Skip to main content

Soziale Probleme im Spiegel objektivistischer und konstruktivistischer Theorien

  • Chapter
  • 4110 Accesses

Part of the book series: Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit ((PERSOA,volume 17))

Zusammenfassung

Wie einleitend dargelegt, besteht weitgehend Konsens darüber, dass es sich bei dem Konsum illegaler Drogen um ein soziales Problem handelt. Mit dem folgenden Kapitel soll daher der Frage nach den Konstitutionselementen sozialer Probleme nachgegangen werden. Hierfür werden mit dem objektivistischen und konstruktivistischen Ansatz die beiden dominierenden sozialwissenschaftlichen Erklärungsmodelle erläutert und die unterschiedlichen Blickwinkel auf soziale Probleme, die sich mit beiden Perspektiven verbinden, veranschaulicht.

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Buying options

Chapter
USD   29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD   49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD   49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Learn about institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Fuller/Myers gelten nur bedingt als Vertreter der konstruktivistischen Perspektive, da sich ihre Theoretisierung sozialer Probleme noch deutlich auf objektive soziale Bedingungen stützt und nicht auf deren Definition (vgl. Spector/Kitsuse 2001: 46). Sie können aber sicherlich als Vorreiter einer konstruktivistischen Betrachtung sozialer Probleme verstanden werden.

  2. 2.

    Als die beiden wichtigsten Mechanismen für den Aufbau einer inneren Kontrolle nennt Hess (1983: 9f.) die Sozialisation des Einzelnen in die Institutionen hinein sowie die Legitimierung der Institutionen. Die Sozialisation sucht dabei den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft, die Legitimation den Widerspruch zwischen Herrschenden und Beherrschten aufzulösen, wenngleich auch mit der Sozialisation Momente vermittelt werden, die eine bestimmte Sozialstruktur legitimieren. Als Ergebnis von Sozialisation und Legitimation geht die aktive Kontrolle in die Motivation des Individuums ein, d. h. in dessen Selbstinterpretation seiner Antriebe. Damit ist die Konformität mit sozialen Normen nicht nur zweckrational (weil sie den eigenen ideellen und materiellen Interessen entspricht), sondern kann auch wertrational sein (im Sinne einer Entsprechung mit der erlernten Überzeugung was gut und richtig ist). Weil Sozialisation jedoch nie vollständig gelingt und die Legitimierung von Institutionen bzw. sozialen Strukturen aufgrund von sozialen Konflikten brüchig werden kann, bleibt Abweichung prinzipiell möglich.

  3. 3.

    Die Differenzierung zwischen formeller und informeller sozialer Kontrolle ist dabei als idealtypisch zu verstehen: So wirken etwa formelle Kontrollen in informelle Zusammenhänge hinein (wie bspw. die Straffälligkeit Jugendlicher den Auslöser für familiäre Kontrolle darstellen kann oder mit Haftstrafen ein Verlust von Status und Chancen einhergeht). Umgekehrt beeinflussen informelle Konstellationen das Handeln der Instanzen (wenn sich bspw. die Reaktion der Justiz an dem sozialen Status bzw. an den sozialen Ressourcen der Straftäterin oder des Straftäters orientiert) (vgl. Hess 1983: 14).

  4. 4.

    Hess (1983: 15) führt als dritte mögliche Reaktion auf Devianz die Neutralisierung an. Bezeichnet ist hiermit der Versuch, ein Verhalten auf bestimmte Personengruppen oder bestimmte soziale Kontexte zu beschränken und es in diesem eingeschränkten Rahmen zu tolerieren. Da sich soziale Probleme jedoch gerade durch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Sorge über eine bestimmte Problematik und einem dadurch geforderten politischen Einschreiten charakterisieren lassen, spielt die Neutralisierung als Reaktionsweise auf soziale Probleme eine wohl eher marginale Rolle.

  5. 5.

    In diesem Sinne stellt auch die Sozialpolitik, mit der auf problematische gesellschaftliche Strukturen als Ursache von sozialen Problemen verwiesen wird, eine Form der sozialen Kontrolle dar (vgl. Steinert 1990). In Anlehnung an Groenemeyer (2003: 28) werden hier Behandlung und Sozialpolitik unter der Kategorie Hilfe zusammengefasst: Erstere zielt auf die Veränderung individueller Handlungsorientierungen und -motivationen ab, letztere auf die Handlungskontexte und -ressourcen.

  6. 6.

    Es ist dabei erst dieser präventive Gedanke, der das Strafrecht und Strafen zu Formen der sozialen Kontrolle werden lässt. Bekräftigt wird diese Idee dadurch, dass Erziehung, Besserung und Resozialisierung als wichtige Funktionen der Bestrafung gelten (vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998: 44).

  7. 7.

    Hess (1983:14) trifft hierbei eine deutliche Differenzierung zwischen dieser Art der Präventivwirkung und der aktiven sozialen Kontrolle, da hier die Konformität nicht verinnerlicht und gewollt sei, sondern ‚von außen’ aufgezwungen werde.

  8. 8.

    Zahlreiche Autoren (vgl. u. a. Feeley/Simon 1992; Garland 1996; Wagner/Dorschky 2004; Singelnstein/Stolle 2008) postulieren im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen der letzten 30 Jahre einen „Niedergang des Rehabilitations-Ideals“ (Allen 1981) und eine gänzliche Neubestimmung der Politik sozialer Probleme auf Basis risikotheoretischer Orientierungen („Risikomanagement“). Die neuen Kontrolltechniken zielten dabei vor allem auf die Identifizierung von Risikopopulationen ab, wobei mit der Risikoorientierung tendenziell eine Entmoralisierung abweichenden Verhaltens einhergehe. Soziale Probleme werden in diesem Diskurs zu normalen, erwartbaren Ereignissen, zu einem technischen Problem der Regulierung von Ordnung und Sicherheit. In diesem Kontext wird auch von einer Privatisierung und Individualisierung sozialer Probleme, im Sinne einer neoliberalen Orientierung und dem „aktivierenden“ Sozialstaat (vgl. u. a. Krasmann 1999; Sack 2004: 42; Dorschky/Wagner 2004: 129) oder von einer Strategie der „Responsibilisierung“ (Garland 2001: 124 ff.) gesprochen, mit der Devianz und Kriminalität als individuelles Versagen und als Resultat mangelnder Disziplin oder Selbstkontrolle definiert werden. Parallel zur Entmoralisierung abweichenden Verhaltens zeige sich jedoch auch eine Remoralisierung im Zusammenhang mit einer expressiv ausgerichteten Punitivität („Punitive Turn“) (vgl. Sack 2004; Jacobson 2006). Insofern lasse sich eine parallele Entwicklung von Risikomanagement einerseits und moralisch fundierter Punitivität andererseits feststellen, jeweils bezogen auf unterschiedliche Gruppen, Lebensstile und Verhaltensweisen (vgl. dazu auch die Differenzierung in „criminology of the self“ vs. „criminology of the others“ bei Garland 1996: 446).

  9. 9.

    Diese differenzierte Praxis der Politik sozialer Probleme ist dabei keineswegs eine neue Idee. So plädierte bereits von Liszt (1883) für die Abschreckung jener, die ihr zugänglich sind, die Behandlung für diejenigen, die ihrer bedürfen und das ‚Unschädlichmachen’ für all jene, die nicht gebessert werden können.

  10. 10.

    Um die Ursachen von Devianz zu erklären, steht ein ganzes Arsenal von Theorien zur Verfügung:u. a. Mertons Anomietheorie (1938), die Techniken der Neutralisation nach Sykes und Matza (1957), die Theorie der differentiellen Assoziation (Sutherland 1939) und der differentiellen Verstärkung (Akers 1969), Hirschis Kontrolltheorie (1969) sowie die Subkulturtheorie von Cohen (1955) oder die Rational-Choice-Theorie (vgl. u. a. Becker 1976).

  11. 11.

    Der Begriff der Moral spielt im Denken Durkheims eine zentrale Rolle: Die Moralordnung versteht er als Grundlage für die Gesellschaftsordnung überhaupt (vgl. u.a. Durkheim 1975: 171ff.). In seiner Untersuchung über den Selbstmord (1897) verweist er auf einen Zustand der „moralischen Misere” (1973: 16), d. h. auf einen Mangel an sozialer Ordnung (Anomie), der daraus resultiere, dass bestehende (religiöse) Normen an Verbindlichkeit verlieren, das kollektive Bewusstsein geschädigt sei und die soziale Kontrolle weitgehend unterminiert werde (vgl. ebd.: 273 ff.). Es ist dabei nicht das bloße Auftreten von Selbstmord, Kriminalität oder anderen Formen abweichenden Verhaltens, das auf eine moralische Krise hinweise (im Gegenteil: abweichendes Verhalten und Kriminalität versteht Durkheim als normale gesellschaftliche Phänomene), sondern deren unverhältnismäßiges Wachstum. Das heißt, ein pathologischer gesellschaftlicher Zustand (bzw. ein soziales Problem) wird erst dadurch angezeigt, dass deviantes Verhalten ein Übermaß erreicht (vgl. hierzu auch Durkheim 1999b: 131 ff.).

  12. 12.

    Der Ursprung der sozialen Ordnung ist nach Durkheim (1999a: 5) der Zwang, der durch das Kollektiv ausgeübt wird.

  13. 13.

    Wenngleich bereits Durkheim (1999a: 7) einräumt, dass die AbweichlerInnen von heute die InnovateurInnen von morgen werden können, sozialer Wandel also prinzipiell möglich ist, wird dieser dennoch in erster Linie als gesellschaftliches Ungleichgewicht, als Zustand der Anomie, bewertet.

  14. 14.

    Im Unterschied zu Blumer (1975), dessen Phasenmodell mit der Implementierung eines Handlungsplans zur Bearbeitung sozialer Probleme endet, weist das von Spector/Kitsuse (2001: 142 ff.) entworfene vierstufige Karrieremodell explizit zwei Entwicklungsphasen sozialer Probleme auf, in denen es nach der „Ausführung eines offiziellen Handlungsplans“ bei AkteurInnen zur Unzufriedenheit mit den institutionellen Formen der Problembearbeitung kommt (Phase 3) und schließlich die Fähigkeit oder der Wille der Kontrollinstanzen zur Lösung des Problems angezweifelt wird und alternative Bearbeitungsmodelle entwickelt werden (Phase 4).

  15. 15.

    Verwiesen wird insofern auch auf eine gesellschaftspolitische Dimension, da die Setzung und Durchsetzung von Normen in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Machtpositionen steht (vgl. Becker 1966: 3 ff.).

  16. 16.

    Eine deutliche Illustration findet dies auch darin, dass das Herbeiführen einer Krankheitseinsicht ein wesentliches Ziel des therapeutischen Prozesses ist und der Widerstand gegen eine Krankheitsdiagnose als Leugnung und fehlendes Problembewusstsein interpretiert wird.

  17. 17.

    Für Deutschland ist beispielsweise der „Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit“, für die USA die „Social Welfare Action Alliance“ zu nennen.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2013 Springer Fachmedien Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Bernard, C. (2013). Soziale Probleme im Spiegel objektivistischer und konstruktivistischer Theorien. In: Frauen in Drogenszenen. Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit, vol 17. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01330-1_2

Download citation

Publish with us

Policies and ethics