Zusammenfassung
Die deutschen Bundesländer haben parlamentarische Regierungssysteme, deren Verfassungsbestimmungen für die Regierungsbildung sich wenig unterscheiden. Damit kann sich die Erklärung der Koalitionsbildung auf das Stimmengewicht und die Politikpositionen der Landtagsparteien konzentrieren. Aufbauend auf früheren Untersuchungen, insbesondere von Bräuninger und Debus (Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern, 2012), wird ein neues Vorgehen zur Bestimmung von politikfeldspezifischen Parteipositionen vorgestellt und angewendet (manuelle Verschlüsselung von Kapitelüberschriften in Wahlprogrammen, um den nachfolgenden Text einem Politikfeld zuordnen zu können, und anschließend computerunterstützte Positionsmessung in fünf Politikfeldern mit Wordfish). So werden erstens der starke Einfluss der bildungspolitischen Übereinstimmung der Parteien auf die Koalitionsbildung nachgewiesen und zweitens das Zusammenwirken von Stimmengewichts- und Politik-Einfluss auf die Regierungsführung. Welche Partei den Ministerpräsidenten stellt, hängt von zwei Merkmalen ab: Gibt es im Landtag eine dominante Partei, wird sie den Ministerpräsidenten stellen; gibt es keine, stellt die Partei den Ministerpräsidenten, deren Distanz zum Mittelwert aller Landtagsparteien im mehrdimensionalen Politikraum am geringsten ist.
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Nur in Artikel 44 (3) der Bayerischen Verfassung heißt es allgemeiner, dass der Ministerpräsident zurücktreten muss, „wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen“.
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In Hamburg wurden bis zur Verfassungsänderung 1996 die Mitglieder des Senats (d. h. der Regierung) von der Bürgerschaft einzeln gewählt und der Senat wählte dann erst aus seiner Mitte den Ersten Bürgermeister. Vgl. zur jetzigen Rechtslage Ley (2010).
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Nur die Verfassung von Rheinland-Pfalz sieht eine solche zeitliche Befristung der Amtszeit der Regierung nicht vor (vgl. dazu auch Ley 2010, S. 399), wie auch Hamburg bis zur Verfassungsänderung 1996 einen „immerwährenden Senat“ kannte.
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Diese sind: Arbeit und Soziales, Aufbau und Wiederaufbau, Bau, Kultus, Bund und Europa, Kriegsfolgen, Landwirtschaft, Finanzen, Justiz, Inneres, Umwelt und Landesplanung, Wirtschaft und Verkehr, ohne Geschäftsbereich/Sonderaufgaben, Staatskanzlei. Einleitung und Präambel werden gesondert verschlüsselt, sind aber kein eigener Politikbereich. Damit das Kategorienschema auch auf Bundesebene angewendet werden kann, wurde zusätzlich die Kategorie Außen- und Sicherheitspolitik hinzugefügt (Seher und Pappi 2011).
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Die Politikfelder Bund und Europa, Aufbau und Wiederaufbau, Kriegsfolgen, Staatskanzlei sowie ohne Geschäftsbereich/Sonderaufgaben werden hier nicht verwendet. Sie kommen in den Landtagswahlprogrammen auch kaum vor.
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Die verwendete Liste mit stopwords ist im tm-Paket des Statistikprogramms R enthalten und wurde lediglich so angepasst, dass die Begriffe einig und einigen aus der stopword-Liste entfernt wurden, da diese Begriffe im deutschen Kontext als relevant erachtet werden.
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Die Festlegung der Grenze bei vier Bundesländern wurde mit Blick auf die drei Stadtstaaten (Berlin, Hamburg und Bremen), die aufgrund zusätzlicher Zuständigkeiten und spezieller Problemlagen besonders große Unterschiede zu den übrigen Bundesländern aufweisen, gewählt.
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Die CDU hat für die Landtagswahl 1990 in Brandenburg allerdings kein Wahlprogramm verabschiedet, so dass hier keine Politikposition vorliegt.
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Eine Ausnahme bildet das Politikfeld Kultus, in dem nur 46 % der Quasi-Sätze auch anhand der Überschriftenverschlüsselung dem Politikfeld Kultus zugeordnet werden.
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Bei der hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 verlor die Regierung Koch ihre Mehrheit und blieb bis zur Neuwahl am 19. November 2008 geschäftsführend im Amt. Auch diese Regierung ist im Datensatz von Bräuninger und Debus enthalten. Wir werden geschäftsführende Regierungen in den Analysen unseres gesamten Datensatzes von 1975 bis 2010 nicht berücksichtigen.
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In Hamburg wurde 1993 eine Koalition aus SPD und Statt-Partei gebildet. Da für die Statt-Partei kein Wahlprogramm recherchiert werden konnte, entfällt diese ansonsten einschlägige Koalitionsbildungssituation.
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Pappi, F., Seher, N. (2014). Die Politikpositionen der deutschen Landtagsparteien und ihr Einfluss auf die Koalitionsbildung. In: Linhart, E., Kittel, B., Bächtiger, A. (eds) Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie. Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie, vol 8. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05008-5_6
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