Zusammenfassung
Während Gegenstände der Tischkultur zu den klassischen Gebrauchsgütern innerhalb der Design-Disziplin zählen, sind mit den verfahrenstechnischen Entwicklungen der Nahrungsmittelindustrie in den letzten Jahrzehnten erweiterte Arbeitsbereiche rund um Essen als Verbrauchsgut für Designer entstanden. Jenseits einer Gestaltung des Verzehr-Rituals selbst, beispielsweise mittels Dekoration und Geschirr, ist dabei der Einfluss auf das Speiseprodukt gewachsen. Denn mit dem Wandel von einer vornehmlich gemeinsamen familiären Esskultur zum On-the-go-Snack sind Speisen von einem überwiegenden Do-it-yourself- zu einem gestaltbaren Industrieprodukt geworden. Rohstoff- wurde zum Produkteinkauf und Nahrungsmittel werden dadurch verstärkt als Fertiggerichte, Halbfertiggerichte sowie als Remixing von Halbfertiggerichten im Supermarkt angeboten.
Daraus erwachsen zwei Problematiken, die ich in dem Beitrag beleuchten möchte: Zum einen funktionieren Food-Produkte derzeit nur im Konzept der Einwegverpackung, deren enorme Müllmengen als Konsumkomfort gerechtfertigt werden. Zum anderen fördert eine Kaufentscheidung, die aufgrund von illustrierten Darstellungen kultureller Speise-Mythen getroffen wird, eine Entgrenzung zum Herstellungsprozess. Die verwendeten industriellen Produktionsprozesse sowie die kodifiziert deklarierten Rohstoffe sind für den Konsumenten nicht mehr nachvollziehbar und können unbeobachtet zwecks Effizienzsteigerung ausgetauscht werden. Jenseits einer moralischen Wertung möchte ich deshalb Funktionen des vorherrschenden Systems der Nahrungsmittelproduktion aufzeigen und Lösungen für mögliche Selbstermächtigungen und künftige Produktions- und Distributionssysteme erläutern.
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- 1.
Aus industrieller Produktionssicht wäre hier das Wort „Halbzeuge“ zu gebrauchen, das speziell Industrieprodukte kennzeichnet, die als halbfertige Produkte in die Distribution eintreten – frei zur persönlichen Anpassung/Variation.
- 2.
In der Nahrungsmittelindustrie herkömmlich verwendeter Begriff zur Bezeichnung von verbraucherfreundlicher Darreichungsform.
- 3.
Vgl. hierzu dvi (2010). Der Artikel fasst den Branchenreport zusammen und betont die positive Entwicklung der Verpackungsbranche, die ihren Umsatz von 1996 bis 2009 um rund 40 % gesteigert und gleichzeitig Personal reduziert hat. Außerdem ergänzt der Branchenreport, dass ein Viertel der weltweit vorhandenen Verpackungsmaschinen in Deutschland hergestellt werden, d. h., viele deutsche Maschinenbauunternehmen sind von der Verpackungsindustrie abhängig.
- 4.
In Deutschland soll der Supermarkt „Orginal unverpackt“ 2014 in Berlin an den Start gehen. Laufendes zum Start-up unter: http://original-unverpackt.de. Zugegriffen: 25.03.2014.
- 5.
Ein Beispiel für diese kulturellen Traditionen ist die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur. Die Schreibmaschinentastatur wurde aus einer Logik des Anschlags heraus entwickelt, um ein Verhaken der Anschläge zu vermeiden. Bei heutigen Smartphones und Tablets spielt dies keine Rolle mehr, aber der Fakt, dass es unsere kulturelle Gewohnheit ist, Tasten in dieser Anordnung zum Schreiben zu benutzen, führt zu einer fortwährenden Erneuerung dieser Gewohnheit in transformierten Anwendungen.
- 6.
Vgl. hierzu auch die ARTE-Dokumentation „Food Design“ 2009.
- 7.
Marije Vogelzang sieht sich selbst nicht als Food-Designerin, sondern als Designerin von Essen ( Eating) in all seiner kulturellen Breite und rituellen Verankerung. Nähere Informationen zu den Projekten auf der Homepage der Designerin (Vogelzang 2013).
- 8.
Die allgemein geläufige Bezeichnung „non-veg“ bezeichnet hier ein Essen mit Fleisch, das in der indischen Küche eher als Ausnahme denn als Regel angesehen wird – wie sich der Bezeichnungslogik entnehmen lässt.
- 9.
Vgl. hierzu den Versuch von Tesco zum U-Bahnshopping in Seoul (Netzwelt 2011).
- 10.
Je nach Region ist vielleicht der 1980er-Jahre „Gyros“-Begriff (Rindfleisch) bekannter, als mittlerweile Berlinerin bevorzuge ich den hier allgegenwärtig arabischen Begriff „Schawarma“ (Huhnfleisch).
- 11.
Die Firma „Modern Meadow“ forscht momentan schon an der Produktion von 3D-gedrucktem Fleisch. (Modern Meadow 2013). Am 5. August 2013 wurde zudem im Rahmen eines Forschungsprojektes der Maastricht University der erste „Cultured Beef Burger“ medienwirksam der Öffentlichkeit vorgestellt (Weiteres zu diesem Forschungsprojekt: Cultured Beef 2014).
- 12.
Spätestens hier könnte dem aufmerksamen Leser und vor allem der sensiblen und aufmerksamen Leserin die Verwendung der männlichen Form in diesem Band aufgefallen sein. Ich finde die Entscheidung der Herausgeber*innen durchaus bedenklich, auf die weibliche Form in der Ausführung zu verzichten. Als Designerin bin ich der Meinung, dass Worte Bilder im Kopf erzeugen! In diesem Band wird auf weibliche Akteurinnen – jenseits der Einleitungsdebatten – verzichtet, was bei Fleischverzehrenden noch durchaus legitim erscheinen mag, wirkt bezüglich Interventionen bizarr. Wer sprachliches Empfinden austesten mag, darf gerne zum Vergleich die weibliche bzw. genderneutrale Textvariante bei der Autorin anfordern: post@ekstein.de.
Literatur
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Stein, E. (2015). Voll Huhn, voll teilstückig – Strategien und Praktiken am Schnittpunkt Food- und Packaging-Design. In: Hirschfelder, G., Ploeger, A., Rückert-John, J., Schönberger, G. (eds) Was der Mensch essen darf. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01465-0_14
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