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Narration und Argument in der Politik: Die erzähltheoretische Kategorie der Fiktionalität in der Autorisierungstheorie von Hobbes’ Leviathan

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Narrative Formen der Politik

Zusammenfassung

Der Aufsatz kritisiert die Standarddeutung der Autorisierungstheorie in Hobbes’ Leviathan und bezieht damit zugleich Stellung zu der in der Hobbes-Forschung nach wie vor umstrittenen Frage nach Hobbes als einem Wegbereiter des Liberalismus. Es wird dafür argumentiert, dass es sich bei der Autorisierungstheorie um eine Theorie bedingter Autorisierung handelt und Hobbes durch die bewusste Verwendung der Kategorie der Fiktionalität deutlich macht, dass die Rechtmäßigkeit der künstlichen Person des Staates von der Anerkennung durch deren Autoren abhängig ist. Für die Erforschung narrativer Formen des politischen Denkens können aus dieser Analyse Schlussfolgerungen gezogen werden: Narration und Argument sind in politiktheoretischen Texten nicht nur oftmals eng verbunden, sondern sind daneben auch nicht von vornherein auf gegensätzliche Funktionen, etwa der Herrschaftsstabilisierung oder -kritik, festgelegt. Es wird gezeigt, dass Narrationen durchaus herrschaftskritisches Potential besitzen können, wenn sie mit einer Reflexion auf die besonderen Merkmale von Narrationen verbunden werden: Die Fiktionalität von Narrationen kann als Argument für die Grenzen fiktiver Entitäten, wie es Souverän oder Untertan sind, herangezogen werden.

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Notes

  1. 1.

    Ich zitiere im Folgenden die deutsche Übersetzung von Walter Euchner nach der von Iring Fetscher herausgegebenen und eingeleiteten Ausgabe des Leviathan, die 1966 beim Suhrkamp Verlag in Frankfurt erschien, mit der Abkürzung „L“.

  2. 2.

    Unter einer Narration wird im Folgenden eine Erzählung verstanden, um deren Wesens- und Funktionsbestimmung sich bisher v. a. literaturwissenschaftliche, erzähltheoretische Ansätze bemühten. Auf das besondere politiktheoretische Potenzial der Fiktionalität von Narrationen wird im Fazit des Aufsatzes ebenso eingegangen wie auf das Verhältnis narrativer und argumentativer Formen des politischen Denkens im Allgemeinen.

  3. 3.

    In seiner Studie zum Gesellschaftsvertrag merkt Kersting jedoch in einer Fußnote (1994, S. 77, n. 16) an, dass die durch seine Deutung der Autorisierungstheorie nahegelegte Aufgabe aller Rechte und die von der Lehre der Freiheit der Untertanen nahegelegte Beibehaltung einiger Rechte einen Widerspruch darstellt.

  4. 4.

    Diese Lehre von der Freiheit der Untertanen hat in der Literatur zahlreiche Widerspruchsvorwürfe hervorgerufen. So meint etwa Karlfriedrich Herb, auf Basis der Annahme einer sich durch den Autorisierungsvertrag ergebenden Freiheitseinschränkung, dass Hobbes zwei Begriffe von Freiheit verwende, die nicht vereinbar wären (Herb 1999, S. 32).

  5. 5.

    Einer von wenigen Forschern, der diese von Hobbes behauptete Abhängigkeit der Existenz des Souveräns von dessen Zweckerfüllung ernst nimmt, und Hobbes in diesem Zusammenhang gegen Widerspruchsvorwürfe verteidigt, ist Peter J. Steinberger (2002), der jedoch weder auf das Fiktionalitätskonzept als Grundlage dieser Abhängigkeit eingeht, noch von einer grundsätzlichen Verpflichtungsfreiheit der Untertanen – ausgenommen deren Pflicht zur Selbsterhaltung – ausgeht.

  6. 6.

    Nicht umsonst spricht Hobbes, wenn er über Fälle spricht, in denen der Gehorsam rechtmäßig verweigert werden darf, nicht mehr vom Untertan, sondern vom – in den Naturzustand zurückgefallenen und deswegen von seiner Untertanenrolle befreiten – Menschen (L, S. 168).

  7. 7.

    Vgl. auch Zipfel (2001, S. 57): „In fiktionalen Texten hat man es auf die eine oder andere Art mit der sprachlichen Darstellung von erfundenen, nicht-wirklichen Sachverhalten zu tun […].“

  8. 8.

    Für die bewusste Verwendung der Fiktionalitätskategorie spricht auch, dass Hobbes diese im später veröffentlichten De homine erneut verwendet und hier explizit auf die Fiktionalität als eine für das bürgerliche Leben notwendige Kategorie rekurriert. Den pragmatischen Kontext des fiktionalen Dramentextes erläutert Hobbes an dieser Stelle durch eine – im Vergleich zur Leviathan-Stelle – differenziertere Beschreibung des Unterschieds von Rolle und Schauspieler, die die oben vorgeschlagene Interpretation der entsprechenden Textstelle im Leviathan bestätigt: „Was bei den Griechen πρόσωπον heißt, heißt bei den Lateinern bald facies oder os des Menschen, bald persona; facies, wenn ein Mensch im wirklichen Leben, persona, wenn er in einer angenommenen Rolle, wie auf dem Theater der Komödien- und Tragödienschauspieler, gemeint war. Auf der Bühne sprach ja nicht der Schauspieler als solcher, sondern als irgendein anderer, etwa als Agamemnon, dessen Maske er für die Aufführung angelegt hatte. Später ersetzte man die Maske durch die einfache Ankündigung des Schauspielers, welche Rolle er spielen würde. Nicht weniger nötig als im Theater sind solche Fiktionen im bürgerlichen Leben wegen der Geschäfte und Abmachungen, die im Namen von Abwesenden abgeschlossen werden“ (Hobbes 1994, S. 53 f.).

  9. 9.

    Der Umstand, dass es in der Hobbesschen Vertragstheorie viele verschiedene Autoren gibt, die jeweils selbst über die Selbsterhaltungszuträglichkeit und damit Existenz des Souveräns entscheiden, stellt die Hobbessche Vertragstheorie vor ein hier nicht thematisiertes, allerdings grundsätzliches Problem.

  10. 10.

    Ein weiteres Argument dafür ist, dass Hobbes an mehreren Textstellen – auch im staatstheoretischen Zusammenhang der Existenz vieler Autoren – die Möglichkeit bedingter Autorisierungen explizit erwähnt (L, S. 126) und das 16. Kapitel, welches den Übergang zum Buch vom Staat darstellt, explizit mit dem Hinweis auf zwei verschiedene Arten von Autoren beendet, von denen nur die eine bedingungslos autorisieren würde (L, S. 127).

  11. 11.

    Wenngleich die vorgeschlagene Deutung der Autorisierungstheorie Hobbes gegen bestimmte Widerspruchsvorwürfe verteidigen kann, soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass der Hobbessche Kontraktualismus insgesamt logisch widerspruchsfrei sei. In meiner Doktorarbeit vertrete ich die These, dass der Hobbessche Kontraktualismus an einer in der Forschung bislang vernachlässigten biopolitischen Aporie leidet, die dazu führt, dass sich dieser als ungeeignet für die Rechtfertigung des Staates erweist. Aufgrund der Stellung, die Hobbes als Vorbereiter des Liberalismus beanspruchen kann, und der Präsenz von Elementen des angelsächsischen Kontraktualismus in der politischen Kultur liberaler Demokratien ist diese biopolitische Aporie des Hobbesschen Kontraktualismus, wie ich dort weiter argumentiere statt zeige, von erheblicher Relevanz für die zukünftige Entwicklung der liberalen Demokratie.

  12. 12.

    Eine Ausnahme stellt die Studie von Brito Vieira dar, die dafür argumentiert, dass der Rekurs auf das Theater für Hobbes’ Repräsentationstheorie von enormer Bedeutung sei (2009, S. 2), auf der anderen Seite jedoch der Standarddeutung der Autorisierungstheorie folgt (2009, S. 7) und deshalb zu dem philosophisch wenig überzeugenden Schluss kommt, dass Hobbes mit seiner Lehre von der Künstlichkeit der Souveränität unabsichtlich („unwittingly“) ein modernes Souveränitätsverständnis vorbereitet habe (2009, S. 251).

  13. 13.

    So meint Martinich (1995a, S. 36), auf der einen Seite, es sei unwahrscheinlich, dass Hobbes sich in seiner Rede von Autor und Schauspieler auf die darstellenden Künste bzw. das Theater beziehe, weil das Theater zu Hobbes Zeiten nicht angesehen war, muss auf der anderen Seite jedoch einräumen, dass die Verwendung der Begriffe im fiktionalen Kontext des Theaters der Begriffsverwendung in der Autorisierungstheorie auffällig entspricht.

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Odzuck, E. (2014). Narration und Argument in der Politik: Die erzähltheoretische Kategorie der Fiktionalität in der Autorisierungstheorie von Hobbes’ Leviathan . In: Hofmann, W., Renner, J., Teich, K. (eds) Narrative Formen der Politik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02744-5_7

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