung möglicher IWG veranschaulichen. Eine Kundenliste, die lediglich die Namen der Abnehmer enthält, die zudem mit geringer Wahrscheinlichkeit erneut als Kunden in Frage kommen (z. B. Laufkundschaft) dürfte schwierig als relevantes IWG zu klassifizieren sein. Handelt es sich dagegen um eine Liste, die neben dem Namen des Kunden Informationen zum Ordervolumen, der Kreditwürdigkeit und dem Einkaufsverhalten von Stammkunden enthält, kann die Kundenliste durchaus einen immateriellen Marketingwert darstellen.

Das OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10. Papier definiert IWG als etwas werthaltiges, das kein materielles oder rein finanzielles Wirtschaftsgut ist, und das für kommerzielle Zwecke als Eigentum betrachtet und kontrolliert werden kann, und für das Dritte bereit wären, eine Vergütung zu leisten.Footnote 29 Lokale Standortvorteile, Synergien und das Vorhandensein eine Gruppe erfahrener Mitarbeiter werden explizit nicht als IWG begriffen, die einen gesonderten Anspruch auf Ertrag begründen. Ihr Einfluss auf die Entlohnung eines Transaktionspartners soll jedoch im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse berücksichtigt werden (vgl. Kap. 4.2.1). Fraglich ist jedoch, ob diese Position von den Schwellenländern in der Praxis akzeptiert wird. Insbesondere die BRIC Staaten sehen in ihren spezifischen lokalen Marktbedingungen IWG, die den lokalen Unternehmen zugeordnet werden und entsprechend entgolten werden müssen.Footnote 30 Um das Risiko eines Konflikts in einer Betriebsprüfung zu vermindern, sollte der Analyse von Standortvorteilen daher besonderes Augenmerk geschenkt werden. Eine Möglichkeit ist die Verwendung lokaler Benchmarkingstudien, mit denen lokalen Marktbedingungen verstärkt Rechnung getragen wird.

Die genaue Charakterisierung eines möglichen IWG ist nicht nur erforderlich, um zu prüfen, ob gegebenenfalls ein IWG dem Grunde nach vorliegt. Vielmehr ist sie auch im Rahmen einer F&R Analyse erforderlich, um mögliche Vergleichstransaktionen zu identifizieren. Denn nur, wenn die unverbundenen Transaktionspartner vergleichbare Funktionen und Risiken ausüben und vergleichbare IWG einsetzen, kann die Transaktion zur Verprobung von Verrechnungspreisen herangezogen werden. Damit stellt sich die Frage, in Bezug auf welche Faktoren eine Vergleichbarkeit vorliegen sollte.

Wiederum lässt sich auch hier kein allgemeingültiger Kriterienkatalog ableiten. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich Verrechnungspreismethoden darin unterscheiden, welchen Grad an Vergleichbarkeit die verwendeten Vergleichtransaktionen aufweisen müssen (vgl. Kap. 5). Dennoch dürften die von den Von der OECD aufgeführten wertbeeinflussenden Faktoren in der Praxis einen ersten Anhaltspunkt für einen Kriterienkatalog darstellen.Footnote 31 Unter anderem werden von den OECD-RL folgende, siehe Tab. 4.6, wertbestimmende Faktoren und damit Vergleichskriterien genannt.Footnote 32

Tab. 4.6 Wertbeeinflussende Faktoren von Lizenzen und Patenten

Eine Beschreibung weiterer relevanter Charakteristika von IWG findet sich in Roeder 2004.

4.4.4.2 Zuordnung des Ertrags von immateriellen Wirtschaftsgütern

Im Gegensatz zu materiellen Wirtschaftsgütern , bei denen rechtliches Eigentum und wirtschaftliche Nutzung regelmäßig zusammenfallen, besteht bei IWG eine derartige Übereinstimmung nicht in der gleichen Form. Im Zuge der Überarbeitung des Kap. VI der OECD-RL hat die OECD sich deshalb ausgiebig mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Bedingungen der rechtliche Eigentümer eines IWG auch Anspruch auf dessen Ertrag hat. Insgesamt stellt die OECD noch weiter als bisher das Thema der wirtschaftlichen Substanz und insbesondere die Durchführung bzw. die Kontrolle von entscheidenden Funktionen und Risiken in den Vordergrund. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, welches Konzernunternehmen

  • die F&E, die zum in Frage stehenden IWG geführt hat, konzeptioniert

  • die F&E priorisiert und kontrolliert

  • die F&E Budgets festlegt.Footnote 33

Demgegenüber wird die Bedeutung des rechtlichen Eigentums relativiert, da ihm nur eine erste Indizwirkung für die Zuordnung von Erträgen aus IWG zugesprochen wird. Liegt eine Diskrepanz zwischen den vertraglich vereinbarten Bedingungen und dem wirtschaftlichen Gehalt der Transaktion vor, erfolgt ggf. eine Umqualifizierung.

Konkret ist gemäß OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10. (Tz. 6.34) das in Abb. 4.1 dargestellte Prüfschema bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen für IWG anzuwenden. Dabei gleicht das Prüfschema den in den überarbeiteten Richtlinien zur Zuordnung von Risiken.Footnote 34

Abb. 4.1
figure 1

OECD-Prüfschema zur Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise für IWG

Das folgende Beispiel illustriert dessen Anwendung.

Beispiel 4.5

Die Muttergesellschaft MG eines Konzerns stellt elektronische Messgeräte her und ist rechtlicher Eigentümer der relevanten technischen Patente. MG hat mit einem verbundenen ausländischen Forschungszentrum FZ einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen, nach dem FZ die anfallenden Forschungskosten an MG mit einem Gewinnaufschlag von 10 % verrechnet. FZ besitzt weitgehende Autonomie in der Bestimmung der Forschungsziele, legt im Wesentlichen die Forschungsbudgets fest und bestimmt die Reihenfolge, mit der Forschungsprojekte durchgeführt werden. MG besitzt keine personellen Ressourcen, um die Forschungstätigkeit von FZ zu kontrollieren. MG beschränkt sich auf die Registrierung der Patente , deren kommerzielle Nutzung und die Finanzierung der Forschung.

Für die Herstellung elektronischer Messgeräte sind technische Patente notwendig (Schritt 1). Unstrittig ist MG der rechtliche Eigentümer der Patente, die aus FZs Forschung hervorgehen (Schritt 2). MGs Funktion in Bezug auf die Forschung und Entwicklung beschränkt sich allerdings auf deren Finanzierung (Schritt 3), so dass die vertraglich vereinbarte Dienstleistungsbeziehung zwischen MG und FZ in Frage gestellt werden könnte (Schritt 4). So besteht das Risiko, dass im vorliegenden Beispiel seitens der Betriebsprüfung der FZ durch die lokale Finanzverwaltung alternativ zwei Transaktionen angenommen werden: Die Finanzierung der Forschung und die Lizenzierung der Forschungsergebnisse durch FZ an die MG (Schritt 5). Letztendlich würde die lokale Finanzverwaltung dann einen fremdüblichen Zins- bzw. Lizenzsatz bestimmen (Schritt 6).

In der Praxis dürfte die Anwendung des oben skizzierten Schemas auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten stoßen. Zu ihnen dürfte zum einen die Operationalisierung des Begriffs „Kontrolle“ zählen. Zwar geben die überarbeiteten OECD-RL in Bezug auf die Kontrolle von Risiko einige nützliche Hinweise zur Beantwortung der Frage, was unter Kontrolle von Risiko zu verstehen ist, Footnote 35 vergleichbar umfangreiche Ausführungen zur Frage der Kontrolle von Funktionen fehlen jedoch. Zum anderen dürfte sich in der Praxis die Kontrollfunktion auf mehrere Personen, die in unterschiedlichen Konzernunternehmen beschäftigt sind, verteilen. Wiederum werden die hieraus resultierenden Konsequenzen seitens der OECD in Bezug auf die Kontrolle von Risiko zumindest angerissen,Footnote 36 während vergleichbare Ausführungen zur Kontrolle von Funktionen fehlen.

Insgesamt ist festzuhalten, dass im Rahmen des Transfers von IWG zunehmend die Frage der wirtschaftlichen Substanz sowie deren Dokumentation in den Fokus rückt. Um dem Risiko einer willkürlichen Umqualifizierung von Geschäftsvorfällen durch die Finanzverwaltung vorzubeugen, sollte der Dokumentation der Konzeptionierung, der Priorisierung, Budgetierung und Kontrolle von F&E besondere Beachtung geschenkt werden. Dies gilt sowohl im Zusammenhang mit immateriellen Marketingwerten als auch mit betrieblichen immateriellen Werten.

4.5 Typische Funktions- und Risikoprofile

Die folgenden Ausführungen stellen typisierende Funktions - und Risikoprofile vor, die in der Praxis häufig anzutreffen sind. Dabei wird zum einen nach den Tätigkeitsbereichen i) Forschung und Entwicklung, ii) Produktion , iii) Vertrieb und iv) Unternehmensverwaltungen unterschieden. Für die Erbringung zentraler Verwaltungsleistungen wird jedoch kein detailliertes typisierendes Funktions- und Risikoprofil vorgestellt, weil hierzu der Gegenstand der zentralen Verwaltungsleistungen zu heterogen ist und das Funktions- und Risikoprofil bei zentralen Unternehmensdienstleistungen nicht der Kernstreitpunkt im Rahmen von Betriebsprüfungen ist (vgl. Kap. 6 Betriebsprüfungsfälle).

In einem nächsten Schritt wird dann die gerade in Deutschland wichtige Unterscheidung zwischen einem Routineunternehmen und dem Strategieträger vorgestellt, weil sie unmittelbare Konsequenzen für die Anwendbarkeit von bestimmten Verrechnungspreismethoden hat.

4.5.1 Funktions- und Risikoprofile nach Tätigkeitsbereichen

4.5.1.1 Forschung und Entwicklung

Die Forschung und Entwicklung in einem Konzern kann im Wesentlichen in drei Grundformen erfolgen:

  1. 1.

    Die einzelnen Konzerngesellschaften führen die Forschung und Entwicklung autonom auf eigenes Risiko und eigene Rechnung aus und lizenzieren/veräußern Forschungsergebnisse an Konzerngesellschaften

  2. 2.

    Ein oder mehrere Unternehmen agieren als Auftragsforscher

  3. 3.

    Zwei oder mehrere Konzerngesellschaften führen gemeinsam Forschung im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungspools durch.

Selbstverständlich sind auch hybride Formen in der Praxis anzutreffen. So kann z. B. eine Konzerngesellschaft als Auftragsforscher für einen Forschungs- und Entwicklungspool Leistungen erbringen. Aufgrund des Einführungscharakters dieses Buchs werden jedoch nur die Grundformen der Auftragsforschung und des Forschungs- und Entwicklungspools behandelt .

Auf die Darstellung eines Funktions- und Risikoprofils einer Lizenztransaktion wird verzichtet, weil in der Regel alle relevanten Forschungsaktivitäten vom Lizenzgeber durchgeführt werden und das rechtliche Eigentum an den Forschungsergebnissen beim Lizenzgeber verbleibt. Dem Lizenznehmer wird durch den Lizenzgeber zumeist ein zeitlich und räumlich eingeschränktes Nutzungsrecht gewährt. Auch verbleibt ein Großteil des Forschungsrisikos beim Lizenzgeber, weil erstens Lizenzen in der Regel nur für das Ergebnis erfolgreich abgeschlossener Forschungsprojekte gezahlt werden. Zweitens sind Lizenzzahlungen zumeist an den Umsatz des Lizenznehmers geknüpft. Selbst für erfolgreich abgeschlossene Forschungsprojekte ist daher nicht garantiert, dass der Lizenzgeber durch die Lizenzeinnahmen seine Kosten decken kann.

Die neuen OECD-Richtlinien (OECD (2015), Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10 Tz. 1.48) unterstreichen jedoch anhand eines Beispiels, dass auch in bestimmten Fällen der F&R Analyse bei Lizenztransaktionen eine zentrale Bedeutung zukommen kann. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der Lizenznehmer über ein sehr schwach ausgeprägtes F&R Profil verfügt und wesentliche Funktionen vom Lizenzgeber durchgeführt werden. In diesem Fall droht eine Recharakterisierung der Lizenztransaktion in der ersten Stufe des doppelten Fremdvergleichs .

Auftragsforschung

Auftragsforschung wird im Rahmen der OECD-RL Kap. VII Tz. 7.41 als typisches Beispiel für eine Konzerndienstleistung abgehandelt. Ihr Gegenstand kann sowohl Anwendungs- als auch Grundlagenforschung sein. Auch hinsichtlich der Funktionen des Auftragsforschers bzw. des Auftraggebers gestattet Kap. VII der aktuellen OECD-RL einen weiten Spielraum. So kann der Auftraggeber dem Auftragsforscher einen detaillierten Forschungsplan vorgeben oder sich auf die Spezifikation einzelner Forschungsfelder beschränken. Eindeutig sind dagegen die Vorgaben hinsichtlich der Risikoverteilung und der Zuordnung des Eigentums der aus der Forschung hervorgehenden IWG: Der Auftragsforscher ist weitgehend vom Risiko einer erfolglosen Forschung bzw. erfolglosen Vermarktung befreit (meist durch Erstattung der tatsächlich anfallenden Kosten plus Gewinnaufschlag) und das Eigentum der IWG wird klar dem Auftraggeber zugeordnet.

Hinweise auf die Charakterisierung einer Transaktion als Auftragsforschung gibt unter Umständen auch die Bilanzierung der Forschungsergebnisse beim Auftraggeber. Deren Bilanzierung als selbst erstelltes IWG deutet darauf hin, dass es sich bei der relevanten Transaktion um Auftragsforschung handelt.

Die folgende Tab. 4.7 gibt eine typische Funktions- und Risikoverteilung für diesen Transaktionstyp wieder.

Tab. 4.7 F&R Profil Auftragsforschung

Wie bereits oben aufgeführt stellen neuere Entwicklungen auf Ebene der OECD die in Kap. VII enthaltene Flexibilität hinsichtlich der Verteilung von Funktionen und Risiken mehr und mehr in Frage. In der Praxis empfiehlt es sich daher, insbesondere auf Entscheidungs- und Kontrollaspekte im Rahmen einer F&R Analyse einzugehen.

Forschungs- und Entwicklungspools

Sowohl deutsche Verrechnungspreisregeln (vgl. VWG Umlageverträge) als auch die OECD-RL Kap. VIII behandeln ausführlich den Fall, dass sich mehrere verbundene Unternehmen die Kosten und Risiken der Erstellung eines immateriellen Wirtschaftsguts oder der Erbringung einer Leistung teilen.Footnote 37 Die Kosten werden durch einen nutzenorientierten Schlüssel auf die Poolmitglieder verteilt. Eine Verrechnung von Gewinnaufschlägen erfolgt nicht. Grundsätzlich kann ein Pool daher eine Vielzahl von Leistungskategorien umfassen, am häufigsten ist er jedoch im Bereich der Forschung und Entwicklung anzutreffen, so dass er an dieser Stelle vorgestellt wird.

Die deutschen VWG Umlageverträge enthalten eine Reihe von Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Pool steuerlich anerkannt wird. Da sich diese Bedingungen zum Teil auf die Funktionen der Poolmitglieder beziehen, werden sie hier kurz diskutiert.Footnote 38

Zunächst ist im Rahmen einer F&R Analyse eines Pools zu überprüfen, ob die Poolmitglieder ein gleichgerichtetes Interesse an der Nutzung der Pool-Leistungen haben.Footnote 39 Dies dürfte in der Regel der Fall sein, wenn sich z. B. Produktionsgesellschaften zu einem Forschungs- und Entwicklungs-Pool zusammenschließen. Allerdings schließen die VWG Umlageverträge Tz. 1.2 Patentverwertungsgesellschaften explizit von der Teilnahme an einem Pool aus.

Darüber hinaus ist zu prüfen, ob sich der Gegenstand des Pools wie von den VWG Umlageverträge Tz. 1.1 gefordert auf eine Hilfsfunktion der Poolmitglieder erstreckt. Andernfalls wird der Pool aus Verrechnungspreissicht nicht anerkannt. Damit stellt sich die Frage, welche Merkmale Hilfstätigkeiten aufweisen. Der eigentliche Gegenstand der Pool-Tätigkeit kann dabei nicht ausschlaggebend sein, Forschungs- und Entwicklungstätigkeit kann in einem Fall die Haupttätigkeit von Unternehmen sein (reine Forschungsgesellschaften) oder auch Hilfstätigkeit (Produzenten) . Von daher bietet es sich an, im Rahmen einer F&R Analyse die Bedeutung der im Rahmen des Pools durchgeführten Funktion z. B. anhand der mit ihr anfallenden Kosten im Vergleich zu den gesamten bei den jeweiligen Poolteilnehmern anfallenden Kosten zu vergleichen. Eine grobe Quantifizierung sollte hierfür ausreichend sein.

Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass gemäß den deutschen VWG Umlageverträge im Rahmen eines Pools die eigentliche Leistungserbringung (Funktionsausübung) auch von einem Pool-Mitglied erbracht werden kann, während sich die anderen Mitglieder allein über Zahlungen an dem Pool beteiligen. Entscheidend ist vielmehr das gleichgerichtete Interesse an der Nutzung der Ergebnisse des Pools.

In Bezug auf die Zuordnung der Eigentumsrechte an den im Rahmen eines Pools entwickelten IWG lassen sich keine generellen Aussagen treffen, weil die VWG Umlageverträge keine ausführlichen Informationen enthalten. In der Praxis ist zumeist davon auszugehen, dass alle Pool-Teilnehmer wirtschaftlicher Eigentümer der durch den Pool entwickelten IWG sind.Footnote 40 Das rechtliche Eigentum entfällt dagegen üblicherweise auf das konkret forschende Pool-Mitglied, das den übrigen Poolmitgliedern ein unentgeltliches Nutzungsrecht einräumt.

4.5.1.2 Produktion

Die in der Praxis nahezu unbegrenzte Vielzahl an Funktions- und Risikoprofilen für die Produktionstätigkeit ist in den nationalen und internationalen Verrechnungspreisregeln sowie in der Steuerliteratur in verschiedene Grundformen kategorisiert worden. Diese reichen von dem funktionsarmen Lohnfertiger über den Limited Risk Manufacturer, den Auftragsfertiger , Lizenzfertiger bis zum Eigenproduzenten , der alle wesentlichen mit der Produktion verbundenen Funktionen ausübt, Risiken trägt sowie über materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt. Im Gegensatz zur Steuerliteratur, in der sich eine Vielzahl an detaillierten Funktions- und Risikoprofilen für einzelne Grundformen findet, lassen sich aus den deutschen Verrechnungspreisregeln (VWG 1983 Tz. 3.13) nur wenig Anhaltspunkte bzgl. der genauen Charakterisierung der Grundtypen entnehmen. Im Folgenden werden die beiden Grundtypen Auftrags- und Lohnfertiger ausführlich gegenüber gestellt, weil diese Unterscheidung in der Praxis von erheblicher Relevanz ist.

Ein Lohnfertiger ist üblicherweise dadurch charakterisiert, dass die zu verarbeitenden Rohmaterialien bzw. Vorprodukte von seinem Auftraggeber beigestellt werden. Der Lohnfertiger („toll manufacturer“) erwirbt demnach kein Eigentum an Vor- bzw. den von ihm hergestellten Endprodukten. Daher übt der Lohnfertiger auch nur eine geringe Beschaffungsfunktion aus und trägt nicht das mit dieser Funktion verbundene Risiko. Im Gegensatz hierzu erwirbt der Auftragsfertiger („contract manufacturer“) Vorprodukte von fremden Dritten oder vom Auftragsgeber, unterhält üblicherweise entsprechende Lager und übernimmt zumindest zum Teil die hiermit verbundenen Risiken (wird der Auftragsfertiger jedoch auf Ist-Kostenbasis entlohnt und die Ist-Kostenbasis entspricht seinen Vollkosten, trägt auch der Auftragsfertiger kein Risiko). Weder Auftrags- noch Lohnfertiger besitzen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter.

Inwieweit die Auftrags- und Lohnfertiger vom Marktrisiko isoliert sind und allein als unabhängiges Unternehmen überlebensfähig sein sollten, ist umstritten. Während die VWG 1983 Tz. 3.1.3 davon auszugehen scheinen, dass ein Lohn- bzw. Auftragsfertiger seine Produktion vollständig an den Auftragsgeber liefert und ohne Integration in den Konzern nicht lebensfähig sei, wird dies in der Literatur zumindest zum Teil bestritten.Footnote 41 Hintergrund der Diskussion ist, dass bei vollständiger Abnahme der Produktion durch den Auftraggeber von einer niedrigeren Entlohnung des Auftrags- bzw. Lohnfertigers ausgegangen wird. In der Praxis dürfte dieser Aspekt nur schwer zu quantifizieren sein, weil für unabhängige Vergleichsunternehmen nur selten Informationen über deren Kundenstruktur vorliegen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch im Falle einer vollständigen Abnahme der Auftragsfertiger nicht vom Marktrisiko vollständig isoliert ist, weil der Fertigungsvertrag gekündigt werden kann. Auftragsfertiger mit sehr spezifischen Produktionsanlagen können daher durchaus selbst bei vollständiger Abnahme ein Marktrisiko tragen. In der Praxis fordert die Betriebsprüfung häufig langfristige Abnahmegarantien für Konzernunternehmen, die als Auftragsfertiger klassifiziert sind. Ob zwischen unverbundenen Unternehmen dem Risiko an spezifischen Investitionen durch langfristige Verträge Rechnung getragen wird, ist offen.

Ausschlaggebend für die Charakterisierung eines Transaktionspartners in der Praxis als Auftrags- bzw. Lohnfertiger ist daher, dass er neben der Ausübung der genannten Funktionen in jedem Fall nur ein geringes Marktrisiko trägt.

Tabelle 4.8 stellt prototypisch Grundformen des Funktions- und Risikoprofils eines Auftrags- und Lohnfertigers gegenüber.Footnote 42 Darüber hinaus wird als Gegenpol zu beiden Profilen das Funktions- und Risikoprofil eines Eigenproduzenten abgebildet.

Tab. 4.8 F&R Profil Produktion

4.5.1.3 Vertrieb

In der steuerlichen Literatur sind in den letzten Jahren Grundformen von Funktions- und Risikoprofilen von Vertriebstransaktionen ausführlich diskutiert worden. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass in der Vergangenheit immer mehr international agierende Konzerne zentralisierte Vertriebsstrukturen eingeführt haben, die mit einer Funktionsabschmelzung der lokalen Vertriebsunternehmen einherging. Während lange die Entlohnung der einzelnen Gesellschaftstypen (z. B. Vollfunktionsvertreiber bzw. Distributoren, funktions- und risikoarme Vertriebsgesellschaft bzw. Low Risk Distributor oder LRD, Handelsvertreter) im Fokus stand, wird in jüngster Zeit zunehmend die Frage der einmaligen Entlohnung im Zuge der Umstellung diskutiert. Beispielsweise befassen sich die deutschen VWG-FVerl Tz. 214 ausführlich mit der Umstellung eines Eigenhändlers zum Kommissionär oder Agenten, oder die OECD-RL Tz. 9.71 mit der Umstellung eines Distributors in einen LRD.

Tabelle 4.9 gibt Grundformen von Funktions- und Risikoprofilen für einen Distributor, LRD und Handelsvertreter wieder.

Tab. 4.9 Grundformen von Funktions- und Risikoprofilen für einen Distributor, LRD und Handelsvertreter. (In Anlehnung an Schreiber (2005))

Für die Praxis ist insbesondere die Gegenüberstellung des Funktions- und Risikoprofils des Distributors mit dem des LRD und des Handelsvertreters von Interesse, weil durch die Gründung von LRD in der Praxis angestrebt wird, eine weitest gehende Zentralisierung des Vertriebs zu erreichen, ohne dabei aber das Risiko der Gründung einer Vertreterbetriebsstätte einzugehen. Insofern stellt der LRD eine Zwischenform zwischen Handelsvertreter und Distributor dar. Im Folgenden werden beispielhaft typische Unterschiede zwischen den Vertriebsformen dargestellt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in der Steuerliteratur durchaus Unterschiede in der Funktions- und Risikozuweisung an einen LRD bestehen. Footnote 43

Eigentum der Handelsware/Marktrisiko

Ebenso wie der Distributor, aber im Gegensatz zum Handelsvertreter, erwirbt der LRD das Eigentum an der gehandelten Ware. Sowohl Distributor als auch LRD verkaufen die Ware im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Dies unterscheidet den LRD grundsätzlich vom Handelsvertreter, der in fremden Namen und fremde Rechnung handelt. Typisch für einen LRD ist, dass er erst dann eine Bestellung beim Hersteller aufgibt, wenn ein Abnehmer bereits mit hinreichender Sicherheit feststeht. Im Extremfall erwirbt der LRD nur für eine logische Sekunde das Eigentum. Insofern ist auch das Marktrisiko eines LRD deutlich geringer als das eines Distributors und nahezu gleich dem des Handelsvertreters .

Lagerhaltung/Lagerhaltungsrisiko

Der LRD unterhält kein oder nur ein sehr eingeschränktes Lager, weil die Ware physisch direkt vom Hersteller zum Endkunden geliefert wird. Insofern gleicht der LRD eher dem Handelsvertreter.

Verkauf

Geringe Unterschiede ergeben sich jedoch zwischen dem Distributor und LRD in Bezug auf die Verkaufstätigkeit. Beide verhandeln typischerweise Preise mit dem Kunden, allerdings hat der Distributor einen größeren Spielraum bei der Zusammenstellung seines Produktportfolios.

Aufgrund des eingeschränkten Funktions- und Risikoprofils wird die Tätigkeit des LRD im Gegensatz zum Distributor (der eine Handelstätigkeit ausübt) steuerlich (aber nicht zivilrechtlich) als Dienstleistung qualifiziert, für deren Verprobung aus Verrechnungspreisperspektive auch die Kostenaufschlagsmethode bzw. Transaktionsbezogene Nettomargenmethode (TNMM) angewendet werden kann.

Eigentum an immateriellen Wirtschaftsgütern

Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob dem LRD der Kundenstamm zuzuordnen ist oder nicht. Während Handelsvertreter (und Kommissionäre) den Kundenstamm im Allgemeinen für den Prinzipal entwickelnFootnote 44 , besitzt der Distributor einen eigenen Kundenstamm, zumindest, wenn es sich um einen freien Eigenhändler handelt. Hier ist auf jeden Fall eine Einzelfallanalyse erforderlich.

4.5.2 Routineunternehmen, Mittelunternehmen und Strategieträger

Die Zuordnung von Unternehmen in die Klassen Routineunternehmen und Strategieträger ist von zentraler Bedeutung, weil sie über die Anwendbarkeit und die Anwendung von Verrechnungspreismethoden ausschlaggebend ist (vgl. Kap. 5). Gemäß VWGV Tz. 3.4.10.2 sollte die Klassifizierung der Unternehmen einzelfallbezogen an Hand einer F&R Analyse erfolgen.

Im Vergleich zur fundamentalen Bedeutung der Klassifizierung findet sich in den VWGV nur wenig weitere Information zu den Merkmalen der drei Klassen. VWGV Tz. 3.4.10.2 beschränkt sich allein auf die in der folgenden Tab. 4.10 zusammengefassten Merkmale.

Tab. 4.10 Klassifikation von Unternehmen

Angesichts der sehr knapp gehaltenen Charakterisierung der Unternehmenstypen und insbesondere die Negativabgrenzung eines Mittelunternehmens, d. h. eines Unternehmens, das weder als Routineunternehmen noch als Strategieträger zu klassifizieren ist, ist die in den VWGV enthaltene Unternehmensklassifizierung in der Steuerliteratur intensiv diskutiert worden.Footnote 45 Für die Praxis sind insbesondere drei Diskussionspunkte von Interesse.

Erstens: In einer Betriebsprüfung kann angesichts der nur kursorischen Ausführungen der VWGVs, und weil die Übergänge zwischen den beiden Unternehmensklassen fließend sind, die Abgrenzung zwischen einem Routine- und einem Mittelunternehmen Schwierigkeiten bereiten. Diese Problematik ist insbesondere für Vertrags- und Eigenhändler von Relevanz, da die Finanzverwaltung diese Unternehmenstypen bei der Formulierung der VWGV als Beispiel für Mittelunternehmen im Auge hatte.Footnote 46 Im Zweifelsfall ist aufgrund der hohen Bedeutung der Unternehmensklassifikation bei Vertriebstransaktionen, deren Fremdüblichkeit mit Hilfe gewinnorientierter Methoden verprobt wird, empfehlenswert, eine ausführliche F&R Analyse zu erstellen. Ausgangspunkt kann die hierbei in Kap. 4.4.3 aufgeführte Liste von Routinefunktionen sein.

Zweitens: Da die OECD-RL (vgl. Tz. 3.18) nur zwischen Routineunternehmen und Strategieträgern differenzieren, steht die in den VWGs verankerte Dreiteilung im Widerspruch zu internationalen Standards. Verrechnungspreisdokumentationen, die auf dem Konzept des Mittelunternehmens aufbauen, laufen damit Gefahr, nicht von ausländischen Finanzverwaltungen akzeptiert zu werden. Für diese stellt das Eigentum an werttreibenden immateriellen Wirtschaftsgütern das entscheidende Klassifikationsmerkmal dar.

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass nicht für jede Verrechnungspreismethode und nicht für jede Konzerntransaktion eine Zuordnung der Transaktionspartner in die o. g. Klassen relevant ist. So ist es für die Verprobung der Fremdüblichkeit von Darlehen anhand der Preisvergleichsmethode in der Regel von untergeordneter Bedeutung, ob der Darlehensnehmer ein Routineunternehmen oder ein Strategieträger ist. Ausschlaggebend ist hier vielmehr seine Bonität, die Darlehenslaufzeit, Vergabezeitpunkt etc. Ebenso dürfte die Frage nach der Strategieträgerschaft bei Mitarbeiterentsendungen oder der Erbringung von bestimmten administrativen zentralen Konzerndienstleistungen unerheblich sein.

Angesichts der nicht unproblematischen Abgrenzung von Routinetätigkeiten ist es für die Praxis hilfreich, dass die OECD im Rahmen ihrer BEPS Initiative Kriterien definiert hat, anhand derer Routinefunktionen identifiziert werden können. Darüber hinaus hat die OECD eine umfangreiche Liste von Funktionen erstellt, die grundsätzlich als Routinefunktionen klassifiziert werden können.Footnote 47 Unternehmen, die innerhalb eines Konzerns ­entsprechende Funktionen ausüben und die Kriterien der OECD erfüllen, sollten daher als Routineunternehmen qualifiziert werden.

4.6 Praktische Aspekte der Erstellung einer Funktions- und Risikoanalyse im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation

Wie in Kap. 3 bereits erörtert, stellt die F&R Analyse einen Teil der Sachverhaltsdokumentation dar , die Grundlage für die Fremdüblichkeitsanalyse ist. Dies eröffnet dem Steuerpflichtigen in der Praxis die Möglichkeit – zumindest im Vergleich zur Erstellung von Datenbankstudien im Rahmen der ökonomischen Analyse – ohne externes Expertenwissen wesentliche Teile der Dokumentationsanforderung selbst zu erfüllen. Insofern beleuchtet dieses Kapitel praktische Aspekte der Erstellung einer F&R Analyse im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation .

4.6.1 Detaillierungsgrad

Aufgrund der grundsätzlichen Transaktionsbezogenheit von Verrechnungspreisanalysen könnte davon ausgegangen werden, sowie der Eindruck entstehen, eine Funktions- und Risikoanalyse müsste einen extrem hohen Detaillierungsgrad aufweisen. Dies ist aus mehreren Gründen nicht der Fall, von denen die Notwendigkeit, nur die wesentlichen Funktionen und Risiken zu benennen bereits genannt wurde.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass § 4 Nr. 1d GAufzV nur die Beschreibung der Tätigkeitsbereiche fordert, d. h. die Bezeichnung der Tätigkeitsbereiche mit der im Geschäftsverkehr üblichen Bezeichnung wie z. B. „Dienstleistungen“ oder „Herstellung“ oder „Vertrieb“ wie sich aus der Aufzählung in § 4 Nr. 1d GAufzV ausdrücklich und eindeutig ergibt. Es ist also keine Darstellung jeder einzelnen noch so kleinen Untertätigkeit innerhalb dieser Bereiche erforderlich.

Zweitens ist eine F&R Analyse gemäß der VWGV Tz. 3.4.11.4 anhand von Star Charts zulässig. Wenngleich in der Praxis eine F&R Analyse allein auf der Basis von Star Charts sich nicht für komplexe Sachverhalte eignet (weil sie z. B. kaum eine qualitative Gewichtung der Funktionen und Risiken ermöglicht), deutet der Verweis auf sie nicht auf einen sehr großen Detaillierungsgrad hin.

Drittens ist zu beachten, dass gemäß § 2 Abs. 3 der GAufzV Aufzeichnungen – und damit auch die F&R Analyse – für einzelne Transaktionen zusammengefasst werden können, wenn die Transaktionen gemessen an ihren Funktionen und Risiken wirtschaftlich vergleichbar sind (vgl. auch Kap. 5 Beschreibung der Verrechnungspreismethoden). Insofern ist keine separate Darstellung von F&R Analyse für Transaktionen erforderlich, wenn sich das Funktions- und Risikoprofil der Transaktionspartner zwischen den Transaktionen nur unwesentlich unterscheidet.

Unabhängig von diesen rechtlichen Ausführungen ist zu berücksichtigen, dass sich der Detaillierungsgrad einer F&R Analyse am Ziel der F&R Analyse messen muss. Diese besteht letztendlich in der Identifikation von vergleichbaren Transaktionen zwischen fremden Dritten zur Prüfung der Fremdüblichkeit. Liegen für die Transaktionen zwischen fremden Dritten nur sehr generische Daten vor, ist zu fragen, warum eine extrem detaillierte F&R Analyse des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation erfolgen sollte.

Insgesamt ist daher ein Detaillierungsgrad anzustreben, der die wesentlichen Funktionen und Risiken sowie immateriellen Wirtschaftsgüter soweit beschreibt, dass ein sachverständiger Dritter den Sachverhalt verstehen und die Fremdüblichkeit prüfen kann.

Diese Schlussfolgerung ändert sich auch nicht durch die im Rahmen der BEPS Initiative von der OECD verabschiedeten neuen Dokumentationsvorschriften.Footnote 48 Auch nach den neuen OECD Regeln sollte eine tabellarische Darstellung der F&R Analyse im Master- bzw. Lokal File zulässig sein.Footnote 49 Eine höherer Detaillierungsgrad der F&R Analyse als in den deutschen Verrechnungspreisgrundsätzen wird durch die OECD nicht gefordert.

4.6.2 Informationsquellen

Für die F&R Analyse steht eine Vielzahl von Informationsquellen zu Verfügung über die die folgende Tab. 4.11 einen – selbstverständlich nicht vollumfänglichen – Überblick liefert. Im Rahmen der Erstellung einer F&R Analyse bestehen in der Praxis verschiedene Herausforderungen bei der Nutzung der Quellen, von denen im Folgenden einige wesentliche kurz beschrieben werden. Die Nutzung des Jahresabschlusses als Informationsquelle wird gesondert und ausführlich in Kap. 4.6.3 erörtert.

Tab. 4.11 Informationsquellen F&R Analyse

Bevor im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation die in der Tabelle aufgeführten Quellen umfangreich ausgewertet werden, bietet es sich an, zunächst zu prüfen, ob nicht bereits in der Vergangenheit oder für andere Konzerngesellschaften Verrechnungspreisdokumentationen erstellt worden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine konzernweite Verrechnungspreisrichtlinie für bestimmte Transaktionen angewendet wird. In diesem Fall ist es nicht unwahrscheinlich, dass bereits in anderen Konzerngesellschaften eine F&R Analyse erstellt worden ist, die mit geringfügiger Anpassung auf die zu dokumentierende Transaktion übertragen werden kann. Hierdurch können Synergien genutzt und Inkonsistenzen vermieden werden.

Durchführen von Interviews

Interviews stellen ein sehr gutes Mittel zur Informations­sammlung dar. Sie sollten nach Möglichkeit nicht nur mit Mitarbeitern der Steuer-, Finanz- oder Controlling-Abteilung durchgeführt werden, sondern auch mit Mitarbeitern der für eine F&R Analyse zentralen Tätigkeitsbereiche, z. B. Forschung- und Entwicklung. Bei ihrer Durchführung ist jedoch zu beachten, dass die Einschätzung der Bedeutung der vom Interviewten durchgeführten Funktion durch den Interviewten selbst stark subjektiv eingefärbt sein kann. Diesem Nachteil steht jedoch der große Vorteil gegenüber, sehr spezifische Informationen einzuholen und interaktiv zu diskutieren.

Zur Vorbereitung von Interviews (Kap. 3.3.2) empfiehlt es sich, Fragebögen zu erstellen, die als Gesprächsgrundlage dienen. Ein beispielhafter Fragebogen findet sich im Anhang dieses Kapitels. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, den Interviewten nach schriftlicher Erstellung der F&R Analyse deren sachliche Richtigkeit bestätigen zu lassen.

Organisations-Charts

Charts, die einen Überblick über den legalen Aufbau des Konzerns geben, erweisen sich als hilfreich für die Identifikation von nahestehenden Personen, mit denen verrechnungspreisrelevante Geschäftsbeziehungen bestanden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese Charts nicht immer Informationen über Betriebsstätten einzelner Gesellschaften enthalten. Da die Darstellung der organisatorischen und operativen Konzernstruktur, einschließlich der Betriebsstätten ein gesetzlich vorgeschriebener Bestandteil der Verrechnungspreisdokumentation sind (§ 4 GAufzV), sollten diese Informationen auch im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation vorliegen.

Interne Organisations-Charts über den Aufbau eines Unternehmens (d. h. dessen Abteilungen bzw. Reportingstruktur) können sehr hilfreich zur Identifikation von Funktionen und deren Gewichtung sein. Hierzu bietet es sich an, neben den einzelnen Organisationseinheiten, z. B. Abteilungen, auch die Anzahl der Mitarbeiter aufzuführen, um den Umfang von Funktionen zu illustrieren.

Verträge

Wie bereits erwähnt stellen Verträge den Ausgangspunkt einer Verrechnungspreisanalyse dar. Wenn möglich sollten sie daher auch die Grundlage einer Funktions- und insbesondere der Risikoanalyse sein. Da gemäß § 4 GAufzV eine Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen zu Grunde liegenden Verträge als Teil der Verrechnungspreisdokumentation vorschreibt, sollen die vertraglichen Grundlagen unabhängig von der Erstellung einer F&R Analyse vorliegen.

Marktanalysen

Externe Marktanalysen stellen eine wichtige Informationsquelle im Rahmen einer F&R Analyse dar. Sie können wichtige Anhaltspunkte für die zentralen Erfolgsfaktoren auf dem Markt geben und liefern damit Informationen über die Wichtigkeit bestimmter Funktionen für den Geschäftserfolg einer Transaktion. Zudem lassen sich mit Marktanalysen auch bestimmte Risiken, insbesondere das Marktrisiko in Form der Konjunkturabhängigkeit, veranschaulichen. Im Gegensatz zu Unternehmensbroschüren, die z. T. auch unter Marketinggesichtspunkten verfasst werden, besitzen Marktanalysen den Vorteil, normalerweise nicht vom Interesse eines Unternehmens beeinflusst zu sein.

Angesichts der Vielzahl an Informationsquellen besteht eine wesentliche Herausforderung der F&R Analyse darin, die vorliegenden Daten auf Konsistenz zu prüfen. Insbesondere die Ergebnisse von Interviews zeichnen gelegentlich ein anderes Bild des Sachverhalts als Unternehmensbroschüren. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass die wesentlichen Funktionen und Risiken in einer Analyse dargestellt werden und Sachverhalte, die nicht unmittelbar verrechnungspreisrelevant sind, auch nicht Gegenstand der F&R Analyse sind.

4.6.3 Jahresabschluss als Informationsquelle

Der Jahresabschluss, bestehend aus der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung (inkl. Anhang), und der Lagebericht stellen einfach zugängliche und aussagekräftige Quellen für die F&R Analyse dar. So geben die im Lagebericht dargestellten Geschäfts- und Rahmenbedingungen wichtige qualitative Anhaltspunkte für die wirtschaftlichen Verhältnisse (z. B. Marktumfeld), unter denen eine konzerninterne Transaktion stattgefunden hat.

Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) enthalten dagegen quantitative Informationen über die ausgeführten Funktionen, die getragenen Risiken und den Einsatz materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter des jeweiligen ­Unternehmens. Tabelle 4.12 ordnet einzelne Bilanz- bzw. GuV-Positionen den Untersuchungsgegenständen der F&R Analyse, d. h. Funktionen, Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter, zu.

Tab. 4.12 Informationen der Bilanz und GuV für die F&R Analyse

Bei der Analyse des Jahresabschlusses in einer F&R Analyse ist allerdings Folgendes zu beachten.

Erstens fehlt der Bilanz- und GuV die bei Verrechnungspreisanalysen erforderliche Transaktionsbezogenheit. Eine Gesellschaft kann gemäß ihres Jahresabschlusses durchaus z. B. Wechselkursrisiken tragen. Ob diese Risiken aber in einem Zusammenhang mit ihren konzerninternen Transaktionen stehen, ist aus dem Jahresabschluss nicht ersichtlich.

Zweitens ist in Bezug auf die Identifikation von immateriellen Vermögensgegenständen das grundsätzliche Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände zu beachten. Eine Gesellschaft, die keine immateriellen Vermögensgegenstände in der Bilanz ausweist, hat also nicht zwangsläufig kein Eigentum an immateriellen Wirtschaftsgütern. Möglicherweise wurden die selbst entwickelten Vermögensgegenstände nicht aktiviert. Selbst wenn die Kosten für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände aktiviert werden, dürfen maximal nur die in der Entwicklungsphase anfallenden Herstellungskosten angesetzt werden. Die allgemeinen Forschungsaufwendungen sind nicht aktivierbar. Zudem ist zu beachten, dass eine Erfassung von immateriellen Vermögensgegenständen in Höhe der Entwicklungskosten ihren ökonomischen Wert stark unterschätzen kann (VWG 1983, Tz. 5.2.4). Insofern gibt die Bilanz nur ein unvollständiges Bild über das Eigentum und den Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern im Rahmen von Verrechnungspreisanalysen.

Drittens ist zu beachten, dass hohe Ergebnisse nicht zwangsläufig auf das Vorliegen von immateriellen Wirtschaftsgütern oder der Übernahme wichtiger Funktionen zurückzuführen sind. Nicht selten sind bei Konzerngesellschaften hohe Ergebnisse Ausdruck von fremdunüblichen Verrechnungspreisen, wie z. B. fehlender Verrechnung von Konzernumlagen oder fremdunüblich niedrigen Lizenzen.

Die Analyse des Jahresabschlusses kann daher insgesamt nur den Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen darstellen.