Zusammenfassung
Familie wird als soziales Feld konzeptualisiert: als eine eigene Ordnung des Unterschieds, in der Akteure in verschiedenen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Merkmalskonfigurationen persönlich und dauerhaft miteinander verbunden sind. Unter Bezugnahme auf differenzierungstheoretische Überlegungen werden spezifische Strukturmerkmale familialer Beziehungen herausgearbeitet, die dem familialen „Modus operandi“ zugrunde liegen. Und es wird argumentiert, dass die „Familie“ als kollektive Kategorie der Wahrnehmung und des Handelns mit dazu beiträgt, dass die familiären Beziehungen zu dem werden, was sie sind. Dass Familie auch ein Kapital darstellt und ein Feld, dem trotz seiner Überschaubarkeit theoretisch und empirisch nicht ganz einfach beizukommen ist, bildet den Schluss des Kapitels.
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Notes
- 1.
Das Inzestverbot beinhaltet den Grundsatz, „dass die Familien (welche Vorstellung sich jede Gesellschaft auch davon macht) sich lediglich mit einander verbinden können und nicht jede auf eigene Rechnung, mit sich selbst“ (Lévi-Strauss 2008, S. 103). Dadurch werden Familien dazu genötigt, neue Familien zu gründen und sich mit andern zu verbinden.
- 2.
Ein neues Phänomen ist erst dann etabliert, wenn es einen anerkannten Namen hat und Teil der gebräuchlichen Wahrnehmungskategorien geworden ist (vgl. Bourdieu 1987, S. 289).
- 3.
Auch für die Feldtheorie gilt, was Luhmann (1987, S. 243) für die Systemtheorie festgestellt hat: Grundlegend ist nicht „Identität“, sondern „Differenz“.
- 4.
Die Position des Kindes ist nicht zwangsläufig eine schwache, sondern kann je nach Gesellschaft variieren. Mauss (2010, S. 252 f.) zum Beispiel erwähnt einen Aspekt der Eskimofamilie, der ihn ziemlich irritiert hat: „Die absolute Unabhängigkeit des Kindes und sogar der Respekt, den die Eltern vor ihm haben. Sie schlagen es nie und gehorchen sogar seinen Befehlen. Das liegt daran, dass das Kind nicht nur in dem Sinne, den wir heute diesem Wort geben würden, die Hoffnung der Familie ist, sondern die Reinkarnation eines Ahnen.“
- 5.
Werden Kinder im Gefolge von Individualisierungsprozessen stärker als eigenständige Individuen wahrgenommen, verliert ihre Anerkennung der Eltern an Selbstverständlichkeit. Anerkennung muss nun auch von den Eltern vermehrt hergestellt und errungen werden.
- 6.
Die Ausdifferenzierung verschiedener Feldlogiken ist allerdings keine absolute. „Selbst in Verhaltensweisen, die uns rein ökonomisch erscheinen“, sind immer auch „andere Faktoren im Spiel“ (Lévi-Strauss 2012, S. 75).
- 7.
Das hat sich in bestimmten Regionen des sozialen Raumes lange erhalten. So hat Bourdieu am Beispiel des Béarn gezeigt, dass in Bauernfamilien bis zu Beginn des 20. Jahrhundert die Weiterexistenz des „Hauses“ bzw. der Familie im Vordergrund stand. Die Erbregelungen waren primär gegen eine Zersplitterung des Besitzes gerichtet. Starb der älteste Sohn und Erbe, heiratete in der Regel ein jüngerer Sohn die Witwe. Für Sentimentalitäten blieb da nur wenig Platz. „Zugleich Familie und Erbe, besteht ‚das Haus‘ (…) fort, während die Generationen, die es verkörpern, vergehen“ (Bourdieu 2008, S. 23).
- 8.
Was allerdings nichts daran ändert, dass die Tendenz zur Homogamie nach wie vor ausgeprägt ist: weil sich gewöhnlich paart, wer vom Habitus her zueinander passt.
- 9.
„Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und an seinem Weibe hangen“, wie es in der Bibel heißt (zit. in Lévi-Strauss 2008, S. 103).
- 10.
„Durch die Warenökonomie in ihrer spezifischen Logik bedroht, neigt sie immer mehr zur expliziten Bekundung dieser spezifischen Logik, der Logik der Liebe“ (Bourdieu 1998, S. 178).
- 11.
Auch die Prophetie stellt Max Weber (1988, S. 292 f.) zufolge ihre Echtheit durch ihre Unentgeltlichkeit unter Beweis.
- 12.
Das positive Bild der Familie kann man sich bei illegalen Machenschaften zunutze machen, wie Goffman (1982, S. 287 f.) gezeigt hat. Und es trägt wesentlich dazu bei, dass Erfahrungen, die in krassem Widerspruch dazu stehen (sexueller Missbrauch zum Beispiel), den Opfern oftmals nicht geglaubt werden.
- 13.
Das ökonomische Interesse im „utilitaristischen und wirtschaftlichen Sinne“ ist also nur ein Sonderfall innerhalb eines Universums verschiedener Interessen (Bourdieu 1999, S. 361).
- 14.
Ich ziehe diese Formulierung der von Bourdieu getroffenen Unterscheidung zwischen „subjektiver und objektiver Wahrheit“ vor, die zu Missverständnissen führen kann, wenn sie nicht näher erläutert wird. Vgl. dazu Cassirer (1993, S. 214), der „subjektiv“ und „objektiv“ als „Glieder eines Funktionszusammenhanges“ sieht, „den wir die empirische Erkenntnis nennen.“
- 15.
Enttäuschungen sind oftmals mit Ernüchterungseffekten verbunden. Das Wort enttäuschen bedeutete ursprünglich denn auch „aus einer Täuschung herausreißen“ (Duden 1989).
- 16.
Wir werden später sehen, was passiert, wenn dieses „Tabu der expliziten Formulierung“ verletzt wird.
- 17.
Für Axel Honneth (zit. in Kleingeld und Anderson 2008, S. 290 f.) ist die Familie „eine soziale Sphäre, in der die beiden „moralischen Orientierungen“ Liebe und Gerechtigkeit „permanent aufeinanderstoßen.“
- 18.
Cornelia Koppetsch (2013, S. 125) hat diesen Unterschied auf den gegenwärtigen Wandel von Beziehungsvorstellungen bezogen: Während der Wunsch nach einer verbindlichen Partnerschaft und die Sehnsucht nach der „unbedingten Liebe“ als Gegenwerte zur Ökonomie zugenommen haben, hat das Modell der ausgehandelten Partnerschaft an Attraktivität verloren: weil es mit dem „Makel der Unverbindlichkeit behaftet“ ist und „statt unbedingter Liebe (…) Gleichheitsforderungen“ stellt.“ „Aus Sicht der Jüngeren bietet dieses Modell somit gerade keine Gegenwelt zur Projektlogik des neuen Kapitalismus.“
- 19.
„….es gibt keine Wahrheit für Liebende; sie wäre eine Sackgasse, das Ende, der Tod des Gedankens“, schreibt Musil in der „Mann ohne Eigenschaften“ (vgl. Luhmann 1998, S. 347). Und bei Virginia Woolf (1991, S. 98) heißt es: „Sie würde ihn niemals kennenlernen. Er würde sie niemals kennenlernen. Alle menschlichen Beziehungen waren so, dachte sie, und die schlimmste (…) war die zwischen Mann und Frau. Unvermeidlich waren diese extrem unaufrichtig.“
- 20.
Hält man diese wichtige Unterscheidung nicht ein, führt das zu einer Aufblähung und Verwässerung des Begriffs der „Ambivalenz“ (Vgl. zum Beispiel Widmer und Lüscher 2011).
- 21.
- 22.
Mary Douglas (2004) hat die These vertreten, dass in kleinen Gruppen mit deutlich abgegrenzter Mitgliedschaft und unausgebildetem Rollenmuster die Unterscheidung von Innen und Außen, von innerer Reinheit und äußerer Verderbnis besonders ausgeprägt ist.
- 23.
Das Heim ist nicht nur das Vertraute, sondern auch das Verborgene und Geheime („heimlich“).
- 24.
Dass das nicht selten schief läuft und in Tränen endet, ist ein weiterer Hinweis auf die Ambivalenz familiärer Beziehungen.
- 25.
Die vorhandenen Beziehungen entsprechen den möglichen Beziehungen. Das heißt: Jeder kennt jeden und alle haben Kontakt miteinander (vgl. Schweizer 1996, S. 177 f.).
- 26.
Der folgende Abschnitt orientiert sich stark an Gedanken von Tyrell (2008, S. 320 ff.), der ausführlich und differenziert analysiert, was hier nur kurz abgehandelt werden kann.
- 27.
„Dass man in einem Verhältnis eben nur den andern sich gegenübersieht, und nicht zugleich ein objektives, überindividuelles Gebilde als bestehend und wirksam fühlt“ ist für Simmel (1983a, S. 258) „die Bedingung der Intimität.“
- 28.
Man lese zum Beispiel „Zum Leuchtturm“ von Virginia Woolf.
- 29.
Das wird auch durch ethnologische Untersuchungsergebnisse gestützt: „Der häufigen Zerstreuung der Individuen bei den Dinka und Nuer und dem ständigen dichten Beieinanderleben der Annuak entspricht ein wesentlich größeres Interesse der Annuak an individuell-persönlichen Eigenschaften. Sie verfügen über ein umfangreiches psychologisches Vokabular (…). Das Interesse der Annuak konzentriert sich auf Menschen, das der Dinka und Nuer auf ihr Vieh“ (Lienhard zit. in Douglas 2004, S. 169).
- 30.
Dass „Familie“ ein Kapital eigener Art darstellt, lässt sich zum Beispiel in einem Krankenhaus beobachten. Während die einen Patienten häufig von Familienangehörigen Besuch erhalten und diesen Besitz mit kaum verhülltem Stolz auch nach außen demonstrieren können, sind jene (vor allem Ältere), die „ohne Familie“ dastehen, oftmals ärmer dran, was mit einem Statusstress eigener Art verbunden ist und Unterschiede der sozialen Position auch auf den Kopf stellen kann.
- 31.
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Karrer, D. (2015). Familie. In: Familie und belastete Generationenbeziehungen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06878-3_3
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