Skip to main content

Eine Kategorie der pädagogischen Praxis: Skizzen zum Forschungsfeld der ‚Anerkennung‘

  • Chapter
  • First Online:
Spuren der Anerkennung
  • 7971 Accesses

Zusammenfassung

Auch wenn die Diskussion um ‚Anerkennung‘ in und mit dieser Arbeit nicht abgeschlossen, sondern vielmehr neu eröffnet werden sollte, und auch wenn mir der gegangene Weg immer wieder verschieden erschien, seien die zuvor verfolgten wie eröffneten Spuren der Anerkennung im Folgenden bilanziert. Dabei werden jedoch nicht nur die vorangegangen (Einzel-)Studien hinsichtlich ihrer zentralen Ergebnisse gebündelt, sondern auch wird aufgezeigt, inwiefern sie Perspektiven für ein verändertes Verständnis von Anerkennung als Kategorie der pädagogischen Praxis eröffnen.

Insofern kehrt die ‚Arbeit am Begriff‘ nun zu ihrem ursprünglichen Ziel zurück: Ihr Ausgangpunkt war der Befund, dass sich der Anerkennungsbegriff als ein in verschiedenen Hinsichten relevant gewordener und mittlerweile ebenso umstrittener wie mehrdeutiger Begriff darstellt, dass aber im erziehungswissenschaftlichen Diskurs ‚Anerkennung‘ vorrangig als ethische Kategorie und normatives Prinzip der pädagogischen Praxis zur Geltung gebracht und in der Folge auch in phänomenaler Hinsicht verkürzt wird.

„Der Sinn eines philosophischen Weges erscheint für denjenigen, der ihn geht, je nach dem Zeitpunkt oder Ort, an dem er sich seiner vergewissern will, verschieden. Nur von außen kann ein solches Werden als Ganzes betrachtet und beurteilt werden. Dem Forscher selber bleibt als Lösung nur, die Themen, die ihn vor allem beschäftigen, an eben dem Punkt zu benennen, an dem er innehält und Bilanz zieht.“

(Emmanuel Levinas)

„Ich sehe nicht, was schlecht sein soll an der Praxis desjenigen, der in einem gegebenen Wahrheitsspiel mehr weiß als ein anderer und […] ihn unterrichtet, ihm ein Wissen übermittelt, ihm Techniken mitteilt; das Problem liegt eher darin zu wissen, wie man bei diesen Praktiken […] Herrschaftseffekte vermeiden kann.“

(Michel Foucault)

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Dabei wird ‚holzschnittartig‘ vorgegangen und folglich die Differenziertheit wie auch die bisweilen festzustellende Widersprüchlichkeit der jeweiligen Argumentationen nicht erneut aufgezeigt. Der Lesbarkeit halber wird zudem darauf verzichtet, die Ausführungen durch Verweise auf die vorangegangenen Studien oder aber Zitationen zu ‚belegen‘.

  2. 2.

    Entlang der Begriffe ‚ontologisch‘ und ‚ethisch‘ unterscheidet Heikki Ikäheimo „zwei eher idealtypische Weisen“ (Ikäheimo 2009, 325), Anerkennung zu thematisieren und zu verwenden: Während in ontologischer Perspektive aufgezeigt werde, dass Anerkennung „in generischer […] Hinsicht für die Welt bedeutsam [ist], weil es das von ihr Beeinflusste allererst zu dem macht, was es seinem Wesen nach ist“ (ebd. 326), werde in ethischer Perspektive herausgestellt, dass Anerkennung „qualitativ bedeutsam für die Welt [ist], weil sie die Qualität des von ihr Beeinflussten ändert“ (ebd.). Mit diesen unterschiedlichen Zugängen zur Anerkennungsthematik gehen, wie Ikäheimo herausstellt, auch unterschiedliche Begriffsverständnisse einher. So sei „Anerkennung aus ethischem Blickwinkel als etwas zu verstehen […], das unser Leben als Personen in verschiedenen Hinsichten verbessert“ (ebd. 328f.), wohingegen sie „unter ontologischem Aspekt als etwas verstanden wird, das uns überhaupt erst zu Personen macht“ (ebd. 329).

  3. 3.

    Der Lesbarkeit halber verzichte ich hier und bisweilen im Folgenden auf die Kennzeichnung beider Geschlechter(zugehörigkeiten).

  4. 4.

    Vgl. zum Zusammenhang von Autorität und Anerkennung neben Reichenbach 2011 auch Popitz 1992 wie Sofsky/Paris 1994.

  5. 5.

    Dass das (Butlersche) Theorem der Anerkennung auch eine theoretische Grundlage zur Reformulierung des pädagogischen Grundbegriffs der ‚Bildsamkeit‘ im Horizont einer relational justierten Anthropologie in pädagogischer Perspektive bietet, verdeutlicht Norbert Ricken (vgl. Ricken 2012). Überlegungen zur Bedeutung von ‚Anerkennung‘ für ein ‚relationales‘, pädagogisch justiertes Verständnis des Lernbegriffs finden sich in Künkler 2011, insb. 494 ff.

  6. 6.

    Vgl. nur exemplarisch Zinnecker 2000 und 2002; Bauer 2002 und 2004; Veith 2004a und 2004b sowie Geulen 2004.

  7. 7.

    Dabei sei nicht gesagt, dass sich strukturelle Rahmenbedingungen und ‚Organisationszwänge‘ nicht auf die Paradoxien pädagogischen Handelns auswirken, wie dies z. B. Fritz Schütze herausgestellt hat (vgl. Schütze 1996; vgl. auch Schütze 2000 sowie Schütze u. a. 1996), sondern allein, dass die Widersprüchlichkeit pädagogischen Handelns nicht allein aus diesen resultiert.

  8. 8.

    Zur erziehungswissenschaftlichen Debatte um pädagogische Professionalität, das ‚Kompetenzdenken‘ sowie die ‚Standards für die Lehrerbildung‘ (vgl. Kultusministerkonferenz 2005) vgl. nur exemplarisch Ipfling 2004; Terhart 2005; Herzog 2005; Tenorth 2006; Mayr 2006; Reh 2005 und 2006; Höhne 2007 wie Reichenbach 2007a.

  9. 9.

    Während Equit sich auf die Arbeiten Hegels sowie dessen Interpret Ludwig Siep bezieht, orientiert sich Hugger an den frühen Arbeiten Axel Honneths. Beide forcieren so ein affirmatives Anerkennungsverständnis. Dagegen nimmt Wischmann nicht nur Bezug auf die Arbeiten Honneths, sondern u. a. auch auf Butlers Anerkennungsbegriff sowie auf psychoanalytische Arbeiten und stellt immer wieder die „Kehrseite“ (Wischmann 2010, 16) von ‚Anerkennung‘ bzw. des Anerkennungsbegriffs heraus: „Anerkennung selbst läuft immer wieder Gefahr sich in ihr Gegenteil zu verkehren“ (ebd. 17).

  10. 10.

    Die folgenden Ausführungen sind in hohem Maße – und mehr, als ich jeweils kenntlich machen kann – geprägt durch meine mehrjährige Teilnahme an einer Arbeitsgruppe zur ethnographischen Erforschung von ‚Anerkennung als Dimension pädagogischer Praktiken’ (vgl. exemplarisch Reh/Ricken 2011; Fritzsche u. a. 2011; Reh/Rabenstein 2012; Jergus u. a. 2012). Für ebenso intensive wie wegweisende Diskussionen sei Thomas Alkemeyer, Samuel Campos, Bettina Fritzsche, Till-Sebastian Idel, Kerstin Jergus, Kerstin Rabenstein, Sabine Reh und Christiane Thompson sowie – im Besonderen – Norbert Ricken und Dominic Bergner herzlich gedankt.

  11. 11.

    Vgl. nur exemplarisch Kalthoff 1997; Breidenstein 2006, 2009 & 2010; Breidenstein u. a. 2007; Kolbe u. a. 2008; Langer 2008; Heinzel 2010; Reh/Labede 2009; Reh u. a. 2011.

  12. 12.

    Auch wenn bislang nicht eine „bis in die Details konsensual geteilte ‚Praxistheorie‘“ (Reckwitz 2003, 283) vorliegt und diese „bisher keine abgeschlossene, durchsystematisierte Form gefunden“ (ebd. 289) hat, kann von einer praxeologischen Perspektive auf ‚das Soziale‘ gesprochen werden, die ihre Konturen nicht zuletzt aus ihrer Differenz zu anderen, lange Zeit dominierenden sozial- und kulturwissenschaftlichen Typen der Erklärung sozialen Handelns erhält: Entgegen den erkenntnistheoretischen Grundpositionen des Subjektivismus sozialphänomenologischer Ansätze und des Objektivismus strukturalistischer Ansätze lokalisieren praxeologische Ansätze – insbesondere auch im Anschluss an Bourdieu – ‚das Soziale‘ weder in Diskursen und Strukturen noch in den Köpfen bzw. Körpern der Akteure, sondern in Praktiken (vgl. Reckwitz 2006, 589). Für den deutschsprachigen Raum ist es insbesondere Andreas Reckwitz, der mit seinen Erörterungen von Grundelementen einer Theorie sozialer Praktiken (vgl. Reckiwtz 2003) zu einer programmatischen Entfaltung praxistheoretischer Perspektiven auf soziales Geschehen beigetragen hat und denen hier gefolgt wird.

  13. 13.

    Einer Praktik sind, so erläutert Reckwitz, „Motiv/Emotions-Komplexe […] inhärent […], in die die einzelnen Akteure ‚einrücken‘“ (Reckwitz 2003, 293), so dass ihre Motive, Intentionen und Wünsche immer „in übergreifende Komplexe kognitiv-evaluativer Wissensordnungen eingebettet“ (Reckwitz 2006, 590) und insofern nicht (bloß) ‚subjektiv‘ sind.

  14. 14.

    Dabei liegt nach Theodore Schatzki die Unterschiedenheit von Praktiken in der „distinctiveness of the package of doings and sayings plus organization“ (Schatzki 2002, 87) sowie in der – Handlungen verbindenden (vgl. ebd. 80) und als „property of a practice“ (ebd.) zu verstehenden – teleoaffektiven Struktur der jeweiligen Praktik begründet (vgl. ebd. 80 ff.).

  15. 15.

    Eine Praktik stellt, so betont Reckwitz, nicht nur eine „kollektiv vorkommende Aktivität“ (Reckwitz 2003, 290) dar, sondern eine „potentiell intersubjektiv als legitimes Exemplar der Praktik X verstehbare Praktik“ (ebd.), die „über zeitliche und räumliche Grenzen – und damit auch über die Besonderheiten von Individuen – hinweg [besteht]“ (Reckwitz 2006, 559).

  16. 16.

    Reckwitz unterscheidet zwischen einem Deutungswissen, das „interpretative Schemata [umfasst], die routinisierte Sinnzuschreibungen […] ermöglichen“ (Reckwitz 2008a, 136), einem motivational-emotionalen Wissen als „impliziter Sinn dafür ‚was man eigentlich will‘, ‚worum es einem geht‘ und was ‚undenkbar‘ wäre“ (Reckwitz 2003, 292), sowie einem Handlungswissen‘ bzw. einem Know-how-Wissen als prozedural-methodisches Wissen darum, wie man „in entsprechenden Situationen der Praktik angemessen agiert und Schemata gekonnten Verhaltens folgt“ (Reckwitz 2006, 578).

  17. 17.

    Butlers Schriften kommt in Reckwitz‘ umfassenden – und, wie er betont, „selbstverständlich nicht völlig ‚neutralen‘“ (Reckwitz 2003, 284) – Skizzen deshalb eine eher marginale Rolle zu, werden sie doch vor allem unter spezifischen Fragestellungen wie der nach der Unberechenbarkeit der sozialen Praxis sowie der Subjektivierung in Praktiken aufgenommen; vgl. Reckwitz 2004 sowie zum Verhältnis von Diskursen und Praktiken auch Reckwitz 2008b.

  18. 18.

    Auch wenn so implizit an Forschungen zur Unterrichtskommunikation und Unterrichtssprache angeschlossen würde (vgl. Becker-Mrotzek/Vogt 2009; Lüders 2003 wie 2011), gilt es zu betonen, dass deren Fokus auf die spezifische Form und Funktion der Unterrichtssprache und -kommunikation in Abgrenzung zu Sprachspielen in anderen Feldern hier nicht geteilt wird und es anerkennungstheoretisch nicht darum gehen würde – wie in sprach- bzw. kommunikationstheoretischen Untersuchungen –, z. B. einen unterrichtsphasentypischen Gebrauch bestimmter Sprechhandlungen zu ermitteln.

  19. 19.

    Daher wäre für die hier vorgeschlagene analytische Wendung des Anerkennungsbegriffs ein videoethnographisches Verfahren der Datenerhebung sinnvoll, werden doch mit Audiographien die Körperlichkeit und Materialität des Sozialen und damit auch dessen „schweigsame Dimensionen“ (Hirschauer 2001) systematisch außer acht gelassen; erst die videographische Verdatung erlaubt Analysen von Sprech- und Körperhandlungen und ihren Zusammenhängen sowie kleinster (adressierender) Gesten. Zudem erlaubt sie es auch, zu berücksichtigen, wenn jemand nicht angesprochen wird. Es sei hier darauf hingewiesen, dass die ‚Materialität des Sozialen‘ in praxeologischen Ansätzen in zweifacher Hinsicht verstanden wird. Einerseits wird, so erläutert Reckwitz, die „Materialität der Dinge“ (Reckwitz 2003, 290) als „Teilelement von sozialen Praktiken“ (ebd.) begriffen: Eine Praktik stellt nicht nur ein ‚nexus of doings und sayings‘ dar, sondern sie setzt zudem „regelmäßig […] ganz bestimmte Artefakte [voraus], die vorhanden sein müssen, damit eine Praktik entstehen konnte und damit sie vollzogen und reproduziert werden kann“ (ebd. 291). Andererseits wird die „Körperlichkeit der Praktiken“ (ebd.) ins Zentrum gerückt: „Eine Praktik besteht aus bestimmten routinisierten Bewegungen und Aktivitäten des Körpers“ (ebd.) und „ist immer als eine ‚skillful performance‘ von kompetenten Körpern zu verstehen“ (ebd.).

  20. 20.

    In Praktiken bzw. im Vollzug von Praktiken schreiben Wissensordnungen, so die damit verbundene These, den Akteuren Verhaltens- und Interpretationsmuster, „implizite normative Kriterien im Sinne eines sozial ‚angemessenen‘ Praktizierens“ (Reckwitz 2003, 293) sowie Affekt- und Motivstrukturen ein. Das Handeln der Akteure findet seinen „Ursprung“ (Reckwitz 2006, 581) aus praxeologischer Perspektive so darin, dass Akteure, indem sie an Praktiken teilhaben, Verhaltens- und Interpretationsmuster, kulturelle Codes und ‚Wunschstrukturen‘ inkorporieren (vgl. Reckwitz 2008a, 14). Subjekte aber ‚erlernen‘ dabei nach Reckwitz in Praktiken zudem auch die den jeweiligen Praktiken eingelagerten spezifischen Subjektformen, weil die in Praktiken enthaltenen kulturellen Codes auch – (kollektive) Subjektformen konstituierende – Subjektcodes darstellen, mittels derer „Wissensordnungen Subjektivität definieren, produzieren und instituieren“ (Reckwitz 2008c, 78). In Praktiken werden Menschen daher insofern zu Subjekten (gemacht), als sich in ihnen eine Subjektivierung als „Unterwerfung“ (ebd. 80) unter „kulturelle Kriterien akzeptabler Subjekthaftigkeit“ (ebd. 79) vollzieht. Dabei betont Reckwitz - wie Butler -, dass ein Subjekt aus praxeologischer Perspektive kein bloßes „Produkt kontinuierlicher Sinnzuschreibungen“ (Reckwitz 2006, 577) darstellt, weil sich die Subjektwerdung in Praktiken (auch) als eine Selbstformierung vollzieht, so dass die Akteure Wissen und kulturelle Codes nicht nur inkorporieren, sondern in Praktiken auch exteriorisieren und sich dabei als ein (spezifisches) Subjekt auch selbst hervorbringen.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Nicole Balzer .

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Balzer, N. (2014). Eine Kategorie der pädagogischen Praxis: Skizzen zum Forschungsfeld der ‚Anerkennung‘. In: Spuren der Anerkennung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_9

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_9

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-03046-9

  • Online ISBN: 978-3-658-03047-6

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

Publish with us

Policies and ethics