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Rekonzeptualisierung: Policy-Integration als analytische Perspektive

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Book cover Policy-Integration und Nachhaltigkeit
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Zusammenfassung

Im folgenden Kapitel wird ein Vorschlag zur Rekonzeptualisierung von Policy-Integration als analytische Perspektive (PI-Perspektive) gemacht. Übergreifendes Ziel ist es, die im vorhergehenden Kapitel identifizierten Defizite und Blindstellen der bestehenden Diskussion zu Policy-Integration aufzuarbeiten und damit die Rede über Policy-Integration aufzuklären und zu präzisieren. Damit soll der Begriff aus seiner normativ-präskriptiven Umklammerung herausgeführt und für weiterführende analytische Zwecke grundiert werden.

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Notes

  1. 1.

    Dem hier verfolgten Ansatz, die beiden Begriffe aus ihrem wechselseitigen Konstituierungsverhältnis herauszulösen und getrennt voneinander zu klären, liegen drei Annahmen bzw. Thesen zugrunde: Erstens verweist Policy- Integration immer schon auf Policy« und »Integration«, weshalb ein analytisch aufgeklärtes und anschlussfähiges Verständnis von Policy-Integration explizite Bezüge zu den beiden Begriffen herstellen muss. Zweitens legt die Absicht, einen kontextunspezifischen generischen Begriff von Policy-Integration zu entwickeln, eine Isolierung der Begriffselemente Policy und Integration durch Lösen ihrer wechselseitigen Bezüge nahe. Drittens lassen sich durch die isolierte Exploration der beiden Konzepte zusätzliche analytische Explikations- und Differenzierungspotentiale erschließen, die bei einer gemeinsamen (integrierten) Betrachtung möglicherweise im Verborgenen bleiben.

  2. 2.

    Dabei geht es bei der Durchsicht wissenschaftlicher Begriffsausdeutungen nicht darum, spezifische disziplinäre Integrationsverständnisse für sich zu klären und voneinander abzugrenzen. Die unterschiedlichen disziplinären Definitionen dienen vielmehr als Referenzen für die Konstruktion eines abstrakten Begriffs der Integration, mit welchem selbst nicht der Anspruch einer unmittelbaren Anwendbarkeit in disziplinären Kontexten verfolgt wird.

  3. 3.

    Vgl. Holzner 1967; Angell 1972; Heidtmann-Frohme 1984; Schimank 2000. Dabei lässt sich die Geschichte der Sozialwissenschaften auch als Auseinandersetzung um angemessene, richtige, funktionsfähige Antworten auf die Frage nach der Integration moderner Gesellschaften lesen (Münch 1995).

  4. 4.

    Vgl. Friedrichs/Jagodzinski 1999; Heitmeyer 1997, 1999; Lange/Schimank 2004b; Schimank 2005b.

  5. 5.

    Vgl. hierzu etwa die klassische Unterscheidung zwischen dem Problem der Sozialintegration, bei dem »die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen der Handelnden eines sozialen Systems zur Debatte stehen« und dem Problem der Systemintegration, das sich »um die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen zwischen Teilen eines Systems [dreht]« (Lockwood 1979: 125). Als analytische Differenzierung zur Entgegnung einer Kritik an funktionalistischen Theorien sozialen Wandels eingeführt (ebd.), stellte die Unterscheidung Schimank zufolge lange Zeit »alle wesentlichen Aspekte dessen, was unter gesellschaftlicher Integration verstanden wurde« heraus. So verweise sie auf »zwei völlig verschiedene Störungsquellen« gesellschaftlicher Integration (Schimank 2000: 452): das Verhältnis von individueller Autonomie und sozialer Ordnung einerseits und das Verhältnis von teilsystemischer Autonomie und Interdependenz andererseits. Seit den 1970er Jahren, so Schimank weiter, habe allerdings die Dimenson »ökologischer Integration« an Bedeutung gewonnen. Sie betrifft das Verhältnis der Gesellschaft zu seiner natürlichen Umwelt: die Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft in den von der Natur gesetzten Grenzen (ebd.: 453).

  6. 6.

    So hat die soziologische Integrationstheorie eine differenzierte Typenlehre hervorgebracht. Klassischer Ausgangspunkt vieler weiterer Überlegungen ist dabei die Durkheim’sche Unterscheidung zwischen »mechanical solidarity« als »integration of parts through common values and beliefs« und »organic solidarity« als »integration through interdependence: the parts of the whole reciprocate services as do the parts of an organism« (Angell 1972: 381, vgl. zu Durkheims Integrationstheorie neben vielen auch Friedrichs/Jagodzinski 1999: 22ff.). Zum klassischen Bestand gehört aber auch die Differenzierung zwischen »cultural«, »normative«, »functional« und »communicative integration« (Landecker 1951, vgl. auch Feldman 1973). Holzner differenziert in gleichem Sinne vier »modes of integration«, die durch eine spezifische Art der Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen gekennzeichnet sind: »operative interdependence«, »power«, »value integration« und »loyalty« (Holzner 1967: 61). Münch identifiziert Formen normativer, moralischer, politischer und ökonomischer Integration (Münch 1995). Wie schon die Unterscheidung von Durkheim tragen allerdings auch die erweiterten Typologien wenig zur analytischen Präzisierung von Phänomenen gesellschaftlicher Integration selbst bei, sondern beziehen sich auf Mechanismen bzw. Voraussetzungen, Bedingungen und Triebkräfte gesellschaftlicher Integration. So beschreibt normative Integration etwa eine Form sozialer Integration durch Normen, kommunikative Integration meint Integration durch Kommunikation, funktionale Integration kennzeichnet Integration durch funktionale Interdependenz etc.

  7. 7.

    Zu unterscheiden sind hier mikro-, meso- und makrosoziologische Perspektiven (Friedrichs/Jagodzinski 1999; Holzner 1967), also die Analyse von Integration auf der Ebene von Kleingruppen (Feldman 1973), von Organisationen (Deeg/Weibler 2008b) und der Gesellschaft insgesamt (Luhmann 1997; Peters 1993) sowie ebenenübergreifende Betrachtungen (Friedrichs/Jagodzinski 1999).

  8. 8.

    So hat Bernhard Peters Parsons doppeldeutige Begriffsverwindung als »verwirrend« und »letztlich inkonsistent« kritisiert, »weil Integration immer zugleich als spezielle Leistung eines spezifischen Subsystems und als adäquate Komplementarität […] zwischen allen funktional notwendigen Teilsystemen erscheint« (Peters 1993: 129).

  9. 9.

    Nohlen unterscheidet für den politikwissenschaftlichen Zusammenhang Konzepte politischer, sozialer, systemischer und wirtschaftlicher Integration (Nohlen 1995, s. für einen neueren, nahezu identischen Lexikoneintrag auch Nohlen 2010). Soziale Integration bezieht sich auf »Prozesse der Bildung kleiner gesellschaftlicher Einheiten, etwa der Verbände, die gesellschaftliche Interessen nach innen bündeln« (Nohlen 1995: 278). Politische Integration meint, Nohlen zufolge, die »Aggregierung unterschiedlicher Interessen und deren Transformation im polit[ischen] Entscheidungsprozess« (ebd.). Systemische Integration verweise im Sinne Parsons’ und Lockwoods auf die Bewältigung funktionaler Differenzierung und Interdependenz gesellschaftlicher Teilsysteme (ebd.) und wirtschaftliche Integration beschreibe »ein auf die Bildung eines multinationalen Marktes gerichtete[n] Prozeß, der regional begrenzt ist« und in unterschiedlichen Stufen beschrieben werden könne (ebd.). Nohlen verzichtet hier bemerkenswerterweise auf die Thematisierung regionaler Integration, die an anderer Stelle als besonders zentral für die politikwissenschaftliche Integrationsforschung ausgemacht wird (etwa bei Bergmann 1995).

  10. 10.

    Die europäische Integrationsforschung dürfte innerhalb der Politikwissenschaft sicherlich das umfassendste integrationstheoretische Repertoire anzubieten haben (vgl. für eine Übersicht etwa Grimmel/Jakobeit 2009; Wiener/Diez 2009; Holzinger et al. 2005; Rosamond 2003).

  11. 11.

    »[T]he term > integration < «, heißt es dazu bei Murray in einer kritischen Replik auf Bedeutungsvarianten des Begriffs in der Diskussion zu europäischer Integration, »is utilized to mean a political objective, a theoretical model, a policy process, a set of theories and a paradigm for regional bodies« (Murray 2009: 227).

  12. 12.

    Integration sei »not always clearly defined. It is used in scholarly enterprise and EU pronouncements in a number of distinctive ways […]«. Dabei werde Integration oftmals als gegeben betrachtet und nicht weiter definiert und analysiert (Murray 2009: 228).

  13. 13.

    Murray unterscheidet sogar vier grundlegende Bedeutungsvarianten: »integration as process, integration as politymaking, integration as end-goal and integration as international influence« (Murray 2009: 228). Allerdings erscheint diese Unterscheidung kategorial inkonsistent. Ferner wird nicht deutlich, wo genau der konzeptionelle Unterschied zwischen »integration as process« und »integration as polity-making« liegt.

  14. 14.

    Hierzu gehören insbesondere programmatische Ansätze des Föderalismus (Altiero Spinelli), die auch für ihre statische Grundkonzeption von frühen Funktionalisten (David Mitrany) kritisiert worden sind (Grimmel/Jakobeit 2009: 52). Allerdings wird mitunter auch dezidiert der Prozesscharakter des Föderalismus herausgestellt (Friedrich 1964). Außerhalb der Föderalismustheorie wurde insbesondere Karl Deutschs Konzeption einer »security community«, einer politischen Gemeinschaft dauerhaften Friedens, die durch Gemeinschaftssinn einerseits und ein Set von Institutionen andererseits stabilisiert ist (Deutsch 1954), als statisch bzw. zustandsbezogen kritisiert (so etwa von Lindberg 1963: 3). Allerdings finden sich auch hier Hinweise auf ein Prozessverständnis (Grimmel/Jakobeit 2009: 78).

  15. 15.

    Paradigmatisch für ein dezidiertes Prozessverständnis ist die vielzitierte Definition von Haas: »Political integration is the process whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalties, expectations and political activities toward a new centre, whose institutions possess or demand jurisdiction over the preexisting national states. The end result of a process of political integration is a new political Community, superimposed over the pre-existing ones« (Haas 2004[1958]: 16). Obgleich hier ein dezidiert prozessuales Verständnis von Integration zum Ausdruck kommt, wird der Integrationsprozess auf einen Endzustand hin konzipiert. Lindberg (1963) sieht in seiner Weiterentwicklung des Haas’schen Ansatzes von einer solchen »ideal-type analysis« (1963: 4) ab und schlägt ein »more cautious« Verständnis politischer Integration als ergebnisoffenen Prozess vor: »Political integration is (1) the process whereby nations forgo the desire and ability to conduct foreign and key domestic policies independently of each other, seeking instead to make joint decisions or to delegate the decision-making process to new central organs; and (2) the process whereby political actors in several distinct settings are persuaded to shift their expectations and political activities to a new center« (1963: 5). Auch Rittberger und Schimmelfennig (2005: 20) betonen in ihrer Konzeptualisierung, die an die Vorstellungen von Lindberg anschließt, den »graduellen« und »ergebnisoffenen« Charakter von Integration. Politische Integration liege immer dann vor, »wenn politische Kompetenzen von der nationalstaatlichen auf eine supranationale Ebene übertragen und damit der exklusiven Souveränität des Staates entzogen werden« (ebd.). Integration ließe sich insofern nicht über einen hypothetischen Endzustand, sondern in Relation zu einem bestehenden Ist-Zustand bestimmen (ebd.). Ein dezidiert prozessuales Verständnis findet sich überdies in anderen neueren Konzeptualisierungen (Stone Sweet/Sandholtz 1997: 304; Börzel 2005).

  16. 16.

    Eine »amalgamative community« liegt vor, wenn eine Gemeinschaft über ein gemeinsames Entscheidungszentrum verfügt, das aus der Zusammenlagerung vormals getrennter Entscheidungsarenen hervorgegangen ist. Eine »pluralistic community« verzichtet auf ein solches gemeinschaftliches Entscheidungszentrum zugunsten einer entscheidungsbezogenen Koordination autonomer Entscheidungsarenen (Deutsch 1964: 58ff.).

  17. 17.

    Angesichts realexistierender gemeinschaftlicher Institutionen wird Supranationalität zumindest in der europäischen Integrationsforschung als empirisches Kennzeichen der europäischen Gemeinschaft immer schon vorausgesetzt. Unterschiedliche Theoriefamilien – supranationalistische Ansätze auf der einen Seite und intergouvernementalistische Ansätze auf der anderen Seite – schätzen allerdings die Bedeutung supranationaler und intergouvernementaler Governanceformen für die Dynamik und die (Zwischen-) Ergebnisse des Prozesses europäischer Integration unterschiedlich ein (Stone Sweet/Sandholtz 1997; Rittberger/Schimmelfennig 2005). Während der Intergouvernementalismus die Existenz supranationaler Governance zwar nicht abstreitet, diese aber als durch nationalstaatliche und intergouvernementale Prozesse bestimmt erachtet, gehen supranationalistische Theorien von einer Eigendynamik und -logik supranationaler Governance aus.

  18. 18.

    In diese Richtung weist auch die Systematisierung von Theorien europäischer Integration nach unterschiedlichen Gegenstandsbereichen – Polity, Politics und Policy – bei Diez/Wiener (2004).

  19. 19.

    »Integration is integration of something« heißt es bei Galtung (1968: 376).

  20. 20.

    In Luhmanns Begriffsbestimmung, die sich dezidiert von »alteuropäischen« Einheitsvorstellungen abwendet, scheint auch der Bezug zu einem Integrans verloren zu gehen. Bei näherem Hinsehen ist aber auch hier ein Integrans erkennbar: das durch Kommunikation konstituierte Gesellschaftssystem insgesamt, das sich als mehr oder weniger integriertes System von der gesellschaftlichen Umwelt unterscheidet.

  21. 21.

    Daraus folgt, dass nicht jede Form der Relationierung zwischen Teilen eine Integrationsbeziehung darstellt, sondern nur jene, die mit der Konstitution eines Integrans einhergehen, also jene, die eine Differenz zwischen Teilen und einem Ganzen mit sich bringen. In dieser triadischen Struktur liegt, so die These, die spezifische Differenz zu einfachen dyadischen Beziehungen, die mit Begriffen wie Koordination, Kooperation, Interaktion, Interdependenz etc. erfasst werden.

  22. 22.

    Dass Hinweise auf Integrationsmechanismen in den meisten allgemeinen Definitionen fehlen, dürfte zum einen daran liegen, dass Integrationsmechanismen in besonderem Maße theorie- und kontextabhängig sind und sich abstrakten Bestimmungsversuchen entziehen. Zum anderen könnte die Nichtthematisierung impliziten evolutionstheoretischen oder funktionalistischen Annahmen geschuldet sein, denen zufolge Integration als ein sich aus sich selbst heraus vollziehendes (evolutionäres) bzw. von einem funktionalen Ende her »getriebenes« Phänomen zu begreifen ist. Integration wird hier gleichsam zu ihrem eigenen Mechanismus mit der Konsequenz, dass sich die analytische Trennung von Ursache (Integrationsmechanismus) und Wirkung (Integrationsphänomen) und insofern auch die Rede über Integrationsmechanismenüb überhaupt erübrigen.

  23. 23.

    Angesichts dieser relationalen Konzipierung von Integration wird die These vertreten, dass die von Galtung (1968: 377) eingeforderte (und grundsätzlich auch hier als analytisch sinnvoll erachtete) Differenzierung zwischen den »consequences« von Integration auf der einen und der »definition« von Integration auf der anderen Seite konzeptionell nicht ohne Weiteres aufrecht zu erhalten ist, zumindest aber einer näheren Klärung bedarf. Begreift man Integration nämlich als relationales Konzept, das eine Differenz zwischen einem Ausgangszustand und einem Endzustand kennzeichnet, werden »consequences« gewissermaßen zu einem definitorischen Element: Sie bestehen in der (durch Integration bedingten!) Unterschiedlichkeit zweier Zustände. Eine relationale Definition von Integration schließt also immer schon (gewisse) »consequences« ein. Diese Folgen kommen im Übrigen auch in Galtungs Definition zum Ausdruck, wenn er Integration als Prozess ausweist, durch den »two or more actors form a new actor« (ebd.). Um dennoch eine analytische Trennung zwischen der Definition und den Folgen von Integration beizubehalten, wird hier eine Unterscheidung zwischen unmittelbaren Folgen und mittelbaren Auswirkungen von Integration vorgeschlagen. Dabei sind die unmittelbaren Folgen von Integration jene primären Konsequenzen der Relationierung von Integranden, die das Integrans als Unterscheidbares konstituieren; also jene Folgen, die Form und Funktion von Integrationsphänomenen bestimmen. Die mittelbaren Auswirkungen sind demgegenüber sekundäre und indirekte, über die Umwelt vermittelte Auswirkungen von Integration; sie liegen analytisch außerhalb dessen, was hier als Integration gedacht und beschrieben wird.

  24. 24.

    So auch Holzner (1967: 53): »[T]he whole stands out from its environment as a bounded separate entity«. Vgl. ferner die Überlegungen zum Verhältnis von innen und außen eines integrierten Akteurs bei Galtung 1968: 377f.

  25. 25.

    Eine funktionale Lesart von Integration deutet sich nur in wenigen allgemeinen Definitionen an. Nohlen etwa verweist auf die funktionale Dimension, in dem er Integration als »Fähigkeit« eines Gebildes, einzelne Teile zusammenzuhalten, definiert. In anderen Begriffsfassungen scheinen Funktionen auf, wenn von »wiederherstellen«, »ergänzen« und »ganzmachen« die Rede ist. Ein dezidiert funktionales Begriffsverständnis findet sich aber vor allem in soziologischen Begriffsfassungen, die Integration mit der Erwartung einer Stabilisierung einer sich in mehrfacher Hinsicht ausdifferenzierenden Gesellschaft belegen (Lange/Schimank 2004a: 10). Zu unterscheiden sind hier allerdings zwei Begriffsverständnisse: In funktionalistischen Verständnissen wird Integration selbst als essentielle systemische Funktion ausgewiesen, also im Sinne eines funktionalen Imperativs der Systemerhaltung konzipiert (Integration als Funktion). Andererseits werden die Funktionen von Integration bzw. integrierten Strukturen für das integrierte Gefüge oder für dessen Umwelt thematisiert (Funktion von Integration). Wenn im Folgenden von Integrationsfunktionen die Rede ist, ist diese zweite (nicht-funktionalistische) Variante gemeint (vgl. zur weiteren Präzisierung auch Fn. 109).

  26. 26.

    Zwar werden damit zuvorderst unterschiedliche Prozessmuster der Integrierung angesprochen; zugleich legen die Begriffe aber auch unterschiedliche Interpretationen hinsichtlich der strukturellen und funktionalen Eigenschaften von Integrationsphänomenen nahe.

  27. 27.

    Jenseits der hier zitierten abstrakten Definitionen markieren nicht zuletzt auch die zahlreichen (meist positiv belegten) Konnotationen des Begriffs wie Widerspruchsfreiheit, Gleichgewicht, Stabilität, Ordnung, fügsame Einordnung, Konfliktfreiheit, Konsens, Gerechtigkeit (Lange/Schimank 2004a: 11) unterschiedliche materielle Funktionserwartungen gegenüber Integration.

  28. 28.

    Dabei strukturieren und präzisieren die Differenzierungen den durch die abstrakte Definition geöffneten Bedeutungsraum von Integration; sie sind aber nicht Teil der Definition im engeren Sinne.

  29. 29.

    Implizit basieren die Kriterien auf unterschiedlichen, die Wie-Frage qualifizierenden Teilfragen, zum Beispiel: Wie weit wird integriert? Wie stark wird integriert? Wie schnell wird integriert? Etc. Die Fragen adressieren dabei unterschiedliche Grundelemente von Integration. Während einige Fragen eine integrandenzentrierte Perspektive präsumieren und danach fragen, wie ein spezifischer Integrand integriert wird, fokussieren andere Fragen auf das Integrans und fragen nach der Art und Weise der Integration mehrerer Integranden eines integrierten Ganzen.

  30. 30.

    Diese repräsentieren konzeptionell verdichtete und pointierte Idealtypen, zwischen denen sich jeweils ein Spektrum gradueller Abstufungen bzw. Zwischenformen entfaltet. Entsprechend der relationalen Grundanlage des Integrationskonzepts lässt sich die Bestimmung der spezifischen Ausprägung eines Integrationsphänomens nicht auf der Basis absoluter Kennzahlen, sondern nur im Vergleich zu einem Zustand relativer Desintegration bzw. Nicht-Integration in der Vergangenheit oder in der Umwelt des Integrans sowie zu einem anderen vergleichbaren Integrationsphänomen vornehmen.

  31. 31.

    Die Kategorien und Modi der Integration lassen sich mal mehr, mal weniger deutlich und eindeutig einzelnen Dimensionen (Prozess, Struktur, Funktion) zuordnen. Einige Kategorien haben insofern übergreifenden Charakter als sie in unterschiedlichen Dimensionen gedacht werden können bzw. mehrere Dimensionen gleichzeitig involvieren. Gleichwohl wird auch hier im Sinne einer Disambiguierung eine eindeutige Zuordnung auf Basis der Frage vorgenommen, welche Dimension durch die Kategorie inhaltlich am ehesten angesprochen ist. Als Strukturmodi werden jene Modi ausgewiesen, die die Anordnung von Integranden thematisieren; Prozessmodi qualifizieren den zeitlichen Verlauf von Integration und Funktionsmodi stellen auf die Wirkung von Integration ab.

  32. 32.

    Analytische Differenzierungen von Integrationsmodi finden sich auch bei anderen Autoren. Allerdings beziehen sich diese oftmals auf die Klärung der Voraussetzungen und Bedingungen, also der Mechanismen von Integration. Galtung (1968: 377) etwa unterscheidet in seinem Rekurs auf Integrationsverständnisse in der Literatur insgesamt sechs Integrationsmodelle, die seiner Auffassung nach allerdings nicht Ausprägungen von Integrationsphänomenen, sondern unterschiedliche Voraussetzungen und Bedingungen des Zustandekommens von Integration kennzeichnen: (1) Integration auf der Grundlage von Gleichheit (»egalitarianism)«; (2) Integration auf der Grundlage von Ungleichheit bzw. Hierarchie (»hierarchical model«); (3) Integration als (Folge von) Harmonisierung (»similarity model«); (4) Interdependenz zwischen Teilen als Voraussetzung für Integration (»interdependence model«): (5) Loyalität der Teile zu einem Ganzen als Bedingung der Integration (»loyality model«) sowie (6) Allokation von Werten durch das Ganze an die Teile als Bedingung der Integration (»allocation model«). In seiner eigenen Definition von Integration verkennt Galtung, dass die von ihm als Bedingungen der Integration identifizierten Modelle potentiell auch unterschiedliche Formen von Integration hervorbringen und damit verschiedene Verständnisse von Integration als Phänomen implizieren. Hier wird demgegenüber die These vertreten, dass Integration nicht nur auf der Ebene der Voraussetzungen und Bedingungen, sondern auch auf der Ebene des Phänomens selbst variieren kann.

  33. 33.

    Formal-analytisch markiert Integriertheit einen Zustand der Beziehungshaftigkeit zwischen Integranden, der sich durch eine – gegenüber einem Ausgangszustand – relative Unbeweglichkeit derselben auszeichnet.

  34. 34.

    Zur Illustration führt er aus: »When two municipalities coalesce … and form a new municipality, a new actor of the same kind, only bigger, has been born. […] But when two individuals, man and woman, form a couple, an actor of a different kind has been created« (Galtung 1968: 377). Diese Unterscheidung von Integrationsqualitäten weist Parallelen mit der Differenzierung von Integrationsniveaus bei Elias (1990: 200ff.) auf. Während die erste Form (»of the same kind«) mit einer Form der Integration korrespondiert, bei der Teileinheiten und das integierte Ganze auf dem gleichen Ordnungsniveau angesiedelt sind, lässt sich die zweite Form (»of a different kind«) als strukturell emergente Integration interpretieren, als Form also, bei der das Integrans auf ein gegenüber den Integranden höheres Ordnungsniveau rückt. Bei Elias hat diese Unterscheidung freilich funktionale Implikationen. So markiert der Übergang zwischen Ordnungsniveaus auch einen Übergang von reversiblen hin zu irreversiblen Formen der Integration: Phänomene der Integration auf ein- und demselben Niveau sind insofern reversibel, als die jeweiligen Teileinheiten aufgrund des Fehlens einer Funktionsteilung auch als nicht integrierte lebensfähig sind. Die komplexere Form der Integration ist aufgrund funktionaler Interdependenzen zwischen den Integranden hingegen irreversibel.

  35. 35.

    Eine prinzipielle Andersartigkeit scheint etwa in der Definition von Bogardus (1958: 207) auf, wenn er das »cohesive whole« als etwas beschreibt, »which is something different from the parts«; oder bei Binswanger, der das Ganze als »höhere Einheit« kennzeichnet (Binswanger 1963: 319).

  36. 36.

    Mit Blick auf die relationale Konstruktion des Integrationsbegriffs ist die maximale Integrationsextensität durch den Zusammenhang n-1 definiert, wobei n die Gesamtzahl potentieller Integranden darstellt. Eine vollständige Integration, die sich auf n bezieht, ist logisch ausgeschlossen, da dies die Auflösung der für Integration konstitutiven Differenz zwischen einem Innen und Außen bedeutet, das Integrans also nicht mehr als solches abgrenzbar und erkennbar wäre.

  37. 37.

    Paradigmatisch für eine Form heterogener Integration ist die Rede von einer »Vielfalt in der Einheit« etwa im Zusammenhang mit Ideen des Föderalismus (Laufer/Münch 2006: 15, 21, 26; Pfetsch 2007: 122).

  38. 38.

    Damit ist gemeint: Je dichter (oder intensiver) die Relationierung zwischen Integranden, desto weniger sichtbar wird deren jeweilige Eigenstruktur, desto sichtbarer wird das Integrans. Dahinter steht die Überlegung, dass eine Verdichtung von Beziehungen mit einer Abnahme der Beweglichkeit der relationierten Teile einhergeht. Hierfür spricht aber auch die einfache Überlegung, wonach die Wahrscheinlichkeit, zwei Teile als eines wahrzunehmen, mit abnehmender Distanz der Teile steigt.

  39. 39.

    In der Forschung zur europäischen Integration wird dieser Sachverhalt der Abgabe von Autonomie der Integranden auch als Integrationstiefe bezeichnet (Rittberger/Schimmelfennig 2005: 22).

  40. 40.

    Bei Galtung scheint diese Unterscheidung in der Integrationsqualität, also in der Differenz zwischen heteromorphen und isomorphen Formen der Integration aufzugehen (s. oben). Das impliziert zumindest der Hinweis, wonach eine Form der Integration, die zu einem Integrans »of the same kind« führe, üblicherweise (»generally«) dann vorliege »when the original actors are no more discernible« (Galtung 1968: 377). Hier wird indes argumentiert, dass es sich um unterschiedliche Modi handelt, theoretisch also sowohl Formen einer totalen und zugleich heteromorphen Integration als auch Formen einer partiellen und zugleich isomorphen Integration denkbar sind.

  41. 41.

    Begreift man die triadische Struktur als Definitionsmerkmal von Integration, wird deutlich, dass eine solche totale Integration nicht mit der vollständigen Auflösung von Integranden einhergehen kann und von daher immer schon partiell ist. Dementsprechend wird der Modus totaler Integration als »Grenzkonstellation« begriffen, als Konstellation also, in der jede weitere Steigerung der Relationierungsdichte mit der Auflösung der Sichtbarkeit der Integranden (und damit: der triadischen Struktur von Integration) einhergehen würde.

  42. 42.

    Lange und Schimank (2004a: 15) zufolge korrespondiert Integration stets mit einem »mittleren Ordnungszustand«. Jenseits dieses mittleren Niveaus würde es – bei einer zu hohen Restautonomie der Integranden – zu Problemen der Unter- bzw. Desintegration sowie – im Falle einer zu hohen Beweglichkeitsbeschränkung der Integranden – zu Problemen der Überintegration kommen (ebd.: 14). Integration stelle in diesem Sinne eine »Balance zwischen Des- und Überintegration dar, [die] durch ein Mehr oder durch ein Weniger an Ordnung gestört werden kann« (ebd.: 15). Hier wird zwar die Einschätzung von Lange und Schimank geteilt, dass Integration – entgegen vieler anderer Begriffsbestimmungen – nicht bloß den Endpunkt einer Skala meint, deren unteres Ende »Desintegration« markiert (ebd.: 14). Allerdings wird hier auch auf einer analytischen Trennung von Strukturen und Funktionen der Integration einerseits sowie der Beschreibung von Phänomenen der Integration und der Bewertung ihrer Auswirkungen andererseits insistiert. Inwieweit sehr hohe Grade der Integration zu funktionalen Problemen der Überintegration führen, ist demnach eine empirische Frage. Ferner erscheint es wenig konsistent, den »graduellen Charakter« von Integration zu betonen und zugleich eine Festschreibung von Integration auf einen mittleren Ordnungszustand vorzunehmen (ebd.: 15).

  43. 43.

    Eine vergleichbare Differenzierung findet sich bei Deeg und Weibler (2008a: 37ff.) im Zusammenhang mit der Konzeptualisierung der Integration von Individuum und Organisation.

  44. 44.

    Einer solchen Konzeption wird etwa in der Diskussion zu einer differenzierten europäischen Integration (»Kerneuropa « bzw. »Europa der zwei Geschwindigkeiten«) Ausdruck verliehen.

  45. 45.

    Entsprechende Annahmen finden sich nicht nur in einigen Defintionen (vgl. oben), sondern prägen Angell (1972: 383) zufolge, das Nachdenken über (soziale) Integration überhaupt.

  46. 46.

    Mit Blick auf die oben (Fn. 109) eingeführte Unterscheidung geht es dabei um die primären, also unmittelbar durch Integration produzierten funktionalen Folgen, nicht um sekundäre funktionale Auswirkungen von Integration.

  47. 47.

    Die Aktivierung außenbezogener Integrationsfunktionen setzt freilich den Aufbau von Relationierungen zwischen Integrans bzw. Integranden und deren Umwelt voraus. Allerdings ist diese Form der Relationierung zwischen integriertem Gefüge und Umwelt so lange nicht als Integration zu bezeichnen, wie die relationierte Umwelt nicht den Charakter eines Integrands annimmt. Das ist erst dann der Fall, wenn der betreffende Gegenstand selbst zur Konstitution eines Integrans beiträgt und von innen und von außen als Teil des Integrationsphänomens wahrgenommen wird (vgl. zur Bedeutung von Selbst- und Fremdwahrnehmung für Integration Galtung 1968: 377ff.). In der integrationstheoretischen Literatur insgesamt scheint der Reflexion der außenbezogenen Funktionen von Integration eine untergeordnete Bedeutung zu zukommen. Hier und dort scheinen jedoch Bezüge zu externen Funktionen auf, so etwa in der politischen Debatte zur europäischen Integration, wenn die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union für weitere Mitglieder oder Europäisierungseffekte auf Nicht-Mitgliedstaaten thematisiert werden. Besonders zu betonen ist erneut die konzeptionelle Grenze zwischen (primären) externen Funktionen und (sekundären) externen Auswirkungen (vgl. Fn. 109). Ausgangspunkt des Nachdenkens über außenbezogene Integrationsfunktionen ist nach wie vor das integrierte Gefüge, genauer: dessen durch Integration erlangte umweltbezogene Fähigkeiten. Demgegenüber rückt die sekundäre außenbezogene Wirkung von Integration auch die Fähigkeiten der Umwelt in den Blick. Genau hier kommt die Differenz zwischen primärer funktionaler Implikation und sekundärer Wirkung von Integration zum Tragen.

  48. 48.

    Dabei ist immer beides gemeint: Wenn von Leistungen die Rede ist, sind damit auch Fähigkeiten impliziert und Funktionen lassen sich auch im Sinne von tatsächlichen Wirkungen lesen.

  49. 49.

    Paradigmatisch hierfür sind Begriffsverständnisse, in denen Integration als Bedingung der Möglichkeit einer Reproduktion bzw. Erhaltung der Integranden konzipiert wird (vgl. etwa die Definition von Lange/Schimank 2004a: 12).

  50. 50.

    In der europäischen Integrationsforschung werden auto-transformative Folgen von Integration auf Integranden etwa mit dem Konzept der »Europäisierung« thematisiert, das sich auf eine Veränderung nationalstaatlicher Institutionen, Prozesse, Policies etc. durch die europäische Union bezieht (Börzel 2006; Grotz 2007; Knill/Tosun/Bauer 2009).

  51. 51.

    Konvergente Transformationsformen werden etwa im Zusammenhang mit Europäisierungsprozessen diskutiert (Holzinger/Knill/Sommerer 2007). Ein divergenter Transformationsmodus scheint in der These auf, dass Integration Bedingung der Möglichkeit funktionaler Differenzierung ist bzw. eine funktionale Differenzierung antreibt.

  52. 52.

    In der Ökonomie steht ein Modus positiv produktiver Integration für die Realisierung von Effizienzgewinnen infolge von Größeneffekten (»economies of scale« im Falle isomorpher Integration) oder Verbundeffekten (»economies of scope« bei heteromorpher Integration).

  53. 53.

    Oder in den Worten Luhmanns (2009: 188): »[D]as Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile«.

  54. 54.

    Abweichend von der hier vorgeschlagenen Begriffsverwendung stehen »negative« und »positive Integration« in der Literatur zu europäischer Integration für zwei unterschiedliche Ansätze regulativer Politik. Während negative Integration Maßnahmen zur Integration von Märkten durch Eliminierung nationaler Marktzugangsbeschränkungen (Abbau von Handelshemmnissen, Wettbewerbsverzerrungen etc.) meint (also gleichsam: Integration durch Reduktion von Relationierungsrestriktionen), bezieht sich der Begriff der positiven Integration auf Maßnahmen zur Integration von Märkten durch die Etablierung gemeinschaftlicher Politiken der EU (Scharpf 1996). Das »durch« signalisiert indes, dass negative und positive Integration weniger für Integrationsmodi in einem deskriptiven Sinne, als vielmehr für Mechanismen der Integration stehen.

  55. 55.

    So haben potentielle und tatsächliche Verteilungsimplikationen etwa in der politischen Debatte um die europäische Integration einen zentralen Stellenwert.

  56. 56.

    In der Debatte um europäische Integration findet sich auch der Begriff einer Transfer-Union. Da ein redistributiver Modus zumindest eine relative Ungleichverteilung von Beweglichkeiten mit sich bringt, kann – mit Blick auf die entsprechende Strukturkategorie (s. oben) – auch von einem Modus performativer Asymmetrie die Rede sein.

  57. 57.

    Mit einem niedrigeren Anspruchsniveau distributiver Integration sind ein potentiell niedrigeres Konfliktniveau (»jeder bekommt, ohne dass ihm genommen wird«) und – damit einhergehend – geringere Anforderungen an die Konfliktbewältigung gemeint.

  58. 58.

    Die Kategorie der Inklusivität lässt sich logisch nur für nicht maximal extensive Integrationsformen bestimmen. Sie ist eine konzeptionelle Implikation einer per definitionem nicht darstellbaren maximalen Extensität. Wäre eine vollständig extensive Integration möglich, gäbe es kein Außen, wodurch außenbezogene Funktionen überhaupt hinfällig würden.

  59. 59.

    Dass es sich hierbei um einen empirisch relevanten Modus der Integrativität handelt, zeigt die Diskussion zum transformativen Einflusspotential der EU im Außenverhältnis (Grabbe 2008; Murray 2009: 237ff.).

  60. 60.

    Die Differenz lässt sich als Unterschied im Ressourcenhaushalt der jeweiligen Gefüge beschreiben. Ein funktional auf Strukturerhaltung ausgerichtetes Integrans erfüllt seine (Selbsterhaltungs-)Funktion, indem es freie Ressourcen in die Stabilisierung eines bestehenden Gefüges investiert. Dies geschieht etwa durch den Abbau funktionaler Redundanzen und die Maximierung der inneren Ausdifferenzierung und Komplexität zur Erhöhung der »requisite variety« (Ashby). Ein auf Strukturanpassung ausgelegtes Integrans hält hingegen Ressourcen für den Umbau von Strukturen vor. Das impliziert einen Zustand unterhalb der maximalen Ausdifferenzierung, also die Bewahrung funktionaler Redundanzen, die im Sinne von »Differenzierungsreserven« für die Bewältigung etwaiger Anpassungserfordernisse eingesetzt werden können. Hier lässt sich eine konzeptionelle Verwandtschaft mit den von Elias unterschiedenen Typen »reversibler« und »irreversibler« Integration erkennen (Elias 1990: 200ff.). Der reflexive Modus korrespondiert insofern mit dem reversiblen Typus, als die Integranden beim Zerfall des Integrans über ausreichend Redundanzreserven verfügen, mit denen sie ihre Eigenstruktur erhalten können. Der strukturerhaltende Modus hingegen ist gleichzeitig irreversibel, da weder die hochgradig ausdifferenzierten und funktional interdependenten Integranden für sich überlebensfähig sind, noch das Integrans über Möglichkeiten verfügt, den Ausfall eines Integranden zu kompensieren.

  61. 61.

    Das ist zumindest ein zentrales Argument von Modellen ökologischer und sozialer Resilienz (Walker/Salt 2006; Berkes/Colding/Folke 2006). Inwieweit unterschiedliche funktionale Eigenschaften (Adaptions- vs. Strukturerhaltungsfähigkeit) im Ergebnis die Stabilität eines Gefüges erhöhen, ist dann eine Frage, deren Beantwortung konzeptionell von dem zugrundgelegten Stabilitätsverständnis und empirisch auch von den weiteren strukturellen Eigenschaften des analysierten Integrationsphänomens und dessen Kontextbedingungen abhängen dürfte. Die Beantwortung solcher Fragen fällt freilich in den Bereich der Analyse der Wirkungen von Integration (vgl. hierzu erneut Galtung 1968; Holzner 1967: 58).

  62. 62.

    Damit reproduziert die sozialwissenschaftliche Integrationsanalyse ein grundsätzliches Problem sozialwissenschaftlicher Theoriebildung im Umgang mit der zeitlichen Dimension sozialer Phänomene (Pierson 2004).

  63. 63.

    Mit diesem Fokus auf analytisch differenzierte Beschreibungen bleiben Prozesskonzeptualisierungen, die sich auf die Erklärung des Verlaufs von Prozessen beziehen, unberücksichtigt. Dazu gehören etwa das Theorem der »Pfadabhängigkeit« oder kontingenztheoretische Modelle.

  64. 64.

    Dies entspricht der Unterscheidung dreier »Situationstypen« sozialer Prozesse – »Entstehung«, »Fortsetzung« und »Schluss« – bei Prittwitz (2007: 176). Dabei explizieren die beiden ersten Phasen, »Integrationskonstituierung» und »Integrationsperpetuierung«, eine in der Literatur oftmals implizit bleibende Doppeldeutigkeit des Begriffs »Integrationsprozess«, der sich mal auf den Prozess der Integration im Sinne einer Herausbildung eines Integrationsphänomens und mal auf Integration als Prozess im Sinne eines prozessual-dynamischen Verständnisses von Integrationsphänomenen bezieht. Mit »Integrationsterminierung« ist hier nicht das Zerfallen eines Integrationsphänomens (Desintegration) gemeint, da es begrifflich inkonsistent wäre, dann noch von einer Phase der Integrierung zu sprechen. Integrationsterminierung meint vielmehr die Beendigung der Wahrnehmbarkeit eines Phänomens als Integrationsprozess etwa infolge einer vollständigen Extensivierung (und der damit verbundenen Auflösung der Differenz von innen und außen) oder der totalen Intensivierung (und dem damit verbundenen Verlust einer triadischen Sruktur) von Integration.

  65. 65.

    Luhmann beschreibt einen solchen Modus der »Temporalisierung« von (System-)Integration für hochkomplexe ausdifferenzierte Gesellschaften. Er manifestiere sich in ereignishaften operativen Kopplungen und ermögliche die Gleichzeitigkeit von Abhängigkeit und Unabhängigkeit gesellschaftlicher Teilsysteme (Luhmann 1997: 606).

  66. 66.

    Damit sind beispielsweise Prozesse der Extensivierung oder Intensivierung von Integration, der Rerelationierung von Integranden etc. gemeint.

  67. 67.

    Alternativ könnte man hier auch nach der relativen zeitlichen Verortung des Integrationsprozesses, also der Relationierung von Integranden (das ist: die Konstituierung des Integrans) im Vergleich zum Zeitpunkt der Formierung der Integranden fragen.

  68. 68.

    Mitunter wird dieser Sachverhalt mit der Unterscheidung zwischen »Ex-post-Integration« und »Ex-ante- Integration« bezeichnet. Dies erscheint aber begrifflich insofern problematisch, als die Unterscheidung suggeriert, Integration könne auch ohne Integranden erfolgen. In der entsprechenden Terminologie ließe sich allenfalls die Unterscheidung »Ex-post-Integration« vs. »On-going-Integration« plausibilisieren, die der Unterscheidung zwischen serieller und paralleler Integration entspricht.

  69. 69.

    Weist der Begriff schon auf einer allgemein definitorischen Ebene Ambiguitäten auf, wird die Bedeutungsvielfalt durch die Gesamtheit der potentiellen (theoretischen, empirischen und normativen) Kontextbezüge noch einmal erhöht.

  70. 70.

    Vgl. SchÜbert 1991: 4ff.; Rohe 1994: 61ff.; Nullmeier/Wiesner 2003: 285f.; SchÜbert/Bandelow 2009: 4ff.

  71. 71.

    In den Worten Heclos (1972): »There is no unambiguous datum constituting policy and waiting to be discovered in the world […]. Policy exists by interrogating rather than intuiting political phenomena«.

  72. 72.

    Vgl. zu dieser These einer tendenziellen Gegenstandsvergessenheit der Policy-Forschung auch Schneider und Ingram (1997: 67ff., 81), die eine Vernachlässigung der Analyse der Substanz von Policies konzedieren und diese Kritik zum Ausgangspunkt für die Entwicklung eines konzeptionellen Bezugsrahmens zur Analyse von Policy Designs machen.

  73. 73.

    Es prägt im Übrigen auch die Definition von Schmidt, welche neben den Entscheidungsinhalten auch die »Vorgehensweise bei der Entscheidungsfindung und im Vollzug des Entschiedenen« einschließt (Schmidt 2004d: 535).

  74. 74.

    Konzeptionell unterscheidet er zwischen policy und »policy statements«, welche lediglich (formale) Artikulationen von Policies darstellten.

  75. 75.

    So auch Lowi und Ginsburg, die Public Policy als »an officially expressed intention backed by a sanction which can be reward or punishment« definieren (zitiert nach Fischer 2003: 2).

  76. 76.

    Vgl. zu »purposiveness« als wesentliches und allgemein akzeptiertes definitorisches Merkmal von Policy Heclo 1972: 84f.; Colebatch 2002: 48ff.

  77. 77.

    Noch dezidierter ist Gerston (2004: 6): »Without government involvement and direction, there is no public policy« sowie an anderer Stelle: »All public policymaking involves government in some way« (ebd. 2002: 5).

  78. 78.

    Er verweist damit auf die Möglichkeit, dass eine Policy neben Elementen des Handelns auch solche des Nicht-Handelns umfassen kann – ein Aspekt, der sich schon in den Definitionen von Dye und Schmidt findet und im Rahmen der Erläuterungen zu seiner Definition auch von Anderson thematisiert wird (Anderson 2006: 9, vgl. hierzu ferner Rohe 1994: 67ff.).

  79. 79.

    Vgl. zu dieser Rationalitätserwartung auch Colebatch 2009: 8ff.; Parsons 2005: 13ff.

  80. 80.

    Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen behavioristischen, auf Akteurhandlungen und institutionalistischen, auf Strukturen abstellenden Policy-Verständnissen bei Gerston 2004: 5.

  81. 81.

    Vgl. für weitere Hinweise auf strukturbezogene Policy-Verständnisse auch Colebatch 2009: 16ff.

  82. 82.

    Vgl. Fischer 2003; Yanow 1996; Lejano 2006; Ball 1993. Das Aufkommen post-positivistischer bzw. post-empiristischer Ansätze in der Policy-Forschung wird auf eine Reihe unterschiedlicher wissenschaftsinterner und -externer Entwicklungen zurückgeführt (Fischer 2003, 2004). Dementsprechend repräsentiert der Post-Positivismus auch keine homogene wissenschaftstheoretische Position, sondern vielmehr ein heterogenes Strömungsfeld, das verschiedene Kritiklinien gegenüber den ontologischen, epistemologischen, methodologischen und praxeologischen Annahmen unterschiedlicher Spielarten eines (neo-)positivistischen Wissenschaftsverständnisses versammelt (Hawkesworth 1988). Hierzu gehören neben unterschiedlichen kritischen Ansätzen einer partizipatorischen, diskursiven oder deliberativen Policy-Analyse (Fischer 2004; deLeon 1994; Saretzki 1998, 2008) stärker theoretisch und empirisch interssierte diskursanalytische (Hajer 1995, 2008), interpretative (Yanow 1996, 2000) sowie post-strukturalistische (Gottweis 2003) Zugänge. Sie eint, so Fischer, eine Reihe grundlegender Annahmen: »Most fundamentally, it [post-positivism, B.B.] is grounded in the idea that reality exists, but can never be fully understood or explained, given both the multiplicity of causes and effects and the problem of social meaning. Objectivity can serve as an ideal, but requires a critical community of interpreters. Critical of empiricism, it emphasizes the social construction of theory and concepts, and qualitative approaches to the discovery of knowledge« (Fischer 2004: 211, Fn. 1).

  83. 83.

    Die sogenannte »argumentative Wende« ist zwar Ausdruck des »linguistic turns« in der Policy-Forschung, sie ist aber nicht identisch mit diesem, sondern steht gewissermaßen für eine praxeologische Teilströmung innerhalb des post-positivistischen Gesamtstroms. Ausgehend von der These, dass die Praxis der (beratungsorientierten) Policy- Analyse immer schon den Charakter praktischen Argumetierens habe, zielt sie auf eine Reflexion und Reformulierung des methodologischen Selbstverständnisses der Policy-Analyse: Diese könne sich aufgrund ihrer Sprachgebundenheit kaum mehr auf objektivistische Analysen von Policy-Tatsachen und die Formulierung objektiver Lösungen richten, sondern müsse sprachlich konstruierte und vermittelte Argumentationsmuster in den Blick nehmen und sich selbst als argumentativ begreifen (vgl. für einen Überblick Gottweis 2006 sowie für eine kritische Rekonstruktion der Argumente der Vertreter des »argumentative turn« Saretzki 2009).

  84. 84.

    Hierzu gehören in einem weiten Verständnis nicht nur objektive Policy-Texte (also etwa aufgeschriebene Gesetze und Verordnungen), sondern auch »Text-Analoge«, die insofern als Text behandelt werden können, als auch sie Gegenstände von Bedeutungszuschreibungen sind. Im Einzelnen sind dies zum einen »enactments«, also Policy- Handlungen, die zum Teil selbst bereits auf Interpretationen von Texten im engeren Sinne beruhen; zum anderen »spoken language« und schließlich: policy-bezogene Objekte, wie zum Beispiel Architekturen, Infrastrukturen etc. (Yanow 1996: 24).

  85. 85.

    Mit der Betonung der unhintergehbaren sprachlichen Fundierung von Policy verweisen post-positivistische Ansätze – in methodologischer Hinsicht – auf den elementaren Stellenwert von Interpretation als Analysezugang zu Policies (Yanow 1996, 2000; Yanow/Schwartz-Shea 2006; Nullmeier 1997). Policies sind, so das zentrale methodologische Postulat, aufgrund ihrer sprachlichen Konstruiertheit überhaupt nur auf dem Wege der Interpretation individuell oder kollektiv erzeugter policy-bezogener Bedeutungskonstruktionen – Narrative, Story-lines oder Diskurse (Fischer 2003; Yanow 2007) -, mithin also auf dem Wege einer Interpretation »zweiter Ordnung« zu erschließen (Nullmeier 1997). Post-positivistische Positionen wenden sich damit kritisch gegen das im Mainstream der Policy-Analyse verbreitete methodologische Selbstverständnis einer am Vorbild der Naturwissenschaften orientierten, auf die Erhebung eindeutiger empirischer Fakten und die Identifikation allgemeiner kausaler Gesetzmäßigkeiten ausgerichteten »analysis as science«. Angesichts der sprachlichen Konstruiertheit von Policies sei ein solches empiristisches Selbstverständnis – so die erkenntistheoretische Argumentation der Post-Positivisten – weder plausibilisierbar noch entspreche es – so der »realistische« Ausgangspunkt der argumentativen Wende – der tatsächlichen Praxis einer »analysis as argument« und habe dementsprechend den Charakter einer Selbst- und Fremdtäuschung (Saretzki 2009: 451).

  86. 86.

    Rationalität sei dann das Resultat einer nachträglichen Zuschreibung, die auf der Fiktion fuße, dass Policies immer schon rational seien und insofern den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung hat: »We cannot know for certain … that the patterns we are seeing retrospectively in policy actions > actually < resided in them […]. The pattern is in our perception of the events, not in the events themselves. We > see < governmental actions as government responding to problems; yet these very actions may have been expressive acts rather than instrumentally rational ones intended to cause particular effects or achieve certain explicitly stated goals« (Yanow 1996: 23).

  87. 87.

    Der hier anklingende apodiktische Anspruch steht freilich in einem gewissen Widerspruch zu dem von Fischer selbst propagierten interpretativen Paradigma. Eine ähnlich apodiktische Formulierung findet sich bei Deborah Stone, die, ebenfalls in einem interpretativen Grundverständnis, von einer »essence of policy making« spricht, welche in der Auseinandersetzung über Ideen (»struggle over ideas«) liege (Stone 1988: 8).

  88. 88.

    Dabei vollziehe sich Policy-Making »an der Schnittstelle zwischen > dem Politischem und > dem Nicht-Politischen < « als Auseinandersetzung um die Grenze des Politischen, als Akt des »Grenzziehens« zwischen dem Politischen und dem Nicht-Politischen, durch den das Politische überhaupt erst erzeugt (konstituiert) und vom Nicht-Politischen geschieden werde (Gottweis 2003: 132).

  89. 89.

    Herbert Gottweis macht darüber hinaus auf eine Dynamik des Policy-Begriffs selbst aufmerksam. Policy habe keine stabile Bedeutung, sonden müsse vielmehr als ein »Bedeutungskontinuum gesehen werden, das einem kontinuierlichen Wandel unterliegt« (Gottweis 2003: 131). Daraus erwachse, so Gottweis weiter, die Notwendigkeit für die policy-Forschung, ein »Sensorium für die Veränderungen im Diskurs über ihren zentralen Gegenstand« zu entwickeln (ebd.).

  90. 90.

    Dementsprechend scheinen konzeptionelle Beiträge zur sprachlich-diskursiven Perspektive eher mit der Erörertung methodologischer und praktischer Fragen als mit der Spezifizierung des Gegenstandsbereichs der Policy- Analyse beschäftigt zu sein. So rekurrieren manche Beiträge für eine Klärung der Grenzen von Policy etwa auf altbekannte Definitionen, die dem Mainstream-Paradigma zuzurechnen sind (vgl. etwa Fischer 2003).

  91. 91.

    Aufgrund unterschiedlicher Bedeutungsassoziationen bedarf die Verwendung des Begriffs der »Ordnung« im Zusammenhang mit Policy einiger Erläuterungen: (1) In einem politikwissenschaftlichen Kontext ist es gemeinhin das Konzept der »Polity« (und eben nicht: »Policy«), das auf Ordnung, genauer: auf die institutionelle bzw. verfassungsmäßige Ordnung politischer Gemeinwesen verweist. Wenn nun im Zusammenhang mit »Policy« von Ordnung die Rede sein soll, wird damit nicht die Auflösung und Vermischung etablierter Kategorien angestrebt. Vielmehr ist ein alternatives und in Teilen komplementäres Verständnis von Ordnung gemeint: eine performative, zwischen einem Zustand relativer Unordnung und einem Zustand relativer Ordnung vermittelnde Ordnung; ein Ordnen, das auf die politische Bewältigung gesellschaftlicher Probleme gerichtet ist. Im Gegensatz dazu bezeichnet Polity eine verfestigte, mehr oder weniger stabile institutionelle Ordnung, die sich weniger auf die Überbrückung einer Ordnungsdifferenz, denn auf die Strukturierung kollektiven Handelns in politischen Gemeinwesen bezieht. Bei Policy geht es ferner um eine Ordnung mittlerer Reichweite, die sich im Unterschied zu Polity nicht auf die Grundverfasstheit politischer Gemeinwesen, sondern auf die konkreten Ordnungsprobleme bezieht, mit denen ein politisches Gemeinwesen konfrontiert ist. Policy bezeichnet damit jenes Ordnen, das sich innerhalb einer Ordnungsstruktur (Polity) vollzieht. (2) Die Rede von Ordnung im Zusammenhang mit Policy evoziert ferner Assoziationen zu spezifischen, vornehmlich auf ordoliberalen Ideen basierenden, ordnungspolitischen Ansätzen im Bereich der Wirtschaftspolitik, die sich bei der öffentlichen Regelung wirtschaftlicher Prozesse im Unterschied zu interventionistischen bzw. prozessbezogenen Ansätzen der Nachfrage- und Angebotssteuerung auf das Setzen von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln, also auf die Formulierung und Überwachung von Verhaltensregeln beschränken (Schmidt 2004c). Während Ordnungspolitik in diesem Sinne eine spezifische materielle Policy und eine mögliche empirische Ausprägung von Policy bezeichnet, stellt der Begriff der problembezogenen Ordnung, wie er im Rahmen der vorliegenden Arbeit zur Konzeptualisierung von Policy (und eben nicht: zur Kennzeichnung spezifischer materieller Policies) vorgeschlagen wird, auf ein Spektrum unterschiedlicher Ordnungsvorstellungen und -ansätze in unterschiedlichen Politikbereichen ab. Jedenfalls bezieht sich Ordnung hier nicht allein in einem engen ordnungspolitischen Sinne auf die Strukturierung von Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Handelns, sondern schließt sämtliche denkbaren Formen des Regelns, Steuerns, Disziplinierens, Strukturierens gesellschaftlicher Handlungen ein.

  92. 92.

    Schneider und Ingram (1997: 10) unterscheiden – quer zu den hier identifizierten Policy-Perspektiven – drei normativ-theoretische Rahmenperspektiven auf Politik, die spezifische Ordnungsvorstellungen und damit auch unterschiedliche Erfolgsmaßstäbe für Policy implizieren. Aus einer pluralistischen Perspektive bestehe die grundlegende funktionale Erwartung gegenüber Policies darin, »[to] be responsive to public preferences, represent interests, and resolve conflicts when interests clash«. Die Ordnungserwartung einer wissenschaftlich-technischen Perspektive ist, dass »[policies] should solve problems in an efficient and effective manner«. Die Perspektive kritischer Theorie verknüpft Policies indes mit der Erwartung, dass diese »promote justice and democracy in all spheres of life by providing equal opportunity, aiding the disadvantaged, reducing oppression, and empowering people to gain greater control of their own lives and environments« (ebd.).

  93. 93.

    Diese These deckt sich mit der Beobachtung von Colebatch, wonach die »idea of policy« in der allgemeinen Wahrnehmung mit Ordnung in Verbindung gebracht werde. Policy sei, so die verbreitete Idee, »first of all concerned with order« (Colebatch 2002: 9, vgl. zur Relevanz von »order« als »fundamental feature of the policy science approach« auch Lasswell 1971a: 1).

  94. 94.

    Es sei hier noch einmal betont, dass es nicht um die Entwicklung einer wie auch immer gearteten explanativen Policy-Theorie geht, sondern um die Konstruktion eines generischen Policy-Begriffs: um die Darlegung von Kategorien, die das systematische Nachdenken über Policy und die Erfassung entsprechender empirischer Phänomene anleiten können.

  95. 95.

    Hintergrund dieses Versuchs einer Synthese unterschiedlicher Perspektiven ist die Annahme, dass die Perspektiven jeweils unterschiedliche (aber auch gleiche) Teilaspekte ein und derselben (funktional bestimmten) komplexen Ordnungskonstellation Policy unterschiedlich ausleuchten. Während jede Perspektive für sich genommen selektiv ist und ein unterkomplexes Bild von Policy entwickelt, ergibt sich durch deren Verbindung ein komplexeres konzeptionelles Verständnis der Konstitution von Policy. Policies lassen sich dann als Gegenstände interpretieren, die nicht als Handlung, Struktur oder Text konzipiert werden können; vielmehr repräsentieren Handlung, Struktur und Text Dimensionen eines komplexen Policy-Verständnisses.

  96. 96.

    Diese Unterscheidung lässt sich auf eine etablierte Kennzeichnung unterschiedlicher Analysefoki bzw. Aufgabenfelder der Policy-Forschung zurückführen, die schon in Lasswells programmatischem Aufsatz »The Policy Orientation« aufscheint, wenn er zwei Bezugspunkte einer sich herausbildenden Policy-Forschung benennt. Während eine auf den »policy process« ausgerichtete Forschung auf »improving the rationality of the flow of decisions« ziele (Lasswell 1951: 3), gehe es in einem zweiten Zugriff, der sich auf die »intelligence needs of policy« beziehe, um die Verbesserung des »concrete content of the information and the interpretations available to the policy-makers« (ebd.). In einem späteren Aufsatz spricht Lasswell noch formelhafter und poinierter von »knowledge of the policy process« und »knowledge in the process« (ebd. 1970: 3). In die gleiche Richtung weist Scharpfs Differenzierung zwischen problemorientierter und interaktionsorientierter Policy-Forschung (Scharpf 2000: 33). Während sich die problemorientierte Policy-Forschung mit »den Ursachen politischer Probleme, mit den möglichen politischen Lösungen sowie mit ihren wahrscheinlichen Auswirkungen auf die ursprünglichen Probleme und auf die weitere politische Umwelt« beschäftigt und damit sachliche Komplexität von Policies in den Mittelpunkt rückt (ebd.), gehe es bei der interaktionsorientierten Policy-Forschung um die Analyse der spezifischen sozialen Konstellationen und Dynamiken, die sich bei der politischen Ausgestaltung und Umsetzung materieller Problemlösungen ergeben.

  97. 97.

    Die zeitliche Dimension ist bereits in den Unterscheidungen von Lasswell und Scharpf erkennbar (s. Fn. 182) und dürfte auch mit Blick auf die oben angeführten Policy-Definitionen als allgemein anschlussfähig gelten; allgemeine Anschlussfähigkeit wird derweil auch für die räumliche Dimension von Policy unterstellt, wenngleich es bisher an entsprechenden Hinweisen etwa in Policy-Definitionen fehlt. Von Basisdimensionen ist die Rede, weil Zeit und Raum die sachliche und soziale Dimension durchwirken und strukturieren.

  98. 98.

    Damit korrespondiert die Dimensionierung mit einem von Luhmann eingeführten und später um die räumliche Dimension erweiterten Schema zur Erfasssung von Sinndimensionen sozialer Systeme, das aufgrund seiner Abstraktheit und Umfassendheit zur grundlgenden analytischen Strukturierung sozialer Phänomene gleichsam »intuitive« Differenzierungsgewinne eröffnet (Luhmann 1997: 1136ff., 1984: 92ff.; Stichweh 2000: 187ff.).

  99. 99.

    Dabei geht es hier nicht um eine konzeptionelle Abgrenzung von Policy zu anderen verwandten Konzepten – Governance, Public Management, Public Administration etc. -, wie sie sich in einem der seltenen Versuche dieser Art bei Colebatch (2009: 63ff.) findet. Hier geht es vielmehr um prinzipielle empirische Grenzziehungen zwischen Policies und ihrem Nicht-Policy Kontext.

  100. 100.

    Das sind nach Heclo (1972: 85f.) »choices as to how others shall make choices in whatever sphere public authority is intervening«.

  101. 101.

    Einige Konzeptualisierungen ignorieren eine solche Differenz zwischen Entscheidungsebenen offenbar, wenn sie die Analyse von Policy etwa in den Bereich von Laboren und Arztpraxen ausdehnen und die Tätigkeit von Laboranten und Ärzten als Policy-Making interpretieren (Gottweis 2003). Hier würden solche Handlungszusammenhänge indes der operativen, durch Policy angeleiteten Entscheidungsebene zugerechnet werden, da sie unmittelbar auf eine physische Realität zugreifen.

  102. 102.

    Dabei kann der Verweis auf »objektive öffentliche Güter« freilich eine relevante Argumentationsfigur darstellen. Vgl. hierzu die Definition eines öffentlichen Problems von Zürn: »[A] problem is public when the participating actors need to claim to act in the name of a collective interest or the common good« (Zürn/Wälti/Enderlein 2011: 2). Hier deutet sich der politisch-performative Charakter der Grenzziehung zwischen dem Innen und Außen einer Policy an (Gottweis 2003). Die Abgrenzung einer Policy ist mithin selbst Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Die Frage nämlich, was schon und was noch nicht als öffentliche Angelegenheit gilt und entsprechend ein Bereich, der legitimerweise durch staatliche Entscheidungen zu ordnen ist und legitimerweise mit öffentlichen Ressourcen, Organisationsstrukturen und Personal ausgestattet wird, ist im Kern eine politische Frage (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und privaten Issues auch Gerston 2002: 5ff.).

  103. 103.

    Damit ist dann gerade nicht gemeint, dass Policies immer ausschließlich von staatlichen Akteuren produziert und geformt werden. Im Gegenteil: Der Begriff umfasst auch Ordnungskonstellationen, die auf unterschiedliche Weise durch gesellschaftliche und private Akteure beeinflusst und getragen werden; bei deren Genese und Umsetzung der Staat mit privaten Akteuren kooperiert oder diese gar mit deren Regelung beauftragt. Entscheidend für die Kennzeichnung einer Angelegenheit als »öffentlich« ist, dass sich staatliche Akteure einer Angelegenheit annehmen und als Gestalter und/oder Vollzieher der Ordnung einer Angelegenheit auftreten.

  104. 104.

    Zwar kann das Auftauchen eines Themas auf der Agenda der Medienöffentlichkeit (zur Abgrenzung verschiedener Agenden vgl. Birkland 2007) eine wesentliche Voraussetzung oder ein dynamisierender Faktor für die Formierung einer öffentlichen Angelegenheit sein; es ist aber selbst noch kein Indikator für die Qualifizierung einer Angelegenheit als öffentliche Angelegenheit im Sinne einer Angelegenheit, die von öffentlichen Entscheidungsträgern als relevant und entscheidungsbedürftig erachtet worden ist. Das bedeutet auch, dass die mediale Begleitung einer politischen Problembearbeitung erhebliche Auswirkungen auf eine Policy haben kann; sie ist aber nicht Teil der Policy selbst, sondern gehört analytisch zu deren Kontext.

  105. 105.

    Mit Blick auf systemtheoretische Konzeptualisierungen des Policy-Making handelt es sich dabei um den Übergang von Outputs zu Impacts: Während der Output gewissermaßen den analytischen Endpunkt einer Policy bezeichnet, steht der Impact für den Beginn einer adressatenseitigen Wirkungskette, die insgesamt einen systemischen Policy- Outcome erzeugt. Auch wenn die Reaktion der Policy-Adressaten (Policy-Impacts) und die Reaktion des Systems insgesamt (Policy-Outcomes) mit dem Policy-Output in einem kausalen Zusammenhang stehen, gehören sie in dem hier entwickelten Policy-Verständnis nicht mehr zu einer Policy im engeren Sinne.

  106. 106.

    Damit wird vor dem Hintergrund der beschriebenen analytischen Herausforderungen der Grenzziehung ein Ansatz vorgeschlagen, der zwischen konstruktivistischen und objektivistischen Ansätzen vermittelt. Während erstere auf eine Übernahme der subjektiven Grenzwahrnehmungen und Policy-Identitätsbeschreibungen durch politische Akteure abheben, besteht letzterer in der Abgrenzung von Policies auf der Grundlage objektiver Kriterien, wie Ressourcenzuweisungen, formale Kompetenzzuschreibungen und Institutionalisierungsmuster. Der hier vorgeschlagene Mittelweg lässt sich als durch objektive Kriterien geleitete Rekonstruktion subjektiver Grenzwahrnehmungen charakterisieren. Dabei wird vermutet, dass die Korrepondenz zwischen objektiven und subjektiven Grenzziehungen mit dem Niveau der institutionellen Verankerung von Policy-Akteuren in formalisierten Policy-Strukturen zunimmt. Je mehr sich Akteure in organisatorisch verfestigten Handlungskontexten bewegen, desto eher wird sich ihre Wahrnehmung der Grenzen einer Policy mit den objektiven Grenzen decken.

  107. 107.

    Kohäsion bedeutet nicht Kohärenz. Der Begriff verweist also nicht auf Widerspruchsfreiheit und Einheitlichkeit, sondern auf Zusammenhalt und Zusammenhang. Damit ist beispielsweise gemeint, dass sich eine als Policy identifizierte Ordnungskonstellation in sachlicher Hinsicht auf eine zusammenhängende öffentliche Angelegenheit bezieht, wobei weder über den Zuschnitt der Angelegenheit noch über den Zuschnitt der anvisierten Ordnungsvorstellungen Einigkeit bestehen muss. Die sachlichen Grenzen einer Policy liegen dort, wo Verweise auf andere öffentlichen Angelegenheiten beginnen. In sozialer Hinsicht meint Kohäsion sich aufeinander beziehende Interaktionen und Kommunikationen. Die sozialen Grenzen einer Policy markieren dementsprechend Bereiche verminderter Interaktions- bzw. Kommunikationsdichte. Räumliche Kohäsion meint die Identifizierbarkeit eines zusammenhängenden Policy-Raums und zeitliche Kohäsion den Charakter von Policies als zusammenhängende Geschehensabfolgen (vgl. ausführlicher die folgenden Abschnitte).

  108. 108.

    Dabei geht es hier um eine Plausibilisierung grundlegender, als konstitutiv erachteter sachlicher Referenzpunkte für die Beschreibung von sachlichen Policy-Profilen, aber nicht um die Entwicklung von Kriterien zur differenzierten Erfassung einzelner Policy-Elemente oder gesamthafter Policies, wie sie sich in deskriptiven Typologien der Policy- Analyse finden. Auf diese kann freilich für eine Differenzierung und Detaillierung der Analysen einzelner sachlicher Policy-Elemente oder der sachlichen Policy-Dimension insgesamt zurückgegriffen werden. Im Vergleich zu den mittlerweile sehr zahlreichen Systematisierungsvorschlägen zu Policy-Instrumenten (Howlett 1991; Linder/Peters 1989; Hood/Margetts 2007; Bemelmans-Videc/Rist/Vedung 2007; Vedung 2007; Braun/Giraud 2009) sind Typologien in Bezug auf Policy-Ziele (Howlett 2009a) und Policy-Probleme (Peters/Hoornbeek 2005; Rein 2006) weniger verbreitet.

  109. 109.

    Howlett (2009a) verweist darauf, dass sich Policy-Ziele (»ends«) und -Mittel (»means«) üblicherweise auf drei verschachtelten »levels of abstraction« entfalten und eine vertikal-hierarchische Struktur formieren, die sich auch auf Probleme übertragen ließe. Auf der höchsten Abstraktionsebene sind Policies durch allgemeine normative Festlegungen, sogenannte »policy aims« (wie etwa Bildungsgerechtigkeit im Bereich der Bildungspolitik) und übergeordnete Präferenzen in Bezug auf die Mittel der Umsetzung (»implementation preferences«, wie etwa staatliche Eingriffe, Selbstorganisation etc.) gekennzeichnet. Eine zweite Ebene umfasst Konkretisierungen bzw. Operationalisierungen dieser allgemeinen Festlegungen in Form von »policy objectives« und »policy tools«. Hierunter fallen problem- bzw. sachspezifische Zielsetzungen (wie etwa die Angleichung der Bildungschancen von Männern und Frauen als Ziel der Bildungspolitik) und generalisierte Instrumente (Informationskampagnen in Schulen und Ausbildungsbetrieben). Auf einer dritten Policy-Ebene (»on the ground«) kommt es zu einer nochmaligen Konkretisierung von Zielen (»policy targets«) und Maßnahmen (»policy tool calibrations«), also etwa zur Quantifizierung von Zielgrößen für spezifische Orte und Adressaten sowie zur kontext- und zielspezifischen Ausgestaltungen von Policy-Instrumenten. Aus einer Design-Perspektive gehe es nun darum, Ziele und Instrumente innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Ebenen unter Berücksichtigung ihrer »nestedness« aufeinander abzustimmen und zu harmonisieren: »Designing successful policies requires a model of policy tool choice which fully takes into account the multiple levels of policy elements or components as well as the interlinkages that exist across and between each > level < or > order < of policy and the need for these to be harmonized both within and across levels« (ebd.: 75). Wie andere Formen der auf einzelne Elemente bezogenen Differenzierung soll auch diese Ebenenunterscheidung nicht in den hier entwickelten konzeptionellen Kernbestand aufgenommen werden, sondern als zusätzliches Differenzierungsangebot für empirische Analysen im Bereich der konzeptionellen Hintergrundmusik verbleiben.

  110. 110.

    Damit soll das analytisch vermeintlich Selbstverständliche noch einmal betont werden: Der Erfolg von Policy (im Sinne der Realisierung oder auch nur der Annäherung an einen wie auch immer definierten Zustand relativer Ordnung) ist kein Definitionsmerkmal von Policy selbst. Als Policy können auch verfehlte, abgebrochene, unzureichende etc. politische Ordnungskonstellationen bezeichnet werden.

  111. 111.

    Es wird also angenommen, dass Policy-Maker regelmäßig auf Probleme, Ziele und Mittel rekurrieren und Policies als Problem-Ziel-Maßnahmen-Konstruktionen entwerfen, um ihr Handeln als eine Form des Handelns zu inszenieren, das den mit Policy im Allgemeinen verbundenen Ordnungserwartungen entspricht. Probleme, Ziele und Maßnahmen sind insofern regelmäßige und essentielle Bestandteile der policy-bezogenen Kommunikation und Interaktion von Policy-Akteuren als sie zur Aktivierung der mit Policy verbundenen Legitimationsquellen dienen (vgl. zur legitimatorischen Bedeutung der Rationalitätsfiktion von Policy auch Colebatch 2002: 63f., 128f.). Eine solche Lesart widerspricht dann auch nicht rationalitätskritischen Auffassungen, etwa solchen, die Policy-Making nicht mehr an Zielen und Problemen ausgerichtet, sondern einer »zeitorientierten Reaktivität« folgend sehen (Rüb 2008).

  112. 112.

    Feick und Jann eröffnen in ihrer Konzeptualisierung von Policy-Profilen die Möglichkeit mehr oder weniger starker Formalisierung von Policies (Feick/Jann 1988: 202).

  113. 113.

    Diese Doppelstruktur findet sich andeutungsweise auch bei Schneider und Ingram, die darauf verweisen, dass Policies »contain symbolic and interpretive dimensions that are as important as the instrumental aspects« (Schneider/Ingram 1997: 2); sowie bei Yanow, die in Abgrenzung zu etablierten, aber ihrer Auffassung nach irreführenden Unterscheidungen zwischen inhaltlicher und symbolischer Politik konzediert, dass »Policies […] are not either symbolic or substantive. They can be both at once« (Yanow 1996: 12). Selbst Policies, die von ihrer Ausrichtung her »purely instrumental« seien, hätten immer schon eine symbolische, interpretationsbedürftige Qualität, da sich ihre spezifischen Zwecke nur unter Rekurs auf symbolische Repräsentanten (Sprache, Artefakte, Handlungen) darstellen ließen und dementsprechend nicht unvermittelt, sondern nur auf dem Umwege der interpretativen Aneignung der entsprechenden symbolischen Repräsentanten zugänglich seien (ebd.). In einem gewissen Sinne reflektiert die Doppelstruktur auch eine Verbindung unterschiedlicher methodologischer Grundverständnisse von Policy und Policy-Analyse: Während positivistische Positionen Probleme und Problemlösungen als unzweideutige Entitäten einer objektiven Welt verstehen, akzentuieren post-positivistische Perspektiven die Interpretationsbedürftigkeit und damit die prinzipielle Subjektivität von Policy-Texten. Probleme und Problemlösungen sind demnach keine eindeutigen und objektiv bestimmbaren Konstellationen, sondern unterliegen immer schon sozio-kulturell gerahmten und subjektiv erzeugten (und daher potentiell mehrdeutigen) Interpretationen von Akteuren. Derweil betont die Doppelstruktur das Sowohlals-auch. Policies insgesamt wie auch einzelne Policy-Elemente verfügen demnach über materiell-objektive und subjektiv-sinnhafte Eigenschaften. Die von den beiden konkurrierenden Positionen jeweils akzentuierten Eigenschaften erscheinen in dieser integrativen Lesart als zwei aufeinander bezogene und miteinander vermittelte Ebenen ein und derselben komplexen Konstellation, die Policy genannt wird.

  114. 114.

    Eine alternative Konzeptualisierung der Weltbezüge von Policy findet sich bei Majone (1980: 158). Unter Rückgriff auf Poppers Drei-Welten-Lehre begreift er Policies bzw. den »policy space« (vgl. hierzu eingehender 3.2.3.5) als Ausschnitt (»subset«) der Welt 3. Dabei handelt es sich im Unterschied zur Welt 1, die sich auf objektive physikalische Gegenstände bezieht und die individuelle Bewusstseinszustände umfassende Welt 2 um die Welt objektiver kultureller Artefakte und Gedankeninhalte. Mit der Konzeptualisierung von Policy als Ausschnitt von Welt 3 möchte er das Auftreten von »unplanned consequences« menschlichen Handelns im policy space – Verkehrschaos, Umweltverschmutzung, Inflation -, als Ausdruck eigendynamischer Policy-Entwicklungen qualifizieren. Die Zuordnung von Policy zu einer eigenen und mehr oder weniger abgeschlossenen Welt kultureller Erzeugnisse firmiert also als Ansatz für die Erklärung eigendynamischer Fortentwicklungsprozesse von Policies (»policy development«) analog zu anderen eigendynamischen Prozessen der Welt 3 (Entwicklung wissenschaftlicher Theorien) und alternativ zu etablierten, akteurorientierten »second world«-Ansätzen (ebd.). »Policy development« sei demnach weniger durch objektive physikalische Dispositionen (Welt 1) und von Akteuren (Welt 2) bestimmt als vielmehr durch die eigendynamische Entwicklung Welt 3. Die von Majone vorgenommene Zuordnung von Policy zur Welt 3 wird hier aus drei Gründen abgelehnt. Zum einen erscheint die Kennzeichnung von »unplanned consequences« und damit jener Erscheinungen, die den »policy space« dynamisieren, als Elemente der Welt 3 kaum überzeugend. Jedenfalls handelt es sich bei den von ihm genannten Beispielen um Erscheinungen, die zumindest anteilig der Welt 1 zuzuordnen wären. Ferner ist die Annahme problematisch, dass sich »policy development« weitgehend unabhängig von Akteuren als eigendynamische Entwicklung verobjektivierter Policy-Strukturen in Welt 3 darstellt. Zwar wird nicht bestritten, dass die von Majone angeführten »unplanned consequences« erhebliche dynamisierende Effekte auf die Entwicklung von Policies haben können. Aber es ist wenig plausibel, diese Effekte ohne eine physikalische Welt 1 und ohne Akteure (Welt 2) als Transmissionsriemen zu denken. Schließlich weist Poppers Drei-Welten-Lehre, wie etwa von Habermas (1995: 114ff.) aufgezeigt worden ist, selbst Probleme auf. Mit Blick auf das Vorhaben einer Konzeptualisierung von Policy wird hier insbesondere der Charakter der Welt 3 als unabhängiger objektiver Geist abgelehnt (ebd.: 117). Demgegenüber wird im Folgenden eine Konzeptualisierung dreier Welten zugrunde gelegt, die Habermas in der Einleitung zu seiner »Theorie des kommunikativen Handelns« andeutet. Noch vor seiner kritischen Auseinandersetzung mit Popppers Drei-Welten-Lehre unterscheidet er dort eine objektive, eine soziale und eine subjektive Welt. Dabei markieren die objektive und die subjektive Welt Bezugspunkte der sachlichen Dimension von Policy, während die soziale Welt den Bezugsraum für die Konzeptualisierung der sozialen Policy-Dimension darstellt, die Gegenstand des folgenden Abschnitts ist (3.2.3.3).

  115. 115.

    Dabei ist auch hier die oben (»Policy Scope«, 3.2.3.1) eingeführte Unterscheidung zwischen der Policy-Ebene und der Ebene operativer, unmittelbar auf die physische Welt bezogener Handlungen zu beachten. Die objektiv-materielle Policy-Ebene bezieht sich demnach nicht auf die physische Materialität von Problemen und Problemlösungen im Sinne stofflich-energetischer Wirkungszusammenhänge selbst, sondern auf eine kulturell (re)produzierte Policy- Materialität in Form von Artefakten (zum Beispiel aufgeschriebene Berichte über Probleme).

  116. 116.

    Der Begriff der Subjektivität unterstellt folglich nicht, dass der Prozess der Bedeutungszuschreibung als vollständig individualisiert zu denken ist. Interpretation kann vielmehr auch sozial vermittelt sein (vgl. hierzu die Erörterung der sozialen Policy-Dimension im folgenden Abschnitt) und dementsprechend auf kollektiven Deutungsmustern beruhen. Subjektivität meint indes, dass die letzte Stufe im Prozess der interpretativen Aneignung von Welt durch ein (sozial kontextualisiertes Subjekt) vollzogen werden muss; Bedeutungen sind das (subjektive) Ergebnis kollektiver und individueller Konstruktionsleistungen.

  117. 117.

    So kann ein spezifischer Policy-Text nicht nur von verschiedenen Akteuren, sondern auch von ein und demselben Akteur zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden.

  118. 118.

    »[S]taatliche Programme«, schreibt Scharpf (2000: 34), »[werden] normalerweise nicht von einem unitarischen Akteur produziert, der über alle benötigten Handlungsressourcen verfügt und dessen Interesse sich ausschließlich auf das Gemeinwohl richtet. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass sie das Produkt strategischer Interaktionen zwischen mehreren oder einer Vielzahl politischer Akteure sind, von denen jeder ein eigenes Verständnis von der Natur des Problems und der Realisierbarkeit bestimmter Lösungen hat, und die weiter mit je eigenen individuellen und institutionellen Eigeninteressen sowie normativen Präferenzen und eigenen Handlungsressourcen ausgestattet sind« (ebd.).

  119. 119.

    Vgl. zum Begriff der sozialen Welt in Abgrenzung zur objektiven und subjektiven Welt erneut Habermas 1995: 84.

  120. 120.

    Der Begriff des Policy-Subsystems wird in der Literatur in einer engen und einer weiten Variante verwendet. Im weiten Sinne fungiert er, neben anderen – Colebatch spricht auch von »policy collectivity« (Colebatch 2002: 33ff.) -, als Sammelbegriff für eine Reihe von Konzeptionen, die eine Erweiterung des klassischen gouvernementalen Blicks auf nicht-staatliche Akteure und deren Einflussnahme auf die Formierung von Policy markieren. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich Policy-Making in mehr oder weniger umfassenden und komplexen Arrangements aus staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren vollzieht, welche je nach theoretischer Perspektive als »iron triangles«, »sub-government«, »policy network«, als »issue network« oder als »policy community« bezeichnet werden (vgl. hierzu Colebatch 2002: 34ff.; Atkinson/Coleman 1992). Jenseits konzeptioneller Differenzen in Bezug auf den Mechanismus des inneren Zusammenhalts – mal geht es um Macht und Interessen, mal um funktionale Interdependenzen, mal um Identifikation mit einer Gemeinschaft – ergeben sich Unterschiede vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Policy-Subsysteme sowie hinsichtlich ihrer Dynamik: Während frühe Konzeptionen (»subgovernment« und »iron triangles«) auf die Bedeutung besonders stabiler und machtvoller Arrangements aus gesellschaftlichen Interessengruppen, Verwaltungseinrichtungen und parlamentarischen Ausschüssen, die ganze Politikbereiche dominieren, verweisen, reflektieren spätere Konzeptionen empirische Beobachtungen, wonach in einzelnen Politikbereichen weitaus weniger verfestigte, heterogenere und weniger machtvolle »issue networks« vorherrschen, die stärker themenbezogen organisiert sind (Howlett/Ramesh/Perl 2009: 81f.). Hier lässt sich auch die enge Verwendung des Begriffs als spezifisches Konzept in Paul Sabatiers »advocacy coalitions framework« einordnen. Sabatier schlägt den Begriff dezidiert als Erweiterung zu älteren Konzepten vor, die die Analyse des Policy-Making auf einzelne öffentliche Organisationen oder auf umfassendere »iron triangles« auf ein und derselben Ebene des Regierens beschränken. Gegenüber diesen Konzeptionen umfassten Subsysteme zum einen auch andere Akteure, wie Journalisten, Wissenschaftler und Policy-Analysten, denen eine wesentliche Bedeutung bei der Entwicklung, Verbreitung und Bewertung von Policy-Ideen zukommt sowie zum anderen Akteure aller politischer Ebenen, die an der Politikformulierung und -umsetzung beteiligt sind (Sabatier/Jenkins-Smith 1999: 119). In einer nochmals anderen Akzentuierung verwendet Kay (2006: 10) den Begriff zur Kennzeichnung eines Ausschnitts eines umfassenderen (sektoralen) Policy- Systems (vgl. auch die Ausführungen zu »Policy Scale« in 3.2.3.6).

  121. 121.

    Diese Abgrenzung deckt sich mit der Konzeptualisierung von Sabatier. Danach besteht ein Policy-Subsystem (im engeren Sinne) aus jenen Akteuren, »who are actively concerned with a policy problem or issue […] and who regularly seek to influence public policy in that domain« (Sabatier/Jenkins-Smith 1999: 119). Vgl. hierzu auch die Rede von »primären Akteuren« bei Scharpf (2000: 127).

  122. 122.

    Policy-Akteure gehören in diesem Sinne nicht zum festen Inventar einer Policy. Die Policy-Interaktionsarena »besteht« also nicht im eigentlichen Sinne aus Policy-Akteuren. Vielmehr umfasst sie die für eine Policy kennzeichnende Akteurstruktur sowie die sozialen Interaktionen, die das Schreiben und Lesen von Policies bedingen. Zwar sind Akteure nicht unbedingt an eine spezifische Policy-Arena gebunden, sie fluktuieren allerdings auch nicht völlig frei zwischen unterschiedlichen Arenen. Neben institutionellen Beschränkungen sind es auch Spezialisierungserfordernisse und die damit verbundenen Ressourcen-, Informations- und Wissensgrenzen, die Akteure an spezifische Policy- Arenen binden (Sabatier/Jenkins-Smith 1999: 119).

  123. 123.

    Colebatch spricht in Bezug auf die institutionellen Möglichkeiten und Grenzen der Inklusion von Akteuren in die Policy-Arena von unterschiedlichen themenspezifischer »degrees of permeability« (Colebatch 2002: 45). Dabei ist der Kontext selbst nicht als objektiv gegebene und unveränderliche Struktur zu denken, die aus sich selbst heraus Wirkung auf die Interaktionsarena entfaltet; er ist vielmehr an die Akteure gebunden. Sie sind es, die den Kontext (bzw. bestimmte Ausschnitte des Kontexts) einer Policy aktivieren. Unterschiedliche Akteure können dabei auf unterschiedliche politisch-institutionelle Kontexte rekurrieren und diese selbst zum Gegenstand des Policy-Making machen, etwa um die Zugangsbedingungen für Akteure zur Policy-Arena oder deren Spielregeln zu verändern.

  124. 124.

    Diese Konzeptualisierung korrespondiert mit etablierten Ansätzen, die sich auf die Erklärung des Zugangs von Akteuren zu einer Policy-Arena beziehen (Schneider 2009: 195ff.): So gehen tauschtheoretische Perspektiven davon aus, dass jene Akteure am Policy-Making beteiligt werden, die wichtige Beiträge zur Reproduktion und Erhaltung des Systems bzw. zur Lösung eines Problems leisten. Institutionalistische Perspektiven unterstellen indes, dass die Partizipation von Policy-Akteuren durch die »institutionelle Formalstruktur« eines politischen Systems definiert ist (ebd.: 195). Davon abweichend identifiziert Colebatch (2002: 25ff.) drei Referenzkriterien für die Identifikation von Policy-Partizipanten bzw. deren Aufnahme in eine Policy-Arena: »authority«, »expertise« und »order«. Dabei handelt es sich gleichsam um allgemein anerkannte Legitimationsgrundlagen für die Teilnahme an einem Policy-Prozess bzw. um jene Funktionsversprechen und Kompetenzerwartungen, die bei der Zuschreibung der Rolle als Policy- Akteur argumentativ ins Feld geführt werden.

  125. 125.

    Der Begriff bezieht sich hier auf eine von Schneider (2009: 196) vorgeschlagene Typologie, die er durch Kreuztabel- lierung der beiden in Fn. 210 angeführten theoretischen Perspektiven auf den Zugang von Policy-Akteuren zu einer Policy-Arena generiert. Danach lassen sich vier Akteurtypen unterscheiden: (1) Akteure mit einer funktionellen und institutionellen Basis; (2) Akteure ohne funktionelle oder institutionelle Basis; (3) Akteure mit funktioneller, aber ohne institutionelle Basis und (4) Akteure mit institutioneller, aber ohne funktionelle Basis.

  126. 126.

    Nach ihrer Eigenstruktur lassen sich Policy-Akteure etwa in individuelle und komplexe Akteure unterscheiden. Dabei sind komplexe Akteure aus individuellen Akteuren zusammengesetzte Handlungsverbünde, denen im Unterschied zu bloßen Akteur-Aggregaten, die Absicht zugeschrieben werden kann, gemeinsam zu agieren (Scharpf 2000: 100f.; Schneider 2009). Hierzu gehören zum einen kollektive Akteure, deren Präferenzen und Handlungen von ihren (individuellen) Mitgliedern weitgehend abhäng sind bzw. unmittelbar kontrolliert werden, und korporative Akteure, die sowohl hinsichtlich ihrer Ziele als auch hinsichtlich ihrer Handlungsoptionen über ein hohes Maß an Unabhängigkeit gegenüber ihren (individuellen) Mitgliedern verfügen (Scharpf 2000: 101f.).

  127. 127.

    In funktionaler Hinsicht grundlegend ist zunächst die Unterscheidung zwischen Produzenten (»Policy-Maker«) und Empfängern bzw. Adressaten von Policies (»Policy-Taker«) (Schneider/Ingram 1997; Colebatch 2002: 36). Dabei können Policy-Adressaten mit Blick auf die Abgrenzung von Policies nach außen (s. oben »Policy Scope«) nur hinsichtlich ihrer (direkten oder indirekten) Bedeutung für die Formierung kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf mittlerer Ebene einer Policy-Arena zugerechnet und damit als Policy-Akteure bezeichnet werden, nicht aber in Bezug auf die ihnen zugeschriebene Funktion, Policies in operative Handlungen »on the ground« zu übersetzen. Ebenfalls in funktionaler Hinsicht differenziert Colebatch zwischen Akteuren, die über die Möglichkeit der autorisierten Entscheidung verfügen (»authorized decision-makers« bzw. »policy makers« im engen Sinne) und »policy participants«, die außerhalb einer hierarchischen Autorität in Verhandlungen am Policy-Prozess teilnehmen (ebd. 2002: 25). In eine ähnliche Richtung geht die Unterscheidung zwischen Akteuren, die über »vote« verfügen von solchen die nur auf »voice« als Handlungsoption zurückgreifen können (Howlett/Ramesh/Perl 2009: 140). Policy-Akteure werden überdies hinsichtlich ihrer spezifischen Aufgabe(n) für das Policy-Making differenziert. Bezugspunkt hierfür bildet meist ein an einem Modell rationaler politischer Problembearbeitung orientierter idealisierter Funktionskatalog, der die Zuordnung von Akteuren zu spezifischen Teilaufgaben wie Problemdefinition, Thematisierung, Politikformulierung und Implementation erlaubt (Schneider 2009). Ebenfalls in funktionaler, jedoch gesellschaftstheoretischer Hinsicht lassen sich Policy-Akteure nach ihrer Zugehörigkeit zu funktional spezialisierten und organisatorisch ausdifferenzierten gesellschaftlichen Bereichen unterscheiden. Grundlegend ist hier zunächst die Differenz zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren bzw. Organisationen (ebd.: 196). Während staatliche Akteure als Mitglieder der politischen (Zentral-)Organisation Staat unmittelbar an der Erfüllung politischer Funktionen beteiligt sind, bezieht sich die Aggregationskategorie »gesellschaftliche Akteure« auf Akteure, die, in unterschiedlichen Identitäts- und Rollenausprägungen, einem oder mehreren, in Bezug auf ihre Leistung für die Gesellschaft spezialisierten und hinsichtlich der vorherrschenden Handlunglogiken ausdifferenzierten, organisatorischen Großbereichen der Gesellschaft – Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung etc. – angehören. Eine dritte Kategorie umfasst Policy-Akteure, die dem sogenannten intermediären Bereich zuzurechnen sind. Sie nehmen eine Vermittlungsstellung bzw. Schnittstellenfunktion – Niklas Luhmann spricht hier von »Zulieferungsdiensten« (Luhmann 2000: 245) – zwischen dem Organisationsbereich Staat und den genannten gesellschaftlichen Großbereichen ein.

  128. 128.

    Der Begriff der Akteurkonstellation wird hier in einem allgemeinen Sinne zur Kennzeichnung der Stellung von Akteuren zueinander verstanden (Schneider/Janning 2006: 68), nicht in der spezifischen spieltheoretischen Interpretation von Scharpf, der Akteurkonstellationen als Spiele und Auszahlungsmatrizes konzipiert (Scharpf 2000: 123).

  129. 129.

    Hier deutet sich im Übrigen an, dass die Akteurkonstellation durch die sachliche Dimension einer Policy vorstrukturiert wird (s. auch unten »Synopse«, Abschnitt 3.2.3.7): Die Stellung von Akteuren in der Interaktionarena ist zumindest in einigen Ansätzen eine Funktion ihres subjektiven Überzeugungen und Wahrnehmungen in Bezug auf die ordnungsbedüftige Angelegenheit. So gelten bei Sabatier etwa nicht die politikfeldübergreifenden »deep core beliefs«, sondern vielmehr sekundäre »policy beliefs« als Momente der Koalitionsformierung.

  130. 130.

    Dem liegt die Annahme zugrunde, dass unterschiedliche institutionelle Kontexte in unterschiedlichem Maße geeignet sind, bestimmte Interaktionsformen zu stützen (Scharpf 2000: 92).

  131. 131.

    So unterstreichen Eberlein und Grande, dass in allen Phasen des Politikprozesses entschieden wird, nicht nur in der Phase, in der es um die abschließende verbindliche Festlegung kollektiv verbindlicher Maßnahmen geht (Eberlein/Grande 2009: 131; Schimank 2005a).

  132. 132.

    Das wird schon daran deutlich, dass nicht alle Policy-Akteure über »vote«, sondern mitunter nur über »voice« verfügen (Howlett/Ramesh/Perl 2009: 140).

  133. 133.

    In den Ausführungen von Howlett et al. (2009: 83ff.) – insbesondere in der graphischen Aufbereitung derselben – wird allerdings nicht deutlich, ob die discourse community und das policy network zusammen das Policy- Subsystem ausbilden oder ob das policy subsystem mehr als die Summe dieser beiden Teile ist. Die innere Struktur einer discourse community lässt sich anhand der Anzahl der unterscheidbaren bzw. konkurrierenden Diskurse und der Existenz bzw. Nicht-Existenz eines dominanten Diskurses als »hegemonic«, »fractious«, »contested« oder »chao- tic« charakterisieren (ebd.: 85). Derweil kann das entscheidungsbezogene policy network mit Blick auf die Anzahl der Akteure und die Art des dominanten Akteurs als »state corporatist«, »state pluralist«, »social corporatist« oder »social pluralist« beschrieben werden (ebd.).

  134. 134.

    Während die vertikale Dimension die Bedeutung autorisierter Entscheider und institutionalisierter Entscheidungspunkte betont, erweitert die horizontale Dimension den Blick auf Partizipanten, die auf Policies einwirken (Colebatch 2002: 38ff.): »In the vertical dimension policy is made when the authorized decision-maker gives assent, so attention is focused on the ministerial office, the cabinet room, the parliament. In the horizontal dimension, policy emerges from a complex set of relationships among participants, marked as much by continuity and ambiguity as by clear choices, so it is hard to identify a point at which policy is > made < « (ebd.: 47).

  135. 135.

    Siehe Kay 2006; Baumgartner/Jones 2002; Pierson 2004; Rose 1976; Bardach 2006. Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen Zeit als abhängige und Zeit als unabhängige Variable bei Howlett 2009b: 246f.

  136. 136.

    Vgl. hierzu auch die von Colebatch unterschiedenen Lesarten von Policy als »object«, das sich in einem »formal statement« manifestiert und Policy als »process which begins long before the formal statement, goes on long after it has been proclaimed and may not be accompanied by a formal statement at all« (Colebatch 2002: 111).

  137. 137.

    Im Einzelnen unterscheidet Lasswell (1956; 1971b, vgl. ferner Jann/Wegrich 2009: 80; Howlett/Ramesh/Perl 2009: 11): (1) »intelligence« im Sinne einer Sammlung und Selektion von Informationen; (2) »promotion« als Entwicklung und Beförderung von Problemlösungsalternativen; (3) »prescription«, also die verbindliche Auswahl einer Option durch Entscheidungsträger; (4) »invocation« als Festlegung von Sanktionsmaßnahmen; (5) »application« als Umsetzung in der Verwaltung und den Gerichten; (6) »termination«, also die Beendigung einer Policy und schließlich (7) »appraisal« im Sinne einer Bewertung der tatsächlichen Erfolge. Vgl. ferner.

  138. 138.

    Bei der Weiterentwicklung des Modells wurde insbesondere die Output-Seite stärker ausdifferenziert. So wird nunmehr zwischen den programmatischen Ergebnissen (Outputs), den Wirkungen bei den Adressaten (Impacts) und den Auswirkungen auf Systemebene (Outcomes) unterschieden (Jann/Wegrich 2009: 82ff.).

  139. 139.

    Mit Blick auf die vom Herausgeber selbst ausgemachte Prominenz und Verbreitung (Sabatier 2007a: 11) des mittlerweile in erweiterter Form erschienenen Sammelbandes von Sabatier wird davon ausgegangen, dass dieser die zurzeit wesentlichen Konzeptualisierungen des Policy-Prozesses erschöpfend abbildet bzw. dass es sich bei den im Sammelband zusammengestellten Theorien, Frameworks und Modellen – vgl. zu dieser Unterscheidung (Sabatier 2007a: 5; Schlager 2007) sowie Abschnitt 3.3.1 – um die den konzeptionellen Diskurs maßgeblich prägenden Ansätze handelt.

  140. 140.

    Durch die Ausweisung des entsprechenden Kapitels als Einleitung und dessen Platzierung vor die Einzelbeiträge zu den vermeintlichen Alternativansätzen kann der Eindruck entstehen, dass deren Autoren Sabatiers Kritik am policy-Zyklus teilen und ihre eigenen Ansätze aus einem kritischen Impetus gegenüber Phasenmodellen heraus verfasst haben. In den Beiträgen selbst finden sich indes kaum kritische Bezugnahmen auf den Policy-Zyklus. Manche Ansätze werden sogar dezidiert der Phasenheursitik zugeordnet (s. unten), weshalb man Sabatier unterstellen könnte, die von ihm präsentierten Ansätze für seine eigene Kritik zu instrumentalisieren.

  141. 141.

    Der MSA unterstellt die Existenz dreier weitgehend unabhängiger und eigendynamischer Ströme, die durch das politische System fließen: Der »problem stream« besteht aus objektiven Bedingungen und Ereignissen, die von politischen Akteuren als Probleme erkannt, ausgewiesen und definiert werden. Der »policy stream« umfasst politikfeldspezifische oder -übergreifende Ideen, Konzepte und Wissensbestände zur Bearbeitung und Lösung politischer Probleme. Der »politics stream« bündelt macht- und interessenpolitisch relevante Zustände und Ereignisse wie nationale Stimmungen und Stimmungsumschwünge, Kampagnen und Aktivitäten von Interessengruppen sowie Wahlzyklen (Zahariadis 1999: 76f.). Das zentrale theoretische Argument ist, dass es zur Formulierung einer Policy bzw. zum Wandel einer Policy dann kommt, wenn sich (a) ein Gelegenheitsfenster im »problem stream« (z.B. infolge besonderer Ereignisse) oder im »politics stream« öffnet (z.B. durch Regierungswechsel nach Wahlen) und (b) das Gelegenheits- fenster von sogenannten »policy entrepreneurs« zur Verkoppelung der drei Ströme genutzt wird, um bestimmte Policies bzw. Policy-Optionen durchzusetzen (Zahariadis 2007: 72ff.; Rüb 2009: 361f.).

  142. 142.

    Die Rede von einem »policy stream« täuscht leicht darüber hinweg, suggeriert sie doch, dass eine Policy selbst stromförmig sei und entsprechend als fließendes Objekt gedacht werden müsse. Das Bild beschreibt bei näherem Hinsehen allerdings nicht die Eigenschaft einer Policy als Strom, sondern bezieht sich auf eine stromförmige Konfiguration von Policies im System. So ist es ein Strom aus Policies (im engen Sinne von Ideen und Konzepten), der durch das System fließt.

  143. 143.

    »The ACF is interested in policy change over a decade or more« (Sabatier/Weible 2007: 192). In den hier angeführten Beiträgen bleibt das Explanandum konzeptionell vage. Dazu trägt auch bei, dass die Konzepte »policy change« und »policy process« synonym und mitunter in einer zusammengesetzten Variante als »process of policy change« verwendet werden (Sabatier/Jenkins-Smith 1999: 118). Begriffliche Klarheit in Bezug auf den im Buchtitel angekündigten Erkenntnisgegenstand (»the policy process«) wird auch nicht etwa durch eine Definition im Einführungskapitel geschaffen. Was unter »policy process« verstanden werden kann, wird erst im zusammenfassenden Kapitel von Edella Schlager expliziert (Schlager 1999, vgl. auch Fn. 236).

  144. 144.

    Dabei umfasst ein komplexes »belief system« drei Ebenen: (1) mehrere Subsysteme übergreifende, sehr fundamentale, wertbezogene und daher kaum transformierbare »deep core beliefs«; (2) auf die spezifischen Probleme und Konstellationen eines Policy-Subsystems bezogene, gleichwohl noch tief verankerte und daher immer noch verände- rungsresistente »policy core beliefs« sowie (3) auf einzelne Themen- bzw. Programmaspekte bezogene, eher instrumentelle und vergleichsweise leicht transformierbare »secondary beliefs« (Sabatier/Weible 2007: 194ff.).

  145. 145.

    In Kurzform lässt sich das Erklärungsmodell wie folgt zusammenfassen: Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Policy-Akteure danach streben, ihre jeweiligen »belief systems« in »actual policies« zu übersetzen (Sabatier/Weible 2007: 196). Zur Verbesserung ihrer Durchsetzungschancen bilden Akteure, so die weitere Annahme, Koalitionen (»advocacy coalitions«), in denen sie Ressourcen bündeln und kollektive Handlungsstrategien auf den Weg bringen (ebd.: 192, 196). Die Koalitionsbildung vollzieht sich, so die These, auf der Grundlage kompatibler bzw. gleicher »policy core beliefs« (ebd.: 196, vgl. Fn. 230). Die in »governmental programs« sich manifestierenden »actual policies« (Sabatier/Jenkins-Smith 1999: 122) lassen sich dann als Ergebnisse der in einem Policy-Subsystem aktiven, um Ressourcen und Aufmerksamkeit konkurrierenden »advocacy coalitions« und deren spezifischer Handlungsstrategien – zu unterscheiden sind hier Regelformulierungen, Budgetzuweisungen, Personaldispositionen, Informationen – begreifen (ebd.). Phänomene des Policy-Wandels werden entsprechend als Folge unterschiedlich gelagerter und tiefgreifender Veränderungen der »belief systems« von Policy-Akteuren und den damit verbundenen Transformationen der Advocacy-Koalitionen einschließlich der durch diese formierten Macht- bzw. Ressourcenverhältnisse gesehen (Sabatier/Weible 2007: 198). Dabei werden im Wesentlichen vier (empirisch beobachtbare) Mechanismen (»critical paths«) des Wandels von Policies unterschieden (ebd.: 198f., 204ff.): (1) »policy learning«, dessen transformative Effekte sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Ebene von »secondary beliefs« beziehen und dementsprechend nur geringfügigen Policy-Wandel (»minor changes«) über längere Zeit hervorrufen; (2) »external shocks«, also Veränderungen in den externen Kontextbedingungen, durch die auch »major changes« über kurze Zeiträume angestoßen werden können; (3) »internal shocks«, das sind innerhalb des Subsystems auftretende, also etwa von Policy-Akteuren angestoßene Ereignisse, welchen ebenfalls ein Potential zugeschrieben wird, »major changes« auszulösen; (4) »negotiated agreements«, womit Formen der (alternativen) Konfliktregelung angesprochen sind, durch die, unter bestimmten Bedingungen, »policy beliefs« konfligierender Akteurkoalitionen transformiert und ein »major policy change« herbeigeführt werden kann.

  146. 146.

    Auch hier – und darauf verweist schon das Konzept des Policy-Subsystems – wird von einem systemischen Grundverständnis ausgegangen, das von seiner Grundstruktur her an die Easton’sche Konzeption erinnert. Wie beim MSA kann der grundlegende Anspruch des ACF in einer differenzierten Konzeptualisierung der Mechanismen innerhalb der Blackbox des Entscheidungssystems gesehen werden.

  147. 147.

    Man könnte also sagen, dass Sabatiers Konzeptualisierung der Zeitlichkeit von Policy einer um Feedback Loops erweiterten Variante eines (zyklischen) Phasenmodells entspricht.

  148. 148.

    Ublicherweise würden Themen parallel zueinander, das heißt in auf einzelne Bereich fokussierten Policy- Subsystemen bearbeitet, die außerhalb des Aufmerksamkeitsbereich von »high politics« liegen und allenfalls durch inkrementellen Wandel gekennzeichnet seien (True/Jones/Baumgartner 2007: 158). Voraussetzung für einen »major policy change« in einem Subsystem, also für den Übergang von einem inkrementellen hin zu einem radikalen Wandel, ist die punktuelle Durchbrechung dieses Musters der parallelen Problembearbeitung auf der Ebene der Subsysteme durch die selektive Überführung eines Themas in den Modus sequentieller Problembearbeitung auf der makropolitischen Ebene des Kongresses und der präsidentiellen Administration. Tiefgreifender Wandel in einem spezifischen Subsystem wird also dann möglich, wenn ein Thema aus diesem Subsystem heraus auf die »macropolitics agenda« gehoben wird bzw. wenn »high politics« in ein Subsystem interveniert und die hier bearbeiteten Themen zu »high profile issues« macht; genauer: wenn die als »policy monopoly« bezeichnete Gleichgewichtssituation in einem entsprechenden Subsystem durch das Einwandern von Policy-Akteuren in bestehende Akteurkonstellationen und die damit verbundene Veränderung bestehender Machtstrukturen und policy images aufgebrochen wird (ebd.: 159ff.).

  149. 149.

    Schlagers ursprüngliche Kennzeichnung des Agenda Setting als abhängige Variable (1999: 254) erscheint indes nicht zutreffend; sie wurde in der zweiten Auflage durch die Rede von »patterns of decision« als Explanandum ersetzt (ebd. 2007: 297). Das deckt sich auch mit einer neueren Selbstbeschreibung des Ansatzes der Autoren, wonach »the explanation […] can be found in the processes of Agenda Setting« (True/Jones/Baumgartner 2007: 158, Hervorhebung B.B.). Agenda Setting erscheint hier wenn nicht selbst als Explanans, so doch als Ort für die Suche nach Erklärungsfaktoren, jedenfalls nicht als Explanandum.

  150. 150.

    Der Titel des Sammelbands und Sabatiers die einführende Kritik von Sabatier an der Phasenheuristik suggerieren, dass die präsentierten Alternativansätze selbst als eigenständige Konzeptualisierungen des Policy-Prozesses zu verstehen sind. Bei genauerem Hinsehen lassen die meisten Analyseansätze indes eine andere, engere Fokussierung erkennen. Anders als die Phasenheuristik, welche die Zeitlichkeit einer Policy insgesamt bzw. Policy als zeitlich strukturierte Entität konzipiert, fokussieren die Alternativansätze auf die Formierung und den Wandel von Policies (vgl. hierzu Schlager 1999 sowie im Sinne einer Kritik an Sabatiers Kritik auch deLeon 1999: 26ff.). Sie zielen damit auf die Erfassung und Erklärung bestimmter begrenzter dynamischer Momente, aber nicht auf die Konzeptualisierung des Policy-Prozesses in einem ähnlich umfassenden Sinn (von Anfang bis Ende) wie die Phasenmodelle. Diese reduzierte Reichweite der Alternativansätze deutet sich schon bei der Formulierung der Kriterien an, die Sabatier für die Auswahl von möglichen Alternativansätzen in Anschlag bringt. So heißt es hier unter anderem: »Each theory must be a positive theory seeking to explain much of the policy process« (Sabatier 1999a: 8, 2007a: 8). Die von Sabatier identifizierten Alternativansätze erfüllen dieses gegenüber dem umfassenderen Anspruch des Buchtitels – dieser lautet bekanntlich nicht: »Theories of much of the Policy Process« – reduzierte Kriterium zwar mehr oder weniger gut, indem sie Erklärungen für die Formulierung und den Wandel von Policies bereit halten. Sie präsentieren aber keine alternativen Konzeptualisierungen zur umfassenden Beschreibung der Zeitlichkeit von Policies insgesamt. Begrifflich manifestiert sich die gegenüber dem Buchtitel vorgenommene Umakzentuierung überdies in einer fast durchgehenden Umstellung von »policy process« auf »policy change« in den Einzelbeiträgen – auch in dem von Sabatier propagierten ACF (vgl. oben). Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass sich weder im Einführungskapitel noch in einem der Beiträge zu den Alternativansätzen allgemeinere Definitionen zu »policy process« oder »policy change« finden – geschweige denn eine Klärung des Verhältnisses der beiden Konzepte vorgenommen wird. Zwar liefert Schlager in ihrem vergleichenden Beitrag eine Definition von »policy process« nach, allerdings als »policymaking process«. Dieser würde gemeinhin verstanden als »an unfolding of actions, events, and decisions that may culminate in an authoritative decision, which, at least temporarily, binds all within the jurisdiction of the governing body« (Schlager 1999: 233, 2007: 293). Auf der Grundlage dieser Definition kommt Schlager zu der Einschätzung, dass (fast) alle Beiträge in der Tat als Ansätze zur Erklärung größerer oder kleinerer Ausschnitte des »policymaking process« verstanden werden könnten. Ohne eine ähnliche begriffliche Aufklärung konzediert Schlager ferner, dass drei der Ansätze (ACF, MSA und PET) auch »policy change« erklären könnten (ebd. 1999: 251f.). Insgesamt bleibt der Eindruck zurück, dass das Explanandum weder eindeutig benannt- »policy process«, »policy change«, »process of policy change« oder »policymaking process«? – noch konzeptionell ausreichend spezifiziert ist.

  151. 151.

    Zu nennen sind hier vor allem die Akzentuierung von Chaos und Kontingenz im MSA, die von der PET betonte Unstetigkeit, also der Übergang zwischen stabilen und dynamischen Perioden, der mit einem Wechsel negativer und positiver Rückkoppelungsmechanismen korrespondiert sowie die im ACF herausgestellten Feedback Loops und die Zyklizität von Policy-Dynamiken.

  152. 152.

    In Bezug auf die Konzeptualisierung von Zeitlichkeit erscheint die Gruppe der Alternativansätze mithin nicht nur als uneinheitliche Gruppe, sondern gegenüber der Gruppe der klassischen Phasenmodelle auch als Gruppe von uneigentlichen Alternativansätzen – uneigentlich einmal mit Blick auf die Andersartigkeit der Fragen bzw. des Erkenntnisinteresses – hier: die Beschreibung von Policy als Prozess und dort: die Erklärung von Policy-Dynamiken; uneigentlich überdies insofern, als die Gruppe der Alternativansätze durchaus im konzeptionellen Gerüst des Phasenmodells verankert bleibt und damit dessen Geltungsanspruch untermauert.

  153. 153.

    Der Fokus liegt also dezidiert auf der Beschreibung und nicht auf der Erklärung der Zeitlichkeit einer Policy. Dementsprechend werden explanativ-orientierte Figuren der Konzeptualisierung von Policy-Zeit wie etwa negative und positive Rückkoppelungsschleifen und Pfadabhängigkeiten hier nicht thematisiert (vgl. dazu Kay 2006; Pierson 2000, 2004; Bardach 2006).

  154. 154.

    Das vierte Kriterium der »zeitlichen Verortung«, das sich auf den historisch-situativen Kontext, nicht aber auf die Eigenzeitlichkeit eines (Policy-)Prozesses bezieht, bleibt hier außen vor.

  155. 155.

    Dabei soll zweierlei in Erinnerung gerufen werden: Erstens legt die konzeptionelle Entkoppelung von Policy und Policy-Erfolg (s. oben Fn. 196 sowie 3.2.3.2) nahe, dass auch die Bestimmung der Dauer eines Policy-Prozesses nicht an das Eintreten eines bestimmten Politikergebnisses gebunden ist. Mit anderen Worten: Da weder die tatsächliche Realisierung eines spezifischen Ordnungszustands noch auch nur die Annäherung an einen solchen definitorische Merkmale von Policy sind, kann auch die Dauer eines Policy-Prozesses nicht an der Realisierung eines tatsächlichen Zustand der Ordnung gemessen werden. So ist (a) denkbar, dass Policy-Prozesse gleichsam »unterwegs« in Richtung eines Zustands relativer Ordnung »auf der Strecke bleiben« oder frühzeitig terminiert werden, etwa wenn sich in einer spezifischen Phase der Problembearbeitung (nicht überwindbare) Entscheidungsblockaden einstellen oder es zu einer Nicht-Entscheidung kommt – Schlager deutet diese Möglichkeit in ihrer Definition an, wenn sie davon spricht, dass Policy-Prozesse »may culminate in an authoritative decision« (Schlager 2007: 293, Hervorhebung B.B.) – oder aber wenn, wie aus der Implementationsforschung bekannt, politische Programme vollständig ausformuliert und verabschiedet, aber nicht bzw. nicht so umgesetzt werden, dass die angestoßenen operativen Handlungen zur Herstellung einer spezifischen Ordnung beitragen; ferner ist (b) denkbar, dass Policies etwa durch Sunset-Klauseln noch vor der Realisierung spezifischer Ziele terminiert werden. Schließlich besteht (c) die Möglichkeit, dass Policies selbst nach Realisierung eines einmal als verbindlich anerkannten Ordnungszustands, also auch nach der vollständigen und erfolgreichen Umsetzung von Zielen und Maßnahmen gar nicht terminiert werden und aus der Policy-Landschaft verschwinden, sondern etwa als sedimentierte »quasi-institutionelle« Strukturen (Kay 2006; Pierson 2004: 165) – weiterbestehen, oder aber mit Bezug zu einem mittlerweile veränderten Ordnungsproblem fortgeschrieben und weiterentwickelt werden, also gewissermaßen in eine »neue Runde« gehen. Dies verweist zweitens darauf, dass das Kriterium der Dauer nicht mit Homogenitäts- oder Kontinuitätserwartungen an das bezeichnete Phänomen einhergeht. Die Bestimmung der Dauer einer Policy steht vielmehr vor der Herausforderung, ein heterogenes Gefüge, das sich potentiell im Wandel befindet, zu erfassen. So sind Policies evolvierende (»moving«) Gebilde, die »unterwegs« erheblichen Wandlungen ihrer sachlichen, sozialen und räumlichen Erscheinungsform unterliegen (vgl. dazu Kay 2006: 4).

  156. 156.

    Freilich liegt es auch hier im Auge des Bearbeiters einer spezifischen empirischen Fragestellung, ob eine solche Differenzierung zwischen einer Phasengeschwindigkeit einerseits, also der relativen Dauer von Phasen und einer Pha- sentransitionsgeschwindigkeit andererseits, also der für einen Übergang zwischen zwei Phasen aufgewendeten Zeit, analytisch sinnvoll ist.

  157. 157.

    Die Kategorie Geschwindigkeit wird in vielen Ansätzen zur Beschreibung von Policy-Prozessen nicht oder nur (un-)ausgesprochen vage thematisiert. Aus der Implementations- und Evaluationsforschung weiß man, dass Policy- Reformen mal mehr, mal weniger Zeit benötigen, um adressatenseitige Wirkungen und schließlich systemische Veränderungen zu bewirken (Brinkerhoff/Crosby 2002; Hill/Hupe 2002). Hinweise auf die Geschwindigkeit bzw. empirische Dauer von Policy-Prozessen (und die Bedeutsamkeit ihrer Beachtung bei Policy-Analysen) finden sich bei Sabatier, wenn er darauf verweist, dass das Verstehen von Prozessen des Policy-Wandels ein zeitliche Perspektive von einer Dekade oder mehr erfordert, da sich Lernprozesse und Veränderungen von »belief systems« nur ausgesprochen langsam vollziehen (Sabatier 1993). Kay (2006: 4) verweist auf unterschiedliche Geschwindigkeiten des Policy- Wandels (»rates of change«).

  158. 158.

    Richtungsmonotonie meint Entwicklung in eine Richtung, also ohne Wendepunkt. Das bedeutet dass ein spezifischer Zustand oder eine spezifische Phase nur einmal und nicht erneut durchlaufen wird.

  159. 159.

    Kay (2006: 5) spricht dann von einem »stationary process«.

  160. 160.

    Beschreibt man die Dynamik eines Prozesses als Veränderung des Zustands einer Policy über die Zeit lässt sich eine kontinuierliche Dynamik als linearer Funktionsverlauf mit entsprechend konstanter (gleichbleibender) nichtsteigender Tangente (1. Ableitung) beschreiben; eine diskontinuierliche Dynamik ist indes durch einen nicht-linearen Funktionsverlauf mit inkonstanter (variierender) Tangentensteigung bzw. nicht-gleichmäßigem Ereignisverlauf gekennzeichnet (vgl. hierzu auch Kay 2006: 5, 12).

  161. 161.

    Trotz (oder wegen?) der seit Carl Schmitt behaupteten unhintergehbaren Kopplung zentraler politikwissenschaftlicher Konzepte wie Staat und Staatlichkeit an den (territorialen) Raum (vgl. hierzu Dünne 2010: 376ff. sowie das Andauern entsprechender Positionen Voigt 2004: 257; Benz 2001) scheint das Verhältnis zwischen Raum und Politik außerhalb der politischen Geographie in weiten Teilen der Politikwissenschaft unhinterfragt zu bleiben (für eine Übersicht über klassische Texte vgl. indes Dünne et al. 2010). Auch infolge des für die Kultur- und Sozialwissenschaften insgesamt ausgerufenen »spatial turn« (Döring/Thielmann 2009; Döring 2010) sind politikwissenschaftliche Reflexionen und Analysen zum Verhältnis von Raum und Politik eher selten, zumal im »geopolitisch vorbelasteten« deutschsprachigen Raum (vgl. hierzu Geulen 2010; Dünne 2010, aber exemplarisch Voigt 2005, 2004; Schmitt 2002; Schroer 2003). Ein Großteil der Beiträge zur systematischen Theoretisierung des Verhältnisses von Politik und Raum stammt vor allem aus der englisch- und französischsprachigen Literatur und ist überdies soziologisch und kulturwissenschaftlich perspektiviert (vgl. etwa Brenner et al. 2003; Ferguson/Jones 2002; Massey 2005 sowie die Beiträge in Döring/Thielmann 2009, die klassischen Grundlagentexte in Dünne et al. 2010 und für einen Überblick den Handbucheintrag von Geulen 2010). Unterstrichen wird die politikwissenschaftliche Zurückhaltung in Bezug auf die Thematisierung von Raumfragen jüngst durch die Abwesenheit eines eigenen disziplinären Beitrags in dem ansonsten sehr breit gefächerten multi-disziplinären Sammelband »Raumwissenschaften« (Günzel 2009). Die Grundlegung eines Verständnisses der Politikwissenschaft als Raumwissenschaft steht offenbar noch aus.

  162. 162.

    Dieser Perspektive sind auch Analysen zuzuordnen, die sich auf die politische Konstruktion von Räumen, wie etwa die Erschaffung europäischer Regionen im Zuge der EU-Regionalpolitik, beziehen (Hooghe/Keating 1994).

  163. 163.

    Die hier entworfene Begrifflichkeit des »Policy-Raums« differiert fundamental von anderen sehr heterogenen Verwendungen vor allem des entsprechenden englischen Begriffs »policy space«. Allein Majone kennt zwei unterschiedliche Bedeutungen. Zunächst verwendet er »policy space« zur Kennzeichnung einer relativ autonomen Sphäre kulturell erzeugter Policy-Artefakte, die einen Ausschnitt der Popper’schen Welt 3 darstellt. Zum »policy space« gehören: »(actual and potential) policy problems, policy arguments, norms, constraints, tentative solutions and their institutional embodiments« (Majone 1980: 158). Mit Blick auf die in dieser Arbeit in Anschlag gebrachte Dimensionierung handelt es sich dabei um die sachliche und nicht um die räumliche Dimension von Policy (s.oben 3.2.3.2). Später bezieht Majone den Begriff auf interdependente Policy-Bündel besonders eng miteinander verwobener Politikbereiche. Er definiert »policy space« als »set of policies that are so closely interrelated that it is not possible to make useful descriptions of or analytic statements about one of them without taking the other elements of the set into account« (ebd. 1989: 158). Dabei umfasse die Struktur des »policy space« sowohl die »internal arrangements of its elements« als auch die »linkages and intersections among them« (ebd.). In einem ähnlichen Sinne steht der Begriff in der europäischen Integrationsforschung für Phänomene der Europäisierung nationaler Politikfelder und der Ausbildung europäischer Räume der Politikgestaltung (»european policy spaces«), die potentiell unterschiedlichen Europäisierungsdynamiken unterliegen (Gualini 2004). Überdies findet sich eine Begriffsverwendung, die auf den spezifischen gesellschaftlichen Bezugsraum ministeriellen Policy-Making abstellt (Gyngell/Wesley 2007). Schließlich wird »policy space« in der entwicklungspolitischen Diskussion zur Kennzeichnung des politischen Handlungsspielraums von Entwicklungsländern verwendet. Dort beschreibt das Konzept den durch wirtschaftliche Integration und Internationalisierung dynamisierten Möglichkeitsraum (als Summe einer de jure Souveränität und einer de facto Autonomie) nationaler Regierungen, in einem Politikfeld spezifische Ziele durch den Einsatz ausgewählter Instrumente zu erreichen (Mayer 2008). Jenseits der Policy-Forschung im engeren Sinne wird »policy space« zur (mehr-)dimensionalen Vermessung von Parteien oder anderen politischen Akteuren in Bezug auf ihre Policy-Präferenzen bzw. -Ideen verwendet. Entsprechende Konzepte kommen in der Regierungsforschung etwa bei der Modellierung der Bildung und Stabilität von Koalitionsregierungen (Laver/Shepsle 1996) oder in der Wahlforschung bei der Modellierung von Wahlentscheidungen (Enelow/Hinich 1984) zum Einsatz.

  164. 164.

    In der deutschsprachigen Diskussion verdichtet sich die Problematisierung der räumlichen Dimension der Politikgestaltung vor allem in der Debatte zum kooperativen Bundesstaat und zur vertikalen und horizontalen Politikverflechtung (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976; Benz/Scharpf/Zintl 1992). Damit ist der Umstand angesprochen, dass im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland in zahlreichen Politikbereichen Entscheidungen nicht durch eine, sondern durch Kooperation unterschiedlicher staatlicher Einheiten derselben oder verschiedener Ebenen getroffen werden. Über den deutschen Kontext hinausgehend und allgemeiner wird die hier gemeinte Räumlichkeit von Policies und Policy-Making durch Begriffe wie Mehrebenenpolitik, Mehrebenenstaat, Mehrebenenverflechtung reflektiert. Seit einiger Zeit zeichnet sich zudem eine Hinwendung zu Konzepten der »Multi-level-Governance« ab. Dabei handelt es sich vermutlich um eines der zurzeit zentralen politikwissenschaftlichen Forschungsparadigmen überhaupt (Zürn/Wälti/Enderlein 2011), sicherlich aber um das derzeit profilierteste raumbezogene Analysekonzept in der Policy-Forschung. Im Kern erfasst der Begriff »die Tatsache, dass in einem institutionell differenzierten politischen System Akteure unterschiedlicher Ebenen aufeinander angewiesen sind und ihre Entscheidungen koordinieren müssen« (Benz 2007: 297). Dabei liege der Mehrwert gegenüber älteren Konzepten der Föderalismusforschung in der Ergänzung der Analyse von Strukturaspekten um die Betrachtung von Interaktionsmustern und Koordinationsmechanismen (ebd., vgl. zur Entwicklung des Begriffs Benz 2004b; Zürn/Wälti/Enderlein 2011; Hooghe/Marks 2011 sowie für eine Übersicht über theoretische Ansätze der Analyse von Mehrebenen-Governance Benz 2007).

  165. 165.

    So thematisiert Rüb die räumliche Dimension im Zusammenhang mit der These einer mehrdimensionalen Kontingenzzunahme der Politikgestaltung. Der Ort von Politik, so seine These, werde infolge von Internationalisierungs- und Entgrenzungsprozessen zunehmend kontingent. Die Staatsbezogenheit politischer Entscheidungsprozesse löse sich zugunsten neuer Räume der Politik jenseits des Staates auf (Rüb 2008: 94, vgl. auch Schroer 2003).

  166. 166.

    Der hier gemeinte politisch-institutionelle Raum ist nicht identisch mit dem, was Michael Greven unter einem »politischen Raum« oder dem »Raum des Politischen« versteht: die manifest politisierten Kommunikations- und Interaktionszusammenhänge einer Gesellschaft, also jene Gegenstandsbereiche und Beziehungen, die eine politisierte Gesellschaft als politisch regelungs- und entscheidungsbedürftig erachtet (Greven 2008a: 84ff.).

  167. 167.

    Die aus der Literatur zu Multi-level-Governance bekannte Unterscheidung zwischen funktionalen und konstitutionellen bzw. »task-specific« und »general purpose jurisdictions« (Zürn/Wälti/Enderlein 2011), die Anlass zur Unterscheidung zweier Idealtypen von Multi-level-Governance ist (Hooghe/Marks 2011), täuscht leicht darüber hinweg, dass beide Formen von jurisdictions unweigerlich einen räumlich-territorialen Bezug haben. Anders gesagt: Die Frage der Funktionsspezifität von Jurisdiktionen berührt nicht die Frage ihrer territorialen Bezüge; die Unterscheidung in »general purpose« und »task-specific jurisdictions« beruht immer schon auf der stillen Annahme ihrer territorialen Qualität (vgl. hierzu Benz 2004b: 126 sowie zur Zentralität des Gebiets als Grundkategorie der Organisation von Politik im Zeitalter des modernen Staats auch ebd. 2001: 83ff.).

  168. 168.

    Diese Form der Hierarchisierung begründet nicht zwangsläufig Weisungsbefugnisse (vgl. Benz 2004b: 126 sowie grundlegend Luhmann 1997: 834f.).

  169. 169.

    Kriterien für die Abgrenzung von Ebenen sind neben einer relativen (durch andere Ebenen durchaus begrenzten) Entscheidungsautonomie der entsprechenden Akteure die organisatorische (Selbst-)Identifikation der Akteure mit einer Ebene und der hier anfallenden Regelungsbedarfe (Zürn/Wälti/Enderlein 2011: 3f.). Oft erfolgt die Differenzierung von Politikebenen unter Rekurs auf Ebenen der staatlichen Organisation. Das erscheint insofern angemessen, als staatliche Strukturen nicht selten als Kristallisationskerne für die Ausbildung umfassenderer Strukturen der Organisation politischer Gemeinwesen fungieren und insofern die vertikale Struktur politischer Gemeinwesen insgesamt präformieren.

  170. 170.

    Auch wenn zur Illustration der Begriff »Behältnis« verwendet wird, beruht das hier entwickelte Verständnis des Policy-Raums dezidiert auf einer Perspektive, die sich von »Container-Modellen« des Raums absetzt und Raum als sozial konstruiert und relativ begreift (vgl. (Schroer 2003: 327, 2009: 132ff.). Es ist die sozial konstruierte Policy, die im Sinne eines Behältnisses einen Ausschnitt des ebenso sozial konstruierten und durch (horizontale und vertikale) Relationen konstituierten politischen Raums einschließt.

  171. 171.

    Vgl. zu unterschiedlichen empirischen Varianten von Mehrebenenpolitiken Benz 2004b: 135 sowie die Beiträge in Enderlein/Wälti/Zürn 2011.

  172. 172.

    Allerdings sind einige Inkongruenzen vermutlich wahrscheinlicher als andere: So dürften in lokalen Policy-Arenen vermutlich seltener nationale Politikziele formuliert werden (womit nicht gesagt ist, dass lokale Policies häufig auch nationale Wirkungen haben können!), als dass ein lokal begrenztes Problem eine nationale Policy-Arena aktiviert. Hierin liegt im Übrigen auch eine unter funktionalen und normativen Gesichtspunkten zentrale Herausforderung der Ausgestaltung von Governance-Systemen (Hooghe/Marks 2011; Benz 2004b).

  173. 173.

    Kay definiert ein Policy-Programm als »specific combination of laws, commitments, appropriations, organizations and personnel directed towards a more or less clearly defined set of goals. In other terms this is a policy instrument: an identifiable tool or resource of government used for a specific set of purposes« (Kay 2006: 10).

  174. 174.

    In der Literatur finden sich freilich verschiedene andere Verwendungsweisen der Begriffe. Einmal steht die Unterscheidung Mikro- vs. Makro-Policy für eine Kurzform zur Qualifizierung mikro- bzw. makroökonomischer Steuerungsansätze, ein anderes Mal wird auf die Positionierung des eine Policy initiierenden Akteurs (»state« vs. »citizen«) abgestellt (Schleicher 1986). Schließlich bezeichnen die Begriffe unterschiedliche analytische »Auflösungsgrade« der Betrachtung von Policy-Phänomenen. So hat sich insbesondere der Begriff der Mikro-Policy-Analyse für eine auf kleinteilige Praktiken, Techniken und Routinen fokussierende Analyse des Innenlebens der Politikgestaltung unter Verwendung ethnographischer Methoden etabliert (Nullmeier/Pritzlaff/Wiesner 2003; Rüb 2011). Sie unterscheidet sich einerseits von weit verbreiteten Ansätzen einer – je nach Lesart – auf Institutionen, Akteure, Strategien, Diskurse, Ideen etc. ausgerichteten Meso-Analyse (Scharpf 2000; Sabatier 1993; Hajer 1995) und andererseits von auf hoch- aggregierten Daten beruhenden Makro-Analysen, wie sie sich etwa in der vergleichenden Policy-Forschung finden (exemplarisch Scruggs 1999; Jahn 1998).

  175. 175.

    Dabei ist die Entsprechung der Ebenen allein der Darstellung geschuldet; sie ist nicht etwa Ausdruck einer eindeutigen Repräsentation des Subjektiven im Objektiven und vice versa.

  176. 176.

    In der Gesamtschau lässt sich die Strukturierungswirkung der sozialen auf die sachliche Dimension vereinfachend wie folgt skizzieren: Die Eigenschaften der an der Bearbeitung einer öffentlichen Angelegenheit teilhabenden Policy- Akteure strukturieren zusammen mit den jeweiligen institutionellen Kontexten eine Akteurkonstellation; die Akteurkonstellation formiert öffnende und schließende Interaktionen; die Interaktionen bedingen individuelle Akte des Schreibens und Lesens; die sozial eingefärbten Akte des Schreibens und Lesens produzieren Policy-Materialität und -Bedeutungen.

  177. 177.

    Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den sachlichen und sozialen Eigenschaften einer Policy finden sich schon in der klassischen Lowi’schen These, wonach die (wahrgenommene) Wirkung einer Policy die Konflikthaftigkeit einer Policy-Arena beeinflusst (Lowi 1972; Steinberger 1980). Auch auf Lowi Bezug nehmende Argumente anderer Autoren lassen sich in diese Richtung interpretieren. So identifiziert Heinelt einen Zusammenhang zwischen den problem- und problemlösungsbezogenen Eigentümlichkeiten (genauer: der differentiellen oder allgemeinen Problembetroffenheit, der individualisierenden oder kollektiven Wirkung, der Prognosefähigkeit und der bestehenden Policy-Interdependenzen) nomineller Policies (wie Alterssicherungs- und Arbeitsmarktpolitik) und der Herausbildung spezifischer Policy-Arenen (Heinelt 2009: 121, 2007, 1993, vgl. auch Schneider/Ingram 1997: 70f.).

  178. 178.

    Der Nexus zwischen der sachlichen und sozialen Dimension ist aber auch direkter und unmittelbarer zu denken. So kann beim Design von Policy-Elementen etwa eine bestimmte soziale Implementationsstruktur konstruiert, indem Implementationsakteure geschaffen und mit bestimmten institutionellen Rollen ausgestattet werden – mit entsprechenden Folgen für die Akteurstruktur und die Interaktionsbeziehungen (Schneider/Ingram 1997: 90ff.). Ferner haben sachlich-funktionale Policy-Elemente insofern eine sozial konstitutive Funktion, als über policy-bezogene Problem-, Ziel- und Maßnahmendefinitionen policy-spezifische Akteurgruppen und Gruppen-Identitäten (z.B. bestimmte policy-Adressaten wie Arbeitslosengeldempfänger, Kurzarbeiter etc.) erzeugt werden, die dann wiederum als Policy- Akteure auftreten können. Sachliche Policy-Designs konstituieren, separieren und aggregieren also soziale Identitäten und Rollen, sie produzieren und reproduzieren und transformieren ihre eigene Sozialität.

  179. 179.

    Vgl. hierzu Sabatiers Konzeptualisierung von Modell als »representation of a specific situation«, das für gewöhnlich »much narrower in scope, and more precise in its assumptions« sei als eine Theorie (Sabatier 1999a: 9, vgl. auch SchÜbert/Bandelow 2009: 7ff.).

  180. 180.

    Zwar tritt Sabatier dezidiert für eine Multi-Perspektivität ein: Wissenschaftler, so sein Plädoyer, sollten sich bei der Analyse empirischer Gegenstände unterschiedliche Perspektiven bzw. Frameworks zu eigen machen und anwenden. Dadurch würden sie zum einen genötigt, »to clarify differences in assumptions across frameworks [sic!], rather than implicitly assuming a given set« (Sabatier 1999a: 6). Zum anderen könne durch die Überprüfung konkurrierender Hypothesen die »accumulation of evidence in favor of one perspective [sic!] more than another« befördert werden (ebd.). Schließlich ließe sich durch die Anwendung multipler Frameworks bzw. Perspektiven sukzessive klären, unter welchen Bedingungen »one perspective is more useful than another« (ebd.). Sabatier vermittelt hier den Eindruck konkurrierender Perspektiven bzw. Frameworks, deren jeweilige Gültigkeit und Nützlichkeit sich im Laufe der Zeit herauskristallisieren wird. Die von ihm geforderte Multi-Perspektivität erscheint nicht als epistemologische Grundposition, sondern eher als Forschungsstrategie, um einen Selektionsprozess voranzutreiben, an dessen Ende eine - vermutlich seine eigene – Perspektive stehen wird, die am engsten mit dem in Rede stehenden Sachverhalt korrespondiert. Für eine Kritik an Sabatiers eigenem AC-Framework aus post-empiristischer Perspektive vgl. Fischer 2003: 100ff.

  181. 181.

    Die den Fokus einer analytischen Perspektive konstituierenden Aufmerksamkeitsattraktoren sind zugleich Momente der Konzeption einer Ontologie, also Momente der Reflexion des Ontischen.

  182. 182.

    Der Aufmerksamkeitsbereich einer analytischen Perspektive ist damit der spezifische empirische Ausschnitt eines umfassenden Untersuchungsbereichs, der durch den ontologisch basierten, konzeptionellen Fokus der Perspektive sichtbar wird.

  183. 183.

    Angelehnt an einen Katalog von Gründen, die sich für die Relevanz deskriptiver Gesellschaftstheorie für ein Projekt der Gesellschaftskritik anführen lassen (Iser 2006: 156f.).

  184. 184.

    Vgl. zu dieser »Zweigleisigkeit« von PI-Konzepten und PI-Phänomenen den folgenden Abschnitt 3.3.3.

  185. 185.

    Die Rede von »In-Beziehung-Setzen« oder »Relationierung von Policies« wirft Fragen nach der Intentionalität auf: Soll von Policy-Integration nur dann die Rede sein, wenn das In-Beziehung-Setzen von Policies Absicht und Folge intentionaler Akteurhandlungen ist oder auch im Falle eines zufälligen und emergenten Zusammenlagerns von Policies? Hier wird die Auffassung vertreten, dass – unabhängig davon, wie man sich zur Frage des Verhältnisses von Intention und Policy verhält – Intentionalität kein Definitionskriterium von Policy-Integration ist. Nicht zuletzt in Anbetracht von methodologischen Problemen im Zusammenhang mit der empirischen Bestimmung und Zurechnung von Intentionen, erscheint es für eine breit angelegte analytische Perspektive wenig sinnvoll, vorab all jene Phänomene aus der Betrachtung auszuschließen, die nicht auf Intentionen von Akteuren zurückzuführen sind. Die Frage, ob und inwieweit Phänomene der Policy-Integration das Ergebnis intentionalen Handelns eines oder mehrerer Akteure oder aber auf emergente Systemdynamiken zurückzuführen sind, ist letztlich eine Frage, die empirisch zu beantworten ist, und zwar im Rahmen der Rekonstruktion von Integrationsmechanismen. Damit soll weder die Bedeutung intentionaler Akteurhandlungen im Hinblick auf Policy-Integration an sich in Frage gestellt noch sollen intentionale Integrationsansätze analytisch ausgeklammert werden. Die relative Bedeutung intentionaler Integrationsstrategien und die Rolle von Akteuren sind allerdings empirisch zu ermitteln. Nur so lässt sich auch die Frage beantworten, ob praktische Integrationsstrategien für die Realisierung von Policy-Integrationsphänomenen einen Unterschied machen und erfolgreich sind. Der Verzicht auf Intentionalität als Definitionskriterium von Policy-Integration ist auch Ausdruck einer konsequenten Umdeutung des vormals normativ-präskriptiven Konzepts in eine analytische Perspektive. Mit der Aufgabe der Bindung von Policy-Integration an Intentionalität erübrigt sich auch die in der Diskussion mehr oder weniger explizierte Gegenüberstellung von »Policy-Interdependenz« als Kennzeichnung von Wechselwirkungen zwischen Policies einerseits und »Policy-Integration« als Kennzeichnung von (intentionalen) Versuchen der Interde- pendenzbewältigung andererseits (Haas 1976). Letztere können zwar weiterhin analysiert werden, allerdings nicht mehr unter dem exklusiven Begriff der Policy-Integration, sondern als Ansätze, Strategien, Maßnahmen etc. der Policy-Integration.

  186. 186.

    Im Sinne einer Anerkennung der Selektivität von Perspektiven versteht sich die PI-Perspektive nicht als Ersatz, sondern als komplementär zu dem in der Policy-Forschung etablierten sektoralisierten Blick. Es wird also kein Ausschließlichkeitsanspruch formuliert.

  187. 187.

    Vgl. zu den ontologischen Implikationen der PI-Perspektive die Ausführungen im folgenden Abschnitt 3.3.4.

  188. 188.

    Dabei kann die PI-Perspektive zum einen nach den Implikationen jedweder politischer Aktivitäten, Instrumente, Institutionen etc. für die Integration von Policies oder Policy-Arrangements fragen. Zum anderen lassen sich institutionelle und programmatische Ansätze, Strategien und Instrumente, die dezidiert und intentional auf eine Integration von Policies abzielen, auf der Basis der PI-Perspektive rekonstruieren. Dann dient die PI-Perspektive gewissermaßen der Reflexion politischer Steuerungsstrategien, die schon von ihrem Anspruch her als Ansätze einer Steuerung zweiter Ordnung konzipiert sind.

  189. 189.

    So lässt sich der Umstand, dass eine spezifische analytische Perspektive überhaupt konstruiert und als relevant ausgewiesen wird, unter der Annahme eines wahrhaftig handelnden Autors als Hinweis darauf deuten, dass dieser der mit der Perspektive in den Blick genommenen und rekonstruierten Wirklichkeit einen ontischen Status zuweist.

  190. 190.

    Der Policy-Zyklus etwa suggeriere durch seine Phasenfolge einen linearen, instrumentell-rationalen und in sich geschlossenen Policy-Prozess (Yanow 1996: 17). Durch die analytische Fokussierung auf sequentiell ablaufende Phasen wird das »Außen« von Policies ausgeblendet. Policies erscheinen als hermetisch abgeschlossene Gebilde, die – unabhängig von Kontexten – einer inneren Logik folgen. Auch das klassische hierarchische Top-down-Modell der Implementation basiert auf der Unterstellung einfacher und direkter Wirkungszusammenhänge zwischen unterschiedlichen Elementen einer Policy und blendet komplexere Wirkungskontexte aus (Yanow 1996; Colebatch 2002).

  191. 191.

    Paradigmatisch für dieses rationalistische Verständnis ist die Rede von »policies as missiles« (DeHaven-Smith, zitiert nach Yanow 1996: 31, Fn. 9).

  192. 192.

    Trotz anhaltender Kritik kann nicht die Rede davon sein, dass das rationalistisch-instrumentalistische Verständnis von Policies seine Bedeutung für die politische Praxis und die Policy-Analyse eingebüßt hat. Das Rationalitätsprojekt der Policy-Analyse (Stone 1988; Fischer 2003) hat nach wie vor eine diskursdominierende Stellung. Es ist selbst Teil eines umfassenderen wissenschaftlich-rationalistisch geprägten sozio-kulturellen Kontexts, der das grundlegende Selbstverständnis und die Orientierung von Policy-Akteuren und Policy-Analysten anhaltend prägt und deren Selbstinszenierung als rational entscheidende und handelnde Akteure Vorschub leistet: »[T]he scientific rationalistic culture of Western societies encourages political participants to present their actions and those of others as part of simple causal stories. Because the dominant form of knowledge is based on means-end relationships, so people expect politics to be orderly and rationalistic. If they thought otherwise they would not be able to legitimize their decisions with critical audiences« (John 1998: 25, vgl. zu dieser Rationalitätsfiktion auch Colebatch 2002). Darauf verweist auch eine Analyse von Uwe Schimank, der mit dem Begriff der »Entscheidungsgesellschaft« eine Form der Vergesellschaftung bezeichnet, in der Individuen und Organisationen zunehmend dem Fremd- und Selbstanspruch ausgesetzt sind, (sich) in wichtigen Angelegenheiten rational zu entscheiden. Sein Diktum vom »rationalen Entscheiden als Auftrag der Moderne« (Schimank 2005a: 79ff.) unterstreicht die Einbettung des Rationalitätsprojekt der Policy-Analyse in das gesellschaftliche Projekt der Moderne insgesamt.

  193. 193.

    Trotz einer längeren Tradition kontextorientierter Analysen (vgl. etwa Edmondson 1997; Goodin/Tilly 2006) und einer sich seit einigen Jahren abzeichnenden verstärkten Hinwendung zu Kontext in der Politikwissenschaft – mitunter wird sogar von einem »contextual turn in political studies« gesprochen, der sich als »turn away from an ahistorical, objectivist and materialist positivism« in der Politikwissenschaft darstelle (Lawson 2008: 2) – gibt es in der Literatur bislang weder ein etabliertes allgemeines Verständnis von Kontext noch ein spezifisches Begriffsverständnis von »Policy Kontext«. In einem allgemeinen und alltagssprachlichen Verständnis bezieht sich der Kontextbegriff auf die Umgebung, die Umwelt, das Außen, das Milieu eines Objekts (»Text«) von Interesse. Kontext erscheint insofern als relationales Konzept (Grotz 2010: 505), das sich nicht universal und absolut, sondern nur im Hinblick auf ein spezifisches Objekt bestimmen lässt; Kontext ist das unbestimmte und nicht fokussierte Außen dieses Objekts. Dabei wird der Kontext bei genauerem (!) Hinsehen selbst zum Text. Kontext selbst besteht also aus einer Konfiguration von Objekten, die mit (»con«) einem (fokussierten) Objekt (»text«) sind. Im Hinblick auf die Art der Beziehung zum Text erscheint es sinnvoll, zwei Dimensionen zu unterscheiden, die in unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs in unterschiedlichen Gewichtungen durchscheinen: (1) Einerseits erscheint der Kontext als jener Hintergrund, der dem Objekt von Interesse seinen Sinn verleiht. Diese sinngebende Funktion von Kontext impliziert, dass ein spezifisches Objekt überhaupt nur in Verbindung bzw. in Differenz zu seinem Kontext Bedeutung annehmen kann. Ohne Kontext eignet dem Objekt kein Sinn; umgekehrt kann der Kontext nicht aufgelöst werden, ohne die Bedeutung des Objekts zu verlieren. Das ist die in linguistisch akzentuierten Beiträgen aufscheinende Bedeutung (!) von Kontext: Kontext fungiert als Bezugspunkt der Interpretation von Texten; Interpretation ist eine Aktivität des In-Beziehung-Setzens von Text und Kontext (Yanow 1996, 2000; Fischer 2003; Lejano 2006; van Leeuwen/van der Voort/van den Brande 1997). (2) Andererseits wird die formgebende Funktion von Kontext für ein Objekt konzeptualisiert. Kontext, so wird angenommen, steht mit dem Gegenstand von Interesse in einer transformativen Wirkungsbeziehung. Kontext ist diesem Verständnis nach eine substantielle Wirkungsgröße und eine empirisch-analytische Untersuchungskategorie.

  194. 194.

    Wenngleich auch politische Programme terminiert werden und mitunter sogar ganze Politikfelder verschwinden können, kann unterstellt werden, dass sich Policies nicht im Nichts auflösen. Nicht nur, dass sie sich zu »Lebzeiten« in den Policy-Kontext eingeschrieben haben (etwa indem sie die Entstehungs- und Funktionsbedingungen anderer Policies prägen); auch das Verschwinden von Policies an sich kann Veränderungen im Kontext mit sich bringen: etwa durch die Reallokation frei werdender Ressourcen oder die Umdeutung von Policy-Problemen anderer Policies durch das Verschwinden spezfischer Symbolbestände etc.

  195. 195.

    Im Rahmen einer auf das framing von policy issues bezogenen Konzeptualisierung von policy context unterscheiden Rein und Schön (1993: 154) vier »nested contexts«. Der internal context umfasst das dynamische innere Setting einer Policy, deren Akteure, Organisation, Ressourenc etc. Der proximate context bezieht sich auf die »policy environment in which a program operates« und der macro context auf policy-übergreifende politisch-institutionelle, machtpolitische und ökonomische Dynamiken. Mit global context schließlich ist der »broadest level of public context« gemeint, der historische Wandlungsprozesse grundlegender institutioneller Settings, aber auch politischer Paradigmen umfasst. Diese Konzeptualisierung erscheint zunächst sehr instruktiv und illustrativ; bei näherem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass sie zwei analytisch zu differenzierende Dimensionen vermischt: nämlich unterschiedliche Qualitäten des Politischen (Polity, Policy, Politics) einerseits und die Anordnung bzw. Entfernung unterschiedlicher Kontextebenen zum Betrachtungsobjekt (von nah bis weit) andererseits. Folgt man demgegenüber einer systematischen Trennung von Kontextebenen und Politikdimensionen ergibt sich eine differenziertere Typologie politischer Kontexte. Sie verweist auf zwei Dimensionen der nestedness des Policy-Kontexts. Zum einen ist der Policy-Kontext eingebettet in politisch-institutionelle (Polity) und machtpolitisch-prozessuale (Politics) Konfigurationen auf unterschiedlichen Ebenen. Zum anderen entfaltet er sich als Struktur vertikal angeordneter und miteinander verwobener Ebenen von Policies (vgl. hierzu systematisierend Voß/Bornemann 2011).

  196. 196.

    Hinweise auf die Allgegenwart und Unhintergehbarkeit eines Kontext finden sich etwa bei Rein und Schön, wenn sie konzedieren, dass »[t]he framing of a policy issue always takes place in a nested context« (Rein/Schön 1993: 154, Hervorhebung B.B.). Auch Schmalz-Bruns verweist in seiner Konzeptualisierung der Bedeutung eines politischen Kontexts für kollektives politisches Handeln auf dessen Unhintergehbarkeit, wenn er diesem eine konstitutive Funktion «in a strong sense« zuschreibt und ausführt, dass «[t]he perception, definition and selection of what counts as relevant problem for a specific > policy community < in the first place, the selection of acceptable means and ends as well as the cogency of modes of thinking and courses of action – all theses are strongly dependent on the shared understandings of theses communities, on norms from cultural backgrounds which inform their perceptions and, last but not least, on the daily experiences that shape and structure the content of solutions that people may seek in responding to their collective action problems« (Schmalz-Bruns 1997: 196). Insgesamt gebe es »a massive amount of evidence […] to show that context really matters in the process of policy-formation, implementation and evaluation« (ebd.).

  197. 197.

    Die Beziehung zwischen Policy-Kontext und Policies ist dabei grundsätzlich in zwei Richtungen denkbar. So wirken Policies auch auf ihren Policy-Kontext zurück: Sie schreiben sich in diesen ein, formen dessen symbolischmateriellen Bestand, dynamisieren ihn und verändern damit wiederum die Bedingungen des Policy-Making und der Wirkung von Policies. So betonen Schneider/Ingram (1997: 6), dass »[p]olicy designs are a product of their historical context, but they also create a subsequent context … from which the next round of public policy will ensue« sowie an anderer Stelle: »[Policy] [d]esigns emerge from a context and have consequences for that context« (ebd.: 69, vgl. auch Rein/Schön 1993: 155).

  198. 198.

    Das impliziert zum einen, dass nicht alles konzeptionell denkbare immer auch empirisch beobachtbar ist. Es impliziert zum anderen, dass es für empirische Umsetzungen der Referenzpunkte weiterer kontextbezogener Spezifizierungen und Operationalisierungen bedarf (vgl. hierzu das die Rekonzeptualisierung abschließende Unterkapitel 3.5).

  199. 199.

    Das bedeutet, dass die Analyse von Policy-Integration nicht zwangsläufig alle der hier vorgeschlagenen analytischen Referenzpunkte zu berücksichtigen hat. Sie kann sich vielmehr auf einzelne gegenständliche oder modale Ausschnitte bzw. Formen integrierter Politik beziehen, die auf der Grundlage des Analyserahmens abgegrenzt werden können.

  200. 200.

    Die Policy-Forschung hat sich zwar intensiv mit der Integration von Policy-Subsystemen nach innen auseinandergesetzt (vgl. oben); die Relationierung von Subsystemen nach außen ist bislang aber unterbelichtet geblieben (vgl. aber Grant/MacNamara 1995 sowie jüngst Jones/Jenkins-Smith 2009).

  201. 201.

    Der Begriff taucht in unterschiedlichen Bedeutungsvarianten in der Literatur auf, ist jedoch bislang kaum systematisch ausgearbeitet worden. Im Zusammenhang mit seiner Differenzierung zwischen »policymaking«, »metapolicy- making«, »postpolicymaking« und »megapolicymaking« definiert Dror Meta-Policy als »policy on how to make policy« (Dror 1989[1968]: xi) bzw. »metapolicymaking« als »policymaking on policymaking« (ebd.: 164). O’Toole (2004: 38) definiert Meta-Policy als »policy designed to guide the development of numerous more specific policies«. Wegrich, der den Begriff am Beispiel von »Regulierungspolitik« entwickelt, beschreibt Meta-Policy als eine Form politischer Steuerung, deren Kerncharakteristikum die Entkoppelung von einem spezifischen Politikfeldbezug sei (Wegrich 2009: 38). Regulierungspolitik als Meta-Policy beziehe sich auf die Etablierung von »Normen und Standards, die den Regulierungsprozess und damit (indirekt) auch das Ergebnis in grundsätzlich allen Regulierungsfeldern beeinflussen« (ebd.: 7). Dabei setze sie »nicht bei den spezifischen Problemen einzelner Regulierungsfelder an […], sondern richtet sich auf Probleme, die in ähnlicher oder gleicher Form in allen Politikfeldern bestehen« (ebd.). Greenaway et al. (2004: 523f.) skizzieren ihr Verständnis von Meta-Policy auf der Grundlage der von ihnen empirisch untersuchten »private finance initiative« in Großbritannien. Danach zeichne sich eine Meta-Policy erstens durch einen nicht an einen spezifischen Sektor gebundenen, sondern sektorübergreifenden Problem- und Wirkungsbereich, zweitens durch einen politischen Impetus, drittens durch einen dynamisch, sich veränderndern Charakter sowie schließlich durch eine erhebliche Transformationswirkung in Bezug auf die Organisation und Ausrichtung sektoraler Regierungspolitiken aus. Abweichend von diesen Konzeptualisierungen, die den politikfeldübergreifenden Charakter von Meta- Policies herausstellen, beschreibt Majone Meta-Policy im Sinne einer ideellen bzw. konzeptionellen Hintergrundstruktur einer konkreten Policy: als das Set von »ideas, conceptualizations, and proposals advanced by policy actors, analysts, academics, and bureaucratic experts who share an active interest in that policy« (Majone 1989: 146). Für verwandte, hier aber nicht ausgeführte Begrifflichkeiten wie »meta-decision-making« oder »meta-planning« oder »metagovernance« vgl. Kickert/Gigch 1979 sowie Jessop 2002.

  202. 202.

    Die jeweils einschlägige Grundgesamtheit von Policies kann dabei nur mit Blick auf das jeweilige analytische Interesse und die Fragestellung definiert werden.

  203. 203.

    In seiner vielzitierten und von unterschiedlichen Autoren modifizierten Typologie (Jordan/Schout 2008; Jordan 2002), die sich auf die Abbildung unterschiedlicher Koordinationsverständnisse einerseits und empirischer Koordinationsformen andererseits bezieht, unterscheidet Metcalfe (1994: 282ff.) insgesamt folgende neun Stufen der Koordination: 1. »Independent Policy-Making«; 2. »Communication«; 3. »Consultation«; 4. »Avoiding divergences«; 5. »Search for agreement«; 6. »Arbitration of differences«; 7. »Setting parameters«; 8. »Establishing prorities«; 9. »Overall strategy«. Gegen eine systematische Anwendung der Skala zur Kennzeichnung von Intensitätsniveaus der Policy- Integration sprechen mehrere Gründe: Zunächst bezieht sich die Skala gar nicht auf Policies, sondern auf organisationale Koordinationsphänomene in politisch-administrativen Kontexten. Ferner finden sich auf den unterschiedlichen Stufen nicht immer Entsprechungen zu den konzeptionellen Grundelementen von Integration (Integranden, Integrans etc.). Schließlich weist die Skala zumindest mit Blick auf das im Rahmen der vorliegenden Arbeit veranschlagte konzeptionelle Differenzierungspotential einige Uneindeutigkeiten auf: So werden nicht nur unterschiedliche modale Kategorien – Intensität, Richtung, Produktivität – untereinander, sondern auch Modi und Mechanismen der Koordination vermischt.

  204. 204.

    Die Einschränkungen wie »fast« oder »nahezu« sind der konzeptionellen Überlegung geschuldet, dass eine marginale Beweglichkeitsbeschränkung von Integranden erforderlich ist, um einen Zustand überhaupt als (minimal) integriert bezeichnen zu können. Diese minimale Beschränkung lässt sich als faktische Beschränkung der Beweglichkeit einer Policy durch die bloße Existenz anderer Policies denken.

  205. 205.

    In einer funktionalen Lesart könnte man sagen, dass das Policy-Integrans auf diesem Niveeau auf die Bewahrung von policy-spezifischen Strukturen ausgerichtet ist: Es dient gleichsam der Organisation von Partikularität durch die eine Minimierung von Redundanzen und Widersprüchen zwischen den Integranden.

  206. 206.

    Der Übergang von der zweiten zur dritten Stufe lässt sich als Umkehrung der Relevanzordnung zwischen den Integranden und dem Integrans beschreiben. Während auf Stufe zwei policy-spezifische Identitäten unter Einbeziehung einer übergreifenden Gesamtidentät realisiert werden, ist Stufe drei dadurch gekennzeichnet, dass eine policy- übergreifende Gesamtidentität unter Berücksichtigung policy-spezifischer Teilidentitäten realisiert wird.

  207. 207.

    Wie auch die nachfolgenden Ausführungen noch zeigen werden, stehen dabei die hier vorgenommene Konzeptualisierung von Policy-Integration als zeitlich ausgedehntes und dynamisch-prozessuales Phänomen einerseits und die zeitlich-prozessuale Konzeptualisierung des Integrationsgegenstands »Policy« andererseits in einem systematischen Zusammenhang. So legt die dynamisch-prozesshafte Konzeptualisierung von Policy-Integranden nahe, Policy- Integration selbst als zeitlich ausgedehntes Phänomen zu denken, als Phänomen also, das sich über mehrere Zeitpunkte hinweg auf umfassendere Zeiträume erstrecken und dementsprechend in Bezug auf unterschiedliche Zeitpunkte oder Zeiträume analysiert werden kann. Umgekehrt impliziert die Konzeptualisierung von Integration als Prozess der Relationierung von Integranden, dass auch die Integranden selbst als zeitlich ausgedehnt zu denken sind. Neben dieser logischen Beziehung erscheinen auch faktische Wirkungsbeziehungen zwischen der Zeitlichkeit von Policies und jener von Policy-Integration plausibel – etwa dergestalt, dass die Eigendynamik von Policies die Dynamik von Policy-Integration beeinflusst und vice versa.

  208. 208.

    Das ist im Sinne der doppelten (internen und externen) Anerkennungsbedürftigkeit von Integration nach Galtung (s. oben 3.1.2) dann der Fall, wenn weder beteiligte noch außen stehende Policy-Akteure von einem Prozess der Integrierung sprechen.

  209. 209.

    Schon in einer einfachen und idealtypischen Konstellation zweier dauerhaft und synchron integrierter Policies besteht etwa die Möglichkeit, dass sich die Art der Relationierung zu einem bestimmten Zeitpunkt, also etwa in der Phase der Problemwahrnehmung, anders darstellt als zu einem anderen Zeitpunkt, also etwa in der Phase der Umsetzung.

  210. 210.

    Die Unterscheidung von Formen der Policy-Integration nach Skalierungsstufen (vgl. 3.4.1.5) wird dabei nicht erneut aufgegriffen. Sie lässt sich gleichsam als dritte Dimension denken, die spezifische Gegenstands-Modus- Konfigurationen größenbezogen spezifiziert.

  211. 211.

    Umgekehrt wird die normativ-evaluative Verwendung von Policy-Integration im Hinblick auf normative Annahmen und Implikationen explikations- und begründungspflichtig.

  212. 212.

    Dabei wird unterstellt, dass die Anforderungen an Policy-Integration mit dem jeweiligen normativen Kontext variieren. Das heißt: Unterschiedliche normative politische Ideen implizieren unterschiedliche normative Idealtypen von Policy-Integration und dementsprechend unterschiedliche Anforderungen und Kriterien »guter« und erfolgreicher Integration von Policies. Mit unterschiedlichen politischen Ideen verbinden sich also nicht nur unterschiedliche Vorstellungen der Ausrichtung und Gestaltung einzelner Policies, sondern auch der Gestaltung der Beziehungen zwischen Policies.

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Bornemann, B. (2013). Rekonzeptualisierung: Policy-Integration als analytische Perspektive. In: Policy-Integration und Nachhaltigkeit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02209-9_3

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