Zusammenfassung
Die Gegenüberstellung von „Reiner Rechtslehre“ und „Gesetzgebungstechnik“ soll die Frage andeuten, die im folgenden zu beantworten gesucht wird: Kann die Reine Rechtslehre etwas zu einer Gesetzgebungstechnik beitragen und — bejahendenfalls — in welcher Hinsicht?
Eingeklammerte Ziffern im Beitrag beziehen sich auf die Anmerkungen, S. 149- 151.
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Anmerkungen
Kelsen, Reine Rechtslehre2, 1960, 1.
Vgl. zum Begriff der Gesetzgebungstechnik z.B. Müller, Richtlinien der Gesetzestechnik in Bund und Kantonen, in: Rödig ( Hrsg. ), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, 211.
Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2.– Teil, 2. Abt.4, 325.
Vgl. näher Walter, Die Lehre von der Gesetzestechnik, ÖJZ 1963, 85.
Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, 78.
Und dies kommt bei einer Teilung der Gebotsnorm besser zum Ausdruck (vgl. auch die Konstruktion von Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre2 1948, 10, 13 ).
Kelsens letzte Formulierung, wonach die normative Funktion von Ermächtigungsnormen darin besteht, daß sie “einem Indi- vidium die Macht verleihen, Normen zu setzen und anzuwenden” (Allgemeine Theorie, 82) ist nicht besonders deutlich. Es muß gewiß kein “Individuum” sein, das ermächtigt wird, sondern es kann auch ein “Kollektiv” (z.B. ein Parlament) sein; es ist gewiß keine “Macht” im effektiven Sinne, um die es geht, sondern — wie Kelsen später selbst schreibt — eine “Rechtsmacht”, also eine Befugnis (“Können” im Rechtssinne: S 77). Und es muß — wie erst später deutlich wird — nicht um die Verleihung der Befugnis gehen, Normen zu setzen und zu vollziehen, sondern um die Befugnis in eine der beiden Richtungen: Setzen oder vollziehen. Schließlich sollte man — für die rechtstheoretische Betrachtung — noch hinzufügen, um welche Art von zu setzenden oder zu vollziehenden Normen es sich handelt. Aus diesen Überlegungen wurde im Text eine präzisere Begriffsbestimmung versucht.
Vgl. zu dieser Begriffsbildung Walter, Der Aufbau der Rechts-ordnung2, 1974.
Außer den gebietenden und den ermächtigenden Normen, nimmt Kelsen zuletzt auch noch eigene erlaubende und derogierende Normen an (Allgemeine Theorie der Normen, 77 f. Die Einführung dieser beiden Arten erscheint jedoch überflüssig. Bezüglich der erlaubenden Funktion sei folgendes bemerkt: Kelsen hebt zwei Bedeutungen des Erlaubens hervor: Das Erlauben in einem negativen und in einem positiven Sinne. Im negativen Sinne bedeutet Erlaubt sein bloß, daß ein Verhalten weder geboten ist, noch sein Unterlassen geboten ist. Wenn in diesem Sinne zu denken erlaubt ist, so ist es weder geboten zu denken, noch geboten nicht zu denken, D.H. zu denken steht jedem frei. Dies bringt aber nur zum Ausdruck, daß in bezug auf das erwähnte Verhalten keine Norm besteht. Erlauben im negativen Sinne kann also keine Normfunktion sein. Unter Erlauben im positiven Sinne versteht Kelsen die Aufhebung oder Einschränkung einer Gebotsnorm durch Derogation oder die Einschränkung einer allgemeinen Norm durch eine besondere (Parken in der Metternichgasse in Wien bei Strafe von… verboten. Dem italienischen Botschafter ist das Parken in der Metternichgasse in Wien erlaubt). In beiden Fällen des positiven Erlaubens ist die Annahme einer spezifischen Normfunktion überflüssig: Wird eine Gebotsnorm aufgehoben oder eingeschränkt, steht die Derogationsfunktion der späteren Norm in Frage, keine Erlaubnis. Denn nach Aufhebung einer Gebotsnorm (Z.B. Parken…. verboten) ist das Verhalten negativ erlaubt, sei es ganz oder zum Teil. Und wenn eine allgemeine Gebotsvorschrift und eine diese einschränkende Erlaubnisregel besteht, so besteht in Wahrheit nur eine einzige Gebotsnorm, als deren Teil die Erlaubnisregel anzusehen ist (Parken…. allen außer dem italienischen Botschafter verboten). Dem italienischen Botschafter ist das Parken negativ erlaubt D.H. es ist ihm nicht verboten und nicht geboten zu parken, allen anderen ist das Parken verboten. Dies zeigt auch, daß man die Unterscheidung des Erlaubtseins nicht benötigt. Die hervorgehobene Zusammengehörigkeit jeder Erlaubnis im positiven Sinne mit einer Gebotsnorm, wirft auch ein gesetzgebungstechnisches Problem auf: Wo sollen die Erlaubnisse, die Ausnahmen von einer Gebotsnorm vorsehen, normiert sein? Der Übersichtlichkeit dienlich ist deren Normierung im Zusammenhang mit der Gebotsnorm. Sonst besteht die Gefahr, daß solche Ausnahmen übersehen werden. Auf das Problem der derogierenden Normen ist noch zurückzukommen.
Kelsen hat zuletzt — wie in Anm. 12 ausgeführt — gemeint, es sollten die “derogierenden Normen” als eigene Art von Normen angesehen werden. Auszugehen ist davon, daß derogie-rende Normen keine obersten Normen sind, sondern nur auf Grund anderer Rechtsnormen gelten können. Diese Rechtsnor-men, auf welchen die Derogationsnormen beruhen, können nur ermächtigender Art sein. So wie die als Ermächtigungsnormen bezeichneten Normen zur Erzeugung oder zum Vollzug von Rechtsnormen ermächtigen, ermächtigen die den Derogationsnormen Geltung verleihenden Normen zur Rechtsvernichtung. Bei dieser Situation — es gibt Normen, die zu Rechtsnormerzeugung (-Vollzug) ermächtigen und solche, die zur Rechtsnormvernichtung ermächtigen — erscheint es zweckmäßig den Begriff der Ermächtigungsnormen weiter zu fassen, nämlich dahin, daß als Ermächtigungsnormen jene angesehen werden, die Menschen die Befugnis verleihen Gebotsnormen oder Ermächtigunsnormen zu setzen oder aufzuheben (oder dazu Gebotsnormen zu vollziehen). Im Lichte so verstandener Ermächtigunsnormen kann zwar zwischen normerzeugenden und normvernichtenden Akten unterschieden werden, doch er-scheint der Unterschied nicht so erheblich, daß den Deroga-tionsnormen ein eigener Stellenwert eingeräumt werden müßte: Gebotsnormen werden aber — auf Grund bestehender Ermächtigung — erlassen und aufgehoben; dasselbe gilt für Erzeugungsnormen.
Vgl. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 89, 102, 166, 208 und passim. Vgl. dazu auch Walter, Der letzte Stand von Kelsens Normentheorie, in: Rechtstheorie, Beiheft 1, 1979, 295; Walter, Das Problem des Verhältnisses von Recht und Logik in der Reinen Rechtslehre, Rechtstheorie Bd. 11, 1980, 299.
Das in Vorbereitung befindliche Werk über das Wiener Symposion “Hans Kelsen zum 100. Geburtstag” wird auch einen Aufsatz von Schreier enthalten, in dem dieser auf einige Fragen der Gesetzgebungstechnik vom Standpunkt der Reinen Rechtslehre aufmerksam macht und auf Kelsens gesetzgebungstechnische Überlegungen in: Zur rechtstechnischen Revision des Völkerbundstatuts, ZÖRXVII, 1937, 401, hinweist.
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Walter, R. (1982). Reine Rechtslehre und Gesetzgebungstechnik. In: Kindermann, H. (eds) Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung 1982. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-95417-7_11
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