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Die Macht der Anerkennung: Zum Zusammenhang von Subjektivation und Anerkennung (Judith Butler)

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Spuren der Anerkennung
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Zusammenfassung

Blickt man auf die Rezeption ihrer Schriften, dann überrascht zunächst, dass Judith Butler 2001 betont, dass alle ihre Bücher – „[a]uf die eine oder andere Weise“ (Butler 2001b, 588) – von der Frage nach dem „Verhältnis von Begierde und Anerkennung“ (ebd.) handeln. So wurden ihre Arbeiten „häufig in erster Linie als neuer Schub der ‚gender theory‘ rezipiert“ (Reckwitz 2008a, 81) oder hinsichtlich von Fragen der Macht und des Subjekts diskutiert.

When I was twelve, I was interviewed by a doctoral candidate in education and asked what I wanted to be when I grew up. I said that I wanted either to be a philosopher or a clown, and I understood then, I think, that much depended on whether or not I found the world worth philosophizing about, and what the prize of seriousness might be. I was not sure I wanted to be a philosopher, and I confess that I have never quite overcome that doubt.

(Judith Butler)

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Notes

  1. 1.

    Auch in einem zeitnahen Interview betont Butler, „dass die Beziehung von Begehren und Anerkennung in allen [ihren] Texten gefunden werden kann“ (Butler 2002a, 124). Dabei weist sie verschiedentlich darauf hin, „dass das französische Konzept von désir oder Begehren eine problematische Übersetzung von dem ist, was in Hegels Phänomenologie Begierde heißt“ (Butler 2001b, 588).

  2. 2.

    Vgl. zur Rezeption der Arbeiten Butlers in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft Ricken/Balzer 2012.

  3. 3.

    Butlers frühe Schrift Das Unbehagen der Geschlechter kann bis heute als ihr im feministischen Zusammenhang „wichtigste[r] Bezugstext“ (Villa 2003, 60) gelten, wird sie doch bis heute ungleich häufiger rezipiert und ungleich kritischer diskutiert als ihre bereits zwei Jahre später erschienene Schrift Bodies that matter (1993; dt. Körper von Gewicht (1997)); vgl. exemplarisch Duden 1993; Landweer 1993; für einen Überblick vgl. Purtschert 2003.

  4. 4.

    Durch die Übersetzung von Gender Trouble als Das Unbehagen der Geschlechter geht jene von Butler im Vorwort erläuterte und mit der Frage der Macht verbundene Mehrdeutigkeit von ‚trouble‘ verloren: „Im herrschenden Diskurs meiner Kindheit galt ‚Schwierigkeiten machen‘ als etwas, das man auf keinen Fall tun durfte und zwar gerade, weil sie einen ‚in Schwierigkeiten bringen‘ konnte. Die Rebellion und ihre Unterdrückung schien also in denselben Begriffen verfangen, ein Phänomen, das zu meiner ersten kritischen Einsicht in die List der Macht führte: Das herrschende Gesetz drohte, einem ‚Ärger zu machen‘, ja einen ‚in Schwierigkeiten zu bringen‘, nur damit man keine ‚Unruhe stiftete‘“ (Butler 1991, 7).

  5. 5.

    Butler bezeichnet sich selber auch als „[a]ls Nachzüglerin der zweiten Welle […] [des] Feminismus“ (Butler 2009, 283); eine Unterscheidung von drei (idealtypischen) Phasen des ‚modernen‘ Feminismus findet sich in Rippl 1993.

  6. 6.

    Bereits in ihrer Dissertationsschrift (1999a) nimmt Butler eine – dort philosophiehistorisch entfaltete – Kritik am Identitätsdenken vor; dabei geht sie der Bedeutung des Begehrens in Hegels Subjekttheorie sowie den Thematisierungen des Begehrens durch seine französischen Nachfolger und Kritiker nach.

  7. 7.

    Der „Rückgriff auf eine ursprüngliche oder echte Weiblichkeit“ (Butler 1991, 65) ist, so pointiert Butler, ein „nostalgisches engstirniges Ideal“ (ebd.).

  8. 8.

    Bisweilen stellt Butler aber auch heraus, dass sich „[m]ittlerweile […] der Feminismus um eine innige Verbindung mit den Kämpfen gegen die rassistische oder kolonialistische Unterdrückung“ (Butler 1991, 63) bemüht. Zudem betont sie in Körper von Gewicht, dass auch sie selber bislang einseitig die Frage des Geschlechts fokussiert habe: „Einige feministische Standpunkte einschließlich meines eigenen haben problematischerweise dem Geschlecht als dem identifikatorischen Ort der politischen Mobilisierung Vorrang gegeben auf Kosten der Rasse oder der Sexualität, der Klasse oder der geopolitischen Positioniertheit/Verschiebung“ (Butler 1997, 166f.). Die „Überschneidung vielfältiger Diskurse am Schauplatz der ‚Identität‘“ (Butler 1991, 189) wird hinsichtlich der Bedeutung von Wechselverhältnissen verschiedener Dimensionen sozialer Ungleichheit in den letzten Jahren zumeist unter dem von der Juristin Kimberlé Crenshaw eingeführten Begriff der Intersektionalität (intersectionality) diskutiert; vgl. nur exemplarisch Lutz/Leiprecht 2005; Lutz/Davis 2005; Ruokonen-Engler 2006; Walgenbach 2007; Weber 2009 wie Degele/Winker 2008 und 2009.

  9. 9.

    Butler verweist in diesem Zusammenhang auf „die zahllosen Weigerungen auf seiten der ‚Frauen‘, die im Namen von ‚Frauen‘ vorgetragenen Beschreibungen zu akzeptieren“ (Butler 1997, 302). Diese zeugten „nicht bloß von den spezifischen Gewaltsamkeiten, die ein parteiliches Konzept erzwingt“ (ebd.), sondern „auch von der konstitutiven Unmöglichkeit eines unparteilichen oder umfassenden Konzepts“ (ebd.): „[I]nkludierende Beschreibungen produzieren unbeabsichtigt neue Orte der Auseinandersetzung und eine Unmenge von Widerständen, Gegenerklärungen und Weigerungen, sich mit den Begriffen zu identifizieren“ (ebd.). Butler gilt bisweilen – zu Recht – „als pointierte Kritikerin an so genannten Identity Politics“ (Villa 2003, 15), betont aber auch, dass „die politische Aufgabe nicht darin bestehen [kann], die Repräsentationspolitik abzulehnen“ (Butler 1991, 20), weil „die Rechtsstrukturen von Sprache und Politik […] das zeitgenössische Feld der Macht [bilden]“ (ebd.). Es gebe „keine Position außerhalb dieses Gebiets, sondern nur die kritische Genealogie seiner Legitimationspraktiken“ (ebd.). Dabei stimmt Butler auch einem ‚strategischen Essentialismus‘ (Spivak 1990), d. h. einer (vorläufigen) Bezugnahme auf (Teil-)Identitäten zur Benennung gesellschaftlicher Ungleichheiten zu. Man müsse „eine doppelte Bewegung […] erlernen: die Kategorie anzuführen und dementsprechend eine Identität vorläufig zu stiften und die Kategorie gleichzeitig als einen Ort der dauernden politischen Auseinandersetzung zu öffnen“ (Butler 1997, 302). Es müsse „möglich sein, den Begriff zu verwenden, ihn taktisch zu benutzen“ (ebd. 54) und ihn dennoch – und zugleich – „einer Kritik auszusetzen“ (ebd. 54f.): „‚Frauen‘ als einen andauernden Ort der Auseinandersetzung oder als einen feministischen Ort agonalen Kampfes zu verstehen, heißt davon auszugehen, daß es keine Geschlossenheit für diese Kategorie geben kann und aus politischen Gründen auch niemals geben sollte“ (ebd. 302); vgl. zu Butlers Neukonzeptionierung von politischem Widerstand Kapitel 7.2.4.

  10. 10.

    Die Grenzen identitätspolitischer Argumentationen diskutiert Butler auch an schwulen und lesbischen sowie queeren Bewegungen sowie am Diskurs des ‚Coming Out‘. Sie betont, dass „die Bekräftigung von Homosexualität“ eine „Verlängerung des homophoben Diskurses“ (Butler 1996, 16) darstellt und sie Zweifel habe, „wie das ‚Ich‘ bestimmt wird, wenn es unter dem Zeichen ‚Lesbe‘ auftritt“ (ebd.). Sie habe „mit dessen homophober Bestimmung nicht weniger Probleme als mit den normativen Definitionen, die Angehörige der ‚schwulen oder lesbischen community‘ zu bieten haben“ (ebd.). Als Akt, der auf die „Enthüllung des wahren und vollständigen Ich-Gehalts“ (ebd. 18) zielt, verschiebe z. B. das „Aufrufen des Signifikanten ‚Lesbe‘“ (ebd.) allein den „Ort der Undurchsichtigkeit“ (ebd.): „[V]orher wusstest du nicht, ob ich lesbisch ‚bin‘, jetzt weißt du nicht, was es heißt, daß ich es bin“ (ebd.).

  11. 11.

    In ähnlicher Weise wie Jessica Benjamin erläutert Butler dies folgendermaßen: „Die feministische Kritik muß einerseits die totalisierenden Ansprüche einer maskulinen Bedeutungs-Ökonomie untersuchen, aber andererseits gegenüber den totalisierenden Gesten des Feminismus selbstkritisch bleiben. Der Versuch, den Feind in einer einzigen Gestalt zu identifizieren, ist nur ein Umkehr-Diskurs, der unkritisch die Strategie des Unterdrückers nachahmt, statt eine andere Begrifflichkeit bereitzustellen“ (Butler 1991, 33).

  12. 12.

    Die von Gayle Rubin (1975) eingeführte Unterscheidung von sex und gender ist nach Butler auch deshalb zu verwerfen, weil sie eine „unkritische Reproduktion der Cartesianischen Unterscheidung zwischen Freiheit und Körper“ (Butler 1991, 31) impliziert und dazu führt, „den Geist-Körper-Dualismus beizubehalten“ (ebd.). Dabei könne „[d]ie Aufrechterhaltung dieses Unterschieds als symptomatisch für den Phallogozentrismus“ (ebd.) gelten: „In der philosophischen Tradition […] hat die ontologische Unterscheidung zwischen Seele (Bewußtsein, Geist) und Körper stets Beziehungen der politischen und psychischen Unterordnung und Hierarchie gestützt. Der Geist hat den Körper nicht nur unterworfen; bisweilen nährt er auch das Phantasma, seiner Verleiblichung insgesamt entfliehen zu können. Für die kulturelle Assoziation zwischen Geist-Männlichkeit und Körper-Weiblichkeit finden sich im Feld der Philosophie und des Feminismus zahlreiche Belege. Daher muß jede unkritische Reproduktion der Geist/Körper-Unterscheidung neu durchdacht werden: Sie hat traditionell und implizit die Geschlechter-Hierarchie produziert, aufrechterhalten und rational gerechtfertigt“ (ebd.).

  13. 13.

    Butler kommt immer wieder auf Simone de Beauvoirs im feministischen Kontext viel zitierte These „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (de Beauvoir 1968, 265) zurück. Beauvoirs Theorie ist für sie ein Beispiel für das Verständnis des anatomischen Geschlechts als „ein analytisches Attribut“ (Butler 1991, 166): „Für Beauvoir ist das Geschlecht tatsächlich unwandelbar faktisch, die Geschlechtsidentität dagegen erworben, und während das anatomische Geschlecht nicht verändert werden kann – so dachte zumindest Beauvoir –, stellt die Geschlechtsidentität eine variable kulturelle Konstruktion des Geschlechts dar“ (ebd.). Butler arbeitet aber ausdrücklich auch an der Bestätigung der so prominenten These de Beauvoirs – und zwar „in radikalerer Auslegung, als de Beauvoir [sie] meinte“ (Hauskeller 2000, 92). Beauvoirs Theorie schließt, so Butler, „eine radikale Schlußfolgerung ein, die sie selbst nicht gedacht hat“ (Butler 1991, 166).

  14. 14.

    Daran, dass Butler zwar nach eigener Auskunft „eine Form der kritischen Untersuchung [beabsichtigt], die Foucault in Anschluß an Nietzsche als ‚Genealogie‘ bezeichnet hat“ (Butler 1991, 9), aber kaum historische oder materiale Analysen vornimmt und die Genealogie nicht als „historisch-kritische Methode zur Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse“ (Hauskeller 2000, 164) verwandte, entzündete nicht selten Kritik an ihrer frühen Schrift: Butlers „Weise der Gesellschaftsanalytik und Diskurstheorie Genealogie zu nennen“ (ebd.) scheint, so z. B. Christine Hauskeller, „wegen ihres Verzichts auf die materiale, historische Rechtfertigung und Analyse ihrer Grundbegriffe wirklich unpassend“ (ebd.); vgl. zu kritischen Auseinandersetzungen mit Butlers Vorgehen und der fehlenden Historizität ihrer Theorie Hagemann-White 1993; Maihofer 1995, 51f.; Lorey 1993, 15ff. wie Bublitz 2008.

  15. 15.

    Als ein Ziel von Das Unbehagen der Geschlechter benennt Butler rückblickend, „aufzudecken, was ich für einen allgegenwärtigen Heterosexismus in der feministischen Theorie hielt“ (Butler 2009, 329). Butler unternimmt es in dieser Schrift zudem, „einige Aspekte der strukturalistischen psychoanalytischen Darstellung der sexuellen Differenz und der Konstruktion der Sexualität [zu] betrachten“ (Butler 1991, 61) und untersucht u. a. die Theorien von Sigmund Freud, Jacques Lacan und Julia Kristeva sowie neo-Lacansche Theorien hinsichtlich ihres Verständnisses der Entstehung von Geschlechtsidentität. Dabei zeigt sie auf, dass diese dazu tendieren, „die kulturellen Randformen der Sexualität als kulturell unintelligibel ab[zu]qualifizieren“ (ebd. 142). Die Psychoanalyse hält vielfach, so bekräftigt Butler auch in jüngeren Schriften, „in ihrer Theorie und Praxis heterosexuelle Verwandtschaftsnormen als Grundlage ihrer theoretischen Bemühungen aufrecht[…]“ (Butler 2009, 259) und trägt dadurch zur unkritischen Reproduktion der Systeme bei; sie müsse sich „einer Verjüngungskur unterziehen“ (ebd. 247).

  16. 16.

    In Körper von Gewicht findet sich nur selten der Begriff der ‚heterosexuellen Matrix‘, sondern vorrangig der auch im Unbehagen der Geschlechter verwandte Begriff der ‚kulturellen Hegemonie‘ (vgl. Butler 1991, 40). Zudem betont Butler in Körper von Gewicht ausdrücklich, dass es „die Gefahr der Verengung“ (Butler 1997, 44) birgt, wenn man sich dafür entscheidet, „die heterosexuelle Matrix beziehungsweise die heterosexuelleHegemonie zum Ausgangspunkt zu nehmen“ (ebd.), denn „die normative Heterosexualität [ist] natürlich nicht das einzige regulierende Regime […], das bei der Herstellung körperlicher Konturen wirksam wird oder der körperlichen Intelligibilität Grenzen setzt“ (ebd. 43). So seien ‚Rasse‘, ‚Sexualität‘ und ‚sexuelle Differenz‘ zwar „als analytische Bereiche auseinanderzuhalten“ (ebd. 233), aber es gebe „ebenso dringliche und wichtige historische Gründe zu fragen, wie und wo wir nicht bloß ihre Konvergenz ablesen können, sondern die Stellen, an denen das eine nicht konstituiert werden kann, es sei denn durch das andere“ (ebd. 233f.).

  17. 17.

    Auf Butlers Begriff der Intelligibilität und dessen Verhältnis zum Begriff der Anerkennbarkeit werde ich weiter unten eingehen. Darauf hingewiesen sei, dass der Intelligibilitätsbegriff in Butlers frühen Schriften „als Gelenkstelle zwischen der konstitutiven Kraft des Diskurses und den Bereichen gesellschaftlich anerkannten Seins“ (Purtschert 2004, 187) fungiert und sowohl die Bedeutung der ‚Verständlichkeit‘ bzw. Entzifferbarkeit als auch die der Anerkennbarkeit umfasst: „Intelligibel sind jene Subjekte und Lebensformen, welche einerseits verständlich, begreiflich und denkbar und andererseits gesellschaftlich anerkannt sind“ (ebd.).

  18. 18.

    Diesbezüglich stellt Butler heraus, dass „[d]ie Rezeption von Das Unbehagen der Geschlechter durch ein deutschsprachiges Publikum […] sich von der Rezeption anderswo deutlich“ (Butler 1997, 9) unterschied und es „eine ebenso ermutigende wie provokative Reaktion“ (ebd.) gab, durch die sie „die Gelegenheit [erhielt], etwas über einen feministischen Kontext zu erfahren, der ihr sonst unbekannt geblieben wäre“ (ebd.). Es sei ihr klar geworden, „daß ‚das Biologische‘ im Deutschen und den deutschsprachigen Kulturen eine Anzahl Wertigkeiten getragen hat“ (ebd.), die sie „nicht vollends erfaßt hatte“ (ebd.).

  19. 19.

    Gleichwohl sei, so kommentiert Butler, „die Behauptung, sexuelle Differenzen seien von diskursiven Abgrenzungen nicht zu trennen, nicht dasselbe wie die Aussage, der Diskurs verursache die sexuelle Differenz“ (Butler 1997, 21). Sie halte einen „linguistischen Idealismus […] für unannehmbar“ (ebd. 11), denn der Körper werde nicht „vollkommen oder erschöpfend linguistisch konstituiert“ (ebd.), würden sich doch die Körper „nie völlig den Normen fügen, mit denen ihre Materialisierung erzwungen wird“ (ebd. 21). Der Körper sei kein „passives Medium und Instrument“ (Butler 1991, 26), es gebe „Möglichkeiten der Re-Materialisierung“ (Butler 1997, 21) und die Materialisierung sei „nie ganz vollendet“ (ebd.; vgl. Butler 2002a, 130). Dabei ‚bekennt‘ Butler in späteren Veröffentlichungen aber auch, dass sie „keine sehr gute Materialistin“ (Butler 2009, 318) sei – „Jedes Mal, wenn ich versuche, über den Körper zu schreiben, endet das damit, dass der Text von der Sprache handelt. Aber nicht etwa deswegen, weil ich denke, dass der Körper auf Sprache reduzierbar ist; das ist er nicht“ (ebd.) – und verweist zugleich auf die „ständige[.] Schwierigkeit zu bestimmen, wo das Biologische, das Psychische, das Diskursive, das Soziale anfangen und aufhören“ (ebd. 298). Die Geschlechterdifferenz sei eine „Grenzvorstellung“ (ebd.), denn sie habe „psychische, somatische und soziale Dimensionen, die sich niemals gänzlich ineinander überführen lassen, die aber deshalb nicht endgültig voneinander abgesetzt sind“ (ebd.).

  20. 20.

    Butler verdeutlicht die Materialisierung von Körpern in diesem Kontext als Morphogenese (vgl. Butler 1997, 101ff.), d. h. als Prozess, in dem konkrete Körpergrenzen und körperliche Beschaffenheiten sich darüber stabilisieren, dass der Körper eine ‚Morphe‘ annimmt.

  21. 21.

    Im Streit um Differenz bezieht Butler zu dieser Kritik Stellung, indem sie zu Beginn ihres zweiten Beitrags ‚für ein sorgfältiges Lesen‘ (vgl. Butler 1993b) plädiert. Dabei betont sie, dass ihr „das angestrengte Vorbeilesen an dem, was ich schreibe, um mich dann als Karikatur des ‚Postmodernen‘ und des ‚Antinormativen‘ hinzustellen aufschlußreich [scheint]“ (ebd. 122). Es sei „als intellektuelle Abwehrstrategie“ (ebd.) zu verstehen, die darum bemüht sei, „eine monolithische ‚Postmoderne‘ zu produzieren“ (ebd.), für welche sie „zu nichts als einem Symptom werde“ (ebd.) und die „auf einem Widerstand gegen sorgfältiges Lesen (close reading)“ (ebd.) zu beruhen schiene. Sie hoffe, „daß das Folgende es schwieriger machen wird, dieses verfälschende Konstrukt überzustülpen“ (ebd.). Der Grund für Butlers ‚Kritik an der Kritik‘ ihrer Theorie liegt insbesondere darin begründet, dass Benhabib schreibt, so Butler, dass sie behaupte, „daß […] wir uns vom ‚Täter jenseits der Tat‘ […] verabschieden müssen“ (ebd. 123). Dies sei „ein buchstäbliches Verlesen“ (ebd.), weil sowohl in Nietzsches Genealogie der Moral als auch in Das Unbehagen der Geschlechter „nicht der ‚Täter jenseits, sondern der Täter hinter der Tat stehe’“ (ebd.; vgl. Butler 1991, 49 und 209). Benhabib missdeute so insgesamt ihren theoretischen Entwurf, denn sie habe den Täter hinter der Tat verabschiedet und nicht „die Position dieses Täters“ (Butler 1993b, 125) negiert, sondern ihn bloß verschoben: Der Begriff des ‚Täters‘ wird, so Butler, „seinen Platz haben, aber dieser Platz wird nicht länger ‚hinter‘ der Tat als die sie speisende Quelle sein“ (ebd. 124). Auffällig ist zudem, dass Benhabib Das Unbehagen der Geschlechter vor dem Hintergrund von Vorstellungen rezipiert und kritisiert, die Butler in ihrem Buch ausdrücklich zurückweist. So kritisiert Butler entschieden die Vorstellungen, dass es „[o]hne Handlungsträger (agent)“ (Butler 1991, 49) „keine Tätigkeit (agency)“ (ebd.) und keine Möglichkeit einer „Veränderung der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse“ (ebd. 49f.) geben kann, und dass konstituiert sein „dasselbe bedeutet wie durch den Diskurs determiniert sein, wobei diese Determinierung die Möglichkeit zu handeln verhindert“ (ebd. 210). Es sind insbesondere Butlers Versuche, diese ‚Vorstellungen‘ zu untergraben, die im Folgenden in den Blick geraten.

  22. 22.

    Im Unbehagen der Geschlechter greift Butler vorrangig auf die von Foucault im ersten Band von Sexualität und Wahrheit (vgl. Foucault 1977) vorgenommene Genealogie des modernen Sexualitätsdispositivs zurück, in der, so Butler, „die Kategorien ‚Sexus‘ und ‚Identität‘ allgemein als Effekte und Instrumente eines regulierendes Sexualregimes“ (Butler 1991, 152) begriffen werden. Dabei erweitert sie Foucaults Überlegungen durch die Markierung der Zwangsheterosexualität als „Matrix der Intelligibilität“ (ebd. 39).

  23. 23.

    Foucault betont immer wieder, „daß es kein souveränes und konstitutives Subjekt gibt, keine universelle Form des Subjekts, die man überall wiederfinden könnte“ (Foucault 1984, 137): „Einer solchen Konzeption vom Subjekt stehe ich sehr skeptisch, ja feindlich gegenüber“ (ebd.).

  24. 24.

    Foucault richtet sich jedoch nicht nur gegen eine „rein negative Konzeption der Macht“ (Foucault 1978, 105), sondern verschiebt die Frage der Macht, indem er nicht vorrangig danach fragt, was Macht ist, sondern vielmehr danach, wie sie „ausgeübt“ (Foucault 1994a, 251) wird; vgl. zu Foucaults Machtbegriff und dessen Wandel Schäfer 1995; Lemke 1997; Schneider 2004; Sarasin 2005 wie Ricken 2006a, insb. 67-102.

  25. 25.

    Der Beginn dieser Präzisierung der Subjektbildung als Subjektivation ist in Butlers Versuch der Begründung der Materialisierungsthese in Körper von Gewicht zu sehen: Indem sie fragt, wie Macht auf Körper einwirkt, geht sie zugleich – fokussiert auf die Frage der Performativität – der Frage nach, wie Macht auf Subjekte einwirkt bzw. Subjekte hervorbringt.

  26. 26.

    Auf Foucaults Begriff der ‚Subjektivierung‘ und dessen Wandel kann hier, wie bereits auf sein Machtverständnis, nicht näher eingegangen werden. Betont sei, dass Foucault ‚Subjektivierung‘ zusehends hinsichtlich des „komplizierte[s] Zugleich[s] von Unterwerfung und Aufbegehren“ (Rieger-Ladich 2004, 204) sowie der „Gleichzeitigkeit von unterwerfender und freisetzender Subjektivierung“ (ebd. 214) ausarbeitet und sich Butlers jeweilige Kritiken an Foucaults Ausführungen auf einzelne seiner Arbeiten beziehen: Während es in ihren auf Das Unbehagen der Geschlechter folgenden Arbeiten zunächst vor allem Foucaults Studie Überwachen und Strafen (vgl. Foucault 1976a) ist, die Butler ins Zentrum rückt, wendet sie sich in ihren Schriften nach Psyche der Macht auch seinen – ethisch justierten – Schriften der 1980er Jahre zu.

  27. 27.

    Diesen „Doppelaspekt der Macht als Unterwerfung und Erzeugung“ (Butler 2001a, 8) verdeutlicht Butler auch hinsichtlich der Thematisierung des Körpers in Foucaults Studie zur Geburt des Gefängnisses (vgl. Foucault 1976a), in der Foucault aufzeigt, „wie die Macht auf einen Körper einwirkt, aber auch wie sie ihn gestaltend hervorbringt“ (Butler 2003b, 52). Assujettissement scheint, so Butler, als Wort „das Paradox der Macht zu enthalten, die auf einen Körper einwirkt, den sie zugleich erst aktiviert“ (ebd. 59), denn „sofern die Macht auf einen Körper einwirkt, scheint dieser schon vor ihr zu bestehen, und soweit sie ihn formt, wird der Körper in einer gewissen Weise oder in einem gewissen Maß durch die Macht erzeugt“ (ebd. 52).

  28. 28.

    Vgl. hierzu Foucaults viel zitiertes Diktum: „Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man einlädt, ist bereits in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er“ (Foucault 1976a, 42).

  29. 29.

    Als einer der wenigen stellt Andreas Reckwitz heraus, dass Butler danach fragt, warum sich ein Subjekt „bereitwillig subjektivieren lässt“ (Reckwitz 2008a, 92): „Was ist seine Motivation, was ‚gewinnt‘ es gewissermaßen?“ (ebd.)

  30. 30.

    Butler kommentiert dies so: „Ich frage mich natürlich, ob eine solche Analyse Foucault dazu veranlaßt hätte, Freuds Ausführungen über Selbsterhaltung und folglich auch Selbstzerstörung zu berücksichtigen, und ob seine Weigerung, den Begriff einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, zum Teil eine Weigerung war, diesen Weg einzuschlagen“ (Butler 2003b, 63). Solchermaßen rekurriert Butler auf Foucaults „Schweigen zum Thema Psyche“ (Butler 2001a, 23; vgl. Foucault 1968 wie 1976b); zu Butlers Versuchen, Foucaults Machttheorie mit einer ‚Theorie der Psyche‘ zu verbinden vgl. Kapitel 7.2.3.

  31. 31.

    Erklärtermaßen steht in Butlers Schriften der „conatus des Spinoza“ (Butler 2009, 318) vielfach „im Zentrum [ihrer] Arbeit“ (ebd.). Dabei betont Butler, dass „Spinozas Formulierung einer Begierde, nicht nur zu sein, sondern in seinem Sein zu bestehen“ (Butler 2001b, 593) für sie auch „der Ausgangspunkt für zwei Reformulierungen, eine psychoanalytische und eine machttheoretische“ (ebd.) war; zu Butlers Versuchen, „Hegel, Freud und Foucault gleichermaßen mit Spinozas conatus in Verbindung [zu] bringen“ (Butler 2001a, 62) sowie zu ihren Versuchen, „Übereinstimmungen und Abweichungen in der Frage der Subjektivation“ (ebd. 37) bei Hegel, Foucault und Nietzsche auszuweisen vgl. insgesamt Butler 2001a.

  32. 32.

    Foucault lehnt jeden Rekurs auf anthropologische oder metaphysische Prämissen sowie universelle Erklärungen strikt ab und zielt in seinen archäologischen und genealogischen Arbeiten auf „eine Methode historischer Analyse […], die von dem anthropologischen Thema“ (Foucault 1973, 28) und „von jedem Anthropologismus frei ist“ (ebd.). Butler verdeutlicht, dass Foucault bisweilen nicht nur Spinozistische Annahmen teilt, sondern auch, dass er „in Hegelscher Manier“ (Butler 2003b, 63f.) argumentiert. So betont sie, dass – ohne jedoch „einen direkten Einfluß zu unterstellen“ (Butler 2001a, 37) – „Hegels Einsicht in die Unausweichlichkeit des Verhaftetseins des Körpers und mit dem Körper in der Subjektivation von Foucault wieder aufgenommen wird“ (ebd.) und „die Foucaultsche Darstellung der Unterwerfung trotz ihrer bedeutenden Schritte über die dialektische Logik hinaus unwissentlich an die Hegelsche Formulierung gebunden bleibt“ (ebd.). Auch wenn „Foucaults Begrifflichkeit […] nicht mit derjenigen Hegels vermengt werden“ (ebd. 35) solle, finde sich „seine Beschäftigung mit den zweischneidigen Implikationen der Subjektivation […] in mancher Hinsicht vorweggenommen in Hegels Darstellung der Befreiung des Knechtes in verschiedene Formen des ethischen Selbstvorwurfs“ (ebd.). Eine ‚heimliche Anthropologie‘ in Foucaults Arbeiten aufzuzeigen unternimmt Malte Brinkmann in seinen umfassenden Studien (vgl. Brinkmann 1999 wie 2004); zu einer im Rekurs auch auf die Arbeiten Butlers entfalteten anthropologischen und anerkennungstheoretisch justierten Auslegung der von Foucault eröffneten Perspektive auf Macht vgl. die Überlegungen in Ricken 2004a wie 2006a.

  33. 33.

    Butler betont dann auch, dass „im Rahmen der Subjektivation“ (Butler 2001a, 25) Unterwerfung „der Preis der Existenz“ (ebd.) und Macht „im strengen Sinne das [ist], wovon unsere Existenz abhängt“ (ebd. 8); sie sei eine „schiere Daseinsbedingung“ (ebd. 7), weil man ‚der‘ „Macht, die einem aufgezwungen wird […] sein eigenes Erscheinen zu verdanken hat“ (ebd. 184).

  34. 34.

    Bisweilen spricht Butler daher auch von ‚Identitätsverlockungen‘ und ‚Identitätsversprechen‘ (vgl. Butler 2001a, 122 wie 25).

  35. 35.

    Butler kommentiert diese Infragestellung wie folgt: „Wenn wir davon ausgehen, dass Anerkennbarkeit ein universelles Potenzial ist und allen Personen als solches zukommt, dann ist das vor uns liegende Problem in gewisser Weise bereits gelöst. Wir haben in diesem Fall schon darüber befunden, dass ein ganz bestimmter Begriff des ‚Personseins‘ Reichweite und Bedeutung der Anerkennbarkeit festlegt. Damit setzen wir ein normatives Ideal als Vorbedingung unserer Analyse fest und haben auf diese Weise tatsächlich bereits alles ‚anerkannt‘, was wir zur Kenntnis der Anerkennung benötigen. Für die Form des Menschseins, die herkömmlicherweise als Norm der Anerkennbarkeit gedient hat, stellt die Anerkennung überhaupt kein Problem dar, da ja das Personsein eben diese Norm ist“ (Butler 2010, 13f.).

  36. 36.

    Butler spricht teils von Normen der Anerkennung und teils von Normen der Anerkennbarkeit, betont aber jüngst, dass wir uns „[f]aktisch […] nicht auf einzelne, genau abgegrenzte Normen der Anerkennung [beziehen], sondern vielmehr auf allgemeinere, historisch artikulierte und durchgesetzte Bedingungen der ‚Anerkennungsfähigkeit‘ oder der ‚Anerkennbarkeit‘“ (Butler 2010, 12f.).

  37. 37.

    Vgl. zu Butlers frühem Verständnis von Intelligibilität und seiner Nähe und Ferne zum Kantschen Rödig 1993.

  38. 38.

    Darin liegt wohl auch ein – systematischer – Grund für die vielfach gleichzeitige Verwendung von ‚Intelligibilität‘ und ‚Anerkennbarkeit‘ oder aber der Wendung ‚(An)Erkennbarkeit‘ in deutschsprachigen Übersetzungen von Butlers Schriften.

  39. 39.

    Die Verwendung der Begriffe ‚Mensch‘, ‚Subjekt‘, ‚Individuum‘, ‚Ich‘ und ‚Person‘ in den deutschsprachigen Übersetzungen der Schriften Butlers ist nicht stringent; vgl. z. B. entgegen der vielfach zu findenden, Foucaults Schriften entlehnten These, dass Menschen bzw. Individuen in der Subjektivation zu Subjekten werden, die folgende Formulierung: „Die diskreten Geschlechtsidentitäten sind Teil dessen, was die Individuen in der gegenwärtigen Kultur zu Menschen macht […], wir strafen regelmäßig diejenigen, die ihre Geschlechtsidentität nicht ordnungsgemäß in Szene setzen“ (Butler 1991, 205); vgl. zur Unterscheidung der Begriffe ‚Individuum‘ und ‚Subjekt‘ weiter unten.

  40. 40.

    Dass Butler die Frage ins Zentrum ihrer Überlegungen rückt, „wodurch die Individuen […] Widerstand leisten können“ (Butler 2003b, 65), verdankt sich wohl auch den Kritiken an ihrer Schrift Das Unbehagen der Geschlechter. Wie angedeutet, stellte insbesondere Seyla Benhabib in Frage, dass Butlers Theorie den „Widerstand […] gegen Macht-/Diskursparadigmen erklären“ (Benhabib 1993b, 109) kann. Fraglich sei, „wie denn das Projekt weiblicher Emanzipation ohne ein […] regulatives Prinzip der Handlungsfähigkeit, der Autonomie und der Ichidentität überhaupt denkbar wäre“ (Benhabib 1993a, 14). Butlers Subjekte könnten kaum gegen ‚die‘ Macht aufbegehren und widerständig sein, so dass ihre Theorie keine Möglichkeiten zur Veränderung der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse biete; zu Butlers diesbezüglichen Überlegungen vgl. die Kapitel 7.2.3 und 7.2.4.

  41. 41.

    Als zentrales Beispiel fungiert bei Althusser die christlich-religiöse Ideologie (vgl. Althusser 1977, 145ff.).

  42. 42.

    Voraussetzung für das Funktionieren der Ideologie und der Anrufung ist bei Althusser die ‚Existenz‘ eines anderen, absoluten Subjekts (SUBJEKT), um das Ideologien zentriert sind (vgl. Althusser 1977, 146).

  43. 43.

    Althusser verwendet das Wort reconnaître im Sinne von wiedererkennen und anerkennen, wobei in der deutschen Übersetzung seines Essays die jeweils dominierende Bedeutung verwandt wird; vgl. zu diesem Doppelsinn von reconnaître Bedorf 2010, 79f. sowie zum Bedeutungsspektrum von reconnaissance Ricœur 2006.

  44. 44.

    In ihren Überlegungen zum ‚verletzendem Sprechen‘ sucht Butler, „die Besonderheit der sprachlichen Verletzbarkeit gegenüber der körperlichen zu bestimmen“ (Butler 1998, 13f.), macht aber zugleich deutlich, dass „[d]ie Vorstellung, daß Sprechen verwundet“ (ebd. 24) auch „auf der ebenso unlösbaren wie inkongruenten Beziehung zwischen Körper und Sprechen“ (ebd. 24f.) beruht: „Der Sprecher spricht nicht nur, sondern wendet den eigenen Körper an den anderen und enthüllt damit, daß der Körper des anderen durch die Anrede verletzbar ist“ (ebd. 25). Die „unbestreitbar verwundene Macht bestimmter Wörter“ (ebd.) begründet sich nach Butler dabei darin, dass man durch verletzende Ansprachen „herabgesetzt und erniedrigt“ (ebd. 10) und darin „seiner Selbstkontrolle beraubt“ (ebd. 12) wird, weil man den ‚eigenen‘ „Kontext verliert, also buchstäblich nicht weiß, wo man ist“ (ebd.): „In diesem vernichtenden Augenblick wird gerade die Unbeständigkeit des eigenen ‚Ortes‘ innerhalb der Gemeinschaft der Sprecher sichtbar“ (ebd. 13).

  45. 45.

    Butler stellt heraus, dass die Überlegungen Austins und Althussers vor allem deshalb unvereinbar sind, weil nach Austin „das sprechende Subjekt dem Sprechen voraus[geht]“ (Butler 1998, 41) und er daher „ein sprechendes Subjekt voraussetzt“ (ebd. 43), während bei Althusser das Subjekt erst qua Anrufung entsteht: „I think Althusser gives me interpellation […], and Austin gives me a way of understanding the speech acts of that subject” (Butler 1999b, 165).

  46. 46.

    Zu Beginn der Entwicklung seiner Theorie stellen Performativa für Austin noch eine von Konstativa abzugrenzende ‚Sonderklasse‘ von Äußerungen dar. Im Verlauf seiner Arbeit versteht er dagegen – und darin folgt ihm Butler – das Performative als ein allgemeines Kennzeichen jeder Äußerung, so dass derjenige, der „eine Feststellung trifft“ (Austin 2002, 159), immer auch „eine Handlung vollzieht“ (ebd.). Dabei ersetzt Austin die Unterscheidung von performativ und konstativ durch die Unterscheidung von lokutionären, illokutionären und perlokutionären Akten (vgl. ebd. 89ff.), auf die auch Butler rekurriert. Jedoch verwendet Butler die Begrifflichkeiten Austins nicht eindeutig; vielmehr finden sich in ihren Schriften viele „Abweichungen von Redeweisen der orthodoxen Sprechakttheorie“ (Rolf 2009, 213). So ist „in ihren Ausführungen dann und wann von ‚performativen Sprechakten‘ (statt Äußerungen), von ‚illokutionären Äußerungen‘ (statt von performativen), von ‚illokutionären performativen Äußerungen‘ (statt einfach von illokutionären Akten) oder von performativer Kraft’ (statt von illokutionärer) die Rede“ (ebd.). Butler selber betont in einem Interview, dass ihre Verwendung von Austin nicht „loyal“ (Butler 1999b, 164) sei.

  47. 47.

    Deshalb halten wir, so kommentiert Butler, „manchmal an Ausdrücken fest, die uns weh tun, weil sie uns wenigstens irgendeine Form der gesellschaftlichen und diskursiven Existenz bieten“ (Butler 1998, 44).

  48. 48.

    Vgl. zu Butlers Unterscheidung von Individuen und Subjekten: „Über ‚das Subjekt‘ wird oft gesprochen, als sei es austauschbar mit ‚der Person‘ oder ‚dem Individuum‘. Die Genealogie des Subjekts als kritischer Kategorie jedoch verweist darauf, dass das Subjekt nicht mit dem Individuum gleichzusetzen, sondern vielmehr als sprachliche Kategorie aufzufassen ist, als Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur“ (Butler 1997, 15). Angemerkt sei, dass auch bei Althusser davon die Rede ist, dass ‚Individuen‘ in der Anrufung zu Subjekten werden, er aber davon ausgeht, dass Individuen immer schon Subjekte sind: „Die Ideologie hat immer-schon (toujours-déjà) die Individuen als Subjekte angerufen, was wiederum auf die Präzisierung hinausläuft, daß die Individuen immer schon durch die Ideologie als Subjekte angerufen werden. […]: Die Individuen sind immer-schon Subjekte“ (Althusser 1977, 144).

  49. 49.

    Wie Todorov betont auch Butler, „daß wir lieber erniedrigt, als gar nicht angesprochen“ (Butler 1998, 45), d. h. anerkannt werden.

  50. 50.

    Vgl.: „Das Subjekt ist niemals vollständig konstituiert, sondern wird immer wieder neu unterworfen (subjected) und produziert“ (Butler 1993a, 45). Damit verbunden ist, dass die Unterwerfung nach Butler nicht nur den „Gewinn eines anerkennbaren Seins“ (Butler 2001a, 122), sondern auch „die Möglichkeit des Weiterlebens als anerkennbares soziales Wesen“ (ebd. 32) und insofern „den Fortbestand des Subjekts“ (ebd.) erwirkt.

  51. 51.

    Butler widmet sich dem Diskursbegriff nicht eigens, betont aber, dass sie „das Wort ‚Diskurs‘ nicht in seiner alltagssprachlichen Bedeutung“ (Butler 1993b, 129), sondern „im Foucaultschen Sinne“ (ebd. 132) – als „Begriff der Bedeutung“ (ebd. 129) – benutzt: „[D]ieser Diskursbegriff ist zu unterscheiden von geschriebener oder gesprochener ‚Rede‘ und von Formen der Darstellung und/oder der Bedeutungskonstitution. Der Diskurs über Subjekte […] ist für die gelebte und aktuelle Erfahrung eines solchen Subjekts konstitutiv, weil ein solcher Diskurs nicht nur über Subjekte berichtet, sondern die Möglichkeiten artikuliert, in denen Subjekte Intelligibilität erreichen, und das heißt, in denen sie überhaupt zum Vorschein kommen“ (ebd. 132). Daher stellt ein Diskurs nach Butler „nicht einfach vorhandene Praktiken und Beziehungen dar, sondern er tritt in ihre Ausdrucksformen ein und ist in diesem Sinne produktiv“ (ebd. 129). Er drücke „Objekte und Subjekte in ihrer Intelligibilität“ (ebd.) aus und konstituiere sie zugleich; vgl. zu Foucaults Diskursbegriff Foucault 1991 sowie Bublitz u. a. 1998; Ruoff 2007 und Parr 2008.

  52. 52.

    Verbunden ist damit die – nicht näher ausgeführte – These, dass Normen von Regeln und Gesetzen zu unterscheiden sind (vgl. Butler 2009, 73). Vermutbar aber ist, dass sich Normen nach Butler vor allem insofern von Regeln und Gesetzen unterscheiden, als erstere nicht in explizierter Form ‚vorliegen‘ und nur selten explizit gemacht bzw. verbalisiert werden.

  53. 53.

    Vgl.: „Wenn Wörter zu Handlungen führen oder selbst eine Art von Handlung sind, dann nicht deshalb, weil sie die Absichts- oder Willenskraft eines Individuums widerspiegeln, sondern weil sie sich aus Konventionen herleiten und diese wieder in Szene setzen; Konventionen, die ihre Kraft durch sedimentierte Wiederholbarkeit gewonnen haben. Die Kategorie der ‚Intention‘, der Begriff des ‚Täters‘ wird seinen Platz haben, aber dieser Platz wird nicht länger ‚hinter‘ der Tat als die sie speisende Quelle sein“ (Butler 1993b, 124).

  54. 54.

    Die Verwendung der Begriffe ‚Handlungen‘ und ‚Praktiken‘ in den deutschsprachigen Übersetzungen von Butlers Schriften ist nicht eindeutig.

  55. 55.

    Butler betont, dass „[d]ie Frage, was außerhalb der Norm liegt, […] sich als gedankliches Paradoxon“ (Butler 2009, 73) erweist: „[W]enn die Norm das Feld des Sozialen für uns intelligibel macht und diesen Bereich für uns normalisiert, dann muss ein Außerhalb der Norm immer noch in Relation zu ihr definiert werden“ (ebd. 74); vgl.: „Das Komplizierte ist, dass man nicht außerhalb von Kategorien der Anerkennung sein kann, auch wenn es sein kann, dass man nicht innerhalb sein kann“ (Butler 2001b, 593f.).

  56. 56.

    Damit verbunden ist eine „psychoanalytische Kritik an Foucault“ (Butler 2001a, 84): Nicht nur bliebe in seiner Theorie „die gesamte Sphäre der Psyche weitgehend unbeachtet“ (ebd. 8). Vielmehr nehme Foucault eine „Reduktion des psychoanalytisch reichen Begriffs der Psyche auf den Begriff einer verkerkernden Seele“ (ebd. 84) vor; für ihn sei „die Seele ein Werkzeug der Macht, durch welches der Körper herangezogen und geformt wird“ (ebd. 87) und „die Psyche […] ein Einkerkerungseffekt im Dienst der Normalisierung“ (ebd.). Dadurch schließe Foucault letztlich „die Möglichkeit des Widerstands […] aus“ (ebd. 84). Butler zielt aber zugleich auch auf eine „Foucaultsche Perspektive innerhalb der Psychoanalyse“ (ebd.). Sie suche, so betont sie, „die vorläufigen Perspektiven zu erkunden, aus der jede Theorie die andere erhellen kann“ (ebd. 8), nehme aber „keine große Synthese“ (ebd.) vor. In Körper von Gewicht stellt Butler heraus, dass ihr Versuch einer „Neuformulierung der psychoanalytischen Theorie“ (Butler 1997, 160) auf mehr zielt „als die Aussicht auf eine freundlichere, mildere psychoanalytische Theorie“ (ebd. 165): „[S]ie berührt die Frage der stillschweigenden Grausamkeiten, die eine kohärente Identität aufrechterhalten, Grausamkeiten, die Grausamkeiten gegen sich selbst ebenfalls einschließen“ (ebd.; vgl. auch Butler 1993b, 131f.). Eindrücklich verdeutlicht Butler diese ‚Grausamkeiten‘ in ihren unter dem Titel Die Macht der Geschlechternormen (vgl. Butler 2009) auf Deutsch veröffentlichten Beiträgen, die den „pathologisierenden Folgen einer Diagnose gestörter Geschlechtsidentität“ (Butler 2009, 26) nachgehen.

  57. 57.

    Während bei Althusser der Passant qua Umwendung, so Butler, „eine bestimmte Identität [erhält], die sozusagen um den Preis der Schuld erkauft ist“ (Butler 1998, 43) und somit die Bereitwilligkeit zur Selbst-Unterwerfung als Bereitwilligkeit erscheint, „Schuld zu akzeptieren, um Identität zu gewinnen“ (Butler 2001a, 103) rückt Butler darin von dieser Idee einer „Schuldübernahme“ (ebd. 101) in der Anrufung genau ab.

  58. 58.

    Insofern hängt „die Frage, ‚wer‘ es [das Subjekt; N. B.] ist“ (Butler 1998, 64), und als wer es handeln kann, „ebenso von den Namen ab, die es niemals erhalten hat“ (ebd.); vgl.: „Die Sprache konstituiert das Subjekt also teilweise durch die Verwerfung, eine Art inoffizieller Zensur oder ursprünglicher Einschränkung des Sprechens, die zugleich die Möglichkeit der Handlungsmacht im Sprechen konstituiert“ (ebd. 64f.); zu Butlers Ausführungen zur impliziten ‚Zensur‘ in der (sprachlichen) Anrufung vgl. ebd. 181ff.

  59. 59.

    Mit dieser These ist eine Kritik an Foucaults im ersten Band von Sexualität und Wahrheit (vgl. Foucault 1977) formulierter Kritik der Repressionshypothese Freuds verbunden. So stellt Butler heraus, dass „die Sanktionierung nicht nach der Repressionshypothese [arbeitet], wie Foucault sie postuliert und kritisiert“ (Butler 2001a, 29), werde doch „das Instrument der Unterdrückung zur neuen Struktur und zum neuen Ziel des Begehrens […], jedenfalls da, wo die Subjektivation gelingt“ (ebd. 60).

  60. 60.

    Butler betont aber, dass „es nicht stets oder unbedingt der Fall sein muß, daß Heterosexualität in einer derart umfassenden Verwerfung und Ablehnung der Homosexualtität wurzelt“ (Butler 1997, 160), denn es könne „auf Seiten mancher Heterosexueller in der Frage der Homosexualität eine reine ‚Indifferenz‘ statt unbewusster Verwerfung geben“ (Butler 2009, 320), so dass sie nicht „ein Entwicklungsmodell befürworte, in dem zunächst homosexuelle Liebe vorhanden ist und diese Liebe dann verdrängt wird, woraufhin in der Folge Heterosexualität entsteht“ (ebd.).

  61. 61.

    Dabei betont Butler, „daß die für die Selbstwerdung erforderliche fiktive Verdoppelung die Möglichkeit einer strengen Identität ausschließt“ (Butler 2001a, 184) und es „keine Ambivalenz […] ohne das Verdikt der Gesellschaftlichkeit“ (ebd.) gebe, „das die Spur seiner Werdung auf dem Schauplatz unserer Entstehung hinterläßt“ (ebd.).

  62. 62.

    Das Begehren ist jedoch nach Butler „nie ganz realisierbar“ (Butler 2001b, 594) und ebenso wenig ist seine Realisierung erstrebenswert, denn aufgrund der „Produktivität des Begehrens“ (ebd.) sei die „Erfüllung von Anerkennung […] der Tod“ (ebd.); zugleich hätten wir aber „keine Möglichkeit, das vollständige Begehren nicht zu begehren“ (ebd.).

  63. 63.

    Bereits im Unbehagen der Geschlechter wendet sich Butler in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Monique Wittigs gegen eine „Theorie der souveränen Sprechakte“ (Butler 1991, 175) und gegen Auffassungen, in denen „das sprechende Subjekt als autonom und universal“ (ebd. 235) eingeschätzt wird. Rückblickend betont sie zudem, dass Derridas Performativitätsverständnis bereits auch dieser Schrift zugrunde gelegen habe: „I think in Gender Trouble I actually took it from Derrida’s essay on Kafka, ‚Before the Law‘, which had Austin as its background but which I didn’t bother to pursue” (Butler 1999b, 164).

  64. 64.

    In ihren Überlegungen zum ‚Scheitern‘ von Sprechakten führt Butler auch andere als die im Folgenden ins Zentrum gerückten Gründe für die „Kluft zwischen Äußerung und Bedeutung“ (Butler 1998, 125) an. So betont sie, dass „Äußerungen mehrere Bedeutungen haben können“ (ebd.) und sich diese „Mehrdeutigkeit der Äußerung“ (ebd.) auch darin begründet, dass „[d]er Sprechakt […] körperlich ausgeführt“ (ebd.) wird und insofern „selbst eine körperliche Handlung“ (ebd. 21) ist, wobei von einer „inkongruente[n] Wechselbeziehung von Körper und Sprechen“ (ebd. 125) auszugehen sei. Der „Überschuß im Sprechen“ (ebd.) muss, so Butler im Rekurs auf Shoshana Felman, „mit und oft gegen den propositionalen Gehalt des Gesagten gelesen werden“ (ebd.), denn „[d]ie Beziehung zwischen Sprechen und Körper ist chiastisch“ (ebd. 220), so dass „[d]ie Bedeutungen, die der Körper ausführt, […] nicht genau mit denen zusammen[fallen], die gerade vorgetragen werden oder überhaupt vorgetragen werden können“ (ebd. 21). Daher „markiert der unwissende Körper die Grenze der Intentionalität des Sprechaktes“ (ebd. 22): „Der Körper ist gleichsam der blinde Fleck des Sprechens: das, was über das Gesagt hinaus, jedoch gleichzeitig in ihm und durch es agiert“ (ebd.).

  65. 65.

    Insbesondere Austin stellt heraus, dass sprachliche Äußerungen „bestimmte Konventionen“ (Butler 1998, 11) aufrufen und „‚rituell oder zeremoniell’“ (ebd.) sind: „Das Austinsche Subjekt spricht konventional, d. h. mit einer Stimme, die niemals völlig einzigartig ist. Das Subjekt beschwört eine Formel […], was ohne Reflexion auf den konventionellen Charakter des Gesagten geschehen kann“ (ebd. 43). Insofern ‚gelinge‘ die sprachliche Äußerung „durch das Zitat der existierenden Konvention“ (ebd. 54).

  66. 66.

    Butler erläutert dies am Beispiel des Erwerbs von Geschlechtsidentität folgendermaßen: Mit der Anrufung „endet das ‚Zum-Mädchen-Machen‘ des Mädchens noch nicht, sondern jene begründende Anrufung wird von den verschiedensten Autoritäten und über diverse Zeitabschnitte hinweg immer aufs neue wiederholt“ (Butler 1997, 29), wobei „sich die Norm des Geschlechts in dem Maße durch[setzt], in dem sie als eine solche Norm ‚zitiert‘ wird“ (ebd. 37).

  67. 67.

    Damit wird deutlicher, inwiefern nach Butler „Geschlechtsidentität ein Tun“ (Butler 1991, 49), jedoch „nicht das Tun eines Subjekts [ist], von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht“ (ebd.), so dass es „kein ‚Sein‘ hinter dem Tun, Wirken, Werden gibt“ (Butler 1998, 69) und ‚der Täter‘ […] zum Tun bloß hinzugedichtet“ (ebd.) ist: Geschlechternormen wirken nach Butler, „indem sie die Verkörperung bestimmter Ideale von Weiblichkeit und Männlichkeit verlangen“ (Butler 1997, 318), so dass das Subjekt „die Figur eines Körpers“ (ebd. 183) verkörpern muss, die „ein morphologisches Ideal [ist], das den Maßstab bildet, der die Darstellung reguliert“ (ebd.). Dabei ist es die „wiederholte Stilisierung des Körpers“ (Butler 1991, 60), die – eben weil der geschlechtlich bestimmte Körper „keinen ontologischen Status über die verschiedenen Akte, die seine Realität bilden, hinaus [besitzt]“ (ebd. 200) – „den „Effekt der Echtheit“ (Butler 1997, 183) hervorbringt. Butlers These von ‚Geschlechtsidentitäten‘ als „Wahrheits-Effekte[n] eines Diskurses“ (Butler 1991, 201) impliziert somit, von „drei kategorialen Dimensionen der signifikanten Leiblichkeit“ (ebd. 202) auszugehen: „dem anatomischen Geschlecht (sex), der geschlechtlich bestimmten Identität (gender identity) und der Performanz der Geschlechtsidentität (gender performance)“ (ebd.).

  68. 68.

    Wie oben verdeutlicht, ‚arbeitet‘ jedoch nach Butler „[di]e normative Kraft der Performativität […] nicht nur mit der ständigen Wiederholung, sondern ebenso mit dem Ausschluß“ (Butler 1997, 260). Überdies kennzeichnet Butler „die Zitathaftigkeit der Äußerung“ (Butler 1998, 75) auch als ein „metaleptische[s] Verfahren“, durch das das ‚zitierende‘ Subjekt „als nachträglicher und fiktiver Ursprung dieser Äußerung hergestellt wird“ (ebd.): Der „Subjekt-Effekt“ sei „ein abgeleiteter Effekt einer nachträglichen Metalepse“ (ebd.). Butlers Begriff der Performativität ist daher nicht nur durch die Lektüre von Derridas Austin-Kritik, sondern auch durch Paul de Mans Begriff der ‚Metalepsis‘ geprägt ist, wie ihn dieser in seinen Aufsätzen zu Nietzsche formuliert hat (vgl. Butler 1993b, 123 wie de Man 1988).

  69. 69.

    In ihren Überlegungen zur diskursiven Performativität argumentiert Butler insofern nicht immer eindeutig, als sie bisweilen auch der von Pierre Bourdieu vorgebrachten Kritik an der These zustimmt, „daß ein Sprechakt aufgrund seiner Dynamik mit jedem Kontext bricht, in dem er auftritt“ (Butler 1998, 228; vgl. Bourdieu 2005a). Dies treffe „einfach nicht zu“ (ebd.), denn Kontexte hingen „mit bestimmten Sprechakten in einer Weise zusammen […], die nur sehr schwer zu erschüttern ist“ (ebd.). Gleichwohl ist es zuvorderst Derridas These, dass „der Sprechakt eine nicht konventionale Bedeutung annehmen kann, daß er in einem Kontext funktionieren kann, zu dem er nicht gehört“ (ebd. 228), der Butler nicht nur vorrangig folgt, sondern die sie auch entgegen ihrer mit Bourdieu formulierten Kritik auf alle Äußerungen und Verkörperungen ausweitet, so dass es scheint, als müssten diese zwangsläufig, d. h. „als Bedingung ihrer Iterabilität mißlingen“ (ebd. 213).

  70. 70.

    Butler verdeutlicht dies hinsichtlich des „Drama[s] der Geschlechtsidentität“ (Butler 1991, 206): Geschlechtsidentität erfordere „eine wiederholte Darbietung“ (ebd.) und werde „durch die stilisierte Wiederholung der Akte in der Zeit konstituiert“ (ebd.), jedoch sei sie „eine Imitation, zu der es kein Original gibt“ (Butler 1996, 26), so dass „alle Geschlechtsidentität wie drag ist oder drag ist“ (Butler 1997, 178) und „Geschlechternormen […] letztlich phantasmatischen Charakter“ (Butler 1991, 207) haben. Geschlechternormen ließen sich „von keinem je ganz erfüllen“ (Butler 2001a, 136); vielmehr offenbarten jene wiederholten Akte ihrer Verkörperung, die „versuchen, sich dem Ideal eines substantiellen Grundes der Identität anzunähern […] die zeitliche und kontingente Grundlosigkeit dieses ‚Grundes‘“ (Butler 1991, 207).

  71. 71.

    Butler deutet verschiedentlich auch andere Gründe dafür an, dass „die Subjektivierung – im Sinne einer kohärenten, eindeutigen, stabilen und intelligiblen Verkörperung eines Subjekts – nur scheitern“ (Villa 2010b, 212) kann. So erläutert sie z. B., dass es zur „Koexistenz und Überschneidung“ (Butler 1991, 213) von „diskursiven Anweisungen“ (ebd.) kommt, die „unberechenbare Subjektivierungseffekte zeitigen können“ (Reckwitz 2008a, 91).

  72. 72.

    Christine Hauskeller kommt dagegen zu dem Schluss, dass das handlungsfähige und das widerständige Subjekt Butlers bzw. „das zu dekonstruierende und das subversiv resignifizierende Subjekt“ (Hauskeller 2000, 71) – „wenn auch mit Einschränkungen“ (ebd.) – „im Grunde schon dasselbe sind“ (ebd.).

  73. 73.

    Diese inszenieren als körperlich männlich oder weiblich konnotierte Subjekte in parodistisch-humoristischer bzw. künstlerischer Weise oder als Lebensstil ein weibliches oder männliches Aussehen und/oder ein als weiblich oder männlich chiffriertes Handeln.

  74. 74.

    Butler betont jedoch, dass nicht geklärt ist, „welche Art von Performanz der Geschlechtsidentität […] den performativen Charakter der Geschlechtsidentität selbst [entlarvt]“ (Butler 1991, 204; vgl. ebd. 206) und „ihn so in Szene [setzt], daß die naturalisierten Kategorien der Identität und des Begehrens ins Wanken geraten“ (ebd. 204). Es bleibt dann auch unklar, wie sich das Verhältnis von Abweichungen von (Geschlechter-)Normen zur „Umschreibung der Norm“ (Reckwitz 2008a, 92) genau darstellt.

  75. 75.

    Wie angedeutet, stellt Butler heraus, „dass sich politische Gemeinschaften in dem Maße produzieren und reproduzieren, wie sie durch Grenzziehungen das nicht-ganz-Lesbare, das nicht-ganz-Lebbare als Teil ihrer eigenen Gemeinschaft produzieren, als verleugneten, aber konstitutiven Teil der Gemeinschaft“ (Butler 2001b, 597). Dies bezieht sie auch auf die ‚Intelligibilität‘ des Subjekts überhaupt, beruht doch diese nach Butler auch auf der „Benennung dessen, was denkbar und konkret möglich ist“ (Meißner 2010, 47) – und darauf, welche ‚Wesen‘ als „nicht-lebbare und nicht benennbare Wesen“ (ebd. 49) hervorgebracht werden.

  76. 76.

    Butler unterscheidet bisweilen zwischen ‚unechten‘ und ‚unterdrückten‘ Subjekten und legt nahe, dass ‚unecht‘ zu sein bedeutet, weder handlungsfähig noch zum Widerstand fähig zu sein: „Wenn jemand als unecht bezeichnet wird und wenn diese Bezeichnung sozusagen als eine Form ungleicher Behandlung institutionalisiert wird, heißt das, er wird zum Anderen, zur Folie, vor der das Menschliche gemacht wird. Es ist das Unmenschliche, das Außermenschliche, das eingeschränkt Menschliche, es ist die Grenze, die das Menschliche in seiner angeblichen Realität absichert. Als Kopie bezeichnet zu werden, unecht genannt zu werden ist daher eine Form, wie man unterdrückt werden kann. Man muss aber bedenken, dass die Sache noch grundsätzlicher ist. Unterdrückt zu werden bedeutet immerhin, dass man bereits als ein irgendwie geartetes Subjekt existiert: man ist da als der sichtbare und unterdrückte Andere, als ein möglicher oder potentieller Untertan für das Meistersubjekt. Unecht zu sein ist allerdings noch einmal etwas anderes. Damit man unterdrückt werden kann, muss man als Erstes intelligibel werden. Die Beobachtung zu machen, dass man vollkommen unintelligibel ist (dass einen die Regeln der Kultur und der Sprache als eine Unmöglichkeit ausweisen), ist gleichbedeutend mit der Feststellung, dass man noch keinen Zutritt zum Menschlichen gefunden hat“ (Butler 2009, 345). ‚Unterdrückte‘ Subjekte sind vor diesem Hintergrund „Lebewesen, die genau an der Grenze dessen leben, was (an)erkennbar ist“ (Butler 2001b, 597), die „gewissermaßen bei uns, mit uns [leben], ohne ganz anerkannt zu sein, ohne am öffentlichen Leben teilzunehmen, nicht außerhalb der Gesellschaft, aber auch nicht unsichtbar“ (ebd.).

  77. 77.

    Zudem sind sie keine „zufällig gleichlaufende[n] widerständige[n] Individualakte“ (Hauskeller 2000, 71), sondern geplante, koordinierte, organisierte (Widerstands-)Aktionen, deren Durchführung bisweilen explizierte Ziele zugrunde liegen und die nicht spontane zufällige ‚Zusammenkünfte‘ darstellen (vgl. ebd. 72).

  78. 78.

    Vgl.: „Bei Spinoza fand ich die Vorstellung, dass ein bewusstes und ausdauerndes Wesen auf Reflexionen seiner selbst emotional reagiert, je nachdem ob diese Reflexion eine Verringerung oder eine Steigerung der eigenen Möglichkeit zukünftigen Beharrens und Lebens bedeutet“ (Butler 2009, 371f.).

  79. 79.

    Die von Butler zunächst als Spinoza-Vorlesungen im Frühjahr 2002 an der Universität Amsterdam und dann im Herbst 2002 in veränderter Form am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main als Adorno-Vorlesungen gehaltenen Vorträge liegen in zwei deutschsprachigen Ausgaben (2003a und, in stark erweiterter Ausgabe, 2007) vor. Bisweilen lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Übersetzungen festhalten, weshalb auf beide zurückgegriffen wird.

  80. 80.

    Wenn man glaubt – so betont Butler gegen durchaus viele gegensätzliche Einschätzungen der späteren Arbeiten Foucaults (vgl. zur Diskussion um diese Gehring 2008 wie Detel 2008) –, „Foucault habe das Studium der Macht zugunsten der Untersuchung des ethischen Subjekts aufgegeben, dann versteht man die Wende des späten Foucault nicht richtig“ (Butler 2003a, 9): „[W]enn das Subjekt in Überwachen und Strafen und viel mehr vielleicht noch im ersten Band zu Sexualität und Wahrheit überwältigt zu werden schien, nur um in den früher 80er Jahren wieder aufzuerstehen, muß man unbedingt betonen, daß hier ein ganz anderes Subjekt aufgetaucht ist. Ganz ähnlich könnte man meinen, die Macht werde nicht mehr zentral über den Körper gedacht, aber das wäre meines Erachtens eine Fehlinterpretation. Das Subjekt, das hier entsteht, ist auch weiterhin nicht souverän; es ist immer noch kein Subjekt, dem es freisteht, die Effekte der Macht, die ihm begegnen, anzueignen oder nicht anzueignen, und es ist kein Subjekt, das man sich mit grundlegenden Rechten oder Eigenschaften ausgestattet oder nicht ausgestattet vorstellen kann. Dieses Subjekt ist viel tiefreichender beschränkt und manifestiert seine Handlungsfähigkeit inmitten dieser Beschränkungen“ (Butler 2003b, 66). Foucault hat selber von drei ‚Phasen‘ bzw. Schwerpunktsetzungen seiner Arbeiten gesprochen. So erläutert er, dass sich seine Arbeit „mit drei Weisen der Objektivierung“ (Foucault 1994a, 243) befasste, „die Menschen in Subjekte verwandeln“ (ebd.): „Zunächst waren da die Untersuchungsverfahren, die sich den Status von Wissenschaften zu geben versuchen […]. Im zweiten Abschnitt meines Arbeitens habe ich die Objektivierung des Subjekts durch das, was ich ‚Teilungspraktiken‘ nennen werde, untersucht. […] Schließlich habe ich versucht, die Art und Weise, in der ein Mensch sich selber in ein Subjekt verwandelt, zu untersuchen“ (ebd.). Dabei lassen sich Foucaults Arbeiten zur „Ethik der Existenz“ (Foucault 2005, 904) als Untersuchungen der „Verfahren“ (Foucault 1994b, 700) verstehen, durch die „das Subjekt dazu gebracht wird, sich selbst zu beobachten, zu analysieren, als einen Bereich möglichen Wissens anzuerkennen“ (ebd.) – und darin als Fortsetzung seiner Genealogie der Sexualität (Foucault 1977, 1997 und 2000; vgl. auch Foucault 1985, 1993 und 2004a) deuten. Ausdrücklich fokussiert Foucault dabei das „Bemühen, seine Freiheit zu behaupten und seinem eigenen Leben eine bestimmte Form zu geben, in der man sich anerkennen und von den anderen anerkannt werden konnte“ (Foucault 2005, 904).

  81. 81.

    Dies widerspricht auch der These von z. B. Walter Reese-Schäfer, dass es einen Widerspruch darstellt, dass bei Butler subversive Praktiken „ihren Ausgangspunkt und einen Sinn in einem Subjekt“ (Reese-Schäfer 2000, 296) finden und „von deutungs- und kritikfähigen Subjekten vorgenommen“ (ebd.) werden (müssen), obwohl Subjekte doch diskursiv hervorgebracht sind.

  82. 82.

    Vgl. auch: „Das Selbst formt sich selbst, aber es formt sich im Rahmen von Formierungspraktiken, die als Weisen der Unterwerfung/Subjektwerdung charakterisiert werden“ (Butler 2002b, 264f.).

  83. 83.

    Butler entfaltet ihre intersubjektivitätstheoretische Auslegung von ‚Anerkennung‘ vorrangig im Rahmen ihrer ethischen Überlegungen. Die hier vorgenommene Trennung der zwei Aspekte – des intersubjektivitätstheoretischen und des ethischen Aspekts – ihrer Überlegungen ist nicht nur darin begründet, dass Butler selber Fragen der Intersubjektivität bisweilen ohne Blick auf ethische Fragen bearbeitet, sondern auch darin, dass sie es den LeserInnen ihrer Vorlesungen zur Kritik der ethischen Gewalt – wie in ihren vorherigen Arbeiten – bisweilen schwer macht, zu folgen. Vielfach schreitet sie mittels Fragen voran, deren Beantwortung nur selten direkt erfolgt. Zudem macht Butler, wie sie selber betont, „eklektisch von einigen Philosophen und kritischen Theoretikern Gebrauch“ (Butler 2007, 32), deren Positionen „[n]icht alle […] miteinander kompatibel“ (ebd.) sind. Sie wolle, so Butler, „keinen Versuch unternehmen, sie in einer Synthese zusammenzuführen“ (ebd.). Butlers intersubjektivitätstheoretische Überlegungen lassen sich insofern auch als ‚Suchbewegungen‘ zu einem veränderten Verständnis sowohl ‚der‘ Ethik als auch der Subjektkonstituierung verstehen. Auch deshalb werde ich mich im Folgenden darauf beschränken, die anerkennungstheoretischen Thesen Butlers zu rekonstruieren, ohne ihren divergenten Theorie-Bezügen jeweils gesondert Beachtung zu schenken.

  84. 84.

    Vgl. auch: „Die Aufgabe heißt nicht, von einem bestehenden Ego aus Zugang zur Welt der anderen zu erlangen, also den Narzissmus zu überwinden, um bindungsfähig zu werden. Die Bindung ist vielmehr von Anfang an überdeterminiert“ (Butler 2007, 101).

  85. 85.

    Wir können, so Butler immer wieder, „unseren grundlegend sozialen Charakter nicht wegwünschen“ (Butler 2007, 48), denn „[a]m Grund des ‚Ich‘ findet sich gleichsam eine Sozialität, der man nicht entfliehen kann – und nicht entfliehen sollte“ (ebd. 103).

  86. 86.

    Während Butler in ihren Schriften zuvor eine bisweilen „bis ins Extrem gesteigerte Plastizität der Natur menschlicher Lebewesen“ (Krüger 2001, 143) voraussetzt, betont sie nun, dass der Körper „keine bloße Oberfläche [ist], in die sozialer Sinn eingeschrieben wird“ (Butler 2010, 39), und stellt die Notwendigkeit einer doppelten Fassung des Körpers heraus: Körper bergen, so Butler, „die Möglichkeit, daß auch wir selbst zur Handlungsinstanz und zum Instrument alles dessen werden“ (Butler 2005, 43), zugleich seien unsere Körper „nicht immer nur unsere eigenen“ (ebd.); „emphatisch gesprochen“ (Butler 2009, 40) sei der Körper zwar „‚der eigene‘“ (ebd.) und „dasjenige, für das wir Rechte der Autonomie beanspruchen müssen“ (ebd.), aber „[k]örperliche Autonomie“ sei „ein lebhaftes Paradox“ (ebd.) – und deshalb sei es auch möglich, dass es „eine weitere normative Zielsetzung“ (ebd. 41) geben könne, eine, in der im Zentrum stünde, dass wir „als Körper, außer uns füreinander existieren“ (ebd. 42).

  87. 87.

    Butler betont, dass sie mit dem Begriff der ‚Ontologie‘ „nicht fundamentale Seinsstrukturen jenseits aller sozialen und politischen Organisationsformen“ (Butler 2010, 109) beschreiben wolle, denn „Seinsstrukturen“ (ebd.) seien „immer schon in ihre politische Organisation und Deutung eingebunden“ (ebd.). Zudem hieße „Körper sein […], gesellschaftlichen Gestaltungskräften und Formierungen ausgesetzt sein, weshalb die Ontologie des Körpers immer schon soziale Ontologie ist“ (ebd. 11). Als ein „in der öffentlichen Sphäre geschaffenes soziales Phänomen“ (Butler 2005, 43) habe der Körper „unweigerlich seine öffentliche Dimension“ (ebd.).

  88. 88.

    Im Rekurs auf Giorgio Agamben verweist Butler hinsichtlich der Frage des ‚Überlebens‘ darauf, dass „es mindestens zwei Bedeutungen von Leben“ (Butler 2009, 68) gibt: „eine, die sich auf die minimale biologische Form von Leben bezieht, und eine andere, die von Anfang an hinzukommt und im Hinblick auf menschliches Leben Mindestbedingungen für ein lebenswertes Leben aufstellt“ (ebd.). Das ‚bloße‘ Leben zu leben bedeute immer schon, „ein Leben politisch zu leben, im Verhältnis zur Macht, im Verhältnis zu anderen“ (ebd. 68f.). Daher sei zwar „Überleben […] nicht dasselbe wie Bejahung“ (ebd. 313) und es könne „keine Affirmation ohne Überleben“ (ebd.) geben; zugleich sei aber „Überleben […] nicht genug, selbst wenn für ein Subjekt ohne Überleben nichts mehr geschehen kann“ (ebd.).

  89. 89.

    Butler kommentiert dies so: „Das ist keine eigentlich ‚postmoderne‘ Erkenntnis, weil sie sich vom deutschen Idealismus und früheren mittelalterlichen ekstatischen Traditionen herleitet. Sie gibt einfach nur zu, dass ‚wir‘, die wir in Beziehung gesetzt sind, nicht unabhängig von diesen Beziehungen sind und uns selbst nicht außerhalb der dezentrierenden Effekte denken können, die diese Relationalität mit sich bringt“ (Butler 2009, 245).

  90. 90.

    Butler widerspricht so Hegel-Deutungen, die die These forcieren, dass Hegels Subjekt „eine umfassende Angleichung dessen, was ihm äußerlich ist, an bestimmte innere Züge seiner selbst vornimmt und dass sein charakteristischer Gestus ein Gestus der Aneignung und sein Stil imperialistisch ist“ (Butler 2007, 40), betont aber, dass sie auch eine Radikalisierung der „bei Hegel schon angelegte[n] ekstatische[n] Richtung“ (ebd. 46) vornimmt. Dabei richtet sich Butler mit ihrer Hegel-Deutung auch gegen die Arbeiten Jessica Benjamins: „Ich glaube, dass diese Fassung des Selbst einen andern Hegel herausstellt als den, der sich in Benjamins Arbeiten findet“ (Butler 2009, 241). Benjamins Modell widersetze sich „der Idee eines Selbst […], das ek-statisch mit dem Anderen verknüpft und durch seine Identifikationen, die den fraglichen Anderen weder ein- noch ausschließen, dezentriert ist“ (ebd. 224); vgl. zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Butlers Kritik an Benjamins Anerkennungsverständnis Allen 2006.

  91. 91.

    Butler verdeutlicht die Verwobenheit von Selbst und Anderem eindrücklich an der Trauer: „Es ist nicht so, als ob hier auf dieser Seite ein ‚Ich‘ unabhängig existiert und dann schlicht ein ‚Du‘ als Gegenüber verliert, besonders dann nicht, wenn die Zuneigung zu dem ‚Du‘ ein Teil von dem ausmacht, wer ‚ich bin‘. Wenn ich dich unter diesen Umständen verliere, betrauere ich nicht bloß den Verlust, sondern ich werde mir selbst unergründlich. Wer ‚bin‘ ich ohne dich? Wenn wir einige dieser Bindungen verlieren, durch die wir konstituiert sind, wissen wir nicht, wer wir sind oder was wir tun sollen. Auf der einen Ebene denke ich, ich habe ‚dich‘ verloren, nur um dann zu entdecken, daß ‚ich‘ mir selbst ebenfalls abhanden gekommen bin“ (Butler 2005, 39).

  92. 92.

    Butler spricht auch von der „Konzeption meiner selbst als eines ausnahmslos vergemeinschafteten Selbst“ (Butler 2009, 41) und betont, dass es – auch wenn sie „zu dem Begriff Relationalität neige“ (Butler 2005, 41) – „nicht einmal ausreichen“ (ebd.) würde zu sagen, dass sie „eine relationale Sicht des Selbst befürworte anstelle einer autonomen Sicht“ (ebd.); wir benötigten „vielleicht doch eine andere Sprache, um der Frage, die uns beschäftigt, näher zu kommen“ (ebd.). Zugleich stellt Butler aber auch heraus, dass sie nicht sagen wolle, dass „wir verschmolzen sind oder keine Grenzen mehr haben“ (ebd. 44): „[W]enn man eine Grenzziehung als mir zugehörig bezeichnen kann, dann nur, weil ich von anderen getrennt bin, und nur unter der Voraussetzung dieser Trennung kann ich überhaupt in Beziehung zu ihnen stehen. Die Grenze ist also eine Funktion des Bezugs, eine Vermittlung von Unterschieden, eine ständige Unterhandlung, in welcher ich in meiner Abgetrenntheit an dich gebunden bin“ (Butler 2010, 48f.).

  93. 93.

    Hegel werde „manchmal dafür getadelt“ (Butler 2007, 42), so kommentiert Butler, „Anerkennung als eine dyadische Struktur zu verstehen“ (ebd.), er bringe aber „die Unangemessenheit der Dyade ans Licht“ (ebd.): „Schließlich folgt aus dieser Szene ja ein System der Sittlichkeit und damit eine soziale Erklärung der Normen, nach denen die wechselseitige Anerkennung sich auf stabilere Weise regeln lässt“ (ebd.).

  94. 94.

    Insbesondere Butlers Bezüge auf die Philosophie Emmanuel Levinas’ wurden bisweilen scharf kritisiert; vgl. insbesondere Liebsch 2012 sowie Bedorf 2010, 90ff. und Dungs 2006.

  95. 95.

    Vgl. auch: „Liegt es, wenn einige mich ‚lesen‘ können, andere hingegen nicht, nur daran, dass die, die mich lesen können, über innere Fähigkeiten verfügen, die den anderen abgehen? Oder wird nicht vielmehr eine bestimmte Lektürepraxis mit Bezug auf bestimmte Raster und Bilder möglich, die im Laufe der Zeit das hervorbringen, was wir als ‚Fähigkeit‘ bezeichnen?“ (Butler 2007, 43)

  96. 96.

    Vgl. auch: „Unter welchen Bedingungen erwerben schließlich einige Individuen ein Antlitz, ein lesbares und sichtbares Antlitz, andere hingegen nicht? Es gibt eine Sprache, die die Begegnung einrahmt, und in diese Sprache eingebettet findet sich eine Gruppe von Normen für das, was Anerkennbarkeit ausmacht und was nicht“ (Butler 2007, 43f.).

  97. 97.

    Dabei richtet sich Butler explizit auch gegen Hegels Konzeption der wechselseitigen „Anerkennung unserer Gleichheit“ (Butler 2007, 58). Bei Hegel fehle „der implizite Spiegel nie, denn ich muss irgendwie sehen, dass der Andere ist wie ich“ (ebd.): „Der Hegelsche Raum enthält viel Licht und die Spiegel sind in der Regel glücklicherweise auch Fenster“ (ebd.). Seine Konzeption kenne „keine Äußerlichkeit, die einer solchen schlechten Unendlichkeit rekursiver Mimesis entgegenstünde“ (ebd. 57): „Nichts Undurchschaubares verschattet diese Fenster oder dämpft jenes Licht“ (ebd.).

  98. 98.

    Auch bei Foucault gibt es, so betont Butler, „keine Befragung jener Leidenschaften der Seele, die von einer irreversiblen Prägung des Selbst durch den Anderen zeugen und per definitionem jeden Versuch, Herr seiner selbst zu werden, stören“ (Butler 2007, 170).

  99. 99.

    Dies hieße nicht, so schränkt Butler ein, „dass wir nur aus Irrtum bestehen oder dass alles, was wir sagen, irrig und falsch ist“ (Butler 2007, 148); es bedeute aber, „dass wir von eben dem, was unser Handeln bedingt, keine vollständige Rechenschaft geben“ (ebd.) können und „dieser Zustand paradoxerweise die Grundlage unserer Zurechenbarkeit ist“ (ebd.).

  100. 100.

    In ihren Überlegungen zu einer „normativen Neuorientierung in der Politik“ (Butler 2005, 45) stellt Butler zuvorderst die „politischen Implikationen [der] Verletzlichkeit“ (Butler 2010, 35) heraus. Dabei betont sie, dass sie mit ihrem Beharren auf „einer ‚gemeinsamen‘ körperlichen Verletzbarkeit“ (Butler 2005, 60) nicht „eine neue Grundlage für den Humanismus“ (ebd.) postuliere, denn „die Anerkennung der Verletzbarkeit“ (ebd. 61) sei gerade „nicht selbstverständlich“ (ebd.) und wir könnten sie „nicht als etwas postulieren, das der Anerkennung vorausliegt“ (ebd.). ‚Verletzbarkeit‘ müsse „wahrgenommen und anerkannt werden, um in einer ethischen Begegnung eine Rolle zu spielen“ (ebd. 60). Mit Blick auf die „aus- und abgrenzende[.] Verteilung von Gefährdung und Betrauerbarkeit“ (Butler 2010, 36) spitzt Butler diesen Gedanken zu: „Der geteilte Gefährdungszustand führt nicht zu wechselseitiger Anerkennung, sondern zur Ausbeutung ganz bestimmter Bevölkerungsgruppen, zur Ausbeutung von Leben, die nicht ganz als Leben zählen und als ‚zerstörbar‘ und ‚unbetrauerbar‘ gelten“ (ebd.), denn „[d]as stillschweigende Deutungsschema der Unterteilung in wertvolle und wertlose Leben prägt grundlegend die Sinne und scheidet die Schreie, die wir hören, von denen, die wir nicht hören können, die Bilder, die wir sehen, von denen, die wir nicht sehen können, und das Gleiche gilt für Berührungen und sogar für Gerüche“ (ebd. 55f.).

  101. 101.

    Butler unterstreicht, dass sie „gewiss nicht sagen“ (Butler 2007, 64) wolle, „dass wir überhaupt keine Urteile fällen sollten“ (ebd.). Wir seien „im politischen, rechtlichen und persönlichen Leben gleichermaßen dringend auf Urteile angewiesen“ (ebd.), aber „moralische Urteile zu fällen und zu rechtfertigen, erschöpft die Sphäre der Ethik nicht“ (ebd.), und das Urteilen sei „auch nicht deckungsgleich mit der ethischen Pflicht oder der ethischen Relationalität“ (ebd.).

  102. 102.

    Auch wenn sich Butler in einem ausführlichen Kommentar zu den von Honneth 2003/2004 in Berkeley gehaltenen Vorlesungen (vgl. Honneth 2008c) mit dessen Überlegungen zum Zusammenhang von Anerkennung und Verdinglichung auseinandersetzt (vgl. Butler 2008), und auch wenn sich Honneth im ‚neuen Nachwort‘ zu seiner Habilitationsschrift kritisch zu Butlers anerkennungstheoretischen Überlegungen äußert (vgl. Honneth 2003a, 313), lässt sich bislang nicht von einem ‚Dialog‘ zu Fragen der Anerkennung zwischen Honneth und Butler sprechen: „[W]hat one finds in its place is an absence of dialogue between the two theoretical constellations, an obstinate indifference” (Ferrarese 2011, 760). Spiegelbildlich dazu lässt sich in der anerkennungstheoretischen Literatur kaum ein Vergleich ihrer Konzepte finden (vgl. ebd.). Neben Thomas Bedorf (2010) hat Estelle Ferrarese (2011) eine umfassende Kontrastierung der Ansätze Honneths und Butlers vorgelegt.

  103. 103.

    Butler betont allerdings auch, dass „Identität ein notwendiger Irrtum“ (Butler 1997, 316; Hervorh. N.B.) ist und sie nicht der Meinung sei, „daß Identität geleugnet, überwunden, ausgelöscht werden soll“ (ebd. 168).

  104. 104.

    In ihrer (späten) Auseinandersetzung mit Honneths anerkennungstheoretischer Reformulierung von Verdinglichung stellt Butler dann auch heraus, dass „the infant is born into a complex and preexisting set of social relations that are not reducible to the dyadic relation“ (Butler 2008, 107).

  105. 105.

    Foucault verstand die Normalisierung als eines „der großen Machtinstrumente“ (Foucault 1976a, 237) und unterschied in seinen späteren Vorlesungen (vgl. Foucault 1999 wie 2004b) zwischen der – insbesondere in Überwachen und Strafen verdeutlichten – disziplinierenden und der regulierenden Normalisierung sowie zwischen Normativität, Normation und Normalisierung und darin auch zwischen Gesetzen und Normen (vgl. Lorey 2007; Link 2008; wie Butler 2009). Dabei steht die ‚Normalisierung‘ nach Foucault zwar in einer Beziehung zur Normativität und zur Normation, jedoch gehen ihre Effekte, Prozeduren und Praktiken nicht in der Norm auf.

  106. 106.

    Normalisierung bzw. ‚normalisierende‘ Anerkennung ist aber mit Butler nicht, wie dies z. B. Hans-Uwe Rösner in seinen auf die Frage nach dem Jenseits normalisierender Anerkennung fokussierten Studien unternimmt, als „eine Form der Demütigung“ (Rösner 2002, 24) auszulegen. Während Rösner dies damit begründet, dass Normalisierung „damit einhergeht, dem Anderen die Kontrolle über das eigene Leben zu nehmen“ (ebd.), stellt Butler heraus, dass ‚Anerkennung‘ als Normalisierungsprozess Subjekte (auch) ermöglicht wie ‚befähigt‘ und nicht bloß ‚beleidigt‘ oder ‚demütigt‘ bzw. missachtet; vgl. auch weiter unten.

  107. 107.

    Vgl. zu einer ähnlich gelagerten Problematik in der erziehungswissenschaftlichen Rezeption der Arbeiten Foucaults Balzer 2004 wie 2008.

  108. 108.

    Amy Allen betont, dass in Butlers frühen und tendenziell auch in ihren späteren Arbeiten „all social relations […] ultimately relations of power“ (Allen 2006, 211) seien und sie deshalb nur „subordinating modes of recognition“ (ebd.) denken könne: „Following Hegel’s account of the master/slave dialectic in the Phenomenology of Spirit, Butler presents recognition at the individual level as a weapon in the subject’s struggle to the death with its Other. At the social level, recognition is figured as a mechanism of subordination and condemnation wielded by disciplinary regimes, something that is withheld unless and until individuals comply with the terms set by regulatory regimes. […] Butler seems implicitly to deny the possibility of non-subordinating forms of mutual recognition, and thus, of non-subordinating forms of social relations“ (ebd. 210).

  109. 109.

    Darauf, dass Butlers Entwurf der normativ-ethischen Implikationen der Anerkennung ambivalent ist, sei (noch einmal) hingewiesen. Insbesondere Amy Allen konstatiert „a broader ambivalence in Butler’s recent work toward the notion of recognition“ (Allen 2006, 211). In Butlers jüngeren Arbeiten finde sich „an account of nonsubordinating modes of dependency and attachment grounded in the notion of mutual recognition“ (ebd.). Zudem setzten Butlers Arbeiten insgesamt „relations structured by reciprocity and mutual recognition“ (ebd. 212) voraus. Butler sei jedoch „thoroughly convinced by her reading of Hegel’s Phenomenology that such a positive account of recognition is impossible” (ebd.), verwerfe sie doch z. B. in ihrer Auseinandersetzung mit den Arbeiten Benjamins „her own gestures toward recognition as an ideal” (ebd.) – und insofern „the sort of notion of mutual or non-subordinating recognition that her account of subjection and resistance requires“ (ebd.). Auch wenn Allen darin zuzustimmen ist, dass Butler „invokes the distinction between better and worse subjectivating practices and envisions the possibility of less constraining modes of subjectivity“ (ebd. 211), geht es aber Butler nicht um die Möglichkeit von „non-subordinating” (ebd. 212), sondern allein um weniger ‚subordinating‘ „modes of relationship and recognition” (ebd.). Damit verbunden ist, dass Butler in jüngeren Überlegungen zwar nach einer „Unterscheidung zwischen befähigenden und unfähig machenden“ (Butler 2009, 339) Normen sucht, aber zugleich betont, dass Normen manchmal „auf beide Arten zugleich“ (ebd. 20) und „für eine gegebene Gruppe auf die eine Art und für eine andere Gruppe auf die andere Art“ (ebd.) funktionieren – und überdies eben unverzichtbar sind.

  110. 110.

    Dabei ist nach Butler „jede normative Instanz […] vom Schatten ihres eigenen Scheiterns begleitet“ (Butler 2010, 15), weil „Normen nur funktionieren, indem sie die jederzeit bestehende Möglichkeit ihrer Auflösung kontrollieren, einer Auflösung, die zugleich jedem Effekt, den die Norm erzielt, bereits innewohnt“ (ebd. 20).

  111. 111.

    Wie Hannah Arendt (vgl. Arendt 2005c) unterscheidet Foucault in seiner auf Fragen des ‚Regiments‘ und der ‚Gouvernementalität‘ fokussierten Reformulierung von ‚Macht‘ zwischen ‚Macht‘ und ‚Gewalt‘: „Ein Gewaltverhältnis wirkt auf einen Körper ein, wirkt auf Dinge ein: es zwingt, beugt, bricht, es zerstört; es schließt alle Möglichkeiten aus; es bleibt ihm kein anderer Gegenpol als der der Passivität. Und wenn es auf Widerstand stößt, hat es keine andere Wahl als diesen niederzuzwingen. Ein Machtverhältnis hingegen errichtet sich auf zwei Elementen, ohne die kein Machtverhältnis zustande kommt: so daß der ‚andere‘ (auf den es einwirkt) als Subjekt des Handelns bis zuletzt anerkannt und erhalten bleibt und sich vor dem Machtverhältnis ein ganzes Feld von möglichen Antworten, Reaktionen, Wirkungen, Erfindungen eröffnet“ (Foucault 1994a, 254); vgl. auch: „Dort wo die Determinierungen gesättigt sind, existiert kein Machtverhältnis; die Sklaverei ist kein Machtverhältnis, wenn der Mensch in Eisen gekettet ist (da handelt es sich um ein physisches Zwangsverhältnis), sondern nur dann, wenn er sich bewegen und im Grenzfall entweichen kann“ (Foucault 1994a, 255f.).

  112. 112.

    Dabei legt Butler bisweilen auch nahe, dass das anerkennende Moment an Sprechhandlungen selber als ein Grund für die „Wirksamkeit des Sprechens“ (Butler 1998, 40) überhaupt zu verstehen ist.

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Balzer, N. (2014). Die Macht der Anerkennung: Zum Zusammenhang von Subjektivation und Anerkennung (Judith Butler). In: Spuren der Anerkennung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_7

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