1 Einleitung

Die Diskussion um die Digitalisierung im Vertrieb wird intensiv, jedoch nicht immer konstruktiv und argumentativ sauber, geführt. Wichtig erscheint daher zunächst eine Begriffsklärung.

Vertrieb “ bedeutet den Absatz von Produkten und Leistungen am Markt durch eigene Mitarbeiter, Dritte oder unpersönliche Kanäle (z. B. Direct Mailing, Internet oder Telefon), wobei der (persönliche) Verkauf die wichtigste Komponente ist und daher im Folgenden den Schwerpunkt der Ausführungen bildet (Albers und Krafft 2013).

Somit spielen andere Vertriebsbereiche, wie z. B. die Digitalisierung im Handel, in diesem Beitrag lediglich eine ergänzende Rolle. Es sei diesbezüglich auf andere Beiträge im vorliegenden Werk verwiesen.

Der persönliche Verkauf ist ein wirtschaftssozialer Interaktionsprozess zur Schaffung von Mehrwert in Geschäftsbeziehungen mit dem Ziel, direkt oder indirekt Kaufabschlüsse zu erzielen (Weinhold-Stünzi 1991).

In der Praxis spürt man im Gespräch mit Verkaufsmitarbeitern eine wachsende Verunsicherung angesichts der fortschreitenden Digitalisierung. Im Spannungsfeld zwischen persönlicher Kundeninteraktion (effektivitätsorientierte Individualisierung) und IT-gestützter Prozessoptimierung (effizienzorientierte Standardisierung) galt traditionell „High Touch, Low Tech“ als das Erfolgsrezept im Vertrieb (Binckebanck 2014a; Giebelhausen et al. 2014). Demnach kommt am persönlichen Verkauf kein Unternehmen vorbei, das auf qualitativ hochwertige Kundenbetreuung setzt. Neue Technologien im Vertrieb stellen diese Sichtweise jedoch immer stärker in Frage, denn zunehmend gewinnt die digitale Kundeninteraktion an Qualität und Akzeptanz auf Kundenseite. „High Touch through High Tech“ stellt die herkömmliche Vertriebslogik in Frage und ermöglicht vermehrt Vertriebsprozesse, die Effektivität und Effizienz miteinander zu vereinbaren in der Lage sind – und zwar durchaus auch ohne den persönlichen Verkauf.

Studien zeigen, dass neue Technologien den Absatzerfolg in Vertriebskanälen grundsätzlich positiv beeinflussen (Ahearne et al. 2007, 2008; Jelinek et al. 2006; Mathieu et al. 2007; Rapp et al. 2008). Allerdings bleiben die konkreten Zusammenhänge zwischen Technologie und Vertriebsergebnissen weiterhin ein ergiebiges Forschungsgebiet (Raman et al. 2006) – Automatismen existieren nicht.

Panagopoulos subsumiert unter vertriebsbezogenen Technologien „any information and communication technology employed by the sales organization to conduct its essential activities“ (2010, S. 15). Diese Definition erscheint aber angesichts der unüberschaubaren Vielfalt der zur Verfügung stehenden Technologien zu sehr auf die operative Instrumentalebene bezogen. Projekterfahrungen lassen es empfehlenswert erscheinen, die Digitalisierung im Vertrieb eben gerade nicht mit der Techniksicht zu beginnen. Vielmehr gilt mit der Kundenorientierung auch weiterhin das Grundprinzip des Marketings, nämlich den Kunden und seine Bedürfnisse als Ausgangs- und Bezugspunkt aller Unternehmensaktivitäten zu fokussieren. Auf dieser Basis sind geeignete Strategien zu entwickeln, welche die Relevanz der angebotenen Leistung für den Kunden und die glaubwürdige Differenzierung im Wettbewerb zur Erreichung unternehmerischer Ziele festschreiben. Erst nach der Definition der Value Proposition stellt sich die Frage nach Plattform und Technik, nach Online vs. Offline und nach analogen vs. digitalen Instrumenten.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet Digital Sales Excellence den innovativen und prozessorientierten Einsatz von IT-gestützten Hilfsmitteln im Rahmen vertriebsstrategischer Grundsatzentscheidungen, konzeptioneller Rahmenbedingungen sowie operativer Vertriebsprozesse mit dem Ziel, Absatzergebnisse nachhaltig zu steigern und den Vertrieb als eigenständigen Wettbewerbsvorteil zu positionieren.

Daher sollen in diesem Beitrag neue Technologien im Vertrieb aus der Perspektive strategischer Grundsatzentscheidungen im Vertriebsmanagement dargestellt werden. Dabei werden Bausteine erfolgreicher Digitalisierungsstrategien mit vertrieblichen Anforderungen zielorientiert verknüpft. Im Ergebnis entsteht eine Toolbox der Digitalisierung im Vertrieb. Diesem Beitrag liegt also eine strategische Perspektive zugrunde. Im Unterschied hierzu werden konzeptionelle Rahmenbedingungen (Auswahl geeigneter Instrumente aus der Toolbox) und operative Vertriebsprozesse (Anwendung der selektierten Instrumente in der Vertriebspraxis) im Beitrag des Verfassers im dritten Teil des vorliegenden Werkes diskutiert. Der Leser kann sich die beiden Beiträge damit in ergänzender Form erschließen und erhält so einen umfassenden Überblick zur Digitalisierung im Vertrieb, den er dann selektiv durch die einzelnen Fachbeiträge in diesem Buch ergänzen und vertiefen kann.

2 Determinanten von Digital Sales Excellence

Um neue Technologien im Vertrieb strategieorientiert anzuwenden, sollen zunächst Grundlagen des strategischen Vertriebsmanagements dargestellt werden, die den Rahmen für die zielführende Auswahl und Nutzung neuer Technologien im Vertrieb bilden. Anschließend werden in diesem Kapitel Bausteine erfolgreicher Digitalisierungsstrategien aus Merkmalen erfolgreicher E-Business-Unternehmen abgeleitet. Aus der Kombination strategischer Entscheidungstatbestände im Vertrieb mit digitalen Erfolgsfaktoren lässt sich schließlich ein strategischer Bezugsrahmen für Digital Sales Excellence ableiten.

2.1 Strategisches Vertriebsmanagement

In Lehrbüchern wie auch in der Praxis wird der Vertrieb zumeist als operative Aufgabe begriffen (Backhaus et al. 2011). Eine rein operative Interpretation des Vertriebs ist angesichts der zukünftigen Anforderungen an die Absatzfunktion von Unternehmen problematisch (vgl. hierzu und zum Folgenden Binckebanck 2013a). Denn bereits seit einiger Zeit erfordern fundamentale Veränderungsprozesse im externen Umfeld eine Neuausrichtung des Vertriebs bei der Übersetzung von Unternehmens- und Marketingstrategien in überlegenen Kundennutzen und damit strategische Wettbewerbsvorteile (Albers et al. 2010).

Im Einzelnen lassen sich die folgenden, tiefgreifenden Veränderungen identifizieren (Baumgarth und Binckebanck 2011a; ähnlich LaForge et al. 2009; vgl. Evans et al. 2012):

  • Eskalierende Kundenansprüche: Angesichts gestiegener Erwartungen von Kunden, zunehmender Skepsis gegenüber Vertriebsaktivitäten und gleichzeitig fortschreitender Globalisierung sind der Aufbau und die Pflege stabiler Geschäftsbeziehungen für Unternehmen weltweit zu einer strategischen Priorität geworden. Gerade der Trend zur schlanken Unternehmung impliziert eine Verschiebung von der kostengetriebenen und transaktionsorientierten Beschaffung hin zu langfristigen Partnerschaften zwischen Lieferant und Kunde. Der Vertrieb ist hierbei als Werttreiber für anspruchsvolle Kunden häufig wichtiger als das Marketing. Solche Kunden erwarten einerseits, dass Standardprozesse mittels neuer Technologien effizienter ablaufen, dass aber andererseits komplexe Problemlösungen in der persönlichen Interaktion mit Verkäufern effektiver ermöglicht werden.

  • Dienstleistungen als dominanter Fokus: Während in der Vergangenheit typischerweise tangible Produkte und intangible Dienstleistungen getrennt voneinander betrachtet wurden, postuliert die „service-centered logic “ (Vargo und Lusch 2004), dass diese Unterscheidung zugunsten eines integrierten Verständnisses aufzugeben sei. „A service-centered view of exchange implies customized offerings to better fit customers’ needs and identifying firm resources – both internal and external – to better satisfy the needs of customers“ (Sheth und Sharma 2008, S. 262). In diesem Kontext wächst das Interesse an intangiblen Leistungen, hochspezialisierten Fähigkeiten, Know-how, Prozessmanagement und kooperativer Wertschöpfung zwischen Lieferanten und Kunden – alles potenzielle Domänen des Vertriebs. Auch hier können neue Technologien unterstützend, nicht aber substituierend eingesetzt werden.

  • Einfluss der Informationstechnologie (IT): IT hat in den vergangenen Jahren viele Bereiche des Marketings verändert, jedoch sind die Auswirkungen auf das Management von Kundenbeziehungen besonders dramatisch. Dabei hat allerdings die technische Seite von CRM-Systemen zu häufig strategische Aspekte dominiert. Daher gilt es, intelligente Anwendungsmöglichkeiten für neue IT-Lösungen zu entwickeln, die Vertriebsprozesse nicht in feste Schemata zu pressen zu versuchen, sondern die Implementierung strategischer Projekte effektiv und effizient unterstützen. Vertriebsprozesse ohne effektiven Kundenmehrwert werden durch effizientere Alternativen ersetzt. Hier zeigt sich eine Art Digitalisierungsparadoxon: Neue Technologien verändern die Vertriebsprozesse, aber nicht notwendigerweise den Vertrieb in seinem Kern. Anders ausgedrückt: Der Standardverkäufer stirbt aus, es lebe der Mehrwertverkäufer!

  • Globale Wettbewerbsperspektive: Vertrieb erfolgt heute für die meisten Unternehmen wie selbstverständlich über nationale Grenzen hinweg, verstärkt auch durch den Einsatz von Global Virtual Sales Teams (Badrinarayanan et al. 2011). Attraktive Zielkunden sind weltweit zu identifizieren, zu gewinnen und zu betreuen. Andererseits ist aber auch zu beachten, dass der Wettbewerbsdruck stetig steigt. Länder wie China, Indien und Brasilien konkurrieren dabei nicht mehr nur über Kosten, sondern immer stärker auch in den Bereichen Innovation und Qualität. Insofern wird es der Vertrieb immer schwerer haben, sich auf „Made in Germany“ auszuruhen – innovative Value Propositions sind gefragt. Dabei kann die Digitalisierung im Vertrieb per se nur einen bescheidenen Einsatz leisten, denn die technologischen Grundlagen sind relativ leicht imitierbar. Es muss daher gelingen, jenseits der Instrumentalebene neue Technologien mit der Vertriebsstrategie zu verknüpfen und systematisch in die soziale und prozessuale Vertriebsorganisation einzubetten. So entstehen Vertriebssysteme, die sich aufgrund ihrer Komplexität einfachen Imitationsversuchen im globalisierten Wettbewerb entziehen.

  • Strategisches Management und organisatorischer Wandel: Auf zunehmend gesättigten Märkten sorgen Überkapazitäten für veränderte Wettbewerbsmechanismen. Das strategische Management beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit „changing markets, disruptive innovation (simpler, more convenient products), commoditization of products (goods and services), value driven segmentation, and creation of new market space“ (LaForge et al. 2009, S. 201). Dies hat Auswirkungen auf die Unternehmensorganisation („Structure follows Strategy“ nach Chandler 1962), die sich mit dem Wandel von Hierarchien zu Kernprozessen und dem Aufbau von Kompetenzen für funktionenübergreifende Zusammenarbeit zu beschäftigen hat. Insofern sind die gerade in Vertriebsorganisationen häufig tradierten Organisations- und Entlohnungssysteme sowie Absatzprozesse kritisch zu hinterfragen und gemäß der strategischen Schwerpunktsetzung anzupassen. Insbesondere sollte aber auch der Einsatz neuer Technologien unter strategischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

  • Marken: Nicht nur im Konsumgüterbereich, sondern zunehmend auch im B2B-Bereich rücken Marken als relevanter und häufig dominanter Treiber des Unternehmenswertes mehr und mehr in den Fokus des Top-Managements. Speziell für Industriegüter und Dienstleistungen handelt es sich dabei häufig um Dachmarkenkonzepte und Märkte mit einem hohen Anteil an persönlicher Interaktion zwischen Verkäufer und Kunde. In diesen Feldern sind der Aufbau und die Pflege einer starken Marke ohne die Einbindung des Verkaufs schlichtweg unmöglich. Der Vertrieb wird zunehmend zum zentralen Instrument einer interaktiven Markenführung (Binckebanck 2006). Der unbedachte Einsatz neuer Technologien im Vertrieb kann die Interaktionsqualität und damit die Markenführung schwächen sowie den Unternehmenswert gefährden.

Diese Veränderungen implizieren einen signifikanten Transformationsdruck auf die Absatzfunktion und insbesondere auf die Vertriebsorganisation als Schnittstelle zum Markt und zu den Kunden (Homburg et al. 2000). Der Vertrieb wird angesichts der sich dynamisch verändernden Anforderungen zu einer strategischen Ressource (Ingram et al. 2002; Jones et al. 2005; Storbacka et al. 2009). Es ist notwendig, den Vertrieb als integrales Element der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen. Er wird damit Teil des strategischen Managements und der Wertschöpfungskette (Moncrief und Marshall 2005; Sheth und Sharma 2008). Lane und Piercy (2009) sprechen in diesem Kontext vom „strategischen Vertrieb “, der mit seinem spezifischen Kunden- und Marktwissen Ausgangspunkt und nicht Endstation des gesamtunternehmerischen Strategieentwicklungsprozesses sein sollte.

Es wird deutlich: Die Gleichung, nach der Marketing strategisch denkt und Vertrieb operativ umsetzt, greift zu kurz. Moderne Führung im Vertrieb umfasst offensichtlich auch komplexe strategische Überlegungen: „Professionelle Vertriebsarbeit muss sich auf eine klare Vertriebsstrategie stützen […]. Sie stellt die zentralen Weichen für das Tagesgeschäft und reduziert die Gefahr, dass zu oft ‚aus dem Bauch heraus‘ gehandelt wird“ (Homburg et al. 2010, S. 27).

Nach Dannenberg und Zupancic (2008) legt eine Vertriebsstrategie fest, mit welchen Kundengruppen und Kunden welche Ziele erreicht werden sollen, welche Ressourcen dazu in welcher Quantität, Qualität und Zielrichtung eingesetzt werden müssen und welche organisatorischen Rahmenbedingungen benötigt werden. Storbacka et al. definieren Vertriebsstrategie und -management allgemeiner als „a set of design principles that influence the practices carried out on a managerial and operational level and sales management as a set of repeatable patterns of management practice used to influence and monitor sales performance“ (2011, S. 46).

Strategisches Vertriebsmanagement beinhaltet laut Backhaus et al. (2011) insbesondere solche Entscheidungen, die einen grundlegenden und vollständigen Handlungsplan für alternative zukünftige Umweltkonstellationen beschreiben, ohne auf operative Details einzugehen. Insofern ist es eine zentrale Aufgabe für die Führungskraft im Vertrieb, im ersten Schritt grundlegende strategische Vorgaben für die Vertriebsarbeit zu definieren. Dazu gehören aus den übergeordneten Unternehmenszielen abgeleitete Entscheidungen zur Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung, zur Definition von Wettbewerbsvorteilen, zur Kundenbeziehungsstrategie und zur Vertriebskanalstrategie. Solche zieladäquaten Strategien fungieren als Steuerungsmechanismen, um sicherzustellen, dass alle operativen Instrumente auch zielführend eingesetzt werden (Becker 2009). Dies gilt im vorliegenden Kontext insbesondere für den Einsatz neuer Technologien im Rahmen der Digitalisierung im Vertrieb.

Die Vertriebsstrategie muss also die grundsätzliche Ausrichtung aller vertriebsbezogenen Instrumente festlegen, sodass ein einheitliches Verständnis unter den Mitarbeitern und ein einheitlicher Auftritt am Markt sichergestellt werden (Homburg et al. 2010). Strategische Grundsatzentscheidungen sind in Abgrenzung von operativen Entscheidungen solche, die längerfristige Auswirkungen haben und nur schwer revidierbar sind (Backhaus und Schneider 2009). In Bezug auf das strategische Vertriebsmanagement betreffen sie Aspekte, die einen direkten Bezug zu der Zuordnung der Vertriebsressourcen zu den Kunden haben (Backhaus et al. 2011). Nach Panagopoulos und Avlonitis (2010) umfasst eine Vertriebsstrategie insbesondere vier Dimensionen: Kundensegmentierung, Kundenpriorisierung, Geschäftsbeziehungsmanagement und Vertriebskanalmanagement. Homburg et al. (2010) betonen darüber hinaus noch den Stellenwert vertriebsbezogener Wettbewerbsvorteile und das Thema Preispolitik. Da Letzteres in der Praxis zumeist nicht primär im Kompetenzbereich des Vertriebs angesiedelt ist, sind im Rahmen der Vertriebsstrategie typischerweise lediglich die erstgenannten Aspekte zu diskutieren, und zwar in der Reihenfolge nach zunehmenden strategischen Freiheitsgraden für die Führungskraft im Vertrieb (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Entscheidungstatbestände des strategischen Vertriebsmanagements im Überblick. (Quelle: Binckebanck 2013a, S. 30)

Grundsätzlich ist demnach zu beachten, dass das strategische Vertriebsmanagement integriert zu betreiben ist. Es handelt sich um grundlegende Weichenstellungen, die letztlich der gesamtunternehmerischen Zielerreichung dienen und daher stets unter Berücksichtigung des übergeordneten Zielsystems zu betrachten sind. Darüber hinaus handelt es sich um eine Funktionalstrategie, die mit den anderen Strategieelementen im Unternehmen abzustimmen ist (z. B. Marketing, Logistik, Kundendienst, vgl. Storbacka et al. 2009). Entsprechend wichtig sind Schnittstellenmanagement und somit auch integrative Managementkompetenz der Vertriebsleitung.

Die folgenden Entscheidungstatbestände sind vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung für die Vertriebsstrategie:

  • Ausgangspunkt des strategischen Vertriebsmanagements ist die Definition der zu bearbeitenden Kunden und die Analyse ihrer Bedürfnisse. Handelt es sich im Ergebnis um eine große Zahl heterogener Kunden, so sollte im nächsten Schritt eine Kundensegmentierung erfolgen. Die definierten Segmente sind schließlich mit Blick auf eine differenzierte Marktbearbeitung nach ökonomischen Kriterien zu priorisieren.

  • Im zweiten Schritt ist die Leistung zu definieren, die der Marktbearbeitung zugrunde gelegt werden soll. Diese Leistung muss gleichzeitig Kundenbedürfnisse befriedigen, sich vom Wettbewerb abheben und ökonomisch ertragreich sein. Es geht also um die Identifikation strategischer Wettbewerbsvorteile. Mit Blick auf den Vertrieb ist insbesondere dessen Beitrag hierzu zu klären. In der Praxis emanzipiert sich der Vertrieb zunehmend von der ihm zugedachten ausführenden Rolle hin zu einer unternehmerischen Kernkompetenz. Ein solcher strategischer Vertrieb muss sich allerdings in das integrierte Management des Gesamtunternehmens einfügen und darf nicht als Black Box eine Parallelexistenz entwickeln.

  • Im dritten Schritt ist die Kundenbeziehungsstrategie auszugestalten. Diese kann sowohl operative Vertriebsaktivitäten zielführend steuern als auch im Erfolgsfall selbst zum strategischen Wettbewerbsvorteil werden. Dazu müssen aber konzeptionelle Fragen stärker gewichtet werden als IT-systemische. Außerdem ist die ökonomische Perspektive zentral: Nicht jeder Kunde darf aus Kostengründen als König behandelt werden. Die Effektivitätsperspektive (Zielgröße: Kundenzufriedenheit) ist zwingend mit einer Effizienzperspektive (Zielgröße: Kundendeckungsbeitrag) zu kombinieren. Die Kundenbindungsinstrumente sind vor diesem Hintergrund gezielt und systematisch einzusetzen.

  • Im letzten Schritt müssen die Träger des Kundenbeziehungsmanagements ausgewählt werden. Vertriebswege und Vertriebspartner müssen die Zielkunden mit den definierten Leistungen in der vorgegebenen Art und Weise der Interaktion erreichen und dabei die Anbietermarke positionieren und differenzieren. Im Rahmen der Festlegung der vertikalen und horizontalen Vertriebskanalstruktur ist insbesondere zu klären, ob das Unternehmen direkt, indirekt oder parallel im Rahmen eines Mehrkanalvertriebs vertreiben möchte. Im indirekten Vertrieb sind weiterführend zwischenbetriebliche Kooperationsformen vertraglich abzusichern und Schwerpunkte in der Zielrichtung der Stimulierungsmaßnahmen festzulegen.

Für die digitale Operationalisierung der Vertriebsstrategie bezüglich der vier skizzierten Entscheidungstatbestände erscheint es zielführend, zunächst Bausteine erfolgreicher Digitalisierungsstrategien aus Merkmalen erfolgreicher E-Business-Unternehmen abzuleiten. Daher werden im Folgenden Erfolgsfaktoren im E-Business diskutiert.

2.2 Erfolgsfaktoren im E-Business

Strauß (2013) hat die Praxis im E-Business auf der Basis von 34 Einzelinterviews mit E-Business-/Digital-Verantwortlichen und einer anschließenden quantitativen Befragung von 138 Unternehmen umfassend untersucht. Überprüft und fortgeschrieben wurden diese Erkenntnisse durch die Begleitung von fast 30 Umsetzungsprojekten von E-Business-, Marketing-, Vertriebs- und CRM-Konzepten in Unternehmen unterschiedlichster Branchen über die letzten 20 Jahre. Auf dieser breiten Grundlage war es möglich, die Entwicklung von Digital-Business-Konzepten zu analysieren und insbesondere die zugrunde liegenden Erfolgsfaktoren zu identifizieren. Diese wurden sodann zu einem E-Business-Bausteinkonzept verdichtet, welches auch zur Erschließung der Potenziale der vertrieblichen Digitalisierung ergiebig erscheint.

Mittels einer Clusteranalyse bzw. Recodierung können hierbei, analog zur Vorgehensweise von Peters und Waterman (2004), zwei Gruppen von Unternehmen identifiziert werden, die sich in Bezug auf den bislang realisierten Erfolg über alle (qualitativen und quantitativen) Erfolgskriterien signifikant unterscheiden: Einerseits „exzellente“ Unternehmen („Winner“), d. h. Unternehmen mit einer erfolgreichen Umsetzung bzw. Nutzung von E-Business, und andererseits nicht erfolgreiche Unternehmen („Follower“). Die Analyse der Unterschiede zwischen beiden Gruppen lässt Rückschlüsse auf die zentralen Erfolgstreiber im E-Business zu (Strauß 2013):

  • E-Business-Strategie und Geschäftsmodell: Die Existenz bzw. das Fehlen einer E-Business-Strategie ist ein erster wesentlicher Erfolgstreiber. Bei den „Followers“ basiert das Engagement im E-Business tendenziell eher auf Wunschdenken, Aktionismus und der Notwendigkeit, „dabei zu sein“. Systematische Konzepte zur Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung sind die Ausnahme. Die unzureichend strategische Nutzung des Internets führt in der Folge häufig zu digitalen Enttäuschungen. Bei den „Winners“ ist die Digitalisierung dagegen integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und abgeleiteter Funktionalstrategien. Sie wird darüber hinaus ergänzt durch eine passende IT-Strategie. Das Geschäftsmodell wird kontinuierlich und systematisch überdacht sowie proaktiv, kreativ und evolutionär weiterentwickelt.

  • Differenzierung: Im Mittelpunkt einer erfolgreichen E-Business-Strategie steht bei den „Winners“ eine ausgeprägte Abgrenzung von Wettbewerbern durch Differenzierung in Verbindung mit einer hohen Kundenfokussierung (etwa durch Individualisierung der Kundenbeziehungen oder die Konzentration auf kleinste Kundensegmente).

  • Realistische Einschätzung der Hürden: Die „Follower“ sehen sich eher mit Hürden aufgrund unzureichender allgemeiner Rahmenbedingungen oder fehlender interner Voraussetzungen konfrontiert. „Winner“ dagegen fühlen sich durch vergleichsweise leichter lösbare Probleme herausgefordert, etwa unzureichende Dienste zur Unterstützung der Unternehmensprozesse (z. B. Logistik oder Zahlung).

  • Erwartete Auswirkungen des E-Business: Manager bei den „Winners“ verfügen über ein ausgeprägtes Verständnis hinsichtlich der Auswirkungen des E-Business, etwa eine über alle Kundenkontaktpunkte konsistente Kundenerfahrung bereitstellen zu müssen oder die veränderten Möglichkeiten des Preismanagements im E-Business aktiv zu nutzen.

  • Bewusstsein für ein aktives Channel-Management: „Winner“ sind deutlich stärker als „Follower“ für Konfrontationen mit den traditionellen Vertriebskanälen sensibilisiert. Die höhere Intensität in der Auseinandersetzung mit den Potenzialen und den Auswirkungen des E-Business führt dazu, dass die Problematik von Vertriebskanalkonflikten deutlich eher erkannt wird und kontinuierlich an systematischen Lösungsansätzen im Rahmen eines Multi-Channel-Ansatzes gearbeitet wird.

  • Nutzung der Medienspezifika in Marketing Communications: „Winner“ realisieren in Marketing und Vertrieb eine stärkere Kundenbindung ebenso wie ein systematisches Kundendatenmanagement. Gleichzeitig bieten sie häufiger die Möglichkeit zur interaktiven Zusammenstellung individualisierter Informationen. Gleichzeitig bieten sie häufiger die Möglichkeit zur interaktiven Zusammenstellung individualisierter Informationen im Rahmen eines One‐to‐One‐Marketings. „Winner“ nutzen darüber hinaus stärker höherwertige Instrumente im Online-Marketing, wie Location Based Services oder Customer-Journey-Analysen. Eng verbunden mit der verstärkten Kundenorientierung sind beispielsweise eine stärkere Differenzierung der Homepage oder ein systematischeres („Pull“) Content-Marketing. „Follower“ hingegen nutzen nach wie vor eher die klassischen Online-Marketing-Instrumente, wie E-Mail-Marketing oder Online-Events.

  • Einsatz von E-Customer-Relationship-Management (E-CRM): „Winner“ erfassen und verdichten Kundendaten über verschiedene Informationsquellen hinweg systematischer. Dabei erweisen sie sich als problembewusster in Bezug auf die bei der CRM-Einführung möglichen Probleme, wie etwa unzureichende Funktionalitäten von Standard-CRM-Software oder aufwendige Integration in die bestehende IT-Infrastruktur.

  • Prozessorientierung: „Winner“ haben eine prozessorientierte Perspektive auf das Unternehmen. Sie realisieren mit den Instrumenten der Digitalisierung verkürzte Durchlaufzeiten, reduzierte Kosten der Lagerhaltung oder automatisierte Auftragsbearbeitung. Dabei werden auch die erforderlichen Grundlagenkonzepte des Prozessmanagements berücksichtigt, wie etwa ein Re-Engineering.

  • Organisationsanpassung: „Winner“ haben den Besonderheiten des E-Business zunächst meist in Form eigener Geschäftsbereiche oder sogar Ausgründungen Rechnung getragen. Nachfolgend wurde die „E-Verantwortung“ dann sukzessive zurück in die jeweiligen Fachbereiche, z. B. Marketing/Vertrieb, übergeben, mit zentralen „Competence-Centern“ als unternehmensinternen Dienstleistern zur übergreifenden Koordination und für Know-how-Transfer. „Follower“ hingegen delegieren die Digitalisierung deutlich stärker an die IT-Abteilung. Die adäquate organisatorische Verankerung für die Digitalisierung und resultierende Strukturanpassungen machen Unternehmen des E-Business zur „digitalen Dauerbaustelle“. Das „dauerhafte Beta“ erfordert deutlich mehr Mitarbeiter mit Projekt- und Realisierungskenntnissen.

Vor diesem Hintergrund lassen sich einige übergreifende Leitlinien für digitale Spitzenleistungen identifizieren (Strauß 2013):

  • Integrierte Betrachtung : E-Business erfordert die systematische und durchgehende Integration von technischen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen im Rahmen eines aktiven Managements. Erfolgreiche Unternehmen führen keine Grabenkämpfe um den Stellenwert einzelner Unternehmensbereiche, um „online vs. offline“ oder „mobile vs. stationär“. Es geht vielmehr um die bestmögliche Umsetzung eines Geschäftsmodells mit integrierter Betrachtung betriebswirtschaftlicher und IT-technischer Fragestellungen über alle betrieblichen Funktionsbereiche hinweg.

  • Value Creation und Profitorientierung: Die erfolgreiche Digitalisierung eines Wirtschaftsunternehmens basiert einerseits auf kundenorientierter Mehrwertgenerierung (Effektivitätsorientierung ), muss aber andererseits letztendlich einem ökonomischen Kalkül folgen (Effizienzorientierung ). Auch im E-Business stehen zumindest mittelfristig „harte“ finanzwirtschaftliche Kennzahlen zum Nachweis unternehmerischen Erfolgs im Vordergrund.

  • Wertschöpfungskettenintegration und -vernetzung: „Winner“ sind weniger auf die Nutzung von neuen Technologien innerhalb einzelner funktionaler Unternehmensbereiche ausgerichtet, sondern vielmehr auf die Vernetzung und ganzheitliche Betrachtung der Dimensionen über alle Funktionen hinweg. Die Integration über die gesamte Wertschöpfungskette beschränkt sich dabei nicht nur auf innerbetriebliche Prozesse, sondern vernetzt auch unternehmensübergreifend die Wertschöpfungsstufen. Die zentrale Herausforderung besteht in der informationstechnischen, organisatorischen und gleichzeitig prozessorientierten Anbindung von Wertschöpfungspartnern, von den Zulieferern bis hin zum Endkunden.

  • Kombination von Kernkompetenzen mit innovativen Geschäftsmodellen: Nachhaltiger Erfolg gründet zumeist auf der Kombination von Kernkompetenzen in traditionellen Geschäftsfeldern mit innovativen Geschäftsmodellen bzw. neuen Technologien („Brick & Click“). Das traditionelle Projektmanagement mit seinen sequenziellen, eher formalen und hierarchischen Ansätzen wird ersetzt durch permanentes Innovationsmanagement im „dauerhaften Beta“, unter bewusster Inkaufnahme von Fehlschlägen und -investitionen. Dies wird unterstützt durch ein systematisches Kompetenzmanagement und die konsequente Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen auf operative Ebenen.

  • Total-Customer-Experience-Management : Mit dem Stellenwert von Social Media wächst die Notwendigkeit, sämtliche Kundeninteraktionen konsistent über alle „Touchpoints“ entlang der Customer Journey hinweg zu orchestrieren („Total-Customer-Experience–Management“, vgl. Jaffe 2010; Webb 2011).

Die skizzierten Erfolgstreiber und Leitlinien lassen sich zu einem Bausteinkonzept im Sinne von Gestaltungsfeldern verdichten (Strauß 2013). Demnach ist als erster und zentraler Schritt eine E-Business-Strategie einschließlich des zu verfolgenden Geschäftsmodells zu erarbeiten. Anschließend gilt es unter Beachtung der zuvor formulierten Leitlinien, übergeordnete Aufgabenstellungen und Anwendungsbereichen des E-Business (wie E-CRM oder IT-Strategie) zu konkretisieren. Auf dieser Ebene sind alle betroffenen Unternehmensfunktionen einzubeziehen bzw. in betriebswirtschaftlicher und technischer Hinsicht zu integrieren. Für die Operationalisierung und Umsetzung dieser Bausteine bieten sich schließlich spezifische Methoden und konkrete Maßnahmen an (Strauß 2013):

  • E-CRM: Konkretisierung durch Bausteine wie das Kundendaten-, Preis- und Vertriebskanalmanagement;

  • Individualisierung: Entweder individualisierte Kundenansprache (One-to-One-Marketing oder Targeting) oder kundenindividuelle Leistungserstellung (Mass Customization);

  • Marketing Communications: Operative Aufgabenstellungen, wie (realtime) Online-Werbung, Suchmaschinenmarketing, Social-Media-Marketing, Einsatz von Bewegtbildern oder auch Content-Marketing;

  • Value-Chain-Management: Gestaltung und Koordination effizienter Prozessabläufe im Rahmen eines übergreifenden E-Supply-Chain-Management-Ansatzes bzw. eines spezifischeren E-Procurement;

  • Content-Management: Sonderrolle im Bausteinkonzept, da Content-Management Eingang in alle anderen übergeordneten Bausteine findet, etwa im Rahmen des E-Procurement als Management von Bestellkataloginformationen oder im Rahmen der Individualisierung kommunikationspolitischer Maßnahmen;

  • Organisationsgestaltung: Wahl der eingesetzten Koordinationsmechanismen und der grundlegenden Organisationsstruktur;

  • IT-Strategie: Aufgabenstellungen im Bereich von spezifischen E-Business-IT-Architekturen, Services und Anwendungen sowie Datenschutz und -sicherheit;

  • Online und Mobile Payment: Weitreichende Bedeutung für den Erfolg im E-Business, daher Bezahlsysteme als separater Baustein;

  • E-Controlling: Maßnahmen zur Operationalisierung und Messung der Zielerreichung, vornehmlich anhand von Balanced Scorecards;

  • Launch- und Projektmanagement: Orchestrierung aller Maßnahmen zur Initialisierung von E-Business.

Abbildung 2 fasst die Überlegungen zum Bausteinkonzept für Digital Business zusammen. Es ist abschließend darauf hinzuweisen, dass die Bausteine vielfältige Überschneidungen und Wechselwirkungen aufweisen. So bildet etwa die eindeutige Identifizierung von Kunden und zugehörigen Nutzerprofilen im Rahmen des Kundendatenmanagements die Grundlage für eine nachfolgende Individualisierung im Rahmen eines One-to-One-Marketings.

Abb. 2
figure 2

Bausteinkonzept für Digital Business Excellence. (Quelle: Strauß 2013, S. 27)

Die Erfolgsfaktoren aus dem E-Business können nun im nächsten Schritt auf die Digitalisierung im Vertrieb übertragen werden. Aus der Verknüpfung von Leitlinien und Bausteinen der Digitalisierung mit strategischen Grundsatzentscheidungen im Vertriebsmanagement ergibt sich so ein Bezugsrahmen für Digital Sales Excellence.

2.3 Bezugsrahmen für Digital Sales Excellence

Digitalisierung per se macht kein Unternehmen automatisch erfolgreich. Der zielgerichtete Einsatz neuer Technologien im Vertrieb erfordert vielmehr deren Einbindung in ein strategisches Gesamtkonzept. Hierbei sind – in vertikaler und horizontaler Abstimmung mit anderen Strategieelementen des Unternehmens – vier wesentliche Entscheidungstatbestände im Vertriebsmanagement zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Erfolgsfaktoren bei der Digitalisierung lassen sich aus der Analyse erfolgreicher E-Business-Unternehmen zentrale Bausteine ableiten und – teils in leicht modifizierter Form – den Dimensionen des strategischen Vertriebsmanagements zuordnen:

  • Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung: Zunächst ist die Basis für die Marktbearbeitung festzulegen. Dazu muss geklärt werden, welchen Beitrag neue Technologien im Rahmen der gesamtunternehmerischen E-Strategie leisten sollen. Insbesondere ist die Grundsatzfrage zu klären, ob diese Technologien eigenständige Strategieansätze rechtfertigen oder ob ihnen lediglich Umsetzungscharakter zugesprochen wird. Neue Technologien schaffen im Vertrieb insbesondere neue Möglichkeiten einer individuellen Kundenbearbeitung. Daher ist auch der Digitalisierungsbaustein Digitale Individualisierung dieser Strategiedimension zuzuordnen.

  • Definition von Wettbewerbsvorteilen: Bei der Identifikation strategischer Wettbewerbsvorteile als Ausgangspunkt für die Differenzierung und Positionierung von Leistungsangeboten ist der potenzielle Beitrag des Vertriebs zum E-Geschäftsmodell des Unternehmens zu untersuchen. In Abhängigkeit vom Digital Value des Geschäftsmodells liegt grundsätzlich ein wesentlicher Nutzen neuer Technologien in innovativen Möglichkeiten zur Interaktion mit Kunden durch E-Marketing Communications. Dies wiederum setzt die Bereitstellung qualitativer Inhalte durch ein systematisches E-Content-Management voraus.

  • Kundenbeziehungsstrategie: Kundenbeziehungsmanagement ist in der Vergangenheit häufig auf ein IT-System verkürzt worden, was in der Praxis zu Reaktanzen geführt hat. Hier kann die zielführende Einbindung neuer Technologien im Rahmen eines E-CRM eine zweite Chance zur Nutzung entsprechender Potenziale liefern. Versteht man das CRM-System als funktionenübergreifenden Integrationsmechanismus auf operativer Ebene, so gewinnt die Konsistenz über alle Kundeninteraktionspunkte (Customer Touchpoints) im Rahmen eines Total-Customer-Experience-Managements hierbei zentrale Bedeutung.

  • Vertriebskanalstrategie: Im Mittelpunkt stehen bei dieser Strategiedimension zwischenbetriebliche Kooperationen, denn aus der übergeordneten Sicht des Value-Chain-Managements ist der Vertriebskanal des einen Unternehmens die Bezugsquelle eines anderen (B2B) bzw. des Endkunden (B2C). Aus Anbietersicht stehen verschiedene Alternativen für das Vertriebskanalmanagement zur Verfügung, wobei durch das Internet in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten hinzugekommen ist. Schließlich implizieren webbasierte Vertriebskanäle und auch mobile Leistungen wiederum besondere Anforderungen an Preismanagement und Bezahlsysteme (E-Pricing und E-Payment), die in der Praxis einen wesentlichen Einflussfaktor auf die Akzeptanz auf Kundenseite und damit auch auf den Erfolg des Angebots darstellen.

Bei der digitalen Umsetzung der Vertriebsstrategie sind einige grundsätzliche Leitlinien zu beachten. Durch die Berücksichtigung des vertrieblichen Kontextes ergeben sich hierbei einige Änderungen im Vergleich zum Bausteinmodell des Digital Business Excellence. Die dort als Leitlinie verwendete „Wertschöpfungskettenintegration und Vernetzung“ wird hier im Zusammenhang mit dem Value-Chain-Management betrachtet. „Total-Customer-Experience-Management“ wird im Vertriebskontext von einer allgemeinen Leitlinie zu einem konkreten Erfolgsfaktor der Digitalisierung. „Value Creation und Profit“ wiederum ist im Vertrieb von so zentraler Bedeutung, dass es sinnvoll erscheint, die beiden Aspekte zu trennen. Einerseits müssen neue Technologien konsequent zur Befriedigung von Kundenbedürfnissen (Customer Value) beitragen, und zwar effektiver als der Wettbewerb. Andererseits darf dabei die betriebswirtschaftliche Ergebnisorientierung nicht zu kurz kommen: Die Schaffung von Kundennutzen muss dem Effizienzkriterium genügen und zu wirtschaftlichen Vorteilen für den Anbieter führen. Darüber hinaus erscheinen die integrierte Betrachtung und die Kombination von Kernkompetenzen und innovativen Anwendungen als zentrale Leitlinien der Digitalisierung im Vertrieb.

Im Rahmen der Umsetzung ist zu unterscheiden zwischen solchen Aspekten, die typischerweise außerhalb des Einflusses der Vertriebsorganisation liegen, und solchen, die unmittelbar den Vertriebsprozessen zuzuordnen und damit beeinflussbar sind. Im Modell des Digital Business Excellence finden sich mit der Organisationsgestaltung, der IT-Strategie, dem E-Controlling und dem Launch-/Projektmanagement vier Bausteine, die übergeordneten Funktionen zugeordnet werden können. Der strategisch orientierte Vertrieb sollte allerdings den Anspruch entwickeln, sich auch in die entsprechenden Entscheidungsprozesse außerhalb der Vertriebsorganisation einzubringen und hierbei vertriebliche Belange einfließen zu lassen. Die konkrete Umsetzung innerhalb der Vertriebsorganisation findet auf drei Ebenen statt, in deren Mittelpunkt die Führungsebene steht (Binckebanck 2013a). Die Führungskraft muss zum einen auf der Konzeptionsebene Rahmenbedingungen der Vertriebsorganisation mit Blick auf die strategischen Grundsatzentscheidungen einerseits und die gewünschten Vertriebsergebnisse andererseits konfigurieren und dabei digitale Erfolgsfaktoren systemisch berücksichtigen. Dazu gehören Aspekte der Vertriebsziele und -systeme, der Vertriebsorganisation, der vertrieblichen Steuerungssysteme, des Kundenbeziehungsmanagements sowie von Vertriebskultur und -philosophie. Diese Parameter bilden die Voraussetzungen für den Absatzerfolg. Zum anderen muss die Führungskraft auf der Durchführungsebene Akzeptanz und ein einheitliches Verständnis von Vertriebsstrategie und Systemumfeld unter den Mitarbeitern schaffen und gleichzeitig als Trainer und Coach im operativen Tagesgeschäft fungieren. Die Führungskraft muss also auf das zielkompatible Selbstverständnis, die Selbstorganisation sowie auf die Persönlichkeitsmerkmale, soziale und fachliche Kompetenzen proaktiv Einfluss nehmen. Die Durchführungsebene umfasst damit die individuelle Verkaufsleistung inklusive der individuellen Unterstützung durch neue Technologien. Weiterführende Hinweise zum systematischen Einsatz neuer Technologien in der operativen Vertriebsarbeit finden sich im Beitrag des Verfassers im dritten Teil des vorliegenden Werkes.

Abbildung 3 fasst die Überlegungen zu einem Bezugsrahmen für Digital Sales Excellence grafisch zusammen. Im Folgenden sollen die vertrieblichen Strategiedimensionen und die direkt zuzuordnenden digitalen Erfolgsfaktoren vertiefend diskutiert werden.

Abb. 3
figure 3

Bezugsrahmen für Digital Sales Excellence

3 Digitale Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung

Zunächst soll in diesem Abschnitt der zugrunde liegende vertriebliche Entscheidungstatbestand kurz skizziert werden. Anschließend erfolgt eine Diskussion der beiden digitalen Erfolgsfaktoren E-Strategie und Individualisierung.

3.1 Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung als vertriebsstrategische Grundsatzentscheidung

Startpunkt der Vertriebsstrategie ist zunächst einmal die Kundendefinition , auf deren Basis anschließend Segmentierungs- und Priorisierungsentscheidungen getroffen werden können. Diese ersten Grundsatzentscheidungen wiederum determinieren strategische Folgeentscheidungen, beispielsweise zur Art und Weise der Kundenbeziehung oder zur Eignung einzelner Vertriebskanäle (Backhaus et al. 2011). Wer die Frage „Wer sind unsere Kunden?“ zu eng beantwortet, wer also die Kunden der Kunden nicht in Betracht zieht, versteht die Bedürfnisse der direkten Kunden nicht umfassend genug, erkennt Trends zu spät und vergibt die Chance zum Pull-Marketing. Wer seine Kundschaft dagegen zu weit fasst, verliert möglicherweise seinen Marktfokus, wird zum Anbieter generischer Leistungen und damit austauschbar. Diese Überlegungen erfolgen analog zur Abgrenzung des relevanten Marktes im Marketing, welche auf der Grundlage von Kundenbedürfnissen und nicht anhand von eng definierten Produktkategorien erfolgen sollte (Meffert et al. 2012). Demnach ist die Frage nach den grundlegenden Bedürfnissen der Kunden eng verbunden mit der Kundenidentifikation und führt zur Notwendigkeit, im Rahmen der Vertriebsstrategie ein klar definiertes Nutzenversprechen zu entwickeln und so Wettbewerbsvorteile zu generieren und abzusichern (Homburg et al. 2010).

Zunächst ist jedoch der Heterogenität der Kunden durch Segmentierung Rechnung zu tragen, um eine einheitliche und effiziente Marktbearbeitung auch über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg sicherzustellen. Das Leistungsangebot des Unternehmens ist möglichst gut an die unterschiedlichen Ansprüche, Wünsche und Präferenzen unterschiedlicher Kundengruppen anzupassen (Homburg et al. 2010). Bei der Kundensegmentierung wird die Gesamtheit der Kunden demnach in bezüglich ihrer Marktreaktion intern homogene und untereinander heterogene Untergruppen (Kundensegmente) aufgeteilt und anschließend differenziert bearbeitet (vgl. Meffert et al. 2012). Die Kundensegmentierung des Vertriebs muss schließlich kompatibel sein mit der Marktsegmentierung aus dem Marketing. Backhaus et al. (2011) diagnostizieren hier erhebliches Konfliktpotenzial, wenn der Vertrieb die Marktsegmentierung nicht „lebt“ und durch eine eigene Segmentierung unterläuft. Die Führungskraft braucht hier neben der fachlichen Kompetenz zur Durchführung einer fundierten Segmentierung auch eine Schnittstellenkompetenz zur integrativen Abstimmung häufig unterschiedlicher Marktbearbeitungsansätze.

Während die Kundensegmentierung aus Sicht der Marktbearbeitung vorgenommen wird, erfolgt die Kundenpriorisierung aus ökonomischer Sicht auf der Basis einer Kundenbewertung. Hierbei wird der Kundenstamm in „wichtige“ und „unwichtige“ Kunden eingeteilt (Kuhlmann 2001), wobei Kriterien herangezogen werden, „die die Bedeutung der Kunden für vertriebsstrategische Entscheidungen verdeutlichen und die Kunden aus Anbieterperspektive in eine sinnvolle Rangfolge der Bearbeitungsintensität bringen“ (Backhaus et al. 2011, S. 42). Auf der Basis der Erkenntnis, dass Kunden unterschiedlich sind, wird nun angesichts knapper Ressourcen für die Marktbearbeitung typischerweise explizit die Schlussfolgerung gezogen, dass Kunden auch vertrieblich unterschiedlich zu behandeln sind. In der Praxis herrscht in Vertriebsorganisationen hinsichtlich der Unterschiedlichkeit meist Einsicht, nicht jedoch hinsichtlich der Konsequenz. Vertriebsmitarbeitern fällt es oft sehr schwer, auf der Basis ökonomischer Kriterien Unterschiede zwischen ihren Kunden zu machen. Vielmehr tendieren sie dazu, ihre eigenen Maßstäbe zu entwickeln, z. B. Sympathie, Schwierigkeitsgrad des Überzeugungsprozesses oder regionale Aspekte. Setzt sich die Führungskraft an dieser Stelle nicht mit einem ökonomischen Strategieansatz der systematischen Kundenpriorisierung durch, so sind Willkür und Diskontinuität auf der Durchführungsebene die Folge.

Die Kundenpriorisierung soll eine Marktbearbeitung nach dem „Gießkannenprinzip“ vermeiden, indem der Leitgedanke der Effizienz im Fokus steht (Homburg et al. 2010). Knappe Vertriebsressourcen sollen für diejenigen Kunden eingesetzt werden, deren wirtschaftliche Attraktivität dies rechtfertigt. Hierzu kommen in der Praxis häufig einfache Heuristiken zur Anwendung, z. B. die ABC-Analyse auf der Basis der „80/20-Regel “ (Belz und Bieger 2004; Bradford et al. 2012). Solche eindimensionalen Ansätze, die zudem meist auch noch auf dem Umsatz als Zielgröße fußen, erfassen die Komplexität des ökonomischen Kundenwerts nur unzureichend. Ergiebiger ist es, mehrdimensional vorzugehen und dabei auch qualitative Kriterien zu berücksichtigen. In Theorie und Praxis existiert eine Vielzahl verschiedener Kundenwertmodelle (vgl. Jones et al. 2005; Krafft 2007). Empfehlenswert erscheint insbesondere die Unterscheidung von Marktpotenzial und Ressourcenpotenzial als Determinanten des Kundenwerts. Das Marktpotenzial eines Kunden umfasst die gegenwärtigen und/oder zukünftigen direkten Transaktionen mit dem Anbieter im Rahmen einer Geschäftsbeziehung. Der Kundenwert ergibt sich jedoch darüber hinaus auch aus dem Ressourcenpotenzial des Kunden, welches die indirekten Beiträge zum Unternehmenserfolg des Anbieters umfasst, z. B. dem Weiterempfehlungsverhalten oder dem Informationsaustausch zwischen Anbieter und Kunde (Tomczak und Rudolf-Sipötz 2006).

Die Ergebnisse von Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung müssen zu strategisch differenzierten Unterschieden in der Marktbearbeitung führen. Dabei stellt sich für den Vertrieb die Frage, welchen Betrag er zur Differenzierung vom Wettbewerb leisten kann (Homburg et al. 2010). Diese zentrale Frage stellt jedoch einen eigenständigen strategischen Entscheidungstatbestand im Vertriebsmanagement dar.

3.2 E-Strategie als digitaler Erfolgsfaktor

Neue Technologien führen zu einer Veränderungs- und Innovationsgeschwindigkeit, die durch „die Abfolge von Invention, Innovation, Variation, Adaption, Imitation und Substitution eine bisher nicht bekannte, komprimierte Selektionsintensität hervorbringt“ (Wirtz 2013, S. 217). Folgende Entwicklungen im Unternehmensumfeld sollten strategischen Überlegungen zugrunde gelegt werden (Strauß 2013):

  • Virtualisierung : Neue Technologien erlauben die effiziente Koordination auch hochspezialisierter Unternehmensprozesse über bestehende Unternehmensgrenzen hinaus. Sie wirken gleichzeitig als Auslöser und Katalysator virtueller Netzwerkorganisationen, denn einerseits forcieren moderne IT-Systeme dezentrale Organisationsstrukturen, andererseits werden derartige Strukturen erst durch den Einsatz neuer Technologien möglich.

  • Innovationsdynamik : Die stetig zunehmende Innovationsgeschwindigkeit führt zu immer kürzeren Produktlebenszyklen und Amortisationszeiten für Investitionen in Forschung und Entwicklung.

  • Individualisierung : Mit der Nachfrage nach individualisierten Produkten und Dienstleistungen steigen die Fragmentierung von Märkten und damit die Komplexität in Marktbearbeitung und Produktion. So erfordert die Realisierung von One-to-One-Marketing und Mass Customization nicht nur die aufwendige Analyse individueller Kundendaten, sondern auch die darauf aufbauende gezielte Ansprache kleinster Kundensegmente sowie die Ausrichtung der Fertigung auf kleinste Losgrößen.

  • Nachfragermacht : Ein stetig steigender individueller Informationsstand führt zusammen mit verbesserten Möglichkeiten zum Networking (z. B. Virtual Communities) zu stärker aufeinander abgestimmten Vorgehensweisen zwischen Kunden. Durch den Austausch positiver wie negativer Erfahrungen mit Leistungen eines Unternehmens (z. B. Kundendienst) entsteht eine Bündelung der Nachfragermacht. Die Steigerung des Informationsgrades der Kunden über Substitutionsmöglichkeiten durch die Verfügbarkeit umfassender Informationen sowie die verbesserte Vergleichbarkeit von Produkten und Dienstleistungen führen zu nachlassender Kundenloyalität, was Unternehmen wiederum verstärkt zu Maßnahmen der Kundenbindung veranlasst.

  • Markttransparenz : Traditionelle Informationsasymmetrien auf Märkten werden sowohl durch spezifische Dienste und Expertenforen, wie Ratgeberzentrale.de, bzw. Meinungsportale, wie Ciao.de, deutlich reduziert. Automatische Preisvergleiche etwa in Form autonomer Agenten erhöhen die Markttransparenz zusätzlich und engen den Spielraum der Preispolitik weitergehend ein. Unternehmen setzen daher verstärkt auf Differenzierung, um sich dem reinen Preiswettbewerb entziehen zu können. Wesentliche Erfolgsfaktoren hierbei sind die Sicherstellung einer konsistenten Kundenerfahrung über alle „Customer Touchpoints“, der interaktive Austausch mit den Kunden und die Reorganisation der unternehmensinternen Prozesse.

  • Wechselbarrieren : Traditionelle Hindernisse für einen Anbieterwechsel basieren auf technologischen (z. B. eingeschränkte Kompatibilität von Systemen), ausbildungsbezogenen (z. B. Kompetenzdefizite bezüglich der Nutzung von Systemen) und psychologischen (z. B. Markenbindung an Systeme) Barrieren. Diese Phänomene bewirken und erhöhen Wechselkosten, die dazu führen können, dass eine objektiv bessere Alternative aufgrund einer Bindung an eine gewählte Leistung nicht gewählt wird („Lock-in“). Derartige Barrieren werden zunehmend aufgrund neuer technischer Standards, einer breiteren Diffusion von Wissen, einer abnehmenden Hersteller-/Händlerloyalität und einer steigenden Homogenisierung der Produktangebote schrittweise erodieren.

  • Disintermediation : Die zunehmende Attraktivität des webbasierten Direktvertriebs gefährdet traditionelle Handelsstrukturen und erfordert neue Ansätze im Rahmen von Multi-Channel-Vertriebssystemen.

Angesichts des hier skizzierten evolutorischen Wandels erscheinen spezifische Strategien im Rahmen der Digitalisierung im Vertrieb als Weg zur Erreichung langfristiger Unternehmensziele besonders wichtig.

Eine E-Strategie bezeichnet vor dem Hintergrund der dynamischen Digitalisierung die mittel- bis langfristige Ausrichtung von Unternehmensaktivitäten zur Erzielung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile unter Berücksichtigung der externen Markt- und Wettbewerbsbedingungen sowie der internen Ressourcen und Kernkompetenzen (Meffert et al. 2012; Wirtz 2013).

Die Entwicklung einer Electronic-Business-Strategie erfordert die Integration existierender Unternehmensstrategien mit innovativen Ansätzen auf der Basis neuer Technologien (Konsistenz bzw. „Fit“ der Digital-Strategie, vgl. Müller-Stewens und Lechner 2005).

Ein zentrales Paradigma der Managementforschung ist der von Porter (1980) geprägte „Market-based View “. Hiernach sind Unternehmensergebnisse im Wesentlichen von der Marktstruktur und vom Marktverhalten abhängig (Wirtz 2013).

Auf der Basis einer Analyse der Triebkräfte des Wettbewerbs („Porter’s Five Forces“) werden hierbei generische Strategieoptionen („Porter’s Generic Strategies“) formuliert (vgl. Strauß 2013):

  • Kostenführerschaft : Insbesondere digitale Leistungen weisen zumeist hohe Entwicklungskosten und geringe variable Kosten bei Herstellung und Vertrieb auf und legen daher eine Strategie nahe, die auf eine möglichst schnelle Erzielung von Kostendegressions- und Losgrößeneffekten (Economies of Scale ) abzielt (Burr 2003). Diese ist geprägt durch das Streben nach hohen Marktanteilen, welche durch eine aggressive Niedrigpreispolitik und einen hohen Standardisierungsgrad des Angebotes („Operational Excellence “, Fritz 2000) erreicht werden sollen. Der Kostenführer kann seine Vorteile entweder in eine Preisführerschaft übersetzen oder bei Einhalten des Marktpreisniveaus höhere Gewinne als seine Wettbewerber erzielen.

  • Differenzierung : Aufgrund der zunehmenden Austauschbarkeit vieler Leistungen (z. B. Angebote im Online-Banking) gilt es bei der Differenzierungsstrategie, den kundenseitig wahrgenommenen Wert eines Angebots durch die Schaffung von Zusatznutzen zu erhöhen und es dadurch im Wettbewerb klar unterscheidbar zu machen. Im Fall der Produktdifferenzierung („Product Leadership “) stehen eine ständige Optimierung der Leistungsfähigkeit des Angebots und umfassende Innovationsaktivitäten, eine Vielzahl begleitender Dienstleistungen oder auch eine intensive Markenpflege im Mittelpunkt. Die angestrebte einzigartige Positionierung des unternehmerischen Leistungsportfolios muss sich dabei nicht auf objektive Leistungsmerkmale beschränken, sondern kann auch auf subjektiv empfundene Vorteile (z. B. Markenimage, qualitativ hochwertige Kundenbeziehung) abstellen.

Nach Porter (1980) sind Kostenführerschaft und Differenzierungsstrategie miteinander grundsätzlich unvereinbar („zwischen den Stühlen“). Allerdings zwingt der evolutorische Wandel im Zuge der Digitalisierung Unternehmen dazu, ihre Angebote noch besser an die gestiegenen Qualitätserwartungen ihrer Kunden anzupassen und gleichzeitig dem Wunsch nach geringeren Preisen im Vergleich zu etablierten Angeboten oder zu Vorläuferprodukten nachzukommen (Pine 1993). Nach der Simultaneitätshypothese lässt sich die gleichzeitige Realisierung von Kostenführerschaft und Differenzierung im Rahmen von Hybridstrategien realisieren (Fleck 1995; Miller und Dess 1993; Reitsperger et al. 1993). So postuliert etwa die Blue-Ocean -Strategie die Veränderung der Wettbewerbsdynamik nach neuen Regeln sowie die Schaffung „neuer Märkte“ jenseits der herkömmlichen Spielregeln des Wettbewerbs (Kim und Mauborgne 2005). Die Umsetzung von Hybridstrategien in die Praxis wird durch neue Technologien beflügelt (Strauß 2013). So lösen bei der Mass Customization moderne Fertigungstechnologien (insbesondere computerintegrierte Produktion und flexible Fertigungssysteme) die Zielkonflikte zwischen Flexibilität (z. B. Variantenvielfalt) oder hoher Qualität einerseits und Produktivität andererseits auf. Wesentliche Voraussetzung hierzu ist die elektronische Vernetzung von Unternehmen und Kunden entlang der Wertschöpfungskette.

Die große Bedeutung von Informationen als strategischem Wettbewerbsvorteil bei der Erkennung und Erfüllung von Kundenbedürfnissen führt zu neuen Strategiekonzeptionen (Weiber und Kollmann 2000), z. B. Speed Leadership (Geschwindigkeitsführer im Sinne einer schnellen Informationsgewinnung) oder auch Topical Leadership (Qualitätsführerschaft im Sinne einer qualitativ hochwertigen Informationsgewinnung und hochspezifischen Informationsauswahl). Rayport und Jaworski (2001) identifizieren neben den beiden generischen Wettbewerbsstrategien vier weitere Ansätze im E-Business (vgl. Wirtz 2013):

  • Preisführerschaft : Kunden soll das jeweils günstigste Angebot zugänglich gemacht werden, wie etwa bei Flug.de. Wesentliche Erfolgsfaktoren liegen im Einkauf (E-Procurement) und im Supply-Chain-Management (E-SCM).

  • Qualitätsführerschaft : Kunden soll das jeweils qualitativ beste Angebot zugänglich gemacht werden, wie etwa bei Fleurop.de. Wesentliche Erfolgsfaktoren liegen in der Markenführung (Digital Marketing Communications) und im Service (Total-Customer-Experience-Management).

  • Informationsführerschaft : Der Fokus liegt auf der Bereitstellung der jeweils aktuellsten, glaubwürdigsten und/oder am besten recherchierten Informationen für Kunden. Beispiele sind etwa Finanzportale, die für eine Grundgebühr Echtzeit-Börsendaten liefern, oder auch Nachrichtenportale, wie Spiegel Online.

  • Sortimentsführerschaft : Kunden soll die größtmögliche Sortimentsbreite geboten werden. Beispiele finden sich bei iTunes in der Besetzung eines Nischenmarktes für Musik oder mit Amazon für den Gesamtmarkt. Erfolgsvoraussetzungen hierfür sind gute Zulieferbeziehungen und On-Demand-Lieferung, ein adäquater Webshop, eine starke Marke sowie Mehrwertleistungen, wie etwa individualisierte Empfehlungslisten oder Nutzerbewertungen.

  • Publikumsführerschaft : Der Fokus liegt auf dem schnellen und extensiven Auf- und Ausbau eines Nutzernetzwerks. So setzt etwa Microsoft bei Betriebssystemen und Office-Anwendungen einen Quasi-Standard durch die Vielzahl der Nutzer. Facebook andererseits begründete seine Marktstellung vornehmlich durch einen „First-Mover-Advantage“, durch den das Marktsegment der Social-Networking-Plattformen erst initial geschaffen wurde.

  • Individualitätsführerschaft : Nach dieser Strategie sollen sich Unternehmen bestmöglich auf Kundenbedürfnisse ausrichten. Personalisierung steht im Fokus, wie etwa bei Mymuesli.com für die individuelle Zusammenstellung eines Frühstücksmüslis aus über 80 Zutaten.

Die Strategiekonzeption ist meist mit der Entscheidung verbunden, ob eine Block-Strategie (Fokus auf die aktive Errichtung von Eintrittsbarrieren gegenüber Wettbewerbern), eine Run-Strategie (Fokus auf permanente Innovationen zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbsvorsprungs) oder eine Team-up-Strategie (Fokus auf strategische Allianzen und Joint Ventures, auch mit Wettbewerbern) verfolgt werden soll (Afuah und Tucci 2003; Strauß 2013). Outpacing-Strategie n postulieren eine Bedeutungsverlagerung zwischen Differenzierung und Kostenführerschaft im Zeitablauf zur dauerhaften Sicherung von Wettbewerbsvorteilen (Gilbert und Strebel 1987).

Vor diesem Hintergrund ist eine zielführende Leitfrage bei der Strategieformulierung die nach der Innovationsorientierung des Unternehmens (Homburg 2015). Nach Miles und Snow (2003) lassen sich drei Strategieoptionen identifizieren, die sich in Abhängigkeit von der Risikoneigung, der Innovationsorientierung, der Weite des als relevant betrachteten Marktes und der Flexibilität des Technikeinsatzes auf einem Kontinuum anordnen lassen (vgl. Homburg 2015):

  • Defender : Diese Unternehmen haben nur eine geringe Innovationsorientierung und konzentrieren sich auf die Verteidigung der erreichten Marktposition, die häufig mit einer Nischenstrategie einhergeht.

  • Analyzer : Diese Unternehmen sind aufgrund einer mittleren Innovationsorientierung neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen. Da sie aber gleichzeitig nur bedingt risikofreudig sind, analysieren sie vor der Adoptionsentscheidung zunächst systematisch die Erfolgschancen.

  • Prospector : Diese Unternehmen suchen mit hoher Innovationsorientierung und ausgeprägter Risikoneigung kontinuierlich und aktiv nach neuen Chancen auf zumeist eher weit definierten Märkten.

Darüber hinaus, aber außerhalb des Kontinuums, existiert die Reactor -Strategie, wonach manche Unternehmen ohne erkennbare Strategiekonzeption erst bei hoher Dringlichkeit auf Veränderungen der Umwelt reagieren. Bei unsicheren Umweltsituationen kann dies trotz fehlender strategischer Fundierung durchaus erfolgversprechend sein (Homburg 2015).

Mit der Leitfrage nach der Innovationsorientierung eng verbunden sind alternative Timing-Strategie n (Backhaus und Schneider 2009; Voeth und Herbst 2013), die zwar für das Timing des Markteintritts mit neuen Leistungen entwickelt worden sind, sich aber leicht auf die Adoption neuer Technologien übertragen lassen:

  • Pionier-Strategie : Diese Unternehmen übernehmen neue Technologien als erste und integrieren sie erfolgreich in ihre Unternehmensprozesse. Aus strategischer Sicht bedeutet dies für den Vertrieb, dass neue Technologien entweder den Kundennutzen erhöhen (Effektivitätssteigerung) oder Prozesskosten verringern (Effizienzsteigerung) oder beides. Dadurch schafft sich der Pionier bis zum Eintritt von Folgern eine Quasimonopolstellung, die sich in Kostenvorteilen, preispolitischen Spielräumen, Lernkurveneffekten, Imagevorteilen und/oder langfristiger Kundenloyalität niederschlagen kann. So kann die frühzeitige Digitalisierung im Vertrieb zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen. Allerdings trägt der Pionier auch ein nicht unerhebliches Risiko, da Erfahrungswerte mit der neuen Technologie zunächst fehlen und auch die weitere Entwicklung von Markt und Technik unsicher ist. Den hohen Kosten der Implementierung neuer Technologien stehen darüber hinaus zumeist interne Änderungswiderstände sowie ein signifikanter Überzeugungsaufwand bei den Kunden entgegen. Die gemachten Erfahrungen kommen schließlich potenziell auch den Nachahmern zugute, sodass eine mögliche Commoditisierung neuer Technologien zur zeitlichen Befristung der Wettbewerbsvorteile beiträgt.

  • Frühe-Folger-Strategie : Diese Unternehmen übernehmen neue Technologien noch in der Entwicklungsphase kurz nach dem Pionier. Sie werden sich zumeist an diesem orientieren und weisen daher eine verstärkte Wettbewerbsorientierung auf. Wesentlicher Vorteil hierbei ist, dass die frühen Folger bereits von den Erfahrungen der Pioniere lernen und damit das mit der Implementierung neuer Technologien verbundene Risiko deutlich verringern können. Gleichzeitig kann der frühe Folger aber noch die weitere Entwicklung der Digitalisierung mitbestimmen und eigene Leistungsvorteile entwickeln. Andererseits verzichten Unternehmen bei dieser Strategie auf temporäre Quasimonopole und sehen sich möglicherweise einem starken Pionier gegenüber, der seinen Vorsprung zu nachhaltigen und schwer imitierbaren Wettbewerbsvorteilen ausgebaut hat. Gleichzeitig ist im Adoptionsprozess mit der baldigen Implementierung neuer Technologien durch weitere Wettbewerber und damit einer Commoditisierung zu rechnen.

  • Späte-Folger-Strategie : Diese Unternehmen möchten an den Effektivitäts- und Effizienzvorteilen bereits weitgehend etablierter Technologien partizipieren. Sie können dabei auf fundierte Erkenntnisse zurückgreifen, die im Zeitablauf von anderen Unternehmen gemacht worden sind. So lassen sich Implementierungskosten und resultierende Risiken minimieren. Allerdings nehmen diese Unternehmen erhebliche Imagenachteile gegenüber den bereits weiter digitalisierten Wettbewerbern in Kauf. Ist die Commoditisierung der Technologie bereits fortgeschritten, so lässt sich mit dieser Strategie anstelle von Wettbewerbsvorteilen nur noch Parität im Wettbewerb erreichen.

Im Zusammenhang mit den dargestellten Pioniervorteilen erweist sich die zeitliche Dimension bei der Digitalisierung im Vertrieb als strategischer Wettbewerbsvorteil. Hierfür lassen sich jedoch einige zentrale Erfolgsvoraussetzungen identifizieren (Meffert et al. 2012):

  • Wissensmanagement : Innovationsfähigkeit erfordert neben der Schaffung des benötigten Wissensbestands auch die Steuerung des Zugriffs auf vorhandenes Know-how.

  • Zielorientierung : Auf der Basis einer Innovationsorientierung im Denken des Managements sind explizite Ziele für die Digitalisierung im Vertrieb zu setzen (z. B. Kosteneinsparungen in Prozent).

  • Schnittstellenmanagement : Die erfolgreiche Adoption neuer Technologien erfordert eine intensive Abstimmung technischer und absatzmarktbezogener Aktivitäten im Rahmen eines internen Schnittstellenmanagements.

  • Mitarbeitereinbindung : Im Rahmen der Digitalisierung im Vertrieb ist das innovationsgerichtete Engagement der Mitarbeiter zu fördern. Dies umfasst neben zeitlichen Spielräumen vor allem die Akzeptanz von Misserfolgen bei der Umsetzung neuer Technologien und auch die Berücksichtigung von digitaler Akzeptanz im Entlohnungssystem.

Diese Überlegungen führen zu einem alternativen strategischen Paradigma, nämlich dem Resource-based View (Barney und Hesterly 2012; Wernerfelt 1984). Hiernach sind Unternehmensressourcen und -fähigkeiten, die zu Kernkompetenzen gebündelt werden, wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Markterfolg.

Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Ressourcen die Eigenschaften Verwertbarkeit, begrenzte Verfügbarkeit und begrenzte Imitierbarkeit aufweisen sowie zielorientiert koordiniert und kombiniert werden (Organisation). Strategische Wettbewerbsvorteile basieren demnach letztlich auf der Verwertung von Asymmetrien in der Ressourcenausstattung von Unternehmen (Wirtz 2013).

In dieser Tradition ist zu konstatieren, dass Unternehmen „nur über das Produkt-, Marken- oder Kundenmanagement Wert schaffen“ (Hennig-Thurau et al. 2014, S. 35). Denn Kundennutzen entsteht entweder über das (überlegene) Produkt, die (starke) Marke oder die (überzeugende) Beziehung zum Unternehmen. Die hierfür verantwortlichen Unternehmensfunktionen stehen daher im Fokus der Digitalisierung, und alle Strukturen und Prozesse sind als marktorientiertes Wertschöpfungsnetzwerk um diese drei Bereiche herum anzusiedeln. Abteilungssilos sind zugunsten verstärkter interner Kommunikation und Koordination einzureißen. Marken-, Produkt- und Kundenmanagement werden so zum zentralen Management-Hub und übernehmen bei der Digitalisierung des Unternehmens die Funktion eines strategischen Think Tanks (Hennig-Thurau et al. 2014).

Die Vertriebsorganisation spielt bei dieser digital induzierten Neuausrichtung des Unternehmens dreifach eine zentrale Rolle:

  • Kundenmanagement : Der Vertrieb ist wesentlicher Träger des Kundenmanagements und damit unmittelbar verantwortlich für eine Differenzierung durch bessere Kundenbeziehungen („Customer Intimacy “). Voraussetzungen hierfür sind eine intensivere Analyse spezifischer Kundenbedürfnisse, eine hohe Individualisierung in der Kundenansprache (One-to-One-Marketing), die Pflege persönlicher Kontakte, Loyalitätsprogramme, individualisierte Leistungen (Mass Customization) oder auch die unternehmensinterne Steigerung der Kundenorientierung (Strauß 2013).

  • Markenmanagement : Der Vertrieb und insbesondere der persönliche Verkauf ist wesentlicher, wenn auch häufig übersehener Träger des Markenmanagements und damit mindestens mittelbar verantwortlich für eine markenbasierte Differenzierungsstrategie auf der Basis überlegener Kundeninteraktionen („Interaktive Markenführung “). Voraussetzung hierfür ist die Einbindung persönlicher und unpersönlicher Vertriebskanäle in die Markenführung.

  • Produktmanagement : Der Vertrieb wird bei zunehmend austauschbaren Produkten zu einem erfolgskritischen Bestandteil eines integrierten Leistungsbündels. Dabei geht es darum, eine mehr oder weniger generische Kernleistung ( = Produkt) durch bisher separate Mehrwertleistungen (z. B. Kundendienst, Beratungs- und Finanzierungsleistungen, kundenbezogenes Projektmanagement oder Vertrauen in Geschäftsbeziehungen) aufzuladen und im Wettbewerb zu differenzieren („Leistungssysteme “, vgl. Belz 2004). Voraussetzung ist ein „Upgrade“ des Vertriebs von einer primär ausführenden Unternehmensfunktion hin zu einer unternehmerischen Kernkompetenz.

Während der Vertrieb aus der Perspektive des Market-based View lediglich eine deterministische Funktion des Marktumfelds ist, wird er im Resource-based View zu einer tragenden Säule der unternehmerischen Wertschöpfung.

Gleichwohl ist für das E-Business ein integratives Strategieverständnis anzuraten, bei dem die wesentlichen Erfolgsfaktoren von Market-based View und Resource-based View zusammengeführt werden. „Zum einen stellt die Hervorbringung, Kombination und Koordination innovativer Ressourcenbündel ein zentrales Element der Unternehmensaktivitäten dar. Zum anderen ist es sinnvoll, diese ressourcenorientierte und primär unternehmensinterne Entwicklungssicht durch den Abgleich und die Integration mit unternehmensexternen Aspekten und Faktoren durchzuführen“ (Wirtz 2013, S. 217). Damit dürfte es zielführend sein, wenn zunächst auf der Basis einer externen Analyse von Marktstruktur und Marktverhalten der relative Stellenwert von neuen Technologien einerseits und Vertrieb andererseits sowie von potenziellen Synergieeffekten zwischen beiden bestimmt wird (Market-based View). Wird der Vertrieb hierbei als strategischer Wettbewerbsvorteil definiert, so sind im nächsten Schritt durch das Vertriebsmanagement die Rahmenbedingungen der Vertriebsaktivitäten unter Verwendung neuer Technologien so zu konfigurieren, dass Vertriebsressourcen möglichst effektiv und effizient eingesetzt werden (Resource-based View).

Aus Vertriebssicht bleibt die dauerhafte Befriedigung von Kundenbedürfnissen unabhängig vom Stand der Digitalisierung auch weiterhin die zentrale Voraussetzung für das Erreichen von Unternehmenszielen. Neue Technologien können helfen, individuelle Kundenbedürfnisse besser zu verstehen und umfassender zu befriedigen:

  • Kundendefinition: Neue Technologien ermöglichen eine breitere Marktabdeckung, da auch kleinere Kundengruppen durch digitale Kommunikations- und Vertriebskanäle nunmehr effizient bearbeitet werden können.

  • Kundensegmentierung: Neue Technologien liefern und verarbeiten eine Vielzahl von kundenbezogenen Daten. So vertiefen sie das Verständnis individueller Bedürfnisse und erhöhen damit zusätzlich durch Individualisierung die Effektivität der Marktbearbeitung.

  • Kundenpriorisierung: Neue Technologien ermöglichen auf der Basis umfassender Daten und Algorithmen die weitgehende Automatisierung der Marktbearbeitung in Echtzeit und machen damit Effizienz und Geschwindigkeit zu relevanten Wettbewerbsdimensionen.

So werden innovative Möglichkeiten der Marktbearbeitung und damit auch neuartige Strategieoptionen geschaffen. Erfolgreiche Vertriebsstrategien zeichnen sich also dadurch aus, dass tradiertes Denken im strategischen Management kritisch hinterfragt wird und ein Update durch die Reflexion der Potenziale neuer Technologien erfährt. Dabei muss die Vertriebsstrategie eng mit der E-Strategie verzahnt werden, denn diese eröffnet innovative Ansätze in der kundenorientierten Marktbearbeitung. Dabei erweist sich insbesondere die Individualisierung als ergiebiger Ansatz zur strategischen Differenzierung.

3.3 Individualisierung als digitaler Erfolgsfaktor

Innovative Strategieoptionen auf der Basis neuer Technologien entstehen zumeist aus verbesserten Möglichkeiten einer individuellen Kundenbearbeitung. Sie entsprechen damit dem anhaltenden Trend zur Individualisierung in allen Lebensbereichen auf der Basis eines gesteigerten Qualitäts- und Funktionalitätsbewusstsein, welches Leistungen fordert, die genau den spezifischen Vorstellungen eines Abnehmers entsprechen, oder verstärkt Konsumentenwünsche nach Abwechslung bei der Produktwahl (Variety Seeking Behaviour) adressieren (Strauß 2013). Unternehmen müssen ihre Kunden daher immer individueller ansprechen und ihnen immer mehr Leistungsvarianten bis hin zur Einzelfertigung bieten – ohne dass diese hierfür Premiumpreise zu zahlen bereit wären (McKenna 1997). Anbieter müssen also ihren Markt massenhaft individuell und gleichzeitig kosteneffizient bearbeiten (Piller 2006; Reichwald und Piller 2009). Die Herausforderung besteht dabei in der möglichst effizienten und damit kostengünstigen Erstellung und Vermarktung von Leistungen, die auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Kunden zugeschnitten sind (Homburg 2015). Durch den Mehrwert einer an den spezifischen Bedürfnissen des Kunden zugeschnittenen Problemlösung sollen Erlössteigerungen realisiert werden (Kleinaltenkamp 1995).

Mass Customization ist demnach eine auf die Leistungserstellung ausgerichtete Hybridstrategie, bei der die Vorteile der Massenproduktion (Kostenführerschaft etwa durch Skaleneffekte, Erfahrungskurvenvorteil und/oder Automatisierung) mit einer Differenzierungsstrategie (Wettbewerbsvorteile etwa durch individuelle Angebote, Präferenzbildung und/oder erhöhte Preisbereitschaft) kombiniert werden (Michel et al. 2009; Piller und Schoder 1999; Pine 1993).

Zusätzlich zu den Kosten- und Differenzierungsvorteilen ist die Möglichkeit zur Kundenintegration (Kunden-Co-Design ) als Ansatzpunkt zur Differenzierung im Rahmen der Mass Customization zu nennen (Reichwald und Piller 2009). Dabei kann nach dem Prinzip der Open Source externes kreatives Potenzial aktiviert werden, und Konsumenten werden durch interaktive Wertschöpfung zu „Prosumenten “ (Heinemann 2014).

Mass Customization ist zu unterscheiden von Windowing (zeitliche Varianz der Produkte, z. B. Spielfilme, die zuerst in Kinos und nachfolgend über DVD, Pay-TV oder Free-TV zu sehen sind) und auch Versioning (Angebot eines digitalen Produkts in verschiedenen Versionen für verschiedene Zielgruppen angeboten, z. B. Software-Pakete). Weiterhin ist bei verschiedenen Formen von Mass Customization zu unterscheiden in Ansätze mit und ohne Eingriff in die Fertigung (Strauß 2013).

Individualisierung ohne Eingriff in die Fertigung wird dabei als Soft Customization bezeichnet (Piller 2006; Pine 1993):

  • Serviceindividualisierung: Ergänzung von Standardleistungen mit individuellen Dienstleistungen;

  • Selbstindividualisierung: Leistungsindividualisierung durch den Kunden selbst;

  • Individualisierung im Handel: Anpassung der Leistungen durch Handelspartner nach Kundenwunsch („Point-of-Delivery Customization “).

Individualisierung mit Eingriff in die Fertigung wird dagegen als Hard Customization bezeichnet (Strauß 2013):

  • Modularisierung etwa nach dem Baukastenprinzip;

  • massenhafte Fertigung von Unikaten über standardisierte Prozesse;

  • individuelle End-/Vorproduktion mit standardisierter Restfertigung, wobei entweder frühe (wie Metallverarbeitung) oder die letzten Prozessschritte (etwa Montage) kundenindividuell durchgeführt werden.

In allen Fällen muss das Anbieterunternehmen Sorge dafür tragen, dass die Kunden durch die Vielzahl von angebotenen Optionen und möglichen Varianten nicht verunsichert werden („Customer Confusion “, vgl. Reichwald und Piller 2001). Zur Reduzierung der Entscheidungskomplexität bieten sich webbasierte Konfiguratoren an, die dem Kunden dabei helfen, schnell und intuitiv genau die individuelle Kombination zu finden, die für ihn den höchsten Nutzen stiftet. Hierbei ist zwischen Konfiguratoren zu unterscheiden, die von den Kunden Auswahlentscheidungen aus einer Liste von vordefinierten Alternativen einfordern und dabei entsprechende Produktkenntnisse voraussetzen („Option-based Customization “), und solchen, bei denen als Input für eine automatisierte Empfehlung Nutzer lediglich ihre Präferenzen, Anforderungen oder Erwartungen an eine Leistung artikulieren müssen („Needs-based Customization “). In letzter Zeit werden verstärkt Matching-System e, etwa unter Nutzung von Avataren (vgl. Heinemann 2014), als Alternative zur Mass Customization eingesetzt (Strauß 2013).

In letzter Konsequenz bedeuten diese Ansätze zur Individualisierung, jeden Kunden als eigenständiges Marktsegment zu begreifen („Segment of One “) und ihn seinen Bedürfnissen entsprechend nicht nur in der Leistungserstellung, sondern auch in Marketing und Vertrieb persönlich zu bedienen.

One-to-One-Marketing erfordert demnach eine kundenorientierte Ausrichtung aller Marketing- und Vertriebsaktivitäten mit dem Ziel der jeweils individuellen Kundenansprache (Peppers und Rogers 1993).

Beispiele hierfür sind die Schaltung von zur persönlichen Bedarfssituation passenden Werbebannern im Internet oder auch individuelle Newsletter sowie E-Mails mit persönlich zusammengestellten Produktempfehlungen (z. B. von Amazon). Curated Shopping beschreibt etwa eine begrenzt redaktionelle, primär aber automatisierte und personalisierte Vorauswahl von Artikeln zur Aktivierung von Kunden. Weitergehende Ansatzpunkte zur Realisierung einer massenhaften, kundenindividuellen Kommunikation sind (Strauß 2013):

  • Namentliche Begrüßung und Ansprache;

  • Verwaltung kundenbezogener Informationen (z. B. Kreditkartennummer und Lieferadresse) zur Entlastung des Kunden, der diese Information dann nicht mehr bei jeder Bestellung erneut eingeben muss;

  • auf Kundenpräferenzen und -fähigkeiten abgestimmte Produktpräsentation durch entsprechend gestaltete Dialogführung auf Websites (z. B. erhalten als „Experten“ identifizierte Kunden detailliertere Informationen als normale Kunden);

  • Benachrichtigungsdienste zur gezielten Information über für Kunden potenziell interessante Angebote oder Ereignisse;

  • Empfehlungsdienste, die unter Einbeziehung von Profilen und Bewertungen Dritter mit ähnlichen Vorlieben personalisierte Vorschläge zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung unterbreiten.

Ausgangspunkt der Individualisierung ist in jedem Fall die Erfassung der Kundenwünsche und deren Nutzung für konkrete Marketingmaßnahmen, was eine stärkere Informationsintensität zwischen Anbieter und Kunden erfordert. Grundlage des One-to-One-Marketings ist daher eine Kundendatenbank zur Speicherung, Analyse und Bereitstellung sämtlicher verfügbarer Kundendaten. CRM als Ansatz zum systematischen Kundenbeziehungsmanagement bereitet damit auf der einen Seite die Grundlage für die Individualisierung (z. B. durch Targeting), auf der anderen Seite ist die Individualisierung (z. B. individualisierte Websites oder E-Mails) eine spezifische und konsequente Umsetzung von CRM. So lassen sich auf der Basis hinreichend differenzierter Kundendatenbestände Inhalte („Content“) zielgenau generieren und zur Verfügung stellen, etwa durch Verschlagwortung. Gleichzeitig lassen sich alle Kundeninformationen sowohl aus der unmittelbaren Kundeninteraktion (Profiling ) als auch aus den bestehenden Kundendatenbeständen und externen Quellen aggregieren und qualifizieren. Auf der Grundlage des so entstandenen Kundenprofils suchen spezifische Verfahren entsprechende Inhalte bzw. weisen dem Kunden bereits vorab indizierte Inhalte zu und präsentieren das Ergebnis kundenindividuell (Strauß 2013).

Solche Verfahren zur Zuweisung von Inhalten zu Nutzerprofilen sind etwa (Spengler 2009):

  • Matching Agents : Präferenzen werden explizit beim Nutzer abgefragt und mit dem Content-Management abgeglichen.

  • Collaborative Filtering : Hierbei dienen Nutzer mit ähnlichen Präferenzen als Grundlage für Empfehlungen.

  • Feedback and Learning “: Das System lernt bei jedem Besuch des Nutzers auf der Website des Anbieters etwas über dessen Präferenzen („Learning Relationship “, Peppers und Rogers 1997).

  • Regelbasierte Systeme : Vorab definierte Zuordnungsregeln werden für den Abgleich indizierter Inhalte mit Nutzerpräferenzen genutzt.

Im Idealszenario kann mit jedem Kunden persönlich und direkt kommuniziert werden, wodurch die in herkömmlichen Kommunikationskanälen üblichen Streuverluste deutlich reduziert werden können. Das „Audience-Management “ weist jedem Kunden über alle (Online-)Kommunikationskanäle hinweg bestimmte Eigenschaften zu und erlaubt damit eine effiziente Aussteuerung einzelner Kommunikationsmaßnahmen und die Allokation damit verbundener Budgets. Durch ein solches „Realtime Advertising “ kann unter Verwendung von Cookies oder Identifizierungs-Pixeln jedes Werbemittel erfasst und gezählt werden. Responses von Kundenseite werden ausgewertet, Maßzahlen bestimmt sowie Wechsel- und Kaufwahrscheinlichkeiten berechnet. Die permanente Analyse der Wirksamkeit von Kanälen ermöglicht in Echtzeit die Reallokation von Budgets in diejenigen Kanäle, die aktuell bessere Ergebnisse ausweisen. Kundenaktivitäten können in Echtzeit, über alle (vorerst digitalen) Kanäle und in jedem beliebigen Kontext erfasst werden („Webtracking “). Das bisherige Paradigma der Umfeldplanung in der Marketingkommunikation wird abgelöst durch „Audience Buying “, also die Konzentration auf Zielgruppen und/oder einzelne Nutzer („User-Centricity “) mithilfe von Attributionssystemen . Nachfolgend können die so ausgewählten Nutzer individuell bewertet und entlang des Entscheidungsprozesses („Customer Journey “) weiter bis zum Kaufabschluss spezifisch weiterqualifiziert werden. So können beispielsweise einzelne Nutzer mit hohen Retourenquoten identifiziert werden, denen nachfolgend keine Werbung mehr angezeigt wird (Strauß 2013).

Neue Technologien ermöglichen signifikante Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen der für die Individualisierung notwendigen Kommunikationsbeziehungen zwischen Kunden und Lieferanten, etwa durch (Strauß 2013):

  • Vereinfachte Identifizierung von Kundensegmenten sowie Einzelkunden und deren Präferenzen auf der Basis von Profiling (Peppers et al. 2000);

  • Kundenvorteile, etwa durch Zeitersparnis bei der Informationssuche, zu den individuellen Anforderungen exakt passende Angebote oder die Möglichkeit, Erfahrungen zu speichern und mit anderen Nutzern abzugleichen;

  • unmittelbare Präsentation individualisierter Inhalte durch Abgleich von Nutzerprofilen und Content-Management-System ohne Notwendigkeit eines zeitaufwendigen Wechsels des Kommunikationsmediums (McKenna 2000), und/oder

  • Möglichkeiten, Kundendaten ohne Medienbruch über standardisierte Schnittstellen (z. B. BAPI) in die Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme des Herstellers zu überführen bzw. über Unternehmensgrenzen und betriebswirtschaftliche Systeme hinweg Interaktionen durchzuführen (Piller und Schoder 1999).

Darüber hinaus lässt sich eine Reihe von strategischen Vorteilen aus Unternehmenssicht identifizieren (Strauß 2013):

  • Nachhaltige Stärkung der Wettbewerbsposition durch verbesserte Kundenorientierung und Differenzierung des Leistungsangebots gegenüber Wettbewerbern;

  • größeres Markt-Know-how durch die systematische Sammlung von Kundendaten und deren Nutzung für Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb;

  • gezieltere Platzierung von werblichen Inhalten im Rahmen der Kommunikationspolitik und damit Vermeidung von Streuverlusten;

  • kundenspezifische Lösungen, die neben Präferenzen idealerweise auch zu erhöhter Zahlungsbereitschaft (Preispremium ) führen; und

  • höhere Kundenzufriedenheit und damit höhere Kundenloyalität, die sich durch das gezielte Angebot von Produkten und Dienstleistungen abgestimmt auf individuelle Präferenzen ergibt.

Die wesentliche Herausforderung einer Differenzierungsstrategie auf der Basis einer datengetriebenen Individualisierung lässt sich unter dem Schlagwort „Big Data “ zusammenfassen. Viele der hier beschriebenen neuen Technologien im Kundendatenmanagement und One-to-One-Marketing erzeugen enorme Datenmengen und erhöhen Komplexität und Fragmentierung in Marketing und Vertrieb. Entscheider benötigen hingegen Smart Data : „wenige, aussagekräftige Erkenntnisse, visualisiert über interaktive Dashboards, mit denen Aktivitäten und Budgets in Echtzeit geplant und im Rahmen eines Performance Marketings effizient ausgesteuert werden können“ (Strauß 2013, S. 181 f.).

Aus Vertriebssicht ist der persönliche Kontakt auch weiterhin die höchste Form der Individualisierung (Kollmann 2013). Allerdings kann das grundlegende Bedürfnis der Kunden nach Individualität und nutzergerechter Kommunikation durch neue Technologien zunehmend auch im Rahmen unpersönlicher Kommunikation befriedigt werden. Umso wichtiger wird es sein, die Effektivität im Vertrieb durch Konzentration auf eigene Kernkompetenzen und Positionierung als eigenständigen strategischen Wettbewerbsvorteil weiter zu erhöhen, da sonst Substitutionsgefahr besteht. Gleichzeitig sollten die neuen Technologien systematisch im Vertriebsprozess zur Steigerung der Effizienz genutzt werden, z. B. zur Entlastung von Vertriebsressourcen in Standardsituationen oder auch im Rahmen eines Lead-Managements.

3.4 Zusammenfassung

Individualisierung ist gleichzeitig sowohl Zielgröße (E-Strategie) als auch Treiber (One-to-One-Marketing, Mass Customization) der Digitalisierung im Vertrieb. Neue Technologien ermöglichen innovative Strategieoptionen durch neue Insights und Interaktionsmöglichkeiten mit den Kunden eines Unternehmens. Der klassische Ansatz der differenzierten Marktbearbeitung auf der Basis von aggregierten Kundengruppen wird durch eine zunehmend individualisierte Kundenbetreuung abgelöst – mit dem „Segment of One“ als Extremfall. Dabei bleibt die Kundendefinition aber zentraler Ausgangspunkt zielgerichteter strategischer Überlegungen zur marktorientierten Unternehmensführung. Die Kundensegmentierung dagegen wird aufgrund der Möglichkeiten zur Leistungsindividualisierung zunehmend weniger bedeutend. Die Kundenpriorisierung wird aus Effizienzgründen auch weiterhin wichtig sein, um auf Basis ökonomischer Kriterien zielgerichtet zu entscheiden, welche kundenorientierten Prozesse digital, welche durch Menschen (analog) und welche hybrid abgewickelt werden.

Die folgenden Leitlinien sollten strategischen Überlegungen zur Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung zugrunde gelegt werden:

  • Integrierte Betrachtung : One-to-One-Marketing und Mass Customization lassen sich nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensfunktionen wirksam im Vertrieb umsetzen. Hier sind insbesondere die IT, das Marketing und die Produktion zu nennen. Entsprechend wichtig sind horizontale Abstimmung und Schnittstellenmanagement.

  • Kombination von Kernkompetenzen und innovativen Anwendungen: Die neuen Technologien sind kein Selbstzweck, sondern sie werden erst erfolgswirksam, wenn sie in den Dienst einer Markt- und Kundenorientierung gestellt werden. Letztere sind Kernkompetenzen des Vertriebs, der daher unbedingt an übergeordneten Strategieprozessen beteiligt werden sollte.

  • Orientierung am Kundennutzen (Effektivität ): Individualisierung ist keine Allzweckwaffe. Weder ist sie für alle Produkte technisch umsetzbar (z. B. bei manchen Schüttgütern), noch wird sie von allen Kundengruppen gewünscht (z. B. aus Gründen des Datenschutzes). Am Anfang strategischer Überlegungen sollte daher der Kundennutzen (und nicht die Technik) stehen.

  • Betriebswirtschaftliche Ergebnisorientierung (Effizienz ): Neue Technologien zur Individualisierung sind mit Investitionen verbunden. Diese müssen sich nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip entweder in niedrigeren Kosten der Marktbearbeitung oder in höheren Erlösen (oder beidem) niederschlagen. Auch für neue Technologien gelten alte betriebswirtschaftliche Regeln.

Abbildung 4 fasst die Überlegungen zu den digitalen Erfolgsfaktoren der vertrieblichen Strategiedimension Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung zusammen.

Abb. 4
figure 4

Digitale Erfolgsfaktoren von Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung

4 Digitale Definition von Wettbewerbsvorteilen

Auch hinsichtlich der zweiten vertrieblichen Strategiedimension, der Definition von Wettbewerbsvorteilen, soll in diesem Kapitel zunächst der zugrunde liegende Entscheidungstatbestand kurz skizziert werden. Anschließend erfolgt eine Diskussion der drei digitalen Erfolgsfaktoren E-Geschäftsmodell, E-Marketing Communications und E-Content Management.

4.1 Definition von Wettbewerbsvorteilen als vertriebsstrategische Grundsatzentscheidung

Im Rahmen von Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung spielen Analyse und Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen eine zentrale Rolle. Jedes Kundenbedürfnis bietet grundsätzlich die Möglichkeit zur Schaffung von Kundennutzen (vgl. hierzu und im Folgenden Binckebanck 2013a). Diese Überlegungen sind im nächsten Schritt in der Vertriebsstrategie durch die Entwicklung eines klar definierten Nutzenversprechens unter gleichzeitiger Abgrenzung vom Wettbewerb zu berücksichtigen. Nur so lassen sich strategische Wettbewerbsvorteile entwickeln und absichern (Homburg et al. 2010).

Die Idee, die Wahrnehmungswelt der Kunden zum zentralen Effektivitätskriterium für die Marktbearbeitung im Wettbewerb zu machen, führt in der Vertriebspraxis häufig zum Konstrukt der Unique Selling Proposition bzw. USP (Ries und Trout 2001). Postuliert wird hierbei die Notwendigkeit eines Alleinstellungsmerkmales für ein Leistungsangebot. Jedoch ist nicht jede einzigartige Leistung so nutzenstiftend, dass der Kunde auch kauft – denn das Konstrukt berücksichtigt nicht die vom Kunden dafür aufzubringenden entscheidungsrelevanten Kosten (Backhaus und Voeth 2014). Nicht jeder Unterschied zum Wettbewerb begründet automatisch einen strategischen Wettbewerbsvorteil, durch den die Überlebensfähigkeit des Anbieters langfristig gewährleistet wird. Ein solcher strategischer Wettbewerbsvorteil ist erst gegeben, wenn eine im Vergleich zum Wettbewerb überlegene Leistung drei Kriterien erfüllt (Becker 2009; vgl. Simon 1988):

  • Die Leistung muss sich auf ein für den Kunden wesentliches Leistungsmerkmal beziehen;

  • sie muss kommunizierbar sein sowie vom Kunden auch tatsächlich wahrgenommen werden; und

  • sie muss eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen, darf also von der Konkurrenz nicht ohne Weiteres imitierbar sein und sichert somit einen nachhaltigen Vorsprung im Wettbewerb.

Kotler et al. (2007) definieren darüber hinaus weitere erfolgskritische Kriterien für die strategische Differenzierung und Positionierung von Leistungsangeboten :

  • Substanzialität: Der Leistungsunterschied bringt einer genügend hohen Anzahl möglicher Kunden einen über den generischen Grundnutzen hinausgehenden Zusatznutzen (vgl. Beutin 2000), so z. B. ökonomischen, emotionalen oder sozialen Nutzen sowie Sicherheitsnutzen (Homburg et al. 2010).

  • Hervorhebbarkeit: Der Leistungsunterschied wird von Wettbewerbern nicht oder vom Anbieter in besonderer Form angeboten.

  • Überlegenheit: Der Leistungsunterschied ist anderen Mitteln zur Erlangung des gleichen Vorteils überlegen.

  • Bezahlbarkeit: Die Kunden können und wollen es sich leisten, für den Leistungsunterschied ein Preispremium zu zahlen.

  • Gewinnbeitragspotenzial: Der Anbieter sieht im Leistungsunterschied das Potenzial, zusätzliche Gewinne zu erwirtschaften.

Grundsätzlich sind die Freiheitsgrade zur Strategiedefinition in der Führung von Vertriebsorganisationen beschränkt. Nach dem klassischen strategischen Managementprozess wird ein Top-down-Ansatz unterstellt, d. h., strategische Entscheidungen werden von der Geschäftsleitung getroffen und sodann auf die Unternehmens- und Funktionalbereiche heruntergebrochen (Barney und Hesterly 2012). Homburg et al. (2010) konstatieren, dass in vielen Unternehmen die Wettbewerbsvorteile praktisch ausschließlich auf Produkte bezogen werden. Dem Vertrieb kommt aus dieser Perspektive lediglich die Aufgabe zu, die strategischen Wettbewerbsvorteile, die in anderen Unternehmensbereichen geschaffen werden, zu „verkaufen“. Doch gerade der persönliche Verkauf als vertriebliche Grundfunktion kann mehr als „nur“ verkaufen: Er kommuniziert darüber hinaus im Rahmen interaktiver Kommunikation unternehmerische (Mehr-)Werte und schafft eine im Wettbewerb differenzierende Positionierung in der Kundenwahrnehmung (Binckebanck 2006). Die zentrale Rolle des Vertriebs bei der Schaffung und Durchsetzung von Wettbewerbsvorteilen am Markt wird nicht nur von vielen Praktikern unterschätzt, sondern sie wird mit zunehmender Austauschbarkeit von Primärleistungen auf vielen Märkten als Differenzierungsinstrument noch wichtiger: „Immer häufiger muss die Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb über den Vertrieb erfolgen“ (Homburg et al. 2010, S. 46).

Der Vertrieb wird aus dieser Perspektive zur unternehmerischen Kernkompetenz (Belz und Reinhold 1999) und kann selbst zum strategischen Wettbewerbsvorteil werden (Belz und Bußmann 2002). Nach Hamel und Prahalad (1997) zeichnen sich Kernkompetenzen durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie umfassen ein integriertes Bündel von strategisch relevanten Fähigkeiten eines Unternehmens;

  • sie beruhen auf Lernprozessen und Know-how;

  • sie sind wichtig, wirken nachhaltig und begründen den zukünftigen Unternehmenserfolg;

  • sie tragen wesentlich zum Kundennutzen bei;

  • sie differenzieren ein Unternehmen gegenüber der Konkurrenz und lassen sich nicht oder nur langfristig nachahmen; und

  • sie sind entwicklungsfähig und ermöglichen den Eintritt in neue Märkte im Rahmen des Business Development.

Belz und Reinhold (2012) konstatieren vor diesem Hintergrund, dass der Vertrieb in den meisten Unternehmen die genannten Kriterien einer Kernkompetenz wie folgt erfüllt:

  • Der Vertrieb steigert den Kundennutzen, beispielsweise durch Problemlösung, Wissenstransfer, Beratung und After-Sales-Services.

  • Eine schlagkräftige Vertriebsorganisation lässt sich nur langfristig entwickeln und durch Wettbewerber nur schwer oder gar nicht imitieren.

  • Der Vertrieb unterstützt durch seine Fähigkeiten das Wachstum von Unternehmen in neuen Segmenten und Leistungsbereichen.

  • Der Vertrieb erfordert spezifische Fach- und Sozialkompetenzen und schließt dabei spezifisches eigenes, nicht allgemein zugängliches Wissen ein.

  • Der Vertrieb ermöglicht neue Geschäftsmodelle.

Sind solche vertrieblichen Kernkompetenzen vorhanden, können nach Homburg et al. (2010) insbesondere die folgenden strategisch relevanten Differenzierungsmöglichkeiten durch den Vertrieb zu gesamtunternehmerischen Wettbewerbsvorteilen führen:

  • Flexibilität und Individualität der Leistungen: Individualisierte Kundenanforderungen lassen sich mit angemessenem Aufwand erfüllen. Notwendige Kernkompetenzen hierfür sind insbesondere Strukturen und Prozesse beim Anbieter, die eine unbürokratische Abstimmung zwischen unterschiedlichen Unternehmensfunktionen ermöglichen (Schnittstellenkompetenz). Grundlegende Voraussetzung dabei ist das Wissen um die individuellen Anforderungen der Kunden, welche aus engem Kundenkontakt entsteht (Individualisierungskompetenz).

  • Informationen und Schnelligkeit: Die Absatzfunktion lässt sich rasch an veränderte Rahmenbedingungen im Markt anpassen und ermöglicht eine zügige Reaktion auf Kundenanfragen. Notwendige Kernkompetenzen hierfür sind insbesondere marktorientierte Informationssysteme zum Monitoring von Umfeldentwicklungen und Kundenstrukturen (Informationskompetenz) und professionelle Logistikstrukturen (Distributionskompetenz).

  • Qualität der Kundenbetreuung: Der Vertriebserfolg in Märkten mit persönlich geprägten Geschäftsbeziehungen ist von der Quantität verfügbarer Verkaufsmitarbeiter und deren Qualität im Hinblick auf Kompetenz und Kundenorientierung abhängig. Notwendige Kernkompetenzen hierfür sind Verkaufstechniken, wie etwa Kunden- und Bedarfsanalyse, Angebotspräsentation, Einwandbehandlung, Abschlusstechniken und After-Sales-Services (Interaktionskompetenz).

  • Problemlösungsfähigkeit: Verkaufsmitarbeiter erkennen, welche Probleme ihre Kunden derzeit beschäftigen und welche Lösungsoptionen bestehen. Notwendige Kernkompetenz hierfür ist, dass entweder die eigenen Mitarbeiter oder Netzwerkpartner den Kunden bei komplexen Problemen als Ansprechpartner, Berater und Problemlöser überzeugend zur Verfügung stehen (Fachkompetenz).

  • Image: Verkaufsmitarbeiter sind als zentrales Bindeglied zwischen Anbieter und Kunde Botschafter des Unternehmens vor Ort und beeinflussen stark die kundenseitige Wahrnehmung der Leistungsfähigkeit (vgl. Baumgarth und Binckebanck 2011b). Damit sind Verkaufs- und Kundendienstmitarbeiter nicht nur „Public Relations Manager vor Ort“ (Homburg et al. 2010, S. 47), sondern auch zentrales Instrument der Markenführung (Baumgarth und Binckebanck 2011c; vgl. Homburg und Richter 2003). Notwendige Kernkompetenz hierfür ist, dass der Verkauf in eine ganzheitliche und interaktive Markenführung eingebunden ist und die Verkaufsmitarbeiter entsprechende Kenntnis der Markenwerte und -strategie haben (Markenkompetenz).

Es wird deutlich, wie vertriebsbezogene Wettbewerbsvorteile auf unterschiedlichen Kompetenzen beruhen. Die Führungskraft muss daher ein umfassendes Verständnis sowohl vorhandener Kompetenzen als auch zukünftig im Wettbewerb notwendiger Fähigkeiten im Vertrieb entwickeln. Nach dem „Resource-based View“ geht der Definition strategischer Wettbewerbsvorteile eine umfassende Analyse der Fähigkeiten voraus. Die Vertriebsstrategie darf demnach nicht losgelöst von Vertriebskompetenzen formuliert werden.

Ebenfalls deutlich geworden sind die Interdependenzen zwischen der Vertriebsstrategie einerseits und anderen strategischen Entscheidungen andererseits in vertikaler (Verhältnis von Vertriebsstrategie zur Unternehmensstrategie) und horizontaler (Verhältnis von Vertriebsstrategie zu anderen Funktionalstrategien) Hinsicht. Die Führungskraft muss daher die Vertriebsstrategie immer im dualen Kontext begreifen: Einerseits ist der Vertrieb Implementierungsinstrument von in anderen Unternehmensbereichen generierten Wettbewerbsvorteilen, andererseits lassen sich originär vertriebsbezogene Wettbewerbsvorteile definieren. Letztere müssen nicht nur widerspruchsfrei sein in Bezug auf nichtvertriebliche Wettbewerbsvorteile, sondern sie müssen auch in sich kompatibel sein und sich gegenseitig unterstützen (Komplementarität). Nicht zuletzt ist auch eine gewisse Fokussierung bei der Definition von Wettbewerbsvorteilen anzuraten (Homburg et al. 2010), denn die Erzielung und Verteidigung zu vieler Wettbewerbsvorteile kann komplex sowie aufwendig werden und in einem „Vorteilsdschungel“ münden, der aus Kundensicht entweder unglaubwürdig oder intransparent ist.

Strategische Wettbewerbsvorteile sind also grundsätzlich Ausgangspunkt für die Differenzierung und Positionierung von Leistungsangeboten. Die Vertriebsstrategie muss den Beitrag der Vertriebsorganisation hierzu formulieren. Neue Technologien können die häufig unterschätzte Rolle des Vertriebs im Rahmen von innovativen E-Geschäftsmodellen neu akzentuieren. Dabei liegt ein wesentlicher Nutzen in innovativen Möglichkeiten zur Interaktion mit Kunden durch E-Marketing Communications, die wiederum qualitative Inhalte durch ein systematisches E-Content Management voraussetzen. Diese drei digitalen Erfolgsfaktoren sollen mit Blick auf den Vertrieb in seiner Funktion als Wettbewerbsvorteil im Folgenden diskutiert werden.

4.2 E-Geschäftsmodell als digitaler Erfolgsfaktor

Belz und Reinhold (2012) sehen eine wesentliche Kernkompetenz des Vertriebs in der Unterstützung neuer Geschäftsmodelle. Auch diesbezüglich wirken neue Technologien als Katalysator. Für innovative Geschäftsmodelle (z. B. das Meinungsportal Ciao oder Group-Buying-Anbieter wie Pharmaplace) ist der Stellenwert des Vertriebs im Leistungssystem des Unternehmens und bei der Definition der Wettbewerbsvorteile immer wieder neu zu definieren.

Ein Geschäftsmodell bildet die wesentlichen Erfolgsfaktoren ab, die für die Wettbewerbsfähigkeit und das Leistungsangebot eines Unternehmens entscheidend sind. Es zeigt in komprimierter Form, wie Ressourcen im innerbetrieblichen Leistungserstellungsprozess unter Nutzung von Kernkompetenzen in marktfähige Leistungen transformiert werden (Timmers 1999; Wirtz 2013). Dabei wird der Schwerpunkt der Unternehmensprozesse und der Erlöserzielung konsequent aus der Strategie abgeleitet (Afuah und Tucci 2003; Smith et al. 2010).

Die Rolle des Vertriebs im Geschäftsmodell und die Wechselwirkungen mit anderen Unternehmensfunktionen (z. B. Beschaffung, Finanzwirtschaft, Marketing) bei der Wertschöpfung müssen im Rahmen vertriebsstrategischer Überlegungen adressiert werden. Grundlegend für die Geschäftsmodellausrichtung ist die strategiekonforme Fokussierung auf unterschiedliche Kundensegmente auf der Basis einer strategischen Kundendefinition. Die resultierenden Geschäftsmodelle im E-Business lassen sich für die Bereich Business-to-Consumer (B2C , also auf Konsumgütermärkte ausgerichtet) und Business-to-Business (B2B , also für Industriegüter) jeweils unterschiedlich systematisieren (Wirtz 2013).

4.2.1 B2C-Geschäftsmodelle im E-Business

Eine bewährte Typologisierung im B2C-Bereich nutzt als Abgrenzungskriterium das Leistungsangebot von Unternehmen im E-Business zur Identifizierung von Geschäftsmodellen, die innerhalb eines Typus relativ homogen und zwischen den Typen möglichst heterogen sind. Nach dem 4C-Net Business Model (Rayport und Jaworski 2001; Wirtz und Becker 2001) resultieren daraus vier Basisgeschäftsmodelle des konsumentengerichteten E-Business, innerhalb derer die Unternehmen ähnliche Leistungsangebote und -prozesse aufweisen (Wirtz 2013), und zwar unabhängig von den genutzten Technologien und Endgeräten (Kollmann 2013).

Das Geschäftsmodell Content umfasst die Sammlung, Selektion, Systematisierung, Kompilierung (Packaging ) und Bereitstellung von Inhalten (Content) auf einer eigenen Plattform. Ziel ist es hierbei, den Nutzern Inhalte einfach, bequem und visuell aufbereitet online zugänglich zu machen (Kollmann 2013; Wirtz 2013).

Das Angebot kann auf direkte (z. B. Verkauf von Premiuminhalten, beispielsweise das Angebot von Inhalten über eine Datenbank gegen eine Nutzungsgebühr wie bei Genios.de) und/oder indirekte (z. B. Werbung bei Inhaltspräsentation, beispielsweise das weitgehend kostenlose Angebot von Inhalten bei Manager-Magazin.de, das für Werbeeinblendungen gebucht werden kann) Erlöse ausgerichtet sein (Kollmann 2013) sowie unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte aufweisen (Wirtz 2013):

  • E-Information : Hierbei stellen Anbieter den informativen Charakter ihrer Inhaltsangebote in den Vordergrund des Leistungsversprechens, etwa zur Abdeckung gesellschaftlicher (E-Society, z. B. Gala.de), politischer (E-Politics, z. B. Bpb.de) oder wirtschaftlicher (E-Economics, z. B. Hoppenstedt.de) Informationsbedarfe.

  • E-Entertainment : Unternehmen bieten Nutzern Inhalte zum Zeitvertreib oder zur Entspannung an, wobei die multimedialen Daten nicht direkt zur Lösung eines Problems oder einer Aufgabe dienen. Beispiele finden sich in den Bereichen E-Games (z. B. Schach.de), E-Movies (z. B. Movies.go.com) oder auch E-Music (z. B. Musicload.de). Das Erlösmodell kann neben den teilweise üblichen Freischaltungsgebühren und Werbeeinnahmen auch die Generierung direkter Erlöse vorsehen (z. B. Glücks- und Gewinnspiele).

  • E-Infotainment : Anbieter kombinieren Informations- und Unterhaltungselemente zum sogenannten „Infotainment “ und werten so zur Differenzierung ihres Leistungsangebotes relevante Informationen durch multimediale Aspekte mit Unterhaltungswert auf (z. B. Vox.de oder Kicker.de). Das Erlösmodell entspricht dem für Content-Anbieter und greift zumeist auf indirekte, meist werbebasierte Erlöse zurück, um die dargebotenen Inhalte kostenlos zur Verfügung zu stellen (Pauwels und Weiss 2008).

  • E-Education : In Abgrenzung zu den vorgenannten Ansätzen werden Inhalte durch didaktische Aufbereitung gezielt für einen Lernprozess entwickelt, wobei der Lernerfolg zumeist durch eine Prüfung bzw. Teilnahmebescheinigung nachgewiesen wird. Beispiele sind zu finden im Bereich Virtual Universities (z. B. Vu.org) oder auch Public Education (z. B. Onlinelearning.com). Das Erlösmodell sieht in aller Regel Kursgebühren und zusätzliche Gebühren (etwa für Lernmaterial oder Prüfungen) vor.

Inhalte können dabei im Rahmen eines Content-Management s entweder durch den Anbieter initial erstellt oder auch am Markt beschafft werden (Content-Sourcing ). Durch das Web 2.0 (sogenanntes „Mitmach-Internet“, d. h. aktive Gestaltung der Inhalte und kooperative Teilnahme von Nutzern auf sozialen Plattformen mit dem Ziel der permanenten Vernetzung der Nutzer untereinander sowie der Generierung und Verbreitung von Inhalten, vgl. Alby 2007; Hilker 2012) ergeben sich in der Content-Produktion vielfältige Möglichkeiten für User Generated Content (Wirtz 2013), etwa in Form von Kundenbewertungen oder auch Beiträgen im Online-Lexikon Wikipedia (Schmidt 2011).

Anders als bei traditionellen Medien sind bei digitalen Inhalten nur die First Copy Costs ausschlaggebend, während weitergehende Vervielfältigungs- und Distributionskosten marginal ausfallen. Die Distribution von Content kann entweder durch einen aktiven Abruf durch den Nutzer erfolgen („Pull“) oder durch den Anbieter bestimmt werden („Push“), vorherige Registrierung und die Genehmigung des Nutzers vorausgesetzt, wie etwa bei Newslettern. Content-Anbieter kapitalisieren ihre Kompetenz in Bezug auf die Beschaffung hochwertiger Inhalte bzw. Eigenerstellung unter Nutzung ihrer Marken, der spezifischen (redaktionellen) Kompetenzen ihrer Mitarbeiter und etablierter Netzwerke (Strauß 2013; Wirtz 2013).

Das Geschäftsmodell „Content“ kann aus Vertriebssicht Hinweise liefern, wie die zumeist implizit vorhandene Kompetenz des Vertriebs durch die Generierung von Inhalten mit Mehrwert für Kunden externalisiert werden kann. Gerade auf Märkten mit einem signifikanten Know-how-Gefälle, komplexen Problemen und erklärungsbedürftigen Leistungen können neue Technologien das Wissen des Vertriebs skalieren. Denn die traditionelle Wissensweitergabe basiert entweder auf persönlichen Kontakten oder relativ langsamen klassischen Medien, während mit Elementen des Geschäftsmodells „Content“ Wissen nun sehr viel schneller und aktueller in aktivierender Form an deutlich mehr Adressaten vermittelt werden kann. So kann die häufig von außen nur bedingt sichtbare Kernkompetenz des Vertriebs im Rahmen eines Content-Managements effektiver zur Differenzierung im Wettbewerb genutzt werden.

Während Content-Anbieter Inhalte in monetären Erfolg umzusetzen trachten, beruht das Geschäftsmodell von Commerce-Anbietern auf einer Dienstleistung, nämlich der Vermarktung von Services und Produkten (Wirtz 2013).

Das Geschäftsmodell Commerce unterstützt Geschäftstransaktionen durch elektronische Anbahnung, Aushandlung und/oder Abwicklung. Ziel ist es hierbei, die traditionellen Phasen einer Transaktion durch webbasierte Dienstleistungen zu unterstützen, zu ergänzen und/oder gar zu substituieren (Kollmann 2013; Wirtz 2013).

Das Geschäftsmodell zielt insbesondere auf die einfache, bequeme und schnelle Abwicklung von Kauf- und Verkaufsprozessen ab, wobei Erlöse direkt (Grund- bzw. Listungsgebühren sowie Pay per Transaction , z. B. Verkauf von Hotelzimmern und Flugtickets durch Expedia.de) und/oder indirekt (Pay per Click , z. B. Werbung auf Expedia.de) erzielt werden können (Kollmann 2013). Hierfür stehen vier unterschiedliche Ausprägungen zur Verfügung (Wirtz 2013):

  • E-Attraction : Anbieter dieser Geschäftsmodellvariante unterstützen die Anbahnung von Transaktionen. Ein Beispiel ist die Bereitstellung von Marktplätzen, auf denen dann wiederum andere Commerce-Geschäftsmodelle ermöglicht werden (Shopping Malls, z. B. Shopping24.de). Zunehmend relevant werden dabei Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden, sogenannte C2C-Beziehungen (Consumer-to-Consumer, z. B. auf der Auktionsplattform eBay). Ein anderes Beispiel ist die Vermarktung und Vermittlung von Werbeflächen (Online-Banner). So wertet etwa Google AdSense für die Schaltung dynamischer, kontextbezogener Werbung Texte von Seiten, auf denen Werbung platziert werden soll, maschinell (semantisch) aus. Auf dieser Datenbasis werden automatisiert Anzeigen geschaltet, die für die Zielgruppe aufgrund einer hohen inhaltlichen Deckungsgleichheit potenziell relevant sind.

  • E-Bargaining /E-Negotiation : Anbieter dieser Geschäftsmodellvariante unterstützen die Aushandlung der Geschäftsbedingungen, wie insbesondere den Preis. Dabei müssen sie nicht unbedingt selbst die moderierende oder verhandlungsführende Rolle einnehmen, wie das Beispiel eBay zeigt: Hier wird lediglich die technische Plattform bereitgestellt, auf der Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen und sich, z. B. durch verschiedene Ausprägungen von Auktionen, Preise bilden. Das Erlösmodell sieht schwerpunktmäßig transaktionsabhängige Gebühren der Nutzer und nur marginal Werbeeinnahmen vor. Eine andere Variante ist das Price Seeking , wobei der Kunde eine gewünschte Leistung vorgibt und der Dienstleister hierfür das preisgünstigste Angebot ermittelt (z. B. Guenstiger.de). Anbieter finanzieren sich hierbei primär durch Werbung und nur teilweise durch transaktionsgebundene Händlerprovisionen.

  • E-Transaction : Anbieter dieser Geschäftsmodellvariante bieten Dienstleistungen zur Unterstützung bei der Abwicklung von Geschäftstransaktionen, insbesondere in den Bereichen Payment (Zahlungsabwicklung) und Delivery (Auslieferung). Payment setzt ein hohes Maß an Vertrauen in den Leistungsanbieter (z. B. PayPal) voraus und bietet Nutzern in erster Linie finanzielle Sicherheit bei der Abwicklung von Geschäftstransaktionen über das Internet. Delivery dagegen verlangt (im Fall nicht-digitaler Produkte) vom Anbieter funktionierende Schnittstellen in die reale Welt physischer Produkte, etwa zu Logistikdienstleistern (z. B. DHL).

  • E-Tailing : Ein Online-Einzelhändler, der querschnittsartig mehrere der beschriebenen Commerce-Funktionen in seinem Geschäftsmodell integriert hat, wird in Anlehnung an den englischen Begriff Retailing (Einzelhandelsfunktion) auch als E-Tailer bezeichnet. Das Geschäftsmodell umfasst den gesamten Prozess der Anbahnung, Verhandlung und Abwicklung von Transaktionen mit Kunden über das Internet (z. B. Amazon.de). Potenziell besonders geeignet für den Vertrieb über das Internet sind Güter mit hohem Markenwert, digitale Güter (z. B. Software, Musik) sowie eher geringwertige und regelmäßig erworbene und standardisierte Güter (z. B. Büromaterialien, Bücher), die eine physische Begutachtung vor dem Kauf entbehrlich machen. Die Reise- und Touristikbranche ist ein Beispiel für eine umfassende Digitalisierung der Vertriebskanäle (z. B. Expedia.com, Lastminute.de, HRS.com) unter weitgehender Substitution herkömmlicher Absatzmittler (insbesondere Reisebüros).

Ein mit dem Leistungsangebot von Commerce-Geschäftsmodellen regelmäßig in Verbindung gebrachtes Phänomen ist der „Long Tail “ (Anderson 2007). Dieser Effekt beschreibt, dass durch das Internet und insbesondere die Entwicklungen im Rahmen des Web 2.0 Nischenprodukte einer breiten Masse von Interessenten angeboten werden können und damit klassische Leistungsangebotsmodelle in Frage gestellt werden. Voraussetzungen zur erfolgreichen Nutzung des Long-Tail-Effektes sind insbesondere minimale Lager-, Vertriebs- und Marketingkosten, Preisführerschaft und eine flexible Vertriebslogistik mit schneller Auslieferung (Anderson 2007). So kann mit verschiedenen Nischenprodukten, insbesondere im Buch- und Musiksegment, im Internet mehr Umsatz erzielt werden als mit einzelnen Bestsellern im Mainstream (Wirtz 2013). Ehemals kleine und geografisch separierte Kundensegmente können wirtschaftlich bedient werden. Während ein gewöhnlich großer Buchhändler ca. 100.000 Buchtitel vorrätig hat, macht Amazon.com als Online-Buchhändler ungefähr ein Viertel des Umsatzes mit Titeln, die in der Verkaufsrangliste weit hinter den Top-100.000-Buchtiteln rangieren. Der „Long Tail“ ergibt sich rein optisch bei einer Grafik, in der auf der y-Achse die Umsätze und auf der x-Achse die verkauften Artikel abgetragen werden. Die Kurve flacht zwar schnell ab, aber läuft dann sehr lange aus, weil selbst in den entlegensten Nischen eines Sortiments noch Abverkäufe stattfinden (Strauß 2013). Es entsteht eine Renaissance der Randsortimente – weg von generischen Hitlisten und umkämpftem Mainstream hin zur Nische, zur Differenzierung und zur Ausrichtung an individuellen Kundenpräferenzen (Brynjolfsson et al. 2006).

Aus Vertriebssicht liefert das Geschäftsmodell „Commerce“ Ansätze, Kundenbedürfnisse durch ein breiteres Leistungsspektrum besser zu befriedigen (Watts und Hasker 2006). So kann der persönliche Verkauf von Kernleistungen um weitere kundenrelevante Angebote ergänzt werden, ohne Mitarbeiter damit zu überfrachten. Strategische Wettbewerbsvorteile entstehen durch die IT-unterstützte Integration von Klasse (persönliche Kundeninteraktion im Kerngeschäft) und Masse (Long Tail) im Rahmen einer integrierten Multi-Channel-Strategie (Yan et al. 2011), die es auch erlaubt, online angebotene Produkte offline im stationären Handel oder durch Vertriebsmitarbeiter auf Bestellung verfügbar zu machen („Ship-from-Store“). Allerdings muss „Customer Confusion “, also die psychologische Überlastung von Kunden durch eine zu große Auswahl (Manoj und Sahadev 2013), verhindert werden. Tools und Filter müssen Nachfrager dabei unterstützen, Leistungen gemäß ihren persönlichen Präferenzen schnell und bequem zu finden – bei möglichst minimalem Wartungsaufwand auf Seiten des Anbieters. Hierzu zählen adaptive Empfehlungssysteme, personalisierte Startseiten, mehrdimensionale Charts, Podcasts, Userforen oder auch Kundenrezensionen (Strauß 2013).

Während Commerce-Anbieter auf Transaktionen fokussiert sind, zeichnen sich Context-Geschäftsmodelle im E-Business dadurch aus, dass sie – im Gegensatz zu Content-Anbietern – nicht primär eigene Inhalte anbieten, sondern vielmehr als Navigationshilfen und zunehmend als Aggregatoren innerhalb des Internets agieren. Sie werden daher häufig als Ausgangspunkt bzw. als Startseite eingesetzt, von wo aus Informations-, Interaktions- sowie Transaktionsangebote anderer Anbieter gezielt angesteuert werden können (Wirtz 2013).

Das Geschäftsmodell Context basiert auf der Klassifikation, Systematisierung und Zusammenführung im Internet verfügbarer Informationen. Ziel ist es hierbei, eine Verbesserung der Markttransparenz (Komplexitätsreduktion) und Orientierung (kontinuierliche Ergebnisverbesserung der Suchanfragen) für die Nutzer zu erreichen (Kollmann 2013; Wirtz 2013).

Die Informationen im Internet werden vom Context-Anbieter kriterienspezifisch kompiliert und dem Nutzer übersichtlich und kontextspezifisch präsentiert (Wirtz 2013), wobei Erlöse direkt (z. B. Gebühr für die Registrierung oder Platzierung von Inhalten, sogenannte Placements ) und/oder indirekt (z. B. Werbung, sogenanntes Keyword Advertising ) erzielt werden können (Kollmann 2013). Folgende Kategorien lassen sich unterscheiden (Wirtz 2013):

  • E-Search : Anbieter dieser Geschäftsmodellvariante bieten Suchmaschinen für das Internet, wobei weiterhin die Bereiche General Search (d. h. Suche nach allgemeinen Informationen, z. B. Google.de), Special Search (d. h. besondere Fokussierung auf im Vorfeld definierte Bereiche des Internets, z. B. Technorati.com für die „Blogosphäre“) und Meta Search (d. h. Verknüpfung mehrerer General- bzw. Special-Search-Suchmaschinen für größere Abdeckung, z. B. Metacrawler.com) unterschieden werden können. Die Grundfunktion dabei ist das Information-Retrieval-System : Suchanfragen gehen beim Search-Anbieter ein und werden mit einem vorab durch Software-Robots (Softbots ) vollautomatisch indexierten Bestand an gesammelten Informationen abgeglichen. Sie werden dann priorisiert an den Informationsnachfrager ausgegeben. Bei der Priorisierung der Suchtreffer dient die Nutzungshäufigkeit durch andere Nutzer als impliziter Indikator für deren Relevanz.

  • E-Catalogs : Im Unterschied zu Suchmaschinen mit automatischer Inhaltsaggregation und Indizierung sind Webkataloge und deren Offline-Versionen prinzipiell Adressenverzeichnisse , die zumeist einer manuellen redaktionellen Kontrolle unterworfen werden, z. B. Allesklar.de. Dadurch wird grundsätzlich eine bessere Qualität bzw. eine höhere Relevanz bei Suchanfragen sichergestellt. Allerdings ist es bei kommerziellen Webkatalogen oftmals möglich, bestimmte Positionen der Einträge im Katalog gegen Bezahlung vorzunehmen, was der Relevanz wiederum eher schadet. Weiterhin können die Anbieter von E-Catalogs ihren Nutzern nicht den Umfang an Informationen bieten wie eine Suchmaschine im Bereich E-Search.

  • E-Bookmarking : Die Geschäftsmodellvariante E-Bookmarking beschreibt die gemeinschaftliche Indexierung von im Internet verfügbaren Informationen durch die Nutzer im Rahmen von nichtkommerziellen, nutzerverwalteten Webkatalogen bzw. Weblistings , z. B. das Open Directory Project (Dmoz.org). Über Web-2.0- bzw. Social-Media-Applikationen können dabei Schlagwörter für Informationen vergeben werden, damit andere Nutzer bei ähnlichen Suchanfragen die Informationen schneller finden. Je mehr Nutzer ein Bookmarking-Dienst hat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass mit der vorgenommenen Indexierung tatsächlich auch passende Ergebnisse für Suchanfragen generiert werden, was wiederum tendenziell neue Nutzer anzieht und den Dienst weiter verbessert.

Aus Vertriebssicht kann das Geschäftsmodell „Context“ im Rahmen strategischer Überlegungen Hinweise liefern, wie die Online-Auffindbarkeit der Unternehmensangebote und der verfügbaren Vertriebskanäle verbessert werden kann. Nach wie vor sind Sichtbarkeit und Präsenz im Internet eine notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung von Wettbewerbsvorteilen, insbesondere in der internationalen Arena. Search Marketing (Berman und Katona 2013) wird damit zum „Enabler“ bei der Konvertierung vertrieblicher Kernkompetenzen in strategische Wettbewerbsvorteile. Entsprechende Ansätze, wie Suchmaschinenwerbung (Search Engine Advertising, SEA ) und Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimization, SEO ), werden vor diesem Hintergrund zu Disziplinen des Vertriebsmarketings. Sie sollten nicht für klassische Produktwerbung oder Markenkampagnen verwendet werden, sondern auch zur Positionierung des Vertriebs als unternehmerischer Kernkompetenz.

Während Search-Anbieter lediglich Informationen für die weitere Verwendung durch den einzelnen Nutzer bereitstellen, ermöglichen Connection-Geschäftsmodelle die Möglichkeit eines aktiven Informationsaustausches in Netzwerken (Wirtz 2013).

Das Geschäftsmodell Connection ermöglicht bzw. organisiert die Interaktion von Akteuren in virtuellen Netzwerken, die in der physischen Welt wegen hoher Transaktionskosten oder Kommunikationshürden nicht realisierbar wäre (Wirtz 2013).

Erlöse können in diesem Geschäftsmodell wiederum direkt (z. B. Objektaufnahme/-anbindung oder Verbindungsgebühren) und/oder indirekt (z. B. Werbung, Statistiken, Cross-Selling) erzielt werden (Kollmann 2013). Die herzustellenden Verbindungen können technischer (z. B. T-online.de als Internet Service Provider), kommerzieller (z. B. SAP Community Network) oder rein kommunikativer (z. B. Skype für Internet-Telefonie) Natur sein (Wirtz und Becker 2001). Vor diesem Hintergrund lassen sich die idealtypischen Geschäftsmodellvarianten Intra- sowie Interconnection identifizieren (Wirtz 2013).

Intraconnection beinhaltet das Angebot von kommerziellen und/oder kommunikativen Dienstleistungen innerhalb des Internets (Wirtz 2013):

  • Community : Communities bieten ihren Nutzern eine Plattform, um Kontakt zu Gleichgesinnten bzw. „Freunden“ aufzunehmen und darüber Informationen, Wissen, Meinungen oder auch Dateien auszutauschen. Der Community-Bereich lässt sich weiterhin in vier Sub-Geschäftsmodelle unterteilen. Social Network s (z. B. Facebook.com, Xing.de oder Linkedin.com) stehen besonders im Mittelpunkt der öffentlichen und fachlichen Diskussionen. Dem Nutzer wird hierbei stets ermöglicht, ein eigenes Profil anzulegen und sodann unterschiedlichen Content, z. B. Fotos, Musik oder auch einen Lebenslauf, freizugeben. Hinzu kommt zumeist der Vernetzungsgedanke, d. h., die Nutzer verbinden sich untereinander und bilden damit ein Interaktions- und Kommunikationsgefüge (Gangadharbatla 2008; Valenzuela et al. 2009). Die Plattformen beziehen einen Großteil ihres Angebots für die Nutzer aus den Beiträgen und Inhalten, welche die registrierten Nutzer bereitstellen. Ein ähnliches Leistungsangebot bieten die Social-Messages -Anbieter (z. B. Skype.de, Icq.de oder Twitter.com). Hierbei steht allerdings nicht die Generierung von Content oder die Verlinkung im Vordergrund, sondern primär die kommunikativen Aspekte. Dabei geht der Trend zu privaten Chat s beziehungsweise Messenger-Dienst en. Diese bieten ihren Nutzern eine gesicherte, private Verbindung mit Freunden und Bekannten an, um textbasiert virtuell zu kommunizieren. Der aktuell erfolgreichste Dienst in diesem Zusammenhang ist WhatsApp. Vergleichbar, allerdings in einem höheren Maße öffentlich, ermöglicht es Twitter, Kurznachrichten an die Plattform und damit an andere Nutzer der Plattform zu verschicken, um über aktuelle Themen zu diskutieren oder aber Statusmeldungen aus dem Alltagsleben zu veröffentlichen („Microblogging “). Dagegen werden Customer-Exchange-Plattform en häufig mit dem illegalen Gebrauch des Internets zum Austausch von Daten aller Art in Verbindung gebracht. Eines der bekanntesten Angebote in diesem Bereich ist die Plattform Rapidshare. Diese bietet einen One-Click-File-Hosting -Service an, wodurch Daten aller Art (auch illegale Down- bzw. Uploads) weltweit besonders schnell und sicher verteilt werden können. Andere Angebote, die insgesamt verstärkt privaten und damit urheberrechtlich unbedenklicheren Content fokussieren, sind beispielsweise Flickr oder Picasa. Sie offerieren ihren Nutzern einen Speicherplatz im Internet, um insbesondere Fotos oder Videos zu tauschen bzw. zu verlinken. Als letzte Variante der Submodelle kommt den Customer-Opinion-Portal en durch die vermehrt öffentliche Kommunikation der Web-2.0-Nutzer und der damit zusammenhängenden öffentlichen Meinungsbildung eine besondere Bedeutung zu, da Internetnutzer insgesamt den Beiträgen von anderen Internetnutzern mehr Vertrauen schenken als den offiziellen Unternehmensinformationen (Bailey 2005). Das Angebot von Plattformen, wie z. B. Eopinions.com, Cao.com oder Dooyoo.de, ist primär auf den Kundennutzen ausgerichtet. Neben allgemeinen Produktbeschreibungen finden Nutzer die wichtigen Produktreviews und -bewertungen. So können potenzielle Käufer eine detaillierte Übersicht zu der gewünschten Leistung erlangen und die Kaufentscheidung mit größerer Sicherheit treffen.

  • Mailing Service s: Über Mailing Services (z. B. Gmx.de, Web.de oder Ecards.com) können E-Mails oder auch Grußkarten verschickt werden. Anbieter in diesem Bereich finanzieren sich hauptsächlich über Werbung, die an die verschickten E-Mails angehängt wird, über Bannerwerbung oder über die Bereitstellung von sogenannten Premium-Account s mit Zusatzfeatures wie etwa einem erhöhten Speicherplatz. Insgesamt zeigt sich bei vielen Anbietern eine Integration der klassischen E-Mail-Dienste mit weiteren, meist Web-2.0- bzw. Social-Media-Applikationen (z. B. Google Mail, der Dienst Buzz oder der Microsoft Live-Dienst).

Interconnection dagegen bietet keine Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb des Internets, sondern hier stellen Anbieter den technischen Zugang zu den physischen Netzwerken bereit. Hierunter fallen etwa Internet Service Provider (ISP), die ihren Kunden den technologischen Zugriff auf das Internet ermöglichen. Während bei einer Fix Connection der Nutzer örtlich gebunden ist (Einwahl ins Netz nur kabelgebunden an einem festen Standort) bedeutet M-Connection , dass der Nutzer nicht stationär sein muss und sich beispielsweise über ein Smartphone von (fast) überall aus in das Internet einwählen kann. Die großen Anbieter in Deutschland (z. B. Telekom und Arcor/Vodafone) bieten sowohl Fixed-Connection- als auch M-Connection-Leistungen an. Insgesamt ist bei den Anbietern ein Trend zur Leistungsbündelung zu erkennen. Kombinationen von Telefon-, Internet- und TV-Angeboten („Triple Play “) oder ergänzt um Mobilfunkangebote („Quadruple Play “) lassen die Grenzen zwischen verschiedenen Zugangsformen zum Internet nicht nur technisch, sondern auch in der Kundenwahrnehmung zunehmend verschwimmen (Wirtz 2013).

Aus Vertriebssicht kann das Geschäftsmodell „Connection“ im Rahmen strategischer Überlegungen Hinweise liefern, wie die Kunden eines Unternehmens systematisch in eine Netzwerkstruktur eingebunden werden können. Insbesondere der Community-Ansatz ist hierbei ergiebig. Anstatt Kundenbeziehungen lediglich bilateral-dyadisch zu interpretieren, kann der Vertrieb in Virtual Customer Communities die Interaktion zwischen Kunden gezielt ermöglichen und fördern, um so Synergieeffekte zu generieren, von Referenzen und Empfehlungen („Word of Mouth “) bis hin zur Einbindung in die Produktentwicklung (Porter et al. 2013). Kunden können so stärker aktiviert und besser an das Unternehmen gebunden werden. Gleichzeitig entsteht ein vertieftes Wissen über die in Communities eingebundenen Kunden und ihre Bedürfnisse. Der Vertrieb kann diese in entsprechende Prozesse der Value Co-Creation (Baumann und Le Meunier-FitzHugh 2015) einbinden und dadurch Wettbewerbsvorteile generieren.

Gelegentlich wird in der Literatur gefordert, das hier dargestellte 4C-Net Business Model durch eine übergeordnete Koordinationsunterstützung („Coordination“) zum 5C-Net zu erweitern (Afuah und Tucci 2003). Obgleich die Koordination in den meisten der zuvor skizzierten Basisgeschäftsmodelle bereits implizit integriert ist (Wirtz 2013), soll dieser Ansatz abschließend knapp dargestellt werden.

Das Geschäftsmodell Coordination ermöglicht eine effiziente Terminabstimmung zwischen Nutzern und die webbasierte kooperative Abwicklung von Projekten in Teams sowie die Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen (Strauß 2013; Wirtz 2013).

Insbesondere zwei Leistungsangebote sind hierbei zu nennen (Strauß 2013):

  • Scheduling : Hierunter fallen Angebote und Instrumente zur effizienten Terminabstimmung zwischen Nutzern, z. B. Doodle.com.

  • Teamwork : Dies beinhaltet alle Arten der webbasierten IT-Unterstützung kooperativen Arbeitens. Ein Beispiel hierfür ist Teamspace.de als Tool zur Projektunterstützung. Die Funktionen von Teamspace decken sowohl klassische Kalenderfunktionen ab als auch Aufgaben-, Multi-Projekt-Management, Pinboards oder Diskussionsforen. Durch solche Tools können sich dynamischere Gruppenstrukturen bilden als bei herkömmlichem „Face-to-face“-Teamwork und auch mehr Informationen ausgetauscht werden. Allerdings muss ein quantitatives „Mehr“ an Informationen nicht zwangsläufig auch zu einem qualitativen „Mehr“ an Effizienz und Problemlösungskapazität im Team führen (Hummel 1996).

Aus Vertriebssicht zeigt das Geschäftsmodell „Coordination“ auf, wie innerhalb und außerhalb der klassischen Vertriebsorganisation mithilfe neuer Technologien innovativ gearbeitet werden kann. Die interne Zusammenarbeit, etwa zwischen Innen- und Außendienst oder auch zwischen Zentrale und Vertriebsniederlassungen, kann mit entsprechenden Tools verbessert werden. Die alte Idee des Team Selling (Bußmann und Rutschke 1998) kann auf diese Weise mit neuem Leben erfüllt werden. Darüber hinaus ist aber auch eine funktionenübergreifende Marktorientierung als strategischer Wettbewerbsvorteil zu sehen (Hughes et al. 2012). Neue Technologien liefern hier innovative Ansätze für ein internes Schnittstellenmanagement in der Zusammenarbeit des Vertriebs mit anderen Unternehmensfunktionen (Binckebanck und Kämmerer 2013; Le Meunier-FitzHugh und Piercy 2009). Schließlich ergeben sich neue Möglichkeiten für die kooperative Zusammenarbeit mit anderen Vertriebsorganisationen und mit den Kunden im Rahmen von Collaborative Sale s (Eades und Sullivan 2014). Insgesamt können neue Technologien also Vertriebsprozesse durch optimierte Koordination von internen und externen Einzelaktivitäten verbessern und so Wettbewerbsvorteile generieren.

4.2.2 B2B-Geschäftsmodelle im E-Business

Auch im B2B-Bereich konnten sich verschiedene Geschäftsmodelle erfolgreich etablieren. Der wesentliche Unterschied zu B2C-Geschäftsmodellen besteht im zugrunde liegenden Beziehungsverhältnis: Während die B2C-Geschäftsmodelle ein Leistungsangebot an private Endabnehmer beinhalten, stehen im B2B-Bereich Geschäftsbeziehungen ausschließlich zwischen Unternehmen im Mittelpunkt der Geschäftsmodelle. Analog zu der Differenzierung von B2C-Geschäftsmodellen anhand der Leistungsangebote können auch hier vier B2B-Basisgeschäftsmodelle abgeleitet werden: Sourcing, Sales, Supportive Collaboration und Service Broker. Diese Geschäftsmodelltypologie wird als 4S-Net Business Model bezeichnet und stellt die wesentlichen B2B-Geschäftsmodelle im Internet dar (Wirtz 2013).

Das B2B-Geschäftsmodell Sourcing unterstützt die Anbahnung und/oder Abwicklung von direkten Geschäftstransaktionen vom Kunden zum Zulieferer mit dem Ziel, Geschäftstransaktionen des Beschaffungsmanagements durch Unterstützung des Internets abzuwickeln (Wirtz 2013).

Dabei lassen sich zwei Unterkategorien differenzieren (Turban et al. 2006; Wirtz 2013):

  • Private B2B-Exchange : Dieses Geschäftsmodell zeichnet sich durch eine bilaterale One-to-One-Austauschbeziehung zwischen einem beschaffenden Unternehmen und einem Lieferanten aus. In der Regel werden derartig intensive Geschäftsbeziehungen mit strategisch wichtigen Geschäftspartnern eingegangen, die einen maßgeblichen Einfluss auf den eigenen Wertschöpfungsprozess haben (Strategic Sourcing ). Die IT-technische Unterstützung von strategischen One-to-One-Beziehungen ist sinnvoll bei der Abwicklung von häufig wiederkehrenden Geschäftstransaktionen, weniger bei individualisierten Einzelleistungen mit geringer Wiederholungskaufrate. In der Praxis wird zumeist das firmeninterne Intranet um interaktive beschaffungsunterstützende Komponenten zu einem Extranet erweitert, das nur einem exklusiven strategischen Partner zugänglich gemacht wird. Eine bekannte und bewährte Alternative hierzu ist der Electronic Data Interchange (EDI) . Dieser Datendienst ermöglicht das papierlose Senden einer Procurement-Bestellung vom beschaffenden Unternehmen in Form von strukturierten Daten (zunehmend über das Internet), sodass die Bestellung nahezu verzögerungsfrei, zuverlässig und exakt übereinstimmend als Auftrag beim Lieferanten eingeht. Neben klaren Kostenvorteilen im Vergleich zu traditionellen Bestellkanälen (z. B. Fax oder Telefon) und der effizienten Prozessabwicklung führt die Etablierung einer Private-B2B-Exchange-Lösung in der Regel zu vertieften und robusteren Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Lieferanten. Denn es handelt sich hierbei um transaktionsspezifische Investitionen von beiden Seiten, die im Fall der Beendigung der Geschäftsbeziehungen Sunk Costs darstellen, da die etablierten Systeme zumeist nicht weiterverwendet werden können.

  • Buy Side B2B-Exchange : Dieses Geschäftsmodell zeichnet sich durch eine One-to-Many-Beziehung zwischen dem beschaffenden Unternehmen und mehreren Lieferanten bzw. Zulieferern aus. Dies kann vom Kundenunternehmen durch die Einrichtung eines Buy Side E-Marketplace umgesetzt werden. Dabei wird ein E-Marketplace auf dem eigenen Server eingerichtet und verschiedene Lieferanten eingeladen, das Online-Angebot an Bestellungen zu analysieren und Aufträge entgegenzunehmen. Häufig wird hierbei ein Reverse-Auction -Verfahren verwendet, bei dem derjenige Lieferant den Zuschlag erhält, der das niedrigste Angebot abgibt. Da der Aufbau und der Betrieb einer solchen Plattform mit einem erheblichen Ressourceneinsatz verbunden sind, wird diese Art des Buy Side B2B-Exchange in der Praxis meist nur von Großkonzernen verwendet. Eine Alternative ist der Aufbau eines Multi-Supplier-Katalog s. Einzelne Lieferantenkataloge werden hierbei zu einem umfassenden Katalog zusammengefasst und im Intranet des beschaffenden Unternehmens abgelegt. Durch eine Vernetzung mit dem internen Finanz-/Bestellsystem und dem Auftragssystem der Lieferanten ist es relativ einfach möglich, Bestellungen auszulösen und abzuwickeln.

Aus Vertriebssicht ist es von entscheidender Bedeutung, die Funktionsweise des Sourcing-Geschäftsmodells zu verstehen und Implikationen für die eigenen Vertriebsprozesse abzuleiten. So ist es etwa zukünftig noch wichtiger, die Bedarfsplanung der Kunden sowie die Auswahlkriterien für Lieferanten bzw. zu beschaffende Leistungen zu kennen und sich hierbei als potenzieller Lieferant zu positionieren. Hierbei werden die IT als Transaktionsplattform und die Fähigkeit, sich in kundenseitige Procurement-System e zu integrieren, zu Hygienefaktoren. Der Vertrieb muss sich so aufstellen, dass seine Kunden die Beschaffung möglichst effizient gestalten können und im Rahmen einer Beschaffungsprozessoptimierung die Beschaffungsdauer und Beschaffungsprozesskosten gering halten können. Entsprechende Kompetenzen, die das E-Procurement als Chance zur Profilierung innerhalb des Lieferantennetzwerks der Kunden auffassen, können zum strategischen Wettbewerbsvorteil werden.

Spiegelbildlich zum Sourcing lässt sich vor diesem Hintergrund das Basisgeschäftsmodell Sales auffassen.

Das B2B-Geschäftsmodell Sales unterstützt die Gestaltung und/oder Abwicklung von direkten Geschäftstransaktionen vom Zulieferer zum Kunden mit dem Ziel, Geschäftstransaktionen des Vertriebsmanagements durch Unterstützung des Internets abzuwickeln (Wirtz 2013).

Daraus resultieren analog zum Sourcing-Modell zwei Unterkategorien (Turban et al. 2006; Wirtz 2013):

  • Private B2B-Exchange : Dieses Geschäftsmodell zeichnet sich durch eine One-to-One-Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager bzw. Vertrieb und Einkauf aus, wobei das anbietende Unternehmen im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Auch aus dieser Perspektive erscheint es sinnvoll, langfristige und intensive Geschäftsbeziehungen mit den wichtigsten Kunden durch die Einrichtung eines Extranets technisch zu unterstützen und beispielsweise für Großkunden jeweils einen hinsichtlich Produktauswahl und Preissetzung individualisierten E-Catalog zur Verfügung zu stellen.

  • Sell Side B2B-Exchange : Dieser Ansatz zeichnet sich durch eine direkte One-to-Many-Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager aus, wobei immer ein Verkäufer und mehrere potenzielle Käufer (ohne zwischengeschalteten Absatzmittler) involviert sind. Ein Sell Side E-Marketplace ist eine webbasierte Marktplattform, auf der ein Verkäufer seine Leistungen mehreren Interessenten anbietet. Es können hierbei zwei Modelle unterschieden werden, nämlich E-Catalogs und E-Auctions. Die Plattform wird dabei zumeist vom Anbieter selbst betrieben und in Form eines Extranets umgesetzt. Im Unterschied hierzu werden B2B-Storefront s nicht per Extranet technisch realisiert, sondern durch die Programmierung einer allgemein aufrufbaren Homepage . Um den Zugang nur für ausgewählte Interessenten sicherzustellen, ist das Online-Angebot zumeist durch eine ID und ein Passwort geschützt. So erhalten potenzielle Kunden nach einer entsprechenden Registrierung relativ einfach Zugang zum Storefront . Darüber hinaus kann das Online-Angebot durch die Nutzung individueller User-Profil e bedürfnisorientiert individualisiert werden (z. B. Hinterlegung vereinbarter Produkt- bzw. Preisbedingungen).

Aus Vertriebssicht gilt es, die Wertschöpfungskette und die resultierenden vertrieblichen Kernkompetenzen des Sales-Geschäftsmodells umfassend zu durchdringen. Die aggregierte Wertschöpfungskette beginnt mit der Identifikation von technisch affinen und gleichzeitig hinreichend potenzialstarken Kunden und Kundensegmenten. Hierauf aufbauend wird, abhängig von der verfolgten Kundenbeziehungsstrategie, die entsprechende Sales-Plattform aufgebaut (Private oder Sell Side), welche die Basis für die Abwicklung der elektronischen Bestellungen mit anschließendem Fulfillment schafft. Anschließend erfolgt das Billing in Form der klassischen Rechnungsstellung mit elektronischer Überweisung bzw. Bankeinzug. Abgeschlossen wird die Wertschöpfungskette durch den After-Sales-Service, um die Kunden durch die Schaffung von Zusatznutzen langfristig an das Unternehmen zu binden. Zu den wichtigsten Kernkompetenzen des Sales-Geschäftsmodells zählen neben Analyse und Management des Kundenstamms und der Etablierung einer starken Marke insbesondere auch die verwendete Vertriebsstruktur und IT-Plattform. Abhängig von der Vertriebsstrategie ist es dabei von besonderer Bedeutung, die jeweils am besten geeignete, günstigste Sales-Geschäftsmodellvariante zu wählen und mit einer entsprechenden IT-Plattform zu realisieren. So sollten etwa Geschäftsbeziehungen mit strategisch wichtigen Großkunden durch die Einrichtung eines Extranets (One to One) unterstützt werden, während B- und C-Kunden gleichzeitiger Zugriff auf die Sales-Plattform im Rahmen eines Sell Side B2B-Exchange ermöglicht wird. Weiterhin zählen Verhandlungs- und Pricing-Kompetenz zu den Erfolgsfaktoren des Sales-Geschäftsmodells, um Preisverhandlungen effizient und effektiv durchführen zu können bzw. marktorientierte Preisstrategien entwickeln und umsetzen zu können. Schließlich kann die Kompetenz zum technischen Aufbau und Betrieb der dargestellten Sales-Geschäftsmodellvarianten als strategischer Wettbewerbsvorteil gesehen werden. Denn ein Unternehmen, das etwa einen eigenen Sell Side E-Marketplace implementieren will, muss entsprechende IT-Kenntnisse vorab aufbauen bzw. für sich exklusiv extern am Markt beschaffen können (Wirtz 2013).

Das dritte Basisgeschäftsmodell Supportive Collaboration abstrahiert von unmittelbaren Geschäftstransaktionen und fokussiert auf die kooperative Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen.

Das B2B-Geschäftsmodell Supportive Collaboration unterstützt die gemeinschaftliche Wertschöpfung von mehreren Unternehmen (Collaborative Value Generation ) in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb durch direkte Zusammenarbeit und ohne den Einsatz von Intermediären (Wirtz 2013).

Dabei lassen sich drei Unterkategorien unterscheiden (Turban et al. 2006; Wirtz 2013):

  • Collaborative R&D : Bei dieser Unterkategorie geht es um die gemeinschaftliche Entwicklung von innovativen Leistungsangeboten, die in der Praxis insbesondere in der Automobilbranche oder Pharmaindustrie zumeist durch die Einrichtung eines entsprechenden Firmennetzwerks realisiert werden (Netzwerkinnovation ). Ein von General Motors eingesetztes Computer-Aided-Design -Programm ermöglicht es beispielsweise, 3D-Designdokumente von Prototypen online sowohl internen und externen Designern als auch Ingenieuren weltweit zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus kann unternehmensübergreifendes Teamwork etwa durch flexible Webkonferenz-Tool s kostengünstig unterstützt werden.

  • Collaborative Production : Hierbei steht die IT-gestützte gemeinschaftliche Herstellung von Produkten und Leistungen im Vordergrund. In der Praxis erfolgt eine kollaborative Produktion häufig in Form einer integrierten Supply Chain von verschiedenen Partnernetzwerken mit dem Ziel einer Optimierung der Produktionsprozesse , z. B. in Form einer Just-in-Time-Produktion und der Einbindung von Zulieferunternehmen in den Produktionsprozess. Dabei ermöglichen Materials-Requirement-Planning -Systeme die integrative Planung und Überwachung des Produktionsprozesses (z. B. Bedarfs- oder Ablaufplanung).

  • Collaborative Sale : Dieses Geschäftsmodell sieht vor, dass sich mehrere Unternehmen einer Branche zusammenschließen, um eine eigene Sales-Exchange-Plattform zu gründen und kooperativ zu betreiben. In der Praxis werden solche Konstellationen meist durch die Etablierung eines Konsortiums für Trading Exchange realisiert (Many to Many). GHX wurde beispielsweise im Jahr 2000 von verschiedenen großen Herstellern medizinischer Produkte gegründet und gilt mittlerweile weltweit als größte Trading-Exchange-Plattform im Healthcare-Bereich.

Aus Vertriebssicht stellt der Collaborative-Sale-Ansatz einen innovativen Ansatz zur Ausschöpfung von Synergieeffekten mit Wettbewerbern im Rahmen einer Kooperationsstrategie dar. In einem Bereich, der traditionell eher auf eine Konfliktstrategie setzt, kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich. Um das Geschäftsmodell dennoch erfolgreich umsetzen zu können, muss der Vertrieb die Prozesse von Supportive Collaboration verstehen und beherrschen lernen. Zunächst wird im Rahmen des Collaboration Planning systematisch untersucht, ob und ggfs. welche Synergiepotenziale in den Vertriebsstrukturen einer Branche existieren. Hierauf aufbauend können mögliche Partner für eine Zusammenarbeit identifiziert und im Rahmen der Vorvertragsverhandlungen erste Rahmenbedingungen abgeklärt werden (Collaboration Partnering ). „Collaboration Scheduling “ bezeichnet die konkrete Aushandlung und Fixierung des Kooperationsvertrags inklusive der Definition des Geschäftsverteilungsplans. Schließlich folgt die Ausführung der vorab definierten Zusammenarbeit inklusive des Aufbaus der IT-Plattform (Collaboration Fulfillment ), und die Effizienz der durchgeführten Kollaboration wird durch ein entsprechendes Collaboration Audit sichergestellt. Zu den hierfür benötigten Kernkompetenzen zählt neben einer auf die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Akteure ausgerichteten IT-Plattform im Wesentlichen ein funktionales Netzwerk potenzieller Partner. Darüber hinaus ist eine effiziente und zielorientierte Allokation der Ressourcen innerhalb der Zusammenarbeit notwendig, um Synergieeffekte effizient nutzen zu können. Hierbei ist eine ausgeprägte Verhandlungskompetenz hilfreich, um Kollaborationsverhandlungen effizient und effektiv durchführen zu können. Schließlich ist es für die effiziente Nutzung von Collaborative Sale von entscheidender Bedeutung, dass die teilnehmenden Unternehmen neben einer entsprechenden Kooperationskompetenz insbesondere über eine ausgeprägte Integrationskompetenz (z. B. hinsichtlich der systemtechnischen IT-Integration) verfügen (Wirtz 2013).

Das letzte Basisgeschäftsmodell konzentriert sich auf die Bereitstellung von Dienstleistungen, die im Unterschied zu den drei bislang skizzierten Ansätzen durch dritte Anbieter bzw. Intermediäre erfolgt.

Das B2B-Geschäftsmodell Service Broker unterstützt Geschäftstransaktionen durch die Bereitstellung von Informationen und Marktplätzen. Dabei besteht keine direkte Beziehung mehr zwischen den betroffenen B2B-Unternehmen, sondern nur über den entsprechenden Intermediär (Wirtz 2013).

Dabei lassen sich zwei Unterkategorien unterscheiden (Turban et al. 2006; Wirtz 2013):

  • E-Information : Bei dieser Unterkategorie handelt es sich um reine Business-Information-Portale . Im Vordergrund steht die reine Bereitstellung von unternehmensspezifischen Informationen, wie z. B. Produktverzeichnissen, Verkäuferübersichten oder generellen Unternehmensinformationen bzw. Branchennews. Realisiert werden derartige Informationsangebote zumeist durch die Bereitstellung von E-Directories im Internet (z. B. B2btoday.com oder Thomasnet.com).

  • E-Marketplace s: Im Gegensatz zu E-Informations steht hierbei nicht der reine Informationsgedanke im Vordergrund. E-Marketplaces sind vielmehr elektronische Trading Exchange s, die weder vom Anbieter noch vom Nachfrager betrieben werden. Im Gegensatz zu Sell Side beziehungsweise Buy Side B2B-Exchanges sind sie für Unternehmen in der Regel öffentlich zugänglich und werden von einer dritten Partei (Intermediär ) betrieben und verwaltet. Interessierte Unternehmen (Käufer und Verkäufer) treffen sich auf einer gemeinsamen elektronischen Plattform zum Handel von Waren und Dienstleistungen (Many to Many, z. B. Alibaba.com). In einem E-Exchange werden die Angebote verschiedener Leistungen durch einen Intermediär gesammelt, standardisiert und auf einer zentralen Plattform online potenziellen Käufern präsentiert. Dabei erfolgt nicht nur eine reine Leistungspräsentation, sondern der Intermediär unterstützt den Transaktionsprozess zwischen Käufer und Verkäufer wesentlich, indem etwa spezielle Trading Room s und Unterstützungsleistungen in der Zahlungsabwicklung angeboten werden. E-Auction s können als eine Sonderform von E-Exchanges angesehen werden, bei denen das Konzept der dynamischen Preisfindung angewendet wird, d. h., der Bieter mit dem höchsten Angebot erhält den Zuschlag.

Aus Vertriebssicht sind Service Broker im Bereich E-Informations Dienstleister, die zur verbesserten informatorischen Fundierung strategischer Entscheidungen beitragen können. E-Marketplaces stellen dagegen einen potenziellen Vertriebskanal dar, der im Rahmen einer integrierten Multi-Channel-Strategie Berücksichtigung finden sollte. Gerade der kometenhafte Aufstieg der Plattform Alibaba zeigt, welche Potenziale zur Schaffung strategischer Wettbewerbsvorteile im (internationalen) B2B-Vertrieb bestehen.

4.3 E-Marketing Communications als digitaler Erfolgsfaktor

Die Diskussion der verschiedenen E-Geschäftsmodelle hat eine Vielzahl von Ansatzpunkten aufgezeigt, neue Technologien zur Schaffung von strategischen Wettbewerbsvorteilen zu nutzen. Als ein durchgängiges Muster erweisen sich hierbei innovative Möglichkeiten zur Interaktion mit Kunden eines Unternehmens unter Nutzung des Internets. Diese digitalen Interaktionen müssen aus strategischer Sicht aber eingebunden sein in ein umfassendes Konzept der integrierten Kommunikation (Bruhn 2010). Die Nutzung des Internets als effizientes Medium im Kommunikations-Mix von Unternehmen stellt bei der Digitalisierung im Vertrieb einen eigenständigen Erfolgsfaktor dar und wird im Folgenden näher betrachtet.

Unter E-Marketing Communications sollen nachfolgend alle Maßnahmen verstanden werden, die interaktiv und multifunktional sowie unter Nutzung netzwerkbasierter und elektronischer Plattformen darauf abzielen, potenzielle und aktuelle Kunden eines Unternehmens auf die eigene oder eine ganz bestimmte Website (z. B. einen E-Marketplace) zu lenken, von wo aus vertriebliche Transaktionen angebahnt bzw. getätigt werden können (Lammenett 2012; Strauß 2013; Wirtz 2013).

Diese Art der Marketingkommunikation zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Charakteristika aus, die eine Abgrenzung von der klassischen Kommunikation ermöglicht (Wirtz 2013):

  • Hypermedialität : Der Rezipient erhält Information über das Internet in hypermedialer Form vor, d. h. in modulhafter Anordnung (Meffert et al. 2012). Durch das Anklicken von Hyperlinks (Querverbindungen zwischen zwei Internetseiten) eröffnen sich für den Nutzer ständig neue Inhalte mit immer neuen Informationen. Hingegen bieten traditionelle Medien nur eine lineare Präsentation der Kommunikationsbotschaft. Auch kann der Internetnutzer überwiegend selbst entscheiden, welcher Kommunikationsbotschaft er sich zu welchem Zeitpunkt aussetzt.

  • Individualisierung : Das Internet ermöglicht die nahezu beliebige Anpassung von Kommunikationsinhalten an die jeweiligen Kundenbedürfnisse. Die Kommunikation kann hierbei kundengruppenspezifisch als One-to-Few-Kommunikation erfolgen. Richtet sich die Botschaft an einzelne Kunden, wird dagegen von One-to-One-Kommunikation gesprochen.

  • Intelligence: Das Internet ermöglicht die einfache und effiziente Durchführung von Marktforschung . Damit wird die Basis geschaffen, um digitale Kommunikation zielgerichtet anzuwenden. Nur durch Wissen über die Präferenzen und das Online-Verhalten der Zielgruppen lassen sich alle Vorteile von E-Marketing Communications nutzen.

  • Interaktivität : E-Marketing Communications ermöglicht nicht nur die direkte individuelle Kundenansprache, sondern durch Feedback-Kanäle kann darüber hinaus ein interaktiver Dialog zwischen Absender und Empfänger einer Botschaft initiiert werden. Diese Interaktivität zeichnet die Online-Kommunikation in besonderem Maße aus, da sie sehr effizient viele Vorteile ermöglicht, die sonst nur die im Vergleich sehr viel aufwendigere persönliche Kommunikation bietet. Während traditionellen Medien fast ausschließlich Push-Mechanismen zur Verfügung stehen, die nur eine einseitige Kommunikation vom Unternehmen zum Kunden erlauben, kann die Kommunikation im Internet dagegen sowohl vom Kunden als auch vom Unternehmen ausgehen. So werden auch Pull-Mechanismen ermöglicht (z. B. Abonnement eines Newsletters durch einen Interessenten).

  • Integration : Digitale Kommunikation bietet vielfältige Möglichkeiten zur Integration in den bestehenden Kommunikations-Mix, da sich das Internet hervorragend mit anderen Kommunikationskanälen kombinieren lässt. Dabei kann die elektronische Kommunikation eine Ergänzung in beide Kommunikationsrichtungen darstellen. So können etwa Kunden über elektronische Kanäle, z. B. Social Media, auf Kommunikationsmaßnahmen vom Unternehmen über traditionelle Medien reagieren. Andererseits kann das Unternehmen aber auch auf seiner Homepage eine telefonische Service-Hotline für das Kunden-Feedback anbieten. Im sogenannten Mixed Mode Buying kann der Kunde beispielsweise eine Bestellung über das Telefon abgeben, sich aber online über die Produkte informieren.

  • Restrukturierung: Durch das Internet findet auf vielen Märkten ein dynamischer Restrukturierungsprozess statt, der sich ebenfalls auf die Kommunikationspolitik eines Unternehmens auswirken kann. Insbesondere durch Intermediation (d. h. Einschaltung von digitalen Absatzmittlern in die Wertkette) bzw. Disintermediation (d. h. Ausschalten von Stufen des indirekten Vertriebs) sind für Unternehmen Instrumente zur Kommunikation hinzugekommen bzw. weggefallen. So kann etwa ein B2B-Zulieferunternehmen seine Produkte über einen E-Procurement-Marktplatz statt über den Produktionsverbindungshandel vertreiben und bewerben.

  • Interdependenz : Über das Internet kann praktisch in Echtzeit global kommuniziert werden. Die lokale und zeitliche Interdependenz der Online-Kommunikation ermöglicht Unternehmen zusätzliche Möglichkeiten zur Erschließung neuer Märkte. Multimediale Daten können in digitalen Kommunikationskanälen ortsungebunden und permanent verfügbar vorgehalten werden, ohne dass dem Unternehmen hierdurch nennenswerte Mehrkosten entstehen. Diese Ubiquität der Kommunikation ist ein zentraler Vorteil digitaler gegenüber herkömmlicher Kommunikation.

Im Folgenden werden die wesentlichen Instrumente der E-Marketing Communications skizziert und jeweils hinsichtlich ihrer vertriebsstrategischen Implikationen diskutiert.

4.3.1 Differenziertes Online-Angebot

Die Website eines Anbieters hat sich in den letzten Jahren und in nahezu allen Branchen, auch außerhalb des E-Business, „zum wichtigsten Kontaktpunkt mit dem Kunden etabliert“ (Wirtz 2013, S. 570). Hier informieren sich Kunden über potenzielle Anbieter einer Problemlösung, deren Marken und die Eigenschaften einer Leistung. Allerdings ist die bloße Existenz einer Homepage zum Hygienefaktor geworden, d. h., eine Präsenz im Internet ist in vielen Bereichen selbstverständlich und per se eben kein Wettbewerbsvorteil mehr. Vor diesem Hintergrund sind die Anforderungen an die Qualität einer Website erheblich gestiegen. Diese muss zielgruppengerecht gestaltet sein, relevante und aktuelle Inhalte bieten, Ansätze zur Individualisierung nutzen und dabei wichtige funktionelle Aspekte (z. B. übersichtliche Struktur und intuitive Navigation) berücksichtigen. Dabei sind stets zwei unterschiedliche Zielgruppen parallel zu berücksichtigen, nämlich einerseits Interessenten, Kunden, Lieferanten oder Bewerber (Stakeholder), andererseits aber ebenso die Leseroboter der Suchmaschinen, welche die Inhalte für die spätere Suche indizieren (Strauß 2013).

Die gestalterischen Möglichkeiten beim Webdesign haben sich mit der zunehmenden Verwendung von Plug-in s (insbesondere Flash-Animation en) deutlich erhöht. Gleichwohl sind einige grundsätzliche Empfehlungen weiterhin zu beachten (Rosen und Purinton 2004; Wirtz 2013):

  • Kohärenz: Einfaches und klares Design, welches nicht überladen (Information-Overload) und leicht zu lesen ist; Benutzung von Kategorien und angepasste Schriftgrößen.

  • Komplexität: Verschiedene Elemente und Textkategorien, d. h. keine triviale Textdarstellung, sondern Unterteilungen in beispielsweise Titel, Untertitel und Textblöcke sowie Verwendung weiterer visueller Elemente, wie etwa Bilder.

  • Lesbarkeit: Einheitliches Menüdesign auf allen Unterseiten, Verwendung einer Sitemap .

Weiterhin ist zu beachten, dass die gesamte Website einer einheitlichen Designlinie (Gewährleistung leichter Wiedererkennung und einfacher Orientierung) sowie der Corporate Identity folgt und mit der übergeordneten Marketingstrategie abgestimmt wurde. Die Struktur des Online-Angebots bestimmt darüber hinaus maßgeblich, wie gut Nutzer auf der Seite navigieren können. Schließlich zeichnet sich gutes Website-Design dadurch aus, dass dem Nutzer eine gute Zugänglichkeit (Accessibility ) zur Website ermöglicht wird. Dabei sind zwei verschiedene Kernaspekte zu beachten: Einerseits sollte der Nutzer unabhängig von körperlichen Einschränkungen das Online-Angebot nutzen können, andererseits sollten die technischen Voraussetzungen für die Darstellung der Website in allen gängigen Browsern (Internet Explorer, Firefox, Opera, Chrome, Safari) und auf allen gängigen Systemen (auch über mobile Endgeräte durch Responsive Design , vgl. Lehning et al. 2015) darstellbar sein (Wirtz 2013).

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Nutzer sich bereits innerhalb von 50 ms ein erstes Bild von einer Website machen und eine qualitative Einschätzung treffen, welche durch das Webdesign signifikant beeinflusst werden kann (Lazar 2006; Lindgaard et al. 2005). 60 % der Käufer verlassen einen Online-Shop trotz gefüllten Warenkorbs noch während des Check-out-Prozesses (Strauß 2013). Daher kommt Kriterien der Usability eine besondere Bedeutung zu, wie etwa in Form von (Garrett 2012; Hassan und Li 2005; Huang und Cappel 2012; Jakobsen 2011):

  • Verständlichkeit: Wie intuitiv und leicht sind Inhalte zu verstehen und können alle Funktionen der Website problemlos genutzt werden? Wie hilfreich ist das Webdesign, um die Ziele der Nutzer zu unterstützen?

  • Effizienz: Wie schnell können Nutzer einmal erlernte Funktionen wiederholt zur Steigerung der Convenience nutzen? Wie einfach ist es für Nutzer, nach einer gewissen Zeit der Inaktivität schnell wieder eine hohe Effizienz in der Anwendung zu erreichen?

  • Grad der Individualisierung: Gibt es individualisierte Inhalte und Anwendungen, die vom Nutzer als persönlich relevant eingestuft werden?

  • Fehlerhäufigkeit: Wie häufig treten Fehler (z. B. technische Probleme wie Browser-Inkompatibilitäten ) auf, wie schwerwiegend sind diese und mit wie viel Aufwand lassen sie sich wieder beheben?

Website-Optimierungstools erlauben vor diesem Hintergrund ein kostenbewusstes (technisches) Testen und Optimieren der Inhalte sowie des Aufbaus von Websites, wobei der Fokus auf der Steigerung der Conversion Rate s über die Website, der Reduktion von Absprungraten, der Erhöhung von Verweildauer und Nutzungsintensität als Messgrößen für die Bindungskraft einer Website oder auch der Erreichung einer stringenten und leicht erlernbaren Nutzerführung liegt (Briggs und Stuart 2006; Fischer 2007; Strauß 2013).

Während unter dem Begriff der „Usability“ alle weitgehend objektivierbaren Faktoren subsumiert werden, schließt die „User Experience “ auch alle psychologischen und subjektiven Faktoren (wie Design) mit ein (Hoffmann 2013). Dabei beschreibt der „Flow “ einer Website nicht nur, wie einfach ein Nutzer gesuchte Informationen auf ihr findet, sondern auch, wie angenehm er diesen Vorgang bis hin zur beabsichtigten Interaktion für sich empfindet (Chaffey 2009). Somit rücken Faktoren wie der Joy of Use (Spaß an der Nutzung) und die Schaffung einer Vertrauensbasis inklusive eines positiven Gefühls bei Nutzung der Anwendung (sogenannter Volition, vgl. Ahrholdt 2010; Broschart 2011; Moser 2012) in den Mittelpunkt der Betrachtung (Strauß 2013).

Wettbewerbsvorteile über das Online-Angebot können grundsätzlich nur dann generiert werden, wenn die Website aus Kundensicht im Vergleich zu Wettbewerbern bei relevanten Angebotsmerkmalen eine bessere Leistung bietet (Strauß 2013). Zentrales Ziel eines Online-Angebotes sollte es vor diesem Hintergrund sein, Mehrwerte für die vorab definierten Zielgruppen anzubieten, die über das leistungsbezogene Angebot hinausgehen und sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette des E-Business realisieren lassen (Krum 2012; Huang und Cappel 2012). Traditionell stehen hierbei begleitende Dienstleistungen (z. B. Kostenkalkulatoren oder Konfiguratoren) und vielfältige Zusatzinformationen über die Leistung des Anbieters (z. B. hochwertiger Content) sowie den Anwendungskontext (z. B. Community-Informationen) im Mittelpunkt. Ein aktuell intensiv diskutiertes Beispiel hierfür ist die sogenannte „Gamification“.

Gamification übertragt Spielmechanismen auf nichtspielerische Kontexte, um die Lust am Spielen für kommerzielle Zwecke zu nutzen (Heinemann 2014; Lehning et al. 2015).

Das wohl bekannteste Beispiel ist das Miles & More-Programm der Lufthansa: Teilnehmer (= Spieler) können hier Meilen (= Punkte) sammeln und gegen Prämien (= Trophäen) und Status (= Level) eintauschen. Das Prinzip funktioniert aber auch bei Sportschuhen, welche die Bewegungen des Käufers aufzeichnen und an eine Applikation übertragen, mit deren Hilfe Läufer virtuell gegeneinander antreten, Laufpunkte sammeln und Auszeichnungen für Fitness erlangen können. Die hierbei verwendeten spielerischen Elemente lassen sich in zwei Bereiche unterteilen (Lehning et al. 2015):

  • Game Mechanics : Zur Spielmechanik gehörende Elemente, wie Punkte, Levels, Ränge oder Trophäen, und ihre Einbettung in einen spielerischen Kontext, der eine erzählerische Bedeutung vermittelt. Die Spielmechanik muss sich dem jeweiligen Kontext glaubwürdig anpassen und den Spielern relevant erscheinen.

  • Game Dynamics : Die Spieldynamik entsteht aus Anreizen, die den Spielverlauf vorantreiben und die Spieler motivieren. Sie nutzt erstrebenswerte Zustände (z. B. Status, Selbstdarstellung, Teamgeist, Spannung) und vermag Handlungen einen höheren Sinn zu verleihen. Hierzu werden psychologische Erkenntnisse und Theorien genutzt, etwa die Selbstbestimmungstheorie der Motivation, die Flow-Theorie oder die Zielsetzungstheorie.

Eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung im Wettbewerb und zur Schaffung von Mehrwerten besteht in Push-Information en. Die Anwendungsmöglichkeiten erstrecken sich hierbei von einfachen Produkt- und Preisinformationen bis zur automatischen Verteilung von Software-Updates. Der Vorteil besteht für den Kunden darin, dass nach der einmaligen Angabe eines Interessenprofils permanent relevante (individuelle) Informationen automatisch übermittelt werden. In der Praxis werden zur Mehrwertgenerierung darüber hinaus auch häufig die Sicherstellung eines kundenfreundlichen Datenschutzes , etwa durch Versprechen der Nicht-Weitergabe von Kundeninformationen an Dritte, Links zu externen (neutralen) Informationsquellen, kurze Ladezeiten , persönliche Kommunikation (z. B. mittels Web-Callcenter n), Lieferservices, vertrauensbildendes Signalling (z. B. Gütesiegel ) und großzügige Rückgaberechte genutzt (Strauß 2013).

Heinemann (2014) definiert für den Online-Handel im Rahmen eines Attraction-Marketings vier „Killer-Differenzierungsfaktoren “: Killer-Preis (Discount , z. B. Shopping-Börsen), Killer-Produkt/-Category (Source , z. B. Liveshops, die wöchentliche Tchibo-World oder der Top-1-Hitlistenartikel), Killer-Service (Convenience , z. B. vereinfachte Kaufvorgänge, etwa „mit 3 Klicks zum Ziel“, Reklamations- und Retourenkulanz, Self-Service-Funktionalitäten) und Killer-Feature (Erlebnis , von der Lösung eines programmatischen Problems bis hin zu einer Beziehungsfindung).

Aus Vertriebssicht lassen sich aus den vielfältigen Differenzierungsmöglichkeiten von Online-Angeboten Hinweise ableiten, wie gerade auch digitale Vertriebskanäle so konfiguriert werden können, dass strategische Wettbewerbsvorteile entstehen. Gleichwohl ist hierfür die Bekanntheit des Angebots notwendige Voraussetzung. Hier müssen Online-Marketing und Suchmaschinenmarketing ansetzen.

4.3.2 Traditionelles Online-Marketing

Traditionelles Online-Marketing ist fokussiert auf die Bewerbung von Leistungen, Marken und/oder Websites, wobei im Vergleich zu traditioneller Werbung zusätzliche neue Werbemittel im Internet in Erscheinung treten. Die populärsten Werbemittel sind E-Mail, Banner-Marketing und New Window Advertising, wozu Pop-ups und Interstitials zählen. Diese werden stetig durch neue Formen der Online-Werbung, wie z. B. Advergaming oder Floating Ads ergänzt (Wirtz 2013).

Die hauptsächlich verwendete, direkt in die Website integrierte Werbeform ist die Bannerwerbung, im Rahmen derer gezielte Werbebotschaften auf unternehmensfremden Seiten platziert werden, um darüber Kunden auf spezifische Angebote zu lenken (Kollmann 2013).

Als Banner werden zumeist rechteckige Online-Werbeformen bezeichnet, die auf einer Website geschaltet und per Hyperlink mit dem Internetangebot des Werbetreibenden verknüpft sind (Wirtz 2013). Einfach ausgedrückt geht es um alle Werbeanzeigen, die auf Websites im Internet gebucht werden können (Strauß 2013).

Oberstes Kriterium für die Wahl dieser Werbeform ist die Frage nach der richtigen Platzierung bzw. dem richtigen Werbepartner, also der Seite, auf der das Banner geschaltet werden soll. Der Bezug zur beworbenen Leistung sollte möglichst klar gegeben sein oder zumindest für die Zielgruppe nachvollziehbar und nicht absurd erscheinen (Kollmann 2013). Als Werbeträger kommen grundsätzlich alle Websites in Frage, die entweder über hohe Besucherfrequenzen von gemischten Zielgruppen (z. B. Suchmaschinen, Web-Kataloge) oder über sehr spezielle Zielgruppen (z. B. DM-Online) verfügen. Insbesondere bei General-Interest- Angeboten stehen einer hohen Anzahl an Besuchern eine große Heterogenität und damit vergleichsweise größere Streuverluste gegenüber. Aus diesem Grund bietet es sich in Abhängigkeit von dem Produkt, der Marke sowie den Werbezielen an, Werbung eher auf Sites mit geringeren Nutzerzahlen, jedoch größerer Homogenität der Nutzer und damit fokussierter Zielgruppenansprache (Special Interest ) bzw. in einem stark themenbezogenen Umfeld (Affinity Group s) zu platzieren (Strauß 2013).

Der Erfolg von Bannerwerbung wird zumeist anhand von quantifizierbaren und unmittelbar messbaren Größen wie Anzahl der Page Impressions (Anzahl der abgerufenen Internetseiten), der Klickraten (Anzahl der ausgeführten Zugriffe auf einen spezifischen Content) und Anzahl der ausgeführten Kaufaktionen gemessen (Rayport und Jaworski 2001). Darüber hinaus sollte die Erfolgsmessung sowohl den Response auf konkrete Angebote und damit die Umsatzgenerierung durch den Online-Verkauf von Leistungen, die Bekanntmachung der Marke (Brand Awareness ) als auch die Generierung vorqualifizierter Zielgruppenadressen umfassen (Strauß 2013). Die Kosten für eine Bannerschaltung hängen meistens von der Click-Through-Rate des Banners (also pro Click auf das Banner) oder dem Tausender-Kontaktpreis (TKP, also unabhängig von Clicks) ab. Ein weiteres Kriterium bei der Bannerwerbung ist die Frage nach der Funktionalität, dem Erscheinungsbild und der Größe des Banners (Kollmann 2013).

Im Laufe der Zeit sind viele verschiedene Bannerformen entstanden, von denen die am häufigsten verwendeten nachfolgend dargestellt werden (Kollmann 2013; Lammenett 2012; vgl. Düweke und Rabsch 2011):

  • Statische Banner: Diese Banner werden zumeist in den gängigen Grafikformaten erstellt und verweisen durch eine Verlinkung auf eine andere Webseite (Hyperlink ). Die Aufmerksamkeit der Zielgruppe wird dabei lediglich durch ein statisches Bild erzeugt, wodurch die Übermittlung der Werbebotschaft erschwert wird.

  • Fake-Banner : Diese Banner werden häufig dazu eingesetzt, die Click-Through-Rate zu erhöhen. Sie werden selten erkennbar als Werbung gekennzeichnet, sondern entweder so in die Seite eingebettet, dass sie vom echten Content nicht zu unterscheiden sind, oder sie täuschen eine Systemmeldung vor, die den User dazu bewegen soll, etwa auf „Abbrechen“ oder „OK“ zu klicken. Diese Felder sind dann jedoch nicht wirklich funktionsfähig, sondern verbinden vielmehr den Nutzer direkt mit der Seite des Werbeträgers.

  • Animierte Banner: Eine neuere Form der Bannerwerbung ist der Einsatz animierter Banner als Weiterführung der statischen Banner. Durch die Animation einer Serie von Einzelbildern in einem vorgegebenen Zeitintervall wird eine Bewegung vermittelt, welche die Aufmerksamkeit der Zielgruppen besser auf das Banner lenken soll. Auch wenn diese Banner zum „Eyecatcher “ der Seite werden und mehr kreatives Potenzial für die Vermittlung der Werbebotschaft bieten, ist hier weiterhin keine echte Interaktivität möglich.

  • Mouse-over-Banner : Diese Banner bewegen sich analog zu den Bewegungen des Mauszeigers. Fährt die Maus über das Banner, so verändert es seine Form, wobei es unterschiedliche Variationen gibt, wie z. B. Confetti-Banner oder Explosion-Banner . Ähnlich rollt der sogenannte Shutter die Werbung – jedoch ohne Auslöser – aus und meist nach einer vordefinierten Zeit wieder ein.

  • Flying Banner : Diese Banner bewegen sich beim Seitenaufbau der Website über den gesamten Bildschirm, um dann an einem vordefinierten Platz zum Stillstand zu kommen. Die Bewegung soll die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich lenken und so die Klickrate erhöhen.

  • Interaktive Banner: Diese Banner ermöglichen es dem Nutzer, Aktionen innerhalb des Banners auszuführen. Durch Schaltflächen, Steuerungsknöpfe, Hyperlinks oder integrierte Pull-down-Menüs lassen sich bestimmte Werbebotschaften ein- und ausblenden (Rollout-Banner, Curtain-Banner bzw. Content Ad).

  • Nanosite-Banner : Diese Banner sind prinzipiell voll funktionsfähige Websites von der Größe eines Banners. Somit ist es möglich, sämtliche Funktionen etwa eines E-Shops in das Banner zu integrieren, damit der Nutzer die eigentliche Webseite gar nicht erst verlassen muss.

  • Transactive-Banner : Diese Banner ermöglichen über die Funktionalitäten eines Nanosite-Banners hinaus sogar einzelne Transaktionen innerhalb des Banners, wie z. B. das Bestellen von Produkten, Katalogen oder Ähnliches.

  • Scratch-Banner : Dieser Banner wurde nach dem Vorbild des klassischen Rubbelloses konzipiert. Dabei wird ein Teil des Banners verdeckt und muss vom Nutzer durch das Bewegen der Maus freigerubbelt werden.

  • Curtain-Banner : Diese Banner sind direkt in den Content einer Webseite integriert (daher auch Content Ad genannt) und werden somit nicht immer unmittelbar als Werbung wahrgenommen. Besteht eine inhaltliche Verbindung mit dem Text, so lassen sich diese Banner redaktionell in den Content einbinden und erhöhen dadurch die Relevanz der Werbebotschaft. Mittels eines Steuerungsknopfes lässt sich das Banner dann nach Belieben ein- und ausrollen.

  • Rollout-Banner : Diese Banner rollen sich über den Content einer Seite aus, sind aber im Gegensatz zum Curtain-Banner im Ad Frame (definierter Werbebereich im Layout einer Seite) verankert und daher meistens deutlich als Werbung erkennbar.

  • Rich-Media-Banner : Bei dieser Art Banner werden Multimedia-Elemente (z. B. HTML , DHTML , Java , Flash , Streaming-Video-Ad s und Shockwave ) in das Banner eingebunden, um so Interaktivität und Attraktivität der Werbeinhalte zu erhöhen. So können z. B. Videos oder Musikstücke in das Banner integriert werden.

  • Streaming-Banner : Dieses Banner ist ein kleiner Werbespot, der z. B. als Bestandteil in einem Bannerformat gezeigt wird. Streaming bezieht sich hierbei auf die eingesetzte Technologie, die es ermöglicht, Film- und Audiodaten ohne längere Downloads abzuspielen.

  • Pop-up-Banner : Dieses Banner kann in der Regel eine beliebige Größe haben und technisch entweder statisch, animiert oder interaktiv sein. Wichtigstes Merkmal ist das Öffnen eines neuen Browserfensters („New Window Ad “). Pop-ups überlappen die Hauptseite mit einem neuen Fenster, das ausschließlich Werbung enthält. Durch die Entwicklung sogenannter Pop-up -Blocker ist diese Werbeform bei Werbetreibenden jedoch trotz hoher Aufmerksamkeitswerte zunehmend unbeliebt.

  • Pop-under-Banner : Diese Banner sind im Prinzip eine modifizierte Form des Pop-up-Banners, d. h., auch hier wird ein neues Browserfenster geöffnet, das sich allerdings nicht vor, sondern hinter die Hauptseite legt (meist unbemerkt) und dann erst beim Schließen der Hauptseite bemerkt wird.

  • Scroll /Sticky Ads : So werden Anzeigen bezeichnet, die sich beim Scrollen nicht mitbewegen und daher immer an derselben Stelle im Sichtfenster „kleben“ bleiben. Die Anzeige ist also praktisch der Hauptseite vorgelagert und kann daher wichtige Content-Bereiche überdecken. Daher werden diese Banner vom User oft als sehr störend empfunden und meistens direkt geschlossen.

  • Interstitials : Hierbei handelt es sich um Kombinationen aus Banner und audiovisuellem Werbespot, die beim Wechseln einer Seite zwischengeschaltet werden, um die Wartezeit beim Aufbau der neuen Seite dazu zu nutzen, die Aufmerksamkeit des Users zu erreichen. Dies hat den Charakter einer „Werbeunterbrechung“, die nach einem vordefinierten Zeitraum wieder verschwindet und den eigentlichen Link freigibt.

Aufgrund ihrer häufigen Verwendung haben Banner als Urform des Online-Marketings in der jüngeren Vergangenheit stark an Wirksamkeit verloren. Ihr Neuigkeitswert erodiert, wie stetig sinkende Klickraten zeigen, und sie erzeugen nicht mehr ausreichend Aufmerksamkeit. Hinzu kommt, dass manche Bannerformen bei vielen Zielgruppen dazu führen, dass sich diese in ihrem Nutzungsverhalten gestört fühlen. Dann besteht das Risiko, der Marke mit dem Einsatz von Bannerwerbung zu schaden (Wirtz 2013). Es ist daher in der Zukunft mit einer dynamischen Weiterentwicklung der bestehenden und weiteren, innovativen Werbeformen zu rechnen. Jedoch ist auch für diese mit im Zeitablauf sinkenden Aufmerksamkeitswerten zu rechnen, da der Neuigkeitseffekt abnimmt und gleichzeitig der übermäßige Gebrauch von Werbeformen zu Ausblendungseffekten führt, sodass die Werbebotschaft zwar auf dem Bildschirm erscheint, aber kognitiv nicht mehr erfasst wird (Strauß 2013).

Zu den alternativen Werbeformen zählen (Strauß 2013):

  • Buttons : Kleine Flächen und Signets zur vorwiegenden Vermarktung bestimmter Marken, die nur den Namen eines Unternehmens oder Produktes enthalten.

  • Dynamites : Überraschend auftauchende Werbebotschaften, die sich, meist durch Sound untermalt, unabhängig von sonstigen Bestandteilen der Website über den Bildschirm bewegen.

  • E-Mail : Der „klassische“ elektronische Brief wird sowohl individuell als auch als Massen-E-Mail insbesondere auch für die Verbreitung von Werbebotschaften eingesetzt. Dabei verursachen E-Mails im Vergleich zu traditionellen postalischen Mailings einen reduzierten Zeit- und Kostenaufwand. Die zuweilen übermäßige oder thematisch nicht auf das Interessenspektrum des Empfängers abgestimmte Verwendung (Spam-E-Mails ) hat die grundsätzliche Haltung der Nutzer zur Werbeform „E-Mail“ in den letzten Jahren erheblich negativ beeinflusst (Wirtz 2013).

  • Layer Ad s: Liegen in einer Ebene über der eigentlichen Content-Seite und werden nicht in einem separaten Fenster geöffnet. Bewegt sich Werbung oberhalb des eigentlichen Contents frei über den Bildschirm, wird auch von Floating Ad s gesprochen. Bei Flash Layer als besonderer Form eines Floating Ads wird über die Content-Site eine Werbeebene mit transparentem Hintergrund gelegt, auf der ein Werbefilm abläuft.

  • Logo-/Comet-Cursor: Der Logo-Cursor , auch als Comet-Cursor bezeichnet, erscheint beim Öffnen einer Site in Form einer kleinen, nicht anklickbaren Werbefläche unterhalb des Pfeilcursors. Er eignet sich für markennahe Botschaften und Logos. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder bei Verlassen der Site neutralisiert sich der Mauszeiger wieder.

  • Microsites : Komplette Sites für eine bestimmte Aufgabe, entweder als Zusatzfenster, im Bannerformat oder als Sites-in-Sites im Rahmen größerer Sites, mit redaktionell aufbereitetem Angebot.

  • Newsletter : Regelmäßige Nachrichtendienste per E-Mail, die Werbebotschaften in Form integrierter Anzeigen enthalten.

  • Rectangles : Werden im (oberen) redaktionellen Umfeld der Website platziert und von mehreren Seiten mit redaktionellen Inhalten umgeben. Damit sind sie direkt im Suchfeld des Nutzers und entsprechen den klassischen Inselanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften.

  • Skyscraper /Electronic Billboard : Hochformatige Werbeanzeigen, die meist am linken und rechten Rand eines redaktionellen Umfeldes platziert sind. Durch ihre Größe werden sie als Pendant zu klassischen Printanzeigen gesehen.

  • Sponsorship : Unterstützung von Initiativen mit großer Publikumswirksamkeit, hierzu wird der Firmenname exponiert platziert.

  • Wallpaper : Umrahmt am oberen rechten Rand den redaktionellen Inhalt. Inhalte und Auftritt können einheitlich eingefärbt und so im Layout einer Unternehmens- oder Produktmarke gestaltet werden.

  • Werbeframes : Größere Werbeflächen am Rande einer Website, die mehrere Buttons enthalten oder abwechselnde Werbespots zeigen.

Zu den subtileren Werbeformen zählen (Strauß 2013):

  • Advergaming setzt sich aus den beiden englischen Begriffen Advertising (Werbung) und Gaming (Spiele) zusammen und bezeichnet die Werbung in oder mit Videospielen. Durch die Verbreitung von Breitbandanschlüssen können immer aufwendigere und grafisch ansprechendere Spiele (heute meist Flash Game s) direkt in die Website des Werbetreibenden integriert oder sehr aufwendige Spiele zum Download angeboten werden. Meist können Nutzer Freunde zu diesen Spielen einladen, um so eine durch den User initiierte Verbreitung des Spiels zu erreichen (Wirtz 2013).

  • Affiliate-Programm e leiten den Besucher einer Website (Affiliate ) mithilfe von Links direkt zum Online-Angebot eines verbundenen Unternehmens (Merchant ). Führt er daraufhin eine Transaktion aus, wird das Partnerunternehmen prozentual an diesem Umsatz beteiligt. Zur Förderung des Absatzes besteht aber auch die Möglichkeit, weitere Partnerschaften oder Allianzen mit anderen Unternehmen einzugehen (Wirtz 2013).

  • Blogs als Instrument, um in einen offenen Dialog mit Konsumenten und Interessenten zu treten bzw. direkt über neue Angebote zu informieren und Rückmeldungen über Leistungen einzuholen.

  • Unter Keyword Advertising wird die Einbindung kontextsensitiver Werbeflächen in Suchmaschinen verstanden, die auf der Ergebnisseite einer Suchanfrage – idealerweise mit direktem inhaltlichen Bezug zur Suchanfrage – platziert werden (z. B. AdWords). Hierzu erwirbt der Werbetreibende Keywords bei einem Suchmaschinenanbieter. Der Preis des Keywords wird durch einen Bieterprozess gebildet und hängt maßgeblich von dessen Popularität ab. Werben mehrere Werbetreibende mit dem gleichen Keyword, wird die Reihenfolge, in welcher die Werbung angezeigt wird, durch die Zahlungsbereitschaft des Werbetreibenden bestimmt. Das Network Keyword Advertising (z. B. AdSense) basiert auf einem Netzwerk an Websites, die gegen Bezahlung bereitgestellte Werbung platzieren. Die Werbung wird dabei dem Kontext der Website, welcher wiederum durch Keywords charakterisiert wird, angepasst (Wirtz 2013).

  • SmartTags , eine von Microsoft propagierte Informationsvariante, die sicherlich zukünftig auch verstärkt für Werbezwecke genutzt werden wird. Zu ausgewählten und auf der Website gesondert gekennzeichneten Begriffen werden korrespondierende Informationen in einem kleinen, temporären Fenster eingeblendet.

  • Die Einbettung von Textlinks zum Anbieterangebot in zumeist redaktionelle Umfelder, sodass diese, ähnlich wie ein Advertorial, vordergründig nicht als Werbung zu erkennen sind.

  • Wasserzeichen , die dezent im Hintergrund des Seiteninhaltes stehen. Als Motiv eigenen sich Logos, entweder großflächig oder in Form vieler kleiner Logos, die aneinandergereiht den Hintergrund ausfüllen.

Aus Vertriebssicht ist traditionelles Online-Marketing aufgrund der Unpersönlichkeit der Kommunikation insgesamt eher als Aufgabe für die Marketing- und weniger für die Vertriebsorganisation zu betrachten. Gleichwohl sollte das Thema aus einer strategischen Perspektive nicht primär hinsichtlich der funktionalen Zuständigkeiten betrachtet werden. Vielmehr sind die folgenden Zusammenhänge in das vertriebsstrategische Kalkül einzubeziehen:

  • Integrierte Kommunikation : Unabhängig vom Werbeträger sind unpersönliche und persönliche Kommunikation synergetisch zu betrachten und daher inhaltlich, formal und zeitlich aufeinander abzustimmen.

  • Ganzheitliche Markenführung : Vertriebsaktivitäten sind der „Moment of Truth “ für das Markenversprechen. Botschaften aus der Online-Kommunikation müssen bei einer starken Marke auch im Vertrieb umgesetzt werden können. Das gilt für die akquisitorische (z. B. erlebbare Umsetzung einer online versprochenen Serviceorientierung im persönlichen Kundenkontakt) ebenso wie für die logistische (z. B. Einhaltung von Lieferversprechen aus der Online-Werbung) Vertriebsdimension.

  • Geschäftsmodellunterstützung : Insbesondere für das Geschäftsmodell „Commerce“ ist die Hinführung der Kunden zu Online-Vertriebskanälen zentraler Erfolgsfaktor. Online-Marketing wird damit in einer ganzheitlichen Betrachtung zu einem zentralen Touchpoint der Customer Journey (Schüller 2013).

  • Informationsaustausch : Im Rahmen eines systematischen Schnittstellenmanagements muss einerseits der Vertrieb stets informiert sein über die Online-Aktivitäten des Marketings. Umgekehrt kann und muss der Vertrieb aber auch sein Kunden- und Marktwissen zur Verfügung stellen, um die Optimierung von Online-Kampagnen zu unterstützen. Eine zentrale Rolle hierbei spielen die kollaborativen Komponenten des CRM-Systems im Unternehmen.

  • Vertriebliche Positionierung: Die Marketingabteilung und insbesondere das Produktmanagement tendieren dazu, den Produktnutzen in den Mittelpunkt jedweder kommunikativer Maßnahmen zu stellen. Wird aber der Vertrieb als Kernkompetenz und damit als strategischer Wettbewerbsvorteil definiert, so muss sich dies auch inhaltlich in der Kommunikation widerspiegeln (z. B. Know-how, Beratung, Services, Distribution).

Insgesamt wird deutlich, dass der strategische Vertrieb ein grundlegendes Verständnis der Möglichkeiten, Instrumente und Mechanismen des traditionellen Online-Marketings entwickeln muss. Denn die vielfältigen Interdependenzen zwischen Vertrieb und Online-Kommunikation erfordern einen integrativen Ansatz und damit die Überwindung herkömmlicher funktionaler Zuständigkeiten. Analoges gilt auch für das Suchmaschinenmarketing, welches nachfolgend diskutiert wird.

4.3.3 Suchmaschinenmarketing

Suchmaschinen sind heute für die überwiegende Zahl der Nutzer der dominante Einstiegspunkt in das Internet, wobei im deutschsprachigen Raum Google.de klarer Marktführer ist (Strauß 2013). Ungefähr die Hälfte aller Online-Kaufentscheidungen beginnen mit der Nutzung von Suchmaschinen (Kollmann 2013). Neben den traditionellen Suchmaschinen werden zunehmend auch Produktsuchmaschinen verwendet, die mithilfe intelligenter Software-Agenten das gesamte Internet vollautomatisch etwa nach Produktname, Preis, Farbe usw. durchkämmen. Diese Angebote sind zumeist kostenlos und finanzieren sich durch die Einblendung von Werbung. Potenziellen Kunden wird es auf diese Art und Weise leicht gemacht, Produkte zu vergleichen. Insbesondere der webbasierte Vergleich von Preisen wird zunehmend genutzt, da sich die Interessenten einerseits vor einem Kauf vergewissern wollen, dass sie nicht zu viel bezahlen, auf der anderen Seite können sie aber auch über direkte Links zum günstigsten Anbieter gelangen. Daher haben sich zwischenzeitlich spezielle Preissuchmaschinen etabliert (z. B. Guenstiger.de), die sich teilweise sogar auf bestimmte Produkte konzentrieren (z. B. Verivox.de auf Tarife oder Stromsparer.de auf Strom).

Es liegt daher nahe, Suchmaschinen für E-Marketing Communications zu nutzen. Das Suchmaschinenmarketing (Search Engine Marketing, SEM) lässt sich in Suchmaschinenwerbung (Search Engine Advertising, SEA ) und Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimization, SEO ) unterteilen.

Unter Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimization, SEO) sind alle Maßnahmen zu subsumieren, die eine bessere Platzierung auf organischen Ergebnisseiten der Suchmaschinen, also im nicht bezahlten Suchindex , unterstützen (Lammenett 2012; Lehning et al. 2015). Ziel der Maßnahmen ist der organische Ergebnisbereich einer Suchmaschine (Organic Search ): Hier werden die Websites gelistet, die aufgrund der durch die Suchmaschine automatisch erfolgten Indizierung einen besonders hohen Zusammenhang zwischen Suchbegriff und dem angebotenem Content aufweisen (Kollmann 2013).

Eine Platzierung im vorderen Bereich des Suchindex (Search Engine Result Pages , SERP) ist aus Marketingsicht erstrebenswert, weil meist nur die obersten Suchtreffer von Nutzern der Suchmaschinen verwendet werden, während weiter unten oder gar auf Folgeseiten aufgelistete Ergebnisse in der Regel weitgehend ignoriert werden (Lehning et al. 2015). Im Mittelpunkt steht also die Planung, Optimierung und Analyse des Contents einer Website im Hinblick auf eine verbesserte Erfassung durch Suchmaschinen (Kollmann 2013).

Suchmaschinen können für organische Ergebnisse binnen kürzester Zeit große Mengen an Dokumenten durchsuchen und diejenigen herausfiltern, die zu einem bestimmten Suchwort passen (Kollmann 2013). Dies wird durch den Einsatz von Robots (Crawler ) ermöglicht, die große Teile des Internets durchsuchen, die auf den Websites enthaltenen Wörter katalogisieren (Index ) und nach verschiedenen Kriterien bewerten sowie den Links auf der Seite folgen (Düweke und Rabsch 2011). Die Relevanz einer Website für eine bestimmte Suchanfrage und damit die Rangfolge der Ergebnisanzeige (Page Rank ) wird etwa bei Google aus mehr als 200 Faktoren errechnet, die als Empfehlungskriterien herangezogen werden. Hierzu werden u. a. Verlinkungen auf andere Websites gezählt, die Qualität der Inhalte bewertet, die Ladegeschwindigkeit einer Website gemessen oder die Click-Through-Rate erfasst. Der Page-Rank-Algorithmus von Google berücksichtigt seit der Einführung von Universal Search 2007 auch Einträge aus anderen Google-Diensten, wie Google News, YouTube oder Google Maps. Seit 2009 bietet Google Suggest die automatische Vervollständigung bei der Eingabe von Suchbegriffen, wodurch Fehler bei der Eingabe von Suchbegriffen vermieden und damit der Suchprozess beschleunigt, gleichzeitig jedoch auch der Long Tail verkürzt wird, d. h., es findet eine Konzentration auf häufig genutzte Suchbegriffe (Keywords) statt. Mit der Einführung von Google+ im Jahr 2011 wird auch das generelle Nutzerverhalten stärker bei der Analyse berücksichtigt (Strauß 2013).

Grundsätzlich ist das Zusammenspiel zwischen kundenrelevanten Keywords und dem darauf abgestimmten Content der zu positionierenden Webseite ebenso von entscheidender Bedeutung wie die externe Verlinkung von anderen Websites auf den entsprechenden Content als Qualitätsmerkmal für die Relevanzerkennung durch Dritte (Kollmann 2013). Im Hinblick auf die anzustrebende Optimierung unterscheidet man entsprechend auch in On-Page-Optimierung (Gestaltung des eigenen Contents) und Off-Page-Optimierung (Links mit Relevanz für Keywords auf den eigenen Content), woraus sich drei Ansatzpunkte für die Suchmaschinenoptimierung ergeben (Düweke und Rabsch 2011; Kollmann 2013):

  • Technische Eignung (On-Page): Zur Vermeidung von technischen Barrieren sollte die Website keine unnötigen Frames , sondern vielmehr eine möglichst einfache, statisch aussehende URL-Struktur und eine nicht zu komplexe Verlinkung innerhalb der Webseiten aufweisen. Auch die Verwendung von vielen Multimedia-Elementen kann die Ladezeit der Website negativ beeinflussen.

  • Inhaltliche Eignung (On-Page): Suchmaschinen arbeiten textorientiert, weswegen Grafiken, Bilder, Flash-Anwendungen oder Videos nur bedingt indiziert werden. Zur Attraktivitätssteigerung der Ergebniseinträge können seitenindividuelle Meta-Tag s verwendet werden, aber auch Sitemaps , ein optimierter Programm-Code , an Keywords ausgerichtete Title Tag s oder auch Link-Texte . Nicht-Text-Formate, wie etwa Bilddateien, können durch Beschreibungen einer Indizierung zugänglich gemacht werden (Strauß 2013). Die Menge an Content auf einer Seite muss unter Vermeidung von „Content-Doubling “ sowohl in die Breite als auch in die Tiefe gehen, damit die Keyword-Hierarchie und die Keyword-Dichte (Keyword Density ) so umfangreich wie möglich sind. Ein zunehmendes Problem in diesem Kontext ist das Index-Spamming , mit dem die Suchergebnisse schon mit einfachen Mitteln manipuliert werden können (Lammenett 2012). Dabei wird das eigene Ranking durch die falsche Charakterisierung von Seiten in den Meta Tags verbessert, z. B. durch die Verwendung von populären Keywords, die aber nichts mit dem tatsächlichen Content der Seite zu tun haben.

  • Externe Validierung (Off-Page): Aus der Sicht einer Suchmaschine hat eine Website, auf die häufiger verlinkt wird, eine höhere Qualität als eine eher selten empfohlene Website (Link-Popularität ). Für das Ranking ist es daher vorteilhaft, viele Links (Backlinks ) auf die eigene Website zu erhalten (Erlhofer 2011). Aber auch die Verlinkung des eigenen Contents mit Page-Rank-starken Websites kann das eigene Ergebnis bei einer Suchanfrage erhöhen. Zusätzlich kann die Link-Popularität über die Teilnahme an Diskussionsforen, Blogs, Social Bookmark s, Veröffentlichungen, Affiliate-Programmen, Partner-Links oder auch Pressemeldungen gesteigert werden (Strauß 2013). In letzter Zeit wird durch sogenanntes Link-Baiting versucht, die Verlinkung durch andere Websites zu steigern, indem interessante, herausstechende Inhalte eingestellt werden (Enge et al. 2012).

Die Kontrolle der eingesetzten Maßnahmen kann sowohl für die On-Page als auch die Off-Page-Optimierung über Logfile-Analyse n erfolgen, die neben Besucherzahlen auch die Suchbegriffe auswerten, durch welche die Besucher auf die Website geführt wurden. In ähnlicher Form stehen Tools zur Überprüfung der Link-Popularität , wie Backlink-Spider oder Linkdiagnosis, zur Verfügung. Andere Anbieter, wie etwa Searchmetrics, bieten umfassende Tools für die gesamte Suchmaschinenoptimierung und auch das Keyword-Advertising (Strauß 2013).

Suchmaschinenwerbung (Search Engine Advertising, SEA ) soll durch kostenpflichtige Online-Werbung die Sichtbarkeit eines Werbetreibenden im nicht-organischen Bereich einer Suchmaschine erhöhen (Paid Search ): In diesem Ergebnisbereich einer Suchanfrage werden Websites gelistet, die dafür bezahlt haben, bei bestimmten Suchbegriffen in diesen Bereichen bevorzugt angezeigt zu werden (Keyword Advertising , Kollmann 2013).

Keyword Advertising beruht darauf, dass Nutzer während ihrer Suche inhaltlich relevante, d. h. zu den verwendeten Suchbegriffen passende, Anzeigen im hierfür durch Werbetreibende buchbaren nicht-organischen Bereich der Suchergebnisseiten eingeblendet bekommen. Diese Suchwortanzeigen unterscheiden sich vom organischen Suchergebnis durch eine Kennzeichnung als Anzeige und ihre Platzierung neben oder über dem Index. Sie bestehen meist aus einer kurzen Titelzeile, einem zweizeiligen Text und einem Hyperlink. Gelegentlich werden sie durch Bewertungen, Erfahrungsberichte oder Abbildungen aufgewertet. Klickt der Nutzer auf die Anzeige, so wird er direkt auf die Website des Werbetreibenden oder auf eine thematisch passende Landing Page weitergeleitet (Lehning et al. 2015). Der Werbetreibende muss vor diesem Hintergrund zunächst passende Suchbegriffe bzw. Keywords identifizieren, die je nach Suchhäufigkeit und Relevanz zur Erstellung einer „Keyword-Hierarchie “ genutzt werden. Im Anschluss können bei einer Suchmaschine die vielversprechendsten Suchbegriffe gebucht werden, sodass bei deren Eingabe die eigene Anzeige als „Werbung“ auf der ersten Ergebnisseite erscheint (Kollmann 2013). So erfolgen etwa bei Google die Kampagneneinstellungen über AdWords, während AdSense die kontextbezogene Aussteuerung der Auslieferung der Anzeigen übernimmt. Der Hauptvorteil gegenüber der Bannerwerbung ist die Anzeige der Werbung im Kontext mit einer spezifischen Suchanfrage, weshalb im Durchschnitt höhere Klickraten generiert werden (Strauß 2013).

Das zugrunde liegende Bezahlmodell ist zumeist eine Auktion , bei der Gebote auf verschiedene Keywords abgegeben werden. Neben dem Gebot und einer eventuellen Aktivierungsgebühr ist auch die Qualität der Zielseite wichtig, die sich bei Google als sogenannter Qualitätsfaktor (Quality Score , QS) ausdrückt. Ob und an welcher Stelle die Einblendung einer Suchwortanzeige erfolgt, hängt also von der Kombination aus Qualitätsfaktor und Gebot ab. Kosten entstehen für den Werbetreibenden erst dann, wenn tatsächlich auf die Suchwortanzeige geklickt wird. Da auf den Klick des Nutzers geboten wird, spricht man von Cost per Click (CPC) bzw. Pay per Click (PPC) als „Währung“ der Suchmaschinenwerbung (Lehning et al. 2015). Allerdings finden sich in der Praxis auch Cost-per-Impression (CPI)-Abrechnungsmodi (Strauß 2013). Je öfter die Anzeige angeklickt wird, desto mehr muss der Werbetreibende für die Schaltung der Anzeige zahlen. Zur Vermeidung unkontrollierter Ausgaben wird in der Regel ein maximales Budget für die Anzeige veranschlagt, das z. B. innerhalb eines Monats nicht überschritten werden darf. So wird der potenzielle Schaden durch Click Fraud kalkulierbar gehalten, wobei Wettbewerber versuchen, durch Anklicken der Anzeigen die Kosten für die Anzeigenschaltung in die Höhe zu treiben und der Konkurrenz damit zu schaden (Kollmann 2013).

Zu den Vorteilen des Keyword Advertising zählen u. a. der günstige Preis im Vergleich zu klassischen Medien, die Reichweite der Suchmaschinen, die Schnelligkeit der Buchung von Werbeplätzen, die Flexibilität im Hinblick auf die Anpassung der Keywords sowie die Messbarkeit durch die Registrierung von Klicks auf das Werbemittel. So kann durch keyword- bzw. anzeigenspezifische Tracking Tool s (Webanalytics-Software) der Werbeerfolg kontinuierlich optimiert werden. Über Conversion-Tracking -Werkzeuge, wie etwa Google Analytics, kann leicht nachverfolgt werden, welches Keyword zu welcher Anzahl an Interessenten (Klicks) bzw. Umsatz geführt hat. Zu den Nachteilen zählen insbesondere der Aufwand der Auswahl der passenden Keywords und die notwendige Kenntnis über die genauen Suchmechanismen bei der ausgewählten Zielgruppe (Düweke und Rabsch 2011; Kollmann 2013).

Im Vergleich zwischen SEA und SEO stellt sich Letzteres, insbesondere aufgrund der eingeschränkten Beeinflussbarkeit der Suchergebnisse, oftmals als deutlich komplexer und schwieriger dar (Strauß 2013):

  • Unterschiedliche ökonomische Steuerungsmodelle: Bei SEA verursacht jeder Klick direkt Kosten, während SEO keine klickbezogenen Kosten generiert.

  • Zeitlicher Versatz: SEO führt häufig erst mit einem zeitlichen Versatz von mehreren Monaten zu sichtbaren Ergebnissen, während bei SEA über Tracking Tools bereits nach Stunden erste Ergebnisse vorliegen.

  • Traditionelles Werbungsmodell: SEA entspricht eher dem traditionellen Modell der Werbestreuplanung, wobei an Stelle des Tausender-Kontaktpreises (TKP) Sichtkontakte (Ad Impressions ) treten. SEO dagegen erfordert neuartige Kompetenzen und Kenntnisse in den Bereichen Semantik, Programmierung oder auch Psychologie.

  • Nicht-linearer Zusammenhang: Aufgrund der Verwendung geheimer und permanent veränderter Algorithmen besteht kein direkt nachvollziehbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen eingesetzten Maßnahmen und Ergebnissen in Form eines bestimmten Rankings.

  • Frequenz: SEO stellt sich in den Unternehmen aufgrund der Komplexität als permanenter Prozess dar, während SEA auch sporadisch und punktuell genutzt werden kann.

Aus Vertriebssicht ist auch beim Thema Suchmaschinenmarketing festzuhalten, dass die operative Zuständigkeit in der Praxis zumeist in der Marketingabteilung oder bei spezialisierten Dienstleistern zu suchen ist. Gleichwohl bestehen wiederum Interdependenzen, die im Rahmen vertriebsstrategischer Überlegungen Beachtung verdienen. So sind Vertriebsaktivitäten immer auch Input für die Suchmaschinen. Ob Mitarbeiter im Innendienst ihr Know-how in Blogs verbreiten, der Außendienst in Business-Netzwerken gelobt oder der E-Shop in Preisvergleichsportalen präsent ist: Alle webgestützten Vertriebsaktivitäten beeinflussen die Präsenz der Anbietermarke in Suchmaschinen und sollten daher in eine umfassende interaktive Markenführung eingebunden werden. Umgekehrt liefern Suchmaschinen vertriebsrelevanten Output, nämlich insbesondere Leads, aber auch Ansatzpunkte zum Beziehungsmanagement mit bestehenden Kunden. Daher sollte der Vertrieb das Suchmaschinenmarketing nicht einfach „outsourcen“, sondern vielmehr als potenziellen Wettbewerbsvorteil betrachten.

Während im Suchmaschinenmarketing textliche Informationen im Mittelpunkt stehen, sind multimediale Angebote ein stark wachsender Bereich im Internet, der neben Unterhaltungsaspekten gleichzeitig auch die Qualität virtueller Kontakte zwischen Anbieter und Interessenten bzw. Kunden deutlich zu steigern vermag. Hierauf soll nachfolgend näher eingegangen werden.

4.3.4 Video - und Multimedia-Marketing

Für virtuelle Kontakte zwischen Marktteilnehmern steht eine Reihe von Medienformen (Bild, Video, Ton, Text usw.) zur Verfügung, die durch neue Technologien zu einem Kommunikationsmittel verbunden werden können.

Multimedia ist aus den bei den lateinischen Begriffen Multi ( = mehrere) und Media (Plural von Medium, d. h. Kommunikationsmittel) entstanden und bezeichnet ein aus mehreren Medienformen bestehendes Kommunikationsmittel, wobei in kommerzieller Hinsicht insbesondere visuelle und auditive Medienverknüpfung zum Zweck der Informationsübermittlung im Mittelpunkt steht (Kollmann 2013).

Informationen werden durch die simultane Nutzung von komplementären, animations-, video-, text- und audioorientierten Medienbausteinen effektiver vermittelt, sodass auch komplexe Inhalte relativ leicht und möglicherweise sogar unterhaltsam vermittelt werden können. Hierdurch ergibt sich gegenüber traditionellen Medien eine bessere Kommunikationsleistung beim Kontakt mit den Zielgruppen des Unternehmens. Der Informationsaustausch wird auf eine verständliche und leicht zugängliche Ebene transformiert. Die Inhalte der digitalen Informationen werden durch die multimediale Darstellung besser wahrnehmbar und damit leichter nutzbar. Der Kommunikationsprozess wird effektiver, da die Attraktivität des Informationsaustausches steigt und die virtuelle Beziehung zwischen Anbieter und Zielgruppen dadurch intensiviert wird (Kollmann 2013).

Gefördert durch zunehmende Bandbreiten des Internets verlagert sich der Fokus der Multimedia-Kommunikation schrittweise von den vormals starren Text(-Blogs) und Bild- bzw. Fotobeiträgen in Richtung Bewegtbild bzw. Video. Die Bewegtbildkommunikation kombiniert die jahrzehntelangen Erfahrungen aus dem Fernsehen mit den Vorteilen des Internets, d. h., sie erreicht Interaktivität, unmittelbare Messbarkeit und geringere Mediakosten. Gleichzeitig führt der Einsatz von Videos im Rahmen von E-Marketing Communications zu verbesserter Werbeerinnerung, höherer Markenbekanntheit und zu positiveren Leistungseinschätzungen mit damit einhergehender erhöhter Kaufbereitschaft. Zusammengefasst: „Bewegte Bilder werden zum wichtigsten Grundstoff im digitalen Zeitalter: In Social Media suchen Menschen nicht nur Informationen, sondern vor allem das, was sie aus dem Fernsehen kennen, nämlich Entertainment und große Emotionen in bewegten und bewegenden Bildern. Daraus entstehen neue Möglichkeiten der Kundenansprache“ (Strauß 2013, S. 258).

Im Hinblick auf die verschiedenen Nutzungsformen kann zwischen den folgenden (Teil-)Formaten unterschieden werden (Düweke und Rabsch 2011; Kollmann 2013):

  • Produktvideo (PV): Im Mittelpunkt stehen das Produkt und seine übergeordnete Funktionsweise. Ausgangsbasis kann ein herkömmlicher TV-Spot sein, der auch im Internet verwendet wird, oder aber eine Eigenproduktion, die mehr die konkrete Handhabung in den Mittelpunkt rückt.

  • PV-Screencasts : In dieser besonderen Form eines Produktvideos geht es um die Darstellung von konkreten Gebrauchsanweisungen, Abläufen und Anwendungen. Ein typisches Beispiel ist die Erläuterung der Software-Installation.

  • PV-Webisodes : Hier werden die einzelnen Abschnitte eines Produktvideos in Teil- oder Einzelfolgen zerlegt, die einen Gesamtzusammenhang repräsentieren. Durch die Unterbrechungen besteht die Möglichkeit, interaktive Handlungen seitens der Nutzer zuzulassen.

  • Unternehmensvideo (UV): Hierbei handelt es sich um Imagefilme, die ein Unternehmen auf der emotionalen Ebene präsentieren und den Gesamtumfang der angebotenen Leistungen widerspiegeln.

  • UV-Newschannel : In diesem meist regelmäßigen Format werden die Nachrichten zu einem Unternehmen und/oder seiner Branche in einem Video präsentiert. Dabei kommen in der Regel reale, aber zunehmend auch virtuelle Moderatoren (sogenannte Avatare) zum Einsatz, die durch die Sendung führen.

  • PV/UV-Explainer : Diese Videoform erklärt oftmals in animierter Form das grundsätzliche Geschäftsmodell, welches hinter einem Leistungsangebot steht. Damit wird dem Interessenten in der Regel in wenigen Minuten ein komplexer Zusammenhang mit Fokus auf das Wesentliche erklärt, worum es bei dem Angebot überhaupt geht.

Neben gesponsorten Videos (Promoted Video s) sehen Videoportale, wie etwa YouTube, auch die Schaltung von In-Stream-Ad s vor, wobei sich drei grundlegende Formate unterscheiden lassen (Strauß 2013):

  • Pre-Roll-Ad s: Vor dem vom Nutzer gewünschten Video wird Werbung geschaltet, wobei der Zuschauer nicht die Möglichkeit hat, die Einblendung zu überspringen.

  • Mid-Roll-Ad s: Die Einblendung von Werbung erfolgt während des Videoclips.

  • Post-Roll-Ad s: Die Einblendung von Werbung erfolgt nach dem Videoclip.

Bei allen Formaten ist in den letzten Jahren eine deutliche Steigerung hinsichtlich Qualität und Professionalität zu beobachten. Qualitätsstandards aus der Werbeindustrie kommen zunehmend auch online zur Anwendung. Gleichzeitig werden aber auch gelegentlich bewusst Filme produziert, die ausschließlich einer Idee folgen und freien Gestaltungsspielraum zulassen. Insgesamt lassen sich zu Online-Videos die folgenden gemeinsamen Merkmale und Erfolgskriterien identifizieren (Berger und Milkman 2012; Düweke und Rabsch 2011; Jarboe 2011; Strauß 2013):

  • Authentizität: „Objektive Echtheit“ eines der filmischen Abbildung zugrunde liegenden Ereignisses als Voraussetzung für Emotionen auf Seiten der Rezipienten und für Zustimmung zum Gesehenen.

  • Entertainment: Vermittlung der Werbebotschaft auf unterhaltende und überraschende Weise, um beim Rezipienten eine positive Reaktion hervorzurufen. Lineare Sachargumentationen werden zunehmend durch „Storytelling “ ersetzt. Die Kommunikation muss in episodenartigen Versatzstücken unterhalten und auf einen erzählerischen Höhepunkt (Climax) hinarbeiten (Smith 2012).

  • Emotionalität: Gefühle als subjektiv wahrgenommene, innere Erregungszustände werden bei den Rezipienten gezielt hervorgerufen, um das Gesehene mit einem emotionalen Erlebniswert zu verknüpfen (emotionale Involvierung).

  • Visualisierung: Herstellung eines Bezugs zu inneren Bildern und so zu einzelnen Wahrnehmungen, die durch längere Betrachtung verfeinert werden.

  • Informative Relevanz: Das Video muss sich mit den jeweiligen Faktoren beschäftigen, die das Informationsverhalten der Rezipienten prägen.

  • Aktualität: Zeitnahe Berichterstattung und Weitergabe von Informationen und Nachrichten.

  • Überraschung: Unvorhergesehene Situationen, Gefühle oder Begegnungen überraschen und aktivieren, indem sie Verwirrung und/oder eine heftige Emotion auslösen.

Online-Videos werden auf der Basis dieser Erfolgslogik zunehmend einem innovativen „Advertainment “ (also der Verbindung von Werbung und Entertainment) näherkommen. Der große Vorteil eines hohen Unterhaltungswertes besteht für ein kommerzielles Video darin, dass der Zuschauer die Werbung direkt und bewusst nachfragt („Want-to-see-again “). Gleichzeitig kann er im Internet für die weitere Verbreitung des Spots sorgen („virale Effekte “) und damit eine Multiplikatorfunktion übernehmen (Strauß 2013). Ein viraler Effekt ergibt sich entweder aus dem Unterhaltungswert bzw. der Kreativität oder aber aus der inhaltlichen Relevanz für die Zielgruppe (Kreutzer 2012). Problematisch aus Sicht der Markenführung ist allerdings eine emotionale Überfrachtung eines Videos ohne Rücksicht auf die Markenstrategie. Im Vordergrund steht nicht die Selbstverwirklichung von Agenturleuten und Filmemachern, sondern die Entwicklung von Themen, Erlebniswelten und Ideen, mit denen das Unternehmen die Rezipienten erreichen und emotional bewegen möchte. Ziel der Bewegtbildkommunikation muss die qualitative Differenzierung des Anbieters sein, und zwar „nicht nur über eine blanke Erhöhung der eingesetzten Maßnahmen, sondern durch das Bestreben, qualitative und emotionale ‚Fußabdrücke‘ beim Nachfrager zu hinterlassen“ (Strauß 2013, S. 265).

Für einen effektiven Einsatz von digitaler Bewegtbildkommunikation lassen sich drei grundlegende Determinanten identifizieren (Bscheid et al. 2009; Jarboe 2011; Strauß 2013):

  • Brand-Fit : Die Produktionsqualität eines Online-Videos muss zur jeweiligen Marke passen – denn ein amateurhafter oder billiger Eindruck im Bereich Multimedia überträgt sich als angenommene Qualität andernfalls auf die Einschätzung der Anbietermarke.

  • Branded Entertainment : Markensympathie, Markenassoziation und Kaufbereitschaft lassen sich in Weiterentwicklung des Product Placement erhöhen, wenn der gesamte Handlungsinhalt der Multimediakommunikation konsequent mit einer Markenbotschaft verknüpft wird, sodass es zu einer Verschmelzung der Marke und des Geschehens kommt.

  • Seeding : Die strategische Platzierung von Videos auf hochfrequentierten und glaubwürdigen Online-Plattformen mit größtmöglichem Verbreitungspotenzial zielt auf das Erreichen einer kritischen Masse an Rezipienten ab, um eine virale Verbreitung der Werbebotschaft wahrscheinlicher zu machen (Grabs und Bannour 2012; Liu-Thompkins 2012).

Aus Vertriebssicht wird Video- und Multimedia-Marketing in der Praxis zumeist mit bunten (Bewegt-)Bildern gleichgesetzt, für die das Marketing zuständig sei. Spätestens seitdem Volvo Trucks mit dem B2B-Viralhit „Epic Split“ den Cannes Lion gewonnen hat, wird aktiv über das Potenzial von Bewegtbildern als Vertriebsunterstützung diskutiert. Auch wenn derzeit noch häufig das Produkt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Filmemacher zu stehen scheint, lässt sich auch die Vertriebskompetenz durch Videos stärker als bisher visualisieren und verbreiten. So können beispielsweise Interviews mit zufriedenen Kunden neue Wege im Empfehlungsmarketing zeigen. Darüber hinaus eignen sich Videos auch für vertriebliche Demonstrations- und Schulungszwecke.

Wesentlicher Treiber der zunehmenden Multimedialisierung im Web sind soziale Medien, die nachfolgend diskutiert werden sollen.

4.3.5 Social-Media-Marketing

Soziale Netzwerke gehören sicherlich zu den am intensivsten diskutierten neuen Technologien mit Vertriebsrelevanz.

Social Media bezeichnet digitale Applikationen und Plattformen im Internet („Social Software “), die es ihren Nutzern ermöglichen, multimediale Inhalte aktiv und kooperativ zu gestalten sowie sich untereinander auszutauschen und permanent zu vernetzen (Kaplan und Haenlein 2010). Social-Media-Marketing verfolgt vor diesem Hintergrund die Zielsetzung der Anbahnung sowie Unterstützung, Abwicklung und Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Transaktionspartnern mittels sozialer Netzwerke und Social-Media-Instrumenten (Wirtz 2013).

Die Begriffe Social Media und Web 2.0 werden weitgehend synonym verwendet. Die meisten Definitionen vereinen Charakteristika, wie z. B. Interaction, Dialog, Vernetzung sowie User Generated Content (UGC). Darüber hinaus stehen in beiden Fällen der Austausch von Informationen, Erfahrungen und Sichtweisen bzw. die Kommunikation in Online-Gemeinschaften im Mittelpunkt des Interesses. Schließlich liegen beiden Formen zumeist das Social Networking sowie die Option einer Personalisierung der Angebote zugrunde. Zusammengefasst lassen sich die Charakteristika und damit einhergehend die Chancen und Möglichkeiten von Social Media anhand der vier Dimensionen des „Web 2.0 – Four Factors Model darstellen (Wirtz 2013):

  • Social Networking : Hierunter ist die soziale Vernetzung von Gruppen und Individuen über Internetplattformen und -applikationen zu verstehen. Die Komponente „Social Trust “ bezeichnet das gegenseitige Vertrauen der Nutzer eines Netzwerks hinsichtlich Empfehlungen und Meinungsäußerungen anderer Nutzer. „Social Identity “ ermöglicht es, sich einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig zu fühlen. Die Komponente „Virtual Word of Mouth “ adressiert die hohe Bedeutung von Nutzerempfehlungen für andere Nutzer. Unter „Increasing Consumer Power “ versteht man den Anstieg der Konsumentenmacht aufgrund einer intensiven Informationsweitergabe und Transparenz zwischen den Nutzern.

  • Interaction Orientation : Hierunter lassen sich Interaktionen zwischen Unternehmen und Zielgruppen subsumieren. Im Rahmen der „Customer Centricity “ wird der Kunde als der stets im Mittelpunkt aller Aktivitäten stehende Ausgangspunkt der Unternehmenstätigkeit betrachtet. „Interaction Configuration “ bezeichnet die Struktur der Interaktionsprozesse und die Art der ausgetauschten Informationen. „Customer Response Capability “ bildet die kundenbezogene Dialogfähigkeit sowie die Fähigkeit ab, ein individuelles Kundenfeedback anzubieten. Als „Cooperative Value Generation “ kann die Fähigkeit von Unternehmen bezeichnet werden, in Kooperation mit Kunden Geschäftsbeziehungen wertschöpfend zu gestalten. Social-Media-Marketing erfüllt vor allem im Bereich der Marktforschung und der darauf aufbauenden internen Entscheidungsfindung, Implementierung und Kontrolle in Bezug auf neue Leistungen eine wichtige Funktion. Eine Partizipation der Kunden an internen Unternehmensprozessen kann dazu beitragen, das Floprisiko zu reduzieren.

  • Customization/Personalization: Hierunter ist die segmentspezifische Ausrichtung und Anpassung der Marktangebote an die Bedürfnisse der Nutzer bzw. Nutzergruppen zu verstehen. Die Komponente „Personal Customization “ bietet Nutzern die Möglichkeit, Modifikationen bzw. Rekonfigurationen der Anwendungen entsprechend eigenen Vorlieben und Bedürfnisse vorzunehmen. „Group Customization “ ermöglicht darüber hinaus eine gruppenspezifische Gestaltung von Angeboten. „Social Customization “ richtet sich dagegen primär an soziale Schichten.

  • User Added Value : Hierunter wird die Wertschöpfung durch und von Nutzern subsumiert. Die Komponente „User Generated Content “ umfasst von Nutzern publizierte Inhalte, z. B. Audio- und Video-Dateien oder auch ganze Websites oder Profile. Im Rahmen von „User Generated Creativity “ veröffentlicht der Nutzer innovative Ideen, welche die zukünftige Unternehmensentwicklung beeinflussen können. Der Kunde wird im Kontext der Komponente „User Generated Innovation “ erfolgskritischer Bestandteil der Prozess- und Leistungsinnovationen. Die Gewinnung von neuen Nutzern, z. B. durch Weiterempfehlungen, und die dadurch entstehende Wertschöpfung fasst die Komponente „User Generated Revenue /Contacts“ zusammen.

Social Media bieten Unternehmen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um mit Interessenten, Kunden und anderen Anspruchsgruppen zu kommunizieren (Wirtz 2013):

  • Social Networking : Soziale Netzwerke, wie etwa Facebook.de oder Xing.de, nehmen im modernen Marketing eine bedeutende Rolle ein und dominieren bisweilen die Diskussion um Social Media. Soziale Netzwerke können im Social-Media-Marketing zur Präsentation von Leistungsangeboten verwendet werden und bieten Unternehmen darüber hinaus die Möglichkeit, durch einen adäquaten Auftritt das Interesse einer großen Nutzergemeinde zu wecken.

  • Weblogs (Kurzform: Blogs ) und RSS-Feed s: Blogs, wie etwa Blogger.com, stellen eine Art Online-Tagebuch von Unternehmen oder Privatpersonen dar. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Website mit regelmäßigen Aktualisierungen, deren Inhalte chronologisch geordnet und in absteigender Reihenfolge angezeigt werden. Alle Inhalte können unmittelbar durch die Leser kommentiert werden und sind mit anderen Webseiten durch Links verknüpft. Neue Inhalte oder Änderungen werden häufig durch Web-Feeds auf der Basis von RSS (Really Simple Syndication) veröffentlicht, meist in Form spezieller Service-Websites (RSS-Channels), die mit Nachrichtentickern vergleichbar sind. Werden komplette Inhalte oder Daten im RSS-Format bereitgestellt, so spricht man von RSS-Feeds, die von Nutzern abonniert werden können.

  • File Exchange und Sharing : Hierunter versteht man Plattformen, wie etwa Youtube.com oder Flickr.com, welche die in der Regel von ihren Nutzern hochgeladenen multimedialen Inhalte verbreiten, zumeist Bilder oder Videos. Viele Nutzer solcher Angebote besitzen keine Mitgliedschaft, sondern rezipieren die Inhalte passiv. Dennoch bieten die Dienste ihren Nutzern auch soziale Funktionen. So können etwa auf YouTube von Unternehmen publizierte Videos von Nutzern der Plattform angesehen, bewertet und kommentiert werden. Die Kommentarfunktion ermöglicht darüber hinaus den Dialog zwischen Unternehmen und Rezipienten. Unternehmen mit einem eigenen Kanal auf YouTube können ihren Abonnenten regelmäßig Informationen zu den Leistungsangeboten und direkten Zugriff auf weitere multimediale Angebote bieten, z. B. Informationen zu Rabattaktionen und Neuprodukterscheinungen.

  • Tagging : Hierbei handelt es sich um Systeme, wie etwa Del.icio.us, welche durch einfache Benutzerschnittstellen und unter starker Beteiligung der Nutzer die Verwaltung, Speicherung und den Austausch elektronischer Lesezeichen ermöglichen. Der große Vorteil für Nutzer des Social Bookmarking liegt darin, Informationen rechner- und browserunabhängig zentral zu organisieren. Unternehmen profitieren vor allem durch ein besseres Suchmaschinen-Ranking.

  • Wikis : Wikis, wie etwa Wikipedia.de, ermöglichen das Veröffentlichen und Teilen von Wissen. Charakteristisch ist die Möglichkeit der Anwender, neue Beiträge selbst zu verfassen oder bestehende Themen zu modifizieren bzw. zu erweitern. Wikis können nützlich sein, wenn sie etwa die Positionierung eines Unternehmens als „Thought Leader“ unterstützen. Der Nachteil besteht in einem hohen zeitlichen Aufwand, denn Anwenderinformationen müssen überprüft und eventuell auftretender Spam gefiltert werden. Außerdem bedarf es zur Gewährleistung dauerhafter Attraktivität für Anwender einer ansprechenden Gestaltung und einer durchweg hohen Qualität der Wikis.

  • Randformen: Ergänzt werden die genannten Anwendungen durch Mash-up s, Podcasts und Bewertungsportale (z. B. Ciao.de), die allerdings noch eher wenig genutzt werden und daher für Social-Media-Marketing nur wenig Potenzial aufweisen.

Die folgenden Instrumente, Formen und Arten des Social-Media-Marketings lassen sich identifizieren (Düweke und Rabsch 2011; Kollmann 2013; Kreutzer 2012):

  • Social-Media-Button s: Hierbei werden auf der eigenen Website Icons mit den Symbolen der jeweiligen sozialen Netzwerke eingebaut, mit deren Hilfe der zugehörige Content vom Besucher der Website direkt in die sozialen Netzwerke übertragen werden kann. Aufgrund der Weitergabe durch eine unternehmensexterne Person, die als persönliche Referenz im sozialen Netzwerk auftaucht, wird dort eine höhere Glaubwürdigkeit erzeugt als über standardisierte Werbemaßnahmen des Unternehmens selbst.

  • Social-Media-Profil e: Hierbei bauen Unternehmen eigene Präsenzen in den sozialen Netzwerken auf, über die sie sich mit Kunden und interessierten Marktteilnehmern vernetzen. Dies kann dann über eine Fanpage bei Facebook ebenso umgesetzt werden wie mit einem Video-Channel bei YouTube oder einem Twitter-Kanal im Rahmen des Microblogging . Damit verbunden ist das Kalkül, dass die mit dem Profil verknüpften Nutzer die Inhalte direkt und unmittelbar innerhalb ihres eigenen sozialen Netzwerkes weitergeben und somit weitere (organische) Reichweite für das Unternehmen erzeugen. Dazu werden meist systemimmanente Funktionen, wie der „Like-Button “ oder die „Teilen-Funktion“ bei Facebook, genutzt.

  • Social-Media-Ad s: Viele Nutzer geben ihre Vorlieben und Interessen in sozialen Netzwerken preis. Dies eröffnet Möglichkeiten zum interaktiven One-to-One-Marketing durch personalisierte Werbung. Hierbei werden spezielle Werbeanzeigen oder speziell zugeschnittene Kampagnen in sozialen Netzwerken gebucht bzw. platziert, die etwa bei Facebook direkt neben der sogenannten Timeline oder bei YouTube als „Einspieler“ vor dem eigentlichen Video platziert werden. Die Ads rufen dabei die Mitglieder auf, sich mit dem dahinterstehenden Profil zu vernetzen und damit den Newsstream zu abonnieren oder direkt eine Webseite aufzurufen.

  • Social-Media-Content : Hierbei handelt es sich um die sogenannten „Postings “ eines Unternehmens innerhalb seines Social-Media-Profils (analog sogenannte Tweets bei Twitter oder Video-Uploads bei YouTube). Diese Inhalte werden entweder durch die Überspielung von News mithilfe von RSS-Feeds von Websites oder Blogs automatisch erzeugt oder aber eigenständig eingestellt. Die Inhalte können sich dabei auf textliche Informationen, Links oder auch Bilder, Videos oder spezielle Tools beziehen. Entscheidend ist die Aufbereitung der Inhalte: Je persönlicher und eigenständiger diese sind, umso eher werden sie von den angeschlossenen Nutzern weitergegeben oder kommentiert.

  • Social-Media-Interaktion : Hierbei handelt es sich um den Dialog mit den angeschlossenen Nutzern über den oder mithilfe des eingestellten Contents, z. B. über die Kommentarfunktion. Dabei kann ein Unternehmensvertreter als „Admin“ der Seite in den persönlichen Kontakt mit dem kommentierenden Nutzer treten und entweder für alle sichtbar oder aber per geschlossener „Private Message “ antworten.

  • Social-Media-Monitoring : Der Erfolg und die Reichweite der eigenen sozialen Aktivitäten müssen im Sinne der Erfolgskontrolle gemessen werden. Dazu werden spezifische KPIs (Key Performance Indicator s) definiert, die quantitativer (z. B. Anzahl der Facebook-Fans oder Twitter-Follower sowie Anzahl von Likes/Shares bzw. Retweets /@-Erwähnungen) oder auch qualitativer Natur (z. B. Inhalt von positiven Kommentaren) sein können.

Folgende Medienkategorien haben sich im Social-Media-Marketing zwischenzeitlich herauskristallisiert (Strauß 2013):

  • Owned Media : Diese Kategorie umfasst alle in der direkten Verantwortung des Unternehmens liegenden Online-Aktivitäten, wie etwa die Corporate Website, Blogs oder Social-Media-Content.

  • Paid Media : Diese Kategorie umfasst dagegen alle kommunikativen Maßnahmen, die das Unternehmen bei Drittpartnern einkauft, wie etwa Banner, Social-Media-Ads oder Sponsored Links.

  • Earned Media : Diese Kategorie umfasst schließlich Medienpräsenz und Inhalte, die sich Unternehmen durch ihre Aktivitäten „verdient“ haben, also etwa virale Weiterempfehlungen, Mash-ups oder Kommentare von Nutzern.

Die typischen Vorteile, die zumeist mit Social-Media-Marketing verbunden werden, sind die höhere Kundennähe, die Schaffung einer Vertrauensbasis über die direkte und interaktive Kommunikation (Borges 2009), die Erweiterung der Reichweite und die Nutzung von Weiterempfehlungsmechanismen seitens der Teilnehmer an sozialen Netzwerken (Kollmann 2013). Damit kann Social-Media-Marketing sowohl zur Kundenpflege als auch zur Neukundengewinnung eingesetzt werden, wobei sich ein Erfolg oftmals jedoch erst längerfristig einstellt (Weinberg 2012). Auch die Markenführung kann mithilfe eines Auftritts in sozialen Netzwerken unterstützt werden. Schließlich sind Recruiting-Maßnahmen in sozialen Netzwerken im Rahmen des Employer Branding als Vorteil zu nennen (Kollmann 2013).

Kritisch abzuwarten ist die Antwort auf die Frage, inwiefern Nutzer es mittelfristig goutieren, dass soziale Netzwerke ihre Geschäftsmodelle zunehmend in Richtung Werbung verändern und somit den (vertraulichen) Austausch im privaten Umfeld stören. Hier haben viele Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass klassische Mechanismen aus Werbung und PR in sozialen Netzwerken an ihre Grenzen stoßen und bei mangelnder Glaubwürdigkeit Reaktanzen auslösen können (Strauß 2013). Grundsätzlich erfordern Marketingmaßnahmen in sozialen Netzwerken stärker attraktive und kreative Angebote (z. B. exklusive Sonderangebote, wie Rabatte oder limitierte Angebote, exklusive Dienstleistungen und Informationen, Aufrufe zu Mitmachaktionen oder auch die Einbindung in angebotsspezifische Kreativprozesse) als beispielsweise im klassischen Dialogmarketing (Kreutzer 2012).Weitere Nachteile bestehen insbesondere im Kontrollverlust über mögliche negative Kommentare und Dialoge sowie deren Weitergabe innerhalb der sozialen Netzwerke. Entsprechend gilt es, einige typische Fehler beim Social-Media-Marketing zu vermeiden (Düweke und Rabsch 2011; Kollmann 2013):

  • Planlosigkeit: Social-Media-Marketing erfordert im ersten Schritt eine durchdachte Strategie.

  • Fehlende Nachhaltigkeit: Social-Media-Marketing sollte immer authentisch sowie glaubwürdig sein und den Zielgruppen einen Mehrwert bieten.

  • Unregelmäßigkeit: Social-Media-Marketing sollte stets auf Kontinuität angelegt sein und einmal aufgebaute Vernetzungen sind zu pflegen.

  • Uneinheitlichkeit: Social-Media-Marketing ist über die verschiedenen Instrumente und Plattformen hinweg einheitlich zu gestalten.

  • Fehlende Vorbereitung: Social-Media-Marketing sollte von Anfang an auch ein ausgefeiltes Krisenmanagement gegen negative Reaktionen bzw. Kommentare (Stichwort: Shitstorm) beinhalten.

Aus Vertriebssicht sind Paid Media weniger interessant und u. U. sogar aufgrund von Reaktanzen kontraproduktiv. Der Fokus bei der Positionierung des Vertriebs als Wettbewerbsvorteil sollte vielmehr auf Owned Media liegen. Hier besteht eine neue Möglichkeit, mit Kundenanfragen und Feedbacks sichtbar professioneller umzugehen als Konkurrenten. Über resultierende Earned Media können dann sehr kostengünstig virale Word-of-Mouth-Effekte realisiert werden.

Das setzt aber voraus, dass im Vertrieb Social-Media-Kompetenz aufgebaut wird und dass entsprechende Kommunikationsprozesse in den gesamten Kommunikations-Mix des Unternehmens eingepasst werden. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Social Media vielfältig sind und Alternativen zu Facebook existieren. Der Hype um diese eine Plattform überschattet in der Fachdiskussion häufig die fundamentalen Potenziale, welche die Gattung insgesamt zur Realisierung von Wettbewerbsvorteilen bietet, insbesondere auch im B2B-Kontext. Schließlich bieten Social Media aus Vertriebssicht im Bereich CRM typischerweise ergiebigere Anwendungsfelder denn als Werbeplattform. Mitarbeiter in Innen- und Außendienst können sich und ihr Know-how auf ganz neue Art und Weise sichtbar machen. Umgekehrt liefern soziale Netzwerke wertvolle Informationen über Kunden und Mitglieder im Buying Center, die im Überzeugungsprozess Anwendung finden können. Diese potenziellen Wettbewerbsvorteile durch soziale Medien gehen verloren, wenn der Vertrieb das Thema Social Media als reines Marketingthema missversteht und anderen Unternehmensfunktionen überlässt.

Da auf soziale Netzwerke immer häufiger über mobile Endgeräte zugegriffen wird, sollen Marketingpotenziale mobiler Medien nachfolgend diskutiert werden.

4.3.6 Mobile Marketing

Mit der schnellen Entwicklung von mobilen Übertragungstechnologien und drahtlosen Endgeräten als zunehmend dominierendem Zugangsmedium zum Internet ist eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen von ortsunabhängigen E-Marketing Communications entstanden.

Mobile Business bezeichnet die Anbahnung sowie die Unterstützung, Abwicklung und Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Transaktionspartnern mittels mobiler elektronischer Kommunikationstechniken (wie z. B. Mobilfunk, Wireless LAN oder Bluetooth) in Verbindung mit mobilen Endgeräten (Dushinski 2012; Wirtz 2013). Mobile Marketing zielt vor diesem Hintergrund auf die Verhaltensbeeinflussung von Kunden und Interessenten über mobile Kommunikationsnetze zur Erreichung von Unternehmenszielen ab (Strauß 2013).

Dabei sind die folgenden Kriterien charakteristisch (Wirtz 2013):

  • Mobilität: Nutzer haben über ihr Mobiltelefon jederzeit und an jedem Ort Zugang zu Netzwerken, Produkten und Dienstleistungen, was insbesondere im Zusammenhang mit zeitkritischen Informationen, wie z. B. Börsenkursen und aktuellen Lagerbeständen, von hoher Relevanz ist.

  • Erreichbarkeit: Die Anbieter von Leistungen können ihre Zielgruppen nicht mehr nur stationär und online erreichen, sondern dauerhaft und jederzeit, soweit dies rechtlich zulässig ist. Permission-Marketing bezeichnet in diesem Zusammenhang das Einholen des Einverständnisses von Empfängern vor der Marketingmaßnahme zur Steigerung der Akzeptanz von Push-Kommunikation . Pull-Anwendung en andererseits basieren auf der aktiven Nachfrage der Nutzer nach Produkten und Dienstleistungen.

  • Lokalisierung: Mobilfunkkunden können über ihre Endgeräte lokalisiert werden. Das können Unternehmen beispielsweise für lokale Informationsserviceleistungen nutzen, also etwa Informationen über aktuelle Angebote eines Geschäfts oder Restaurants in der physischen Umgebung des Nutzers per SMS.

  • Identifikation: Mobilfunkteilnehmer können nach persönlicher Registrierung beim Kauf eines Mobiltelefons über die SIM-Karte identifiziert werden. Das Endgerät wird dadurch zu einem persönlichen „Dokument“ und kann etwa als Ausweis oder zur Zahlung von Geldbeträgen verwendet werden. Personenbezogene Daten können darüber hinaus Grundlage für personalisierte Anwendungen und Dienstleistungen sein.

Die folgenden Anwendungsbereiche lassen sich identifizieren (Wirtz 2013; vgl. Dushinski 2012; Hopkins und Turner 2012; Krum 2012):

  • Mobile Software : Mobile Software schafft als „Enabling-Technologie“ die Grundlage für verschiedene mobile Anwendungsszenarien, wobei in Betriebssysteme für mobile Geräte (z. B. Windows) einerseits und Programme beziehungsweise Zusatzfunktionen (Mobile App s) andererseits unterschieden werden kann. Die Schnittstelle zwischen Programmen und Betriebssystemen kann über ein offenes (z. B. Android) oder ein proprietäres (z. B. iOS) System realisiert werden. Offene Systeme zielen durch ihre Zugänglichkeit auf eine möglichst hohe Verbreitung ab, während proprietäre Systeme maximale (Qualitäts-)Kontrolle ermöglichen.

  • Mobile Browsing : Auch mobile Browser stellen eine „Enabling-Technologie“ dar, die Navigation und Nutzung von Internet-Angeboten (insbesondere im World Wide Web, WWW) auf mobilen Geräten ermöglichen. Die fortschreitende Entwicklung von Mobilgeräteprozessoren und Verbesserungen im Schnittstellenbereich, wie etwa die Entwicklung hochsensitiver kapazitiver Multi-Touchscreens, hat eine Entwicklung von speziell gestalteten Internetseiten hin zu einer angepassten Darstellung normaler Websites inklusive Flash-Inhalten auf mobilen Geräten ermöglicht. Die weiter zunehmende Konsolidierung von Standards aus dem Bereich des mobilen Internets und der stationären Internet-Nutzung werden seit einiger Zeit unter dem Stichwort „Multi Screen “ diskutiert. Ziel ist dabei ein nahtloser Übergang von Inhalten auf verschiedenen Geräten und Plattformen.

  • Mobile Search : Nachdem sich Google als Suchmaschine im stationären Internet eine Quasi-Monopolstellung erarbeitet hat, konzentriert sich der Wettbewerb im Geschäftsmodell Context auf die möglichst umfassende mobile Nutzung. Dabei werden bestehende Suchmaschinen nicht einfach nur für mobile Endgeräte optimiert, sondern darüber hinaus werden auch Kooperationsvereinbarungen mit Geräteherstellern getroffen. So zahlte Google beispielsweise 2009 etwa 100 Mio. US-Dollar an Apple für den Einsatz der Google-Suche auf dem iPhone, während Konkurrent Microsoft die Suchmaschine Bing direkt in sein eigenes mobiles Betriebssystem Windows Mobile integrierte.

  • Mobile Information : Dieser Bereich umfasst alle Arten von mobilen Informationsangeboten im mobilen Internet. Darunter sind insbesondere Content-Angebote zu verstehen, die vorrangig aus den Bereichen News (aktuelle Nachrichten, z. B. New York Times) und Knowledge (Wissenssammlungen ohne Orientierung am aktuellen Zeitgeschehen, z. B. Wikipedia) stammen. Die Angebote weisen in der Regel strukturelle Ähnlichkeiten auf, so etwa eine interne Suchfunktion, weiterführende Links und eine zentrale Präsentation des Contents. Andererseits greifen News-Angebote verstärkt auf multimediale Elemente und Teaser zurück, während Knowledge-Angebote im Design reduzierter und auf wesentliche Informationselemente zu einem spezifischen Thema beschränkt sind.

  • Mobile Entertainment : Musik, Videos und Spiele verfügen in Bezug auf die Akzeptanz von Paid Content über das höchste Potenzial im stationären Internet. Unter dem Bereich Mobile Music wird der digitale mobile Vertrieb von Musikstücken als Download verstanden. Der digitale Musikvertrieb weist für die Branche mittlerweile eine hohe Relevanz auf. Hinsichtlich der Geschäftsmodelle wird Differenzierung im Wettbewerb insbesondere durch die Erlöskomponente erreicht. So finden sich etwa mobile Streaming-Angebote, die sich über Werbung finanzieren, klassische Pay-per-Song-Angebote wie in Apple iTunes sowie Musikflatrates, die zum Teil im Preis der Endgeräte und Mobilfunktarife einkalkuliert sind. Mobile Video umfasst dagegen unterhaltungsbezogene Content-Angebote auf Videobasis, z. B. die Nutzung von YouTube auf dem Smartphone. Erlöse werden meist entweder durch Werbevermarktung oder über Paid Content erzielt. Mobile Games bezeichnet mobile, interaktive und digitale Unterhaltungsangebote mit Spielecharakter, die hinsichtlich ihrer Schnittstellen und der Spielmechanik an die mobile Nutzungssituation angepasst sind. Erlösmodelle in diesem Bereich beinhalten entweder Einmalzahlungen, Abonnementverträge oder Werbeeinblendungen.

  • Mobile Navigation : Die Kombination von GPS -Technologie, schnellen Mobilprozessoren sowie teilweise Hard- und Software zur Auswertung von WLAN -Netzen ermöglicht auf Ebene der Endgeräte die technologische Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen zur Standortbestimmung. Eine kritische Komponente aller Geschäftsmodelle in diesem Bereich ist der Zugang zu qualitativ hochwertigem und möglichst aktuellem Kartenmaterial. Damit kann auch die Routenplanung zum Geschäftsmodell gemacht werden, wobei die Monetarisierung der Erlöse meist über Lizenzabgaben der Gerätehersteller, Einmalzahlungen für Karten-Updates oder Abonnementmodelle erfolgt.

  • Mobile Commerce : Durch mobile Endgeräte werden kommerzielle Transaktionen zeit- sowie ortsunabhängig und damit mobile Shopping-Anwendungen begünstigt. Im Reisemarkt beispielsweise haben sich Online-Buchungen bei Flügen und Reisen im Internet, mobil abrufbare Flug- und Fahrpläne sowie digitale Ticketreservierungen bereits frühzeitig etabliert. Im vormals klassischen Distanzhandel bietet ein Unternehmen wie Otto seinen Kunden einen mobile Shop und damit die Möglichkeit, unterwegs per Mobiltelefon aus dem gesamten Sortiment Waren zu bestellen. Zusätzlich werden Services, wie etwa Informationen rund um das Kundenkonto, Status der Bestellung, Benachrichtigung bei Eingang des Pakets im Paket Shop und automatische Benachrichtigungen bei Preissenkungen des Wunschartikels, angeboten. Seit 2007 wird verstärkt der QR-Code als Standardlösung für Mobile Shopping verwendet. Dieser ermöglicht insbesondere den direkten Aufruf des Produktes auf der Internetadresse, kann aber auch weitere Informationen liefern, z. B. Telefonnummern. Durch ihre zeitkritische Komponente bilden mobile Auktion en eine ideale Grundlage für mobile Anwendungen, denn Nutzern wird es so ermöglicht, ortsunabhängig als Bieter teilzunehmen. Ein häufig beklagter Trend ist das sogenannte „Showrooming “, wobei Preise im Laden per Smartphone verglichen werden, um dann das Produkt in einem anderen Shop oder online günstiger zu kaufen.

  • Mobile Communication: Dieser Anwendungsbereich umfasst verschiedene kommunikationsbasierte Dienste, die Text-, Audio- sowie Videomaterial enthalten können und auf den mobilen Nutzungskontext hin angepasst sind. Zu den Teilfeldern gehören E-Mail , Mobile Instant Messaging (MIM, z. B. WhatsApp), Chat-Anwendungen (z. B. Skype) sowie öffentliche Short Messages.

  • Location Based Services : Hierunter fallen Dienste, die aus den durch die Mobilfunknutzung entstehenden oder durch GPS- beziehungsweise RFID-Technologie bereitgestellten ortsbezogenen Daten einen Mehrwert für den Kunden generieren. Grundlegend kann zwischen zwei verschiedenen Anwendungsformen unterschieden werden. Die Nahfeldkommunikation (Near Field Communication bzw. NFC , Alby 2008) beruht auf einer funkbasierten Vernetzung von Objekten, wobei durch ein Funksignal mit geringer Reichweite (z. B. RFID-Chip) eine ortsbezogene Information oder ein ortsbezogener Dienst ausgelöst wird. Dagegen basiert der Bereich der Kontext-Information auf individualisierter Ortsbestimmung, wobei die Endgeräte selbst als Datenquelle eingesetzt werden. Diese ermitteln die Position des Nutzers und verwenden diese Daten zur Anpassung von Informationen und Diensten. So kann etwa ein GPS-fähiges Endgerät als Routenplaner fungieren.

  • Mobile Payment : Bereits frühzeitig haben Finanzdienstleister mobile Anwendungen im Rahmen von Mobile Banking und Mobile Broking für sich erschlossen. Darüber hinaus gewinnen Mobile Cash und Mobile Payment, wobei das Mobiltelefon als elektronische Geldbörse fungiert (z. B. Paysafecard), an Bedeutung. Entsprechende Anwendungen umfassen mobile Bezahlvorgänge an Automaten aller Art (z. B. Getränkeautomaten), das Bezahlen gegenüber einer Person, die als Händler oder Dienstleister auftritt (z. B. im Restaurant, Taxi oder Kaufhaus), sowie die Übertragung einer Geldsumme zwischen Endkunden. Aufgrund der Möglichkeiten zur Echtzeitübertragung von Daten zum ortsunabhängigen Empfang von Informationen und zur Reduktion von Kosten und Zeitaufwand lässt sich in diesem Bereich ein erhebliches Potenzial für die Zukunft vermuten.

  • Mobile Advertising : Hierunter wird der Einsatz von mobilen Endgeräten als neuen Werbeträgern verstanden. Dabei eröffnet sich ein neuer Kanal zur Zielgruppenansprache, welche durch eine integrierte Kommunikation intensiver und effizienter durchgeführt werden kann. Mobile Geräte können nicht nur als passiver Werbeträger fungieren, sondern bieten durch ihr Interaktionspotenzial auch eine Grundlage für interaktive Werbeinhalte. Durch die Weiterentwicklung der Endgeräte und die Möglichkeiten zur Lokalisierung sowie Identifizierung können im One-to-One-Marketing neue Potenziale erschlossen werden. So bietet der Einsatz von Location Based Advertising Wettbewerbsvorteile, da Zielgruppen unmittelbar „vor Ort“ und mit personalisierten Botschaften erreicht werden können.

  • Mobile Telemetrie : Telemetrieanwendungen ermöglichen die mobile Übertragung und Aufbereitung von Messdaten und damit Potenziale im Navigations- und Flottenmanagement, für Verkehrs-, Straßenzustands- und Wetterinformationen sowie für Kfz-Notruf- und Pannen- (eCall ) sowie Fahrerassistenzsysteme. Das Ziel ist dabei stets die automatisierte kontextspezifische Anpassung von Diensten, Prozessen und Objekten. Google etwa kaufte 2014 für 3,2 Mrd. US-Dollar Nest Labs, einen Hersteller von intelligenten Thermostaten und Rauchmeldern, um sich eine Position bei der zunehmenden Vernetzung in Haushalten („Internet of Things “) zu sichern und Daten auch jenseits der Online-Welt zu sammeln.

Eng mit Location Based Services verbunden ist das Anwendungsfeld „Augmented Reality“, also die Erweiterung der Realitätswahrnehmung mithilfe digitaler Medien (Lehning et al. 2015).

Augmented Reality (erweiterte Realität) bedeutet die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, meist als visuelle Darstellung von Informationen oder Objekten mittels Einblendung bzw. Überlagerung. Damit ist Augmented Reality vornehmlich im Bereich mobiler Anwendungen zu finden (Strauß 2013).

Die tatsächliche Welt und reale Objekte verschmelzen mit einer virtuellen Realität und simulierten Objekten (Mixed Reality ). Im Mittelpunkt steht das Sensory Enhancement , also die gezielte Anreicherung (Augmentation ) einer oder mehrerer der fünf Sinneswahrnehmungen in Echtzeit. Bei der indirekten Augmentation werden etwa Smartphones oder Head-up-Displays eingesetzt, die Informationen in das Sichtfeld einblenden. Die direkte Augmentation kommt ohne Endgerät aus (Spatial Augmented Reality ) und projiziert Informationen auf Gegenstände, die direkt wahrgenommen werden, wie etwa bei der virtuellen Bandenwerbung im Fußballstadion (Lehning et al. 2015).

Auch hier hat das Unternehmen Google eine treibende Funktion übernommen und bietet seit Anfang 2013 das Projekt „Glass“ als onlinefähige Brille mit Mikrodisplay und Kamera an, die über Spracheingabe bedient werden kann und beispielsweise Informationen zur Umgebung des Trägers in Form von Navigationshinweisen direkt in das Sichtfeld einblendet (Strauß 2013). Google Glass ist ein prominentes Beispiel für sogenannte Wearables , also am Körper tragbare mobile Endgeräte, die als Uhr, Halskette, Chip o. Ä. den Nutzer ständig begleiten. Aus den erhobenen Daten entstehen dann Datenprofile, die auch als Quantified Self bezeichnet werden (Lehning et al. 2015).

Anwendungsmöglichkeiten für Augmented Reality im Marketing sind vielfältig: Mitarbeiter im Kundendienst können sich den nächsten Arbeitsschritt direkt in ihr Sichtfeld einblenden lassen, Kunden können sich maschinelle Anlagen bereits vor der Installation im Werksgebäude simulieren lassen und Produktdesigner können mit tatsächlich und auch virtuell anwesenden Kollegen am selben dreidimensionalen Modell arbeiten. Bei Sportübertragungen können Marken virtuell in Echtzeit eingeblendet werden, ggfs. ergänzt um interaktive Elemente (Strauß 2013). Im Immobilienbereich können potenzielle Wohnungskäufer bei der Wohnungseinrichtung unterstützt werden, indem sie bei der Planung Räume filmen oder fotografieren und Einrichtungsgegenstände anschließend so in das Bild einblenden, als ob sie sich tatsächlich in dieser Umgebung befänden (Binckebanck 2015).

Zukünftige mobile Anwendungsszenarien zeichnen sich darüber hinaus insbesondere in zwei Aufgabengebieten ab (Hopkins und Turner 2012; Krum 2012; Strauß 2013)

  • Mobile Search Engine Advertising (Mobile SEA): Hierunter ist die konzeptionelle Übertragung der Suchmaschinenwerbung in den mobilen Kontext zu verstehen mit dem Ziel, die Angebote eines Anbieters direkt zu fördern, gemessen etwa als Cost per Lead (CPL) und unterstützt durch mobile Kooperationen und Mobile Affiliates (Yaniv 2008).

  • App Store Optimization : Die indirekte Mobilisierung von Interessenten erfolgt über das Generieren von App-Downloads, gemessen als Cost per Download (CPD) und unterstützt durch App-Store-Optimization-Maßnahmen sowie mobile Display-Werbung. Ziel ist eine hochwertige Platzierung im jeweiligen proprietären App-Store (Huang 2012). Über In-App-Werbung können Apps mithilfe von Performance-Netzwerk en wie Google (AdMo) und Apple (iAd) ein höheres Ranking erreichen (Krum 2012). Derartige Werbenetzwerke schalten Anzeigen in verschiedenen Apps und generieren über Banner wieder Downloads der eigenen, beworbenen App.

Um den Erfolg von mobilen Websites und Apps zu erfassen, ist ein entsprechendes Mobile Tracking erforderlich. Für die Messung und Optimierung der auf Smartphones ausgerichteten mobilen Websites sind Nutzungsdaten relevant wie (Strauß 2013):

  • Gesamtreichweite via Mobile Web (Page-Views, Visits und Visitors);

  • technische Ausstattung der Nutzer, z. B. mobiles Endgerät, Browser, Betriebssystem;

  • Entry Page s und zugehörige Traffic-Quellen, z. B. Suchmaschinen; Direktzugriffe etc.,

  • Engagement, z. B. Page Views pro Visit, Dauer eines Visits etc.; und

  • Top-Ausstiegsseiten und Absprungrate.

Aus Vertriebssicht erscheinen digitale Technologien im Zusammenhang mit Mobile Marketing besonders ergiebig. Für den indirekten Vertrieb über den Handel ergeben sich indoor und outdoor neue Möglichkeiten der Kundenansprache. Für den persönlichen Verkauf eröffnet insbesondere Augmented Reality eine neue Dimension der Verkaufsunterstützung. Gleichwohl ist auch hier einschränkend festzustellen, dass die Technologien per se aufgrund der vergleichsweise einfachen Imitierbarkeit bestenfalls temporäre Wettbewerbsvorteile versprechen, wenn sie primär operativ und punktuell eingesetzt werden. Vielmehr kommt es erneut darauf an, die Technologien in ein strategisches Gesamtkonzept einzubinden und synergetisch mit anderen Vertriebskompetenzen zu nutzen.

Ein wesentlicher Grundgedanke im Mobile Marketing ist, dem Kunden auf seinem Weg durch den Kaufentscheidungsprozess zu folgen. Dies führt zum Targeting-Ansatz, welcher nachfolgend diskutiert wird.

4.3.7 Targeting

Die Zielgruppen der E-Marketing Communications hinterlassen bei ihren Transaktionen und Interaktionen im Internet Spuren in Form elektronischer Daten, die für eine Segmentierung verwendet werden können. Jenseits der klassischen Segmentierungsansätze im Marketing (etwa nach geografischen, demografischen oder soziokulturellen Kriterien) kann im Online-Marketing eine verhaltensorientierte Segmentierung Verwendung finden, die beispielsweise die Mediennutzung, den Loyalitätsstatus, den Nutzungsgrad sowie die Nutzungssituation zur Bildung von in sich homogenen Clustern berücksichtigen kann (Heinemann 2014).

Targeting bezeichnet als Anwendungsgebiet des One-to-One-Marketings das Verfolgen und Verarbeiten von elektronischen Nutzerspuren zu Kundenprofilen (Online-Profiling ), auf deren Basis zielgerichtete und individualisierte Kommunikationsinhalte (z. B. Einblenden von Werbung auf Websites) zum richtigen Zeitpunkt eingespielt werden. Im Idealszenario macht dies die online eingesetzten Kommunikationsmittel aufmerksamkeitsstärker (also effektiver) und gleichzeitig durch die Reduzierung von Streuverlusten effizienter als herkömmliche Werbeformen (Kreutzer 2012; Lehning et al. 2015).

Grundlage des Targeting ist die systematische Sammlung von Nutzerdaten und deren Auswertung im Rahmen von Data Mining , um ein möglichst vollständiges und facettenreiches Profil zu schaffen (Kollmann 2013). Dies setzt wiederum die Identifizierung des Zielnutzers und die Auswertung seines Verhaltens voraus, was meist durch das Auslesen der IP-Adresse und den Einsatz von Cookies erfolgt. Diese Daten werden dann angereichert mit Informationen aus dem CRM oder anderen Quellen (GPS-Daten, Statistiken, Prognosen etc.), um dem Nutzer über digitale Kommunikationskanäle zielgerichtet Content bereitzustellen (Lehning et al. 2015). Darüber hinaus liegen weitere Vorteile des Targeting in der Nutzung der Echtzeitfähigkeit und hierauf aufbauender dynamischer Reaktionen. Andererseits verringert das Targeting durch die Minimierung von Streuverlusten die erzielbare Reichweite der E-Marketing Communications, sodass hier ein Zielkonflikt erkennbar wird (Strauß 2013).

Es lassen sich unterschiedliche Ausprägungen der nutzerindividuellen Auslieferung von E-Marketing Communications im Rahmen von Targeting unterscheiden (Greve et al. 2011; Hass und Willbrandt 2011; Lehning et al. 2015; Plummer et al. 2007; Strauß 2013):

  • Behavioral Targeting : Bei dieser Art des Targeting wird das Online-Verhalten eines Nutzers verfolgt und analysiert. So wird etwa erfasst, was angeklickt wurde, wie lange die Verweildauer in bestimmten Bereichen war und wo die Ein- und Austrittspunkte gewesen sind. Dabei sollen aus dem bisherigen Verhalten eines Nutzers Rückschlüsse auf dessen momentane Interessen und Bedürfnisse gezogen werden. Auf dieser Basis werden beim On Site Targeting vorab definierte Bereiche einer Website automatisch und nutzerspezifisch mit möglichst passenden Werbemitteln gefüllt. Dagegen werden beim Targeting über Ad Networks Zielgruppen und zugehörige Werbemittel definiert, die technische Umsetzung der Schaltung erfolgt aber über einen Dienstleister.

  • Content, Placement oder Context-Targeting: Analog zur klassischen Werbung und im Gegensatz zum „Audience Buying“ des Behavioral Targeting erfolgt die Auslieferung von Kommunikationsinhalten am Inhalt einer Website bzw. am kontextuellen Umfeld. So können etwa im Affiliate-Marketing thematisch zusammengehörige Websites bei der Buchung gebündelt werden. Der Vorteil ergibt sich hierbei aus der Relevanz des Umfelds, allerdings ist die Methode insofern ungenau, als der individuelle Nutzungskontext unberücksichtigt bleibt.

  • Keyword Targeting : Suchmaschinen und Online-Portale nutzen bei der Einblendung von Anzeigen (als Banner oder Text) die Auswertung des Suchverlaufs und verwenden diese für eine Anpassung der Suchergebnisse und der zum Suchbegriff passenden Kommunikationsinhalte. Die Auslieferung wird also an das Suchverhalten der Zielgruppe, auch im Hinblick auf den räumlichen Bezug (Geo Targeting ), angepasst.

  • Predictive Behavioral Targeting : Diese Art des Targeting nutzt das Grundprinzip des Behavioral Targeting in einer auf die Zukunft gerichteten Form. Online-Nutzungsdaten werden dabei mit statistischen Informationen (etwa aus anonymen Online-Befragungen) zur Prognose von zukünftigen Verhaltensmustern und Interessengebieten kombiniert. Einem Nutzer wird anhand seines direkt zu beobachtenden Nutzungsverhaltens ein vordefiniertes Profil mit spezifischen Interessen, Bedürfnissen und Verhaltensweisen zugeordnet. Anhand dieses Profils können Kommunikationsmittel in Bezug auf den Zeitpunkt, die Wiederholungsrate und auch Inhalte segmentspezifisch optimiert werden.

  • Retargeting : Das Retargeting als Spezialform des Behavioral Targeting bezieht sich direkt auf Verhaltensweisen von Zielgruppen, die ein spezifisches Kaufinteresse signalisieren. So können etwa Nutzern, die sich in einem Online-Shop verschiedene Produkte angesehen haben (jedoch noch nicht gekauft haben), Werbemittel eingeblendet werden, die entweder die aufgerufenen oder ähnliche Angebote zeigen. Hierdurch können weitere Kaufargumente ebenso wie Sonderangebote oder Cross- /Up-Selling-Möglichkeit en vorgestellt werden, um den Nutzer doch noch zum Abschluss zu motivieren. Da der Nutzer aus (zunächst) unbekannten Gründen den initialen Kaufprozess abgebrochen hat, sollten Reaktanzen aufgrund einer stupiden Wiederholung der entsprechenden Werbemittel vermieden werden und stattdessen alternative (Mehrwert-)Angebote unterbreitet werden.

  • Semantisches Targeting : Analog zum Keyword Advertising werden die linguistischen Inhalte von Websites unter Verwendung taxonomischer Software analysiert. Diese ist auf einem AdServer installiert und entscheidet in Echtzeit, ob ein Werbemittel relevant ist und eingeblendet wird. Dies geschieht nur dann, wenn die Begriffe und Formulierungen auf einer Website in ihrer semantischen Gesamtheit einem zuvor definierten Thema entsprechen. Über Ausschlussbegriffe können nicht gewollte Kontexte (wie „Bad Ad s“) verhindert werden.

  • Soziodemografisches Targeting : Diese Art des Targeting richtet sich an spezifischen Merkmalen und Profildaten von Nutzern aus, die zumeist durch Selbstauskünfte, etwa im Rahmen von Registrierungen und Online-Befragungen, oder auch durch Log-in via Facebook erhoben werden.

  • Technisches Targeting : Das technische Targeting zielt darauf ab, digitale Kommunikation anhand der erkannten technischen Ausstattung eines Nutzers auszusteuern. So können in Abhängigkeit von der Hard- und Software-Ausstattung eines Nutzers (etwa verfügbare Netzwerkbandbreiten, Bildschirmauflösung der Endgeräte, Verfügbarkeit von Plug-ins wie Adobe Flash Player oder auch eingesetzte Betriebssysteme) spezifische Kommunikationsmittel und -inhalte ausgesteuert werden.

Notwendig für ein effizientes Targeting ist die Beantwortung von Fragen, wie etwa (Strauß 2013):

  • Welche Berührungspunkte mit dem Anbieterunternehmen hatte ein Nutzer vom ersten Kontakt bis zum Kaufabschluss?

  • Welche Kommunikationsmittel und welche Vertriebskanäle haben welchen Beitrag zum Kaufabschluss geleistet?

Hierzu wird zunehmend das Konzept der „Customer Journey“ verwendet, das ursprünglich zur Bestimmung der optimalen Orientierung von Kunden in Ladengeschäften entwickelt wurde, zunehmend aber als Bestandteil eines umfassenderen Total-Customer-Experience-Management s (Heinemann 2012) interpretiert wird.

Die Customer Journey ist die „Reise“ eines Nutzers bzw. potenziellen Kunden vom initialen Bedürfnis bis zur Problemlösung über verschiedene Interaktions- und Kontaktpunkte (Customer Touchpoints) mit einem Angebot, einem Vertriebskanal, einer Marke oder einem Unternehmen (Broschart 2011; Janson 2012; Lehning et al. 2015; Strauß 2013).

Relevante Customer Touchpoint s erstrecken sich entlang der „Kundenreise“ von klassischer Werbung (z. B. Printanzeigen, TV- oder Radio-Spots) über Online-Banner und Interaktionen mit Verkaufspersonal bis hin zur Informationssuche auf Preis- und Bewertungsportalen. Mithilfe von Cookies können die Stationen des Nutzers auf seinem Weg bis zur Conversion (z. B. Kauf eines Angebots oder Eingabe einer Adresse) zum Online-Kauf nachvollzogen werden. Die Analyse der Customer Journey erfolgt mittels mathematisch-statistischer Verfahren und unter Zuhilfenahme von Attributionsanalyse n und -modellen . Diese beschreiben den quantitativen, qualitativen und zeitlichen Einfluss verschiedener Kommunikations- und Vertriebskanäle auf den Entscheidungsprozess (Strauß 2013). So können Wirkungszusammenhänge zwischen verschiedenen Kanälen und Interaktionen aufgedeckt und weitergehende Optimierungspotenziale abgeleitet werden (Heinemann 2012).

Im Affiliate-Marketing und beim Vergleich von Kommunikationsmitteln galt lange das Prinzip „Last Cookie Wins “: Wem es gelang, das letzte Cookie zu setzen, der durfte den Kampagnenerfolg für sich beanspruchen. Customer-Journey-Analysen zeigen aber, dass eine Kaufentscheidung meist bereits sehr viel früher angestoßen wird und das „letzte Cookie“ eventuell lediglich von der Kommunikationswirkung vorausgegangener Interaktionen und Kontaktpunkte profitiert hat. Daher sollten sich Unternehmen im Hinblick auf E-Marketing Communications auf die Customer Touchpoints mit der größten Bedeutung für die Kaufentscheidung bzw. die Markenführung – analog zu den Moments of Truth – konzentrieren (Spies 2012; Strauß 2013).

Das Konzept der Customer Journey ist grundsätzlich in digitalen Medien einfacher anzuwenden, da hier die Aktivitäten der Zielgruppen durch den Einsatz von Tracking-Technologien (Cookies ) direkt erfassbar sind. Die größte Herausforderung besteht momentan in der ganzheitlichen Analyse der Customer Journey über verschiedene Online- oder Offline-Kanäle hinweg (Strauß 2013). Herkömmliche Targeting-Ansätze und digitale Customer Journeys vernachlässigen damit systematisch zwei wesentliche Quellen von Wettbewerbsvorteilen, nämlich medienübergreifend aggregierte Markenwirkungen und persönliche Interaktionsqualität. Allerdings erlauben neuere Entwicklungen, wie etwa im Mobile Marketing, die Berücksichtigung von immer mehr Interaktionspunkten in der realen Welt (Lehning et al. 2015).

Aus Vertriebssicht ist das momentan (noch) vorherrschende Paradigma problematisch, menschliches Kaufverhalten rein digital modellieren zu wollen. Gleichwohl liefert der Customer-Journey-Ansatz grundsätzlich einen zielführenden Bezugsrahmen für ein ganzheitliches Kundenverständnis, wenn es gelingt, die Online- und Offline-Welten mit ihren jeweiligen Metriken systematisch miteinander zu verknüpfen. Hierfür sind Markenführung, Vertrieb und Kommunikation integriert zu betrachten und in eine entsprechende Strategiekonzeption zu überführen. Wettbewerbsvorteile werden sich aus Targeting-Algorithmen bestenfalls temporär generieren lassen, da die zugrunde liegende Technik relativ leicht imitierbar ist. Eine ganzheitliche und kanalübergreifende Strategie der Beziehungsführerschaft mit der Anbietermarke als Bezugspunkt dagegen dürfte zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen führen. Daher wird der Aspekt der Markenführung nachfolgend separat diskutiert.

4.3.8 Markenführung

Gegenstand der Markenführung ist der Aufbau und die Pflege einer Marke (Baumgarth 2014). Diese spielt im unüberschaubaren Internet als Orientierungspunkt für die Zielgruppen eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle wie in der Offline-Welt. Denn während starke Marken von Interessenten direkt angesurft werden, sehen sich schwache Marken einer substanziellen Bedrohung durch die Transparenz des Internets und die daraus resultierende Vergleichbarkeit mit Konkurrenzmarken gegenüber (Esch et al. 2005a).

Eine Marke stellt grundsätzlich eine im Bewusstsein des Kunden verankerte Vorstellung dar, die das Leistungsspektrum des Unternehmens repräsentiert, im Wettbewerb differenziert und Präferenzen auf der Basis von Orientierung und der subjektiven Schaffung von Vertrauen schafft (Aaker 1996; Burmann et al. 2005; Esch et al. 2005b).

Der Mehrwert der Marke für den Nachfrager stellt sich auf dreierlei Weise dar (Backhaus und Voeth 2014):

  • Orientierungsfunktion durch Informationserleichterung: Für Nachfrager stellt die Marke eine Orientierungshilfe dar, um in einem unübersichtlichen Leistungsspektrum besser Produkte und Dienstleistungen identifizieren zu können. Im Kampf um die Aufmerksamkeit entscheidet eine klare Markenpositionierung, die Kunden einen Mehrwert liefert. Diese Positionierung muss über alle Kommunikationskanäle hinweg kommuniziert, aber zugleich auch in der persönlichen Interaktion gelebt werden.

  • Vertrauensfunktion durch Risikoreduktion bei Qualitätsunsicherheiten: Die Markierung einer Leistung stellt ein anbieterseitiges Qualitätsversprechen dar, was wiederum das empfundene Kaufrisiko mindert. Damit bieten Marken eine Form der kognitiven Entlastung im Kaufprozess (Esch 2014). Die Vertrauenswirkung von Marken kann darüber hinaus den immer noch in vielen Zielgruppen bestehenden Vertrauensmangel gegenüber dem Medium Internet kompensieren helfen.

  • Ideelle Nutzenfunktion durch emotionale Mehrwerte: Bei vielen funktional gleichwertigen Gütern kann eine Marke emotionalen Zusatznutzen vermitteln (z. B. Branded Experiences, Rubinstein und Griffith 2001). Gleichzeitig liefern die besonderen Eigenschaften des Internets, insbesondere Multimedialität und Interaktivität, neue Möglichkeiten zur Vermittlung eines klaren und lebendigen Markenbildes (Esch et al. 2005a).

Für den Anbieter gilt es, durch eine ausgeprägte Markierung des eigenen Angebots eine Profilierung gegenüber dem Wettbewerb zu erreichen und durch die Signalisierung einer bestimmten Qualität besondere Präferenzen auf Seite der Kunden zu schaffen. Dies kann zu Markenloyalität und zu geringerer Preissensibilität bzw. höherer Zahlungsbereitschaft führen. Auch lässt sich durch eine erfolgreiche Markenführung zumeist der Erklärungsaufwand innerhalb des Verkaufsgesprächs ebenso wie die Anzahl erforderlicher Customer Touchpoints bis zur Conversion entlang der Customer Journey reduzieren (Hienerth 2010; Spies 2012; Strauß 2013). Allerdings bleiben die Bedürfnisse der Kunden sowie das Interesse am Angebot eines Anbieterunternehmens gleich, sodass die Strategie zur Beeinflussung des Kaufverhaltens auch im Internet beizubehalten ist: Marke schlägt Medium. Eine klare Markenpositionierung liefert Orientierung im komplexen, schnell sich wandelnden digitalen Umfeld. Allerdings müssen Marken ihre typischen Marken-Assets noch besser in das Internet übertragen und (bei inhaltlicher und formaler Integration mit anderen Kommunikationskanälen) medienspezifisch deklinieren. Dies betrifft alle verbalen und nonverbalen Elemente, die Kunden mit einer Marke verbinden, also etwa Slogans, Farbcodes, Schlüsselbilder usw. (Esch et al. 2005a).

Für die Erfolgswirkung von Marken sind im Internet zwei gegenläufige Effekte zu erwarten (Strauß 2013): Einerseits fördert die verfügbare Informationsvielfalt einen Kundentypus, der umfassend und unabhängig informiert ist und damit weniger markenloyal. Andererseits führen die zunehmend unübersichtliche Angebotsflut sowie der Wegfall unmittelbarer persönlicher Bindungen zum Anbieter bzw. Händler zu einem erhöhten wahrgenommenen Risiko von Online-Transaktionen, wodurch das Bedürfnis nach Orientierung und Vertrauen und damit der Stellenwert von Marken als „Leuchttürmen“ auf der Customer Journey tendenziell zunimmt. Kunden nutzen die Marke auch und gerade im Internet als Informationsfilter und Vertrauensinstrument.

Vor diesem Hintergrund versucht das E-Branding, die Besonderheiten des Internets in die Markenführung zu integrieren.

E-Branding umfasst den Aufbau, die Entwicklung und die Pflege von Marken auf Basis neuer digitaler und webbasierter Technologien (Wirtz 2013).

Die internetbasierte Markenführung bietet eine Reihe ergiebiger Potenziale (Aaker und Joachimsthaler 2000; Bongartz et al. 2005; Hau und Theobald 2011; Henseler 2011; Strauß 2013; Suckow 2011; Wirtz 2013):

  • Individualisierung : Die kundenspezifischen Anpassungsmöglichkeiten der Kommunikation im Rahmen des One-to-One-Marketings erlauben personalisierte Markenauftritte . Dabei ist allerdings ein Trade-off zwischen unveränderlicher Markenidentität einerseits und individueller Anpassung der Markenbotschaft andererseits zu beachten. Denn was zunächst als Vorteil erscheint (kundenspezifische Vorstellungsbilder über die Marke), kann schnell zur Verwässerung der Markenidentität und damit zum Verlust von Markenstärke führen.

  • Interaktivität : Maßgebliche Potenziale entstehen aus der inhärenten Interaktivität des Internets und den daraus entstehenden Dialogmechanismen. Denn diese führen zu einer aktiven und intensiven Kommunikation, welche die Zielgruppen der Markenführung stärker einbeziehen. Während im traditionellen Marketingparadigma Inhalte und Kontext der Kommunikation weitgehend anbieterseitig kontrollierbar waren, werden nun die bislang eher passiven Zielgruppen Teil einer interaktiven und dialogischen Kommunikation. In virtuellen Gemeinschaften (Communities), Foren, Live Chats oder Blogs können sowohl das Unternehmen als auch Zielgruppen der Markenführung Kommunikation initiieren. Aber auch untereinander können die Zielgruppen sehr einfach kommunizieren, was der Markenführung Word-of-Mouth-Marketing über elektronische Kommunikationskanäle ermöglicht. Im Rahmen des Viral Marketings können sich Inhalte der Markenkommunikation innerhalb kürzester Zeit global verbreiten (Langner 2009). Allerdings können sich auch schlechte oder falsche Inhalte auf diese Art dynamisch verbreiten. Dieser virale Effekt entzieht sich allerdings weitgehend der Kontrolle von Unternehmen.

  • Informationsreichtum und Informationsqualität: Der Auftritt eines Anbieterunternehmens im Internet wird unmittelbarer Bestandteil für die Beurteilung der Marke durch die Zielgruppen, etwa durch permanent aktualisierte Inhalte oder interaktive Anwendungen. Informationsreichtum und Informationsqualität fördern einen Lernprozess über die Markeninhalte und -werte. Aktualität, Nutzerfreundlichkeit, Design, Unterhaltung, Glaubwürdigkeit oder auch die Interaktionsqualität fungieren darüber hinaus als Identitätselemente der Markenführung. In diesem Kontext erweist sich das Integrationspotenzial der E-Marketing Communications als Vorteil für die Markenführung: Online- und Offline-Aktivitäten lassen sich synergetisch miteinander kombinieren. Dies ist technisch relativ leicht möglich, erfordert aber zur Vermeidung differierender Kommunikationsbotschaften integrierte Kommunikation in inhaltlicher, formaler und zeitlicher Hinsicht.

  • Ubiquität : Durch die Überallverfügbarkeit digitaler Kommunikationsmedien können Markeninformationen unabhängig von Zeit und Raum ausgetauscht werden. Dies erleichtert in einem globalisierten Wettbewerbsumfeld eine internationale Marken-, Kommunikations- und Vertriebspolitik.

Aktuell wird vielfach diskutiert, inwieweit sich die Mechanismen des E-Branding von der herkömmlichen Markenführung unterscheiden und ob von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden kann (Hennig-Thurau et al. 2014). Grundsätzlich entbinden die skizzierten Potenziale neuer Technologien auch weiterhin ein Anbieterunternehmen nicht von der primären Verantwortung für die Markenführung und einen konsistenten Markenauftritt (Halliburton und Ziegfeld 2009). Gleichwohl können Zielgruppen des Anbieterunternehmens aber entlang des Markenführungsprozesses zeitlich begrenzt und inhaltlich punktuell eingebunden werden. Eine Beteiligung an der Positionierung und der Definition der Markenidentität würde allerdings das „Hoheitsgebiet“ der Markenführung treffen und ist daher abzulehnen. Nur die Konsistenz zwischen den Aussagen und den Aktivitäten einer Marke stärkt die Glaubwürdigkeit gegenüber externen Zielgruppen und wirkt identitätsstiftend nach innen (Brexendorf und Henkel 2012). Vor diesem Hintergrund ist allen Forderungen nach einer „demokratischen Markenführung “ eine deutliche Absage zu erteilen (Strauß 2013).

Aus Vertriebssicht ist insbesondere die Einbindung des Internets in eine ganzheitliche Markenführung von Interesse. Eine effektive Markenstrategie und ein konsistenter Markenauftritt können nur gelingen, wenn die Markenwerte in allen Kundeninteraktionen umgesetzt werden. So wird etwa auf Kundenseite kein einheitliches Markenbild entstehen, wenn sich zwar die gesamte mediale Kommunikation eines Anbieterunternehmens an einem klar definierten Markenversprechen ausrichtet, die persönliche Interaktion auf der Customer Journey (z. B. mit Verkauf oder Kundendienst) jedoch als Widerspruch hierzu wahrgenommen wird. Beim Internal Branding geht es daher als Voraussetzung für eine effektive Markenführung nach außen zunächst um die Schaffung eines breit verankerten Bewusstseins und Verständnisses für die Markenwerte im eigenen Unternehmen (Burmannund Zeplin 2005; Strauß 2013).

Verkaufsmitarbeiter und Kundendienst leisten mit ihrem Verhalten im Kundenkontakt einen wesentlichen Beitrag zur Positionierung des Anbieterunternehmens. Sie sind gerade im B2B-Bereich häufig wichtigster Customer Touchpoint in der Interaktion mit der Anbietermarke (Esch et al. 2014). Mitarbeiter an diesen Schnittstellen zum Markt kommunizieren die Markenwerte und schaffen eine differenzierende Positionierung in den Köpfen der Zielgruppen. Gleichzeitig bietet sich die Markenführung zur Koordinierung der dezentralen Mitarbeiteraktivitäten als Steuerungsmechanismus im Sinne eines „Management by Values “ an (Baumgarth und Binckebanck 2011b).

Im Rahmen eines Behavioral-Branding -Ansatzes sind Aufbau und Pflege von Marken durch zielgerichtetes Verhalten und persönliche Kommunikation zu unterstützen und Mitarbeiter zu Markenbotschaftern zu machen (Kernstock 2009). Dafür müssen die interaktiv zu vermittelnden Markenwerte eindeutig definiert und den Mitarbeitern bekannt sein. Die Mitarbeiter in Vertrieb und Kundendienst müssen die Markenwerte darüber hinaus verinnerlicht haben, sich mit ihnen einverstanden fühlen und auch fähig sein, sie den Zielgruppen zu vermitteln. Das Marken-Commitment der Mitarbeiter wird zum zentralen Wertschöpfungstreiber (Esch et al. 2014). Dabei fungiert die Markenidentität als Richtungsanzeiger für das Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeiter im Kundenkontakt (Esch 2009). Voraussetzung ist jedoch der Aufbau von Markenwissen bei den Mitarbeitern durch interne Kommunikation (Esch et al. 2009). Behavioral Branding durch interne Kommunikation schafft die notwendigen Voraussetzungen für die externe Kommunikation, und zwar online wie offline.

Interne Kommunikation stellt eine markenkonforme persönliche Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager sicher und liefert gleichzeitig das Fundament für situative und kundenindividuelle Aktivitäten in Verkauf und Kundendienst. Beide Funktionen sind Bestandteile des Kommunikationsmix und müssen mit den anderen Kommunikationskanälen kombiniert und integrativ gesteuert werden. Die Integration von persönlicher Interaktion, digitaler Kommunikation und strategischer Markenführung führt zum Konzept der interaktiven Markenführung. Dafür müssen Vertrieb und Internet als Instrumente der Markenführung systematisch in ein Gesamtkonzept integriert werden, um die Leistungspotenziale im Rahmen einer Wettbewerbsstrategie der „Beziehungsführerschaft , d. h. des Angebots der „besten“ Customer Journey, zu erschließen.

Interaktive Markenführung lässt sich definieren als der Managementprozess der Planung, Implementierung und Kontrolle beziehungsgestaltender Interaktionsprozesse mit aktuellen und potenziellen Kunden eines Unternehmens mit dem Ziel, ein identitätskonformes und differenzierendes Image in den Köpfen der relevanten Zielgruppen zu verankern, welches zu Präferenzen führt (Binckebanck 2006).

Im Rahmen der interaktiven Markenführung sollen Mitarbeiter auf das Leistungsversprechen der Anbietermarke ausgerichtet werden (Internal Branding), damit sie dies im Folgenden im Kundenverhalten transportieren können (Behavioral Branding). Ziel der internen Kommunikation ist es demnach, die Marke in Denken und Fühlen der Mitarbeiter in Vertrieb und Kundendienst zu verankern, Identifikation und Commitment zu erzeugen und durch resultierendes Handeln eine nachhaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Total Customer Experience zu schaffen (Esch et al. 2014).

Vertrieb und Internet zeichnen sich jeweils durch ihre Interaktivität aus und werden in der klassischen Markenführung traditionell untergewichtet. Strategische Wettbewerbsvorteile ergeben sich also, wenn beide Interaktionsplattformen im Rahmen der Markenführung systematisch integriert werden. Ein neues Paradigma der Markenführung ist gefragt. Gleichwohl gilt für die Markenführung, wie auch für alle anderen betriebswirtschaftlichen Entscheidungstatbestände, dass hinsichtlich der Erfolgswirkung eine systematische Kontrolle stattfinden muss. Dieser Aspekt wird nachfolgend diskutiert.

4.3.9 Erfolgsmessung und Optimierung

Die zielgerichtete Optimierung und Integration der einzelnen Maßnahmen im Bereich E-Marketing Communications erfordert die systematische Quantifizierung der Kommunikationsprozesse und -ergebnisse.

Im Online-Marketing-Controlling geht es um die Erfolgskontrolle aller Aktivitäten und Maßnahmen der E-Marketing Communications. Web Analytics (oder auch: Web-Controlling, Traffic-Analyse, Clickstream-Analyse) hingegen fokussiert als Unterform eines umfassenderen Online-Marketing-Controllings rein auf die Sammlung und Auswertung des Verhaltens von Besuchern auf Websites (Lammenett 2012; Strauß 2013).

Web-Analytics-Verfahren werden vor allem zur Optimierung der Website im Hinblick auf vorab definierte Zielsetzungen (etwa Häufigkeit von Besuchen, Vermehrung von Seitenaufrufen, Bestellungen oder Newsletter-Abonnements) und zur Beurteilung der Wirksamkeit einzelner Werbemittel (z. B. Banner) auf operativer Ebene eingesetzt (Strauß 2013).

Das Online-Marketing-Controlling setzt dagegen auf der strategischen Marketingplanung auf und umfasst vielfältige Informationen über die Effizienz und Effektivität der durchgeführten Programme und Aktivitäten (Strauß 2008). Die Hauptaufgaben bestehen entsprechend in der Informationsversorgung entlang des gesamten Planungsprozesses und in der abschließenden Kontrolle aller Maßnahmen im Sinne einer „Feedback-Schleife“ (Farris et al. 2007). Innerhalb eines Lernzyklus sollten Erfolge, aber auch Misserfolge systematisch nachverfolgt und transparent gemacht werden und wiederum für weitere Aktivitäten bzw. Planungen zur Verfügung stehen. Dabei stellt der Einsatz des Gegenstromverfahrens im Rahmen der Planung eine hohe Konsistenz der Planungsinhalte sicher (analog zum Top-down-Ansatz), bei gleichzeitiger Realitätsnähe und Akzeptanz der Planung durch die jeweils betroffenen einzelnen Fachbereiche (analog zum Bottom-up-Ansatz). Ein Nachteil liegt allerdings in einem höheren Planungsaufwand – insbesondere wenn die Planung und die vorgesehenen Online-Aktivitäten sehr detailliert sind (Strauß 2013).

Hinsichtlich der Bezugsobjekte ist zu differenzieren zwischen (Farris et al. 2007; Strauß 2013):

  • Einzelnen Marketingaktivitäten, etwa Erreichung einer bestimmten Anzahl von „Leads“ oder Kosten einer Targeting-Kampagne;

  • Akteuren im Marketing- und Vertriebsbereich, etwa Zufriedenheit der Kunden oder Anzahl akquirierter Neukunden; und

  • Absatzobjekten, etwa Höhe der Loyalität (operationalisiert beispielsweise durch Weiterempfehlungsbereitschaft, Anzahl der „Likes“) oder Profitabilität eines bestimmten Kundensegments.

Aus Vertriebssicht ist eine quantitative und transparente Erfolgsmessung kein Neuland. Neben der Führung der Mitarbeiter durch Zahlenvorgaben, wie Besuchshäufigkeiten, Umsatz- und Absatzziele, Kundenwerte etc., basiert das Entlohnungssystem für Vertriebsmitarbeiter, viel stärker als dies etwa im Marketing üblich ist, auf der Erfüllung von quantifizierten Marktzielen. Ein Hauptgrund für die geringe Bedeutung des Marketings in vielen Unternehmen ist die fehlende Zahlenorientierung und der damit fehlende quantitative Nachweis über den Beitrag des gesamten Marketing-Mix oder einzelner Marketingmaßnahmen zum Unternehmenserfolg. Seit Langem wird in der Marketingwissenschaft und -praxis daher eine verstärkte Messbarkeit des Marketings gefordert (Doyle 2008; Farris et al. 2009; Srivastava et al. 1998). Allerdings zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass das Marketing im Bereich der Marketing-Metrics oder des Marketingcontrollings noch Schwachstellen aufweist. In diesem Feld kann das Marketing sowohl die „zahlenorientierte“ Kultur als auch die Konstruktion und Nutzung von konkreten Kennzahlen vom Verkauf lernen (Baumgarth und Binckebanck 2011a).

4.4 E-Content-Management als digitaler Erfolgsfaktor

E-Geschäftsmodelle haben gezeigt, wie neue Technologien zur Schaffung von strategischen Wettbewerbsvorteilen genutzt werden können. Ein wesentlicher Nutzen liegt dabei in innovativen Möglichkeiten zur Interaktion mit Kunden. Dies wiederum setzt die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Inhalte durch ein systematisches Content-Management voraus.

Im Gegensatz zu den bislang dargestellten Instrumenten aus dem Bereich E-Marketing Communications stellt Content als digitaler Erfolgsfaktor nicht die positive Selbstdarstellung in den Mittelpunkt, sondern das Angebot nützlicher Informationen, weiterführenden Wissens oder relevanter Unterhaltung für Interessenten bzw. Kunden über die jeweils individuell adäquaten Kommunikationskanäle (Strauß 2013). Marken und Leistungsangebote werden vom Gegenstand werblicher Inszenierung als Corporate Brand Stor ies zu Plattformen für narrative Inhalte. Die gleichwohl auch weiterhin gegebene vertriebliche Absicht steht nicht mehr offensiv im Vordergrund, sondern das Interesse der Zielgruppen soll durch Erzählung, Beratung, Information oder Unterhaltung geweckt werden (Lehning et al. 2015). „Im Fokus steht die Positionierung und Profilierung des Inhaltsproduzenten als Experten, Berater und Entertainer, der Kompetenzen, Know-how und Wertversprechen durch den Inhalt demonstriert, anstatt diese nur zu behaupten“ (Strauß 2013, S. 269).

E-Content-Marketing soll vorab definierte Zielgruppen durch kanalübergreifende sowie informierende, beratende und unterhaltende Inhalte (und deren Mehrwert) profilbasiert und individualisiert ansprechen, um sie vom jeweiligen Leistungsangebot zu überzeugen und sie als Kunden zu gewinnen oder zu halten (Lieb 2011; Lehning et al. 2015; Pulizzi 2013; Strauß 2013).

Während bei klassischen Kommunikationsinstrumenten Inhalte dem Interessenten vornehmlich im „Push“-Verfahren angetragen werden (Outbound-Marketing), steht im Content-Marketing die „Pull“-Wirkung im Fokus (Inbound-Marketing ), d. h. die Aktivierung durch ein höheres medien- und inhaltsspezifisches Involvement (Belz 2007; Pendleton et al. 2012; Strauß 2013). Dabei werden Inhalte mithilfe des Content Marketing Cycle geplant wie Kampagnen. Ausgangspunkt ist eine Analyse und Evaluierung der Zielgruppe hinsichtlich vorliegender Bedürfnisse und Kanalpräferenzen. Auf dieser Basis folgt die Erarbeitung einer Content-Strategie, die perspektivisch festlegt, welche konkreten Inhalte als relevant erachtet werden und wie Kennzahlen zur Erfolgsmessung und Redaktionsplanung aussehen. Mit der Umsetzung werden dann Technik und Kreation beauftragt. Die Platzierung der Inhalte in den verschiedenen Kanälen der E-Marketing Communications an den relevanten Touchpoints („transmediales Erzählen “, vgl. Jefferson und Tanton 2013) erhöht die situative Relevanz und damit den Erfolg, z. B. im Suchmaschinenranking oder in der Wahrnehmung in der Zielgruppe dank der Weiterempfehlung anderer Nutzer. Schließlich folgen die Messung, Analyse und Optimierung (Lehning et al. 2015).

Zentraler Erfolgsfaktor des Content-Marketings ist die Kombination aus einem hohen Content-Fit für die Zielgruppe in Kombination mit Kreativität in der Umsetzung in unterschiedlichen Kommunikationskanälen. Hinsichtlich der Kreativität lassen sich die folgenden Beurteilungskriterien identifizieren (Strauß 2008):

  • Originalität: Ist der Content neu, originell und innovativ? Durchbricht er gängige Normen der Marketingkommunikation und überrascht?

  • Klarheit: Ist der Content leicht erfassbar und wird er sofort begriffen?

  • Überzeugungskraft: Werden die Argumente für die Unternehmensleistung glaubwürdig und überzeugend wiedergegeben? Ist die Botschaft in sich schlüssig?

  • Machart: Ist der Content handwerklich gelungen? Stimmen die einzelnen Inhalte und bilden sie ein homogenes Ganzes?

  • „Want-to-see-again “-Faktor: Macht es der Zielgruppe Spaß, den Content anzusehen? Hat er Unterhaltungswert? Möchte man ihn gerne nochmals sehen?

Der Content-Fit lässt sich dagegen anhand von Kriterien bewerten, wie (Strauß 2013):

  • Relevanz: Ist der Content für die jeweilige Zielgruppe und Botschaft relevant? Passt er zur Unternehmensstrategie sowie zur Leistung bzw. Marke des Anbieterunternehmens?

  • Differenzierung: Hebt der Content das Leistungsangebot des Anbieterunternehmens vom Wettbewerb ab?

  • Konsistenz: Passt der Content zur sonstigen Marketing- und Markenkommunikation?

  • Glaubwürdigkeit: Wirken die Argumente glaubwürdig? Wird die Leistung bzw. die Marke das enthaltene Nutzenversprechen nachweislich einhalten können?

  • Aktivierungswirkung: Wird die Zielgruppe durch den Content zum Kauf motiviert?

Technologische Basis für das Content-Marketing als Wettbewerbsvorteil ist ein integriertes E-Content-Management.

Content-Management-Systeme (CMS) unterstützen bei der Erzeugung, Bearbeitung, Verwaltung und Publikation von multimedialen Inhalten im Internet (Lehning et al. 2015). E-Content-Management fokussiert sich auf die vielfältigen elektronischen Dateien im Internet und erfordert die Sicherstellung sowohl der Qualität als auch Aktualität der dabei verarbeiteten Inhalte (Koop et al. 2001).

Ein Content-Management-System dient demnach grundsätzlich der systematischen Erstellung, Verarbeitung und Veredelung von strukturierten Inhalten und Datentypen aller Art in einem einzigen, logisch fein granulierten medien- und formatneutralen Bestand (Rothfuss und Ried 2001). Diese Systeme unterstützen darüber hinaus unterschiedliche Benutzergruppen sowie (Halvorson und Rach 2012; Strauß 2013):

  • Workflow-Prozess e zur Erstellung (Authoring), Qualitätssicherung und Versionsverwaltung der dargestellten Inhalte;

  • die systematische Verwaltung unterschiedlicher Rechte an erstellten Inhalten (Rechteverwaltung );

  • einfache Integrationsmöglichkeiten neuer Inhalte;

  • automatische Erstellungsprozesse etwa für personalisierte Websites;

  • Cross-Publishing (Mehrfachverwertung prinzipiell gleicher Inhalte) über mehrere unterschiedliche Kommunikations- und Vertriebskanäle; und

  • die automatische Überwachung von Verfall- und Archivierungsdaten.

Zielsetzungen eines Content-Managements sind die Konsistenz, Aktualität, Zuverlässigkeit sowie leichte Erschließbarkeit (relevanter) Inhalte für den Nutzer. Mit Asset-Management-Systemen oder medienneutralen Datenbanken werden meist Datenhaltungssysteme beschrieben, die neben strukturiertem Text vielfältige Medientypen, wie Bilder oder Multimedia-Inhalte, umfassen. Im unternehmensinternen Einsatz können solche Systeme im Rahmen eines Knowledge-Managements als „Wissensplattform“ die Aggregation und Präsentation von Wissen unterstützen. Erfolgt der Einsatz entlang der gesamten Content-Wertschöpfungskette, so werden sie als Publishing-System e bezeichnet (Strauß 2013).

In der Praxis erweist sich die qualitative und quantitative Generierung von Inhalten meist als größtes Problem bei der Umsetzung von Content-Marketing. Viele KMUs haben für die regelmäßige, kanalübergreifende Bereitstellung von relevantem Content entweder nicht genug Themen oder unzureichende Ressourcen oder beides. Daher finden sich immer häufiger Content-Kooperation en. Als externe Inhaltsanbieter kommen vor allem Druck- und Verlagshäuser in Frage, ebenso wie Social Media und Content-Syndikator en. Letztere aggregieren und bündeln als Infomediäre Inhalte unterschiedlicher Inhaltsanbieter (Originatoren) und verkaufen diese Inhalte dann an Unternehmen weiter (Werbach 2000). Allerdings können derartige Inhalte nicht beliebig für unternehmensspezifische Kommunikationszwecke übernommen werden (Halvorson und Rach 2012).

Aus Vertriebssicht liefern Content-Marketing und -Management eine strategisch bedeutsame Gelegenheit für einen Schulterschluss mit dem Marketing (Schnittstellenmanagement). Denn während die kreativen Aspekte des Content-Marketings in den Kompetenzbereich der Marketingabteilung oder externer Dienstleister fallen und ein CMS wohl eher eine Aufgabe für die IT-Funktion darstellt, kann die Erfolgsdimension Content-Fit in besonderer Weise vertrieblich genutzt werden. Neben der unmittelbaren Verkaufsunterstützung (z. B. Lead-Generierung) bieten sich hier vielfältige Möglichkeiten, den Vertrieb als Kernkompetenz eines Unternehmens zu positionieren. Der Vertrieb kann die situative Relevanz von Content aus Kundensicht häufig besser beurteilen, als dies im Marketing verwendete Algorithmen vermögen. Darüber hinaus sind vertriebliches Know-how, Interaktionen im Verkaufsprozess sowie Success Stories bei Kunden hervorragende Quellen für die Generierung von qualitativ hochwertigem Content. Der Vertrieb ist damit ein in der Diskussion um externe Content-Kooperationen häufig übersehener Content-Kanal . Gleichzeitig ist die resultierende Positionierung des Vertriebs potenzieller Erfolgsbeitrag zur Vertriebsstrategie.

4.5 Zusammenfassung

Der Vertrieb ist in vielen Unternehmen eine Kernkompetenz. Im Rahmen der Vertriebsstrategie ist zu überlegen, wie vertriebliche Kompetenzen in Wettbewerbsvorteile übersetzt werden können, die imstande sind, zur Differenzierung und Positionierung der Leistungsangebote eines Unternehmens beizutragen. Neue Technologien können hierbei zentrale Impulse und auch innovative Ansatzpunkte liefern. So kann die erfolgreiche Digitalisierung im Vertrieb selbst zum Wettbewerbsvorteil werden.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Beitrag des Vertriebs zu innovativen E-Geschäftsmodellen auf der Basis neuer Technologien. So zeigt das B2C-Geschäftsmodell „Content“ Potenziale für die Externalisierung des Vertriebswissens durch neue Technologien auf, durch welche die immaterielle Kernkompetenz des Vertriebs effektiver zur Differenzierung im Wettbewerb genutzt werden kann. Das B2C-Geschäftsmodell „Commerce“ liefert Ansatzpunkte, wie der persönliche Verkauf von Kernleistungen durch neue Technologien um weitere kundenrelevante Angebote ergänzt werden kann, nämlich durch die IT-unterstützte Integration von Klasse (durch persönliche Kundeninteraktion im Kerngeschäft) und Masse (durch den Long-Tail-Effekt) im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie. Im B2C-Geschäftsmodell „Context“ werden Ansätze entwickelt, wie die Präsenz der Unternehmensangebote und der verfügbaren Vertriebskanäle im unüberschaubaren Internet durch neue Technologien verbessert werden und zur Positionierung des Vertriebs als unternehmerische Kernkompetenz beitragen kann. Das B2C-Geschäftsmodell „Connection“ zeigt schließlich, wie die Kunden eines Unternehmens systematisch in eine Netzwerkstruktur (Customer Communities) und damit in ein systematisches Referenzmarketing sowie in Prozesse der Value Co-Creation eingebunden werden können.

Für den B2B-Bereich illustriert das Geschäftsmodell „Sourcing“ den zunehmenden Stellenwert der IT in kundenseitigen Beschaffungsprozessen und damit die Notwendigkeit für den Vertrieb, sich in Procurement-Systeme zu integrieren, ebenso wie die hiermit verbundene Chance zur Profilierung innerhalb des Lieferantennetzwerks der Kunden. Spiegelbildlich zeigt das B2B-Geschäftsmodell „Sales“, dass der Vertrieb seine Kernkompetenzen systematisch und ganzheitlich an der aggregierten Wertschöpfungskette entwickeln und ausrichten muss. Darüber hinaus liefert das B2B-Geschäftsmodell „Supportive Collaboration“ Hinweise zur Ausschöpfung von Synergieeffekten mit Wettbewerbern im Rahmen einer Kooperationsstrategie. Schließlich zeigt das B2B-Geschäftsmodell „Service Brokerage“ auf, wie Service Broker im Bereich E-Information zur verbesserten informatorischen Fundierung strategischer Entscheidungen beitragen können, während E-Marketplaces einen potenziellen Vertriebskanal darstellen, der im Rahmen einer integrierten Multi-Channel-Strategie Berücksichtigung finden sollte.

Als ein wesentliches Grundmuster der E-Geschäftsmodelle kristallisiert sich die Möglichkeit zur innovativen Interaktion mit Kunden heraus. Diese muss aus strategischer Sicht aber eingebunden sein in ein umfassendes Konzept der integrierten Kommunikation. Dabei lassen sich internetgestützte Kommunikationsinstrumente unter dem Begriff E-Marketing Communications zusammenfassen.

Ein differenziertes Online-Angebot liefert bei kundenrelevanten Angebotsmerkmalen eine bessere Leistung als Wettbewerber. Wesentliche Ansatzpunkte hierzu sind redaktionelle Inhalte, bedienungsfreundliche Gestaltung und Community-Funktionalitäten. Gleichwohl ist die Bekanntheit der Web-Präsenz notwendige Erfolgsvoraussetzung. Hier muss das traditionelle Online-Marketing ansetzen. Vielfältige Interdependenzen zwischen Vertrieb und den Instrumenten des Online-Marketings erfordern hier einen integrativen Ansatz und damit die Überwindung herkömmlicher funktionaler Zuständigkeiten. Analoges gilt für Suchmaschinenmarketing: Vertriebsaktivitäten sind immer auch Input für die Suchmaschinen, die umgekehrt aber gleichzeitig vertriebsrelevanten Output liefern, nämlich insbesondere Leads, aber auch Ansatzpunkte zum Beziehungsmanagement mit bestehenden Kunden.

Video- und Multimedia-Marketing verändern den Fokus in der Online-Kommunikation weg von statischen Kombinationen von Text und Bild hin zu Videos und integrierter Multimedialität. Für den Vertrieb entstehen daraus Potenziale für innovative Vertriebsunterstützung, die Visualisierung der Vertriebskompetenz sowie Demonstrations- und Schulungszwecke. Soziale Netzwerke sind eine wichtige Plattform für den Austausch multimedialer Inhalte. Dadurch entstehen innovative Möglichkeiten zur Kundeninteraktion durch Social-Media-Marketing. Vertriebsstrategisch stehen hierbei Owned Media im Mittelpunkt des Interesses, durch die vertriebliche Aktivitäten digital erfahrbar werden. Über resultierende Earned Media können dann sehr kostengünstig virale Word-of-Mouth-Effekte realisiert werden. Darüber hinaus bestehen Synergieeffekte mit der Kundenbeziehungsstrategie, da relevante Informationen über Akteure auf Kunden- und Anbieterseite aus sozialen Netzwerken quantitativ und qualitativ besser genutzt und in ein strategisches Customer-Relationship-Management integriert werden können. Als weitere wesentliche Plattform zur Kundenkommunikation haben sich mobile Endgeräte entwickelt. Im Rahmen von Mobile Marketing ergeben sich für den indirekten Vertrieb über den Handel indoor und outdoor innovative Möglichkeiten der Kundenansprache. Für den persönlichen Verkauf eröffnet insbesondere Augmented Reality eine neue Dimension der Verkaufsunterstützung.

Targeting bietet als Instrument des One-to-One-Marketings die Möglichkeit zur Ermittlung von Kundenprofilen und zur effizienten Auslieferung von Unternehmensbotschaften. Für die Vertriebsstrategie liefert der Customer-Journey-Ansatz grundsätzlich einen zielführenden Bezugsrahmen für ein ganzheitliches Kundenverständnis. Allerdings müssen hierfür Markenführung, Vertrieb und Kommunikation integriert betrachtet und in eine entsprechende Strategiekonzeption überführt werden. Eine ganzheitliche und kanalübergreifende Markenführung unter Einbindung des Internets führt zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen, wenn sich die zugrunde gelegten Markenwerte in jedweder Kundeninteraktion widerspiegeln. Verkaufsmitarbeiter und Kundendienst leisten mit ihrem Verhalten im Kundenkontakt als Customer Touchpoint einen wesentlichen Beitrag zur Positionierung des Anbieterunternehmens. Die Integration von persönlicher Interaktion, digitaler Kommunikation und strategischer Markenführung führt zum Konzept der interaktiven Markenführung. Dafür müssen Vertrieb und Internet als Instrumente der Markenführung systematisch in ein Gesamtkonzept integriert werden, um die Leistungspotenziale im Rahmen einer Wettbewerbsstrategie der „Beziehungsführerschaft“, d. h. des Angebots der „besten“ Customer Journey, zu erschließen. Hierfür ist eine ganzheitliche Erfolgsmessung und Optimierung unter systematischer Nutzung von Online-Marketing-Controlling und Web Analytics zentrale Voraussetzung. Aus Sicht der Vertriebsstrategie ist dabei die Verknüpfung der vertrieblichen Controlling-Systeme mit denen des (Online-)Marketings zielführend.

Nahezu alle Instrumente der E-Marketing Communications benötigen qualitativ hochwertige Inhalte, die durch ein Content-Management generiert und bereitgestellt werden müssen. Der Vertrieb ist hierbei ein potenzieller Content-Kanal, der in der Praxis aber sehr häufig zugunsten generischer Inhalte von externen Content-Providern übersehen wird. Neben der Verkaufsunterstützung bieten sich durch Content-Marketing vielfältige Möglichkeiten, den Vertrieb als Kernkompetenz eines Unternehmens zu positionieren.

Insgesamt erscheint die Definition von Wettbewerbsvorteilen als wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Digitalisierung im Vertrieb. Neue Technologien ermöglichen erweiterte Interaktionsmöglichkeiten mit den Kunden des Unternehmens und dadurch innovative Geschäftsmodelle. Der Vertrieb befindet sich dabei aufgrund seiner Rolle als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Markt in der Pole Position und kann, wie keine andere Unternehmensfunktion, strategische Wettbewerbsvorteile generieren.

Neue Technologien bieten ebenso neue Möglichkeiten, den Vertrieb kommunikativ als Kernkompetenz zu positionieren. Dabei liefert der Vertrieb gleichzeitig den notwendigen Content. Die Notwendigkeit eines funktionsübergreifenden Content-Managements illustriert den Stellenwert einer integrierten Kommunikation. Die Marke bietet sich vor diesem Hintergrund als Bezugsrahmen und die interaktive Markenführung als Integrationsmechanismus an. Die Macht digitaler Kommunikation entfaltet sich im Internet nur, wenn Unternehmen zuvor intern die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen. Es ist deutlich geworden, dass der Vertrieb hierbei eine zentrale Rolle zu spielen hat.

Den strategischen Überlegungen zur Definition von Wettbewerbsvorteilen sollten wieder die folgenden Leitlinien zugrunde gelegt werden:

  • Integrierte Betrachtung : Die aktuelle Diskussion über neue Technologien im Vertrieb ist nicht nur hypegetrieben, sondern auch noch unzulässig fragmentiert. Zu häufig geht es partikular um Social Media oder Mobile Marketing oder Targeting. Ständig neue Instrumente mit Marketingpotenzial im Internet entfalten Zentrifugalkräfte, die den Kerngedanken von Marketing und Vertrieb zunehmend in den Hintergrund drängen. Entscheidungsträger erscheinen häufig gleichsam wie im Hamsterrad: Sie jagen immer schneller jedem Trend hinterher und drehen sich doch nur im Kreis. Die Orientierung an langfristigen Strategien und Markenpositionierungen kann helfen, die vielen Versatzstücke der Digitalisierung im Vertrieb wieder zu integrieren und so ihr volles Potenzial auszuschöpfen.

  • Kombination von Kernkompetenzen und innovativen Anwendungen: Wenn der Vertrieb eine Kernkompetenz im Unternehmen ist, so lässt sich diese durch neue Technologien sehr viel besser nutzen. Im indirekten Vertrieb entstehen neue Vertriebskanäle und damit neue Absatzpotenziale. Im direkten Vertrieb kann das implizite Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter über den Markt, die Kunden und die Anwendungsfelder der Unternehmensleistungen sichtbar gemacht und skaliert werden.

  • Orientierung am Kundennutzen (Effektivität ): Letztlich entscheiden die Kunden über den Erfolg neuer Technologien im Vertrieb. Insbesondere die Diskussion um das Targeting offenbart ein zuweilen problematisches Kundenverständnis im Marketing. Ausgangspunkt strategischer Überlegungen sollten daher nicht Medien und Technologien sein, sondern ein Geschäftsmodell, das Kundennutzen schafft und sich dabei neuer Technologien bedient. Zwar schaffen neue Technologien auch die Basis für neue Geschäftsmodelle, aber während Erstere IT-getrieben sind, fokussieren Letztere auf die ultimative Instanz im Markt, den Kunden.

  • Betriebswirtschaftliche Ergebnisorientierung (Effizienz ): Ein wesentlicher Treiber des Hypes um die Digitalisierung ist die Idee des Performance-Marketings. Immer schon war mangelnde Messbarkeit von Marketingaktivitäten und damit einhergehend ein problematischer Erfolgsnachweis ein Problem für die Marketingdisziplin im Vergleich zu anderen Unternehmensfunktionen. So sind etwa im Vertrieb Ergebnistransparenz und erfolgsabhängige Entlohnung zumeist selbstverständlich. Allerdings weiß jeder Praktiker im Vertrieb auch, dass es im Umgang mit Kunden auch qualitative, psychologische und wirtschaftssoziale Phänomene gibt, die sich der Messbarkeit entziehen. Für das Performance-Marketing bedeutet dies zu konzedieren, dass sich eine komplexe Kundenbeziehung nicht in Datenbanken und Algorithmen pressen lässt. Die resultierende Schein-Effizienz neuer Technologien kann zu kontraproduktiven Entscheidungen und zu falschen Gewichtungen innerhalb der Vertriebsstrategie führen. Auch hier empfiehlt sich ein Denken in Geschäftsmodellen. Diese werden nämlich betriebswirtschaftlich nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht nur Kundennutzen stiften, sondern auch Zahlungsbereitschaft auf Kundenseite und damit entsprechende Erlöse bewirken. Die aktuelle Diskussion um Digitalisierung im Vertrieb leidet an einer Überbetonung von Effizienzaspekten (und einer Untergewichtung der Effektivität) neuer Technologien.

Abbildung 5 fasst die Überlegungen zu den digitalen Erfolgsfaktoren bei der Definition von Wettbewerbsvorteilen zusammen.

Abb. 5
figure 5

Digitale Erfolgsfaktoren bei der Definition von Wettbewerbsvorteilen

5 Digitale Kundenbeziehungsstrategie

Die dritte vertriebliche Strategiedimension ist die Kundenbeziehung. Zunächst soll der hiermit bezeichnete Entscheidungstatbestand skizziert werden. Sodann werden mit E-CRM und Total-Customer-Experience-Management zwei wesentliche digitale Erfolgsfaktoren dargestellt.

5.1 Kundenbeziehungsstrategie als vertriebsstrategische Grundsatzentscheidung

„The name of the game today for sales organizations is the development of long-term relationships with customers“ (Johnston und Marshall 2013, S. 89). Dahinter verbirgt sich ein Paradigmenwechsel vom Transaktions- zum Beziehungsmarketing (Berry 1983; Grönroos 1994; vgl. Homburg und Bruhn 2010). Danach werden Aufbau, Pflege und Gestaltung von langfristigen und für den Anbieter profitablen Geschäftsbeziehungen zur Kernaufgabe des Marketings. Die Marketinginstrumente sind daher an den verschiedenen Phasen der Geschäftsbeziehung auszurichten, um diese im Sinne der Anbieterziele optimal auszugestalten. Unter einer Geschäftsbeziehung ist ein von ökonomischen Zielen geleiteter Interaktionsprozess zwischen dem Anbieter und seinen Kunden zu verstehen (Homburg 2015).

In der Praxis wird in diesem Zusammenhang häufig der Begriff Customer-Relationship-Management (CRM) verwendet. Allerdings ist damit gleichzeitig häufig eine Überbetonung von informationstechnologischen Aspekten verbunden, die zu sehr in Datenbanken und zu wenig in zwischenmenschlichen Interaktionskategorien denkt (Finnegan und Currie 2010). CRM ist in der Praxis häufig lediglich eine „Worthülse“ (Homburg et al. 2010, S. 249) und bezeichnet zumeist eine Technologie zur Umsetzung einer Kundenbeziehungsstrategie (Ahearne et al. 2012). Angesichts einer Erfolgsquote bei der CRM-Implementierung von gerade einmal 20 % (Bush et al. 2005) ist zu diagnostizieren, dass die Vertriebsleitung ihre operativen Vorgaben zu häufig, zu einseitig und zu restriktiv auf der Basis von Daten und Analysen aus CRM-Systemen formuliert und die Freiheitsgrade der Verkaufsmitarbeiter hinsichtlich Kundenkontaktfrequenz und Gesprächsinhalten übermäßig einschränkt (Ahearne et al. 2012).

Für die Führungskraft im Vertrieb kommt es eher darauf an, die operative Notwendigkeit von kundenindividuellen Schwerpunkten der Vertriebsarbeit, die sich aus Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung ergeben hat, mit der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung zu verbinden, die aus der Definition der Wettbewerbsvorteile abgeleitet worden ist (vgl. hierzu und im Folgenden Binckebanck 2013a). Dabei ist abzuwägen zwischen den Anforderungen der Kunden, die zunehmend eine individuelle Betreuung fordern, und den daraus entstehenden Kosten zur Bearbeitung und Bedienung dieser Kunden (vgl. Backhaus et al. 2011). Folgende Aspekte sollten hierbei Beachtung finden:

  • Primat der Effektivität : Aus Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte für ein weitgehend kundenindividuelles Beziehungsmanagement. Diese vom Kunden her abgeleitete Outside-in-Perspektive verspricht durch klassisches Pull-Marketing eine hohe Effektivität, ist aber andererseits mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden. Die Marketinginstrumente lassen sich an den 3R (Recruitment, Retention, Recovery) ausrichten, also Kundenakquisition mit Fokus Kundendialog, Kundenbindung mit Fokus Kundenzufriedenheit und Kundenrückgewinnung mit Fokus Wechselbarrieren (vgl. Bruhn 2014). Die Geschäftsbeziehungen werden primär unter Anwendung des Interaktionsparadigmas gestaltet und stark durch Personenpräferenzen geprägt.

  • Primat der Effizienz : Auf der Basis der Definition von Wettbewerbsvorteilen ist das Beziehungsmanagement stärker strategiegeleitet und damit eher standardisiert zu gestalten. Diese Inside-out-Perspektive verspricht durch klassisches Push-Marketing eine hohe Effizienz und ist auf die Wirtschaftlichkeit der Transaktionen fokussiert. Die Marketinginstrumente lassen sich an den traditionellen 4P (Product, Price, Promotion, Place) ausrichten (vgl. McCarthy 1960). Die Geschäftsbeziehungen werden tendenziell unter IT- und Rationalisierungsaspekten gesehen und umfassen Ansätze des CRM und des Computer Aided Selling (CAS, vgl. Homburg et al. 2010).

Grundsätzlich streben beide Ansätze des Beziehungsmanagements auch einen langfristigen Mehrwert für den Kunden an. Aus strategischer Sicht stellt sich die Frage, ob, für welche Kunden und in welcher Intensität Kundenbindung betrieben werden soll (Backhaus et al. 2011). Kundenbindung ist ein Prozess, bei dem auf systematische Weise die Geschäftsbeziehung zu Kunden langfristig aufrechterhalten werden soll (Krafft 2007). In Abhängigkeit von der Umsetzung ist dieser Prozess mit Kosten und Investitionen verbunden. Für den Anbieter steigen mit zunehmender Intensität der Kundenbindung auch die damit verbundenen Kosten überproportional (Backhaus et al. 2011). Demnach besteht eine zentrale Herausforderung darin, ein optimales Verhältnis von Nutzen der Kundenbindung zu den damit verbunden Kundenbindungskosten herzustellen.

Es ist davon auszugehen, dass Kundenbindung den Erfolg eines Unternehmens positiv beeinflusst, wobei zwei aufeinander aufbauende Erfolgsgrößen unterschieden werden können (Homburg et al. 2010):

  • Beziehungserfolg: Kundenbindung fördert Vertrauen in Geschäftsbeziehungen und erhöht die Kundenloyalität. Loyale Kunden sind toleranter bei Fehlern des Anbieters, kommunizieren offener und empfehlen aktiv weiter.

  • Wirtschaftlicher Erfolg: Als Resultat des Beziehungserfolgs ergibt sich eine Absatzsteigerung durch intensivere Produktnutzung, Reduktion alternativer Beschaffungsquellen und Cross-Buying. Auch weisen gebundene Kunden eine höhere Preisbereitschaft und eine geringere Preissensitivität auf. Schließlich sinken im Lauf der Geschäftsbeziehung die Kosten der Kundenbetreuung.

In der Praxis werden die Kundenbeziehungen häufig nur sehr undifferenziert betrachtet, sodass auch entsprechende Maßnahmen häufig wenig zielgenau und ergiebig eingesetzt werden können (Backhaus et al. 2011). Vor diesem Hintergrund identifizieren Ingram et al. (2009) konzeptionell vier grundsätzliche Kundenbeziehungsstrategien :

  • Transaktionsorientiert: Im Mittelpunkt dieser Kundenbeziehungsstrategie steht der reine Abverkauf der (standardisierten) Leistungen. Da sich die Kundenbeziehung auf die Anbahnung und Abwicklung von Transaktionen reduziert, kann eine hohe Anzahl Kunden bei niedrigen Kosten effizient betreut werden.

  • Lösungsorientiert: Bei dieser Form der Kundenbeziehungsstrategie werden Kundenprobleme individualisiert gelöst. Die Leistungen werden also an die jeweiligen Kundenbedürfnisse angepasst. Der Zeithorizont der Strategie ist länger, jedoch impliziert die gestiegene Intensität der Betreuung pro Kunde eine geringe Zahl von Kunden im Vergleich zur transaktionsorientierten Kundenbeziehungsstrategie.

  • Partnerschaftlich orientiert: Die Leistungen werden bei dieser Form der Kundenbeziehungsstrategie noch stärker an die Bedürfnisse der Kunden angepasst, was zu einer bevorzugten Lieferantenposition aus Kundensicht führt. Eine überschaubare Anzahl von Kunden wird so intensiv bedient.

  • Gemeinschaftlich orientiert: Diese Form der Kundenbeziehungsstrategie repräsentiert die engste Form der Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Kunde, in der gemeinsam hochspezialisierte Lösungen für spezifische Kundenprobleme entwickelt werden. Aufgrund der langfristig ausgerichteten Zusammenarbeit erfolgt eine starke Verzahnung der jeweiligen Wertschöpfungsprozesse. Aufgrund der hohen Kosten dieser Kundenbeziehungsstrategie kann nur eine kleine Anzahl von Kunden derart intensiv betreut werden.

Eine große Differenz zwischen Wissenschaft und Praxis besteht bei der Integration des Verkaufspersonals in die Betrachtung von Kundenbeziehungsstrategien. Während die zuvor dargestellten Überlegungen das Verkaufspersonal weitgehend ausklammern und die Strategien „personenneutral“ formulieren, machen Praktiker oft die Erfahrung, dass der Verkäufer selbst Dreh- und Angelpunkt der Kundenbeziehung sein kann. „Kundenbeziehungsmanagement wird zu einem wesentlichen Teil durch Vertriebsmitarbeiter im täglichen Kundenkontakt betrieben“ (Homburg et al. 2010, S. 249). Dieser Aspekt konnte in einer Studie von 200 Geschäftsbeziehungen im B2B-Geschäft empirisch gezeigt werden (Binckebanck 2006). Auf Basis einer Clusteranalyse lassen sich drei unterschiedliche Formen von Geschäftsbeziehungen identifizieren und charakterisieren (vgl. Binckebanck 2012):

  • In unternehmensorientierten Geschäftsbeziehungen spielen weder Verkäufer noch Win-win-Prinzip eine entscheidende Rolle. Solche Geschäftsbeziehungen entsprechen dem bereits dargestellten transaktionsorientierten Ansatz und sind demnach eher durch einen sachlichen Umgang miteinander geprägt. Zwar wird die Verfolgung einer langfristigen Zusammenarbeit durch den Anbieter vom Kunden durchaus geschätzt, jedoch nur unter Beachtung formaler Regeln. Dazu gehört ein ausgeprägtes Monitoring der gegenseitigen Rechte und Pflichten ebenso wie eine langfristige Planung mit der daraus resultierenden Berechenbarkeit. Die persönliche Interaktion der Unternehmensrepräsentanten ist eher sekundär. Interessant ist, dass eine solche Haltung zur Geschäftsbeziehung offenbar mit einer niedrigen Markenstärke des Lieferanten aus Kundensicht einhergeht. Vor dem Hintergrund der in der Studie gefundenen starken Einstellungs- und Verhaltenswirkung von Marken bedeutet dies, dass solche Geschäftsbeziehungen tendenziell instabil sind. Demnach kommt dem Vertrieb in solchen Fällen die Aufgabe zu, für emotionale Differenzierung zu sorgen. Es ergeben sich damit interessante Perspektiven für eine interaktive Markenführung, denn das Differenzierungspotenzial des Vertriebs stellt in solchen Geschäftsbeziehungen häufig „Neuland“ dar. Jedoch wird es auch Fälle geben, in denen das beschaffende Unternehmen solche Ansätze bewusst ablehnt. Relationale Ansätze wären ineffektiv und möglicherweise sogar negativ für die Kundenbeziehung (Homburg et al. 2011). In solchen Fällen ist der Einfluss des Vertriebs beschränkt, und es gilt, die Geschäftsbeziehung im Rahmen des bestehenden Leistungssystems abzusichern.

  • In beziehungsorientierten Geschäftsbeziehungen steht das Win-win-Prinzip stark im Mittelpunkt. Zur gegenseitigen Unterstützung auch in problematischen Phasen gehört durchaus auch, dass Informationen offen ausgetauscht werden und die künftige Entwicklung der Geschäftsbeziehung systematisch geplant angegangen wird. Dagegen spielen Machtfragen und Marketingimpulse eine eher schwache Rolle. Die eigentliche Leistung ist in solchen Fällen eher als Hygienefaktor zu sehen. Der Kunde hat eine positive Einstellung sowohl zum Lieferantenunternehmen als auch zu dessen Repräsentanten, ohne jedoch den Verkäufer zu sehr im Fokus zu haben. Das Ergebnis ist in diesen Fällen eine insgesamt mittlere Markenstärke des Anbieters aus Sicht des Kunden. Demnach ist eine konsistente Win-win-Orientierung beider Elemente, also des Lieferanten und seiner Verkäufer, erfolgstreibend. Für das Management der Geschäftsbeziehung bedeutet dies in diesem Fall, strategische Konsistenz zwischen den verschiedenen Unternehmensfunktionen sicherzustellen und insbesondere den Vertrieb hierbei zu integrieren.

  • In verkäuferorientierten Geschäftsbeziehungen steht die Verkäuferpersönlichkeit mit ihren Facetten Persönlichkeitsmerkmale, Sozial- und Fachkompetenz (Homburg et al. 2010) im Mittelpunkt. Dabei ist jedoch entscheidend, dass der Verkäufer die Bedürfnisse seiner Kunden optimal erfüllt, sich flexibel veränderten Rahmenbedingungen anpasst und Konflikte früh und systematisch entschärft. Insofern geht es hierbei nicht um „Verkäufergurus“, denen die Kunden vor Begeisterung blind folgen, sondern um solche Verkäufer, die ihre Qualitäten konsequent im Sinne des Kunden einsetzen. Dieser Prozess läuft jedoch offenkundig auf einer persönlich und emotional verbindlichen Basis ab. Das Ergebnis ist eine hohe Markenstärke des Anbieters aus Sicht des Kunden. Der Verkäufer erweist sich in dieser Art von Geschäftsbeziehungen als stärkster Markentreiber. Demnach ist es in diesem Fall die Aufgabe der Führung, den Erfolgsfaktor Vertrieb systematisch in die Kundenbeziehungsstrategie einzubinden.

Eine andere Perspektive auf die Kundenbeziehungsstrategie liefert das Relationship Modelling (Homburg et al. 2010). Dabei werden Zielsetzungen und Maßnahmen der Kundenbearbeitung anhand von Phasen der Geschäftsbeziehung ausgerichtet. Dahinter steckt die Überlegung, dass das Aktivitätsniveau im Vertrieb und die Profitabilität der Kundenbeziehung nach der Aufnahme der Geschäftsbeziehung typischerweise ansteigen, während der Geschäftsbeziehung ihr Maximum erreichen und zum Ende der Geschäftsbeziehung abfallen. Mithilfe von Indikatoren für den normalen Verlauf einer Geschäftsbeziehung und solchen für außergewöhnliche Entwicklungen innerhalb der Geschäftsbeziehung lassen sich darauf aufbauend Verkaufsprozesse modellieren, proaktive und reaktive Kundenkontaktpunkte modellieren und Erfolgskennziffern für die Messung der Beziehungsqualität definieren.

Aufgrund der mit den jeweiligen Strategieoptionen verbundenen Kosten müssen Kundenbindungsmaßnahmen fokussiert durchgeführt werden (Homburg et al. 2010). Ihr Einsatz ist vom Ergebnis der Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung abhängig und führt in der Praxis zu differenzierten Kundenbetreuungskonzepten, in denen Kunden und Kundengruppen etwa in Abhängigkeit von ihrem Wert unterschiedlich intensiv vom Vertrieb bearbeitet werden (Bradford et al. 2012; Ivens und Pardo 2008). Aus dieser Überlegung heraus entstehen beispielsweise Ansätze des Key-Account-Managements, des Kleinkundenmanagements oder des verkaufsaktiven Innendienstes. Wichtig ist dabei, dass diese Lösungen stets kompatibel sind mit den für den Vertrieb insgesamt definierten Wettbewerbsvorteilen.

Kundenbindungsinstrumente lassen sich grundsätzlich wie folgt systematisieren (Homburg et al. 2010):

  • Instrumente zur Schaffung bzw. Sicherung der Kundenzufriedenheit: z. B. Sicherung hoher Leistungsqualität, Beschwerdemanagement;

  • Value-Added-Service-Instrumente: z. B. Kundenzeitschriften/-clubs, 24-Stunden-Service bzw. -Hotlines, Garantien;

  • Instrumente zum Aufbau bzw. zur Festigung (persönlicher) Beziehungen: z. B. persönlicher Kontakt, Key-Account-Management, Virtual Communities, Kundenforen;

  • Instrumente zur Schaffung von (ökonomischen oder sozialen) Vorteilen für treue Kunden: z. B. Rabatte/Boni, Geschenke, Status („Gold“), Einladungen zu Events;

  • Instrumente zum Aufbau von Wechselbarrieren: z. B. vertragliche Bindung, technische Standards/Inkompatibilität.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Kundenbeziehungsstrategie sowohl operative Vertriebsaktivitäten zielführend steuern als auch im Erfolgsfall selbst zum strategischen Wettbewerbsvorteil werden kann. Dazu müssen aber konzeptionelle Fragen stärker gewichtet werden als IT-systemische. Außerdem ist die ökonomische Perspektive zentral: Nicht jeder Kunde darf aus Kostengründen als König behandelt werden. Die Effektivitätsperspektive (Zielgröße: Kundenzufriedenheit) ist zwingend mit einer Effizienzperspektive (Zielgröße: Kundendeckungsbeitrag) zu kombinieren. Die Kundenbindungsinstrumente sind vor diesem Hintergrund gezielt und systematisch einzusetzen.

Neue Technologien im Vertrieb schaffen innovative Möglichkeiten für ein elektronisches Kundenbeziehungsmanagement (E-CRM). Eng damit verbunden und den Überlegungen zum Relationship Modelling folgend ist das Konzept des Total-Customer-Experience-Managements. Beide digitalen Erfolgsfaktoren sollen hinsichtlich ihres Beitrags zur vertrieblichen Kundenbeziehungsstrategie nachfolgend untersucht werden.

5.2 E-CRM als digitaler Erfolgsfaktor

Customer-Relationship-Management (CRM) steht für die strategische und ganzheitliche Gestaltung aller Interaktionen zwischen Unternehmen und ihren potenziellen, aktuellen und ehemaligen Kunden mit dem Ziel, Kundenloyalität und -profitabilität zu verbessern (Lehning et al. 2015). Konzeptionell geht es um die Ausrichtung der Marketingaktivitäten am Kundenlebenszyklus und damit die systematische Initiierung, Stabilisierung und Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen (Bruhn 2015). Die zunehmende Fokussierung auf den Kunden resultiert aus der Erfahrung, dass unzufriedene Kunden meist unwiederbringlich verloren sind und zusätzlich erhebliche negative Signalwirkungen im jeweiligen Absatzmarkt nach sich ziehen können (negativer Multiplikatoreffekt durch Word of Mouth , vgl. Cakim 2010). Eine hohe Kundenzufriedenheit wirkt sich dagegen positiv auf die Kundenloyalität aus, und es kann zusätzlich zu Wiederkäufen, Zusatzkäufen („Cross- /Up-Selling “) oder auch einer Weiterempfehlung kommen. Die Bindung zufriedener Kunden erfordert außerdem im Vergleich mit der Akquisition von Neukunden deutlich geringere Aufwendungen (Strauß 2013). Ausgehend von einer hohen Bedeutung des Kunden für den Unternehmenserfolg (Customer Lifetime Value ) stehen die kundenorientierte Ausrichtung (Customer Centricity ) kundenbezogener Prozesse und ihre Planung, Strukturierung und Durchführung im Mittelpunkt des CRM (Lehning et al. 2015). Voraussetzung hierfür ist die effiziente Zusammenführung aller Komponenten im Vertriebs- und Marketingprozess (Kollmann 2013).

Operativ erfordert dies ein möglichst umfassendes Wissen über die Interessen und Präferenzen von Kunden und damit eine ganzheitliche Erfassung von Kundendaten. Nach Konzepten des Database-Marketings mit starkem Fokus auf Datenbanken und Analysesysteme wird seit Anfang der 90er Jahre unter Zuhilfenahme moderner Informationstechniken mit IT-gestützten CRM-System en gearbeitet, die einerseits ein umfassendes und hoch standardisiertes, andererseits aber dennoch individualisiertes Kundenmanagement (analog zum Konzept des Mass Customizing) ermöglichen sollen (Seybold 2001). Das Spektrum möglicher Mechanismen zur Erhebung notwendiger Kundendaten reicht von der Erfassung aller Kundendaten und Kundeninteraktionen durch Vertriebsmitarbeiter über den Zukauf von Kundendaten durch professionelle Listbroker oder Adresshändler und die manuelle, formulargestützte und aktive Eingabe durch den Kunden (via Antwortformulare oder Registrierung) bis zum web-basierten, passiven, impliziten Profiling unter Zuhilfenahme spezieller Anwendungen und Protokolle, wie z. B. die Analyse von Server-Log-Files (Strauß 2013).

Entlang der Customer Journey erfolgt die Datensammlung im CRM-System kanalübergreifend und führt zu großen und komplexen Datenbeständen (Lehning et al. 2015). Dazu werden alle gesammelten Daten (z B. aus dem Customer Profiling) in einem zentralen Datenpool gespeichert (Data Warehouse ) und anschließend mithilfe von Analyse-Tools (Data Mining und OLAP ) aufbereitet und für Vertrieb und Marketing zur Verfügung gestellt (Kollmann 2013).

Die Zielsetzung von CRM-Systemen besteht zusammengefasst in der Erhöhung der Loyalität von Bestandskunden sowie der Erleichterung der Neukundenakquisition (Effektivitätsdimension ) bei gleichzeitiger Verbesserung der Kundenprofitabilität (Effizienzdimension ) (Chaffey und Ellis-Chadwick 2012). Ein CRM-System besteht typischerweise aus drei Hauptkomponenten (Hippner und Wilde 2001; Kollmann 2013; Lehning et al. 2015; Wannenwetsch und Nicolai 2004):

  • Analytisches CRM: Das analytische CRM dient hauptsächlich der Realisierung einer logisch zentralen, einheitlichen und konsistenten Datenbasis (Data Warehouse, vgl. Wieken 1999) sowie der darauf aufbauenden Nutzung von Algorithmen und Methoden, die weitgehend autonom und automatisiert Zusammenhänge in großen Datenmengen aufspüren, aus denen sich Prognosen für zukünftige Ereignisse ableiten lassen (Predictive Analytics , vgl. Siegel 2013). Es bildet den Grundstein für alle weiteren Aktionen im Rahmen des Kundenbindungsmanagements. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann zur Ableitung von Maßnahmen für das operative (z. B. Database-Marketing, One-to-One-Marketing) und kollaborative CRM herangezogen (Closed-Loop-Marketing ).

  • Operatives CRM : Das operative CRM soll sämtliche Transaktionsprozesse und damit die konkrete Marketing-, Vertriebs- und Servicearbeit kanalübergreifend so weit wie möglich automatisieren und standardisieren. Somit können die Vertriebsmitarbeiter beispielsweise Kundentermine einheitlich verwalten oder Kundenanfragen sofort bearbeiten. Dadurch gewinnt die Kundenbindung an Effektivität und ermöglicht den reibungslosen Ablauf aller kundenbezogenen Interaktionen.

  • Kollaboratives CRM : Das kollaborative CRM soll sämtliche Kommunikationskanäle regulieren, unterstützen und synchronisieren. Die Kanalintegration erfolgt dabei im Customer Interaction Center . Hier werden die Customer Touchpoints aufeinander abgestimmt und die Verarbeitung der Kundeninformationen im Kampagnenmanagement erleichtert.

Das CRM dient jedoch nicht nur der aktiven Kundenbindung, sondern auch der Vermeidung von Kundenverlusten bzw. dem Erkennen von abwanderungsgefährdeten Kunden. Vorhersagen von Wechselwahrscheinlichkeiten (Churn Prediction ) können diejenigen Kunden aufdecken, die einem hohen Abwerbedruck oder einer starken Wechselneigung unterliegen, und zur Ableitung von spezifischen Erhaltungs- bzw. Wiedergewinnungsmaßnahmen dienen, wie z. B. zeitlich begrenzte, gesonderte Angebote, temporäre Rabatte oder einmalige Gutscheine. Solche Maßnahmen sollten eng mit dem Beschwerdemanagement verknüpft werden, um sicherzustellen, dass Abwanderung oder Wechsel nicht aufgrund unbearbeiteter oder fehlgeleiteter Beschwerden erfolgt (Kollmann 2013).

Die Wirkung des Internets auf die Kundenzufriedenheit und -loyalität und damit auf die Wirkungsweise von CRM-Systemen wird nach der Ernüchterung in Folge des E-Commerce-Hypes sehr differenziert diskutiert (Strauß 2013; Wirtz 2013). So birgt die zunehmende Verbreitung des Internets für Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Gefahr hinsichtlich der Kundenabwanderung. So führen etwa die Intermediationsleistungen vielfältiger Internetangebote zu einer erheblichen Steigerung der Markttransparenz in vielen Bereichen. Die Senkung der Informationskosten resultiert in deutlich niedrigeren Wechselbarrieren für die Kunden, einem Absinken der Kundenloyalität und einer höheren Preiselastizität der Nachfrage als auf herkömmlichen Märkten. Es kommt zu einem negativen Loslösungseffekt aufgrund der attraktiven Angebote anderer Anbieter (Strauß 2013).

Andererseits ergeben sich im Internet vielfältige Möglichkeiten, der Kundenabwanderung entgegenzuwirken und die Kundenbindung effizient zu steigern (positiver Bindungseffekt ), etwa durch die vereinfachte Erhebung von Kundendaten und eine individuelle, interaktive Kundenansprache im Rahmen der direkten One-to-One-Kommunikation ohne Medienbrüche. Netzeffekte, besondere Kostenstrukturen von Informationsprodukten und der Trend zur Individualisierung lassen sich im Rahmen eines E-Customer-Relationship-Managements (E-CRM) gezielt einsetzen, um für Kunden neue Wechselbarrieren entstehen zu lassen und die Kundenbindung zu erhöhen (Wirtz 2013).

E-CRM umfasst die Analyse, Planung, Steuerung, Gestaltung und das Controlling der Geschäftsbeziehungen zu aktuellen und potenziellen Kunden mithilfe elektronischer Medien mit den Zielen kundenorientierter Unternehmensprozesse und der Generierung eines unternehmerischen Erfolgsbeitrags (Eggert und Fassott 2001; Strauß 2013; Wirtz 2013).

Wirtz (2013) unterscheidet drei mögliche Kundenbindungsdimension en im E-CRM, die aber nicht substitutiv bzw. konkurrierend zu verstehen sind, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen oft parallel verfolgt werden:

  • Dauerhafte E-Kundenbindung: Die erste Dimension verfolgt das Ziel der dauerhaften Kundenbeziehung und bildet die Grundlage für alle anderen mit Kundenbindung assoziierten Zielsetzungen.

  • E-Nutzungshäufigkeit: Hierbei handelt es sich um die Nutzungshäufigkeit eines Angebots innerhalb eines gegebenen Zeitraumes, in der traditionellen Ökonomie vergleichbar mit der Wiederkaufrate. Aus einer absoluten Perspektive wird lediglich die Anzahl der Seitenaufrufe je Nutzer erfasst. Dagegen werden aus einer relativen Perspektive die entsprechenden Seitenaufrufe ins Verhältnis zu den gesamten Seitenaufrufen eines Nutzers zur gleichen Angebotskategorie gesetzt. So lässt sich die individuelle Kundendurchdringungsrate ermitteln.

  • E-Nutzungsdauer: Die dritte Dimension soll das Anbieterunternehmen im E-Business dabei unterstützen, die Nutzungsdauer je Inanspruchnahme zu maximieren und deshalb die Nutzer möglichst lange auf seiner Internetseite zu halten („Stickiness“).

Das Management von Kundenbeziehungen ist ein komplexer Prozess, bei dem sich gleichwohl mehrere Phasen differenzieren lassen (Integrierter Kundenbeziehungsprozess im E-CRM), die wiederum den effektiven und effizienten Einsatz der Instrumente des E-CRM unterstützen können (Wirtz 2013):

  • Kontaktprozess (Awareness ): Im ersten Schritt sind insbesondere die Identifikation und Analyse von erfolgversprechenden potenziellen Kunden und deren Bedürfnissen sowie eine dementsprechende Positionierung entscheidend. Hierzu bietet sich der Einsatz von traditionellen Methoden des Online-Marketings an. So bietet etwa Bannerwerbung den Vorteil einer direkten zweiseitigen Kommunikation mit Interessenten, da diese durch Anklicken auf die Anbieterseite weitergeleitet werden. Dagegen besteht diese Möglichkeit in traditionellen (Offline-)Massenmedien nur eingeschränkt, da hier stets eine natürliche Interaktionsbarriere in Form eines Medienbruchs vorliegt. Qualifizierte Kontakte zu potenziellen Kunden können jedoch auch durch Werbung in und Teilnahme an Diskussionsforen im Internet hergestellt werden. Da diese einen thematischen Bezug aufweisen, werden gezielt Zielgruppen mit relevanten Interessen und Präferenzen angesprochen. Zusätzlich besteht auch hier die Möglichkeit, durch die Interaktivität des Internets einen direkten zweiseitigen Kontakt mit Interessenten aufzunehmen.

  • Auftragsgewinnungsprozess (Consideration ): Im Mittelpunkt stehen hierbei die Vermittlung der Vorteile des eigenen Leistungsangebots und der damit verbundene Aufbau von Präferenzen beim Kunden im Wettbewerbsvergleich. Kommunikation und Interaktion sind hierfür an die relevanten Interessenslagen des individuellen Kunden bzw. Marktsegments anzupassen, was wiederum ein möglichst detailliertes Wissen über Interessen und Präferenzen der Zielgruppen voraussetzt. Zur Gewinnung dieser Informationsbasis bietet sich etwa der Einsatz interaktiver Webformulare an, in denen neben den Adressdaten potenzieller Kunden auch deren Interessen und Präferenzen abgefragt werden. Nach einer Registrierung der Interessenten kann zudem analysiert werden, welche Informationen von ihnen aktiv abgerufen werden. Umfangreichere Server-Log-File-Analyse n im Web Usage Mining ermöglichen eine entsprechende Auswertung der Nutzung der Website. Spezielle Software liefert Statistiken darüber, was wann in welcher Reihenfolge abgerufen wurde. Neben einer aktiven Registrierung der Nutzer können zu deren Identifikation auch Cookie File s eingesetzt werden. Dies sind kleine Dateien, die Informationen zum Surfverhalten auf der Festplatte des Nutzers erfassen und somit Rückschlüsse auf individuelle Interessen und Präferenzen gestatten (Hass und Willbrandt 2011). Sind diese bekannt, so können ihnen personalisierte Informationen beispielsweise per E-Mail zugesandt werden. Neben der Individualisierung der Kommunikation kann auch das Leistungsangebot spezifisch konfiguriert werden.

  • Kaufprozess (Purchase ): Der Anbieter muss im Rahmen des Kaufprozesses Kaufbereitschaft und -zeitpunkt erkennen. Ein kontinuierlicher (digitaler und persönlicher) Dialog mit den Interessenten während des gesamten Prozesses kann hierzu entsprechende Informationen generieren. Sodann ist die Verfügbarkeit des Leistungsangebots sicherzustellen. Schließlich sind die Abwicklungsprozesse der Bestellannahme, der Logistik und der Zahlung schnell und kundengerecht abzuwickeln, wobei die vielfältigen Möglichkeiten neuer Technologien systematisch genutzt werden sollten. Im B2B-Geschäft bestehen in der Kaufphase noch weitreichendere Möglichkeiten der Kundenbindung, insbesondere im Rahmen einer integrierten Wertschöpfungskette . Durch diese Form der Vernetzung kann der Kunde auf verschiedenen Stufen des Wertschöpfungsprozesses unter Nutzung neuer Technologien aktiv gestaltend tätig werden.

  • Nutzungsprozess (Consumption ): Zentrale Aufgabe in dieser Phase ist die Unterstützung der Leistungsverwertung durch den Kunden. Durch entsprechende Informationen rund um die Kernleistungen des Unternehmens und überlegene Service- und Mehrwertleistungen sollen die Zufriedenheit der Kunden und damit einhergehend die Kundenbindung verbessert werden. Damit gewinnt ein qualitativ hochwertiger After-Sales-Service eine hohe Erfolgsbedeutung. So kann der Anbieter beispielsweise auf einer Service-Website relevante Informationen zu den angebotenen Leistungen zusammenstellen. Dies geschieht oftmals in Form der sogenannten Frequently Asked Questions (FAQs) . Zudem kann für Kunden die Möglichkeit zu einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem Kundendienst per E-Mail oder telefonisch geschaffen werden. Solche Lösungen stellen eine technische Weiterentwicklung vielfach bereits bestehender Customer Callcenter dar. Internetbasierte Kundenforen (Virtual Communitie s) bieten eine Möglichkeit, Multiplikatoreffekte innerhalb der bestehenden Kundenbasis zu fördern und damit einhergehend Cross-Selling -Gelegenheiten zu generieren. Gleichzeitig können derartige Kundenforen auch einen Teil der Servicefunktionen übernehmen und so die Kosten für Anbieter und Kunden senken. Allerdings muss hier durch hohe Professionalität sichergestellt werden, dass keine inversen Netzwerkeffekte innerhalb der Kundenforen entstehen.

  • Neuauftragsgewinnungsprozess (Reconsideration ): Entscheidend in dieser Phase ist insbesondere die Aufrechterhaltung bzw. Intensivierung der wahrgenommenen Vorteile des eigenen Leistungsangebots und der bestehenden Kundenpräferenzen im Wettbewerbsvergleich. So soll aus einem Erstkäufer ein loyaler Kunde gemacht werden. Ein beispielhaftes E-CRM-Instrument in dieser Phase ist der Einsatz von Electronic Product Clinics , wobei bestehende Kunden Urteile und Verbesserungsvorschläge über Prototypen neuer Produkte und über bestehende Produkte abgeben können. Dies ermöglicht eine stärkere Ausrichtung des eigenen Angebots auf Kundenwünsche und -präferenzen. Mithilfe entsprechend verfeinerter Kundenprofile können dem Kunden individualisierte elektronische Angebote, beispielsweise per E-Mail, unterbreitet werden, um so zu einem Wiederkauf zu motivieren.

  • Abwanderungsprozess (Dissatisfaction ): Sofern das Leistungsangebot die Erwartungen des Kunden nicht erfüllt hat, entstehen Unzufriedenheit und Gefahr der Kundenabwanderung. Das frühzeitige Erkennen dieser Gefahr ist in dieser Phase die zentrale Aufgabenstellung. Hierzu sind ein Monitoring des Zufriedenheitsgrades mit entsprechenden Feedback-System en schon in der Kauf- und Nutzungsphase sowie ein Beschwerdemanagement in der späten Nutzungsphase und in der beginnenden Abwanderungsphase unbedingt empfehlenswert (Stauss und Seidel 1998).

  • Rückgewinnungsprozess (Reconsideration ): Konnte die Abwanderung eines Kunden nicht verhindert werden, so sollten Rückgewinnungsmaßnahmen initiiert werden, um den Kunden wieder bereit zur Aufnahme der Geschäftsbeziehung zu machen. Hierzu können etwa Preisnachlässe, verbesserter Lieferservice oder ausgeweitete Garantiezusagen genutzt werden. Der Einsatz dieser kostspieligen Maßnahmen muss jedoch auf einer dezidierten Kundenwertanalyse beruhen, da nur ertragsmäßig attraktive Kunden rückgewonnen werden sollten.

Es wird deutlich, dass zum ganzheitlichen Management der Kundenbeziehung ein Mix aus traditionellen Methoden des CRM und innovativen Anwendungen des E-Business aktiv eingesetzt werden muss. Dabei lassen sich zusätzlich zu den bereits skizzierten phasenspezifischen zwei phasenübergreifende Instrumente des E-CRM identifizieren (Wirtz 2013):

  • Data Mining : Unter dem Begriff Data Mining werden Verfahren subsumiert, mit deren Hilfe große Datenbestände explorativ auf wertvolle Informationen und Zusammenhänge untersucht werden können (Wieken 1999). So können für eine gezielte Interessentenauswahl im Kontaktprozess auf der Basis multidimensionaler Kundenprofile aus der eigenen Kundendatenbank mithilfe komplexer Such- und Vergleichsalgorithmen Interessenten mit hoher Kaufwahrscheinlichkeit aus fremden Datenbanken ausgewählt und etwa per Direct Mail angesprochen werden. Während des Auftragsgewinnungsprozesses kann eine Vielzahl individueller Kundenprofile auf einige wenige, dafür jedoch hochrelevante Gruppen (Cluster ) reduziert werden, wobei die einzelnen Gruppen jeweils mit individuellen Botschaften angesprochen werden können. Collaborative-Filtering-Verfahren vergleichen mehrdimensionale Kundenprofile unterschiedlicher Kunden und identifizieren ähnliche Interessen, sodass Kunden individuelle Angebote unterbreitet werden können, die bereits von Kunden in vergleichbaren Situationen erworben worden sind (Runte 2000). Bei bestehenden Kundenbeziehungen kann das Zeitfenster für den richtigen Kaufzeitpunkt durch eine Analyse der Kaufhistorie identifiziert werden. Bei Neukunden können diese bestimmten vordefinierten Klassen zugeordnet werden, die aus der Analyse bestehender Kundenbeziehungen gewonnen werden, sodass Data Mining auch hier eine Hilfestellung zur Identifikation des Kaufzeitpunkts liefern kann (Linoff und Berry 2011). Während des Neuauftragsgewinnungsprozesses lässt sich das Kundenprofil aus der Kundenbeziehung mit gewonnenen Informationen verfeinern sowie der voraussichtliche Ersatzzeitpunkt beim Kunden bestimmen. Diese gebündelten Kundeninformationen sind für die funktionenübergreifende Zusammenarbeit von großer Bedeutung und lassen sich vier Datenkategorien zuordnen (Link und Hildebrand 1993): Stammdaten enthalten die Adresse sowie andere längerfristig gleichbleibende und von Angeboten und Aktionen des Anbieters unabhängige Informationen. Informationen über kundenbezogene Maßnahmen des Unternehmens hingegen werden unter den Aktionsdaten erfasst. Die Reaktionsdaten enthalten Informationen über die Auswirkungen dieser Maßnahmen. Die Potenzialdaten schließlich beinhalten Informationen über das bisherige Nachfrageverhalten und dienen insbesondere der Prognose des zukünftigen Kundenwerts.

  • Virtual Communit ies: In einer Virtual Community kommen Nutzer mit vergleichbaren Interessen und Bedürfnissen zusammen, um sich mit dem Ziel des Gedanken- und Erfahrungsaustauschs und der Gemeinschaftsbildung online zu treffen. Der Kern einer Virtual Community ist ein zentraler Themenfokus, zu dem eine Vielzahl von Informationen und Interaktionsmöglichkeiten geboten wird. Hieraus entwickelt sich im Erfolgsfall ein Netzwerk persönlicher Beziehungen, das die Mitglieder an andere Nutzer und damit an die Community bindet. Da die Mitglieder einer Virtual Community hinsichtlich ihrer Interessen und Präferenzen vergleichbar sind, wird die Kaufkraft in homogene Zielgruppen gebündelt, was im Kontaktprozess eine einfache Identifikation potenzieller Kunden ermöglicht und Streuverluste im Vergleich zu herkömmlichen Instrumenten der E-Marketing Communications nachhaltig reduziert. In Kombination mit der Möglichkeit einer direkten zweiseitigen Kommunikation mit Interessenten lässt sich der Kontaktprozess gleichzeitig effektiv und effizient gestalten. Darüber hinaus werden bei den Community-Mitgliedern in der Regel Vertrauenspotenziale aufgebaut, die sich auf den Anbieter übertragen lassen. Die ständige Interaktion mit den Community-Mitgliedern sowie die Kommunikation zwischen den Mitgliedern erlauben vertiefende Rückschlüsse auf deren Interessen und Präferenzen. Dies wiederum ermöglicht die während des Auftragsgewinnungsprozesses anzustrebende Individualisierung der Kommunikation sowie die Verfeinerung der Kundenprofile. Multiplikatoreffekte durch Word of Mouth werden gefördert und Cross-Selling -Gelegenheiten generiert. Schließlich ermöglicht die Kommunikation mit und zwischen den Mitgliedern der Virtual Community Rückschlüsse auf Schwachstellen im Leistungsangebot.

Für die Anwendung der E-CRM-Instrumente sind im Rahmen eines Informations- und Kontrollsystems zielbezogene Erfolgskennziffern zu definieren (Wirtz 2013), etwa durch Errechnung des Wertes des Kunden über die gesamte Kundenbeziehung (Customer Lifetime Value ) oder durch eine umfassendere Bewertung im Rahmen eines Balanced-Scorecard -Verfahrens (Strauß 2013).

Besondere Beachtung in der aktuellen Diskussion erfährt die Erkennung komplexer Zusammenhänge in großen Datenmengen in Echtzeit (Minelli et al. 2013).

Big Data bezeichnet die Sammlung, Verarbeitung, Speicherung und Auswertung großer und vielfältiger Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten aus unterschiedlichen Quellen mit der Zielsetzung, den Marketing Return on Investment (MROI) zu optimieren (Arthur 2013; Lehning et al. 2015; Mayer-Schönberger und Cukier 2013).

Die Menge und Vielfalt der heute verfügbaren Daten lassen sich mit den bislang verfügbaren Analyse-Werkzeuge entweder aufgrund der Komplexität der Datenstrukturen oder des schieren Umfangs des zu analysierenden Datenvolumens nicht mehr beherrschen (Strauß 2013). Big Data ist vor diesem Hintergrund durch drei Dimensionen gekennzeichnet (Mehanna 2014): Das enorme Datenvolumen (Volume ) aus einem ständig wachsenden Informationsfluss lässt sich nicht mehr in konventionelle IT-Strukturen einordnen. Insbesondere können die vielfältigen und verschiedenartigen Daten (Variety ) in herkömmlichen relationalen Datenbanken nicht mehr verwaltet werden, da diese nur mit strukturierten Informationen in definierten Formaten arbeiten können, die das Kategorisieren, Suchen und Analysieren von Daten durch klassische Datenbankabfragen ermöglichen. Big Data arbeitet dagegen mit unstrukturierten und unterschiedlichen Daten, die beispielsweise von Sensoren, Smartphones, Wearables, RFID- und GPS-Geräten sowie aus sozialen Netzwerken stammen. Dabei nimmt die zunehmende Geschwindigkeit, mit der Daten innerhalb und außerhalb von Organisationen generiert und ausgetauscht werden (Velocity ), eine entscheidende Rolle ein. Das Besondere liegt vor allem in der Schnelligkeit der Rückkopplungsschleife, denn die Zeitspanne vom Daten-Inflow bis hin zur darauf folgenden Entscheidung ist in vielen Anwendungsfällen essenziell. Eine Echtzeit-Analyse ermöglicht die Extrahierung von Informationen zu komprimierten und in digitalen Interaktionen verwendbaren Daten innerhalb kürzester Zeit (Big Data Analytics ).

Im Prinzip erlebt das „Tante-Emma-Laden-Prinzip“ mithilfe von Big Data eine Renaissance (Bloching et al. 2012), denn es geht in beiden Fällen um gezielte, auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Beratung – massenhaft skalierbar und in Echtzeit. Damit verschmelzen Online- und Offline-Welten zu „No-Line-System en“ (Heinemann 2012). Mit mobilen internetfähigen Endgeräten können potenzielle Kunden gezielt über spezifische Angebote in den stationären Handel gelockt werden (Location Based Services ). Die Aussteuerung kann dabei – wenn auch in übersichtlicher Reichweite – in Echtzeit und massenhaft genau erfolgen. Big Data Analytics werden dabei zunehmend in vollautomatisierte Prozesse eingebettet, in denen manuell nur noch im Ausnahmefall korrigierend eingegriffen wird (Strauß 2013).

Eng mit Big Data verknüpft ist das Schlagwort vom „Internet of Things “ (Internet der Dinge ), bei dem Alltagsobjekte mit dem Internet und untereinander verbunden werden (Lehning et al. 2015). Dadurch lassen sich zukünftig vermehrt Produktnutzungsdaten analysieren, die von verschiedensten Maschinen und Fahrzeugen an Hersteller und/oder Servicepartner in Echtzeit übermittelt werden können. Neben der hierbei im Vordergrund stehenden Analyse von Produktdefekten (Produkthaftung) und einer möglichen Online-Wartung ermöglicht die Vernetzung auch die Erstellung und Verfeinerung von Nutzungsprofilen (Strauß 2013).

Eine weitere Querverbindung lässt sich mit Blick auf Social Media identifizieren. Auch hier werden massenhaft vielfältige Daten in großer Geschwindigkeit generiert, die durch CRM-Systeme genutzt werden können.

Social CRM (S-CRM) erweitert die Datenbasis des herkömmlichen CRM-Systems um Daten aus sozialen Netzwerken, wobei diese sozialen Daten (Social Data) Profile, Kommentare, Bewertungen und Beziehungen zwischen Nutzern sein können (Lehning et al. 2015).

So erlauben etwa Sentimentanalysen die automatische Analyse der Grundstimmungen („Sentiment“) und Einstellungen zu bestimmten Themen, Produkten oder auch Unternehmen. Über eine „Conversation Map “ kann aus den Beiträgen in sozialen Netzwerken über Text Mining (Rentzmann et al. 2011) beispielsweise ermittelt werden, wie eng die Nutzer sich mit bestimmten Angeboten identifizieren oder welche Gerüchte im Web kursieren. So dient das Sentiment auch als Frühwarnsystem (Social Network Analysis , vgl. Heinrich et al. 2013), das mögliche Marktmisserfolge und das Abwandern größerer Kundengruppen prognostizieren kann (Strauß 2013).

Problemfelder im E-CRM ergeben sich insbesondere aus einer geringen Kundenakzeptanz der systematischen Erhebung von Daten. So ist es häufig nur schwer möglich, die Zielgruppen des E-CRM ohne weitergehende Anreize zur Registrierung zu motivieren. Auch kann eine wahrheitsgemäße Beantwortung von Fragen nur unter Einschränkungen angenommen werden, sofern nicht der Nutzen personalisierter bzw. individuell zugeschnittener Informationen unmittelbar ersichtlich ist. Die Bereitschaft zur wahrheitsgemäßen Angabe persönlicher Daten lässt sich auch durch das explizite Vorstellen der späteren Nutzungsregeln (konform mit dem Telemediengesetz, TMG) und die explizite Einwilligung durch den Nutzer (Permission-Marketing , vgl. Dyson 1997) erreicht werden. Aus Sicht des Datenschutzes ist es problematisch, wenn personenbezogene Kundendaten (z. B. Name und Adresse) mit den nicht personenbezogenen Kennzahlen aus dem Tracking einer Website in Verbindung gebracht werden. Personalisierte Profile, die eindeutige Schlüsse auf das Nutzerverhalten eines Individuums zulassen, dürfen nur unter Einhaltung strenger Datenschutzrichtlinien erstellt werden. So darf etwa einem privaten Kunden eines Webshops auf Basis der getätigten Bestellungen eine personalisierte E-Mail nur dann zugesendet werden, wenn sich der Empfänger grundsätzlich vorher damit einverstanden erklärt hat. Weitergehend ist der Nutzer im Sinne der informationellen Selbstbestimmung über bestehende Widerspruchsrechte zu informieren. Darüber hinaus fordert das Datenschutzgesetz, dass der Nutzer gezielt auf bestimmte Sachverhalte, wie z. B. Datenverarbeitung im Ausland, hingewiesen wird und teilweise explizit in bestimmte Abläufe einwilligen muss, etwa wenn personenbezogene Daten zu werblichen Zwecken generiert und gespeichert werden. Analog müssen auf einer Website an prominenter Stelle Hinweise dazu platziert werden, wann, wie und warum Cookies gesetzt werden. Probleme technischer Art ergeben sich schließlich, wenn etwa unterschiedliche Personen einen PC nutzen, sodass Cookies überlagernde Profile unterschiedlicher Nutzer aufweisen. In der Praxis scheitert das E-CRM aber nicht nur an technischen Hürden, sondern vor allem auch an betriebsinternen Widerständen, am hohen Integrationsaufwand mit der bestehenden IT-Infrastruktur und ungeklärten rechtlichen Aspekten (Datenschutz ). Die Verteilung relevanter Kundendaten auf verschiedene IT-Systeme über mehrere Funktionsbereiche hinweg bewirkt, dass der im Rahmen von CRM postulierte Anspruch einer umfassenden, bereichs- und unternehmensübergreifenden Kundensicht trotz meist substanzieller Investitionen in entsprechende Systeme praktisch nicht realisiert werden kann (Strauß 2013).

Aus Vertriebssicht sind die drei Buchstaben „CRM“ (ob mit oder ohne Zusatz) in der Praxis leider häufig ein „rotes Tuch“. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden unter diesem Deckmantel nämlich in der Regel keine vertriebsstrategischen Weichenstellungen getätigt, sondern im Vertrieb IT-Projekte oktroyiert. Die Software wurde dabei nicht den vertrieblichen Erfordernissen angepasst, sondern die IT hat dem Vertrieb standardisierte Prozesse übergestülpt. Mit erheblichem Aufwand wurden so gegen den Widerstand der Vertriebsorganisation Scheinlösungen für die Kundenbeziehungsstrategie implementiert, die mit der Vertriebspraxis wenig bis gar nichts zu tun hatten. Die resultierende Abwehrhaltung im Vertrieb dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass die meisten CRM-Projekte der Vergangenheit entweder komplett gescheitert sind oder als bessere Kundendatenbanken kümmerliche Verwendung gefunden haben.

Gleichwohl ist festzuhalten, dass ein funktionales CRM-System ein wesentlicher Grundpfeiler der Digitalisierung im Vertrieb und darüber hinaus zwingende Voraussetzung für die Großzahl der darunter subsumierten neuen Technologien ist. Auch wenn es in der Vertriebspraxis wohl niemand gerne hört: Das Thema CRM muss wieder auf die Agenda. Allerdings darf es nicht nochmal zugelassen werden, dass ein zentraler vertriebsstrategischer Tatbestand von der IT gehijackt wird. Der Vertrieb darf sich nicht als rein ausführendes Organ selbst kleinmachen, sondern er muss – natürlich in Abstimmung mit anderen relevanten Unternehmensfunktionen – sowohl die strategische Führerschaft als auch die operative Verantwortung für CRM übernehmen. Es erscheint daher abschließend zielführend, die Soll-Rolle des CRM für den Vertrieb zu rekapitulieren (vgl. hierzu und im Folgenden Binckebanck 2014b).

CRM stellt aus Vertriebssicht eine Spezialform des Marketing- und Vertriebsinformationssystems dar. Es stellt in integrierter Form Daten bereit, um langfristig profitable Kundenbeziehungen aufzubauen und zu festigen (Homburg 2015). Der Vertrieb kann auf dieser Basis in seinen Arbeitsabläufen durch Online-Abrufe von Kundendaten, vorgefertigte Präsentationsunterlagen und internetgestützte Planungs-Tools technologisch in ganzheitlicher Weise unterstützt und gesteuert werden (Albers und Krafft 2013). Dafür müssen aber alle Verkaufsprozesse im CRM-System abgebildet und mit den Marketingprozessen abgestimmt sein, sodass alle absatzbezogenen Vertriebsaktivitäten integriert auf derselben Datenbasis ablaufen können.

Persönliche Kommunikation im Vertrieb (z. B. Verkaufsgespräche) und unpersönliche Kommunikation durch das Marketing (z. B. Mediawerbung) bilden zusammen mit Aktivitäten von Absatzpartnern in indirekten Vertriebskanälen (z. B. externe Handelsplattformen) eine Vielzahl von potenziellen Customer Touchpoints, die integriert und aufeinander abgestimmt werden müssen (Multi-Channel-Management). Dies ist der Ansatzpunkt des kollaborativen CRM , dessen Ziel die inhaltlich abgestimmte Interaktion mit den Zielgruppen des Unternehmens ist (Homburg 2015; Winkelmann 2012). Die Funktionalitäten der Bereitstellung von Kundendaten und der Abwicklung von Transaktionen inklusive der damit verbundenen Interaktionen mit der Zielgruppe (z. B. Kampagnenmanagement, Angebotserstellung, Beschwerdemanagement) sind dagegen Bestandteil des operativen CRM (Albers und Krafft 2013; Homburg 2015). Eingebunden in dieses Modul werden zumeist Softwarelösungen zur Sales Force Automation (SFA), die häufig unter dem Begriff Computer Aided Selling (CAS) diskutiert werden (Homburg et al. 2010). Die Nutzung der im Data Warehouse gespeicherten Daten für weiterführende Analysen des Kundenverhaltens und zur Ableitung von Bedarfsprofilen und Marktsegmenten ist schließlich der Ansatzpunkt für das analytische CRM, welches Kundendaten in Kundenwissen umwandelt (Winkelmann 2012).

In der Praxis werden CRM-Systeme zumeist primär zur Unterstützung des persönlichen Verkaufs bei der Selbstorganisation der Verkaufsaktivitäten implementiert (z. B. Opportunity- und Pipeline-Management). Dabei werden die Möglichkeiten zur schnittstellenübergreifenden Koordination jedoch vernachlässigt (Albers und Krafft 2013). Zur Vertriebsunterstützung gehören nicht nur Kundendaten, sondern eben auch Informationen aus anderen Unternehmensfunktionen (z. B. Marketing, Technik, Verwaltung), Schnittstellen zur Auftragserfüllung im Rahmen von Enterprise Resource Planning Software (ERP) und Hilfsmittel entlang des Vertriebsprozesses (z. B. Broschüren, Präsentationsunterlagen, Produktkonfiguratoren). So muss etwa das Marketing Erkenntnisse aus der Marktforschung, Reaktionsdaten aus Marketingaktivitäten und verkaufsunterstützendes (VKF-)Material bereitstellen.

Umgekehrt hat der Vertrieb aber auch eine Bringschuld. Die Interaktionen mit Kunden und Interessenten müssen dokumentiert werden, sodass Kunden- und Kontaktdaten ständig aktualisiert werden können. Erst die vollständige und permanente Datenpflege lässt das Informationssystem zu einem wertvollen Instrument im Vertriebsalltag werden. Darüber hinaus muss sich der Vertrieb als Speerspitze der Marktforschung verstehen und in dieser Funktion Trends, Wettbewerbsaktivitäten und Verbesserungsvorschläge identifizieren und über geeignete Schnittstellen im CRM-System an andere Funktionen weitergeben. Auf diese Weise erhält etwa das Marketing dringend benötigte Informationen über Kundenprobleme, die Effektivität der unpersönlichen Kommunikation, die aktuelle Konkurrenzsituation und Kaufpräferenzen.

Es wird deutlich, dass ein IT-gestütztes CRM als „Hub“, also als Knotenpunkt, in der schnittstellenübergreifenden Kundenbeziehungsstrategie fungiert. Ob ein CRM-System diese erfolgskritische Schnittstellenfunktion ausfüllen kann, hängt vom IT-Implementierungsprozess, von der Motivation der Mitarbeiter auf der Durchführungsebene und von der Unterstützung durch das Führungssystem ab (Albers und Krafft 2013 Buttle et al. 2006). Grundsätzlich ist die intensive Nutzung eines CRM-Systems eine notwendige Voraussetzung für den gewünschten Erfolg (Becker et al. 2009). Diese hängt vor allem von der wahrgenommenen Nützlichkeit ab und erst nachrangig von den Erwartungen der Mitarbeiter an die Nutzung, der Innovationsorientierung der Mitarbeiter, der Einfachheit der Nutzung und der Ermutigung sowie Unterstützung durch die Führung (Albers und Krafft 2013; Avlonitis und Panagopoulos 2005). In der Praxis stehen Verkaufsmitarbeiter CRM-Systemen insbesondere auch deswegen kritisch gegenüber, weil sie den Verlust der Datenhoheit oder einen bürokratischen Mehraufwand zu Lasten anderer wichtiger Aktivitäten fürchten (Albers und Krafft 2013). Daher ist es unumgänglich, die Verkäufer im Vorfeld in der geeigneten Nutzung zu schulen, Widerstände zu antizipieren und die strategische Notwendigkeit sowie die Nutzenpotenziale transparent zu machen (Ahearne et al. 2005).

Diese Nutzenpotenziale betreffen neben der unterstützenden Rolle beim Schnittstellenmanagement und im Rahmen des Vertriebscontrollings vor allem die Effizienz und Effektivität der Marktbearbeitung (Albers und Krafft 2013):

  • Effizienz : Durch ein CRM-System lassen sich im Marketing insbesondere Streuverluste in der Mediaplanung reduzieren und Potenziale für Direktmarketingmaßnahmen sowie für One-to-One-Aktivitäten erschließen. Im Verkauf lassen sich Reisezeiten und Fehler in der Angebotserstellung reduzieren bei gleichzeitiger Erhöhung der bearbeiteten Anfragen und der aktiven Verkaufszeit. Insgesamt lassen sich Kosten einsparen, Informationen schneller austauschen und Aktivitäten in Marketing und Vertrieb besser koordinieren.

  • Effektivität : Mithilfe eines CRM-Systems kann das Marketing die Marktsegmentierung verfeinern und darauf aufbauend die Zielgruppenansprache qualitativ verbessern. Die CRM-Daten können zentraler Bestandteil der Marktbeobachtung werden, und Marktreaktionen lassen sich zielgenauer prognostizieren. Der Vertrieb wiederum kann von einer verbesserten Interessenten- und Kundenselektion profitieren. Eine Optimierung des Kundenbeziehungsmanagements führt über Wiederkäufe und Empfehlungen zu mehr Markterfolg und damit über die zumeist variable Entlohnung auch zu einer persönlichen Besserstellung. Insgesamt können die Daten wichtige Erkenntnisse zur Optimierung der Marktbearbeitung liefern.

Es wird deutlich, dass das CRM-System unterschiedliche Teilbereiche der Marktbearbeitung zu integrieren im Stande sein muss. Ähnlich wie die Marke auf strategischer Ebene kann das CRM als Integrationsmechanismus auf operativer Ebene aufgefasst werden. Darüber hinaus ergeben sich Nutzenpotenziale im Rahmen von CRM auch aus veränderten IT-technischen Anforderungen an das Datenmanagement. Unternehmen, die Daten auf innovative Weise verarbeiten, intelligent mit marktorientierten Angeboten verknüpfen und diese nach innen durch eine ganzheitlich funktionierende Vermarktung untermauern, können sich in einem zunehmend schwieriger werdenden Marktumfeld nachhaltige Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Hierbei ist die Konsistenz der Marketing- und Vertriebsaktivitäten über alle Kundeninteraktionspunkte hinweg von entscheidender Bedeutung. Daher wird nachfolgend das eng mit dem Relationship-Modelling-Ansatz verknüpfte Konzept des Total-Customer-Experience-Managements diskutiert.

5.3 Total-Customer-Experience-Management als digitaler Erfolgsfaktor

Mit der Relevanz neuer Technologien im Vertrieb ist die Notwendigkeit entstanden, sämtliche Kundeninteraktionen konsistent über alle Customer Touchpoints entlang der Customer Journey hinweg unter Integration der Vertriebsorganisation zu orchestrieren.

Total-Customer-Experience-Management (auch Experience Design ) zielt auf die Schaffung qualitativ hochwertiger und konsistenter Interaktionen mit aktuellen und potenziellen Kunden über alle Kontaktpunkte und über die gesamte Customer Journey hinweg ab (Berry et al. 2002; Brodt 2007; Jaffe 2010; Strauß 2013; Webb 2011).

Die Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Anbieterunternehmens wird insbesondere von „kritischen Momenten“ geprägt, in welchen eine exzellente Leistung bzw. eine enttäuschende Fehlleistung besonders deutlich wahrgenommen wird. Der Schlüssel zur Kundenbindung liegt neben dem Vergleich von erwarteter und wahrgenommener Leistung insbesondere darin, den Zielgruppen des Unternehmens zu jedem Zeitpunkt und online wie offline bestmögliche Erfahrungen („Moments of Truth “) zu bieten. Der „Experience Flow “ muss sicherstellen, dass das Angebot als qualitativ hochwertig wahrgenommen wird, auf die Bedürfnisse des Nutzers zugeschnitten ist und die Argumente in einer nachvollziehbaren Abfolge vorgestellt werden (Ding et al. 2010). Im Fokus steht der Wunsch nach vielfältigen, aber gleichzeitig konsistenten und qualitativ hochwertigen Dialogmöglichkeiten zwischen dem Unternehmen und seinen Zielgruppen (Strauß 2013). Dies erfordert ein umfassendes, hoch standardisiertes und gleichzeitig individualisiertes sowie markenkonformes Customer-Touchpoint-Management über sämtliche Kundenschnittstellen hinweg (Schüller 2013; Strauß und Heydecke 2010).

Die Differenzierung gegenüber Zielgruppen und Wettbewerbern ist vor diesem Hintergrund nicht mehr von einer einzelnen Unternehmensfunktion zu leisten, sondern erfordert zunehmend die Optimierung über alle Unternehmensbereiche (Strauß 2013). Zunehmend bestimmt nicht mehr eine „Inselbegabung“ in einzelnen Abteilungen den Markterfolg eines Unternehmens, sondern vielmehr ein systematisches und effizientes Prozessmanagement aller marktorientierten Prozesse und Kundeninteraktionen (Schüller 2013). Hier kann die bereits beschriebene interaktive Markenführung (Binckebanck 2013b) als Integrationsmechanismus auf strategischer Ebene fungieren.

Folgende Herausforderungen zeichnen sich bei diesem Transformationsprozess in Marketing und Vertrieb ab (Strauß 2013; Strauß und Heydecke 2010):

  • Funktionenübergreifendes Schnittstellenmanagement : Total-Customer-Experience-Management erfordert die Zusammenarbeit über die funktionalen Grenzen einzelner Unternehmensbereiche hinweg. Ein plastisches Beispiel bieten Banken: Während das Marketing sich zumeist auf die zentrale Markenkommunikation konzentriert, wird die Kundenwahrnehmung typischerweise stark durch sämtliche Kundeninteraktionen in der Bankfiliale vor Ort geprägt, etwa durch die kompetente Beratung durch den Bankmitarbeiter oder auch die wahrgenommene Sauberkeit in den Räumlichkeiten der Bank. Diese Bereiche gehören jedoch organisatorisch eben nicht zum Marketing und entziehen sich einer direkten Beeinflussbarkeit im Rahmen klassischer Marketingaktivitäten.

  • Change-Management : Neben unzureichenden Prozessen und Systemen ist die größte Hürde für die Umsetzung eines systematischen Total-Customer-Experience-Managements die Veränderung des Verhaltens der einzelnen Mitarbeiter. Internal und Behavioral Branding (Esch et al. 2014) werden damit zu zentralen Erfolgsfaktoren, erfordern aber auch erhebliche Anstrengungen und erstrecken sich in aller Regel über einen längeren Zeithorizont.

  • Unzureichende Messbarkeit : Der Erfolg einer qualitativ hochwertigen und markenkonformen Integration aller Kundeninteraktionen im Rahmen interaktiver Markenführung lässt sich kaum unmittelbar in Erfolgskennziffern nachverfolgen, geschweige denn in ihrer mittelbaren Umsatzwirksamkeit direkt belegen.

  • Unzureichend integrierte Prozesse und Systeme: Der Anspruch einer durchgängigen und qualitativ hochwertigen Kundeninteraktion scheitert in der Praxis häufig an wenig integrierten Prozessen, Medienbrüchen und kontraproduktiven IT-Systemen. So weiß etwa der Bankberater vor Ort in den meisten Fällen nicht, dass der Kunde bereits per Direct Mail kontaktiert und auf ein aktuelles Angebot aufmerksam gemacht worden ist.

  • Unzureichende Datenqualität : Die systematische Sammlung und Nutzung von Kundendaten als Grundlage für ein übergreifendes Total-Customer-Experience-Management ist in vielen Unternehmen noch immer nur in einem rudimentären Ausmaß vorhanden. Sowohl die passive Datenerhebung durch die Erfassung aller Vertriebsinteraktionen als auch die aktive Erhebung von Kundendaten werden kaum systematisch und integriert genutzt, und die Datenqualität erweist sich in entsprechenden Audits immer wieder als problematisch. Dahinter stehen häufig die folgenden Ursachen:

    • Verteilung notwendiger Kundendaten auf verschiedenen, voneinander isolierten IT-Systemen;

    • Kundenkontakte und -interaktionen werden gerade im Vertrieb als „Herrschaftswissen“ angesehen und eher in den individuellen Kontakten (etwa Microsoft Outlook) gepflegt als in einem auch für andere Bereiche zugänglichen CRM-System, welches dieses Kundenwissen replizierbar, transparent und nutzbar machen würde;

    • Vernachlässigung der Pflege von Kundendaten aufgrund des damit verbundenen Aufwands im Tagesgeschäft; und

    • Kundendaten, die nicht unmittelbar in der erforderlichen Granularität vorliegen.

Total-Customer-Experience erweist sich vor diesem Hintergrund immer mehr als die „Messlatte“ im E-Business und erfordert ein integratives Management nicht nur über alle Kommunikations- und Vertriebskanäle, sondern auch über die gesamte Customer Journey und die damit verbundenen Interaktionen mit der Marke sowie den Mitarbeitern und Leistungen eines Unternehmens (Strauß 2013). Damit zeigt sich, dass der Wettbewerbsvorteil „Total-Customer-Experience-Management“ nicht als das automatische Ergebnis neuer Technologien im Vertrieb zu erwarten ist. Vielmehr sind zunächst auf strategischer (interaktive Markenführung) und operativer (CRM) Ebene die entsprechenden Voraussetzungen für einen integrierten Ansatz zu schaffen. Erst auf dieser Basis können neue Technologien ihre Wirkung entfalten und die Digitalisierung im Vertrieb zur Erfolgsgeschichte machen.

Aus Vertriebssicht impliziert Total-Customer-Experience-Management das Ende von der Idee vom Vertrieb als „Speerspitze“ des Unternehmens. Der Vertrieb muss sich wieder stärker in die Unternehmensprozesse integrieren, denn nur im (IT-unterstützten) Zusammenspiel mit anderen betrieblichen Funktionen wird es gelingen, Kundeninteraktionen in strategische Wettbewerbsvorteile zu transformieren. Das bedeutet auf der einen Seite das Aufgeben von klassischen vertrieblichen Besitzständen, z. B. in den Bereichen Datenhoheit, klare Erfolgszurechnung durch Provisionen und manche Freiheiten im Tagesgeschäft des Außendienstes. Auf der anderen Seite braucht es aber auch weiterhin einen Orchestrator, der kundenindividuell das richtige Maßnahmenbündel schnürt und die diversen kundenbezogenen Unternehmensprozesse koordiniert. Nimmt der Vertrieb diese neue Rolle an und erarbeitet sich entsprechende fachliche Kompetenzen, so positioniert er sich als strategisches Asset im Unternehmen. Ein solcher strategischer Vertrieb lässt sich nicht durch neue Technologien subsumieren, vielmehr fungiert er als „Enabler“, der aus IT Kundenvorteile macht. Dieser Vertrieb mag im Vergleich zum herkömmlichen Ansatz Freiheitsgrade verlieren, aber er gewinnt als „Macher“ der Total Customer Experience an anspruchsvollen Aufgaben sowie an Einflussmöglichkeiten und Karrierewegen im Unternehmen. Der Ansatz des Total-Customer-Experience-Managements ist das Mandat für eine Transformation des Vertriebs und Garant für seine Zukunft.

5.4 Zusammenfassung

Die Kundenbeziehungsstrategie ist ein wesentliches Handlungsfeld für die Digitalisierung im Vertrieb. Problematische Erfahrungen in der Vergangenheit, insbesondere mit CRM, haben gezeigt, dass weder Datenbanken noch Algorithmen hinreichend sind für das ganzheitliche Management von Kundenbeziehungen. Allerdings werden sie zunehmend zur notwendigen Voraussetzung für ein modernes Kundenbeziehungsmanagement. Neue Technologien müssen vor diesem Hintergrund eingebunden werden in ein ganzheitliches Konzept, welches systematisch auf Kundenvorteile setzt. Vom Relationship-Marketing bis hin zum Relationship-Modelling haben sich bereits vielfältige Ansätze entwickelt. Mit Blick auf die Digitalisierung im Vertrieb kristallisiert sich das Total-Customer-Experience-Management als ein besonders zielführendes Konzept heraus. Hierfür müssen jedoch zunächst unternehmensintern entsprechende Voraussetzungen im Sinne eines funktionenübergreifenden Schnittstellenmanagements geschaffen werden. Während sich die interaktive Markenführung hierbei als Integrationsmechanismus auf strategischer Ebene anbietet, wird die Prozesskoordination auf operativer Ebene eines funktionalen CRM-Systems bedürfen.

Hier bieten innovative Technologien und damit neue vertriebliche Möglichkeiten den Anlass und die Möglichkeit für einen „Relaunch“ von CRM als E-CRM. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist bei CRM und bleibt bei E-CRM das Management von kundenbezogenen Daten. Obgleich sich hier unter dem Stichwort „Big Data“ vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten herauskristallisieren, bleiben vielfältige Herausforderungen zu beachten, so etwa Datenqualität und -schutz sowie Selektion des richtigen Systems und unternehmensinterne, nachhaltige Implementierung. Gleichwohl kann ein IT-gestütztes CRM im Erfolgsfall zum Hub in der schnittstellenübergreifenden Kundenbeziehungsstrategie werden und so strategische Wettbewerbsvorteile durch Total Customer Experience generieren.

Die folgenden Leitlinien sollten strategischen Überlegungen zur Kundenbeziehungsstrategie zugrunde gelegt werden:

  • Integrierte Betrachtung : Während in der Diskussion um Big Data das analytische CRM besondere Aufmerksamkeit erfährt, dürfte es mit Blick auf das Total-Customer-Experience-Management eher das kollaborative CRM sein, das als operativer funktionenübergreifender Integrationsmechanismus fungiert. E-CRM kann als „CRM 2.0“ einen wesentlichen Beitrag zur Transformation der Vertriebsfunktion und damit zu Potenzialausschöpfung neuer Technologien leisten.

  • Kombination von Kernkompetenzen und innovativen Anwendungen: Die Kernkompetenz des Vertriebs bleibt auch weiterhin die Kundenhoheit. Diese allerdings ist kein Selbstzweck, sondern muss in den Dienst der Total Customer Experience gestellt werden. Der Vertrieb muss demnach kundenindividuell vertriebsexterne Unternehmensprozesse und neue Technologien orchestrieren. Digitalisierung im Vertrieb kann zum „Empowerment“ einer strategischen Vertriebsorganisation beitragen.

  • Orientierung am Kundennutzen (Effektivität ): Der Kundennutzen ist originärer Mittelpunkt des Total-Customer-Experience-Managements. Ein CRM im Sinne eines IT-Systems stellt dabei heute eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung dar. Letztere ist, dass CRM als strategisches Unternehmenskonzept und als interner Integrationsmechanismus verstanden wird.

  • Betriebswirtschaftliche Ergebnisorientierung (Effizienz ): Auch wenn der Kundennutzen im Fokus steht, so ist dennoch nicht jeder Kunde automatisch ein König. Neben Erlösen produziert die Kundenbetreuung nämlich auch Kosten. Stehen diese nicht in einem betriebswirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zueinander dergestalt, dass die Erlöse über den Kundenlebenszyklus höher sind als die Kosten, so kann sich die Kundenbeziehungsstrategie nachteilig für das Unternehmen auswirken und der Vertrieb wird zum Totengräber statt zum strategischen Wettbewerbsvorteil.

Abbildung 6 fasst die Überlegungen zu den digitalen Erfolgsfaktoren der vertrieblichen Kundenbeziehungsstrategie zusammen.

Abb. 6
figure 6

Digitale Erfolgsfaktoren der Kundenbeziehungsstrategie

6 Digitale Vertriebskanalstrategie

Abschließend soll mit der Vertriebskanalstrategie die vierte vertriebliche Strategiedimension diskutiert werden. Zunächst wird wieder der zugrunde liegende vertriebliche Entscheidungstatbestand kurz skizziert. Anschließend erfolgt eine Diskussion der drei digitalen Erfolgsfaktoren Value-Chain-Management, Vertriebskanalmanagement sowie Pricing und Payment.

6.1 Vertriebskanalstrategie als vertriebsstrategische Grundsatzentscheidung

Nachdem im Rahmen der Vertriebsstrategie bislang festgelegt wurde, welche Kunden in welcher Intensität, mit welchen Argumenten und mit welcher Beziehungsstrategie zu bearbeiten sind, ist nunmehr zu bestimmen, über welche Vertriebskanäle (z. B. Einzelhandel, Großhandel, Webshop, Vertriebsmitarbeiter etc.) diese erreicht werden sollen (Backhaus et al. 2011; vgl. hierzu und im Folgenden Binckebanck 2013a). „Die Entscheidungen über die Vertriebswege und Vertriebspartner gehören zu den wesentlichen vertriebsstrategischen Entscheidungen, die ein Unternehmen zu treffen hat“ (Homburg et al. 2010, S. 49). Vertriebskanäle als „Pipeline des Marketing“ (Becker 2009, S. 527) stellen sicher, dass die Leistungen des Anbieters die Zielkunden tatsächlich erreichen. Denn erst die markt- und unternehmensadäquate Präsenz der Leistungen ermöglicht ihren Absatzerfolg und ist damit wesentlicher Bestandteil der gesamten Marktleistung des Unternehmens (Becker 2009). Marktzugang und Marktabdeckung werden grundsätzlich und mittel- bis langfristig determiniert und können zumeist nicht ohne Weiteres kurzfristig verändert werden. Gleichzeitig haben die Vertriebskanäle einen wesentlichen Einfluss auf alle anderen Marktentscheidungen des Unternehmens: Der Marketing-Mix beim Exklusivvertrieb über Fachgeschäfte unterscheidet sich deutlich von den bei Absatz über Supermärkte notwendigen Instrumenten (Esch et al. 2013). Schließlich beeinflussen Vertriebswege und -partner wesentlich die gesamte Wahrnehmung eines Unternehmens durch die Kunden und damit auch die Positionierung als Marke im Wettbewerb (Homburg et al. 2010).

Eine wesentliche Grundsatzentscheidung hierbei ist die Festlegung der vertikalen und horizontalen Vertriebskanalstruktur nach dem Selektionskonzept (Meffert et al. 2012). Bei der Festlegung der vertikalen Vertriebskanalstruktur wird die Art und Anzahl der Absatzstufen und damit die Länge des Vertriebskanals zwischen Hersteller und Endabnehmer festgelegt. Als strategische Grundoptionen sind direkter und indirekter Vertrieb voneinander zu unterscheiden (Bruhn 2014). Beim direkten Vertrieb verkauft der Hersteller ohne unternehmensfremde Absatzmittler unmittelbar an den Endabnehmer. Dies kann sowohl über eigene Vertriebsmitarbeiter im Rahmen des persönlichen Verkaufs, über Online-Shops, über Formen des Direct-Marketings wie beispielsweise den katalogbasierten Versandhandel als auch über unternehmenseigene Verkaufsstellen wie Factory Outlets erfolgen. Angesichts der Stagnation im stationären Handel und des Machtzuwachses der Handelsorganisationen tendieren Hersteller vermehrt zur Vertikalisierung, d. h., sie stellen klassische Vertriebsstrategien in Frage und versuchen, durch direktere Absatzkanäle näher an den Endabnehmer zu rücken (Meffert et al. 2012).

Der direkte Vertrieb lässt sich wie folgt charakterisieren (Becker 2009; Homburg et al. 2010):

  • Vorteile: Sicherstellung einer vorgegebenen Präsentations- und Beratungsqualität, unmittelbare Kontrolle der Vertriebsaktivitäten, unmittelbare Interaktion mit Endabnehmern und Marktforschungsfunktion: Kundenbedürfnisse und Trends können schneller und umfassender erkannt werden.

  • Nachteile: Hoher eigener absatzorganisatorischer Aufwand (Kapitalaufwand, aufwendige Steuerung von Verkaufsorganen), kein Universalvertrieb möglich.

  • Produktspezifische Entscheidungskriterien: Erklärungsbedürftige und/oder sortimentsungebundene Produkte.

  • Nachfragespezifische Entscheidungskriterien: Überschaubare Anzahl von Kunden.

  • Anbieterspezifische Entscheidungskriterien: Alleinstellung als Spezialanbieter, geringe Substitutionsgefahr.

Beim indirekten Vertrieb werden bewusst unternehmensfremde, rechtlich selbstständige Absatzmittler in die Vermarktungskette zwischen Hersteller und Endabnehmer eingeschaltet. Im einstufigen indirekten Vertrieb besteht zwischen Hersteller und Endabnehmer nur eine einzige Zwischenstufe, während beim mehrstufigen indirekten Vertrieb verschiedene Formen von Absatzmittlern in den Absatzweg eingegliedert sind (Bruhn 2014). Bei Absatzmittlern im Rahmen des indirekten Vertriebs sind insbesondere Groß- und Einzelhändler voneinander zu unterscheiden. Es gibt jedoch in der Literatur eine Vielzahl von weiterführenden Klassifikationskriterien für Betriebsformen und Betriebstypen von Handelsbetrieben (vgl. Becker 2009; Bruhn 2014; Homburg 2015; Meffert et al. 2012).

Der indirekte Vertrieb lässt sich wie folgt charakterisieren (Becker 2009; Homburg et al. 2010):

  • Vorteile: Breite Massendistribution möglich, „Abwälzung“ der Absatzfunktion auf Absatzmittler (inkl. z. B. Markt- und Inkassorisiken), geringe Kapitalbindung notwendig, Handel übernimmt Sortimentsbildung, Nutzung des Markt- und Marketing-Know-hows des Handels.

  • Nachteile: Kein unmittelbarer Einfluss auf das Absatzgeschehen, erschwerte Interaktion (Informationsaustausch) mit Endabnehmern.

  • Produktspezifische Entscheidungskriterien: Problemlose Markenartikel und/oder sortimentsgebundene Produkte.

  • Nachfragespezifische Entscheidungskriterien: Viele Kleinabnehmer.

  • Anbieterspezifische Entscheidungskriterien: Hoher Bekanntheitsgrad als Markenartikelhersteller, Me-too-Angebot mit Preisvorteil.

Im Unterschied zur bislang dargestellten vertikalen Vertriebskanalstruktur umfasst die horizontale Perspektive die darauf basierenden Entscheidungen hinsichtlich der Zahl und Art der Absatzmittler auf den einzelnen Absatzstufen. Zunächst erfolgt die Festlegung der Breite des Vertriebskanals, d. h. die grundsätzliche Art der zu beliefernden Betriebsformen je Stufe (z. B. Fachgeschäfte, Discounter). Anschließend wird die Tiefe des Vertriebskanals durch die Anzahl der einzusetzenden Absatzmittler determiniert. Hierbei lassen sich je nach angestrebter Distributionsintensität drei generische Ausgestaltungsformen unterscheiden (Meffert et al. 2012):

  • Durch intensive Distribution wird ein maximaler Distributionsgrad angestrebt (Universalvertrieb). Die Leistungen sollen möglichst überall erhältlich sein (Überallerhältlichkeit bzw. Ubiquität). Der Hersteller akzeptiert ohne wesentliche quantitative oder qualitative Beschränkungen jeden Absatzmittler, der bereit ist, das Leistungsprogramm anzubieten. Beispiele für diese Art der Distribution findet man primär im Bereich der Güter des täglichen Bedarfs, also bei Zeitungen, Zigaretten, Softdrinks, Brot oder Butter.

  • Bei der selektiven Distribution werden dagegen nur solche Absatzmittler akzeptiert, die vorher festgelegten qualitativen Selektionskriterien entsprechen. Neben Anforderungen an die Ausstattung der Absatzmittler (z. B. Geschäftsgröße, Kundendiensteinrichtungen, Personalqualifikation oder Geschäftslage) werden zumeist vor allem Merkmale der Marketingaktivitäten als Maßstab für die Auswahl herangezogen (z. B. Kooperationsbereitschaft, Preisaktivitäten). Eingesetzt wird der Selektivvertrieb z. B. bei Haushalts- und Bürogeräten.

  • Die exklusive Distribution ist insofern ein Sonderfall der selektiven Absatzmittlerauswahl, als zusätzlich zu den qualitativen Selektionskriterien quantitative Beschränkungen bei der Auswahl der Absatzmittler vorgenommen werden. Dies führt im Extremfall zum gebietsbezogenen Alleinvertrieb (z. B. bei Kosmetika, hochwertiger Bekleidung und Möbeln). Der Hersteller erwartet unter diesen Bedingungen zumeist aggressivere Verkaufsbemühungen der Absatzmittler sowie eine bessere Kontrollmöglichkeit über Preise und Serviceleistungen.

Der Hauptunterschied zwischen direktem und indirektem Vertrieb liegt in der rechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Vertriebspartner (Homburg et al. 2010). In der Praxis existiert eine Vielzahl von Mischformen im Rahmen eines Mehrkanalvertriebs . Ausgelöst durch die Entwicklung des Internets als Instrument des Direktvertriebs sowie durch veränderte Kauf- und Konsumgewohnheiten auf Nachfragerseite und die Dynamik der Betriebsformen, streben Anbieter immer öfter eine Erweiterung des klassischen Einkanalsystems auf mehrere, parallel genutzte Absatzkanäle an. So lassen sich zur Maximierung der Kaufwahrscheinlichkeit verschiedene Kundengruppen entsprechend ihren jeweiligen Präferenzen bedienen. Ohne eine Integration der Kanäle besteht jedoch grundsätzlich die Gefahr, dass Nachfrager an verschiedenen Kontaktpunkten unterschiedliche Botschaften, Preise und Verhaltensweisen wahrnehmen. Die resultierende Konfusion des Nachfragers aufgrund eines diffusen Images des Anbieters kann zu einer Erosion von Markenpräferenzen und sodann zu einer Hinwendung zu Discountangeboten führen (Meffert et al. 2012).

„Ein Patentrezept für die Wahl des ‚richtigen‘ Vertriebsweges gibt es leider nicht“ (Homburg et al. 2010, S. 50). Folgende Faktoren sollten grundsätzlich bei der Wahl der Vertriebskanalstrategie berücksichtigt werden (vgl. Backhaus et al. 2011; Bruhn 2014; Homburg et al. 2010):

  • Strategische Ausrichtung: Die gewählte Vertriebskanalstrategie sollte mit der übergeordneten Marketing- und Vertriebsstrategie kompatibel sein. So ist beispielsweise bei der Integration zusätzlicher Absatzmittler oder neuer Vertriebskanäle in das bestehende Vertriebssystem auf Konfliktpotenziale mit bestehenden Vertriebspartnern ebenso zu achten wie auf das Anspruchsniveau der Vertriebsziele.

  • Produktcharakteristika: Aspekte wie beispielsweise die Erklärungsbedürftigkeit der Produkte, ihre Bedarfshäufigkeit oder auch ihre Transport- und Lagerfähigkeit bestimmen die Sinnhaftigkeit einzelner Vertriebsoptionen maßgeblich.

  • Wettbewerbsintensität: Die Wettbewerbssituation in den relevanten Kanälen kann ebenfalls ein wesentlicher Aspekt bei der Vertriebskanalwahl sein. Ein Anbieter sollte berücksichtigen, in welchen Vertriebskanälen die Hauptkonkurrenten wie stark engagiert sind und welche Möglichkeiten der Wettbewerbsprofilierung sich beispielsweise durch neue Vertriebskanäle ergeben.

  • Kundenpräferenzen: Bei der strategischen Entscheidungsfindung ist das Image der Vertriebskanäle aus Sicht der Kunden ebenso zu berücksichtigen wie etwa Trends beim Informations- und Kaufverhalten. So entspricht beispielsweise der Online-Direktvertrieb sicherlich dem veränderten Einkaufspräferenzen im Gesamtmarkt, jedoch sind gerade ältere Zielgruppen auf diese Art noch immer tendenziell schwieriger zu erreichen (Stichwort vertriebskanalspezifische Aufgeschlossenheit der Zielgruppen).

  • Zugang zu Markt- und Kundeninformationen: Beim indirekten Vertrieb geht die unmittelbare Interaktion mit den Endkunden verloren. Angesichts der Notwendigkeit einer marktorientierten Unternehmensführung ist die Kooperationsbereitschaft der Absatzmittler beim Daten- und Informationsaustausch ein zentrales Selektionskriterium.

  • Ressourcenausstattung des Anbieters: Die Fähigkeit zum direkten Vertrieb wird insbesondere durch die Größe und Finanzkraft des Unternehmens determiniert. Erfahrungen mit Vertriebswegen oder historisch gewachsene Vertriebskanäle und -prozesse können die Optionen bei der Vertriebskanalwahl in der Praxis bisweilen deutlich limitieren. Umgekehrt entscheidet die Marktstellung des Anbieters über die Attraktivität der Zusammenarbeit aus Sicht der Absatzmittler und damit über die relative Verhandlungsmacht.

  • Möglichkeit zur Kundenbindung: Die Effektivität des Vertriebssystems beeinflusst Kundenzufriedenheit und -bindung unmittelbar. So ist etwa die Qualifikation des Verkaufspersonals gerade bei erklärungsbedürftigen Produkten wahlweise Engpass- oder Erfolgsfaktor. Damit werden neben den Vertriebskosten vor allem auch die Beeinflussbarkeit und Kontrolle des Absatzmittlers im Sinne des Anbieters zu wesentlichen Selektionskriterien. Es ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, wie die vertragliche Bindung der Absatzmittler strategiekonform ausgestaltet werden kann.

  • Marktabdeckung: Die Flexibilität des Absatzmittlers sowie Standort, Größe und Verfügbarkeit der Handelsbetriebe sind mit Blick auf die Effektivität der Marktbearbeitung hin kritisch zu prüfen. Wesentlich sind darüber hinaus marktbezogene Kenngrößen, wie z. B. die Marktposition der Vertriebskanäle oder die Wachstumsraten der Vertriebskanäle. Schließlich ist der Einfluss neuer Technologien auf Vertriebskanäle ebenso zu berücksichtigen wie die Wirkung der Gesetzgebung auf die Tätigkeit von Vertriebssystemen (z. B. Vertragsgestaltung, Wettbewerbsrecht).

Die Festlegung der vertikalen und horizontalen Struktur der Vertriebskanäle legt eine grundlegende strategische Konfiguration fest, die nun durch das Kontraktkonzept weiter zu präzisieren ist. Dabei steht die Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zu den rechtlich selbstständigen Absatzmittlern im Rahmen zwischenbetrieblicher Kooperationen im Mittelpunkt (Meffert et al. 2012). Zielsetzung der vertraglichen Bindung ist es, die Durchsetzung der eigenen Marketing- und Vertriebsstrategie in den Vertriebskanälen mittel- bis langfristig sicherzustellen. So sollen die Kontroll- und Steuerungsdefizite des indirekten Vertriebs kompensiert werden (Bruhn 2014). Dabei sind insbesondere die folgenden vertraglichen Vertriebssysteme von praktischer Bedeutung (Becker 2009):

  • Vertriebsbindungssysteme : Bei diesem Ansatz wird nur mit solchen Absatzmittlern zusammengearbeitet, die bestimmte Anforderungen und Auflagen entsprechend den strategischen Selektionskriterien erfüllen. Vertriebsbindungen dienen damit der vertraglichen Absicherung einer selektiven Distribution.

  • Alleinvertriebssysteme : Dieser Ansatz dient der Durchsetzung der exklusiven Distribution. Dem Absatzmittler werden regionale Ausschließlichkeitsrechte eingeräumt, wobei dieser sich im Gegenzug insbesondere zu einer umfassenden Sortimentsleistung und Lagerhaltung des Herstellerprogramms verpflichtet.

  • Vertragshändlersysteme : Bei diesem Ansatz verpflichtet sich der Absatzmittler, ausschließlich Produkte des Herstellers anzubieten und auf den Vertrieb von Konkurrenzprodukten zu verzichten.

  • Franchisesysteme : Bei dieser sehr engen Form der vertraglichen Bindung zwischen Hersteller und Handel stellt der Franchisegeber (Hersteller) dem Franchisenehmer (Handel) gegen ein Entgelt ein Produktkonzept und ein Vermarktungssystem zur Verfügung. Der Franchisenehmer ist selbstständig unternehmerisch tätig und übernimmt durch den Einsatz eigenen Kapitals entsprechende Risiken, was u. U. eine rasche Expansion des Geschäftsmodells erlaubt. Andererseits sorgt die Bindung durch den Franchisevertrag dafür, dass die Franchisenehmer de facto wie eine Direktvertriebsorganisation geführt werden können.

  • Agentursysteme : Hierbei ist die Bindung zwischen Hersteller und Handel so eng, dass die durch Agenturverträge gebundenen Handelsbetriebe weitgehend ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit verlieren. So kontrolliert der Hersteller, ähnlich dem Direktvertrieb, neben dem Sortiment und der Warenpräsentation auch die Preispolitik des Händlers.

Während die Entscheidungstatbestände des Selektions- und Kontraktkonzeptes auf einer strategischen Ebene anzusiedeln sind, lassen sich auf die Absatzmittler bezogene Akquisitions- und Stimulierungsmaßnahmen (Stimulierungskonzept , vgl. Meffert et al. 2012) als kontinuierliche Aufgabe im Vertrieb charakterisieren (Bruhn 2014). Gleichwohl ist im Rahmen der Vertriebsstrategie grundsätzlich zu klären, auf welche Stufe im Vertriebskanal die Aktivitäten der Marktbearbeitung bezogen werden sollen. Der Fokus dieser Maßnahmen kann nämlich grundsätzlich entweder auf die Absatzmittler (Push-Strategie) oder die Endverbraucher (Pull-Strategie) gelegt werden (Meffert et al. 2012):

  • Pull-Strategie : Bei der endabnehmergerichteten Vertriebskanalstimulation werden die Nachfrager, nicht die Absatzmittler, durch Vertriebs- und Kommunikationsmaßnahmen angesprochen (Sprungwerbung, z. B. über den Aufbau starker Marken). Der so erzeugte Nachfragesog führt zu einer aktiven Nachfrage für die Herstellerprodukte durch die Nachfrager beim Handel, was diesen zur Listung anregen soll.

  • Push-Strategie : Bei der absatzmittlergerichteten Vertriebskanalstimulation werden direkt den Absatzmittlern Anreize geboten, die zur Listung und proaktiven Förderung der Herstellerleistungen veranlassen sollen. Im Rahmen einer Push-Strategie sind zunächst die spezifischen Anforderungen der Absatzmittler zu analysieren, um daran anschließend Maßnahmen in Form monetärer (z. B. hohe Handelsspannen, Rabatte, Boni, Finanzhilfen) und nicht-monetärer (z. B. Serviceleistungen, Exklusivitätsrechte, Know-how-Transfer) Anreize zu konzipieren.

Die intensive Nutzung einer Pull-Strategie bietet sich insbesondere an bei verhandlungsmächtigen Absatzmittlern, die den Hersteller ohne den Pull-Effekt unter starken Konditionendruck setzen würden (Homburg et al. 2010). In der Praxis finden sich nur selten reine Push- bzw. Pull-Strategien (Meffert et al. 2012). „Die Herausforderung besteht darin, die richtige Gewichtung für den gleichzeitigen Einsatz dieser beiden Marktbearbeitungsformen zu finden“ (Homburg et al. 2010, S. 67).

Insgesamt beinhaltet die Vertriebskanalstrategie die Auswahl der Träger des Kundenbeziehungsmanagements. Vertriebswege und Vertriebspartner müssen den Zielkunden die definierten Leistungen in der gewünschten Interaktionsqualität zur Verfügung stellen und so ihren Beitrag zur interaktiven Markenführung leisten. Die vertikale und horizontale Vertriebskanalstruktur legt fest, ob dies direkt, indirekt oder parallel im Rahmen eines Mehrkanalvertriebs geschieht. Im indirekten Vertrieb ist die zwischenbetriebliche Kooperation vertraglich abzusichern und und zielorientiert zu stimulieren.

Neue Technologien verändern nicht nur den Vertrieb, sondern auch den Einkauf und die gesamte Wertschöpfungskette. Die Vertriebskanalstrategie ist daher im Gesamtkontext des sich durch Digitalisierung wandelnden Value-Chain-Managements zu sehen. Vor diesem Hintergrund ist dann das eigentliche Vertriebskanalmanagement unter Berücksichtigung neuer Technologien auszugestalten. Eine besondere Herausforderung hierbei wiederum sind Preismanagement und Bezahlsysteme (Pricing und Payment). Diese drei digitalen Erfolgsfaktoren werden nachfolgend dargestellt.

6.2 Value-Chain-Management als digitaler Erfolgsfaktor

Für die Wahl der „richtigen“ Vertriebskanalstrategie ist gerade für B2B-Unternehmen zunächst einmal das Verständnis des wirtschaftlichen Gesamtzusammenhangs notwendig, denn Vertriebsprozesse stellen lediglich einen Teilbereich der gesamten Lieferkette dar. Da sich diese durch neue Technologien gegenwärtig verändert, wird zunächst das E-Supply-Chain-Management als entsprechender Ansatz für ein Management der Wertschöpfungskette skizziert. Ferner ist es für den Vertrieb von Vorteil, digital induzierte Veränderungen auf der Beschaffungsseite zu kennen und ihnen mit entsprechenden Maßnahmen vertrieblich zu begegnen. Diese Digitalisierung des Einkaufs wird unter dem Überbegriff des E-Procurement nachfolgend diskutiert.

6.2.1 E-Supply-Chain-Management (E-SCM)

E-Business impliziert aus den nachfolgenden Gründen Veränderungsdruck im Management der gesamten Wertschöpfungskette (Strauß 2013):

  • Wunsch nach individualisierten Informationen und Produkten: Der steigende Bedarf an massenhaft individualisierten Leistungen erfordert einen höheren Grad an individualisierten Lieferketten und die Entwicklung zu einer intelligenten, flexibel konfigurierbaren Wertschöpfungskette. Supply-Chain-Management dient damit dazu, die Leistungsversprechen von One-to-One-Marketing und Mass Customization zu realisieren.

  • Grundlegend veränderte Anforderungen des webbasierten Handels: Die geografische Fragmentierung der Märkte bewirkt eine höhere Komplexität sowie Arbeits- und Informationsintensität der Prozesse zwischen Unternehmen mit der Gefahr von Überbeständen, Fehlmengen und Planungsproblemen entlang der gesamten Lieferkette. Sie können die Lieferbereitschaft der im Internet bestellten physischen Produkte beeinträchtigen. Das ist insbesondere auch deswegen problematisch, weil die direkte Verfügbarkeit von Informationen im Internet den Wunsch der Nachfrager nach ebenso direkter physischer Erfüllung und Belieferung erhöht. Die Ziele einer erhöhten Prozessorientierung entlang der Lieferkette sind entsprechend: schnelle und zuverlässige Belieferung interner und externer Kunden; Beschaffung und Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte und Dienstleistungen; Kostenreduzierung in Beschaffung, Produktion und Distribution; Reduzierung von Durchlauf- und Auftragsabwicklungszeiten; Steigerung der Kundenzufriedenheit; und Reduzierung von Beständen auf allen Stufen der Wertschöpfung (Wannenwetsch und Nicolai 2004).

Konsequenzen dieser Trends sind eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen Unternehmen bei gleichzeitiger Reduzierung der Fertigungstiefe, eine daraus folgende verstärkte Orientierung am Kerngeschäft, die Bildung von Unternehmensnetzwerken sowie die Steigerung der Komplexität von Wertschöpfungsprozessen (Strauß 2013).

Unter Supply-Chain-Management (SCM) kann vor diesem Hintergrund die koordinierte Planung, Steuerung und Kontrolle des gesamten Material- und Dienstleistungsflusses, der damit verbundenen Informations- und Geldflüsse innerhalb eines (virtuellen) Netzwerks von Unternehmen und deren Funktionalbereichen verstanden werden, die über aufeinanderfolgende Stufen der Wertschöpfungskette hinweg partnerschaftlich zusammenarbeiten, um Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen zu erreichen (Strauß 2013; Werner 2010).

Die Grundidee beim SCM ist also die überbetriebliche Vernetzung von Prozessen, die sich in Material-, Informations- und Finanzflüssen äußert. Durch eine Optimierung der Geschäftsbeziehungen zu den Unternehmen, die in der Lieferkette vor- oder nachgelagert sind, soll das Endprodukt besser, schneller oder günstiger gefertigt werden (Wirtz 2013). Ziel des SCM ist es demnach, die Lieferbeziehungen zwischen verschiedenen beteiligten Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette so zu optimieren, dass aus der Sicht des jeweiligen Kunden stets das richtige Material zur richtigen Zeit in der richtigen Menge und Qualität am richtigen Ort bei minimalem Lagerbestand und Kosten zur Verfügung steht (Strauß 2013). Aus dem resultierenden hohen Integrationsgrad über die gesamte Wertschöpfungskette lassen sich konkrete Zielsetzungen ableiten, wie (Heß 2010; So und Sun 2010; Strauß 2013; Thaler 2001; Walther 2001):

  • Die Erhöhung der Lieferqualität und -pünktlichkeit zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit;

  • die Verkürzung der Produktentwicklungs- und Durchlaufzeiten:

  • die Reduzierung von Lagerbeständen und damit der Kapitalbindung entlang der gesamten Lieferkette;

  • die rechtzeitige Erkennung von Störungen im Sinne eines Frühwarnsystems;

  • die Erhöhung der Flexibilität im Rahmen integrierter Lieferketten; sowie

  • die Nutzung von Synergieeffekten und zusätzlichen Geschäftschancen durch unternehmensübergreifende Kooperation.

Mit zunehmender Integration der Wertschöpfungskette ist SCM kaum mehr von Zielen im Marketing und Vertrieb zu trennen. Die gezielte Reduzierung von Vertriebskosten sowie eine schnellere Reaktion auf Kundenwünsche und eine höhere Kundenzufriedenheit erfordern die Integration von akquisitorischer und logistischer Distribution. Dies wiederum erfordert die Umsetzung des Prinzips der Prozessorganisation auch in der internen Organisation der Kooperationspartner ebenso wie den Einsatz leistungsfähiger Informations- und Kommunikationssysteme. Diese Systeme steuern die Informationslogistik über die Unternehmensgrenzen hinweg. Als Beispiel für eine informatorische Integration der Wertschöpfungskette gestatten etwa RFID -Technologien die detaillierte Nachverfolgung, Kontrolle und nachfolgende Optimierung der Lieferkette (Strauß 2013). Die Verwendung neuer Technologien im Rahmen des SCM führt zum E-Supply-Chain-Management (E-SCM).

E-SCM umfasst die Planung, Steuerung und Integration sämtlicher Waren-, Informations- und Finanzflüsse entlang der unternehmensinternen und -externen Lieferkette mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (Strauß 2013; Wannenwetsch und Nicolai 2004).

Im Rahmen des E-SCM werden die Lieferketten über das Internet und Schnittstellen zu Anwendungen der Wertschöpfungspartner (z. B. ERP oder CRM ) miteinander vernetzt (Strauß 2013). Dies ermöglicht einen Datenaustausch über Ressourcen, Bestände und Absatzprognosen in Echtzeit (Optimierung von Produktionsplanung und -steuerung) sowie eine effiziente Geschäftsabwicklung (z. B. über elektronische Marktplätze). Allerdings birgt die erforderliche wechselseitige Transparenz über unternehmensinterne Daten zwischen unterschiedlichen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette für Unternehmen die Gefahr der Übervorteilung durch Kooperationspartner (Specht und Hellmich 2000). Der Erfolg des E-SCM hängt daher stark vom gegenseitigen Vertrauen innerhalb der Wertschöpfungskette ab. Vertrauensbildende Maßnahmen sind beispielsweise (Bund und Granthien 2001; Strauß 2013):

  • Die Vereinbarung kooperationsbezogener Zielsetzungen;

  • das Aufstellen von Regeln zur Aufteilung des kooperationsbezogenen Nutzens („Win-win-Situation“); oder

  • die Zusicherung der vertraulichen Behandlung sensibler Informationen gegenüber Dritten.

Aus Vertriebssicht handelt es sich beim E-SCM weniger um ein konkretes Handlungs-, sondern eher um ein strategisches Verständnisfeld. Wiederum wird nämlich deutlich, dass die Integration des Vertriebs in ganzheitliche Unternehmensprozesse und die Übernahme strategischer Verantwortung zukunftskritisch sind. Während die interaktive Markenführung ein Konzept für die Integration von Absatzprozessen darstellt, geht E-SCM darüber hinaus und liefert einen unternehmensweiten bzw. sogar darüber hinausgehenden Bezugsrahmen. Der Vertrieb muss seinen Stellenwert in der Supply Chain kennen und digital induzierte Potenziale in der gesamten Wertschöpfungskette identifizieren können. Neue Technologien schaffen hier jenseits der herkömmlichen funktionalen Grenzen der Vertriebsorganisation innovative Ansätze zur Schaffung bzw. Schärfung vertrieblicher Kernkompetenzen und damit unternehmerischer Wettbewerbsvorteile.

Der Vertrieb sollte also bei der IT-gestützten Integration der Wertschöpfungskette eine aktive Rolle spielen. Für die Digitalisierung im Vertrieb ist vor diesem Hintergrund ein Verständnis der Digitalisierung in der Beschaffung unumgänglich. Diese werden im Folgenden skizziert.

6.2.2 E-Procurement

Die fortschreitende Globalisierung der Weltwirtschaft erhöht die Wettbewerbsintensität, verkürzt Produktlebenszyklen und transformiert Produzenten- in Käufermärkte. Daher reicht es in der Beschaffung nicht mehr, wie einst möglichst geringe Einstandspreise zu verhandeln. Vielmehr werden niedrige Lagerbestände, eine kleine Anzahl von Lieferanten, mit denen eng zusammengearbeitet wird, sowie globale Einkaufsquellen angestrebt, um die Gesamtkosten der Beschaffung zu reduzieren (Wirtz 2013).

Traditionelle Beschaffungsvorgänge zeichnen sich in der Praxis (zu) häufig durch verzweigte Prozessketten mit redundanten Bearbeitungsschritten, langen Beschaffungs- und Durchlaufzeiten und einer nur eingeschränkten Flexibilität auf Veränderungen der Kundenanforderungen aus (Bogaschewsky 1999; Hartmann 1999; Mattes 1999). Ineffizienzen der traditionellen Beschaffung resultieren nach Strauß (2013, S. 305) aus

  • „einer aufwändigen Informationsbeschaffung durch verteilt vorliegende, unstrukturierte (Katalog-)Informationen,

  • der Notwendigkeit zur Einbindung mehrerer Mitarbeiter und Hierarchieebenen selbst in einfachere Bestellvorgänge,

  • einer geringen Prozesstransparenz und Mehrfacharbeiten in unterschiedlichen Abteilungen,

  • redundanten Prozessschritten durch die Übergabe von Rechnungen und innerbetriebliche Genehmigungsverfahren,

  • Medienbrüchen im Informationsfluss zwischen den beteiligten Abteilungen und Unternehmen oder/und

  • dem Wildwuchs von Einzelbestellungen außerhalb von Rahmenverträgen“.

Der Einsatz neuer Technologien zur effizienteren Durchführung der Beschaffung (E-Procurement) ist ein spezieller Anwendungsfall bzw. zentrale Teilaufgabe des E-SCM und eröffnet umfangreiche Potenziale, die über eine technische Abwicklung des Einkaufsvorgangs weit hinausgehen (Strauß 2013). E-Procurement sollte aber nicht ausschließlich mit einer Verlagerung der Beschaffung in digitale Systeme gleichgesetzt werden. Vielmehr erfordert die adäquate Nutzung des Konzepts eine umfassende Analyse von Beschaffungsprozessen und -instrumenten, weswegen SCM als übergeordneter Rahmen der Beschaffung mit dem E-Procurement verbunden wird. SCM verbindet mit der Beschaffung (wie auch mit dem Vertrieb) die zentrale Notwendigkeit, über Unternehmensgrenzen hinweg zu agieren (Wirtz 2013).

E-Procurement beschreibt die Nutzung neuer Technologien zur Unterstützung der operativen Tätigkeiten und strategischen Aufgaben im Einkauf von Unternehmen (Kollmann 2013; Wirtz 2013).

Die Integration von E-Procurement in die Beschaffungsprozesse eines Unternehmens ist abhängig von der Eignung der jeweiligen Beschaffungsgüter. In diesem Zusammenhang beschreibt Wirtz (2013) einen Entwicklungspfad des E-Procurement, entlang dessen die zu beschaffenden Güter hinsichtlich der Kriterien „Standardisierbarkeit“ und „Bedeutung in Relation zu den Prozesskosten“ klassifiziert werden können. Für direkte Güter, die im Rahmen der Weiterverarbeitung unmittelbar in das Endprodukt eingehen, lassen sich meist strukturierte Beschaffungsprozesse feststellen, die durch großes Nachfragevolumen und hohes Risiko bei Lieferausfällen geprägt sind. Unternehmen streben daher für direkte Güter Nachfragestandardisierung und -sicherheit auf hohem Niveau an. Dagegen herrschen bei indirekten Gütern, die lediglich produktionsunterstützenden Charakter aufweisen, häufig unstrukturierte Beschaffungsprozesse vor. Durch die hohe Standardisierung der indirekten Güter sind deren Lieferanten meist austauschbar.

  • Ausgangspunkt der Entwicklung des E-Procurement sind vor diesem Hintergrund die hochstandardisierten indirekten Güter . Der überwiegende Teil dieser Güter wird repetitiv beschafft, sodass es sich anbietet, das Einkaufsvolumen und in dessen Folge die Einkaufsmacht des beschaffenden Unternehmens zu bündeln. Folglich werden Unternehmen mit ihren Lieferanten tendenziell Rahmenverträge abschließen, in denen bestimmte Lieferkonditionen fixiert werden, wie etwa der Preis in Abhängigkeit vom Beschaffungsvolumen, der Beschaffungshäufigkeit oder der Volatilität der Marktpreise. Der wiederholte Beschaffungsprozess kann anschließend auf der Basis elektronischer Kataloge erfolgen, was Beschaffungsprozesskosten nachhaltig reduziert. Indirekte Güter sind demnach sehr gut geeignet für das E-Procurement.

  • Als nächsthöhere Entwicklungsstufe können geringwertige, direkte Güter in das E-Procurement eingebunden werden. Das Einsparungspotenzial dieser Güter ist aber aufgrund ihrer eingeschränkten Standardisierbarkeit geringer. Dennoch sind neben niedrigeren Prozesskosten auch Informationskostenreduktionen zu realisieren, etwa über die Verwendung intelligenter Agenten, welche automatisch die preisgünstigste Produktalternative identifizieren.

  • Im Zuge von Lernkurveneffekten bei der Nutzung von E-Procurement und der verbesserten Funktionalität von E-Procurement-Software können sodann auch Rohstoffe und hochwertige direkte Güter elektronisch beschafft werden. Primäres Ziel bei Rohstoffen ist die Produktkostenreduktion über die Nutzung von Auktionen und Börsen. Die Lieferanten hochwertiger, nur wenig standardisierter direkter Güter sollten direkt mittels einer E-Collaboration in die eigene beschaffungsbezogene Wertschöpfungskette im Sinne eines E-SCM integriert werden.

Die Nutzung von E-Procurement lässt hinsichtlich der Interaktion zwischen beschaffendem Unternehmen und Lieferanten mehrere Alternativen zu, die anhand der Zahl der involvierten Transaktionspartner typologisiert werden können (Wirtz 2013):

  • One-to-One-Beziehung en stellen einen bilateralen Point-to-Point-Austausch zwischen Lieferant und beschaffendem Unternehmen dar, der entweder per Internet oder Electronic Data Interchange (EDI) realisiert wird. Bei EDI handelt es sich um einen Datendienst für den papierlosen Austausch von strukturierten Daten zwischen Unternehmen. Zunehmend werden Daten im XML-Format gespeichert, das neben der systemübergreifenden Verwendbarkeit weitere Vorteile gegenüber dem klassischen EDI bietet (z. B. einfachere Integration und Austauschbarkeit durch unspezifische Speicherung der Inhalte, Übertragung von Grafiken). Als Vorteile von One-to-One-Beziehungen auf EDI-Basis kann erstens die vereinfachte Abstimmung der verwendeten Systeme zwischen den Transaktionspartnern genannt werden. Zweitens führt die Etablierung einer solchen Lösung in der Regel zu langfristigen Geschäftsbeziehungen zwischen Kunde und Lieferant. Nachteilig ist allerdings, dass das implementierte System bei einer Beendigung der Geschäftsbeziehung gegebenenfalls Sunk Costs darstellt.

  • One-to-Many-Beziehung en sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass sich eine Marktseite der Beschaffung für eine Vielzahl von potenziellen Kontrahierungspartnern öffnet. In Abhängigkeit von der initiierenden Marktseite wird dabei zwischen Buy-Side- (ein beschaffendes Unternehmen arbeitet mit einer Vielzahl möglicher Lieferanten) und Sell-Side-Lösungen (ein Lieferant steht mehreren beschaffenden Unternehmen gegenüber) differenziert. Bei Sell-Side-Lösung en implementiert der Lieferant, in der Regel auf der eigenen Website, einen elektronischen Katalog , der Informationen zur lieferbaren Produktpalette des Unternehmens, deren Verfügbarkeit und voraussichtliche Liefertermine des jeweiligen Artikels enthält. Beschaffende Unternehmen haben sodann die Möglichkeit, via Internet auf diesen Produktkatalog zuzugreifen und Artikel online zu bestellen. Dies bedeutet für den Einkäufer in erster Linie eine Beschleunigung und Informationsverbesserung. Denn durch den direkten Zugriff auf Datenbanken des Verkäufers kann festgestellt werden, welche Produkte vorhanden und wann diese lieferbar sind. Allerdings kann der Aufwand beim Zugriff auf die elektronischen Kataloge mehrerer Lieferanten für den Käufer signifikant sein, wenn Zugriff und Benutzerführung innerhalb der verschiedenen Lieferantensysteme nicht standardisiert sind. Zudem lässt sich eine Schnittstelle der standardisierten Produktkataloge zum ERP-System des beschaffenden Unternehmens meist nur mit einigem Aufwand erreichen. Darüber hinaus reduziert die Existenz verschiedener Passwörter, uneinheitlicher Systematisierungen der Artikel sowie unterschiedlicher Bestellmodalitäten die Vergleichbarkeit von Angeboten. Bei den Buy-Side-Lösung en erstellt das beschaffende Unternehmen aus einzelnen Lieferantenkatalogen einen Multi-Supplier-Katalog , der in der Regel im Intranet des Unternehmens abgelegt wird. In diesem Fall können die elektronischen Kataloge über eine Schnittstelle problemlos mit dem IT-System des Käufers verbunden werden, was die problemlose unternehmensinterne Weiterverarbeitung getätigter Bestellungen ermöglicht. Als Vorteil solcher Lösungen kann zum einen die Senkung des Einstandspreises der nachgefragten Artikel genannt werden, insbesondere im Rahmen von Ausschreibungen. Ein weiterer Vorteil ist eine auf die unternehmenseigenen Bestellprozesse abgestimmte Auswahl der verfügbaren Produkte. Allerdings erfordert der Aufbau und Betrieb einer Buy-Side-Lösung erhebliche Ressourcen, sodass diese Variante des E-Procurement nur in größeren Unternehmen sinnvoll betrieben werden kann. Zudem konzentriert sich das Instrument häufig auf die Beschaffung indirekter Güter aus dem Kreis der etablierten Lieferanten, ohne die aktive Gewinnung neuer Lieferanten vorzusehen.

  • Many-to-One-to-Many-Beziehungen umfassen die Interaktion von mehreren Lieferantenunternehmen und mehreren Käuferunternehmen über einen neutralen Intermediär, in der Regel einen virtuellen Marktplatz . Sowohl Kunde als auch Lieferant greifen folglich auf ein unternehmensexternes System eines unabhängigen Drittunternehmens zu. Dabei können in Abhängigkeit vom Interaktionstypus unterschiedliche Arten von Zugangsstrukturen identifiziert werden. So unterliegen potenzielle Käufer oder Verkäufer bei offenen Systemen keinen Zugangsbeschränkungen. Dagegen wird der Zugang bei geschlossenen Systemen kontrolliert, wobei das Spektrum der Methoden von der einfachen Registrierung bis zur Bewerbung für die Teilnahme (z. B. Aufnahme von Produkten in den internen Produktkatalog eines Großunternehmens) reicht. Die typischen Transaktionsmechanismen von virtuellen Marktplätzen sind elektronische Kataloge sowie virtuelle Branchenbücher, Schwarze Bretter, Auktionen und Börsen. Virtuelle Branchenbücher stellen als Kontaktverzeichnis einen idealen Ausgangspunkt für die Recherche von Lieferanten dar, wobei das Produktportfolio kurz vorgestellt und für weiterführende Informationen auf die Website des Herstellers verwiesen wird. Schwarze Brett er (bzw. Bulletin Board s) funktionieren dagegen ähnlich wie traditionelle Zeitungskleinanzeigen. Angebote und Nachfrage werden nach Kategorien klassifiziert dargestellt. Auf Angebotsseite erfolgt dies oftmals in Form einer Ausschreibung, wobei diejenigen Unternehmen, die sich für eine bestimmte Kategorie registriert haben, automatisch über neue Ausschreibungen informiert werden. Im Rahmen von Auktionen findet eine Versteigerung einer Leistung unter Anwendung eines dynamischen Preisfindungsprozesses innerhalb eines genau definierten Zeitrahmens statt. Bei Börsen werden das Angebot und die Nachfrage durch den Marktplatzbetreiber koordiniert. Dieser nimmt sowohl Kauf- als auch Verkaufsangebote entgegen und gleicht sie automatisch anhand der durch die Teilnehmer vorab definierten Kriterien ab. Charakteristisch sind hierbei eine dynamische Preisfluktuation, die in Echtzeit dargestellt wird, sowie das Angebot von Mehrwertdiensten. Die Relevanz von virtuellen Marktplätzen für die Praxis ist in den vergangenen Jahren tendenziell zurückgegangen. Die Ursache hierfür waren überhöhte Erwartungen an Einsparungspotenziale auf Beschaffungsseite. Auf der Angebotsseite tragen hierzu meist Vorbehalte der Lieferanten bei, die eine einseitige Belastung durch erhöhten Preisdruck und die Implementierungskosten befürchteten. Darüber hinaus haben in der Vergangenheit häufig auch technische Mängel bei der Implementierung zum Misserfolg beigetragen.

  • Punch-out-Lösung en stellen eine Alternative zu virtuellen Marktplätzen dar. Dabei können Unternehmen über eine spezielle Software die Charakteristika von Buy Side, Sell Side und virtuellem Marktplatz kombinieren. Ein internes System bildet eine künstliche Buy Side und verwaltet den Zugang zu den verschiedenen externen Schnittstellen. Gleichzeitig ist es mit dem unternehmenseigenen ERP verbunden, sodass Bestellungen auch direkt in der Warenwirtschaft erfasst werden können. Das Unternehmen verwaltet also nicht selbst die Kataloge verschiedener Lieferanten, sondern speist diese automatisch in ein internes System ein. Es kann also ein externer Online-Produktkatalog aus einer Einkaufsapplikation aufgerufen werden. Der hier vom Besteller zusammengestellte Warenkorb wird in einem strukturierten Format zurück an die E-Procurement-Anwendung des beschaffenden Unternehmens übergeben. Dort wird eventuell ein Genehmigungsprozess durchlaufen, die Bestellung im ERP erfasst und in einem abschließenden Schritt an den Lieferanten geschickt. Elektronische Marktplätze können in diesen Prozess integriert werden, wenn sie die Punch-out-Technologie unterstützen.

Im Bereich der Beschaffungsorganisation impliziert E-Procurement die Bündelung strategischer Einkäufe und den Aufbau einer umfassenden Wissensbasis über Lieferanten (Strauß 2013). Eine Dezentralisierung des operativen Einkaufs an die jeweiligen Bedarfsträger reduziert den Verwaltungsaufwand im Zentraleinkauf und schafft damit Freiräume für strategische Einkaufsentscheidungen sowie die Optimierung der Einkaufspreise (Dolmetsch 2000). Als Ergebnis eröffnet sich die Option zur stärkeren Fokussierung auf Kernkompetenzen in der Beschaffung. Über den Einsatz professioneller Einkäufer gelingt es, eine stärkere Konzentration auf die Verhandlungsführung, die permanente Wertanalyse sowie die Analyse des Beschaffungsmarktes zu gewährleisten. Die Rolle des Einkaufs wandelt sich entsprechend stärker in Richtung Beschaffungsmarktforschung und zur Definition der Rahmenbedingungen der Beschaffung. Die Konzentration auf strategisch bedeutsame Lieferanten im Rahmen eines systematischen Zulieferermanagements eröffnet die Option für eine intensivere Zusammenarbeit und den Know-how-Austausch entlang des gesamten Beschaffungsprozesses. Eine intensive Beschaffungskooperation kann sich bis zur Einbindung der Lieferanten in die Produktentwicklung und die Definition der Standardkataloge erstrecken. Neben gemeinsamen Lernkurveneffekten in Bezug auf Mengengerüste und Kapazitätsschwankungen im Zeitablauf sowie Qualitätsanforderungen wird der Lieferant hierbei in die Lage versetzt, seine eigene Logistik entsprechend den Bedürfnissen des Kunden anzupassen (Strauß 2013).

Aus Vertriebssicht ist es vor diesem Hintergrund durchaus ratsam, jenseits des vertrieblichen Tunnelblicks festzustellen, dass die Kundenseite in ganz ähnlicher Weise von der Digitalisierung betroffen ist wie man selbst. Deutlich wird ein fundamentaler Wandel im organisationalen Kaufverhalten. Dieser betrifft in besonderer Weise den persönlichen Verkauf von aus Kundensicht geringerwertigen Leistungen. Denn hier implizieren die skizzierten Veränderungen sehr wohl eine Substitutionsgefahr für manuelle Verkaufsaktivitäten klassischer Art durch neue Technologien.

Das als Reaktion aus heutiger Sicht wahrscheinlichste Szenario ist eine Aufgabenteilung innerhalb des Vertriebs in eine Effizienz- und eine Effektivitätsdimension (Binckebanck 2014a). Alle sich regelmäßig wiederholenden, standardisierten Prozesse werden automatisiert sein. Verkäufer, deren Alltag vorwiegend aus Standardpräsentationen, Verkaufsskripts und Preislisten besteht, wird es dann nicht mehr geben. Vielmehr wird der heutige Innendienst aufgewertet, denn ihm obliegt die Hoheit über die IT-gestützten Standardvertriebsprozesse und damit die Effizienz im Vertrieb. Das bedeutet, dass zukünftig nicht mehr reaktive Sachbearbeitertypen, sondern hochqualifizierte Methodenexperten hervorragende Perspektiven haben werden. Diese müssen dann in der Lage sein, den jeweiligen State of the Art der IT als Instrument zu beherrschen und in praktisch fundierte und unternehmensspezifisch angepasste Prozesse zu integrieren. Da sich der technische Fortschritt nicht abschwächen wird, wird es wesentlich auch weiterhin darauf ankommen, innovative vertriebliche Einsatzfelder für Technologien und Medien schneller zu erkennen und besser zu nutzen als Wettbewerber. Auch dies setzt den Blick über den IT-Tellerrand hinaus und erfordert fundiertes Markt-Know-how und Vertriebsverständnis.

Für den Außendienst bleibt die Effektivität als Aufgabe. Um auch zukünftig noch eine Rechtfertigung zu haben, muss sich der Verkauf selbst als Added Value positionieren. Flexible und individualisierte Leistungserstellung, 360-Grad-Monitoring von Markttrends, Qualitätsführerschaft in der Kundenbetreuung, situative Problemlösungsfähigkeit und interaktive Markenführung – so lauten die Schlagworte, die dem persönlichen Verkauf auch angesichts von E-Procurement seine Zukunft als strategischen Wettbewerbsvorteil sichern. Der effektivitätsorientierte Vertrieb muss sein Geschäftsmodell ausrichten auf einmalige und komplexe Problemstellungen. Dabei wird er sich stets der neuesten Technologien bedienen, aber als Werkzeug und nicht als Selbstzweck. Effizienz ist primär ein IT-Thema – der persönliche Verkauf der Zukunft wird ganz im Zeichen der Effektivität bei der kundenorientierten Problemlösung stehen. Es werden also auch weiterhin Verkäufer benötigt, aber quantitativ weniger als heute, dafür wird auch das altehrwürdige Verkaufshandwerk endgültig eine Disziplin für Hochqualifizierte.

Bereits heute ist es aber erfolgskritisch, sich schneller und besser auf die digital induzierten Veränderungen auf Käuferseite einzustellen. Letztlich ist die Digitalisierung für beide Seiten eine Herausforderung. In dieser Situation bieten sich Strategien an, die auf kooperative Partnerschaftsmodelle in der Wertkette setzen. Gleichzeitig gilt es, ein Verständnis für innovative Vertriebskanäle unter Nutzung neuer Technologien aufzubauen und in der Lage zu sein, diese in ein strategisches Multichannel-Konzept zu integrieren. Dieser Aspekt wird im Folgenden diskutiert.

6.3 Vertriebskanalmanagement als digitaler Erfolgsfaktor

Entscheidungen über die Ausgestaltung des Vertriebssystems, der Absatzwege und der Absatzformen sind neben Logistik und Kundendienst wesentliche Teilbereiche des Distributionsmanagements , dessen Aufgabe darin besteht, den Kunden eine Unternehmensleistung in der gewünschten Quantität und Qualität unter Überbrückung von räumlicher und zeitlicher Distanz zur Verfügung zu stellen. Dabei induzieren neue Technologien zahlreiche grundlegende Veränderungen gegenüber der traditionellen Distribution. So entstehen etwa (zusätzliche) elektronische Vertriebskanäle, die es Kunden insbesondere ermöglichen, Kaufentscheidungen online zu treffen, Bestellungen elektronisch zu initiieren und teilweise auch Leistungen via Internet (statt auf traditionellem Weg) zu beziehen. Das Internet kann dabei sowohl zum direkten als auch zum indirekten Vertrieb genutzt werden (Wirtz 2013).

E-Distribution bezeichnet demnach die Nutzung digitaler Vertriebskanäle zur Bereitstellung von Unternehmensleistungen dergestalt, dass diese den Bedürfnissen der Nachfrager in räumlicher, zeitlicher, quantitativer und qualitativer Hinsicht gerecht werden (Wirtz 2013).

Die Nutzung des Internets im Rahmen der E-Distribution impliziert sowohl anbieter- als auch nachfragerseitig eine Reihe von Vor- und Nachteilen (Wirtz 2013):

  • Vorteile: Für Anbieter ergeben sich die globale Präsenz des Angebots und damit der Zugang zu neuen Märkten weltweit mit geringen Eintrittsbarrieren als wesentliche Vorteile. Einziger Wettbewerbsnachteil gegenüber lokalen Anbietern sind die aufgrund der geografischen Entfernung höheren Distributionskosten bei physischen Produkten und die Notwendigkeit von vertrauensbildenden Maßnahmen durch den Verzicht auf persönliche Interaktion (Turban et al. 2006). Weiterhin können im Rahmen der E-Distribution einem Sortiment problemlos neue Waren hinzugefügt werden, wohingegen im traditionellen Handel der Regalplatz oftmals einen Engpassfaktor darstellt, d. h., die Sortimentsgestaltung wird deutlich flexibler. Schließlich können im digitalen Vertrieb leichter zusätzliche Markt- und Kundendaten gewonnen werden, die wiederum die Grundlage zu einem effektiven CRM bilden. Für Nachfrager resultieren die Vorteile der E-Distribution insbesondere aus der jederzeitigen und ubiquitären Verfügbarkeit des jeweiligen Angebots sowie aus einer deutlich erhöhten Markttransparenz aufgrund verbesserter Vergleichbarkeit von Leistungen (Rayport und Jaworski 2001). Darüber hinaus können Multimedia-Inhalte zu verbesserten Leistungsbeschreibungen und somit zu einer besseren Information der Nachfrager führen.

  • Nachteile: Der fehlende physische Kontakt der Nachfrager mit den angebotenen materiellen Produkten kann insbesondere bei solchen Unternehmensleistungen zu Problemen führen, bei denen Sinneseindrücke des Kunden die Kaufbereitschaft wesentlich beeinflussen. Zudem legen manche Kundentypen für spezifische Leistungen (z. B. Finanzdienstleistungen) Wert auf eine persönliche Beratung im Sinne einer Face-to-Face-Kommunikation, die über elektronische Medien nicht erfolgen kann. Dies verdeutlicht, dass E-Distribution insbesondere für erklärungsbedürftige Produkte, bei denen Kunden sich zwar gegebenenfalls im Vorfeld via Internet informieren, die Kaufentscheidung aber erst nach einem persönlichen Beratungsgespräch treffen, nicht notwendigerweise optimal ist.

Die E-Distribution ist typischerweise dem direkten Vertrieb zuzuordnen, da neue Technologien den unmittelbaren Kontakt zwischen dem Anbieter der Leistungen und Endkunden ohne Absatzmittler fördern. Allerdings werden meist sogenannte Absatzhelfer eingesetzt, um verschiedene vertriebsunterstützende Funktionen, wie z. B. Lagerung, Transport oder Finanzierung, zu erfüllen (Wirtz 2013). Grundsätzlich kann zwischen Unternehmen unterschieden werden, die ausschließlich physische Absatzwege einsetzen (Bricks and Mortar ), und solchen, die eine Mischung aus physischen und digitalen Vertriebskanälen aufweisen (Clicks and Mortar , vgl. Turban et al. 2006). Heute vertreiben die meisten Unternehmen ihre Leistungen über multiple Vertriebswege, die je nach vorliegenden Kundenbedürfnissen sowohl online als auch offline ausgestaltet sind, was als Mehrkanalstrategie (Multi-Channel) und gelegentlich auch als hybride Distribution bezeichnet wird (Wirtz 2013).

Für die Einrichtung eines Multi-Channel-Ansatz es sprechen verschiedene Argumente, wie eine breitere Marktabdeckung sowie die kostengünstigere Erreichung verschiedenartigster Kundensegmente an genau dem Interaktionspunkt, den der Kunde jeweils wünscht bzw. der für das Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll erscheint. Im Rahmen einer differenzierten Marktbearbeitung lassen sich beispielsweise Großkunden direkt durch einen eigenen Außendienst betreuen, während kleinere Kunden durch eine bedarfsorientierte Kombination aus externen Vertriebspartnern und internen Internet- und oder Telefon-Angeboten abgedeckt werden. Mit gezielten Angeboten können neue Kundensegmente angesprochen und bestehende Cross-Selling -Potenziale in bzw. zwischen den Vertriebskanälen ausgeschöpft werden. Gleichzeitig erlauben die vertriebskanalübergreifende Analyse der Kundendaten und die darauf basierende Ausrichtung des Angebots eine multiple – also auf einem Netzwerk geschäftlicher Beziehungen und Interaktionen beruhende – Kundenbindung. Durch eine umfassendere Kundenbetreuung mit einer Vielzahl an Interaktionspunkten entlang der Customer Journey steht der Kunde systematischer als zuvor mit dem Unternehmen in Verbindung. Mit der wachsenden Zahl an Kanälen, über die Nachfrager mit Anbietern interagieren können (z. B. stationärer Einzelhandel, Webshop, Callcenter, Social Media, Smart TV, mobile Endgeräte) steigen auch die Ansprüche der Kunden: So wünschen sich diese etwa, Artikel im stationären Handel zurückgeben oder umtauschen zu können, auch wenn sie den Artikel woanders (z. B. online oder per Katalog) gekauft haben. Multi-Channel-Kunden erwarten ebenso, innerhalb des Kaufprozesses frei agieren zu können und ihre Bestellung überall ändern oder stornieren zu können, unabhängig davon, wie und wo die Bestellung initial aufgegeben wurde. Und schließlich ist es für sie wichtig, eine Bestellung abschließen zu können, unabhängig davon, wo diese ursprünglich begonnen wurde. Die Konsistenz im Multi-Channel betrifft ebenfalls die Qualität der Kundeninteraktion im Sinne des Total-Customer-Experience-Managements (Strauß 2013; Wirtz 2008).

Die Entscheidung für einen Multi-Channel-Vertrieb erfordert zumeist in einem ersten Schritt die Rekrutierung von Vertriebspartnern . Hierbei können die Anforderungskriterien die bestehende Kundenbasis des Vertriebspartners, dessen fachliche Expertise, Vertriebsstärke, finanzielle Lage und Unternehmensgröße, Reputation oder auch das bestehende Sortiment umfassen (Homburg et al. 2010). Da Vertriebspartner aus Kundensicht Repräsentanten des Anbieterunternehmens sind, bietet es sich schon aus Gründen der interaktiven Markenführung an, diese auf die unternehmenseigenen Prozesse, Werte und Leistungen eingehend zu schulen. Die Bereiche einer Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Absatzmittler können sich über die Durchführung der reinen Vertriebstätigkeit auf eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgabengebiete erstrecken, etwa gemeinsame Produktentwicklung, Angebot von Finanzierungslösungen, Umsetzung vertriebslogistischer Prozesse oder auch gemeinsame Marktforschung (Strauß 2013).

Oftmals findet sich in der Praxis ein kaum integriertes Management indirekter Vertriebskanäle : Die Partnerselektion erfolgt nach Opportunitäten, und hohe Leistungsanreize (z. B. größere Handelsspannen und Werbekostenzuschüsse) gehen Hand in Hand mit negativen Sanktionen und Bedrohungsszenarien. Stattdessen sollten Bedürfnisstrukturen sowie Stärken und Schwächen eines Vertriebspartners systematisch im Sinne eines Channel-Relationship-Management -Ansatzes (Kollmannsperger 2000) analysiert werden. Wesentlicher Baustein ist der Umgang mit Vertriebskanalkonflikten . Denn beim Multi-Channel-Ansatz stehen unterschiedliche Vertriebskanäle und -partner zueinander in Konkurrenz und damit in Konflikt (Bucklin et al. 1997). Die Steuerung der Vertriebskanäle wird in der Praxis immer dann erschwert, wenn zwei oder mehrere Kanäle miteinander im Wettbewerb um die gleichen Kunden stehen. Die Lösung solcher Kanalkonflikte mit vereinfachten Anreizmechaniken (z. B. Machtausübung durch Belohnung oder durch Zwang) schlägt meist fehl. Eine nachhaltige Lösung entstehender Kanalkonflikte basiert auf dem längerfristigen Aufbau einer vertrauensvollen Partnerschaft mit Absatzmittlern. Die Grundlage bilden klare und abgestimmte Erwartungen auf beiden Seiten, etwa in Bezug auf die Unterstützung bei Vertriebsaktivitäten, den Austausch von Markt- und Kundeninformationen oder auch das Qualitätsniveau von Beratungs- und Serviceleistungen (Strauß 2013).

Die Berücksichtigung der Bedürfnisse beider Seiten im Rahmen eines programmatischen Co-Marketing-Ansatz es beinhaltet etwa die gemeinsame Planung der Vertriebsziele, die erforderlichen Schulungsmaßnahmen und die gemeinsame Festlegung aller Aktivitäten in den Bereichen Vertriebsunterstützung und Marketing. Für den Vertriebspartner sollte hierbei nicht mehr die Gewinnung möglichst vieler Vorteile bei einem Hersteller („im Einkauf“) im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr die systematische Nutzung des Herstellers für eine gemeinsame, kooperative Planung und Durchführung aller Marketing- und Vertriebsaktivitäten über verschiedene Offline- und Online-Kanäle hinweg (Strauß 2013). Ein weiterer Ansatz zur Vermeidung von Vertriebskanalkonflikten kann darin bestehen, die unterschiedlichen Vertriebskanäle beispielsweise für den Vertrieb verschiedener Marken, Leistungen oder Leistungsvarianten zu nutzen.

Aus der Nutzung des Internets im Rahmen der E-Distribution ergeben sich zwei gegensätzliche Entwicklungstendenzen, welche beide auf die Möglichkeit einer effizienten Abwicklung von Transaktionen durch neue Technologien und somit niedrige Transaktionskosten rekurrieren (Wirtz 2013):

  • Intermediation : Dieser Begriff bezeichnet den Sachverhalt, dass die Wertkette der Distribution durch den Einsatz neuer Technologien weiter aufgespaltet werden kann. Hierdurch können sich Unternehmen verstärkt auf Kernkompetenzen beschränken und die übrigen, strategisch weniger bedeutsamen Aktivitäten der Distributionsleistung auf stark spezialisierte Kooperationspartner auslagern. So übernehmen etwa Infomediaries (Infomediäre ) die Koordination von Informations- und Transaktionsströmen zwischen den beteiligten Partnern (Mougayar 1998). Die daraus resultierende Konzentration auf Kernkompetenzen bietet Anbieterunternehmen die Möglichkeit, Kosteneinsparungen und Spezialisierungsgewinne zu realisieren. Dieser Effekt kann durch den Aufbau eines Kooperationsnetzwerks mit den Anbietern komplementärer Wertaktivitäten noch weiter verstärkt werden.

  • Disintermediation : Dieser Begriff bezeichnet die zunehmende Eliminierung von Zwischenstufen innerhalb der Distributionskette, sodass die Distribution verstärkt durch einen Anbieter der Leistung wahrgenommen wird (Sarkar et al. 1995). Neue Technologien ermöglichen hierbei die erforderliche Koordination der Vertriebsaktivitäten und damit einhergehend eine Reduktion der Vertriebskosten durch eine Optimierung der Distributionswertkette. Durch die hiermit verbundene Ausschaltung von traditionellen Zwischenhändlern ergibt sich eine existenzielle Substitutionsgefahr für den gesamten Handelsbereich. Als Gegenbewegung lässt sich aber auch das Entstehen neuer Online-Intermediär e (z. B. Amazon) im Rahmen der Re-Intermediation beobachten (Bailey und Bakos 1997).

Insgesamt steht stets die Suche nach einem (neuen) Optimum zwischen Einzelkanalstrategie, Koexistenz und vollkommener Integration der Vertriebskanäle im Rahmen der Disintermediation im Mittelpunkt der Multi-Kanal-Vertriebsstrategie (Covolution , vgl. Strauß 2013). Hierbei ist das Vertriebssystem so zu konfigurieren, dass einerseits wirkungsvolle Synergieeffekte zwischen den Kanälen geschaffen werden, dass aber andererseits die E-Distribution nicht die durch sie realisierbaren Möglichkeiten der Effizienzsteigerung einbüßt. Schaffen es Anbieter, die Chancen zu nutzen und die Risiken zu reduzieren, ergeben sich mit der E-Distribution erhebliche Potenziale (Wirtz 2013):

  • Chancen: Großes Potenzial besteht vor allem in der Generierung eines Mehrwerts für den Kunden, der in direkter Relation zum Erfolg eines Unternehmens im digitalen Vertriebskanal steht. Dieser Customer Value wird dabei insbesondere in Form innovativer Dienstleistungen erbracht. Dafür müssen bei der Konzeption der E-Distribution die Charakteristika des digitalen Vertriebskanals berücksichtigt werden. So können im Bereich Produktpräsentation informierende Inhalte die Angebotstiefe und -breite eines Unternehmens erweitern. Customer Value wird zum einen durch die Aufhebung logistischer Restriktionen durch virtuelle Produktkataloge geschaffen, zum anderen kann eine Orientierung des Leistungsprozesses an einzelnen Kundenbedürfnissen erfolgen. Beispielsweise können Bewertungs - und Empfehlungssysteme eingesetzt werden, wodurch mit dem Kauf verbundene Unsicherheit bei potenziellen Käufern abgebaut werden soll. Im Rahmen des Informations- und Kommunikationsprozesses kann Customer Value insbesondere durch die Lieferung entscheidungsrelevanter Zusatzinformationen generiert werden. Darüber hinaus kann das Internet eine insgesamt effizientere Kommunikation mit Kunden gewährleisten, sodass etwa Kundenanfragen schnell und unkompliziert beantwortet werden können. Auch gibt es verschiedene Kommunikationsplattformen, die den Austausch von Wissen fördern. So können Interessenten und Kunden in Foren über relevante Themen diskutieren oder sich Informationen bzw. Rat einholen. Über Experten-Chat s können sich Fachleute untereinander austauschen, und zusätzlich kann im Rahmen einer Experten-Suche nach Ansprechpartnern gesucht werden, die sich mit einem bestimmten Thema auskennen und die über digitale Kommunikationskanäle direkt um Rat gefragt werden können. Der Einsatz neuer Technologien im Produktbereitstellungs- und Warenwirtschaftsbereich bewirkt eine verbesserte Servicequalität für den Kunden, da die Transparenz in diesem Bereich wesentlich erhöht wird. So wird es etwa einem Kunden durch verschiedene Lösungen zur Sendungsverfolgung ermöglicht, die Leistungsqualität und -bereitschaft eines Anbieters direkt zu überprüfen. Nebenbei führen solche Angebote auch zu Kosteneinsparungen bei den Versendern, da bei diesen ansonsten täglich eine Vielzahl von Anfragen zum Bestellstatus eingehen und zu bearbeiten wäre. Auch im Bereich Finanzierung und Zahlung ermöglichen neue Technologien Customer Value in Form einer beschleunigten Prozessabwicklung sowie orts- und zeitungebundenen Beratungsleistungen. So können Anbieterunternehmen (z. B. im Immobiliengeschäft) Interessenten in Kooperation mit einem Finanzdienstleister für nachgefragte Angebote Finanzierungsangebote unterbreiten, auf die bei Geschäftsabschluss zurückgegriffen wird, ohne dass der Kunde weitere Finanzierungsgespräche führen muss. Darüber hinaus haben sich zahlreiche Online-Zahlungsservices etabliert, über die ein Käufer einfach, schnell und sicher bezahlen kann. Schließlich kann Customer Value auch in der Beratungs- und Servicephase generiert werden, etwa durch bedarfsgerechte und somit individuelle sowie proaktive Zusendung entscheidungsrelevanter Informationen durch elektronische Kundenzeitschriften bzw. individualisierte E-Mail s, in deren Folge zusätzliche Käufe generiert werden können.

  • Risiken: Die zusätzliche Nutzung digitaler Vertriebskanäle beinhaltet, wie bereits beschrieben, ein nicht zu unterschätzendes Risiko des Auftretens von Kanalkonflikten. Zudem eignet sich die E-Distribution nicht für alle Leistungen gleichermaßen. Schließlich ist auch die fehlende Akzeptanz digitaler Vertriebskanäle in klassisch strukturierten Vertriebsorganisationen als Hindernis für die Implementierung der E-Distribution zu nennen. Insbesondere Außendienstmitarbeiter nehmen vertriebliche Internet-Aktivitäten eher als Bedrohung denn als Chance wahr. Neben Konflikten um die vertriebliche Ausrichtung können sich auch Probleme bei der Zurechnung von Markterfolgen und somit variablen Entlohnungsbestandteilen ergeben. Zudem können auch die bestehenden und gegebenenfalls unzureichenden IT-Systeme in Vertriebsorganisationen den Freiheitsgrad bei der Entwicklung der E-Distribution einschränken. Schließlich kann E-Distribution den Fortbestand traditioneller Vertriebsressourcen gefährden, deren Abbau zumindest kurzfristig nur eingeschränkt möglich ist.

Aus Vertriebssicht ist das Vertriebskanalmanagement immer schon ein zentrales Handlungsfeld gewesen. An kaum einer anderen Stelle tritt der Wandel durch Digitalisierung eindrucksvoller zu Tage. Zalando hat den Schuhhandel, Amazon den Buchhandel und iTunes den Musikhandel dramatisch verändert. Ähnliche Entwicklungen sind zurzeit im Bereich Filme (Netflix), Videospiele (Gamesplanet), Immobilienvertrieb (ImmobilienScout24) und Fotos (Cewe) in vollem Gang.

Auch hier hat die Diskussion gezeigt, dass es falsch ist, bei der Strategieentwicklung von den Medien auszugehen. Vielmehr ist (und bleibt) das Wissen um Kundenbedürfnisse und Trends im Kaufverhalten der Ausgangspunkt des Vertriebskanalmanagements. Ob Direktvertrieb unter Umgehung bestehender Vertriebspartner, Kanalintegration oder indirekter Vertrieb: Die Vertriebsorganisation muss unter Beachtung ganzheitlicher strategischer Zusammenhänge eine Antwort darauf finden, ob und wie digitale Vertriebskanäle in bestehende Vertriebsstrukturen integriert werden sollen. In den meisten Fällen wird Multi-Kanal-Vertrieb Teil der Lösung sein. Die hiermit verbundenen Herausforderungen erfordern ein systematisches Channel-Relationship-Management im Rahmen eines Co-Marketing-Ansatzes. Anstatt sich die Oberhoheit über Vertriebskanäle von IT und Marketing entreißen zu lassen, sollte der Vertrieb Kompetenzen im Bereich Covolution entwickeln. Denn neue Technologien im Vertriebskanalmanagement schaffen aufgrund der im Erfolgsfall absehbaren Commoditisierung bestenfalls zeitlich begrenzte Wettbewerbsvorteile. Exzellentes Multi-Channel-Management über alle Kanäle und Medien hinweg bietet dagegen ein großes Potenzial für nachhaltige Wettbewerbsvorteile.

Im Multi-Kanal-Vertrieb sind systematisches Preismanagement und gerade im Online-Vertrieb auch der intelligente Einsatz von Bezahlverfahren zentrale Herausforderungen. Diese beiden Aspekte werden daher nachfolgend näher beleuchtet.

6.4 Pricing und Payment als digitale Erfolgsfaktoren

E-Distribution weist vielfältige Erfolgsfaktoren auf. Im Rahmen eines ganzheitlichen Preismanagements sind für digitale Vertriebskanäle aber zwei spezifische Aspekte bedeutsam. Erstens müssen Preise durch ein spezifisches Preismodell festgelegt und im Folgenden dann auch über die Zeit und Kanäle hinweg umgesetzt werden. Daher soll hier auf Spezifika des elektronischen Preismanagements eingegangen werden. Zweitens sind Zahlungssysteme im Internet eine wichtige Hürde für Geschäftsbeziehungen zwischen professionellen Händlern und Konsumenten (B2C) und zwischen Konsumenten selber (C2C, z. B. bei eBay), da dort das objektive und subjektive finanzielle Risiko am höchsten ist. Im B2B-Bereich ist das Thema Payment dagegen von geringerer Relevanz (Simon und Fassnacht 2009). Beide Aspekte werden nachfolgend separat diskutiert.

6.4.1 Elektronisches Preismanagement

Das Preismanagement betrifft sowohl die Mengen- als auch die Wertkomponente des Umsatzes und ist damit ein zentraler Erfolgsfaktor für den Vertrieb sowie das Gesamtunternehmen. Der Preis einer Leistung stellt den monetären Gegenwert dar, den ein Unternehmen zur Deckung der Kosten und zur Erzielung von Gewinnen erhält, wenn es einen Kunden vom Kauf überzeugt. Die Aufgabe des Preismanagements ist es, gemäß den strategischen Zielsetzungen eines Unternehmens und unter Beachtung der Reaktion aktueller und potenzieller Konkurrenten den optimalen Preis zu bestimmen und sodann am Markt durchzusetzen. Der Preis ist für Kunden ein entscheidendes Kriterium für die Kaufentscheidung, denn diese erfolgt nur, wenn der geforderte Preis der individuellen Zahlungsbereitschaft des Interessenten entspricht oder geringer ist als diese. Da diese in der Regel nicht bekannt ist, ist mit der Preissetzung ein signifikantes Risiko verbunden: Setzt der Anbieter seinen Preis zu niedrig an, so verlangt er für seine Leistung einen zu geringen Gegenwert und verzichtet auf möglichen Gewinn. Ist der Preis aber zu hoch angesetzt, so wird er seine Leistungen nicht erfolgreich am Markt absetzen können. Verstärkt wird die Komplexität der Preispolitik durch die erhöhte Markttransparenz im Internet, aber auch durch globalen Wettbewerb und eine zunehmende qualitative Austauschbarkeit der angebotenen Leistungen auf vielen Märkten (Wirtz 2013).

E-Pricing bezeichnet die bewusste Festlegung und das kontinuierliche Management von Preisen innerhalb elektronischer Märkte (Wirtz 2013).

Strategisch ist es auch im E-Business für Unternehmen zunehmend notwendig, ihre Leistungen zu differenzieren, Kunden an sich zu binden und Markteintrittsbarrieren durch das Setzen von Standards zu errichten (Wirtz 2013). Dabei können Leistungen nicht nur durch die Modifikation einzelner Merkmale differenziert werden, sondern auch durch eine möglichst an den Kunden individuell angepasste Preissetzung (Shapiro und Varian 1999). Ebenso können durch geschickte Tarifgestaltung Wechselbarrieren für Kunden errichtet werden. Schließlich lassen sich Standards im Markt durch die (Null-)Preisstrategie des Follow the Free etablieren (Fritz 2000). Die hiermit bezeichnete kostenlose Abgabe von Produkten kompensiert die bei Erstanwendern erforderliche Einarbeitungszeit (z. B. Registrierung) und baut hohe Kosten für das zukünftige Wechseln zu anderen Anbietern auf, da in einem solchen Fall wiederum Einarbeitungsaufwand entstünde (Skiera 2000). Zugleich hängt der Nutzen vieler digitaler Leistungen davon ab, wie hoch die Anzahl an anderen Nutzern ist. So sind eine ausreichende Zahl an Teilnehmern und die damit verbundenen differenzierten Inhalte die wichtigsten Erfolgsdeterminanten von Diskussionsforen, Chat-Rooms oder auch Blogs. Mit der Anzahl an Nutzern steigt der Nutzenzuwachs für alle Teilnehmer (positiver Netzeffekt ), wobei zunächst und möglichst schnell eine „ausreichende Anzahl“ als kritische Masse zu erreichen ist. Follow the Free begünstigt also das Erreichen der kritischen Masse durch positive Netzeffekte und schafft Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter. Allerdings wird damit gleichzeitig eine grundlegende Mentalität zur Ablehnung entgeltpflichtiger Angebote („Free-Lunch-Mentalität “) auf Kundenseite verankert (Strauß 2013).

Es lassen sich vor diesem Hintergrund drei zentrale Aufgaben für das E-Pricing identifizieren (Wirtz 2013):

  • Preissetzung für immaterielle Leistungen: Die in der Praxis weit verbreitete kostenbasierte Kalkulation verliert im Zuge der wachsenden Bedeutung von immateriellen Leistungen an Bedeutung, da hier vielfach direkt zurechenbare Kosten fehlen.

  • Integriertes Preismanagement in Netzwerken: Der zunehmende Zusammenschluss von Unternehmen in (virtuellen) Netzwerken zur Erstellung einer gemeinsamen Leistung erfordert, dass innerhalb des Netzwerks ein integriertes Preismanagement betrieben wird, da der Kunde in der Regel die Netzwerkleistung als Ganzes und in Relation zu Konkurrenzangeboten bewerten wird. Die Herausforderung des Preismanagements in Netzwerken liegt häufig im Verteilungswettbewerb der im Netz zusammengeschlossenen Unternehmen um die Netzwertschöpfung begründet.

  • Unterschiedliche Zahlungsbereitschaften der Kunden: Zwischen der traditionellen Wirtschaft und der Internetökonomie lassen sich deutliche Unterschiede in den Zahlungsbereitschaften der Kunden feststellen. Während positive Preise auf traditionellen Märkten von den Kunden in der Regel akzeptiert werden, kann im E-Business beobachtet werden, dass die Kunden den Leistungen keinen monetären Wert beimessen und somit keine Zahlungsbereitschaft besitzen. Dies betrifft insbesondere virtuelle Güter (z. B. Musik-Downloads oder E-Mail-Services) und hat seine Ursache in den wahrgenommenen Grenzkosten, die für diese Güter gegen null gehen.

Während die drei klassischen Ks der Preissetzung (Kosten, Kundennutzen und Konkurrenten, vgl. Simon und Fassnacht 2009) auch im E-Pricing gelten, muss zusätzlich von einer erhöhten Komplexität bei der Preissetzung im Internet ausgegangen werden. Dadurch ergibt sich eine Reihe von spezifischen Herausforderungen (Wirtz 2013):

  • Spielräume: Eine erste Herausforderung im E-Pricing ist die optimale Ausnutzung von Preisspielräumen, die sich aus eingesparten Vertriebskosten durch den Wegfall von Handelsmargen, Verkaufspersonal, Mieten oder durch die Automatisierung ergeben. Viele Kunden erwarten daher Preisvorteile bei einer Transaktionsabwicklung über das Internet, „vergessen“ jedoch kanalspezifische Ausgaben, wie z. B. erhöhte Lager- und Logistikkosten und Aufwand für ein Content-Management. Digitale Vertriebskanäle sind für den Anbieter nicht notwendigerweise günstiger. Werden die Preisspielräume jedoch richtig genutzt, kann ein Unternehmen in digitalen Vertriebskanälen auf Marktentwicklungen und Wettbewerbsaktivitäten wesentlich effizienter und schneller reagieren. Denn durch den Einsatz neuer Technologien sinken die Kosten für die Umsetzung von Preisänderungen, wodurch Preise in digitalen Vertriebskanälen deutlich besser und schneller angepasst werden können. Dabei sind aber potenzielle Wettbewerbsreaktionen, Irritationen bei Absatzmittlern in anderen Vertriebskanälen sowie die Gefahr eines dauerhaften Preisverfalls im Internet zu beachten.

  • Individualisierung: Die Preissetzung im E-Pricing ist im Vergleich zum klassischen Preismanagement differenzierter. So ist eine Individualisierung der Leistungsangebote insbesondere bei virtuellen Gütern für unterschiedliche Kundensegmente und sogar Einzelkunden vergleichsweise einfach möglich (Versioning , vgl. Shapiro und Varian 2000). Zudem können kundenspezifische Konditionen bereits direkt bei der Preisanfrage berücksichtigt werden, sodass auf dieser Basis individuelle Preise festgelegt werden können, welche die kundenindividuelle Preisbereitschaft besser abschöpfen (Price Customization ) und im zeitlichen Verlauf komfortabel geändert werden können (Dynamic Pricing ).

  • Preistransparenz: Die erhöhte Preistransparenz im Internet durch vereinfachte Preisvergleiche (z. B. über Preisvergleichsdienste , wie Dealtime und Check24.de, Intelligente Agenten , wie mySimon, oder ShopBots , wie PricingCentral.com) mit marginalen Kosten der Informationsbeschaffung führt dazu, dass Interessenten Preisunterschiede sofort aufdecken und verschiedenartige Leistungsangebote lediglich über den Preis vergleichen (Bocionek 1995; Skiera und Spann 2001). Ein Anbieter im E-Business muss sich daher permanent über das Preisniveau des Wettbewerbs informieren. Gleichzeitig werden Unternehmen in digitalen Vertriebskanälen zunehmend weniger Preisdifferenzierungsstrategien zwischen unterschiedlichen Kundensegmenten bzw. international zwischen verschiedenen Ländern durchsetzen können.

Die Analyse der Herausforderungen führt zu inhärent widersprüchlichen Ergebnissen, etwa bezüglich der Kosteneffekte von digitalen Vertriebskanälen. Das Paradoxon des E-Pricing zeigt sich aber vor allem im Widerspruch zwischen dem Postulat der Preisindividualisierung einerseits und der Preisharmonisierung infolge der Markttransparenz andererseits. Handlungsempfehlungen für die Praxis sind daher stets situativ abzuleiten. So erweisen sich etwa für eine flexible Preisgestaltung im Rahmen eines Dynamic Pricing Produkte mit den folgenden Eigenschaften als besonders geeignet (Shapiro und Varian 1999; Skiera und Spann 2001; Strauß 2013):

  • Hoher Fixkostenanteil: Die zunehmende Digitalisierung von Leistungen wie auch von Prozessen führt dazu, dass für die Produktion des ersten Exemplars noch hohe Fixkosten anfallen, während für die Produktion weiterer Exemplare nur noch vergleichsweise geringere (variable) Kosten entstehen, z. B. bei der Programmierung von Software.

  • Hohe Verderblichkeit/(zeitlich) begrenztes Angebot: Die Inanspruchnahme einer Leistung muss bis zu einem spezifizierten Datum erfolgen, wie etwa Lebensmittel, Zimmerkapazitäten in Hotels oder die Vermarktung von Werbeflächen.

  • Konfigurierbare Eigenschaften: Unterschiedliche Zahlungsbereitschaften von Kunden ergeben sich aus Kombinationen unterschiedlicher Leistungsattribute (Aktualität, Qualität, Verfügbarkeit).

Grundsätzlich liefern die Charakteristika digitaler Vertriebskanäle und insbesondere die gesteigerte Preistransparenz die Voraussetzungen für die Bildung eines perfekten Marktes mit identischen Preisen für gleiche Produkte (zu Grenzkosten). Studien zeigen allerdings, dass Kunden trotz entsprechender Möglichkeiten im Internet keine rein rationalen Kaufentscheidungen treffen, sondern sich (teils vorhersehbar) irrational verhalten (Behavioral Pricing , vgl. Ariely 2008). So bestehen trotz dienstbasierter Preisvergleiche selbst für einfache und homogene Produkte, wie etwa CDs und Bücher, im Internet signifikante Preisdifferenzen zwischen verschiedenen Anbietern. Grund ist häufig die Anwendung preispsychologischer Mechanismen , die seit Langem aus traditionellen Märkten bekannt sind, etwa das Prinzip der Verknappung . Buchungsplattformen für Hotelzimmer zeigen beispielsweise meist die Menge der noch verfügbaren günstigen Zimmer an, blenden aber gleichzeitig ein, dass sich gerade mehr Interessenten das Angebot ansehen, als günstige Zimmer zur Verfügung stehen. Unterbewusst stellt der Interessent einen Zusammenhang zwischen beiden Zahlen her und es entsteht psychologischer Handlungsdruck (Strauß 2013).

Im E-Business haben sich vier wesentliche Gestaltungsoptionen des Preismanagements herauskristallisiert (Bliemel et al. 2000; Skiera und Spann 2001; Strauß 2013; Wirtz 2013):

  • Preisdifferenzierung : Hierbei werden gleiche oder sehr ähnliche Leistungen zu unterschiedlichen Preisen verkauft. Das zentrale Ziel der Preisdifferenzierung liegt in der Gewinnsteigerung durch Abschöpfung unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften. Zudem kann Preisdifferenzierung helfen, die Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu steuern und auf diese Weise die Kapazitätsauslastung zu optimieren (Yield-Management ). Die Preisdifferenzierung kann allgemein anhand verschiedener Kriterien umgesetzt werden. Im Rahmen einer zeitlichen Preisdifferenzierung wird eine weitgehend identische Leistung zu unterschiedlichen Zeitpunkten (z. B. in Abhängigkeit von der Tageszeit) zu verschiedenen Preisen angeboten. Der Vorteil hierbei liegt in der einfachen Realisierbarkeit, beispielsweise ohne Notwendigkeit zur individuellen Registrierung der Kunden. Allerdings kann das Prinzip bei lagerfähigen, leicht zu transportierenden Produkten relativ leicht umgangen werden, sodass sich Nachfragern Chancen für aus Anbietersicht unerwünschte Arbitragegewinne bieten. Bei einer kundenbezogenen Preisdifferenzierung werden Gruppen nach kundentypischen Merkmalen gebildet. Dies erfordert häufig eine vergleichsweise aufwendige Registrierung und gelegentlich sogar die Vorlage von relevanten Nachweisen, z. B. für die Differenzierung von Studenten- und Business-Tarifen bei Software. Bei der mengenbezogenen Differenzierung werden Produkte umso günstiger abgegeben, je größer die bestellte Menge ist, sodass kein durchgehend linear-proportionaler Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Preis besteht. Beispiele finden sich etwa in Form von Mengenrabatten im B2B-Segment oder bei kostenloser Auslieferung bei Übertreten einer Mindestbestellmenge bei Online-Händlern. Über eine leistungsbezogene Differenzierung wird schließlich versucht, unterschiedliche Leistungserwartungen an ein Produkt zu berücksichtigen. Entsprechend werden sowohl der Leistungsumfang als auch der Preis differenziert. Die Leistungsdifferenzierung kann sich auf Attribute wie Benutzerfreundlichkeit, Bequemlichkeit, Funktionalität oder die Unterstützung durch einen Service beziehen. Unterschiedliche Preise sind hierbei nicht primär auf die Kostenunterschiede differenzierter Leistungen zurückzuführen, sondern auf verschiedene Leistungserwartungen der Kunden.

  • Nichtlineare Preisbildung : Hierbei besteht kein proportionaler Zusammenhang zwischen einer Leistung und dem geforderten Preis. Während bei der Preisdifferenzierung nach festen und vom Anbieter vorgegebenen Kriterien Segmente gebildet werden, basiert die nichtlineare Preisbildung ausschließlich auf der Absatzmenge. Ebenfalls im Gegensatz zur Preisdifferenzierung zielt die nichtlineare Preisbildung auf eine Selbstselektion der Nachfrager ab, indem der Anbieter lediglich eine Tarifstruktur vorgibt und die Nachfrager sich durch ihr tatsächliches Kaufverhalten selber auf Segmente verteilen. Damit fällt eine anbieterseitige Diskriminierung weg, da allen Kunden die gleichen Tarife angeboten werden. Zweiteilige Tarife kombinieren eine Grundgebühr und eine leistungsabhängige Nutzungsgebühr. Bei Blocktarifen haben Kunden die Wahl zwischen mehreren zwei- oder mehrteiligen Tarifen, wobei unterschiedliche Kundensegmente verschiedene Tarifversionen wählen können.

  • Preisbündelung: Unter dem Begriff Preisbündelung wird die Zusammenstellung von Leistungen und die damit verbundene Preissetzung verstanden. Als reine Bündelung wird der ausschließliche Verkauf von Produkten in Bündeln bezeichnet, wobei keine Einzelpreise für die Komponenten ausgewiesen werden. Dagegen werden bei der gemischten Bündelung zusätzlich zur Kombination die Komponenten auch einzeln verkauft, wobei im Regelfall die Summe der Einzelpreise höher ist als der Preis für das Produktbündel. So können etwa die Office-Anwendungen von Microsoft entweder einzeln (MS-Excel, MS-Word etc.) oder als Gesamtpaket (Bundling ) erworben werden. Zu beachten ist hierbei neben potenziellen wettbewerbsrechtlichen Problemen, dass die Bestimmung der optimalen Bündelstrategie, die Zusammenstellung der Bündel bei Mehrproduktunternehmen und die Preisfindung eine komplexe Aufgabenstellung bilden.

  • Dynamic Pricing : Während alle bisher betrachteten Verfahren zur Preissetzung statisch sind und nicht auf dynamische Entwicklungen im Umfeld des Kaufprozesses reagieren, beseitigt Dynamic Pricing diese Defizite, indem es auf Veränderungen (z. B. der Ziele eines Unternehmens, der Kostenstruktur und die Markt- und Wettbewerbssituation) eingeht und die Preissetzung an diese anpasst. Dadurch können Wettbewerbsvorteile im sehr dynamischen E-Business generiert werden. Als zentrales dynamisches Preisfindungsinstrument werden Auktionen angesehen, denen hierbei eine mehrfache Funktion zukommt: Neben der Koordination von Angebot und Nachfrage zu markträumenden Preisen (Koordinationsfunktion) werden selbst für selten gehandelte Güter Preise ermittelt, ohne aufwendige Schätzgutachten erstellen zu müssen (Preisbildungsfunktion). Zusätzlich gestatten Auktionen die Vermarktung von Produkten, für die sich ansonsten nur unter Einschränkungen ein Markt bilden würde, wie etwa Restplätze auf Linienflügen (Allokationsfunktion). Da Auktionen tendenziell dazu geeignet sind, eine große Anzahl von Anbietern anzuziehen, bildet sich potenziell ein separater Distributionskanal, der auch neue Marktsegmente erreichen kann (Distributionsfunktion). Abhängig vom Preisfindungsmechanismus werden meist die drei Auktionsformen Englische Auktion (ab einem festgesetzten Mindestpreis werden aufsteigend Gebote abgegeben, bis kein neues Gebot mehr eintrifft), Holländische Auktion (ab einem hohen Wunschpreis werden absteigend Beträge genannt, bis der erste Bieter akzeptiert) und das Reverse Pricing (zumeist Auftragsauktion als Form der Ausschreibung, bei der ein Kunde eine Leistung erbracht haben möchte und sich Anbieter für die Erbringung dieser Leistung preislich unterbieten) unterschieden. Vorteile für das Unternehmen gerade im Verkauf von Restposten entstehen dadurch, dass eine gewisse Preisintransparenz bestehen bleibt, da der Verkäufer jeweils Individualangebote macht und die entsprechend ausgehandelten Preise nicht einer breiteren Kundenbasis kommuniziert werden.

Schaffen es Anbieter, die Chancen zu nutzen und die Risiken zu reduzieren, ergeben sich aus dem E-Pricing erhebliche Potenziale (Wirtz 2013):

  • Chancen: Durch die Möglichkeit, kundenspezifische Leistungen in kürzester Zeit zu individuellen Preisen anzubieten, ergibt sich über erhöhte Zahlungsbereitschaften signifikantes Umsatzpotenzial. Da zusätzlich durch neue Technologien Vertriebskosten eingespart werden können, ergibt sich ebenfalls ein großes Gewinnpotenzial. Ein weiterer positiver Effekt des E-Pricing ist in einem möglichen Kundenzuwachs zu sehen, wenn aufgrund der geringeren Vertriebskosten Kunden durch niedrigere Preise von Wettbewerbern abgeworben und in digitale Vertriebskanäle gelockt werden. Darüber hinaus sind, z. B. als Reaktion auf Wettbewerbsaktivitäten, sehr schnelle Preisanpassungen möglich. Die dafür notwendigen Konkurrenzinformationen sind im Internet besser zugänglich und günstiger zu beschaffen als vergleichbare Daten aus der Offline-Wirtschaft. Ebenso können Preise kurzfristig so verändert werden, dass die Nachfrage im Sinne der Unternehmensziele beeinflusst wird. Um etwa Bestands- oder Neukunden auf den kostengünstigeren digitalen Vertriebskanal zu lenken, können Unternehmen besondere Konditionen bei Abschluss eines Kaufvertrags im Internet anbieten.

  • Risiken: Sehr niedrigere Preise in einem digitalen Vertriebskanal können sowohl interne als auch externe Konflikte auslösen. So können interne Konflikte dann entstehen, wenn es zu Kannibalisierungseffekten zwischen digitalen (z. B. Webshop) und traditionellen (z. B. Außendienst) Vertriebskanälen kommt. In ähnlicher Weise können externe Konflikte mit unternehmensfremden Vertriebspartnern entstehen, nämlich wenn herstellereigene Online-Kanäle durch Preisvorteile Geschäft abziehen. Diese Entwicklung kann durch die Beteiligung der klassischen Vertriebskanäle an Online-Umsätzen zum Teil kompensiert werden. Eine permanente Erosion des Preisniveaus aufgrund von Kostenvorteilen im Internet führt potenziell dazu, dass sich eine dauerhaft niedrige Preiserwartung bei den Konsumenten einstellt, sodass es schwierig wird, zukünftige Preiserhöhungen durchzusetzen. Auch werden langfristig die Margen der Anbieter belastet, wenn es zu Anstiegen auf der Kostenseite kommt, eine entsprechende Reaktion in Form einer Preiserhöhung sich jedoch dann als schwierig erweist. Schließlich kann die sehr hohe Preistransparenz im Internet zu verschiedenen negativen Konsequenzen führen. So wird die Durchsetzbarkeit der Preisdifferenzierung zunehmend schwieriger, da der Endkunde durch geringe Zugangshindernisse zu Preisinformationen leichter verschiedene Angebote über den Preis vergleichen kann. Unterschiedliche Preise zwischen verschiedenen Kanälen in einem Mehrkanalsystem können Kunden verwirren oder sogar nach einem Kauf Unmut auslösen, wenn der Käufer herausfindet, dass die Leistung woanders wesentlich billiger verfügbar gewesen wäre. Dadurch fühlt sich der Kunde benachteiligt und wird den Anbieter zukünftig mit einem Wucher-Image assoziieren.

Wirtz (2013) beschreibt verschiedene Strategien zum Umgang mit der Preistransparenz im E-Business:

  • Zugriffssteuerung auf Preisinformationen: Es lassen sich zwei Ansätze zur bewussten Steuerung des Kundenzugriffs auf Preisinformationen danach unterscheiden, ob der Anbieter die Preistransparenz seiner Leistungen für Kunden aktiv oder passiv reduziert. Im Fall der aktiven Zugriffsteuerung bestimmt der Anbieter selektiv, welche Kunden Zugriff auf welche Preisinformationen erhalten (z. B. durch kundenspezifische Zugriffsberechtigungen). Bei der passiven Variante überlässt es der Anbieter dem Kunden selbst, ob dieser die auf ihn zugeschnittenen Leistungsangebote auch wahrnimmt. Der Anbieter geht hierbei davon aus, dass sich die Kundengruppen in ihrer Bedürfnisstruktur so stark voneinander unterscheiden, dass sie ausschließlich auf ihre spezifischen Angebote Zugriff nehmen.

  • Vereinheitlichung von Preisen: Es kann für Anbieter vorteilhaft sein, keine Preisdifferenzierung zwischen verschiedenen Vertriebskanälen vorzunehmen und stattdessen einheitliche Preise festzulegen. Dadurch lassen sich Diskussionen auf Kundenseite über Preisunterschiede vermeiden.

  • Reduzierte Vergleichbarkeit von Preisen: Eine weitere Strategie im Rahmen der Preisdifferenzierung stellt das Versioning dar, welches auf der Überlegung beruht, unterschiedliche Preise für verschiedene Angebote zu verlangen. Entsprechend den Kundenpräferenzen werden Produkte derart modifiziert, dass sich für jedes Kundensegment ein spezifischer Preis einstellt (Simon und Fassnacht 2009). Durch diese Angebotsdifferenzierung lassen sich die Preise nur noch schwer vergleichen, sodass die Preistransparenz erheblich gesenkt werden kann.

  • Kundenindividuelle interaktive Preisfindung: Durch neue Technologien können möglichst viele Kunden zu geringen Kosten in die Preisfindung einbezogen werden (insbesondere Auktionen), sodass individuelle Zahlungsbereitschaften abgeschöpft werden können.

Aus Vertriebssicht kann konstatiert werden, dass es in digitalen Vertriebskanälen deutlich mehr Möglichkeiten für ein aktives Preismanagement gibt, als es die öffentliche Diskussion bisweilen suggeriert. Auch hier sind neue Technologien also nicht nur eine Bedrohung (Preistransparenz und Preisverfall), sondern auch eine Chance (Preisverhalten und Preisdifferenzierung). Wenn es dem Vertrieb gelingt, seine Preiskompetenz aus dem persönlichen Verkauf (Preisverhandlungen ) digital zu transformieren, dann geht es auch online eben nicht nur um den Preis. Ein E-Pricing lässt auch in digitalen Vertriebskanälen die Positionierung von Mehrwerten (z. B. Marke, vertriebliche Kernkompetenzen) zu, wenn die spezifischen Mechanismen der Digitalisierung verstanden und genutzt werden.

Ein spezieller Aspekt des Preismanagements ist das Bezahlverhalten . Anbieter von Leistungen sind primär an niedrigen Transaktionskosten und einer Risikominimierung bei Zahlungsausfällen interessiert, wohingegen Käufer auf Sicherheit bzw. Vertrauen und Convenience Wert legen. Beide Parteien wollen also möglichst hohe Sicherheit – allerdings zu Lasten der jeweils anderen Partei (Simon und Fassnacht 2009). Vor diesem Hintergrund kommt Zahlungssystemen im Internet eine besondere Bedeutung zu, weswegen dieser Aspekt nachfolgend diskutiert wird.

6.4.2 Zahlungssysteme im Internet

Für den Erfolg von digitalen Vertriebskanälen sind neben grundsätzlichen IT-Sicherheitsmechanismen (Security Audit , Back-up-Verfahren, Verschlüsselung , digitale Signaturen , Trusted Third Parties usw.) die Wahl des richtigen elektronische Zahlungsverfahrens und die sichere bzw. fehlerfreie Durchführung des Zahlungsaktes von großer Bedeutung, zumal ein Schutz vor Missbrauch gegeben sein muss, der wiederum ausschlaggebend für die Akzeptanz (und das Vertrauen) auf der Kundenseite ist (Kollmann 2013). Denn gerade die Bezahlvorgänge in digitalen Vertriebskanälen werden von beiden Transaktionspartnern nicht ohne Grund als risikoreich wahrgenommen: So erfolgt bei Bezahlung auf Rechnung oder Kreditkarte die Gutschrift der Zahlungsbeträge meist erst nach der eigentlichen Warenauslieferung, was in der Praxis zu Ausfallquoten von bis zu 20 % des Umsatzes führen kann. Die Bezahlung per Vorkasse erweist sich ähnlich wie die Bezahlung per Nachnahme aufgrund einer nur geringen Akzeptanz auf Kundenseite als wenig tragfähig (Strauß 2013).

Anbieter von Leistungen und Käufer weisen in zentralen Aspekten der Bezahlung in digitalen Vertriebskanälen widersprüchliche Interessen zu Lasten der jeweils anderen Partei auf (Simon und Fassnacht 2009). So fordern Käufer Zahlungsziele und bevorzugen die Bezahlung auf Rechnung (d. h. nach Erhalt der Ware), während Verkäufer an einer möglichst umgehenden Zahlung (oder zumindest Zahlungsgarantie) interessiert sind (Strauß 2013). Die Bequemlichkeit der Zahlung (z. B. per Kreditkarte) für Kunden wird finanziert über hohe Gebühren für den Händler (Henkel 2001b). Häufig werden vor diesem Hintergrund Treuhanddienstleistungen Dritter in Anspruch genommen oder gar der gesamte Zahlungsprozess komplett an externe Dienstleister ausgelagert, da das Anbieterunternehmen im Bereich elektronischer Zahlungssysteme nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügt und besonders die Sicherheitsaspekte eine gewisse Professionalität im Umgang mit sensiblen Kundendaten (Zahlungsinformationen) erfordern (Kollmann 2013). Insbesondere sind an E-Payment analog zu den bislang gewohnten Offline-Zahlungsmitteln folgende Anforderungen zu stellen (Dannenberg und Ulrich 2004; Henkel 2001a; Kollmann 2013; Merz 2002; Strauß 2013):

  • (Technische) Sicherheit: Es muss ein sicherer Transfer von Kunden- und Warendaten konform mit Standards der Datensicherheit in Bezug auf Angriffe, Missbrauch oder Manipulation von Finanztransaktionen sichergestellt werden.

  • Akzeptanz und Verbreitungsgrad: Wünschenswert ist eine große Verbreitung im Markt sowohl aus Käufer- als auch Verkäufersicht im Sinne einer kritischen Masse.

  • Niedrige Einstiegshürden: Eine unbequeme Handhabung mit hohen Anforderungen an die eingesetzte Hard- und Software (z. B. elektronische Geldbörsen bzw. „Electronic Wallets“) erweist sich für das Erreichen einer kritischen Masse in der Regel als problematisch.

  • Wirtschaftlichkeit: Gleichfalls reduzieren hohe Betriebskosten sowie hohe Transaktionskosten insbesondere bei Kleinstbeträgen oder auch Modelle, welche die Beteiligung eines Nutzers an den Transaktionskosten vorsehen, die Akzeptanz elektronischer Zahlungssysteme.

  • Verfügbarkeit: Zu den Charakteristika des Internets passend, sollten „24/7“, minimales Ausfallrisiko und maximale Nutzbarkeit selbst in Spitzenzeiten für autorisierte Zugriffe selbstverständlicher Bestandteil von E-Payment sein.

  • Skalierbarkeit : Das elektronische Zahlungssystem sollte in Bezug auf die Anzahl der Teilnehmer und die verfügbaren Währungen jederzeit erweiterbar sein.

  • Benutzerfreundlichkeit: Das elektronische Zahlungssystem muss einfach und intuitiv zu beherrschen sein.

  • Universelle Nutzbarkeit: Das elektronische Zahlungssystem muss für unterschiedliche Höhen von Beträgen ausgelegt sein – unterschiedliche Bezahlsysteme für unterschiedliche Beträge werden, jedenfalls bislang, nicht akzeptiert.

  • Zahlungsmodus : Der Kunde sollte bestimmen können, auf welche Weise Finanzmittel transferiert werden sollen, etwa über ein späteres Clearing bestehender Accounts durch Finanzdienstleister oder „Cash-like“ (Direktzahlung) durch die direkte Übermittlung von bargeldartigen Dateien (elektronisches Geld) zwischen Anbieter und Kunde.

  • Anonymität : Einerseits sollten keine Rückschlüsse auf die Privatsphäre des Nutzers möglich sein, auf der anderen Seite muss jedoch im Zweifelsfalle die Durchführung nachvollziehbar und die Rechtmäßigkeit von Transaktionen nachzuweisen sein.

  • Adressvalidierung und Scoring : Aus Sicht der Anbieter ist die Überprüfung der angegebenen Adresse auf ihre Richtigkeit wünschenswert. Darüber hinaus sollte die Einbindung von Scoring-Systemen möglich sein, wobei das Zahlungsverhalten von Online-Kunden anhand verschiedener Beurteilungskriterien prognostiziert und damit eine Risikobeurteilung vorgenommen wird.

  • Forderungs - und Debitorenmanagement : Je nach gewählter Zahlungsabwicklung (z. B. Rechnung oder Kreditkarte) müssen nach erfolgter Lieferung die Zahlungseingänge überwacht und kontrolliert werden, damit ausstehende Forderungen sofort an das Mahnwesen weitergeleitet werden können.

Eine häufige Kategorisierung elektronischer Zahlungssysteme im E-Payment erfolgt anhand des Zahlungszeitpunktes (Debit oder Kredit , vgl. Kollmann 2013): Bei Prepaid -Verfahren handelt es sich beispielsweise um Geldkarten (hardwarebasiert, „Notational Money“, z. B. Paysafecard) oder um elektronisches Geld, etwa wie eMoney/eCash oder MicroMoney (softwarebasiert, „Token Money“). Das Geld wird dabei vor der eigentlichen Bezahlung auf die Geldkarte oder das Internetkonto geladen. Dagegen wird bei Pay-Now -Verfahren das Konto des Käufers zeitgleich mit der Bezahlung belastet, z. B. beim Bezahlen per Nachnahme, Lastschrift oder bei Mobile Payments. Schließlich zählen Zahlung per Kreditkarte und das Bezahlen per Rechnung zu den Pay-Later -Verfahren.

Zusätzlich gibt es Billing - oder Inkasso-System e, wie etwa ClickandBuy oder Giropay. Neben der Kombination von Online-Kaufprozessen und Offline-Zahlungsvorgängen ergeben sich immer mehr Möglichkeiten, den gesamten Zahlungsprozess online abzuwickeln. Entweder werden hierbei herkömmliche Bankinformationen (insbesondere SEPA-Daten oder Kreditkartennummer) verschlüsselt übertragen (zumeist per SSL, Secure Socket Layer ) bzw. über Dritte die Authentizität der Zahlungsgeber und Zahlungsempfänger gewährleistet (Trust Center ), oder die finanzielle Transaktion wird über elektronisches Geld abgewickelt (Bargeldäquivalent /eCash).

Eine alternative Kategorisierung elektronischer Zahlungssysteme lässt sich anhand der Höhe der zu bezahlenden Summe vornehmen (Kollmann 2013; Korell und Kiefer 2001). Von Macropayment wird gesprochen, wenn höhere Geldbeträge transferiert werden (5 bis 500 €) und dadurch ein höherer Sicherheitsstandard erfüllt sein muss. Micropayments stehen für Zahlungsbeträge im niedrigen Euro- bzw. Centbereich (10 Cent bis 5 €), und von Picopayment wird gesprochen, wenn die Zahlungswerte sehr gering sind (0,1 Cent bis 10 Cent), z. B. beim Verkauf von Zeitungsinhalten oder Börseninformationen Anwendung findet, wobei in der Regel auf kostenintensive Sicherheitsmaßnahmen verzichtet wird. Das bekannteste Mikropayment-System zur Begleichung von Mittel- und Kleinbeträgen im Online-Handel ist sicherlich PayPal (Feller 2006). Bei allen Systemen sollen Sicherheitsmechanismen Vertrauen schaffen, damit Käufer und Verkäufer bereit sind, den Zahlungsvorgang über das Internet durchzuführen (Kollmann 2013).

Zurzeit existieren international mehrere Hundert Bezahlsysteme, welche vorwiegend den Privatkundenbereich (B2C) betreffen. Durch Verschmelzung von Telefonie mit dem Web (Mobile Commerce) ergeben sich zusätzlich neue attraktive Varianten, insbesondere das mobile Bezahlen via Smartphone (Strauß 2013). Allerdings konnte noch kein mobiles Zahlungsverfahren eine relevante Marktdurchdringung erreichen (Lerner 2013; Leshik 2012). Eine Auflistung aller Zahlverfahren erscheint aufgrund sowohl der Schnelllebigkeit der Entwicklung als auch der Vielzahl existierender Anbieter kaum zielführend (Strauß 2013).

Aus Vertriebssicht sind elektronische Zahlungssysteme weniger eine technische, sondern vielmehr eine psychologische Hürde für die Akzeptanz digitaler Vertriebskanäle. Es gilt, Unsicherheiten und Sicherheitsvorbehalte auf Kundenseite zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass die Macht- bzw. Risikoverteilung zwischen Anbieter und Käufer als symmetrisch wahrgenommen wird. Ein wesentlicher Aspekt für das Preismanagement sind die Kosten für die Bezahlsysteme, die gerade bei geringwertigen Gütern in geringer Stückzahl die Wirtschaftlichkeit digitaler Vertriebskanäle gefährden, wenn die zusätzlichen Kosten nicht an die Kunden weitergegeben werden können (Simon und Fassnacht 2009). Mit Blick auf die Effektivität und Effizienz der Total Customer Experience ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem kundenseitigen Wunsch nach möglichst vielen Zahlungsoptionen und der hieraus entstehenden Komplexität sowie dem Wirtschaftlichkeitserfordernis.

Auf der anderen Seite besteht eine besondere Chance von elektronischen Zahlungssystemen in der genauen Analyse der Transaktionsdaten, des Kundenverhaltens und des Preiscontrollings . Diesem kommt aufgrund der Innovationsgeschwindigkeit und Ungewissheiten digitaler Bezahlsysteme eine noch größere Bedeutung zu als in klassischen Vertriebskanälen (Simon und Fassnacht 2009).

6.4.3 Zusammenfassung

Die Vertriebskanalstrategie ist im Gegensatz zu den ersten drei Entscheidungstatbeständen eine originäre Domäne des Vertriebs mit traditionell recht hohen Freiheitsgraden für die Vertriebsleitung. Das bedeutet aber auch, dass die Gefahr einer „Weiter so“-Mentalität in keinem Strategiefeld größer ist. Denn eine einseitige Konzentration auf Offline-Vertriebskanäle überlässt die zukunftweisenden Online-Vertriebskanäle anderen Funktionen und trägt damit potenziell zur Zersplitterung der Vertriebskanalstrategie bei. Digitale Vertriebskanäle gehören organisch zum Vertriebsmanagement und nicht in die IT oder zum Marketing. Allerdings muss diese Forderung nach einer Integration der Vertriebskanäle unter dem Dach der Vertriebsorganisation auch mit entsprechenden Kompetenzen untermauert sein.

Dazu gehören etwa der Blick über den operativen Tellerrand des Vertriebs und nachfolgend die Eingliederung in den Gesamtkontext der unternehmensübergreifenden Wertkette. Das E-Supply-Chain-Management kann hierbei als integratives Rahmenkonzept für die Vertriebsstrategie verstanden werden. Neue Technologien forcieren die digitale Integration der Wertschöpfungskette und definieren damit auch neue Herausforderungen für den Vertrieb. Dieser sollte zwar die Oberhoheit über digitale Vertriebskanäle beanspruchen, muss aber gleichzeitig willens und in der Lage sein, sich im Rahmen eines Collaborative Commerce durch aktives Schnittstellenmanagement mit internen und externen Wertschöpfungspartnern zu vernetzen. Weiterhin muss sich der Vertrieb auf fundamentale Veränderungen organisationalen Kaufverhaltens durch zunehmendes E-Procurement einstellen und organisatorische Konsequenzen ziehen. Ein wahrscheinliches Szanario hierfür ist eine Ausdifferenzierung von effizienz- und effektivitätsorientierten Vertriebsprozessen. Routineaktivitäten können dann unter Verwendung jeweils neuester Technologien zur Entlastung des Außendienstes standardisiert und digitalisiert werden. Dieser kann sich dann auf seine Effektivität in der Kundeninteraktion und bei der Befriedigung von Kundenbedürfnissen konzentrieren.

Kundenbedürfnisse und Trends im Kaufverhalten statt Medien und Technik sind auch der Ausgangspunkt bei der Wahl der Vertriebskanäle. Hier sorgt die Digitalisierung für immer neue Alternativen und steigert so die Komplexität der Auswahlentscheidung. Umso wichtiger ist ein systematisches Abwägen von vielfältigen Determinanten für (oder gegen) die Eignung einzelner Kanalalternativen. Auch gilt hierbei nicht das Prinzip „entweder – oder“, sondern „sowohl – als auch“. Multioptionale Kunden und hybrides Kaufverhalten erzwingen den Mehrkanalvertrieb. Dieser ist wiederum durch vielfältige Herausforderungen gekennzeichnet, so etwa kanalübergreifende Markenkonsistenz, Preisharmonisierung, Channel-Relationship-Management und Co-Marketing im Umgang mit Vertriebskanalkonflikten. Wenn der Vertrieb hierfür notwendige Kompetenzen im Sinne von Covolution zu entwickeln in der Lage ist, wird ein effektives Multi-Channel-Management im Vertrieb zum potenziellen strategischen Wettbewerbsvorteil des Unternehmens.

Während das Multi-Channel-Management die Integration von Online- und Offline-Vertriebskanälen umfasst, beinhalten die digitalen Vertriebskanäle spezifische Herausforderungen. Zunächst erweist sich ein elektronisches Preismanagement über die Zeit und verschiedene Kanäle hinweg als Erfolgsfaktor digitaler Vertriebskanäle. Diese bieten innovative Möglichkeiten für individuelle (Price Customization) und dynamische (Dynamic Pricing) Preisanpassungen. Entgegen dem Trend zur technisch möglichen Preistransparenz im Internet zeigt sich Kunde Mensch auch im Cyberspace nicht als Homo Ooeconomicus. Das individuelle Preisverhalten wird durch eine Vielzahl von Determinanten bestimmt, die auch in digitalen Vertriebskanälen Preisdifferenzierungen und damit Gewinnpotenziale zulassen. Der Ansatz des Behavioral Pricing lässt für den Vertrieb und im Internet auch weiterhin neben dem Preis Raum für die Positionierung von differenzierenden Mehrwerten und damit für die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen. Dafür ist jedoch mit dem Thema Zahlungssicherheit eine wesentliche Hürde im Online-Preisverhalten zu nehmen. Denn Zahlungssysteme sind Kristallisationspunkt von gegenläufigen Sicherheitsbestrebungen und Risikowahrnehmungen. Zu einer speziell im B2C-Segment noch immer vorzufindenden Skepsis gegenüber elektronischen Bezahlvorgängen trägt auch die System- und Innovationsvielfalt im E-Payment bei. Der Vertrieb muss hier den mit der Multioptionalität auf Kundenseite verbundenen Wunsch nach möglichst vielen Bezahloptionen mit der Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Systeme abwägen.

Die folgenden Leitlinien sollten strategischen Überlegungen zur Vertriebskanalstrategie zugrunde gelegt werden:

  • Integrierte Betrachtung : Mit dem Value-Chain-Management tritt für den Vertrieb ein weiterer Integrationsmechanismus neben das CRM und die interaktive Markenführung. Vertriebskanäle mögen die Domäne des Vertriebs sein – strategisch sind sie gleichwohl in das unternehmensübergreifende Supply-Chain-Management zu integrieren. Daraus ergeben sich vielfältige Notwendigkeiten für unternehmensinternes und wertschöpfungsstufenübergreifendes Schnittstellenmanagement. Einerseits ist die Digitalisierung im Vertrieb Treiber dieses Prozesses, andererseits können neue Technologien die Umsetzung auch unterstützen.

  • Kombination von Kernkompetenzen und innovativen Anwendungen: Die traditionelle Kernkompetenz des Vertriebs im Bereich Vertriebskanalmanagement sollte auch für digitale Vertriebskanäle genutzt werden. Denn Ausgangspunkt bleibt der Kunde mit seinen Bedürfnissen. Gleichwohl müssen aber für einen erfolgreichen Multi-Channel-Vertrieb neue Kompetenzen erarbeitet werden, um die Potenziale neuer Technologien auszuschöpfen. Hierzu gehören insbesondere Fähigkeiten zum Channel Relationship Management und zum Behavioral Pricing.

  • Orientierung am Kundennutzen (Effektivität ): Immer mehr Kunden erwarten die anbieterseitige Verschmelzung von Online- und Offline-Angeboten hin zu einem No-Line-Vertrieb. Die kundenorientierte Orchestrierung vielfältiger Vertriebskanäle im Rahmen eines Multi-Channel-Ansatzes wird zum zentralen Erfolgsfaktor der Digitalisierung im Vertrieb. Dies impliziert gerade im B2B-Geschäft auch den Blick über den vertrieblichen Tellerrand im Rahmen einer Orientierung an der unternehmensübergreifenden Wertkette. Auch hier gewinnt derjenige Anbieter, dessen Vertrieb sich als Partner in kooperativen Wertschöpfungsnetzwerken erweist.

  • Betriebswirtschaftliche Ergebnisorientierung (Effizienz ): Multi-Channel-Vertrieb ist kein Selbstzweck und darf sich nicht verzetteln. Nicht jeder technisch mögliche Vertriebskanal erreicht kundenseitig eine kritische Masse, nicht jede neue Technologie passt zum Leistungsangebot und nicht jedes Zahlungssystem ist wirtschaftlich profitabel. Der Vertrieb ist Teil der betriebswirtschaftlichen Disziplin und muss demnach neben kundenseitigen Erfordernissen und technischen Möglichkeiten immer auch die Grenzkosten und Grenznutzen neuer Technologien abwägen.

Abbildung 7 fasst die Überlegungen zu den digitalen Erfolgsfaktoren der Vertriebskanalstrategie zusammen.

Abb. 7
figure 7

Digitale Erfolgsfaktoren der Vertriebskanalstrategie

7 Fazit

Die öffentliche Diskussion um die Digitalisierung im Vertrieb weist Merkmale der Blasenbildung auf. Sicherlich ist wohl anzunehmen, dass alles, was sich als Algorithmus ausdrücken lässt, mittelfristig durch neue Technologien automatisiert wird. Gerade aber im wirtschaftssozialen Vertriebsprozess trifft dies eben nicht auf alle Bereiche zu. Weder gilt für neue Technologien das olympische Motto „dabei sein ist alles“ noch das Prinzip „überall dabei – leg ich schnell ein Ei“. Manche neue Technologie, mancher bekannte Anbieter und manches aufmerksamkeitsstarke Schlagwort wird bereits in wenigen Jahren wieder vergessen sein. Gleichwohl ist das Phänomen zu wichtig und die laufenden Veränderungen zu fundamental, um die Digitalisierung im Vertrieb zu bagatellisieren.

Es ist aber für Entscheidungsträger in der Praxis angesichts der allzu häufig interessengeleiteten Aussagenvielzahl der Studien, Cases und Beratungsempfehlungen zunehmend schwer, den fundamentalen Sachverhalt und resultierende Handlungsoptionen noch zu überblicken. Die Detaildiskussion um Instrumente verstellt schnell den Blick auf das große Ganze. Daher ist bei der Beschäftigung mit der Digitalisierung im Vertrieb ein Top-down-Ansatz anzuraten, der aus einer strategischen Perspektive heraus differenziert den Nutzen und die Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien einordnet. So können die vielfältigen Möglichkeiten mit ihren jeweiligen Konsequenzen systematisch aufeinander abgestimmt, priorisiert und ausgeschöpft werden. In diesem Beitrag wurde mit Blick auf vertriebsstrategische Grundsatzentscheidungen mit Digital Sales Excellence ein Ansatz entwickelt, der den innovativen und prozessorientierten Einsatz von IT-gestützten Hilfsmitteln mit dem Ziel sicherstellen soll, Vertriebsergebnisse nachhaltig zu steigern und den Vertrieb als Wettbewerbsvorteil zu positionieren. Das Thema gehört unter Beachtung gesamtstrategischer Zielvorgaben in das Kalkül des Vertriebsmanagements.

Eine Vertriebsstrategie weist im Wesentlichen vier Dimensionen auf. Den jeweiligen Entscheidungstatbeständen lassen sich auf der Basis einer Analyse der Mechanismen des E-Business jeweils digitale Erfolgsfaktoren zuordnen. So können neue Technologien im vertrieblichen Kontext zielführend und unter Beachtung durchgängig stringenter Leitlinien diskutiert werden. Aus dieser Diskussion heraus lässt sich für jede der vier vertrieblichen Strategiedimensionen eine zusammenfassende Grundsatzthese formulieren:

  • Digitale Erfolgsfaktoren von Kundendefinition, -segmentierung und -priorisierung: Individualisierung ist gleichzeitig sowohl Zielgröße (E-Strategie) als auch Treiber (One-to-One-Marketing, Mass Customization) der Digitalisierung im Vertrieb.

  • Digitale Erfolgsfaktoren bei der Definition von Wettbewerbsvorteilen: Ist der Vertrieb eine unternehmerische Kernkompetenz, so lässt sich diese durch neue Technologien zum strategischen Wettbewerbsvorteil ausbauen. Ausgehend von einem innovativen Geschäftsmodell generieren Vertriebsaktivitäten relevanten (E-)Content, der sich durch E-Marketing Communications interaktiv vermitteln und skalieren lässt.

  • Digitale Erfolgsfaktoren der Kundenbeziehungsstrategie: Total Customer Experience als Messlatte der Kundenbeziehungsstrategie nach außen benötigt interaktive Markenführung als strategischen und (E-)CRM als operativen Integrationsmechanismus nach innen.

  • Digitale Erfolgsfaktoren der Vertriebskanalstrategie: Vertriebskanäle als Träger des Kundenbeziehungsmanagements sind originäre Domäne des Vertriebs – die Digitalisierung erzwingt aber einerseits eine stärkere Integration in die zugrunde liegende Wertschöpfungskette und andererseits die Entwicklung neuer vertrieblicher Kompetenzen in den Bereichen Preismanagement und Zahlungssysteme

Abbildung 8 fasst die Überlegungen zu den digitalen Erfolgsfaktoren der vertrieblichen Strategiedimensionen zusammen und skizziert aus der Diskussion resultierende Beziehungszusammenhänge.

Abb. 8
figure 8

Digitalisierung im Vertrieb aus strategischer Perspektive

Insgesamt wird deutlich: Es geht zentral um die Verknüpfung von „alten“ Vertriebstugenden mit „neuen“ Technologien. Letztere sind naturgemäß eine notwendige Voraussetzung für die Digitalisierung im Vertrieb, aber strategisch wirklich erfolgskritisch ist die Entwicklung integrativer Kompetenzen. Dabei geht es nicht darum, die klassischen Stärken des Vertriebs, wie Kundenorientierung, Interaktionsqualität und Beziehungsmanagement, zu „ent-lernen“. Vielmehr gilt es, diese Kernkompetenzen zu bewahren, sie stärker strategisch in die gesamtunternehmerische Strategie einzubringen und sie optimal mit digitalen Technologien zu verknüpfen. Neue Technologien sind vor diesem Hintergrund letztlich nichts anderes als Medien für die digitale Transformation des Vertriebs. Sie gefährden seine Zukunft nicht – sie sichern sie.