Zusammenfassung
Die existenziale Haltung allein gewährleistet für die Zusammenhänge, die hier in Frage stehen, eine angemessene Erfassung. Indessen ist es mit dem mehrdeutigen Modewort „Existenz“, „existenzial“ nicht getan; wir wollen es ja davor bewahren, zum Schlagwort zu erstarren, indem wir es in sein Heimatgebiet, ins Psychologische retten. Ich kann auf bereits Gesagtes verweisen. Eins muß man vor allem sehen: es dreht sich um eine Antinomie, die erst neuerdings in der Psychologie allmählich das Gewicht erlangt, das ihr zukommt Unsere Aufgabe ist von sachlicher, nicht von historischer Art; sonst wäre es reizvoll, das hier liegende Problem in seinen Ansätzen durch die Jahrhunderte zu verfolgen und zu zeigen, warum es erst in unserem geistigen Raume sich so aufdringlich erheben konnte. Kurz gesagt, wir sollen uns bei der Erfassung der seelischen Abläufe eines Gegenstandes bemächtigen, — um ihn zu erkennen und weiter darüber zu verfügen — dessen Natur es widerstrebt, Gegenstand, Objekt zu sein; zwingen wir ihn dazu, so tritt er in eine ganz andere Seinsebene ein, in der er seinem Wesen entfremdet wird, ähnlich als wenn wir ein Marmorbildwerk, um sein Wesen zu erfassen, in Säure auflösen und weiterhin in seinen chemischen Eigenschaften erforschen wollten. Das Problem ist neuerdings mehrfach behandelt worden; es liegt aber noch tiefer als es meistens gesehen wird. Im Grunde ergibt die Zuwendung zu jedem Gegenstande, welcher Art auch immer, diese Fragestellung. Hier liegt das Thema für alle Schattierungen des erkenntnistheoretischen Idealismus. Daran erinnere ich nur, um den grundlegenden Unterschied zwischen der Erfassung der seelischen Vorgänge und der der übrigen Gegenstandswelt herauszustellen. Die Naturwissenschaft hat mit diesem Problem Frieden geschlossen; sie überläßt es neidlos der Philosophie, gibt ihr „Désintéressement“ höchstens aus persönlicher Liebhaberei auf, oder allenfalls, wenn irgendwelche fremdartigen, bisher nicht geduldeten Fragestellungen den Frieden ihrer (eindeutig festliegenden) Methodik zu stören drohen. Psychologisch könnte man hier, wenn man mit HEIDEGGER die Angst („vor dem In-der-Welt-sein selbst“) als eine „Grundbefindlichkeit“ des Daseins betrachtet, verschiedene Grade dieser „Angst” und ihres Korrelats — der Abwehr und des Bemächtigungsstrebens — annehmen: dem Naturwissenschaftler genügt es, sich der Dinge, deren Vorhandensein er voraussetzt, zu bemächtigen, der idealistische Philosoph will sie nach Möglichkeit selbst schaffen 1.
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Meinertz, J. (1939). Die existenziale Haltung als Grundlage der Erfassung seelischer Vorgänge in der Psychotherapie. In: Psychotherapie — eine Wissenschaft!. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99221-6_15
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