Zusammenfassung
Narrativität verfügt über eine netzwerkartige und diskontinuitive Struktur, die sich über verschiedene Generationen erstreckt. Sie verbindet Menschen und Lebenswelten in zeiträumlicher Perspektive und konstituiert so einen gemeinsamen Hintergrund, der den Menschen Halt und Sicherheit bietet. Damit ist Narrativität ein Versuch, den Schmerz der Diskontinuität zu lindern und das Handeln der Menschen vor dem Vergessen zu bewahren. Hierdurch erhält Narrativität eine besondere Stellung innerhalb der politischen Theorie der Gegenwart: Sie fördert die Anerkennung von Alterität und betont die Diversität zeitgenössischer Gesellschaften. Mit Hannah Arendt, Richard Rorty und Jürgen Habermas untersucht der Aufsatz, inwiefern sich politisches Geschichtenerzählen zwischen Kommunikation und Wahrheit sowie Narration und Enthüllung bewegt.
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Notes
- 1.
Zu diesem Begriff vgl. Young-Bruehl 1979, S. 113, 125.
- 2.
Für Habermas (1988, S. 16) hat die linguistische Wende das Philosophieren auf eine „festere methodische Grundlage gestellt und aus den Aporien der Bewusstseinstheorien herausgeführt. Dabei hat sich aber auch ein ontologisches Sprachverständnis herausgebildet, das die welterschließende Funktion der Sprache gegenüber innerweltlichen Lernprozessen verselbständigt und den Wandel der Sprachbilder zu einem poetischen Ursprungsgeschehen verklärt.“
- 3.
„Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmten könnten“ (Habermas 1998b, S. 138).
- 4.
„So muss jede gültige Norm der Bedingung genügen, dass die Folgen und Nebenwirkungen, die sich jeweils aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen […] ergeben, von allen Betroffenen akzeptiert […] werden können“ (Habermas 1983, S. 75 f.).
- 5.
Hannah Arendt bezeichnet Walter Benjamin in ihrem gleichnamigen Aufsatz in Menschen in finsteren Zeiten als „Perlentaucher“ (2012b, S. 244–258). Zur Verdeutlichung der perlentauchenden Historiografie zitiert Arendt aus Shakespeares The Tempest (I, 2): „Full fathom five thy father lies;/Of his bones are coral made:/Those are pearls that were his eyes:/Nothing of him that doth fade/But doth suffer a sea-change/Into something rich and strange.“
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„All human beings carry about a set of words which they employ to justify their actions, their beliefs, and their lives. These are the words in which we formulate the praise for our friends and contempt for our enemies, our long-term projects, our deepest self-doubts and our highest hopes. They are the words in which we tell, sometimes prospectively and sometimes retrospectively, the story of our lives. I shall call these words a person’s ‚final vocabulary‘.“
- 7.
„Liberal culture needs an improved self-description rather than a set of foundations. The idea that it ought to have foundations was a result of Enlightenment scientism, which was in turn a survival of the religious need to have human projects underwritten by a nonhuman authority“ (Rorty 2008, S. 52).
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Gebhardt, M. (2014). Politische Pluralität und philosophischer Wahrheitsanspruch. Hannah Arendt, Jürgen Habermas und Richard Rorty zwischen Kommunikation und Narrativität. In: Hofmann, W., Renner, J., Teich, K. (eds) Narrative Formen der Politik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02744-5_13
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