Zusammenfassung
Das gehäufte Vorkommen von Geistesstörungen hat schon lange die Frage, nach der Bedeutung der Vererbung in der Psychiatrie aufwerfen lassen. Immerhin wurde die „erbliche Belastung“ mehr nebenher untersucht, und man gab sich lange allzu schnell mit der Bemerkung „keine Heredität“ zufrieden, wenn die keineswegs besonders eingehenden Fragen nach dieser Richtung von den Kranken oder von anderen Auskunftgebern verneint wurden. Hatten auch kritische Beobachter schon früher die erbliche Belastung als wesentlichen Faktor in der Entstehung der Geistesstörungen angesehen, so gelangte man in der Psychiatrie zu exakten genealogischen Fragestellungen naturgemäß doch erst durch die Einführung der mendelistischen Betrachtungsweise. Schon ein Beispiel ist kennzeichnend für die Wichtigkeit des Mendelismus in der Psychiatrie: man war früher sicher vielfach geneigt, die diskontinuierliche Vererbung, soweit man sich überhaupt entschließen konnte, eine solche anzuerkennen, in ihrer Bedeutung zu unterschätzen; von dem Zeitpunkt an, da man den rezessiven Erbmodus außer dem dominanten kennen und sein Vorkommen bei der Vererbung der Seelenstörungen suchen lernte, war jeder Zweifel über das Auftreten diskontinuierlicher Erbgänge und über ihre Gleichberechtigung neben kontinuierlichen gebannt.
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Literatur
Kahn: Erbbiologisch-klinische Betrachtungen und Versuche.
Wir möchten festlegen, daß wir die Pathogenese der Schizophrenie für nicht ausschließlich vom Genotypus ausgefüllt halten, wenn wir auch der Meinung sind, daß er den überwiegenden Anteil daran hat.
Vgl. Kahn: Konstitution, Erbbiologie und Psychiatrie.
Nach Weinbergs Kritik hat Wittermann dessen Methode nicht ganz richtig angewendet (zit. nach Rüdin)
Sind aus Hof f m an n s eigenen 5 Gruppen zu errechnen, wenn man 11 kranke Kinder annimmt; nimmt man 13 kranke Kinder an (s. Hoffmann, S. 91), so ergeben sich bei 127 Kindern insgesamt für die Kranken 10,23 0/0 Hoffmann hat zu seinen 5 Gruppen noch eine Gruppe von RR x DR-Kreuzungen von Rüdin genommen —23 Kinder, davon 2 krank — und dann aus der Summe von 150 Kindern und 13 bzw. 15 Kranken die Prozentsätze 8,6 bzw. 10 berechnet. Als Durchschnitt lassen sich jedenfalls 9 °/ U annehmen; er ist, wie Hoff mann betont, aber zu niedrig.
Medow sagt u. a. noch: „Die in der Verwandtschaft von Schizophrenen gefundenen Bilder stellen ohne Zweifel nur einen kleinenTei. der großen Gruppe der Haltlosen und moralisch Minderwertigen, sowie der Neurastheniker dar, mit denen sie ursächlich nichts gemein haben, und von denen sie doch symptomatologisch nicht abgetrennt werden können.“
Ist es wirklich die gleiche?
Auf die affinen Körperbautypen K r e t s c h m e r s gehen wir nicht ein, weil es an der Hand unseres Materials nicht möglich ist, zu ihnen Stellung zu nehmen.
Hoffmann hat „die auffallende Ähnlichkeit zwischen der schizoiden Charakteranomalie und der präpsychotischen Persönlichkeit bei der Dementia praecox“ besonders unterstrichen.
Anmerkung bei der Korrektur: Kretschmer scheint inzwischen seine Meinung in diesem Punkt modifiziert zu haben. (Kiin Wochenschr. 1912, 13. Heft.)
In den Fällen, in denen Medow Heredität findet, hält er einen rezessiven Erbgang für wahrscheinlich.
Vgl, das Zitat aus Kretschmer S. 15, außerdem Kretschmer: „Im großen biologischen Rahmen betrachtet aber sind die endogenen Psychosen nichts anderes als pointierte Zuspitzungen normaler Temperamentstypen“ (vgl. dazu die Fußnote S. 15).
Hoffmann weist mit Recht darauf hin, daß die Differenzierung schizoider und zykloider Psychopathen vielfach nicht besonders schwierig ist; bei „unreinen“ Fällen kompliziert sich aber hier die Differentialdiagnose erst recht.
Kahn: Konstitution, Erbbiologie und Psychiatrie.
Zit. nach Nachtsheim.
Hier ist nicht zu übersehen, daß die einzelnen genotypischen Faktoren bei all ihrer Abhängigkeit von anderen genotypischen und von Umweltfaktoren doch eine gewaltige Konstanz in sich haben, eine Tatsache, die gelegentlich treffend als „ungeheures Gedächtnis der Vererbung“ bezeichnet wurde (Rüdin.)
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Kahn, E., Rüdin, E. (1923). Allgemeine Erörterungen über den Erbgang der Schizophrenie. In: Rüdin, E. (eds) Studien über Vererbung und Entstehung Geistiger Störungen. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99331-2_1
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