Zusammenfassung
Wie können Unterstützungsarrangements in der häuslichen Umgebung bei Demenz aus der Perspektive der Hauptbezugsperson tragfähig gestaltet werden? Bei der Beantwortung dieser leitenden Forschungsfrage kristallisieren sich vier unterschiedliche Strategien heraus, in Unterstützungsarrangements zu agieren – mit jeweils damit verbundenen Ressourcen und Problematiken. Die empirische Analyse gibt weitreichende Einsichten in unterschiedliche Praxen familiärer Hilfeleistungen bei Demenz und zeigt gleichzeitig die unterschiedlichen prekären Strukturen auf.
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Notes
- 1.
Vgl. zum Kodierparadigma die dezidierten Ausführungen mit sehr ausführlichen Beispielen bei Strauss und Corbin (1996, S. 78 ff.).
- 2.
Bei der Transkription wurde auf eine Interpunktion verzichtet, da diese in gewisser Weise bereits eine Interpretation darstellt. Drei Punkte „…“ markieren in den Transkripten eine Sprechpause der Interviewee, „/“ markiert eine Änderung im Redefluss und „(2)“ markiert unverständliche Wörter im Prozess des Transkribierens, wobei die Zahl in den Klammern der (vermuteten) Anzahl der Wörter entspricht. Insgesamt folgt die Transkription exakt der Rede der Interviewee, was an einigen Stellen die beschwerliche Lesbarkeit erklärt.
- 3.
Entweder sind in diesen Unterstützungsarrangements keine weiteren Familienmitglieder vorhanden, es besteht kein Kontakt zu ihnen oder die Entfernung zwischen den Wohnorten verhindert eine Übernahme von Fürsorgeleistungen.
- 4.
Dies scheint ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Ehrenamtlichen, NachbarInnen, FreundInnen und Professionellen zu sein: Diese Gruppe muss nicht moralisch begründen, warum sie keine Hilfe (mehr) leistet.
- 5.
Die Interviewee beschreiben hinsichtlich der Diagnosestellung eindrucksvoll, was passieren kann, wenn ein Subjekt auf das System Gesundheitswesen trifft: Einige Interviewee waren bei mehreren FachärztInnen, bis eine für sie die Symptome erklärende Diagnose gestellt werden konnte. Letztlich scheint auch hier ein Aushandlungsprozess vonstatten zu gehen, der bei der Frage nach der Medikamentierung oder der nicht-medikamentösen Behandlung erneut deutlich hervortritt.
- 6.
Ausgenommen davon ist Frau Richert, die ihre Erfahrungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht thematisiert, im Interview aber erwähnt, dass ihr Mann in die Pflegestufe eins eingestuft ist, sie folglich Kontakt mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen gehabt haben muss (vgl. 2-I-02, Z. 106 f.).
- 7.
Im Interview von Frau Krichert (3-I-04) werden keine individuellen Strategien zur Stressbewältigung benannt. Da ihr Mann in „Entlastungseinrichtungen“ nicht alleine bleibt, kann sie die meisten Entlastungsangebote nicht nutzen. Somit fällt es ihr schwerer die Selbstfürsorge als zentrales Moment in ihren Alltag zu integrieren. Andererseits hat sie auch noch nie einen Probetag vereinbart. Die Aushandlung zwischen ihren Bedürfnissen und den (vermuteten) Bedürfnissen ihres Mannes gelingt nicht und macht das Unterstützungsarrangement instabil. So weisen ihre Bewältigungsstrategien häufig maladaptive Folgen auf und im Rahmen des Unterstützungsarrangements hat sie starke körperliche Beschwerden entwickelt.
- 8.
Eine Form der Textiltechnik, bei der verschiedene (Rest-) Materialien neu zusammengestellt werden.
- 9.
Als Trike werden offene, motorisierte Straßenfahrzeuge mit einem Vorderrad und zwei Hinterrädern bezeichnet.
- 10.
Diese Tatsache ist – zumindest teilweise – mit den Umstand zu erklären, dass alle Hauptbezugspersonen vor Beginn der Untersuchung bereits mindestens einmal Kontakt zu einer entsprechenden Beratungsstelle hatten (vgl. 4.3).
- 11.
Frau Krichert beispielsweise erzählt, dass die FreundInnen und Bekannten sie nicht mehr besuchen und ihr die GesprächspartnerInnen fehlen.
- 12.
Als Bewältigungsstrategie einiger männlicher Hauptbezugspersonen wurde ein Teil des Phänomens schon als „Selbstbehauptung“ (vgl. 5.3.3) beschrieben. Dies macht den Umstand deutlich, dass die angewandten Bewältigungsstrategien von der Beziehungsdefinition und der Vorstellung der Hauptbezugsperson von Demenz abhängig ist. Bewältigungsstrategien beschreiben dabei eher die phänomenologische Ebene, während die Beziehungsebene sich der Tiefendimension widmet. Der Zusammenhang scheint folgender: Wenn der/die PartnerIn als Objekt von Management- und Pflegehandlungen betrachtet wird, wird zwangsläufig eine andere Beziehung unterhalten und in der Folge werden andere Bewältigungsstrategien eingesetzt, als wenn der/die PartnerIn als Subjekt mit eigenen Wünschen konstruiert wird.
- 13.
Aus dem Interview und der anschließenden Nachfrage lässt sich rekonstruieren, dass es sich tatsächlich nicht um acht, sondern um ca. eine Stunde handelt.
- 14.
Das primäre Netzwerk wurde bereits in der ersten Achsenkategorie dargestellt.
- 15.
Die Begriffe scheinen von den Interviewee häufig synonym verwendet zu werden. So wird von derselben Person in einigen Interviews an einer Stelle als Bekannte und an anderer als Freundin gesprochen (vgl. exemplarisch: 3-I-05).
- 16.
Die Hilfe- und Unterstützung, die aus der Familie kommt, hingegen oftmals schon. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass FreundInnen, Bekannte und NachbarInnen nicht zwangsläufig begründen müssen, wenn sie keine Unterstützung leisten. Bei Familienangehörigen ist die moralische Verpflichtung zu unterstützen anders gelagert. Bliebe diese aus, bedürfte es einer Begründung. Das bedeutet in der Konsequenz, dass Hauptbezugspersonen in die skizzierten Aushandlungsprozesse mit unterschiedlichen Erwartungen gehen. An die Familie werden andere Erwartungen herangetragen als beispielsweise an ehrenamtlich Tätige.
- 17.
Zu den klassischen Professionen zählen Gildemeister und Robert (1997) folgend beispielsweise Medizin und Jura, die, im Gegensatz zur häufig auch als „Semiprofession“ (29) bezeichneten Sozialen Arbeit durch ein gesellschaftliches Mandat über eine Monopolstellung der von ihren Professionellen erbrachten Leistungen verfügen (vgl. für eine dezidiertere Auseinandersetzung ebd.).
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Frewer-Graumann, S. (2014). Tragfähige Unterstützungsarrangements in der häuslichen Umgebung. In: Zwischen Fremdfürsorge und Selbstfürsorge. Soziale Arbeit als Wohlfahrtsproduktion, vol 3. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05273-7_5
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