Zusammenfassung
Man sieht aus dem Vorangehenden, daß der Analytiker mehr als irgendein anderer Arzt auf die Mitarbeit und auf den guten Willen seines Patienten angewiesen ist. Wenn der Analytiker mit seinem Patienten nicht in Kontakt kommen kann, wie das bei den Psychosen meistens der Fall ist, kann er nicht analysieren. Er hat sich bis zu einem hohen Grade passiv zu verhalten, das heißt er muß zuhören und muß sich vom Patienten führen lassen. Bei Traumdeutungen sind nach den klassischen Regeln der Psychoanalyse ausschließlich die Einfälle des Patienten maßgebend und die Analyse gleicht nicht einem Hause, das nach einem bestimmten Plan gebaut wird, sondern eher den Gebäuden des Teufels, der, wenn es ihm beliebt, beim Dache anfängt, einen Trakt, völlig fertigstellt, während bei dem andern kaum der Grundriß gemacht ist. Man hat die Analyse auch treffend mit Wolkenkratzern verglichen, in deren Gerüst, je nach Bedarf, das 25. oder 32. Stockwerk eingefügt wird, während dazwischen die eisernen Träger in ihrer Nacktheit starren. Der Analytiker muß immer wieder bereit sein, ein Thema zu verlassen, das keineswegs vollendet ist, wenn der Patient ihn in einen anderen Trakt seines Gebäudes führt. Ein Arzt sagte zu seinem Patienten: „Wir werden jetzt noch etwa drei Wochen am Kastrationskomplex zu arbeiten haben; dann sind wir fertig.“ Diese Äußerung klingt jedem verständigen Analytiker grotesk. Es ist in der Analyse unmöglich, systematisch nach einem bestimmten Komplex zu forschen. Die einzelnen Komplexe leuchten in der Analyse auf und verschwinden wieder, um anderen Platz zu machen, wie die Signallaternen in einem Zentralbahnhof. Da heißt es abwarten, mit möglichst wenig Zielvorstellungen arbeiten, geduldig das scheinbare Labyrinth als Spaziergänger durchwandern, bis sich das Chaos nach vielen Wochen und Monaten zu einem Sinn geformt hat
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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© 1926 J. F. Bergmann, München
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Wittels, F. (1926). Aktive oder passive Psychoanalyse. In: Die Technik der Psychoanalyse. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-92443-9_9
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