Zusammenfassung
Die Klassendiskussion in Bezug auf die Staaten und Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens ist eine alte Diskussion, die bis zur vorkolonialen Zeit reicht (Beinin und Lockmann, Workers on the Nile: Nationalism. communism, Islam and the Egyptian working class, 1882–1954, 1987; Lockman, Workers and working classes in the middle East: Struggles, histories, historiographies, 1994) und die wissenschaftlichen Debatten der postkolonialen Phase im Rahmen der Entwicklungsdebatten dominiert (Turner, Capitalism and class in the middle East: Theories of social change and economic development, 1984; Amin, La nation arabe. Nationalisme et luttes de classes, 1976; Batatu, The old social classes and the revolutionary movements of Iraq: A study of Iraq’s old landed and commercial classes and of its communists, Ba’thists, and free officers, 1978). Zusammengefasst kann man drei Debattenstränge identifizieren. Eine erste Gruppe von Autoren sieht aufgrund der nicht etablierten kapitalistischen Strukturen, fehlender Industrialisierung und der Dominanz ethnischer, religiöser und tribaler Mobilisierungsmechanismen die Klassenanalyse als nicht ergiebig für die Gesellschaften der MENA-Region (Turner, Capitalism and class in the middle East: Theories of social change and economic development, 1984, S. 1–66). Für die zweite Gruppe gilt die Anwendung der marxistisch-weberianischen Klassenanalyse als gegeben (Turner, Capitalism and class in the middle East: Theories of social change and economic development, 1984). Samir Amin spricht von Klassen in prä-kapitalistischen Umständen. Zwar formieren sich Klassen nur unter Industrialisierungsbedingungen, jedoch ist Amin der Meinung, dass durch die imperialistischen Züge Europas sich embryonäre Klassen formiert haben (Amin, La nation arabe. Nationalisme et luttes de classes, 1976). Die dritte Gruppe bündelt die beiden Analyseraster, nämlich die Überlappung des Klassencharakters und der tribalen und kulturellen Strukturen (Halpern, The politics of social change in the middle East and North Africa, 1963). Für die Vertreter dieser Gruppe führt zwar die Anbindung der wirtschaftlichen Strukturen der Region an die Weltwirtschaft zur Entstehung von klassenähnlichen Strukturen, jedoch dienen weiterhin Ethnie, Glaube und Familie als Mobilisierungskanal und weniger die Klassenzugehörigkeit. Der Rückgriff auf die familiären und tribalen Sippensolidaritäten als Antwort auf lokale und globale wirtschaftliche Veränderungen ist nötig, weil ein Klassenbewusstsein nicht vorhanden ist. Die Verzahnung zwischen tribal-familiär-religiösen Strukturen und Klassenstrukturen hat Batatu für den Irak und Syrien beschrieben (Batatu, The old social classes and the revolutionary movements of Iraq: A study of Iraq’s old landed and commercial classes and of its communists, Ba’thists, and free officers, 1978, Syria’s peasantry, the descendants of its lesser rural notables, and their politics, 1999).
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Arabische Bezeichnung für Vorteilbeschaffung durch nepotistische Beziehungen.
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Ouaissa, R. (2014). Die Mittelschichten als analytische Kategorie. In: Die Rolle der Mittelschichten im Arabischen Frühling. essentials. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-04950-8_2
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