Zusammenfassung
Das Gebiet, das die Neurologie heute umfaßt, und das der Neurologe vertritt, setzt sieh aus zwei im Grunde ganz verschiedenen Teilen zusammen. Diese beiden Teile sind die organischen Nervenkrankheiten auf der einen Seite, die Psychoneurosen auf der anderen. Die organischen Erkrankungen haben als Grundlage grobe anatomische Veränderungen, die Neurosen — Neurasthenie, Hysterie, Zwangsvorstellungen und verwandte Zustände — besitzen ein anatomisches Substrat nicht. Diese Neurosen sind in der Tat nur seelische Erkrankungen, und zwar die leichtesten, oberflächlichsten seelischen Erkrankungen. An dieser Stelle hört man vielfach folgenden Einwand: Jeder seelische Vorgang habe doch einen körperlichen Parallelvorgang, und jede seelische Erkrankung sei doch anerkanntermaßen eine Gehirnerkrankung. Habe man zwar für die Neurosen noch keine anatomische Grundlage gefunden, so werde und müsse man doch einmal dafür eine finden — und damit fiele dann der ganze Unterschied zwischen den organischen Erkrankungen und den Neurosen dahin. Habe man doch auch bei Geisteskrankheiten, wie etwa der Dementia praecox (Schizophrenie) oder der progressiven Paralyse feinere und gröbere anatomische Befunde erhoben. Man kann diesem Einwand gegenüber ruhig zugeben, daß auch die Neurosen auf molekularen, möglicherweise sogar in ferner Zukunft einmal anatomisch nachweisbar werdenden Veränderungen des Nervensystems beruhen mögen: aber soviel ist sicher: die mögliehen Veränderungen der Neurosen sind doch bei weitem nicht so tief, als die feinsten uns bisher bekannten Veränderungen, die nämlich bei einigen Geisteskrankheiten.
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Hirschfeld, R., Lewandowskys, M. (1923). Die erste Aufgabe der Untersuchung von Nervenkranken. Einteilung der Nervenkrankheiten. In: Praktische Neurologie für Ärzte. Fachbücher für Ärzte, vol 1. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99259-9_1
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