Zusammenfassung
Mit dem Einflusse der Schwangerschaft auf das Nervensystem verhält es sich in gewissem Maße ähnlich wie mit dem der Menstruation. Wir begegnen Frauen, welche die Schwangerschaft von Anfang bis zu Ende ohne jede auf den Zustand zurückzuführende nennenswerte Störung des Befindens durchmachen, und daneben wieder anderen, welche während der Schwangerschaft von mehr minder bedeutenden, zum Teil selbst das Leben bedrohenden nervösen Störungen heimgesucht werden. Die Veränderungen, welche der weibliche Organismus während der Gravidität erfährt, das allmähliche Anwachsen des Uterus, die Modifikation der Blutbeschaffenheit und des Stoffwechsels und der Übertritt fötaler Stoffwechselprodukte in das mütterliche Blut, machen es begreiflich, daß Personen, deren Nervensystem die Merkmale der reizbaren Schwäche (i. e. der sogenannten neuropathischen Disposition) in irgend einem Grade aufweist, während der Schwangerschaft von nervösen Zufällen heimgesucht werden, während Personen von robuster Nervenkonstitution unter sonst gleichen Verhältnissen verschont bleiben. Daß übrigens auch bei gesunden Frauen die Schwangerschaft an sich, d. h. infolge der mit ihr verknüpften physiologischen Veränderungen des Organismus die Erregbarkeit des Nervensystems nicht unbeeinflußt läßt, ist sehr wahrscheinlich. Hierfür könnte der Umstand geltend gemacht werden, daß Naumann bei den meisten von ihm untersuchten Schwangeren eine Steigerung des Kniephänomens fand, die im Verlaufe der Schwangerschaft zunahm 1).
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Literatur
Die Angaben anderer Autoren über die Häufigkeit der Steigerung der Sehnenreflexe in der Schwangerschaft stimmen hiermit jedoch nicht ganz überein. So fand Bauchnitz (Veränderungen des Nervensystems in der Gravidität, Inaugural-Diss. München 1903) die fragliche Erscheinung nur in 27% der von ihm untersuchten Fälle und nur gegen Ende der Schwangerschaft.
Hermann Müller: Beiträge zur Kenntnis der Hyperemesis gravidarum. Sonderabdruck aus der psychiatrischen neurologischen Wochenschr. X. Jahrgang.
Saenger: Nervenerkrankungen in der Gravidität. Münch. med. Wochenschr. 1912. Nr. 41. S. 2214.
Es muß hier noch bemerkt werden, daß die psychogenen Momente, welche die Hyperemesis gravidarum herbeiführen, allem Anscheine nach nicht immer die gleichen sind. Man hat früher angenommen, daß es sich hierbei gewöhnlich um Autosuggestionen handle, wofür ja auch die Erfahrungen über suggestive Beeinflussung des Zustandes sprachen. H. Müller hat jedoch darauf hingewiesen, daß die Hyperemesis auch von unbewußten stark affektbetonten Vorstellungskomplexen ausgehen und ein Symbol der Abneigung gegen den Gatten oder das (unerwünschte) Kind bilden mag.
Dieser Fall nahm nach der Transferierung der Patientin in eines der hiesigen Hospitäler einen tödlichen Ausgang.
v. Hoeßlin: Münch. med. Wochenschr. 1904. Nr. 10 und Archiv f. Psychiatrie. Bd. 38. H. 3. 1904, ferner Münch. med. Wochenschr. Nr. 14. 1905. Den Angaben v. Hoeßlins hat sich auch Anton (Über Geistes- und Nervenkrankheiten in der Schwangerschaft, im Wochenbett und in der Säugungszeit, Wiesbaden 1910) im wesentlichen angeschlossen.
Archiv f. Gynäk. Bd. XI. S. 584.
In dieser Zahl sind jedoch auch Fälle mit Gehirnblutungen eingeschlossen, die inter partum und während des Wochenbettes auftraten.
Zitiert bei Müller: Krankheiten des weiblichen Körpers in ihren Wechselbeziehungen zu den Geschlechtsfunktionen. S. 37.
Diese Auffassung wird auch von Saenger vertreten.
Fischer: Archiv f. Psychiatric Bd. 13. I. Heft. 1882.
Loewenfeld: Ibidem. Bd. 15. Heft 2.
Bei den von unbescholtenen Schwangeren ausgeführten Diebstählen handelt es sich jedoch nicht immer um Zwangstriebe. Von Fischer wurde (Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie. Bd. 61. Heft 5) der Fall einer schwangeren Frau mitgeteilt, welche in einem hysterischen Dämmerzustande während eines Geschäftsganges eine Anzahl von Diebstählen ausführte.
Über die Prognose der Schwangerschaftspsychosen siehe an späterer Stelle (Prognose der Generationspsychosen).
Art. Grossesse, Dict, encycl. des sciences medicales.
Féré: Les épilepsies et les épileptiques 1890. S. 285.
Guder, siehe Binswanger, Artikel Epilepsie in der Eulenburgschen Realenzyklopädie.
Anton beobachtete einen Fall, in welchem epileptische Krämpfe zum ersten Male während der Schwangerschaft sich einstellten und durch Unterbrechung derselben dauernd beseitigt wurden.
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Löwenfeld, L. (1922). Die nervösen und psychischen Störungen der Schwangerschaft. In: Sexualleben und Nervenleiden. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99251-3_5
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