Skip to main content

Religiöser Wandel als Generationenwandel? – Betrachtungen zum Generationenkonzept am Beispiel ostdeutscher Generationenverhältnisse

  • Chapter
  • First Online:
Der Osten

Zusammenfassung

Im Zentrum des Aufsatzes stehen ostdeutsche Generationenverhältnisse, die mit Hilfe familienbiografischer Interviews analysiert wurden. Geklärt wird, ob und in welcher Weise sich hier ein Generationenwandel vollzieht und welche Bedeutung in der Verhältnisbestimmung zwischen den Generationen religiöse und weltanschauliche Vorstellungen und Praktiken haben. Die Befunde legen es nicht nahe, von einer Generation Ost zu sprechen. Die größere Zustimmung junger Ostdeutscher zu religionsnahen Fragen, die in den Statistiken zum Ausdruck kommt, offenbarte sich in unseren Interviews häufig als experimentelle Denkbewegung, selten als explizites Bekenntnis, das zur Grundlage eines gruppenbildenden Wir-Gefühls im Sinne des Mannheim’schen Generationsbegriffs werden könnte. Allerdings zeigt sich, dass Positionierungen im religiös-weltanschaulichen Bereich nach 1989 zum Kristallisationspunkt von Prozessen familiärer Selbstvergewisserung und wechselseitigen Irritationen zwischen den Familiengenerationen wurden. Gerade bei den transzendenten Spekulationen der Jüngeren zeigt sich, dass hier in Dimensionen gedacht wird, die den Eltern oft fremd sind. Deutlich wird aber auch, dass es in Familien vielfältige Mechanismen gibt, diese potentiell problematischen Differenzen zu ‚entschärfen‘, um die familiale Einheit zu stabilisieren.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 54.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 69.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung von 2008 weist 32 % Kirchenmitglieder und 68 % Konfessionslose aus. Die Zahlen, die sich auf religiöse Vorstellungen – bspw. den Glauben an einen Gott oder ein Leben nach dem Tod – beziehen, fallen noch eindeutiger zuungunsten der Religion aus (Petzoldt 2009, S. 126).

  2. 2.

    Die nächsthohe Zustimmung findet sich mit 34 % bei den 30- bis 44-Jährigen und mit knapp 22 % bei den 75- bis 89-Jährigen (ALLBUS 2012, V 209; eigene Berechnungen). Ein ähnlicher, wenn auch nicht so stark ausgeprägter Befund ergibt sich bei der Frage nach der Relevanz von Magie, Spiritismus und Okkultismus. Während hier die durchschnittliche Ablehnung bei 80 % liegt, fällt sie in der jüngsten Altersgruppe mit 62 % signifikant niedriger aus (ALLBUS 2012, V 171). Differenzen zeigen sich auch im Hinblick auf das Votum, man solle sich primär an dem orientieren, was man mit dem Verstand erfassen könne und alles andere auf sich beruhen lassen (ALLBUS 2012, V 140).

  3. 3.

    Die Bedeutung des Generationsbegriffes liegt für Bude (2000, S. 187) nicht zuletzt darin, dass er ihn als einen der „letzten Bezugspunkte für einen Wir-Begriff des Einzelnen“ ansieht, der eine „horizontale Identität der Weltauffassung und Weltbewältigung“ behauptet und auf diese Weise eine Alternative zu Konzepten wie „Klasse“ und „Nation“ darstellt. Vor dem Hintergrund der neueren gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen hält Bude letztere Begriffe für nicht mehr tragfähig. Inwiefern die Selbstverortung von Akteuren als Angehörige einer spezifischen Generation tatsächlich Milieu- bzw. Klassengrenzen überschreitet oder ob nicht eine Generationsgestalt in milieu- wie auch in geschlechtsspezifischer Hinsicht variiert, ist jedoch eine Frage, die letztlich nur empirisch geklärt werden kann.

  4. 4.

    Gestützt wird ein solches Generationenverständnis auch von der Familienforschung, da sie primär an der Familie als Teil milieuspezifischer Zusammenhänge interessiert ist und damit häufig unausgesprochen das Verbindende, Kontinuitätsstiftende in den Blick nimmt. Hier dominieren vor allem Arbeiten zur Beziehungsqualität und -dichte zwischen familialen Generationen, zu den materiellen und immateriellen Transferleistungen, den Formen familialer Solidarität und zu den familialen Sozialisations- und Interaktionsprozessen (Bertram 2000; Keppler 1994; Kühnemund und Motel 1999; Oevermann 1979; Szydlik 2001) und lassen eine Zusammenschau beider Generationskonzepte oder gar deren Verknüpfung nicht naheliegend erscheinen.

  5. 5.

    Die Vor- und Nachnamen der Familien wurden geändert.

  6. 6.

    Transkriptionsregeln: natürlich = auffällige Betonung; F/ = Konstruktions- oder Wortabbruch; […] = Auslassung; (.) = kurze Pause; (1) = Pause mit Sekundenangabe; (xxx) unverständliche Passage; (mit) = unsichere Transkription; *wirklich* = leise gesprochen; #daher# = laut gesprochen; „Wort“ = wörtliche Rede.

  7. 7.

    Auf die Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten und ihre sozialen Funktionen hat in den letzten Jahrzehnten vor allem die Nations- und Ethnizitätsforschung hingewiesen. In der Debatte um die vermutete ostdeutsche Identität haben solche theoretischen Bezüge allerdings keine Rolle gespielt (dazu Karstein und Schmidt-Lux 2006).

  8. 8.

    Allerdings gab es in unserem Material auch Familien, die ganz offensiv mit generationellen Unterschieden umgingen. Dabei kam auch der Generationenbegriff zum Einsatz und fungierte als ein Unterbrechungsbegriff, der markieren sollte, dass die Angehörigen verschiedener Generationen durch ganz unterschiedliche Lebensbedingungen und Erfahrungen geprägt sind. Aber diese Differenz wurde nicht als problematisch empfunden. Der Verweis auf die Generationszugehörigkeit von Familienmitgliedern diente in diesen Fällen – gerade umgekehrt – dazu, Familienmitglieder gewissermaßen zu entlasten. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der „Strategie der Externalisierung“ (Wohlrab-Sahr et al. 2009, S. 103–108). Sie diente bspw. in einem Fall dazu, die Verstrickungen des Großvaters in das NS-System zu entschärfen. Dabei wurde dessen individuelle Geschichte während des Gesprächs zu einer kollektiven gemacht: nicht nur der eigene Großvater, sondern der Großteil dieser „alten Generation“ sei entsprechend politisch geprägt worden, das sei „selbstverständlich“ gewesen. Diese Zuschreibung erfolgt hier nicht in kritischer Absicht. Vielmehr dient die Zuordnung zu einer Generation der Exkulpierung des Verhaltens während der Nazi-Zeit.

Literatur

  • Anderson, B. (1996). Die Erfindung der Nation. Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Bertram, H. (2000). Die verborgenen familiären Beziehungen in Deutschland: die multilokale Mehrgenerationenfamilie. In M. Kohli & M. Szydlik (Hrsg.), Generationen in Familie und Gesellschaft (S. 97–121). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Bohnenkamp, B., Manning, T., & Silies, E.-M. (Hrsg.). (2009). Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster. Göttingen: Wallstein.

    Google Scholar 

  • Bude, H. (1987). Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Bude, H. (1995). Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938–1948. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Bude, H. (2000). Qualitative Generationsforschung. In U. Flick, E. Kardorff, & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch (S. 187–194). Reinbek: Rowohlt.

    Google Scholar 

  • Hacker, M., Maiwald, S., Staemmler, J., Enders, J., Lettrari, A., Pietzcker, H., Schober, H., & Schulze, M. (2012). Dritte Generation Ost. Wer wir sind und was wir wollen. Bonn: Christoph Links.

    Google Scholar 

  • Jagodzinski, W. (2000). Religiöse Stagnation in den Neuen Bundesländern: Fehlt das Angebot oder fehlt die Nachfrage? In D. Pollack & G. Pickel (Hrsg.), Religiöser und kirchlicher Wandel in Ostdeutschland 1989–1999 (S. 48–69). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Jureit, U., & Wildt, M. (2005). Generationen. In U. Jureit & M. Wildt (Hrsg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs (S. 7–27). Hamburg: Hamburger Edition.

    Google Scholar 

  • Karstein, U. (2013). Konflikt um die symbolische Ordnung. Genese, Struktur und Eigensinn des religiös-weltanschaulichen Feldes in der DDR. Würzburg: Ergon.

    Google Scholar 

  • Karstein, U., & Schmidt-Lux, T. (2006). „Ossis“ und „Wessis“ als „imagined communities“. Über die kommunikative Prägung kollektiver Grenzen in ostdeutschen Familien. Deutschland Archiv, 39, 875–883.

    Google Scholar 

  • Keppler, A. (1994). Tischgespräche. Über Formen kommunikativer Vergemeinschaftung am Beispiel der Konversation in Familien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Kohli, M. (1994). Generationenbeziehungen und soziale Netzwerke. In L. Vaskovics & M. Garhammer (Hrsg.), Soziologie familialer Lebenswelten. (Soziologische Revue, Sonderheft 3) (S. 113–118). München: Oldenbourg.

    Google Scholar 

  • Kühnemund, H., & Motel, A. (1999). Ältere Menschen und ihre erwachsenen Kinder – Bilanz und Perspektiven familialer Hilfe- und Transferbeziehungen. In H. Schwengel (Hrsg.), Grenzenlose Gesellschaft. Verhandlungen des 29. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Freiburg (S. 240–243). Pfaffenweiler: Centaurus Verlagsgesellschaft.

    Google Scholar 

  • Leggewie, K. (1995). Die 89er. Portrait einer Generation. Hamburg: Hoffmann und Campe.

    Google Scholar 

  • Leggewie, K. (1996). „Ihr kommt nicht mit bei unseren Änderungen!“ Die 89er – Generation ohne Eigenschaften? Transit. Europäische Revue, 11, 3–17.

    Google Scholar 

  • Mannheim, K. (1970/1928). Das Problem der Generation. In K. Mannheim & K. H. von Wolff (Hrsg.), Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk (S. 509–565). Neuwied: Luchterhand.

    Google Scholar 

  • Matthes, J. (1987). Karl Mannheims „Das Problem der Generationen“ neu gelesen. Generationen – „Gruppen“ oder „gesellschaftliche Regelungen von Zeitlichkeit“. Zeitschrift für Soziologie, 14, 363–372.

    Google Scholar 

  • Meulemann, H. (2000). Der lange Schatten der erzwungenen Säkularisierung. Religiöse Unsicherheit und religiöse Indifferenz in Ost- und Westdeutschland zwischen 1991 und 1998. In H.-H. Noll & R. Habich (Hrsg.), Vom Zusammenwachsen einer Gesellschaft. Analysen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland (S. 223–247). Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Oevermann, U. (1979). Sozialisationstheorie. Ansätze zu einer soziologischen Sozialisationstheorie und ihre Konsequenzen für die allgemeine soziologische Analyse. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft, 21, 143–168.

    Google Scholar 

  • Petzoldt, M. (2009). Zur religiösen Lage im Osten Deutschlands. In B. Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008 (S. 125–150). Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.

    Google Scholar 

  • Pickel, G. (2000). Konfessionslose in Ost- und Westdeutschland – ähnlich oder anders? In D. Pollack & G. Pickel (Hrsg.), Religiöser und kirchlicher Wandel in Ostdeutschland 1989–1999 (S. 206–235). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Rosenthal, G. (2000). Historische und familiale Generationenabfolge. In M. Kohli & M. Szydlik (Hrsg.), Generationen in Familie und Gesellschaft (S. 162–178). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Szydlik, M. (2001). Generationensolidarität, Generationenkonflikt. In J. Allmendinger (Hrsg.), Gute Gesellschaft? Verhandlungen des 30. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Köln (S. 573–596). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Wohlrab-Sahr, M. (2001). Religiöser Wandel als Generationenwandel. In E. Barlösius, H.-P. Müller, & S. Sigmund (Hrsg.), Gesellschaftsbilder im Umbruch. Soziologische Perspektiven in Deutschland (S. 313–340). Opladen: Leske + Budrich.

    Google Scholar 

  • Wohlrab-Sahr, M., & Kaden, T. (2014). Struktur und Identität des Nicht-Religiösen. Relationen und soziale Normierungen. In M. König & C. Wolf (Hrsg.), Religion und Gesellschaft (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 53) (S. 183–210). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Google Scholar 

  • Wohlrab-Sahr, M., Karstein, U., & Schaumburg, C. (2005). „Ich würd mir das offen lassen“. Agnostische Spiritualität als Annäherung an die ‚große Transzendenz‘ eines Lebens nach dem Tode. Zeitschrift für Religionswissenschaft, 13, 153–174.

    Article  Google Scholar 

  • Wohlrab-Sahr, M., Karstein, U., & Schmidt-Lux, T. (2009). Forcierte Säkularität. Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands. Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Uta Karstein .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2016 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Karstein, U., Wohlrab-Sahr, M. (2016). Religiöser Wandel als Generationenwandel? – Betrachtungen zum Generationenkonzept am Beispiel ostdeutscher Generationenverhältnisse. In: Matthäus, S., Kubiak, D. (eds) Der Osten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06401-3_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-06401-3_2

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-06400-6

  • Online ISBN: 978-3-658-06401-3

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics