Psychopathologie erscheint manchmal als ein antiquiertes Begriffsinstrumentarium, das aus einer spekulativen Phänomenologie abgeleitet ist, keinem ätiopathogenetischen Theoriewissen zu psychischen Störungen entspringt und keinen Bezug zu den Erkenntnissen der Neurobiologie aufweist. Andererseits sind die nosologischen Konstrukte unseres Fachgebiets im Wesentlichen psychopathologisch definiert, so dass eine nähere Betrachtung der psychopathologischen Begriffe trotz all der ausgesprochenen Mängel notwendig erscheint. Die Definitionen psychopathologischer Phänomene basieren in der Regel auf langjährigen klinischen Erfahrungen und erscheinen dadurch hilfreich, dass sie Dysfunktionalitäten des Erlebens und Handelns systematisch benennen und damit handhabbar machen. Psychische Leidenszustände und Entwicklungsbeeinträchtigungen werden so begrifflich gefasst. Die Bedeutung der dialektischen Spannung zwischen ordnendem Beschreiben und inhaltlichem Verstehen ist den psychopathologischen Begriffen eingeschrieben und von den großen Psychopathologen des letzten Jahrhunderts in philosophisch anspruchsvoller Weise hervorgehoben worden (Jaspers 1973).

Gerade auf der Suche nach der Aufklärung der Pathogenese ist eine angemessene Symptombeschreibung hilfreich. Zur Aufklärung der Pathogenese von psychischen Symptomen dient eine kausale Modellbildung, die verdeutlicht, aus welchen Rahmen- und Vorbedingungen eine aktuelle Störung resultiert. Darüber hinaus wollen wir jedoch eine funktionelle Betrachtung psychopathologischer Phänomene vornehmen und damit eine alte Tradition der Psychotherapie fortsetzen, die über Freud und die frühe Verhaltenstherapie den psychopathologischen Phänomenen noch eine neue Sinn-dimension eröffnet hatte. Die funktionelle Psychopathologie soll deutlich machen, wofür im Lebenszusammenhang Symptome auch nützlich sein können.