Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht anhand einer wissenssoziologischen Diskursanalyse über den Zeitraum von 2008 bis 2014 wie im öffentlichen Einwanderungsdiskurs die gewünschten Zuwanderer mit dem Label der „neuen Gastarbeiter“ sozial konstruiert werden. Das Label bezeichnet die mobilen, (hoch) qualifizierten Zuwanderer, die anders als die erste Generation von Gastarbeiter/-innen als problemlos integrierbar wahrgenommen werden. Die Bewertung der gewünschten Zuwanderer gibt einen Einblick in die Bedingungen der Ein- und Ausgrenzung von Immigrant/-innen in Deutschland: Das Scheitern des sogenannten „Rotationssystems“ der Zuwanderung erweist sich als funktional, um eine legitime Grenzziehung zwischen erwünscht und unerwünscht zu konstruieren.
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Notes
- 1.
Eigene Berechnung nach DeStatis, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/MigrationIntegration.html, zuletzt abgerufen am 20.05.15.
- 2.
In Deutschland wird das Gefühl der Zugehörigkeit bzw. der Prozess der Vergemeinschaftung über den bedenklichen Begriff der Integration verhandelt (Faist und Ulbricht 2015).
- 3.
Es ist ein Ausschnitt aus meinem Dissertationsprojekt „Ein- und Ausgrenzungen von Migranten. Zur sozialen Konstruktion (un-)erwünschter Zuwanderung“ (Ulbricht 2017).
- 4.
Damit ist nicht gesagt, dass die Artikelauswahl vollständig unabhängig vom eigenen Kontextwissen ist, dennoch ist zu erwarten, dass mit diesem Suchbegriff auch Themen angesprochen werden, die nicht nur eine positive Perspektive einnehmen.
- 5.
Die Zusammenstellung des Gesamtkorpus geschah mit Hilfe einer eigens programmierten Software, die die Artikel mit dem Stichwort Gastarbeiter automatisch in das Sample einfügte. Die Lexikometrie ist eine Methode aus der Korpuslinguistik zur Untersuchung der statistischen Verteilung von Zeichen, Wörtern und Themen in einem Datensatz.
- 6.
Nützlich erwiesen sich dafür Artikel über die Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern außerhalb Deutschlands wie z. B. in Katar und Russland. Der Vergleich der Länder war insofern gewinnbringend, als dass er die spezifische Perspektive auf Gastarbeiter in Deutschland herausarbeitete.
- 7.
Das Rotationsprinzip bezeichnet einen befristeten Aufenthalt der Immigrant/-innen zu Arbeitszwecken. Nach Ablauf der Arbeitserlaubnis sollen die Immigrant/-innen in ihr Heimatland zurückkehren und durch neue Immigranten ersetzt werden.
- 8.
Valentin Rauer betont, dass überraschenderweise der millionste Gastarbeiter in den 1960er Jahren weniger als Zeichen erfolgreicher Integration, sondern vielmehr als Zeichen der erfolgreichen Entwicklungspolitik in Europa gedeutet wurde (Rauer 2013).
- 9.
Die Frage lautet dann, welchen Unterschied das Unterscheidungsmerkmal Leistung im Vergleich zu anderen Formen der Diskriminierung macht. In der Regel ist die leistungsabhängige Auswahl von Zuwanderern ein funktionales Äquivalent für die Selektion von Immigranten im öffentlichen Diskurs. Es ist ein legitimer Ansatz, Menschen auszuschließen, die keinen individuellen Beitrag zum Wohlstand leisten, ohne sich zu Religions-, Geschlechts- und Ethnizitätsfragen positionieren zu müssen, denn auf der Grundlage von Leistung werden alle Zuwanderer gleich behandelt. So ist das wichtigste Selektionskriterium in den Richtlinien für qualifizierte Zuwanderung die Mindestverdienstgrenze, dessen Qualität darin besteht, es quantitativ messen und vergleichen zu können.
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Ulbricht, C. (2018). Die „neuen Gastarbeiter“ – Zur Bewertung von erwünschten Zuwanderern. In: Behrmann, L., Eckert, F., Gefken, A., Berger, P. (eds) ‚Doing Inequality‘. Sozialstrukturanalyse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07420-3_14
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