Zusammenfassung
Körperorgane und Körperfunktionen, biologisch-physische Vorgänge, leibliches Geschehen: kurz alles, was mit der Körperlichkeit des Menschen und den vitalen naturhaften Erscheinungen seines Lebens zusammenhängt, ist mehr oder weniger eng in gesellschaftliche Erscheinungen einbezogen, mit Gesellschaftsvorgängen verflochten, hat seine besondere Stellung und Bedeutung im sozialen Leben. Daß gewisse körperliche Verrichtungen, wie die Entleerungen, außerhalb der Gemeinschaft vorgenommen werden, andere, wie Essen und Trinken, umgekehrt gerade im Rahmen der Geselligkeit, und daß die Art ihrer Regelung nicht zum wenigsten durch die Sozietät beeinflußt ist; daß bestimmten Körperteilen (etwa der Haut oder der Körpergröße) eine besondere Bedeutung für die gesellschaftliche Achtung und Geltung zukommt, daß das körperliche „Aussehen“ zum guten Teil für das Auftreten bestimmter sozialer Gefühle: Sympathie und Antipathie, Hinneigung und Ablehnung, Mitleid und ähnliches ausschlaggebend wirkt; daß einzelne Körperfunktionen, wie das Sprechen, unmittelbar den geistigen Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft dienen, während andere, wie die körperlichen Ausdrucks-bewegungen, in besonderem Maße den gefühlsmäßigen Austausch zwischen ihren Gliedern vermitteln; weiter: daß einzelne körperliche Sonderphänomene, wie die Sexualität die Grundlage für entscheidende soziale Beziehungen und Verbindungen, — so für Ehe und Familie — abgeben und die (physische) Geschlechtlichkeit — männliche oder weibliche — von vornherein die Stellung des einzelnen in der Gemeinschaft im bestimmten Umfange und Sinne festlegt; daß schließlich gewisse Körperkonstitutionen je nach Art und Ausprägung über die soziale Leistungsfähigkeit und -Unfähigkeit, Überlegenheit und Unterlegenheit, Aufstieg und Verfall, kurz über den persönlichen sozialen Wert grundsätzlich entscheiden: Alles dies gibt, von den verschiedensten Seiten des alltäglichen Lebens hergeholt, ebensoviel bezeichnende Belege für die grundlegende Erfahrung von der sozialen Bedeutung und Verflechtung der körperlichen und biologischen Erscheinungen und Vorgänge ab. An diesen sozialen Verknüpfungen und Bedeutsamkeiten nehmen naturgemäß auch die Krankheiten in einer ihrer Eigenart entsprechenden und je nach der Spielform variierenden Weise teil, und nicht zum wenigsten haben daran speziell die Neurosen einen maßgebenden Anteil.
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Brun, R.: Experimentelle Beiträge zur Dynamik und Ökonomie des Triebkonflikts. Biologische Parallelen zu Freuds Trieblehre. Imago (Wien) 2.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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Birnbaum, K. (1933). Zur Einführung. In: Soziologie der Neurosen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99626-9_1
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