Zusammenfassung
Das chinesische Wirtschaftswachstum stellt mittlerweile jeden anderen langen Aufschwung der neueren Geschichte in den Schatten. Der Beitrag stellt wesentliche Ursachen dieses „Wirtschaftswunders“ vor, etwa die Vorteile günstiger weltwirtschaftlicher Umstände, einer nachholenden Entwicklung und von effizienten staatlichen Steuerungskapazitäten. Dabei zeigt sich, dass genau diejenigen Merkmale, die als Quellen des wirtschaftlichem Erfolgs gelten – wie die Exportorientierung, eine angebotsorientierte, Lohn- und Verteilungsfragen kaum berücksichtigende Politik sowie die streng nach ökonomischem Wachstum strebenden lokalen Entwicklungsstaaten –, zu strukturellen Dilemmata der Wirtschaftsentwicklung führen.
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Gegenüber entwickelten OECD-Ländern mussten dabei infolge des Einsatzes bereits bewährter Technologien und Geschäftsmodelle nur niedrige Kosten für die Einführung von Innovationen aufgewendet werden. Unberücksichtigt bleibt an dieser Stelle die Bedeutung der Existenz einer modernen Sozialstruktur in China – landesintern hatten die maoistischen Landreformen zur Beseitigung unproduktiver, feudaler Schichten beigetragen – und ebenso die der (privat-)unternehmerischen Kreativität. Letztere fand ausgehend von Teilen des agrarischen China seit den 1980ern in den urbanen Zentren ein neues Betätigungsfeld (Huang 2008). Diese Entwicklung wurde sowohl von den lokalen politischen Instanzen, die am örtlichen wirtschaftlichen Aufschwung interessiert waren, als auch auf der Führungsebene der Reformkräfte innerhalb der nationalen Machtelite unterstützt (Tsai 2007).
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Die zunehmende Bedeutung der Absatzmärkte des „Südens“ verweist dabei auf einen meiner These der extremen Abhängigkeiten von den Absatzmärkten des Nordens entgegenlaufenden Trend. Im Unterschied zu den alten Zentren der Weltwirtschaft ist in einigen Schwellenländern eine stärkere Wachstumsdynamik feststellbar.
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Es ist in diesem Zusammenhang zweifelhaft, ob das technologische Upgrading und hiermit verbundene höhere Qualifikationsanforderungen zu einem massenhaften Anstieg der Löhne führen (Yu 2010). Neuere Untersuchungen in den Küstenprovinzen weisen auf eine weiterhin hohe Arbeitsintensivität und Fortexistenz des Niedriglohnmodells selbst in den High-Tech-Produktionsstätten hin. In der IT-Industrie existiert eine geradezu extreme Spaltung zwischen hochqualifizierten Technikern und gering qualifizierten Arbeitern (Lüthje et al. 2012). Zugleich trägt die Tendenz zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität den Keim steigender Arbeitslosigkeit in sich.
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In diesem Abschnitt stütze ich mich auf Argumente, die ich in einem Aufsatz für die Zeitschrift Leviathan entwickelt habe (ten Brink 2012b).
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Zudem schreibt das hukou-System einer restriktiven Wohnsitzkontrolle mit einem Landbewohnerund Stadtbewohnerstatus die Disparitäten zwischen städtischem und ländlichem Leben fort. Es hat u. a. erhebliche Lohnspreizungen zwischen Arbeitsmigranten und ortsansässigen Arbeitskräften zur Folge. Die „Wanderarbeiter“ werden in den Städten einer Art sozialer Apartheid unterworfen, die ihnen existentielle Bedürfnisse vorenthält (etwa Sozialwohnungen, Zugang zu Bildungseinrichtungen, Gesundheits- und Rentenleistungen). Bislang kam es lediglich zu geringen lokalen Modifizierungen dieses internen Migrationskontrollregimes.
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Darüber hinaus zielte die Staatsführung auf das technologische Upgrading in verschiedenen Schlüsselindustrien. Teilweise integriert das Paket bereits längerfristig geplante Projekte wie den Wiederaufbau einiger durch Erdbeben zerstörter Regionen. Beteiligt sind in einem hohen Ausmaß die lokalen politischen Instanzen und die staatlichen Banken (Tong 2010, S. 50ff.). Die Lokalregierungen ihrerseits stellten lokale Entwicklungspläne auf, die zusammen eine Höhe von umgerechnet etwa 1,8 Bio. Euro aufweisen.
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Ein weiteres Feld, das Finanzsystem, kann hier aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden (vgl. Liang 2010; Walter und Howie 2011). Zwar überstand das chinesische Finanzsystem den globalen Einbruch weitaus besser als die westlichen Geldsysteme und besonders das Bankensystem dient der Zentralregierung als wichtiges makro-ökonomisches Steuerungsinstrument. Doch folgte im Rahmen der oben beschriebenen Konjunkturprogramme zugleich eine explosive Ausweitung des Kreditvolumens, die Anzeichen des schuldenfnanzierten Überinvestments aufwies. Zudem fällt es der Zentralregierung schwer, besonders den durch den internen Standortwettbewerb angetriebenen risikoreichen Wachstums- und Finanzpolitiken subnationaler Regierungsinstanzen Einhalt zu gebieten. Wenn die (insbesondere lokale) Staatsverschuldung zunimmt, Spekulationsblasen platzen und sich Kredite zunehmend als „faule“ Kredite herausstellen, droht das Ausmaß der Überkapazitäten in der Realwirtschaft noch sichtbarer zu werden.
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ten Brink, T. (2014). Strukturelle Dilemmata des langen Wirtschaftsaufschwungs in China. In: Nölke, A., May, C., Claar, S. (eds) Die großen Schwellenländer. Globale Politische Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02537-3_7
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