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Die Kritik der Anerkennung: Zur Umstrittenheit eines Paradigmas

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Spuren der Anerkennung
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Zusammenfassung

Dass der Anerkennungsdiskurs in den letzten Jahren nicht verstummt ist, sondern vielmehr eine anhaltende Verbreitung und Ausweitung erfahren hat, hat wohl, wie angedeutet, nicht zuletzt mit der Beharrlichkeit zu tun, mit der Axel Honneth seine Theorie in den letzten zwei Jahrzehnten weiterentwickelt hat. So ist dann auch insbesondere sein Anerkennungskonzept anhaltend zum Gegenstand von teils sehr spezifischen, auf einzelne Aspekte fokussierten Kritiken geworden ist. Zu Beginn der Auseinandersetzungen um ‚Anerkennung‘ beziehen sich dagegen Kritiken vielfach in einem ‚Rundumschlag‘ auf die Schriften sowohl von Honneth als auch von Taylor, so dass die Differenzen zwischen ihren anerkennungstheoretischen Überlegungen dann nicht selten auch verdeckt werden. Dies hängt auch damit zusammen, dass in den Kritiken zumeist die in den Arbeiten beider Autoren forcierte diskursive Grundfigur der ‚Anerkennung von Identität‘ ins Zentrum rückt und der Anerkennungsbegriff in seiner gesellschaftstheoretischen und ethischen Bedeutung allgemein in Frage gestellt wird. Dabei stellen die im Folgenden näher betrachteten Kritiken weniger einen Abgesang auf den normativen Gehalt von Anerkennung dar, sondern bieten vielmehr unterschiedliche normativ justierte Lesarten und Neuformulierungen von Anerkennung.

Forschung ist möglicherweise die Kunst, sich – und den anderen – produktive Schwierigkeiten zu bereiten. Wo zuvor einfache Dinge waren, werden Probleme sichtbar gemacht

(Pierre Bourdieu)

Woran liegt es, dass wir manchmal den Eindruck haben, wir könnten, wenn ein Begriff von seinem grundlegenden Platz weggerückt wird, nicht mehr leben, überleben, Sprache verwenden und für uns selbst sprechen?

(Judith Butler)

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Notes

  1. 1.

    Vielfach finden auch nicht nur Taylors und Honneths Schriften Berücksichtigung, sondern auch die von Will Kymlicka (vgl. Kymlicka 1995 wie 1999), Iris Marion Young (vgl. Young 1990) und Jürgen Habermas (vgl. exemplarisch Habermas 1981 wie 1983).

  2. 2.

    In Versuchen, in theoretischer Hinsicht zwischen den beiden Paradigmen als Paradigmen von Gerechtigkeit zu vermitteln, wird z. B. betont, dass „ein normatives Element der verweigerten Anerkennung und der Missachtung basaler Ansprüche an ein gutes Leben hinzutreten [muss], damit ungleiche Verteilungen als Ungerechtigkeit gedeutet werden“ (Wagner 2005, 133), so dass der Ideologieverdacht „die moralische Dimension von Verteilungskonflikten unsichtbar“ (ebd. 134) mache und seinerseits „zur gesellschaftlichen Missachtung der Unterprivilegierten“ (ebd.) beitrage.

  3. 3.

    Vgl. zur Kritik am Topos der ‚Selbstverwirklichung’ in Honneths Schriften exemplarisch Demtröder u. a. 2004 sowie für eine Kritik an dieser Kritik Wagner 2005 wie auch die Studie von Neckel 1991.

  4. 4.

    Ausdrücklich wendet sich Fraser dabei gegen einen „‚poststrukturalistischen Antidualismus‘“ (Fraser 2003a, 85), den sie in den Arbeiten von Judith Butler und Iris Marion Young vertreten sieht und bezeichnet im Gegenzug ihren Ansatz als „perspektivische[n] Dualismus“ (ebd. 89). Mit diesem sucht sie, „Verteilung von Anerkennung zu unterscheiden“ (ebd.) und zugleich sowohl eine ökonomistische als auch eine kulturalistische Perspektive zu vermeiden, die dazu führten, „eine der beiden Kategorien auf die andere zu reduzieren“ (ebd.) und „die Komplexität der Verbindungen kurzzuschließen“ (ebd.).

  5. 5.

    Als anderes Musterbeispiel weist Fraser die Kategorie der ‚Rasse‘ aus; vgl. Fraser 2001b, 41ff.

  6. 6.

    Fraser verdeutlicht dies auch so: Bedingungen der partizipatorischen Identität seien „nicht gegeben, wenn institutionalisierte kulturelle Bewertungsmuster etwa Weiblichkeit, ‚Nicht-Weiße‘, Homosexualität und alles kulturell damit Assoziierte ständig herabsetzen“ (Fraser 2003a, 49), wodurch „Frauen und/oder farbige Menschen und/oder Schwulen und Lesben bei ihrem Streben nach Achtung Hindernisse zu überwinden [haben], denen andere nicht ausgesetzt sind“ (ebd.). Gleichwohl stoße „jeder, selbst ein heterosexueller weißer Mann, […] auf weitere Hindernisse, sobald er sich dazu entschließt, einer Betätigung nachzugehen oder Eigenschaften zu kultivieren, die kulturell als weiblich, homosexuell oder ‚farbig‘ kodiert sind“ (ebd.).

  7. 7.

    In Honneths Darstellung rechne, so betont Fraser, „gesellschaftliche Achtung zu den ‚intersubjektiven Bedingungen für eine verzerrungsfreie Identitätsbildung‘, die von der Moral geschützt werden sollen“ (Fraser 2003a, 49), weshalb man schließen müsse, „daß moralisch gesehen, jedermann einen Anspruch darauf erheben kann, gesellschaftliche Achtung zu genießen“ (ebd.). Dies sei „ein Oxymoron“ (ebd.). Dass Fraser Honneths Überlegungen an dieser Stelle nicht gerecht wird, weil Honneth selber betont, dass nicht von einer wechselseitigen Wertschätzung auszugehen ist, mit der alle „im gleichen Maße“ (Honneth 1992, 210) anerkannt werden, sondern allein, „daß jedes Subjekt ohne kollektive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren“ (ebd.) – sei betont. Gleichwohl ist Fraser in ihrer Kritik insofern zuzustimmen, als nach Honneth „als die soziale Herausforderung […] die Aufgabe gelten [muss], die Subjekte möglichst umfassend die Erfahrung einer wechselseitigen Anerkennung ihrer Persönlichkeiten machen zu lassen“ (Honneth 2004b, 108).

  8. 8.

    Diese ‚ungewöhnlichen Umstände‘ treten nach Fraser dann ein, wenn „mehrere Ereignisse dazu beitragen, daß mehrere Leute gleichzeitig aus dem gegenwärtig gültigen Arrangement ihrer Interessen und Identitäten herausfallen“ (Fraser 2003a, 108).

  9. 9.

    Das bedeutet nach Fraser auch, dass die Anerkennung Fordernden „in öffentlichen und demokratischen Diskussionsforen zeigen [müssen], daß ihnen institutionalisierte kulturelle Wertschemata ungerechterweise die intersubjektiven Voraussetzungen partizipatorischer Parität vorenthalten und daß es einen Fortschritt in Richtung partizipatorischer Parität darstellen würde, wenn besagte Muster durch alternative ersetzt werden“ (Fraser 2003a, 69). Dabei gilt, wie oben bereits angedeutet, die Norm der ‚partizipatorischen Parität‘ nicht nur als „Bewertungsstandard“ (ebd. 57), um „gerechtfertigte von ungerechtfertigen Ansprüchen auf Anerkennung [zu] unterscheiden“ (ebd.), sondern sie liegt auch dem von Fraser vorgeschlagenen ‚Rechtfertigungsverfahren‘ zugrunde. Dieses ist, so Fraser, „im Geiste der Diskursethik und eines demokratischen Pragmatismus im allgemeinen gehalten“ (ebd. 66).

  10. 10.

    Solchermaßen spiegelt die Kritik die Spannbreite auch des Differenzbegriffs. Dabei markieren die Begriffe Verschiedenheit (Differenz), Andersheit (Alterität) und Fremdheit (Alienität) eine in sich komplexe Begriffsreihe, worauf an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen wird; vgl. dazu Ricken/Balzer 2007, Waldenfels 1997 und 2006 sowie die zweite Studie dieser Arbeit.

  11. 11.

    Taylor beschränkt sich aber, so Wolf, auf zwei Formen der Nicht-Anerkennung, nämlich einerseits auf die „Nicht-Anerkennung der Tatsache“ (Wolf 2009, 69), dass „die Angehörigen dieser oder jener Minderheit oder unterprivilegierten Gruppe überhaupt eine kulturelle Identität mit einem ihnen eigentümlichen Arsenal von Traditionen und Praktiken und einer besonderen intellektuellen und ästhetischen Geschichte besitzen“ (ebd.), und andererseits auf „die Nicht-Anerkennung der Tatsache, daß diese kulturelle Identität große Bedeutung besitzt und einen eigenen Wert darstellt“ (ebd.).

  12. 12.

    Mit dieser Unterscheidung behauptet Emcke aber nicht, wie sie eigens betont, dass „empirische Gruppen permanent nur einem Typ entsprechen können“ (Emcke 2000a, 19), denn diese blieben „historisch variabel und situierbar auch innerhalb dieser Typologie“ (ebd.) und seien „nicht ausschließlich als intentionale oder konstruierte Vergemeinschaftungen“ (ebd. 263) zu beschreiben: „Selbst konstruierte, erzwungene Kollektive, in denen den einzelnen Angehörigen stets ihre Individualität durch externe Gesetze, Vorurteile und Fremdzuschreibungen abgesprochen wird, entwickeln ein subversives Eigenleben“ (ebd. 341). Identitäten bildeten sich „gegen und an traditionalen, ererbten Überzeugungen, aber auch an Praktiken der Diskriminierung“ (ebd.).

  13. 13.

    Emcke betont dabei die Kraft der Konstruktionen: Die Angehörigen dieser Gruppen würden permanent gezwungen, „to acknowledge the reality of an identity they never chose as their own“ (Emcke 2000b, 486); ihre Konstruktion vollziehe sich durch „moral injuries“ (ebd.), aber auch durch „social exclusions“ (ebd.); diese entwickelten eine „force of their own“ (ebd. 485).

  14. 14.

    In ähnlicher Weise wie Taylor stellt dagegen Fraser heraus, dass die Anerkennungsansprüche Stellenden selber zumeist dazu neigen, „Selbstachtung durch Affirmation einer geringgeschätzten Identität zu gewinnen“ (Fraser 2003a, 108) und nicht auf „eine Auflösung der Statusunterschiede“ (ebd.) zielen, so dass dann auch „Ansprüche auf Anerkennung […] oft in einer Form geltend gemacht [werden], die die Aufmerksamkeit auf die vermeintliche Besonderheit irgendeiner Gruppe lenkt“ (Fraser 2001b, 32). Daher stehe die Dekonstruktion „binäre[r] Gegensätze“ (ebd. 108) den „unmittelbaren Anliegen derjenigen meistens fern, die selbst mangelnder Anerkennung ausgesetzt sind“ (Fraser 2003a, 108).

  15. 15.

    Überdies wird, so Emcke, „darin zumeist auch anerkannt, in welcher gesellschaftlichen Situation sich die Angehörigen der strukturell und dauerhaft mißachteten Gruppen befinden: Das heißt, es wird anhand verschiedener Kriterien (wie durchschnittliches Bildungsniveau, politische Repräsentation, Beschäftigungsfeld etc.) die faktische soziale Position der Angehörigen dieser Gruppen überprüft, um festzustellen, ob sie in besonderer Weise unterrepräsentiert sind und insofern die formale Chancengleichheit unwirksam ist“ (Emcke 2000a, 322).

  16. 16.

    Dabei stellt Emcke heraus, dass „[n]icht alle Verletzungen und Mißachtungen […] rechtlicher Sanktionierung“ (Emcke 2000a, 331) bedürfen, weil viele von ihnen „über die zivilgesellschaftliche Ebene und den öffentlichen Diskurs in verständigungsorientiertem Handeln aufgenommen und ausgeglichen werden [können]“ (ebd.).

  17. 17.

    Hinsichtlich des u. a. in den Arbeiten von Wendy Brown (vgl. Brown 1995) herausgestellten Problems, dass „eine normative Theorie, die die Verletzungen und Ausgrenzungen anerkennt, die eine kollektive Identität geformt haben, nur eine Vergangenheit, von der die einzelne Person doch gerade erlöst werden sollte“ (Emcke 2000a, 327), beschwören könnte und dadurch die negativ behaftete Identität nur verstärke, äußert sich Emcke eindeutig: „Theoretiker, die […] auf normative Forderungen ganz verzichten wollen, verzichten […] fahrlässigerweise auch auf den Schutz, den rechtliche und soziale Formen der Anerkennung für ausgegrenzte und diskriminierte Personen und Gruppen bedeuten können“ (ebd. 332f.).

  18. 18.

    Die „Anerkennung von Identitäten, kollektiven Zugehörigkeiten und bestimmten Lebenspraktiken“ (Wagner 2005, 152) ist dann auch deshalb problematisch, weil sie die „dynamische Offenheit“ (Emcke 2000a, 293) von Identitäten überhaupt erschwert und „unter bestimmten Bedingungen in einem Konkurrenzverhältnis zu emanzipatorisch-eigensinniger Lebenspraxis und Identitätsbehauptung jenseits traditioneller Erwartungsfahrpläne stehen“ (Wagner 2005, 152). Weil sie dazu tendiert, „Identitäten unfreiwillig als statische Gebilde“ (Emcke 2000a, 322) zu fixieren und „Individuen auf einen Gruppentypus festzunageln“ (Fraser 2003a, 106), wird mit Anerkennung, so die Kritik, „die Entwicklung neuer kultureller Muster und Lebensformen“ (Mecheril 2003, 43) verhindert und „jedes Abweichlertum und jedes Experiment letztendlich mit Illoyalität gleichgesetzt und daher entmutigt“ (Fraser 2003a, 106). Anerkennung lässt sich, so pointiert Fraser, „allzu leicht vor den Karren des Separatismus und repressiven Kommunitarismus spannen“ (ebd.).

  19. 19.

    Kelly Oliver stellt zudem heraus, dass „notions of recognition that throw us back into a Hegelian master-slave relationship“ (Oliver 2004, 79) auch deshalb problematisch sind, weil sie die Logik der Dominanz wiederholen: „If recognition is conceived as being conferred on others by the dominant group, then it merely repeats the dynamic of hierarchies, privilege, and domination. Even if oppressed people are making demands for recognition, insofar as those who are dominant are empowered to confer it, we are thrown back into the hierarchy of domination. This is to say that if the operations of recognition require a recognizer and a recognizee then we have done no more than replicate the master-slave, subject-other/object hierarchy in this new form“ (ebd.).

  20. 20.

    In seiner Unterscheidung der zwei Verwendungsweisen wie auch der zwei Seiten der Anerkennung rekurriert Markell auch auf die von John L. Austin getroffenen Unterscheidungen von Sprechakten: „The distinction between these two uses of recognition is […] related to the distinction between the ‚constative‘ and the ‚performative‘ uses of language“ (Markell 2003, 205).

  21. 21.

    Düttmann betont, dass auch der Anerkennende ver-ändert werde, denn das Anerkennen öffne „dessen Identität auf ein unbeherrschbares ‚Draußen‘ hin“ (Düttmann 1997, 21): „Das Anzuerkennende weiß nicht, was ihm und was durch es dem Anerkennenden widerfährt. Umgekehrt weiß auch das Anerkennende nicht, was ihm und was durch es dem Anzuerkennenden widerfährt“ (ebd. 53).

  22. 22.

    Wäre dies der Fall, so Düttmann, dann „wäre entweder die Stiftung am Ende bloße Bestätigung und nicht eigentlich Stiftung, oder die Bestätigung wäre schließlich nichts als Stiftung“ (ebd. 11), so dass kein Anerkennen mehr vorliege.

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Balzer, N. (2014). Die Kritik der Anerkennung: Zur Umstrittenheit eines Paradigmas. In: Spuren der Anerkennung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03047-6_4

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