Zusammenfassung
Eine naturwissenschaftliche Psychologie ist ein Stück Biologie, nichts mehr und nichts weniger. Der Philosoph und der philosophisch orientierte Moralist werden sie eine „materialistische“nennen und mit diesem Wort zugleich werten — meist negativ. Es gibt auch Naturwissenschafter, die meinen, auf dem Boden der materialistischen Erkenntnistheorie sei eine Lebens- oder Weltanschauung unmöglich. Sie verwechseln aber ihre persönliche Anschauung mit einer Lebensanschauung überhaupt. Man wirft den als „materialistisch“verschrieenen Anschauungen vor, sie vernichten die Ideale. Auch das ist unrichtig; ‚sie ersetzen nur Phantasieideale durch in der Erfahrung und direkt in den moralischen Instinkten begründete, rassenerhaltende und eudämonistische, aber auch andere z. B. wissenschaftliche und künstlerische. Die ganze Moral lassen sie nicht nur intakt, sondern sie verleihen ihr noch logisch verständlichen Wert.
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Literatur
Vgl. die erkennttnistheoretisehen Notizen im ersten Kapitel.
Man könnte einwenden, durch diese Behauptung sagen wir etwas Positives vom Unendlichen, das wir doch nicht kennen. Wir können aber von einem Begriff, der die Endlichkeit voraussetzt, wissen, daß er nicht zugleich die Unendlichkeit voraussetzt.
Man behauptet jetzt, „die Welt“sei endlich. Die ist aber nicht das Weltall, der abstrakte Raum, sondern ein neuer prinzipiell ebenso endlicher Begriff wie z. B. der weniger umfassende ältere des Sonnensystems. Er bezeichnet den unseren Sinnen und unserem Denkvermögen zugänglichen „Teil“des Weltalls.
Wenn man wenigstens nicht mit einer okkulten Welt mit unbekannten Gesetzen rechnen will. Auch wenn übrigens die bis jetzt von den Spiritisten berichteten „Erscheinungen Verstorbener“zurecht bestünden, würden sie das Weiterleben einer Persönlichkeit in der Form, wie es vorgestellt wird, nicht beweisen, sondern geradezu unwahrscheinlich machen.
Wenn er, wie in den letzten 20 Jahren, gegen seine eigenen Prinzipien und gegen das Prinzip der Moral, dem er entsprungen ist, vergißt, daß es nur eine Moral zur Erhaltung der Gesamtheit gibt, so wird er daran zugrunde gehen.
Für die äußere Lebensanschauung gilt nicht, daß man sie an den Früchten erkennen könne, die Früchte hängen vom Charakter und nicht von der überkommenen Form der Lebensanschauung ab. Biologisch, an ihren Wurzeln, ist die Lebensanschauung zu werten: Pessimismus entspringt im wesentlichen mangelnder Fähigkeit, sich den Bedürfnissen des Lebens anzupassen und sich an dem zu freuen, was es bietet; aber nachgebetet wird er von manchen nur deshalb, weil man sich damit interessanter erscheint: man kann alles kritisieren und zeigen, was für einen Fehler der liebe Gott gemacht hat, als er nach seinem eigenen Gutdünken die Welt einrichtete, statt nach der so wunderbaren Weisheit des betreffenden Philosophen. Wirkliche Lebensverneinung — nicht die mit dem Mitgefühl für das Elend der Menschen gepaarte Bedürfnislosigkeit eines Franz von Assissi — kannbis zu einem gewissen Grade eine gesunde Reaktion auf durch Übersättigung erworbene Blasiertheit sein, wie es bei dem Königssohn Buddha der Fall sein mag (ich kenne ihn zu wenig, um bestimmt zu reden). Aber gerade auch bei ihm und der indischen Weltanschauung überhaupt verrät die Lebensverneinung, die Furcht vor der Wiedergeburt, den de-generativen Mangel an Lebenstüchtigkeit und Freude, den Kampf mit dem Leben durchzuführen, während vielleicht in den Begriff des Nirwana da und dort etwas von der sexuellen Wollust eingegangen ist, deren Höhe von manchen als ein Schwinden des Bewußtseins der Außenwelt oder des Bewußtseins überhaupt dargestellt wird. Lebens- und Genuß-fähigkeit verlangt nach,,Ewigkeit“, d. h. Nicht-aufhören.
Kennen soll man hingegen seine Fehler, um sie soweit möglich bessern zu können, und um nichts zu unternehmen, in dem sie verhängnisvoll werden können oder wenigstens uns Kräfte vergeuden lassen.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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Goethe, J.W. (1932). Lebens- und Weltanschauung. In: Naturgeschichte der Seele und ihres Bewußtwerdens. Mnemistische Biopsychologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99611-5_5
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