Zusammenfassung
Das Recht, dessen Quelle die Natur ist, bezeichnet die Glosse als das natürliche Recht (z. B. Gl. zu Text. Prol. I. 3 — I. 51 — lI. 53 — III. 27 — III. 78). Wir geben zunächst einen Überblick über die Sätze, die die Glosse dem natürlichen Recht zurechnet.
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Literatur
Die literarische Bearbeitung der Geschichte des Naturrechts im Mittelalter ist noch völlig unbefriedigend. Das gilt namentlich für die hier vor allem in Betracht kommende Lehre der Glossatoren und der Canonisten. Weitaus am besten der ausgezeichnete Überblick, den O. Gierke im 3. Band seines Genossenschaftsrechts (S. 127/28 u. 61of.) gibt, trotz gelegentlich nicht einwandfreier Bemerkungen über Einzelfragen (so verschiedentlich hinsichtlich der Sachsenspiegelglosse).
Die Glosse bezieht sich hier im wesentlichen auf J. 2, 1. Die ursprünglichen Eigentumserwerbsarten werden hier zwar mit der naturalis ratio in Verbindung gebracht. Sie werden aber dem ius gentium zugerechnet; ebenso verfährt die Glossa ordinaria.
Die Glosse zitiert Dist. 1. c. 7, 10. X. II, 1, cap. 14 u. II, 25 cap. 5. — Dist. 1. c. 7: „ius naturale est … ut uiolentiae per vim repulsio“. Auch im justinianischen Recht wurde die Notwehr dem ius naturale zugerechnet. Vgl. Kipp: a. a. O. S. 6 bei Note 11.
Es handelt sich hier offenbar um einen von der Glosse selbst gebildeten Fall des natürlichen Rechts.
Die Glosse zitiert J. de rerum divi. § fere. = J. 2. 1, § 12. Hier wird aber die freie Aneignung, nicht die Herrenlosigkeit wilder Tiere mit der naturalis ratio begründet. Die freie Aneignung gilt ferner nicht als Satz des ius naturale, sondern des ius gentium.
Vgl. J.I 2, pr., D. I, I, I, § 3 (Ulpian). Dist. i. c. 7.
Ein Satz dieses Inhalts findet sich weder im corpus iuris civilis, noch im corpus iuris canonici und den zugehörigen Glossen. Die Glosse führt als Beleg für diesen Satz autenti quibus modis natura, effi. sui § si quis ergo, in fi. coll. 6. an. Gemeint ist wahrscheinlich Novelle 74, cap. 6. Hier ist davon die Rede, daß Kinder aus einer „copulatio non conscripta erunt naturales“, daß dies aber bei Kindern aus verbotenen Ehen nicht gelten solle. Die Glossa ordinaria bemerkt hierzu: „(ad pro-hibitis) sc. iure cognationis vel affinitatis: non quia defuerint scripta et tunc naturales dicentur“. Vielleicht ist der Satz der Sachsenspiegelglosse auf ein Mißverständnis der Worte „et tunc naturales dicentur“ zurückzuführen.
Doch ist die Widerklage nach der Glosse noch im geistlichen Recht zulässig, doch auch hier nur mit drei Einschränkungen. Dagegen läßt die Glosse zu I. 61 die Widerklage anscheinend auch im weltlichen (sächsischen) Recht zu. „Das sächsische Recht kannte zur Zeit des Sachsenspiegels zwar den Gerichtsstand der Widerklage, die Verhandlung über die Widerklage wurde aber bis zur Entscheidung über die Klage ausgesetzt; erst im 16. Jahrhundert ließ das sächsische Recht den simultaneus processus eintreten, und zwar nur für konnexe Widerklagen„. Wetzell: a. a. O. S. 845.
Die naturrechtliche Freiheit aller Menschen stellt bekanntlich eines der Hauptprobleme der naturrechtlichen Lehre des Mittelalters dar. In den Vorbildern der Glosse wird sie u. a. behandelt in Glosse zu J. 1, 2, § 2 ad initia, J. 1, 2, § 11 ad. sed naturali, D. I, I, II ad aeq. ac bonn, Dist. 1, c. 6, und 6, c. I. —Wieweit die mittelalterliche Doktrin die Unehelichkeit im Naturrecht nicht gelten ließ, muß offen bleiben. Die Literatur läßt hier völlig im Stich. In den Digesten beziehen sich die Stellen, in denen von der natürlichen Verwandtschaft die Rede ist, auf die natürliche Verwandtschaft im Gegensatz zur Adoptivverwandtschaft und auf die natürliche Verwandtschaft des Sklaven. Nur 1/6 dieser Stellen behandelt die natürliche Verwandtschaft im heute üblichen Sinn (so Gradenwitz: a. a. O. S. 25). Theodosius II. hatte den Kindern aus Konkubinaten „den technischen Ausdruck liberi naturales“ beigelegt (vgl. Siber: a. a. O. S. 39).
Vgl. Dist. I, c. 7.
Die nähere Ausführung dieser Regeln, die in der Glosse anschließt, ist der Glossa ordinaria zu J, 1, § 3 ad honeste entnommen. Vgl. Steffenhagen: Wien. Sitzgsber. 194/3, S. 86f. Sie sind aber hier nicht mit dem ius naturale in Verbindung gebracht. Die Glosse zu Dist. 1. pr. erwähnt Inst. 1. 1 § 3 nicht.
Vgl. hierüber Siber: a. a. O. S. 6f., v. Gareis-Wenger : a. a. O. S. 12 in und bei Note 32 und 33. Gierke, O.: Naturrecht und deutsches Recht, S. 17. Kipp: a. a. O. S. 4f., woselbst weitere Angaben.
Wenig zutreffende Erwägungen stellt hierüber an: Schilling, Otto: Die Staats- und Soziallehre des heiligen Thomas v. Aquin, S. 18/19.
Siehe oben S. 4.
Doch hat die Glosse verschiedentlich Sätze, die im justinianischen Recht zum ius gentium gerechnet werden, als Sätze des natürlichen Rechts bezeichnet. Vgl. oben S. 9 Note 1 und 4. Der Kreis der Sätze, die die Glosse zum natürlichen Recht rechnet, ist daher weiter als der Kreis des ius naturale bei Justinian. — Die in J. I, 2 § 2 gegebene Aufzählung der zum ius gentium gehörigen Einrichtungen, die in Dist. 1, c. 9 wiederkehrt, bezieht die Glosse auf das Gewohnheitsrecht. — Ferner bezieht sich die Glosse für die Unabänderlichkeit des Naturrechts auf Stellen, die das ius gentium betreffen. Diese Stellen werden aber schon von der Glossa ordinaria auf das ius naturale bezogen. Vgl. unten S. 18. Über eine Stelle, in der sich die Verbindung des ius gentium mit der naturalis ratio noch in anderer Weise in der Glosse auswirkt, vgl. unten S. ±0 Note 6.
Für einen Teil des Naturrechts, auch Glosse zu I. 55: „Dat erste is van naturen als dat echt“.
Hierbei ist zu erwähnen, daß auch die Glossa ordinaria zu den Institutionen das Naturrecht mit Gott in Verbindung bringt. Sie tut das dadurch, daß sie Gott und die Natur gleichsetzt: „Vel ius naturale est quoddam ius, quo iure natura i. Deus omnia animalia instruxit et docuit“ (Gl. zu J. 1, 2 pr. ad ius naturale est). Auf eine Einwirkung dieser Stellen ist es wohl zurückzuführen, wenn die Glosse zu l. 55 sagt: „wen got is dy nature dy naturlick recht unde alle ding geschapen het“.
Vgl. Bergbohm: a. a. O. S. 157, Note 11, Grabmann: a. a. O. S. 17, Kuhlmann: a. a. O. S. 128, Note 4 u. S. 135.
Vgl. hierüber Grabmann : a.a.O. S. 46f; Kuhlmann: a.a.O. S. 129f ; über TH. v. Aquins Lehre: Kuhlmann: a. a. O. S. 108f. Ein durch Kürze und Prägnanz ausgezeichneter Überblick bei O.-Gierke: S. 6Iof., Note 256. Seine Bemerkung in Note 47, S. 128, Thomas habe als erster ius divinum und ius naturale getrennt (ebenso Hinschius: a.a.O. S. 770, Note I) geht aber wohl, worauf Kuhlmann: a. a. O. S. 130 oben mit Recht hinweist, zu weit.
Vgl. Kuhlmann: a. a. O. S. 129 und 130.
S. 8-11.
Hier macht sich bemerkbar, daß die Glosse außer den kanonischen Rechts-büchern die justinianischen Rechtsbücher benutzt hat. Vgl. über Sätze, deren Zurechnung zum Naturrecht auf die Benützung dieser Schriften zurückgeht, oben S. 9, bes. Note I u. 4, S. 10 Note 2.
Daß der Glosse bei den Ausführungen zum Text. Prol. die Eingangsausführungen der Institutionen und des Dekrets zum Vorbild gedient haben (vgl. oben S. 3f) schließt eine weitere Analyse dieser Ausführungen schon darum nicht aus, weil die Glosse hier nicht durchweg eine wörtliche Übertragung ist.
Mit dieser Frage steht in Zusammenhang, ob der Gesetzgeber an den Normen des Naturrechts eine Schranke seiner Befugnisse findet. Darauf kann aber aus Gründen des Zusammenhangs erst bei der Besprechung der gesetzgebenden Gewalten eingegangen werden. Vgl. daher darüber unten S. 48 f.
Steffenhagen: Glossenausgabe S. 2, hält die Stelle für interpoliert.
S. 10/11.
Der Augsburger Druck von 1517 hat zu I. 3 (f. 7. IV) den Satz: „ein Satzung mag natürlich recht ablegen“. Das ist ein Druckfehler, es muß heißen: „kein natürlich recht“. So der Augsburger Primärdruck und der Zobelsche Druck von 1560. Diese Lesart entspricht auch allein dem Sinn der Stelle.
So Siber: a. a. O. S. 6/7.
So Siber: a. a. O. S. 8.
Vgl. die kurze Bemerkung zu Dist. 5 pr. ad sed immobile und Dist. 6. c. 1, ad his ita.
Grabmann: a. a. O. S. 18; Kuhlmann: a. a. O. S. 138.
Grabmann: a. a. O. S. 17; Kuhlmann: a. a. O. S. 136.
Vgl. Bergbohm: a.a.O. S. 157. — Gierke: S. 612 f. u.: Naturrecht und deutsches Recht, S. 18 (hier ohne Belege). — Grabmann: a. a. O. S. 18f.
Grabmann: a. a. O. S. 18. Eine ähnliche Aufzählung gibt die Glossa ordi-naria zu J. I, 2 pr. ad ius naturale est quod natura.
Der Augsburger Druck von 1517 sagt: „natürlich recht ist viererlei“ Er führt aber selber nur zwei Arten von „natürlichem Recht“ an.
Die Eigenartigkeit der Stelle ist im übrigen nicht allein durch den mit ihr von dem Glossator verbundenen Zweck zu erklären, eine Begründung für die Notwendigkeit der dritten Rechtsquelle, der kaiserlichen Satzungen, zu liefern. Die Glosse fährt nämlich fort, daß nicht alle Menschen dem natürlichen Recht folgten und daß daher die kaiserlichen Satzungen notwendig geworden seien. Die Verbindung des Gewohnheitsrechts mit dem Naturrecht wird erst dadurch völlig erklärt, daß die Glosse, wie oben ausgeführt, das ius gentium als das Gewohnheitsrecht aufgefaßt hat. Das ius gentium wird aber bekanntlich in den Institutionen mit der naturalis ratio in Verbindung gebracht. Tatsächlich bringt die Glosse J. I, 2 § I, wo dies am deutlichsten geschieht, als Beleg für ihren Satz: „Dat andere natürlike recht heitet darumme natürlik dat yd is genaturet van naturliken lüden“. Das Vorbild des ius gentium wirkt auch darin nach, daß der Ausdruck die „lüde“ in dieser Stelle so häufig auftritt. O. Gierke zitiert übrigens die hier besprochene Stelle (a. a. O. S. 613, Note 260) neben Stellen aus Thomas v. Aquin, Lup. Bebenb., Occam, bei der Besprechung der Einschränkungen, die der Satz von der Unabänderlichkeit des Naturrechts von Seiten der Scholastiker dadurch erfuhr, daß man innerhalb des Naturrechts verschiedene Gruppen unterschied, die dann in dieser Hinsicht verschieden behandelt wurden. Nach dem im Text Ausgeführten ist das nicht unbedenklich.
Vgl. oben S. 15.
Gratian vor Dist. 13 c I.— glossa ordinaria zu D. I, I, II (ad aequum ac bonum), vgl. oben S. 18.
Gierke: S. 626.
An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, daß die Glosse das natür-, liehe oder göttliche Recht nicht in Verbindung mit dem Inhalt der Bibel bringt (und auch nicht bringen konnte, vgl. oben S. 15/16). Das wirkt sich für die hier behandelte Frage insoweit aus, als die Beschränkung des natürlichen Rechts auf das Verhältnis zu Gott nicht zugleich notwendig dazu führen mußte, auch die Geltung der Bibel in dieser Weise zu beschränken.
Vgl. oben S. 18
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Schilling, K. (1931). Das natürliche Recht. In: Das Objektive Recht in der Sachsenspiegel-Glosse. Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, vol 2. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-94179-5_2
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