Zusammenfassung
Die Frage nach der Möglichkeit eines systemtheoretischen Ansatzes zur Internationalen Politischen Ökonomie (IPÖ) steht bereits zu Anfang vor einem unmittelbaren Problem: die Systemtheorie versteht sich als Gesellschaftstheorie und beansprucht damit ein anderes Abstraktions- und Generalisierungsniveau, als die auf ein sehr spezifisches Problemfeld bezogene IPÖ. Auf den ersten Blick interessiert sich die Systemtheorie primär für die Frage nach Bedingungen, Verzerrungen und Instabilitäten von sozialer Ordnungsbildung.
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Ich benutze das Wort ‚traditionell‘ sehr spezifisch für die Literatur, die IPÖ als Teildisziplin der Internationalen Beziehungen (IB) ansieht, wie sie vor allem in den 1970 er und 1980er Jahren dominant war und auch in den rationalen Ansätzen noch zum Ausdruck kommt (siehe Bodenstein in diesem Bd. ). Der Vorwurf eines konzeptionellen Staatszentrismus bedeutet explizit nicht, dass die IPÖ für andere, nichtstaatliche Akteure systematisch blind ist. Ganz im Gegenteil: Gerade Susan Strange hat ja bereits sehr früh auf die Strukturveränderungen durch z. B. multinationale Unternehmen hingewiesen (siehe zum Beispiel Strange 1996). Die IPÖ kann hier sicherlich offener und progressiver als die IB selbst angesehen werden. Doch die primären Konzepte kommen aus dem staatlichen (sogar nationalstaatlichen Kontext) und Veränderungen werden als ein Wandel des Staat-Markt-Verhältnisses konzipiert und nicht in allgemeinere Überlegungen zu sozialem Wandel rückgebunden. Ebenso kann man anmerken, dass vor allem neomarxistische Ansätze sich von der engen Staat-Markt-Definition abgrenzen, diese jedoch gleichzeitig ein sehr ambivalentes konzeptionelles Verhältnis zu Staaten aufweisen. Jedoch ist die Selbstbeobachtung der IPÖ als eigenständiges Fach bisher vor allem durch die Ansätze geprägt, die diese Unterscheidung zugrunde legen. Andere Ansätze werden erst im Zuge der Herausbildung einer Globalen Politischen Ökonomie (Palan 2000) stärker rezipiert. Siehe auch die Beiträge zur Französischen Regulationsschule (vgl. Sablowski in diesem Bd. ).
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Aus diesem Grund gibt es keine offensichtliche Gegenposition, an der sich die Systemtheorie innerhalb der Politischen Ökonomie abarbeiten könnte. Sie grenzt sich generell von jeder Form von Handlungstheorie, inklusive der Theorie kommunikativen Handelns, ab. Die Auseinandersetzung findet wiederum auf der Ebene der Gesellschaftstheorie und deren Frage nach der Konstitution sozialer Ordnung statt, nicht im Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Mir ist keine Stelle bekannt, bei der sich Luhmann über einen unterkomplexen Kapitalismusbegriff bei Habermas beschwert. Vielmehr greift er die Konzepte Konsens, Handlung, Kommunikation oder die Unterscheidung von System und Lebenswelt an.
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Systemrationalität bedeutet nicht Zweckrationalität im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation der instrumentellen Vernunft. Vielmehr deutet Systemrationalität auf vernünftig im Sinne der Systemfunktion und damit auf eine systemabhängige Rationalität hin (vgl. Luhmann 1968).
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An dieser Stelle verweist die Systemtheorie auch auf die gleichzeitige Geschlossenheit und Offenheit der Systeme. Obwohl autopoietische Systeme eine operative Geschlossenheit voraussetzen, sind sie kognitiv offen: sie können sich selbst und andere Systeme beobachten. Sie sind beobachtende Systeme, die ihre Grenzen und sich selbst beobachten können. Vgl. Luhmann (1984) für eine weiterführende Diskussion.
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Für eine Erklärung des inneren Aufbaus der Funktionssysteme wäre nun eine weiterführende Diskussion zu Codes und Programmen, Paradoxien und Kommunikationsmedien notwendig, auf die ich aus Platzgründen verzichten muss. Für eine Diskussion siehe Luhmann (1984: Kapitel 2, 3 insbesondere; 1998: Kapitel 1). Für einen Versuch einer Analyse für die Internationalen Beziehungen siehe Kessler (2009).
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Die Unterscheidung zwischen Unsicherheit und Risiko spielt innerhalb der Geschichte ökonomischen Denkens eine gewichtige Rolle. Die moderne Entscheidungstheorie, wie sie der Spiel- und Vertragstheorie zugrunde liegt, postuliert das Prinzip des unzureichenden Grundes: Selbst bei vollständigem Nichtwissen ist die Zuschreibung von gleichen Wahrscheinlichkeiten über alle möglichen Zustände der Welt möglich. Damit gehorcht die Entscheidung unter Ungewissheit dem rationalen Kalkül. Genuine Unsicherheit postuliert ein Wissen jenseits bestehender Wahrscheinlichkeiten und verdeutlicht damit unterschiedliche Wissensformen, die sich jenseits formaler Logik verorten. Vgl. Kessler (2008: Kapitel 4-6) für eine weiterführende Diskussion.
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Man kann hier an die Preisbildung von Collateralized Debt Obligations (CDO) denken, die durch die Triple-A-Bewertung seitens der Ratingagenturen erst ermöglicht wurde. Diese Bewertung war jedoch nicht mehr haltbar und die Preisbildung kappte ab, mit der Folge, dass diese Wertpapiere als ‚Toxit-papers‘ bezeichnet wurden. Ein weiteres Beispiel sind Börsencrashs: der Zusammenbruch der Erwartungsstrukturen führt dazu, dass niemand Wertpapiere kauft und Preisbildung aussetzt oder deutlich erschwert wird. Übersetzt bedeutet dies, dass Anschlusskommunikationen unwahrscheinlich werden.
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Kessler, O. (2014). Systemtheorie. In: Wullweber, J., Graf, A., Behrens, M. (eds) Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie. Globale Politische Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02527-4_7
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