Zusammenfassung
From 1870 to 1920, the South American multi-ethnic subaltern classes developed a distinctively international and transcultural working class identity in the context of European mass immigration, urbanization, and industrialization. The following chapter addresses the subjectivization of the International Proletariat as a transcultural, collective identity construction of the libertarian subculture, using the examples of Argentina, Brazil and Uruguay. This process was impacted by comparable transnational models of socio-cultural patterns of action and behavior, such as the formation of libertarian labor union federations, the organization of an autonomous infrastructure of community centers and schools. Within this infrastructure the movements organized theater productions, leisure time activities and political debates to mobilize the subaltern classes for the social struggle. These developments led to a parallel evolution of working class culture and class consciousness in the Atlantic World influenced by the circulation of practices and ideas. Due to conditions of life, work and political exclusion in Argentina, Brazil and Uruguay, many thousands of immigrants contributed to the evolving social struggles. Especially in the multi-ethnic countries of the Americas, the internationalist spirit gained ground. This influenced the development of the revolutionary syndicalism ideology and the identity of the immigrants as international proletarians. It was a transcultural process in its inherent logic, due and in response to the development of global capitalism. This comparable evolution in South America and Europe formed the International Proletariate into a comprehensive borderless movement, based on social stratification and libertarian socialist ideology.
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Notes
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Zur räumlichen Verteilung der Immigranten siehe insgesamt Seyferth 2000.
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Zum Begriff „libertär“ als zusammenfassender Begriff für die antiautoritären, undogmatischen Ideologien des Anarchismus, Syndikalismus: Taibo 2013. Überblickend zur historischen Entwicklung z.B.: Damier 2009. Zum Begriff „subaltern“ als zusammenfassender Begriff für politisch und sozial ausgeschlossene gesellschaftliche Gruppen: Tilly und Tarrow 2006; Opp 2009.
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U. a. zur Person Malatestas und zum Einfluss seines Aufenthalts in Argentinien u. a.: Antonioli und Masini 1999, S. 95 f.
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Gonzalo 1978, S. 16.
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Zur Dominanz der libertären Ideologien in den Arbeiterbewegungen Südamerikas u. a. Alexander 2009, S. 1: „The ideology that found widest acceptance in the early decades of the organized labor movement in Latin America was that of anarchism or anarchosyndicalism (we shall use the terms interchangeably.)“. Dies überschnitt sich auch mit der globalen Hochphase des Anarchosyndikalismus s. u. a.: Thorpe 1989; Linden und Thorpe 1990; Linden und Rojahn 1990. Hierzu in globaler Perspektive: Hobsbawm 1977, S. 93: „Es fällt schwer sich in Erinnerung zu rufen, daß in den Jahren 1905–1914 die marxistische Linke in den meisten Ländern am Rande der revolutionären Bewegung stand und daß der größte Teil der Marxisten mit einer de facto nichtrevolutionären Sozialdemokratie gleichgesetzt wurde, während die Masse der revolutionären Linken anarchosyndikalistisch war oder zumindest den Ideen und Gefühlslage des Anarchosyndikalismus näher stand als denen des klassischen Marxismus.“
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Samis 2002, S. 81 ff.
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S. die Beschreibung der Siedlung in den Aufzeichnungen von Friedrich Kniedstedt. Als Immigrant wohnte er mit seiner Familie in der Nachbarschaft der Siedlung und hatte mit den Bewohnern Kontakt. In seinen Memoiren beschrieb er die Kolonie im Kapitel Zukunft am Ivahy. Kniedstedt 2013, S. 88–96.
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Subkultur ist als Begrifflichkeit im Deutschen hier als ein gelebtes Gegenmodell zur vorherrschenden, bürgerlich und kapitalistisch geprägten Kultur zu verstehen, wobei vielseitige Wechselwirkungen und Bezüge vorhanden sind, jedoch die grundlegenden Normen und Werte in Frage gestellt werden, beziehungsweise überwunden werden sollten, beispielsweise in Form der Freizeitgestaltungen wie Theateraufführungen oder Picknicks. Diese wurden von den Arbeiterbewegungen in vergleichbarer Form jedoch mit anderen Inhalten und Ausprägungen praktiziert. In der bürgerlichen, kapitalistischen Freizeitgestaltung musste beispielsweise alles bezahlt werden, während die Arbeiterbewegungen diese zum Selbstkostenpreis und gegen Spenden veranstalteten. Die nicht profitorientierte Ausrichtung wurde deutlich betont, obwohl die Organisatoren ebenfalls hofften, durch Veranstaltungen Gelder zu akquirieren. In den Zeitungen erfolgte im Anschluss dann häufig eine detaillierte Abrechnung, die die erwirtschafteten Gelder öffentlich darstellte sowie die geplante Verwendung. Im Englischen erfasst der Begriff Counterculture dieses Phänomen, im Spanischen und Portugiesischen wird der Begriff Contracultura verwendet.
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Diese Aufrufe zu Familien-Picknicks lassen sich in den verschiedenen Zeitungen der Arbeiterbewegungen finden. Zum Beispiel organisierte die anarchistische Wochenzeitung El Hombre aus Montevideo solche Veranstaltungen 1918 im zweiwöchigen Rhythmus und brachte die Aufrufe dazu auf den Titelseiten, inklusive detaillierter Programmangaben und Anfahrtsbeschreibungen mit öffentlichen Transportmitteln. Siehe beispielsweise El Hombre, 26.10.1918 oder 16.11.1918. Dabei ist der Aufruf vom November 1918 besonders interessant. Er befindet sich ganzseitig und auffällig gestaltet auf der Titelseite und wurde dabei umrahmt von einem Artikel der Zeitung mit dem Titel Alegria universal, der sich auf Ende des Ersten Weltkrieges bezog, jedoch im Vergleich zu dem Picknick-Aufruf optisch eher untergeht.
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Umfassend zu verschiedenen Aspekten der Bedeutung der Ernährung für die Identitätsbildung: Wätzold 2011.
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Zum Zusammenhang Migration, Identität und Ernährung: Wätzold 2014a. Die Ernährung dient Migranten als wichtiger Faktor zur Erhaltung der Identität, so dass beispielsweise Folgegenerationen ihre „Herkunftssprache“ nicht beherrschen, dagegen aber die Speisetraditionen, vor allem an Festtagen, verinnerlichen. Gleichzeitig werden bestimmte Speisen mit Migrationsgruppen assoziiert, beispielsweise Pasta und Pizza mit Italienern, oder als deutsches Beispiel Döner Kebap mit türkischen Migranten. Interessant ist hierbei dann auch, dass viele „typische“ Gerichte in der Migration entstanden, so Chop Suey, der besagte Döner und die italienische Küche als Landesküche insgesamt. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von Migrationsküchen.
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So verfasste der nach Brasilien eingewanderte portugiesische Aktivist Neno Vasco ein Theaterstück mit dem Titel Greve dos Inquilinos. Vasco kehrte 1911 nach Portugal zurück. Sein Stück wurde dort sogar als Buch veröffentlicht, herausgegeben von der libertären Zeitung A Batalha in Lissabon 1923. Im atlantischen Raum kam es zu dieser Zeit des Öfteren zu Mieterstreiks, die sich durchaus gegenseitig inspirierten. So erfolgten beispielsweise multiethnisch und subaltern geprägte Mieterstreiks in New York im April 1906 und ein größerer im Dezember 1907. Mieterstreiks in diesem Zeitraum sind ebenfalls erfasst in Chile, Kuba, Großbritannien, Spanien, Österreich. Linden 2008, S. 216 ff.; Schmidt und Walt 2009, S. 192.
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Italien trat im Mai 1915 auf Seiten der Entente in den Krieg ein und lieferte sich verlustreiche Schlachten mit Österreich-Ungarn. In der 10. von 12 Isonzoschlachten im Mai-Juni 1917 starben 175.000 italienische Soldaten. Über den Generalstreik in São Paulo und zu den Zusammenhängen und Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Arbeiterbewegungen Südamerikas detailliert mit zahlreichen Quellenangaben: Wätzold in Hohmann 2014b, S. 235–249.
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Zu Person und Wirken Neno Vascos: Samis 2009.
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Zum Ersten Weltkrieg und zur internationalen Wahrnehmung und Position der libertären Bewegungen: Hohmann 2014.
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Zum Landarbeiterstreik in Patagonien, zu dem Racheattentat und zu den begleitenden Umständen s. das detaillierte Werk Bayer 2004.
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In Brasilien kam Getulio Vargas in Form eines Staatsstreichs 1930 an die Macht und rief 1937 den Estado Novo aus.
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Pietro Gori war ab Anfang der 1870er Jahren in der libertären Bewegung Italiens bekannt. Als promovierter Kriminologe, Schriftsteller, Poet, Musiker und politischer Aktivist war er in Europa, dem Nahen Osten, den USA und Argentinien aktiv. Er kam 1898 nach Argentinien und beteiligte sich nachhaltig in der libertären Bewegung dort; so war er an dem Gründungskongress der FOA 1901 beteiligt. Er war zu Lebzeiten bereits so berühmt, dass in Uruguay die Zeitung Tribuna Libertaria, Montevideo, Augusto 1900, auf S. 3 Werbung für das Verkaufssortiment des Centro Internacional de Estudos Sociales machte, wo man u. a. extra große Fotos von ihm kaufen konnte. Gori war mit Malatesta wohl einer der wichtigsten und bekanntesten Vertreter der internationalen libertären Arbeiterbewegung. Antonioli et al. 2012.
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Wätzold, T. (2016). Transkulturelle Identität: Internationales Proletariat. Die Subjektivierung der südamerikanischen Arbeiterbewegung zur Zeit der europäischen Massenemigration. In: Kazzazi, K., Treiber, A., Wätzold, T. (eds) Migration – Religion – Identität. Aspekte transkultureller Prozesse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06510-2_4
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