Zusammenfassung
In Kapitel 8 haben wir die wichtige Rolle anderer Menschen für die Beantwortung der Frage nach der eigenen Identität betont. Die Urteile und Einstellungen anderer müssen zwar nicht übernommen, sie können aber häufig auch nicht einfach ignoriert werden. Aus diesem Grunde werden im vorliegenden Kapitel zunächst Urteile und Einstellungen anderer Menschen — Sichtweisen von Juden außerhalb Deutschlands und von nichtjüdischen Deutschen — dargestellt, in deren Kontext die Entscheidung, wieder in Deutschland zu leben, möglicherweise gerechtfertigt werden muß. Daran anschließend wird die Frage nach dem Selbstverständnis der heute in Deutschland lebenden Juden gestellt. Eine Selbstdefinition als „deutsch“ wäre sicherlich geeignet, die Entscheidung für eine Rückkehr im Alter zu rechtfertigen, doch tragen die historische Entwicklung in der späten Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sowie Tendenzen von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit möglicherweise dazu bei, daß eine solche Selbstdefinition in ein moralisches Dilemma führt, das die zurückgekehrten Emigranten einem erheblichen Rechtfertigungsdruck aussetzen kann. Deshalb bildete die Frage nach den persönlichen Motiven für eine Rückkehr im Alter einen zentralen Gegenstand unseres Forschungsprojekts. Sind die Untersuchungsteilnehmer wieder nach Deutschland zurückgekehrt, weil trotz aller Distanz immer eine gewisse Nähe zu Deutschland erhalten geblieben ist, oder sind sie nach Deutschland zurückgekehrt, weil ihnen ein Verbleiben im Zielland der Emigration angesichts von Veränderungen der Lebenssituation im Alter nicht mehr möglich schien? Darüber hinaus interessierte uns die Frage, inwieweit die Lebenssituation nach der Rückkehr als (potentieller) Identitätskonflikt beschrieben werden kann und inwieweit die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, später bereut worden ist. Die Beantwortung dieser Fragen bliebe unseres Erachtens unvollständig, würde man sich nicht auch mit den individuellen Antworten der bis heute in den Zielländern der Emigration lebenden Untersuchungsteilnehmer auf die Frage einer möglichen Auswanderung beschäftigen. Diese Antworten werden zusammenfassend dargestellt. Im abschließenden Teil des Kapitels wird die Frage gestellt, wie sich die unter (ehemaligen) jüdischen Emigranten relativ häufige Kinderlosigkeit auf die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren oder im Zielland der Emigration zu verbleiben, auswirkte.
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© 2000 Steinkopff Verlag, Darmstadt
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Kruse, A., Schmitt, E. (2000). Motive für oder gegen die Rückkehr nach Deutschland. In: Wir haben uns als Deutsche gefühlt. Steinkopff. https://doi.org/10.1007/978-3-642-93687-6_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-93687-6_9
Publisher Name: Steinkopff
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