Zusammenfassung
Die Gewohnheit ist die ursprüngliche und für das Völkerrecht noch in weitem Maße wirksame Rechtsquelle (z.B. für das Gesandtschaftswesen). Gewohnheitsrecht (ungesetztes Recht) entsteht durch die tatsächliche Übung als Kundgebung des allgemeinen Rechtsbewußtseins (opinio juris sive necessitatis). Diese normative Kraft des Faktischen (Jellinek) fehlt einerseits bei Handlungen der Höflichkeit (comitas gentium, courtoisie internationale), die im Staatenverkehr allerdings keine nebensächliche Rolle spielen, andrerseits bei Handlungen, die im Notstand vorgenommen werden (Notakte). Doch ist die Grenze zwischen Recht und Sitte auch im Völkerrechte flüssig, und es führt die Entwicklung dazu, Handlungen der Höflichkeit allmählich zu Rechtspflichten zu gestalten (so im Gesandtenverkehr oder bei der Rechtshilfe, insbesondere der Auslieferung). Durch Übung kann nicht nur neues Recht geschaffen, sondern auch bestehendes Recht beseitigt, z. B. auf bloße Höflichkeit zurückgedrängt werden (wie der Schiffsgruß): konstitutive und derogative Kraft der Gewohnheit. So dürfte der bis dahin allgemein anerkannte Satz, daß der Krieg bloß gegen die Streitkräfte des Gegners, nicht gegen die friedliche Bevölkerung geführt werde (unten § 57 AIII) durch den Weltkrieg, als er zum Wirtschaftskriege ausartete, zunächst beseitigt sein.
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Fleischmann, M. (1925). Quellen des Völkerrechts. In: Fleischmann, M. (eds) Das Völkerrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-94282-2_2
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