Zusammenfassung
Es ist hier die Aufgabe gestellt, zu einem Cantus firmus oder Choralgesang in ganzen Noten eine zweite ebenfalls in ganzen Noten singende Stimme hinzuzusetzen. Diese zweite Stimme oder der Contrapunkt mufs mit dem Cantus firmus lauter konsonierende Intervalle bilden, welche nach den obigen Regeln der Bewegung fortschreiten. Für die nächste Bearbeitung wollen wir die dorische Melodie aus Fux Gradus ad Parnassum (deutsche Ausgabe Tab. II, lateinische S. 43) wählen; sie hat, wie in dem Kapitel über die Melodie angegeben ist, einen abwärtssteigenden Schlufs, wir müssen daher dem Contrapunkt einen aufwärtssteigenden geben, so dafs auf diese Weise der Schlufs durch den Einklang oder die Oktave gebildet wird, z. B.
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Literatur
Es wurde oben vom tritonus und der verminderten Quinte gesagt, dafs man sie als Dissonanzen fast gar nicht gebraucht findet. Dies bezieht sich indes nur auf die vorbereitete Dissonanz auf avsis; ihr Gebrauch durchgehend auf thesis ist sehr wohl gestattet.
Vergl. Tuerk, kurze Anweisung zum Generalbassspielen, Halle u. Leipzig 1781, S. 40.
Vergl. hierüber und über andere ähnliche Stellen bei Palestrtna, Orlandus Lassus u. A. des Verf. Aufsatz „Die Wechselnote oder Cambiata bei den Komponisten des sechzehnten Jahrhunderts“ in No. 49 u. 50 der Allg. Musikal. Zeitung, Jahrgang 1869.
Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert findet man die Wechselnote nur abwärtssteigend angewandt; in modernen Kompositionen ist sie aber auch recht gut aufwärtssteigend zu gebrauchen, z. B.
Fux, Gradus ad parn. S 63: „Hic quoque dicendum esset de tempore ternario, ubi tres notae contra unam ponuntur. Quia autem ob rei facilitatem parvi est momenti res, operae pretium non arbitror, peculiarem ea causa lectionem statuere. Pauca exempta ad hujus rei intelligentiam sufficere modo compertum erit, (siehe das Notenbeispiel oben) ubi nota intermedia, quia omnes tres gradatim moventur, dissonantia esse potest; secus esset, si una vel altera saltaret ex his tribus, quo casu omnes tres consonantes esse oportere, ex jam dictis, constat.“
Durch die Mischung oder das Zusammensingen zweier Stimmen entsteht natürlich erst die Dissonanz. Dennoch pflegt man aber in einem dissonierenden Verhältnis denjenigen Ton, welcher der Vorbereitung und Auflösung bedarf, als den dissonierenden (als die Dissonanz) zu bezeichnen. Man sagt daher, in der Sekunde dissoniert die Unterstimme zur Oberstimme, welche erstere sich in die Terz auflösen mufs; in der None dissoniert dagegen die Oberstimme, deren Auflösung die Oktave ist. u. s. w. — Ebenso wird in mehrstimmigen Touverbindungen die zu bindende und aufzulösende Note als die Dissonanz eines Akkordes betrachtet, und dies auch hier in so fern mit Recht, als durch die Auflösung des betreffenden Tones (d. h. durch sein Hinuntersteigen um eine Tonstufe auf thesis) die Stimmen wieder in ein konsonierendes Verhältnis zu einander treten.
Bei den guten Komponisten kommen freilich hin und wieder kadencierende Stellen ähnlich den folgenden vor. In den Übungen mufs der Schüler aber vorläufig dergleichen Wendungen gänzlich vermeiden und sich hemühen, möglichst glattfliefsende Melodien zu erfinden.
Gegen die Regel, dafs an eine kurze Note keine lange angebunden werden soll, wird in der modernen Musik sehr oft gefehlt. Unter Nr. 2 wird ausgesprochen, dafs im strengeren Stile alle Noten durch zwei oder durch drei teilbar sein müssen. Dieses Gesetz finden wir in allen Kompositionen des sechzehnten Jahrhunderts streng beobachtet. Die Mensuralnotation der damaligen Zeit liefs nicht einmal zu, dafs man fünfteilige, siebenteilige u. s. w. Noten schrieb, und zwar aus dem Grunde, weil der Punkt das einzige Verlängerungszeichen war, welches man hatte, und die Anwendung des Bogens (⌢) noch unbekannt war. Die neuere Musik trägt gar kein Bedenken z. B. so zu schreiben u. dgl. Ich glaube, dafs man jetzt hierin selbst in der Instrumentalmusik über die Grenzen des Schönen (und auch des Fafslichen) hinausgeht, und halte es daher für wichtig, dafs sich der Schüler bei seinen Übungen durch jene oben aufgestellten strengeren Regeln bindet.
Ganze Noten und noch längere (d. h. punktierte ganze Noten, doppelte u. s. w.) finden natürlich in mehrstimmigen Gesängen vielfache Anwendung. Die Regel oder besser der Rat, sie möglichst zu vermeiden, bezieht sich nur auf jene Contrapunkte, welche der Schüler gegen einen in ganzen Noten fortschreitenden cantas firmus zu setzen hat.
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Bellermann, H. (1901). Erste Gattung des zweistimmigen Contrapunktes. In: Der Contrapunkt. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-94315-7_3
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