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Krasser Wandel – Wahrnehmung von Katastrophen und Katastrophenerinnerung

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Zusammenfassung

Wandel, der mit sehr hoher Dynamik und katastrophischen Folgen verläuft, kann als krasser Wandel (L. Clausen) bezeichnet werden. Unserem übergreifenden Forschungsinteresse folgend fokussieren wir hier Wahrnehmungen sogenannter „Naturkatastrophen“, die freilich stets verschiedene soziale Komponenten besitzen. Obwohl krasser Wandel sich ob seiner Bedrohlichkeit – im Vergleich zu langsam verlaufendem Wandel – förmlich der Wahrnehmung aufdrängt, eröffnet die Analyse mündlicher Berichte über Katastrophenerfahrungen (im Kontext von überschwemmungen in New Orleans, an der Oder, in Accra/Ghana sowie nach einem Vulkanausbruch im chilenischen Chaitén) ein Verständnis der auch im Falle von krassem Wandel prozesshaft und schrittweise erfolgenden Wahrnehmung aktuellen Katastrophengeschehens sowie der sozialen Deutung solcher Situationen. Hieran schließt die Frage nach Katastrophenerinnerung als Ermöglichung wie auch als Hindernis adäquater Einschätzungen krassen Wandels an. Damit verbinden sich überlegungen zu Chancen eines Lernens aus Katastrophenerinnerungen, sowie zu deren Zeithorizonten und Zeitperspektiven. Somit wird Katastrophenerinnerung hier nicht nur in ihren Vergangenheits-, sondern auch in ihren Zukunftsbezügen, d.h. als Zukunftserinnerung, betrachtet.

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Notes

  1. 1.

    Siehe dort (IPCC 2012, S. 8–16) insbesondere die sehr differenzierten Aussagen zu Erkenntnissen über (potentielle) Veränderungen von Wetterextremen und deren Zusammenhang mit anthropogenem Klimawandel.

  2. 2.

    Für ein genaueres Verständnis ist es in diesem Zusammenhang erforderlich, über eine einfache Dichotomie von Mensch und Natur hinauszugehen und den Begriff von Natur wie auch das Verhältnis Mensch-Natur genauer zu erörtern. Dabei müssen insbesondere die Naturaspekte des menschlichen Lebens wie auch die Naturseite der von Menschen geformten Welt sorgfältig erfasst werden. Nur auf diesem Wege wird es möglich „Natur“-Katastrophen etwa im Sinne der von Elias angesprochenen Vorstellung zu begreifen, die von ‚Menschen in der Natur‘ ausgeht und die Menschen also „nicht abgesondert für sich, sondern eingebettet in das Naturgeschehen“ (Elias 1988, S. XV) betrachtet. Vgl. hierzu auch das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, das allgemeine Grundmuster der Beziehung zwischen Mensch, Gesellschaft und Natur zu erfassen sucht (Becker et al. 2011) bzw. die ohnehin viel weiter zurückreichende Tradition, die Schmidt (1971) sorgfältig referiert.

  3. 3.

    Leicht zu erkennen sind hierbei die spezifischen gesellschaftstheoretischen Vorstellungen, die dem ereignisbezogenen und zeitlich eng gefassten Katastrophenbegriff zugrunde liegen. In ihm spiegelt sich die in den 1950er bestehende und bis in die 1960er Jahre reichende Dominanz der gesellschaftstheoretischen Strömung des Strukturfunktionalismus, die nahelegt, Katastrophen als außerordentliche Störungen normaler gesellschaftlichen Stabilität zu begreifen, zu deren Wiederherstellung es entsprechend außerordentlicher – und einem Paradigma militärischer Intervention folgender – reaktiver Maßnahmen der Katastrophenhilfe bedarf (Nigg und Mileti 2002, S. 275).

  4. 4.

    Besonders Douglas (1992, S. 51) hebt die kulturelle Dimension der Wahrnehmung von Gefahren und Risiken hervor.

  5. 5.

    Um unterschiedliche Ausmaße von Katastrophen zu unterscheiden, ist die ergänzende Nutzung des englischsprachigen Begriffes „disaster“ erwägenswert. Lars Clausens Übersetzung eines Textes von Enrico L. Quarantelli (2003) zur Unterscheidung von „kleineren“ Desastern und „größeren“ Katastrophen behält z. B. auch im Deutschen diese Begriffsunterscheidung bei. Dennoch benutzen wir hier durchgängig den im Deutschen ohnehin gängigeren Katastrophenbegriff in seinem oben dargelegten weiten Sinne, da sich dieser gerade für eine vergleichende Perspektive auf Katastrophengeschehnisse unterschiedlicher Art und Ausmaße eignet.

  6. 6.

    Siehe zu diesen einzelnen Fallstudien unsere eingangs von Teil II gegebenen Erläuterungen.

  7. 7.

    Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) (2012, S. 3).

  8. 8.

    Vgl. zum unterschiedlichen Einfluss direkter und indirekter Erfahrungen auf subjektive Entscheidungen bereits Whyte (1985, S. 420).

  9. 9.

    Zu Rolle der Medien in der Darstellung und Wahrnehmung von Naturkatastrophen vgl. auch Beiträge in Groh et al. (2003).

  10. 10.

    In drastischer und tragischer Weise zeigt sich diese Fehlbarkeit wissenschaftlicher Prognosen im Falle des starken Erdbebens im italienischen Aquila im Jahre 2009, vor dem die zuständigen Seismologen trotz einer Welle vorangegangener Erdstöße nicht warnten. Vor Gericht wurden Wissenschaftler und Katastrophenschützer hierfür 2012 in einem internationales Aufsehen erregenden und stark kritisierten Urteil schuldig gesprochen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.2012, S. 9).

  11. 11.

    Bei der Interpretation solcher Sequenzen gilt es, zumindest zwei Ebenen zu berücksichtigen: Zum einen interessieren uns hier die darin dokumentierten Spuren von Katastrophengeschehen. Zum anderen sind diese Erzählungen selbstverständlich bereits Rekonstruktionen der Befragten, die deren Katastrophenerfahrungen retrospektiv schildern. Der Blick z. B. auf das in den Interviews dokumentierte Verhältnis von Laien- und Expertenwissen muss daher stets auch die retrospektive Deutung dieser problematischen Beziehung berücksichtigen.

  12. 12.

    Auch auf diese Frage der Rückkehr und Ortsbindung geht die Dissertation von Gitte Cullmann ausführlich ein.

  13. 13.

    Ingo Haltermanns Dissertation wird detaillierter auf eine solche Überlagerung von Problemen eingehen. – Es handelt sich hierbei übrigens um einen Zusammenhang, der auch allgemein formuliert werden kann und der Katastrophenforschung nicht ganz neu ist: „People for whom everyday life is an ongoing crisis are not likely to be able to protect themselves against the intermittent crises that disasters produce, even if they would like to be able to do so.“ (Tierney et al. 2001, S. 248)

  14. 14.

    Grundsätzlich schließen reaktive Erhebungsverfahren wie z. B. Interviews stets die Möglichkeit der Einwirkung auf das Untersuchungsfeld ein. Die Aktionsforschung (vgl. Reason/Bradbury 2008) strebt dies sogar systematisch an.

  15. 15.

    Diesen Heuristiken widmen sich ausführlicher z. B. Kates (1962, S. 88); Slovic et al. (1974, S. 194); Tierney et al. (2001, S. 11).

  16. 16.

    Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der Befragte die „Natur“-Gefahr nicht nur in Dynamiken der Natur, sondern zugleich in Defiziten des aktuellen Katastrophenschutzes begründet sieht. Damit liefert er einen erneuten Hinweis auf die enge Verschränkung natürlicher und sozialer Faktoren von Naturgefahren und -katastrophen.

  17. 17.

    Das Nicht-Wissen um Katastrophengefahren, von dem neu Zuziehende in besonderem Maße betroffen sind, kann allgemein als Effekt sowohl zeitlicher wie auch räumlicher Faktoren begriffen werden: „Time reduces awareness of the hazard, especially for those moving into a hazard area where indications of past flood events are not evident.“ (Beyer 1974, S. 273) In räumlicher Hinsicht können auch Maßnahmen des Katastrophen- bzw. Hochwasserschutzes zu einem weitgehenden Ausblenden und Vergessen entsprechender Gefährdungen führen, da zumindest die Alltagswahrnehmung dann die jenseits des Deiches liegende Dynamik nicht mehr erfasst. In der Geographie wird diese Form des Vergessens von Hochwassergefahren und des bedenkenfreien Siedelns in von Deichen geschützten (ehemaligen) Überflutungsgebieten u. a. als „Levee effect“ (vgl. White et al. 2001, S. 89) oder „Hydro-Amnesia“ (vgl. Lovett 2011) bezeichnet. – Sehr deutlich zeigt sich das Problem des Nicht-Wissens um Katastrophengefahren auch im Falle der Überschwemmungen in Accra, von denen neu Zugezogene in besonderem Maße betroffen sind.

  18. 18.

    Vgl. zum Lernen aus Katastrophen auch die anhand von historischem Material entwickelten Überlegungen zum Lernen aus Katastrophen von Poliwoda, die insbesondere an Überlegungen Christian Pfisters und Hansjörg Siegenthalers ansetzen. Poliwoda (2007, S. 39 ff.) untersucht das Katastrophenlernen anhand der drei Begriffe Lernschritt, Lernprozess und Lernentwicklung, die trotz ihrer unterschiedlichen Herleitung eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit den drei von Voss und Wagner (2010) vorgeschlagen Formen besitzen, auf die wir uns im Folgenden beziehen. Wichtig ist auf jeden Fall auch Poliwodas Hinweis (2007, S. 44, 258), Lernprozesse hinsichtlich der Bewältigung von Katastrophengefahren nicht allein aus Katastrophenerfahrungen und -erinnerungen heraus, sondern zugleich im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Prozesse zu untersuchen und zu erklären.

  19. 19.

    Auch der Sonderbericht des IPCC (2012, S. 53 f.) über Klimawandel und Extremereignisse greift die Unterscheidung von single-, double- und triple-loop learning aus der Lernforschung auf. Dabei fasst er allerdings die dritte Form in einem weiteren Sinne als grundlegende Transformation von Sozialstrukturen, Institutionen und Infrastrukturen.

  20. 20.

    „By this means the response capacity of the organisation or the network of organisations is enhanced with regards to unpredictable societal and environmental change.“ (Voss/Wagner 2010, S. 663)

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Rost, D. (2014). Krasser Wandel – Wahrnehmung von Katastrophen und Katastrophenerinnerung. In: Wandel (v)erkennen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03247-0_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-03247-0_7

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-03246-3

  • Online ISBN: 978-3-658-03247-0

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