Zusammenfassung
Mit dem Begriffspaar von Trauma und Tabu lässt sich der Diskurs des Vietnamkrieges auf dem Feld der Television theoretisch wie analytisch fassen. Zum ersten Mal im Rahmen einer Fernsehserie wird der Vietnamkrieg Mitte der 1960er Jahre in The Lieutenant thematisch, dort noch ein kontemporäres Tabu und sehr vorsichtig diskursiviert. Die Serie lässt folglich keinen Zweifel an einer Notwendigkeit des US-Engagements in Vietnam aufkommen, dennoch kehren aber die bereits aus früheren Serien wie Combat! bekannten Ambivalenzen des Genres zurück. Ist es in The Lieutenant zunächst die Titelfigur, deren Vietnamtrauma dem Publikum zur Anschauung kommt, evolviert der Krieg in Vietnam rasch zum Ort einer umfassenden nationalen Traumatisierung. Vietnam wird zum Inbegriff eines unpopulären „bad war“, den die US-Gesellschaft – nicht zuletzt aufgrund einer massiven Medienberichterstattung über Kriegsverbrechen der eigenen Armee – nicht akzeptieren lernen kann. Sind es zunächst Bilder von TV-Nachrichtensendungen, die den Krieg in Vietnam der US-Bevölkerung präsentieren, scheint sich eine Darstellung des Krieges im narrativen Rahmen eines Unterhaltungsformats wie der Fernsehserie zu verbieten. Erst gegen Ende der 1980er Jahre, inspiriert vom Erfolg des umstrittenen Kinofilms Platoon, kommt es mit der Produktion Tour of Duty zu einer TV-Serie, die das Trauma von Vietnam explizit zu ihrem zentralen Sujet macht. Ihr kultureller Tabubruch manifestiert sich damit bereits auf Ebene des Dargestellten, wird jedoch durch die Darstellung selbst noch einmal in seiner Signifikanz potenziert. Tour of Duty liest den Vietnamkrieg dezidiert als audiovisuelle Formation eines Rock’n’Roll War, die sich im Sinne einer produktiven „Fehlleistung“ (Thomas Elsaesser) an der Generierung von ekstatischen Intensitäten abarbeitet. Letztere überbrücken in ihrer Oberflächenästhetik die mit dem Vietnamkrieg einhergehenden soziokulturellen Verschiebungen: Stellt der Zweite Weltkrieg den letzten großen Staatenkrieg des Zwanzigsten Jahrhunderts dar, so spielen die Monopolisierung kriegerischer Gewalt, die Professionalisierung militärischer Apparate und die Symmetrisierung kriegerischer Akteure im Vietnamkrieg keine Rolle mehr. Ersetzt werden sie durch profitable Kriegsökonomien, systematische Desavouierung der Menschenrechte und asymmetrische Kriegsführung, die zwangsläufig einen neuen Diskurs der TV-Kriegsserie implizieren. Eben jenem wird das folgende Kapitel nachgehen, das mit den Konflikten im Nahen Osten und den sog. Neuen Kriegen eine Kontinuität zu Vietnam herstellen, aber auch auf gänzlich veränderte Bedingungen von Gesellschaft und Medienkultur reagieren muss.
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„Das Tabu ist ein uraltes Verbot“, konstatiert Freud, „von außen (von einer Autorität) aufgedrängt und gegen die stärksten Gelüste der Menschen gerichtet. Die Lust, es zu übertreten, besteht in deren Unbewußten fort; die Menschen, die dem Tabu gehorchen, haben eine ambivalente Einstellung gegen das vom Tabu Betroffene. Die dem Tabu zugeschriebene Zauberkraft führt sich auf die Fähigkeit zurück, die Menschen in Versuchung zu führen; sie benimmt sich wie eine Ansteckung, weil das Beispiel ansteckend ist und weil das Verbotene Gelüste im Unbewussten auf anderes verschiebt. Die Sühne der Übertretung des Tabu durch einen Verzicht erweist, dass der Befolgung des Tabu ein Verzicht zugrunde liegt“ (1956, S. 42 f.).
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Entsprechend geißelt etwa ein orthodoxer Ideologiekritiker wie David E. James die Serie und ihren Rekurs auf „sixties rock“ als „constructed according to the codes of television genres, to which nostalgia and other pleasures of the music are entirely […] assimilated“ (1990b, S. 96). Was es mit diesen anderen Gratifikationen auf sich hat, bleibt bezeichnenderweise im Dunkeln.
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Der Song kommt später prominent auch im Abspann von Stanley Kubricks Full Metal Jacket (1987) zur Geltung. Siehe hier den Essay von Douglas Reitinger (1992) zu Kubricks Film und dessen Musikeinsatz.
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Ritzer, I. (2015). Trauma und Tabu. In: Wie das Fernsehen den Krieg gewann. Serienkulturen: Analyse – Kritik – Bedeutung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05920-0_4
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