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Globale Narrative, lokale Rhetoriken: Die Heuschreckenplage von 2004 im Senegal

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Politische Narrative
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Zusammenfassung

Politische Narrative können auf unterschiedlichen kommunikativen Ebenen auftreten: sie können z. B. als Bestandteil medial geführter Diskurse, von Live-Debatten, Akten und Protokollen oder Zeitungsberichten auftreten. In all diesen Kontexten manifestieren sich politische Narrative in der Regel als verfestigte Begrifflichkeiten, Bilder, Argumentationsmuster oder Gattungen, sie können aber bisweilen auch als spontane Ausdrücke und fluide Äußerungsformen vorkommen, die zuerst überhaupt ein Potenzial für eine weitergehende Stabilisierung bilden. Besonders aufgrund ihrer Tendenz zur Verfestigung und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Normierung sind politische Narrative unter den einzelnen, am Diskurs beteiligten Parteien zumindest zu Beginn oft heftig umstritten. Thema dieses Textes ist das Verhältnis zwischen Diskursen, die über global zirkulierte Medien verbreitet werden, und kommunikativen Praktiken, die in einem kontextsensitiven lokalen Hier und Jetzt ausgeübt werden. Selbstverständlich geschehen weder die lokalen Kommunikationsformen isoliert von den diskursiven Einflüssen der weiteren Umgebung, noch sind die weiter zirkulierten Diskurse getrennt von lokalen Dynamiken. Beide Ebenen stehen in einer Interaktion, die allerdings mehr oder weniger stark sein kann. Narrative Muster, die Thema dieses Buches sind, finden sich auf beiden Kommunikationsebenen, den lokalen Praktiken ebenso wie den globalen Diskursen. Politische Bedeutungen und Funktionen können solche Narrative auch auf beiden Ebenen annehmen, allerdings unterscheidet sich die Dynamik hierbei stark: sie ist dialogischer und kontextsensitiver auf lokaler Ebene und monologischer und weniger kontextuell geprägt im globalen Diskurs. Aufgrund der quasi-propagandistischen, hegemonialen Diskursmacht globaler Narrative wurde bereits eine Homogenisierung (und, damit verbunden, eine semantische Entleerung) der über die Welt verbreiteten Diskurse und Vorstellungen befürchtet; aufgrund der Unvorhersehbarkeit lokaler Dynamiken wurde jedoch ebenso ein so genanntes Re-Embedding, d. h. eine kreative Re- und Neukontextualisierung globaler Ideen in einem kontextuell geprägten Hier und Jetzt konstatiert.

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Notes

  1. 1.

    Der vorliegende Text basiert auf einem Vortrag, den ich 2011 an der Northwestern University in Evanston gehalten habe. Ich danke dem Centre for Global Cooperation Research (Käte Hamburger Kolleg) an der Universität Duisburg-Essen für die Gelegenheit, das Thema im Rahmen eines Senior Fellowships weiter zu bearbeiten. Ferner danke ich Eva Fenn für die Anfertigung einer ersten deutschen Übersetzung des ursprünglichen Vortragsmanuskripts und den Herausgebern für wertvolle Hinweise in Bezug auf frühere Versionen dieses Textes.

  2. 2.

    So z. B. Latour (1993, S. 6–7) zum Ozonloch: „The ozone hole is too social and too narrated to be truly natural.“

  3. 3.

    Es gibt allerdings einige Studien zur Arbeitsweise von so genannten „centers of coordination“, beispielsweise zum täglichen (nicht-katastrophalen, aber oft krisenhaften) Arbeitsalltag in der Londoner U-Bahn (vgl. Heath und Luff 1992).

  4. 4.

    Der Telegraph vom 2. September 2004, der das Bild abdruckte, übersah diese der westlichen Rezeption widersprechende Ambivalenz und kommentierte es mit: „Children fled in terror as swarms of ravenous locusts invaded Senegal’s capital, Dakar, yesterday, devouring every patch of greenery in their path.“

  5. 5.

    In den folgenden Abschnitten beziehe ich mich hauptsächlich auf die Analysen von Enserink (2004); IRIN (2004); Lecoq (2005) und Thiam und Kuiseu (2005).

  6. 6.

    Im folgenden Abschnitt beziehe ich mich hauptsächlich auf Despland et al. (2004); Enserink (2004); IRIB (2004); Lecoq (2005); Thiam und Kuiseu (2005); Ceccato et al. (2006, 2007); Sánchez-Zapata et al. (2007); Anstey et al. (2009); Bazazi et al. (2011) und Ma et al. (2011).

  7. 7.

    Das ist zumindest die soziologische Sichtweise, die mehr und mehr von Hilfsinstitutionen übernommen wird. Diese sahen Katastrophen früher meist als naturbedingte Vorfälle an, die technisch zu lösen sind. In den letzten Jahren allerdings häufen sich wiederum Stimmen, die gegen einen reinen Sozialkonstruktivismus argumentieren und auf eine Verwobenheit natürlicher, kultureller und sozialer Faktoren verweisen, die Katastrophen auszeichnen (vgl. Law und Sigleton 2009; Wilford 2008; Williams 2008).

  8. 8.

    Bei der Transkription wurde ich von Malick Faye unterstützt. Dank gilt außerdem der Forschungsgruppe „Communicating Disaster“ (2010–2011; Zentrum für Interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld), mit der ich Gelegenheit hatte, die Daten zu diskutieren. Besonderer Dank geht an Dieter Neubert (Universität Bayreuth), der Mitglied dieser Forschungsgruppe war und freundlicherweise einen Teil der Transkription finanzierte.

  9. 9.

    Jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit sagen im Senegal Wahrsager der Volksgruppe der Sereer in einem Ritual namens xóoy (Aufrufung) die Regenzeit und andere Ereignisse im Land vorher. Das Ritual findet in mehreren Gegenden statt, in denen Sereer leben. Das wichtigste und größte, das auch hier angesprochen ist, wird in Fatick durchgeführt.

  10. 10.

    Vgl. auch McCabe 2002 zur Flexibilität der Bauern in der Sahel-Region in Bezug auf ihre Subsistenzstrategien.

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Meyer, C. (2014). Globale Narrative, lokale Rhetoriken: Die Heuschreckenplage von 2004 im Senegal. In: Gadinger, F., Jarzebski, S., Yildiz, T. (eds) Politische Narrative. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02581-6_9

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