Zusammenfassung
Noch weit mehr als von der Simulation wird von den traumatischen Neurosen behauptet, daß sie von der sozialen Versicherung gezüchtet werden. Ja, die Meinung einzelner scheint wohl dahin zu gehen, daß die soziale Gesetzgebung die traumatischen Neurosen erst geschaffen habe, und in manchen Veröffentlichungen wird von dem deutschen Gelehrten, der sich anfangs besonders intensiv mit dieser Krankheit beschäftigt hat, in vorwurfsvollen Worten gar gesprochen, als ob er dies Leiden „erfunden“ habe, und als ob ohne diese Erfindung die Welt heutzutage von den traumatischen Neurosen verschont geblieben wäre. Nun sind die traumatischen Neurosen schon vor der Entstehung der sozialen Versicherung bekannt gewesen, wie sogleich dargetan werden wird. Andererseits ist aber zuzugeben, daß die Versicherung auf die Verbreitung dieser Krankheit einen Einfluß gehabt hat. Sicher hat es vor der Unfallgesetzgebung unanzweifelbare traumatische Neurosen gegeben; aber ihre auffallende Anhäufung seitdem, die verhältnismäßig schlechte Prognose derjenigen Fälle, die sich in einem Rentenverhältnisse befinden, und die relativ gute derjenigen, wo es sich um keine Rente, dagegen um Erhaltung von Karriere und Amt (Reiteroffiziere v. Bruns) handelt, weisen doch darauf hin, daß die Gewährung der Rente in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Erkrankung und ihrem Verlaufe steht. Diese und andere Tatsachen gaben dann den Anlaß, den Ausdruck „Rentenhysterie“ zu prägen und „Begehrungsvorstellungen“ (Strümpell) als ursächliches Moment hervorzuziehen. Es handelt sich bei den traumatischen Neurosen um Krankheiten, bei denen Trauma, krankhafte psychische Veränderung und der Kampf um die Rente in einem gewissen, graduell aber in jedem Fall verschiedenen Zusammenhang miteinander stehen. Jedenfalls kann unter Umständen die Gewährung der Rente die Prognose erheblich verschlechtern, da durch sie der Antrieb zur Arbeit und damit zur Wiederherstellung der Psyche in Fortfall kommt.
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Ewald, W. (1914). Traumatische Neurose und Rentenhysterie. In: Soziale Medizin. Ein Lehrbuch für Ärzte, Studierende, Medizinal- und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99509-5_14
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