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Der Einfluss der politischen Kultur auf Fehlwahrnehmungen von Verbündeten und auf die Außenpolitik

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Deutschland und Amerika aus der Sicht Max Webers

Part of the book series: Studien zum Weber-Paradigma ((SZWP))

  • 1542 Accesses

Zusammenfassung

Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gab es eine heftige Meinungsverschiedenheit über den Irakkrieg. Viele Beobachter sprachen im Winter 2002 von einem tiefen Bruch zwischen den beiden langjährigen Verbündeten. Der Riss reicht tiefer als seinerzeit die Konflikte beispielsweise über die Ostpolitik, die Neutronenbombe, die Erdgasleitung in die Sowjetunion, den Export von Hochtechnologieprodukten in die Sowjetunion, die Verhängung von Handelssanktionen gegen die Militärregierung in Polen 1980, die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland Ende der siebziger Jahre und die Modernisierung der Kurzstreckenraketen 1989.

Übersetzt von Dr. Ursel Schäfer; durchgesehen vom Verfasser.

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Notes

  1. 1.

    Der Begriff ‚politisch‘ wird hier in einem breiteren Sinn verwendet, wie aus der weiteren Analyse hervorgeht.

  2. 2.

    Der Vergleich von Kulturen ist immer eine heikle Angelegenheit, weil sich leicht Werturteile einschleichen. Die vorliegende Untersuchung will möglichst Lob wie Verurteilung der einen oder der anderen Kultur vermeiden. Außerdem soll von Anfang an betont werden, dass Gültigkeit für die hier gegebene Beschreibung und die hier skizzierten Idealtypen ausschließlich in vergleichender Perspektive beansprucht wird. Das Hauptziel sind tragfähige Vergleiche, nicht die Analyse bestimmter einzelner Merkmale der beiden politischen Kulturen. Deshalb bleibt die vorliegende Untersuchung auf einer höheren Ebene der Verallgemeinerung, als es für eine Fallstudie zulässig wäre, die abgegrenzte Merkmale entweder der deutschen oder der amerikanischen politischen Kultur untersuchen wollte. Derartige Fallstudien würden sicher eine Reihe von Ausnahmen zu einigen im Folgenden gemachten Aussagen zutage fördern – die, das sei noch einmal betont, ihre Gültigkeit nur in vergleichender Perspektive beanspruchen.

  3. 3.

    Die Analyse in diesem wie im vorangehenden Abschnitt bietet nur einen knappen Überblick. Sie stützt sich auf mehrere Abhandlungen von Max Weber (1988b, 1988c, 2004b). Siehe auch Kapitel 4 und Kalberg (2009; 2012: 195–204, 227–48).

  4. 4.

    Mit diesem Begriff bezeichnet Weber den religiösen Glaubensinhalt, dass die Welt als Ganzes (und nicht ein Kloster) der Bereich ist, in dem durch das Alltagshandeln echte Unterwerfung unter die Glaubenslehre bewiesen werden muss.

  5. 5.

    Dass die Ideale keineswegs immer hochgehalten werden – tatsächlich nur selten –, liegt für Weber auf der Hand. Doch er ist überzeugt davon, dass sie unter bestimmten günstigen Umständen das Handeln leiten können. Deshalb dürfen sie im Begriffsbestand der Soziologie nicht fehlen. Siehe zum Beispiel 1989c: 536f.; 1989a; Kalberg 2012: 43–91.

  6. 6.

    Ihre Stärkung als ‚Geschäftsethik‘ (‚business ethics‘) und ‚civic responsibility‘ steht ganz oben auf der Agenda der Kommunitaristen. Siehe Etzioni 1997, 1998; Putnam 2000; Selznick 1992. Eine Auseinandersetzung damit bieten Hall und Lindholm (1999).

  7. 7.

    In diesem Sinne müssen die Gesetze und Vorschriften des deutschen Staates als Träger der universalistischen, integrierenden Ideale der deutschen Romantik verstanden werden. Dass diese Ideale gesellschaftlich beim Staat lokalisiert wurden und nicht in Kirchen und Sekten, hatte, wie zu zeigen sein wird, weitreichende Folgen für die deutsche politische Kultur.

  8. 8.

    Siehe Kapital 4 über die Wurzeln des amerikanischen Individualismus im Puritanismus und seine Kultivierung durch eine Reihe aufeinanderfolgender Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert. Siehe Fn. 15 unten und Kalberg 2009; 2012: 195–224.

  9. 9.

    Dieser Faktor sollte bei Erklärungen für die traditionell niedrige Wahlbeteiligung in Amerika stärker berücksichtigt werden.

  10. 10.

    In früheren Zeiten hatte die Spannung zwischen hohen Erwartungen an den Staat und der anschließenden Enttäuschung über sein vermeintliches Versagen üblicherweise den Rückzug in das Privatleben einerseits zur Folge und die Entstehung links- und rechtsextremistischer Bewegungen andererseits. Siehe Stern 1964; Mannheim 1984; Meyer 1920; Mommsen 1974; Mosse 1991; Hamerow 1958; siehe Kapitel 2. Ein generell höheres Niveau staatsbürgerlicher Aktivität bildete jedoch in den siebziger und achtziger Jahren eine wirksame Barriere gegen solches Aufflammen von Unzufriedenheit. Deutsche und amerikanische Sozialwissenschaftler stimmen darin überein, dass in der Bundesrepublik vor allem in den letzten dreißig Jahren das breite Spektrum politischer intermediärer Vereinigungen zwischen Staat und Individuen entstanden ist (im Gegensatz zu Gruppen mit wenig politischer Ausrichtung wie Wandervereinen, Gesangsvereinen, Schachclubs usw., die eine Jahrhunderte lange Tradition in Deutschland haben), das Tocqueville als unverzichtbar für eine stabile Demokratie betrachtete. Die alte ‚passive Staatsbürgerschaft‘ und auch die herkömmliche Definition von politischer Betätigung als nahezu ausschließlich auf den Staat und die politischen Parteien ausgerichtet, ist weitgehend verschwunden. Siehe Kaase et al. 1996; Conradt 1980; Berg-Schlosser und Schissler 1987. Die deutsche politische Kultur hat sich gewandelt mit der Folge, dass die Neigung zu Enttäuschung und verärgerter Abwendung nicht mehr so stark ist. Wann immer den etablierten politischen Parteien, der staatlichen Verwaltung und der Führungselite heute vorgeworfen wird, sie seien abgehoben und gingen zu wenig auf die Anliegen der Bürger ein, wird die Beteiligung der Staatsbürger in Richtung lokaler und regionaler politischer Vereinigungen kanalisiert statt in schweigenden Rückzug oder zu rechten oder linken Extremen. An der Entwicklung hatten zwar wirtschaftliche Veränderungen und Strukturwandel in den letzten vierzig Jahren einen größeren Anteil als langfristige religiöse Einflüsse wie in den Vereinigten Staaten, aber trotzdem nähert sich der Grad staatsbürgerlicher Partizipation in beiden Ländern auf lokaler und regionaler Ebene immer mehr an.

  11. 11.

    Diese Sichtweise scheint vor allem auf dem linken Flügel verbreitet zu sein als eine Erklärung für die Begrenztheit des amerikanischen Wohlfahrtsstaates, die die Kultur nicht berücksichtigt: Man glaubt den Einfluss einer sehr reichen und mächtigen Elite zu erkennen.

  12. 12.

    Es scheint, dass der Begriff der Eigenverantwortung in einer politischen Kultur nur dann einen bestimmten Grad von Legitimität erlangen kann, wenn feudale Vermächtnisse entweder nicht vorhanden sind (wie in den Vereinigten Staaten) oder vollständig beseitigt wurden. Aber das wäre nur eine ‚negative‘ Vorbedingung. Es muss auch ein ‚positiver‘ Faktor ins Spiel kommen und ein soziologisch relevantes Gewicht erlangen. Von besonderer Bedeutung (gleichgültig ob der asketische Protestantismus oder eine andere Kraft diese Rolle übernimmt) ist die Fähigkeit, statische und abgeschlossene, damit einschränkende, auf Konventionen beruhende Hierarchien zu bekämpfen und gesellschaftliche Gleichheit sowie Dynamik einzubringen. Ohne einen solchen legitimierenden Kontext wird Eigenverantwortung als unrealistisch erscheinen, und entsprechende Appelle dürften auf taube Ohren stoßen. Dass Eigenverantwortung bei der jüngeren Generation in Deutschland zunehmend höher im Kurs steht, zeugt davon, dass die gesellschaftliche Gleichheit zugenommen hat.

  13. 13.

    Es ist bemerkenswert, dass diese Sicht der Vereinigten Staaten immer noch existiert. Fast 100 Jahre zuvor hat sich Weber gegen dieses in Deutschland weit verbreitete Vorurteil ausgesprochen. Er betonte, die amerikanische Demokratie dürfe wegen ihrer ausgeprägten Neigung zu staatsbürgerlichen Vereinigungen aller Art nicht als ein ‚Sandhaufen‘ unverbundener, atomisierter Individuen angesehen werden: „Aber in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein war es ein Merkmal gerade der spezifisch amerikanischen Demokratie: dass sie nicht ein formloser Sandhaufen von Individuen, sondern ein Gewirr streng exklusiver, aber voluntaristischer, Verbände war“ (1988c: 215; siehe 212ff.). Und: „Wer sich unter ‚Demokratie‘, wie unsere Romantiker es lieben, eine zu Atomen zerriebene Menschenmasse vorstellt, der irrt sich, soweit wenigstens die amerikanische Demokratie in Betracht kommt, gründlich“ (2004b: 316; siehe 316ff.; 2005b: 672–78).

  14. 14.

    Weber sieht den amerikanischen Individualismus hauptsächlich verankert in Gruppen – oder zumindest wird er durch das Vorhandensein von Gruppen nicht bedeutungslos. Er bestreitet die implizite Annahme vieler Deutscher, der Einzelne in Amerika verliere, sobald er in einer Gruppe sei, die Fähigkeit, Entscheidungen im Hinblick auf selbst definierte Ziele zu treffen. Stattdessen betont er die Fähigkeit der Amerikaner, auch in Gruppen ‚sich zu behaupten‘. Im Zusammenhang damit verweist er wieder auf die Vermächtnisse des asketischen Protestantismus (2004b: 319ff.). Der deutsche Individualismus hingegen steht in der Tradition der deutschen Romantik und ist insofern ganz im privaten Leben verwurzelt (in Familie und Freundschaft). Kennzeichnend für die deutschen Verhältnisse ist die Neigung, Gruppen eine sakrosankte Aura zuzusprechen. Deshalb verliert Weber zufolge der deutsche Individualismus in Gruppierungen der öffentlichen Sphäre tendenziell seinen Einfluss, er schwächt sich ab, bis er schließlich ganz verschwindet. Dies hängt mit der deutschen Romantik und dem lutherischen Glauben zusammen. Die Deutschen, so Weber weiter, übertragen dann oft ihr Verständnis von Individualismus auf die amerikanische Gesellschaft und dabei verstehen sie ein zentrales Merkmal falsch. Zum Beispiel: Soziale Verbände in Amerika „ruhen weder auf ‚Gemüts‘-Bedürfnissen, noch erstreben sie ‚Gemütswerte; der Einzelne sucht sich selbst zu behaupten, indem er sich der sozialen Gruppe eingliedert; es fehlt jene undifferenzierte bäurisch-vegetative ‚Gemütlichkeit‘, ohne die der Deutsche keine Gemeinschaft pflegen zu können glaubt. Die kühle Sachlichkeit der Vergesellschaftung [in den Vereinigten Staaten] fördert die präzise Einordnung des Individuums in die Zwecktätigkeit der Gruppe – sei diese Football-Club oder politische Partei –, aber sie bedeutet keinerlei Abschwächung der Notwendigkeit für den Einzelnen, für seine Selbstbehauptung konstant besorgt zu sein: im Gegenteil, gerade innerhalb der Gruppe, im Kreise der Genossen, tritt die Aufgabe, sich zu ‚bewähren‘, erst recht an ihn heran. Und nie ist daher der soziale Verband, dem der Einzelne zugehört, für ihn etwas ‚Organisches‘, ein mystisch über ihm schwebendes und ihn umschließendes Gesamtwesen [wie in Deutschland], stets vielmehr ganz bewusst ein Mechanismus für seine eigenen, materiellen oder ideellen Zwecke“ (2004b: 319; siehe Mommsen 1974: 81ff.).

  15. 15.

    Siehe Weber, 1988c: 229–35; 2004b: 316ff. Tocqueville sah nur den Konformitätsdruck und sprach davon, der amerikanischen Demokratie drohe die ‚Diktatur der Mehrheit‘. Es ist eine zentrale Schwäche von Tocquevilles Analyse, dass er die Spannung zwischen Individualismus und Konformismus in der amerikanischen Gesellschaft ignorierte. Weber ist sich der Bedeutung des Konformismus sehr genau bewusst, aber er sieht die Spannung klar. Für ihn gehört beides zum Vermächtnis des Protestantismus, der ausgeprägte Individualismus wie der Konformismus. Siehe Kalberg 2009; Kapitel 4.

  16. 16.

    Siehe in diesem Zusammenhang meine Untersuchung über die unterschiedliche Wahrnehmung der Sowjetunion in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik (1989b).

  17. 17.

    Der missionarische Idealismus ist eng mit dem Thema der ‚nationalen Identität‘ verwoben. Eine Vorbedingung für moralische Kampagnen gegenüber anderen Völkern ist ein ‚ungebrochenes‘, das heißt seiner selbst sicheres und nicht hinterfragtes Nationalbewusstsein. Wer stolz auf die eigenen Ideale ist, wird ohne Zögern bereit sein, die eigenen Werte und die eigene Lebensweise gegenüber anderen Völkern zu vertreten. Ausgeprägter Patriotismus ist bis heute für die Vereinigten Staaten typisch, trotz der Auseinandersetzungen in der Vietnamzeit und trotz des verlorenen Vietnamkrieges. Woodrow Wilsons ‚zehn Punkte‘ und Carters Menschenrechtskampagnen sind Beispiele dafür, dass die Vereinigten Staaten ihre Ideale universell proklamieren wollen und sie als einen wesentlichen Bestandteil der Außenpolitik betrachten.

  18. 18.

    Der ‚Genscherismus‘ ist das deutlichste Beispiel in der Bundesrepublik.

  19. 19.

    Diesen Zusammenhang erhellt meines Erachtens Webers Bemerkung in einem Brief aus dem Jahr 1906 an den renommierten Theologen Adolf von Harnack. Darin schreibt er, das Luthertum habe eine sehr negative Wirkung auf die deutsche politische Kultur gehabt: „Das Luthertumist für mich, ich leugne es nicht, in seinen historischenErscheinungsformen der schrecklichste der Schrecken und selbst in der Idealform, in welcher es sich in Ihren Hoffnungen für die Zukunftsentwicklung darstellt, ist es mir, für uns Deutsche, ein Gebilde, von dem ich nicht unbedingt sicher bin, wie viel Kraft zur Durchdringung des Lebens von ihm ausgehen könnte [im Gegensatz zum asketischen Protestantismus]… Aber dass unsere Nation die Schule des harten Askezismus niemals, in keinerForm, durchgemacht hat, ist … der Quell alles Desjenigen, was ich an ihr (wie an mir selbst) hassenswert finde“ (1990: 32f.).

  20. 20.

    Das ist das Böse in Ronald Reagans ‚Reich des Bösen‘ und, aktueller, in der ‚Achse des Bösen‘.

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Kalberg, S. (2013). Der Einfluss der politischen Kultur auf Fehlwahrnehmungen von Verbündeten und auf die Außenpolitik. In: Deutschland und Amerika aus der Sicht Max Webers. Studien zum Weber-Paradigma. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02840-4_6

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