Zusammenfassung
Das Vorschlagsrecht der Fakultäten, d. h. das Recht bei den Ernennungen und Berufungen der Professoren mitzuwirken dadurch, daß sie der Regierung bei der Besetzung frei gewordener oder neuerrichteter Professuren Vorschläge machen, ist keineswegs ein altes und satzungsgemäß festgesetztes. In den Satzungen der Universität Berlin vom Jahre 1811 ist davon keine Rede und auch in dem Entwurf der vier „kommitierten“ Professoren (Schleiermacher, Savigny, Rudolphi, Boeck) vom 27. Juni 1812 ist ein derartiges Recht nicht gefordert1). Erst in einer Eingabe des Rektors und Senats vom 16. August 1843 (gezeichnet Raumer, Lancizolle, Müller, Trendelenburg) wird dem Ministerium die Bitte ausgesprochen, es wolle „über neue Anstellungen die Gutachten der Fakultäten und, nötigenfalls des Senates, erfordern und möglichst berücksichtigen“. Begründet wird sie damit: „Niemand kann und soll besser wissen, welcher Lehrer die Universität bedarf als sie selbst. Stände ihr indes die Berufung und Anstellung allein zu, so ließe sich befürchten, sie könne hierbei einseitig und eigennützig verfahren2).“ Erst allmählich hat sich als ein Gewohnheitsrecht ausgebildet, daß die Fakultäten vom Minister befragt werden, ein Recht, das erst in neuerer und neuster Zeit satzungsgemäß festgelegt wurde und z. B, in den Satzungen der Universität Kiel noch bis zum Jahre 1917 ganz fehlte.
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Notes
Lenz, Geschichted. Kgl. Friedrich-Wilhelms-Univers. Berlin. Bd. IV, S. 221.
Ebenda, Bd. IV, S. 596.
Die Satzungen der Berliner Universität enthalten die Bestimmung auch jetzt noch nicht, nur in den Fakultätssatzungen, z. B. denen der medizinischen Fakultät vom 9. Juni 1914, ist es in sehr bescheidener Form ausgesprochen: „Ist ein Ordinariat oder Extraordinariat erledigt, so ist der Fakultät gestattet, drei geeignete Männer mittels eines motivierten Gutachtens dem Minister vorzuschlagen.“
Deutsche allgem. Zeitung vom 17. März 1919.
W. Ostwald, Große Männer. Leipzig 1909. S. 393.
Ebenda S. 394.
Der Fall Schopenhauer spricht nicht dagegen; denn abgesehen davon, daß, wie Ostwald sagt, es ihm wirklich an den persönlichen Eigenschaften fihlte, hat er niemals ernstlich eine Lehrtätigkeit angestrebt, da er in der Zeit, in der er Privatdozent in Berlin war (1820–1832), zwölf Semester überhaupt nicht anwesend war und in den dreizehn Semestern, in denen er Vorlesungen ankündigte, sich darauf versteifte, zur selben Zeit, wo Hegel seine Hauptvorlesungen hatte, zu lesen (s. Lenz, Bd. 2, 1, S. 305). Auch daß Karl Marx und Ferd. Lassalle nicht Universitätsprofessoren wurden, spricht nicht dagegen; denn ersterer hat es niemals angestrebt und wäre seiner ganzen Art nach wenig geeignet dafür gewesen, und letzterer, der eine Zeitlang wohl akademischen Ehrgeiz hatte, wurde später so ganz von seinem politischen Agitationswerke in Anspruch genommen und verzehrt, daß er als Universitätslehrer und Forscher unmöglich war.
Von jüdischer Seite wird den Fakultäten besonders vorgehalten, daß seit Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, also seit dem Einsetzen einer starken antisemitischen Bewegung, kein ungetaufter Jude mehr zum ordentlichen Professor vorgeschlagen worden wäre, besonders in den medizinischen Fakultäten. Das ist zwar nicht ganz richtig, würde aber immerhin noch nicht allzu viel beweisen, da erst der Nachweis geführt werden müßte, daß die übergangenen jüdischen Dozenten in jeder Hinsicht geeigneter waren als die erwählten Christen. Im übrigen hat hier oft auch die Befürchtung mitgespielt, daß bei dem starken Zusammengehörigkeitsgefühl der Juden die Berufung eines bald solche zahlreicher anderer nach sich ziehen würde. Was wir heute hinsichtlich der Besetzung hoher Staatsämter erleben, dürfte eine derartige Befürchtung als nicht ganz unberechtigt erscheinen lassen.
Die Lebensgeschichte der großen deutschen Entdecker, auch der hervorragenden Mediziner, bietet mannigfache Beispiele dafür. Der noch nicht 28 jährige Rudolf Virchow erhielt im Jahre 1849 zwei Berufungen als ordentlicher Professor nach Gießen und Würzburg, im Jahre 1852 eine als Leiter der inneren Klinik nach Zürich und 1856 nach Berlin. Ähnliches gilt von Henle, Helmholtz, Frerichs, Billroth u. a.
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Lubarsch, O. (1919). Das Berufungswesen. In: Zur Frage der Hochschulreform. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99242-1_4
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